Kitabı oku: «Seewölfe Paket 12», sayfa 21

Yazı tipi:

4.

Die Schiffsbewegung nahm Kapitän Fosco Sampiero mit. Er taumelte durch den Ruderraum nach vorn und prallte hart gegen die Querwand. Hinter ihm fluchten Venturi und die anderen, die mit an der Ruderpinne gearbeitet hatten. Es polterte über ihnen im Achterkastell.

Mit einemmal ertönte grell und stark verzerrt die Stimme des Zweiten Offiziers: „Kommt zurück nach oben! Es hat alles keinen Zweck mehr, wir sind im Strudel! Wir sinken, Santa Madonna, wir sinken! Rette sich, wer kann!“

Seine letzten Worte gingen in dem Schreien der Frauen unter.

Bianca Sampiero, Tosca Venturi und Ivana Gori hatten in der Kapitänskammer den Bootsmann Vittorio Medola in die Koje Sampieros gelegt. Sie hatten begonnen, die Wunde in seinem Rücken zu behandeln, so gut sie konnten, bevor der Feldscher erschien, nach dem die Frau des Kapitäns hatte rufen lassen.

Aber der Feldscher zeigte sich nicht, und die „Novara“ wurde von wilden Schlägen durchgerüttelt, die sie bis in die äußersten Verbände erzittern ließen. Wie durch eine unsichtbare Macht wurde Medola aus der Koje gehoben. Er landete auf dem Boden und rollte quer durch den Raum, hin und wieder zurück, als sich die „Novara“ ächzend zur anderen Seite neigte. Er hinterließ eine blutige Spur auf den Planken, seine Arme und Beine bewegten sich wie die Gliedmaßen einer Marionette.

„Santa Maria!“ schrie Ivana Gori. „Er ist tot. Tot, tot!“

„Sei still!“ rief Bianca Sampiero. Sie griff nach ihrer Hand und zerrte sie mit sich auf den Gang hinaus. Sie wollte um Hilfe rufen und nach ihrem Mann sehen, denn sie brauchte jetzt dessen Rat und Beistand, da auch sie die Fassung zu verlieren drohte.

Tosca Venturi war ausgerutscht und hingefallen. Sie stieß auf dem Boden mit Medolas schlaffer Gestalt zusammen und schrie entsetzt auf.

Fosco Sampiero stürmte mit seinen Helfern nach oben, entdeckte seinen Zweiten Offizier im Mittelgang der Hütte und ging sofort direkt auf ihn los. Gori gebärdete sich wie ein Verrückter, er hatte die Nerven verloren.

Sampiero packte ihn bei den Rockaufschlägen und schüttelte ihn hin und her. „Sind Sie wahnsinnig, hier so herumzuschreien?“ fuhr er ihn an. „Sie machen alles nur noch schlimmer, Sie Hornochse!“

„Lassen Sie meinen Mann los!“ schrie Ivana Gori. Sie versuchte, sich von Bianca Sampiero loszureißen, doch es gelang ihr nicht.

Die „Novara“ trieb im Strudel und neigte ihren Bug immer weiter nach unten. Auf dem Hauptdeck glitten die Männer aus. Sie mußten sich an den Nagelbänken und an Tauen und Wanten festhalten, um nicht nach vorn und über die Back weg in den tödlichen Trichter gerissen zu werden.

„Ich will nicht sterben!“ brüllte Gori. „Ich will weg, laßt mich!“

„Domenico!“ schrie seine Frau.

Sampiero schlug dem Mann zweimal ins Gesicht, dann ließ er ihn los. Gori schlug mit dem Rücken gegen die schiefe Gangwand und sank daran zu Boden.

Sampiero gab seiner Frau, dem Ersten und allen anderen zu verstehen, sie sollten ihm folgen, dann stürzte er auf die Kuhl hinaus, hielt sich am wild schwankenden Schott fest und blickte über das stark abschüssige Deck in das gähnende schwarze Maul des Strudels.

Das darf nicht wahr sein, dachte er schockiert, es ist alles nicht wahr, du träumst nur, so etwas gibt es einfach nicht.

„Beiboote abfieren!“ schrie er. „Wir verlassen das Schiff!“

Einige Decksleute hatten schon damit begonnen, die beiden Jollen der „Novara“ von ihren Zurrings zu befreien. Sampiero lief zu ihnen und half ihnen dabei. Es war ein wahnwitziges Unternehmen, die Boote zu Wasser bringen zu wollen, ohne daß sie kenterten oder sich von ihren Leinen losrissen, aber es war noch fataler, einfach ins Wasser zu springen, denn das wäre gleichbedeutend mit Selbstmord gewesen.

Nichts konnte dem Höllenstrudel entgehen.

„Moment mal“, sagte Big Old Shane verdutzt. „Dan ist weg, verdammt noch mal.“

Carberry stieß einen unwilligen, verächtlichen Laut aus. „Natürlich ist er weg, du Barsch, Hasard hat ihn doch selbst fortgeschickt.“ Er blickte weiterhin durch das Spektiv.

„Das meine ich nicht“, sagte der graubärtige Riese. „Eben habe ich ihn noch zwischen den Büschen gesehen, aber jetzt ist er untergetaucht, als habe er sich in Luft aufgelöst.“

Der Seewolf ließ das Fernrohr sinken. „Er ist hingefallen, willst du sagen?“

„Genau das.“

„Mann“, sagte der Profos. „Er wird doch wohl nicht so dämlich sein und sich die Gräten brechen, was?“

„Ich sehe mal nach. Vielleicht hat er sich an einem Stein gestoßen.“ Shane setzte sich besorgt in Bewegung und eilte den Hang hinunter. Hasard blickte ihm nach. Carberry, der der Sache immer noch keine Bedeutung beimaß, spähte unverwandt zu der fremden Galeone hinüber, deren Untergang jetzt unmittelbar bevorstand.

Ungefähr auf halber Strecke zu dem Punkt, an dem er Dan zuletzt gesehen hatte, blieb Big Old Shane abrupt stehen. Eine Gestalt richtete sich zwischen den Büschen auf, aber sie war nicht mit Dan O’Flynn identisch. Es handelte sich um einen Bullen von Kerl, der eine Muskete im Anschlag hielt und damit auf Shanes Brust zielte.

„Hölle und Teufel“, sagte der Schmied von Arwenack. „Jetzt haben wir den Salat.“ Er wollte in Dekkung gehen und selbst seine Muskete hochreißen, aber da erklang hinter seinem Rücken eine scharfe Stimme.

„Keine Bewegung, oder ihr seid alle des Todes!“

Hasard, der schon die Hand auf den Kolben seiner doppelläufigen Reiterpistole gesenkt hatte, wandte den Kopf. Carberry ließ das Spektiv sinken und drehte sich ebenfalls verblüfft um.

Die Stimme hatte Französisch gesprochen, aber sie verstanden alle genug von dieser Sprache, um den Inhalt des Satzes deuten zu können. Eine Fehlinterpretation war ausgeschlossen, außerdem war das Benehmen des Mannes, der hinter ihnen zwischen den Felsen am nördlichen Rand des Plateaus aufgetaucht war, so offensichtlich und eindeutig, daß es keinen Zweifel über seine Absichten geben konnte.

Der Mann – er trug eine schwarze Hose, hohe Stulpenstiefel und ein weiteres, bauschiges Hemd aus weißem Stoff – hielt in jeder Hand eine Pistole. Er war hager und hatte eine Glatze. Sein Gesicht mit der leicht gekrümmten Nase und den harten, stechenden Augen verriet äußerste Entschlossenheit.

Carberrys Miene wurde düster, seine Augenbrauen zogen sich zusammen, und seine Stirn war plötzlich gefurcht. Er nahm eine leicht geduckte Haltung ein und ließ die Arme baumeln.

Der Seewolf wußte, wie er dieses Verhalten seines Profos’ zu deuten hatte. Carberry würde, wenn es nötig war, auf den Fremden losstürmen und ihn überrennen, selbst auf die Gefahr hin, sich die eine oder alle beiden Kugeln aus den Pistolen einzufangen. Der Narbenmann stand bereit zum Sprung. Er konnte sehr schnell sein, schneller, als man es wegen seiner wuchtigen Statur von ihm erwartete.

„Vorsicht, Ed“, sagte Hasard. „Unternimm nichts, wenn ich dir nicht den Befehl dazu gebe.“

„Sehr gut!“ rief der Franzose auf englisch. Seine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. „Ich habe jedes Wort verstanden. Ich bin nicht nur der englischen Sprache mächtig, ich kann auch Spanisch und Portugiesisch. Genügt das? Es ist klug von euch, wenn ihr euch ergebt und die Waffen wegwerft, denn im Falle eures Widerstandes würde Duplessis, mein treuer Helfer, als ersten euren Kameraden töten, den er soeben niedergeschlagen hat, und dann den Großen mit dem Bart. Mir würde es keine Schwierigkeiten bereiten, euch zwei mit gezielten Schüssen niederzustrecken. Also?“

„Was willst du von uns?“ fragte der Seewolf so ruhig wie möglich. „Wer bist du? Gibt es ein Gesetz, das uns das Betreten dieser Insel verbietet?“

„Mein Name ist Regis La Menthe, meine Herren“, antwortete der Glatzkopf mit geradezu unnachahmlicher Überheblichkeit. „Ich bin der Herrscher von Martinique, der einzige Gebieter über die Geschicke der Insel und ihrer Bewohner. Noch nie hat es ein Mensch gewagt, ungestraft in mein Reich einzudringen.“

„Wir haben nichts verbrochen“, sagte der Seewolf. „Wir sind hier vor Anker gegangen, um etwas Frischwasser zu fassen. Wir können das Wasser bezahlen, wenn du willst, La Menthe.“

„Werft die Waffen weg!“

„Mir reicht’s“, sagte der Profos. „Sir, mir reicht’s wirklich, und ich bitte dich darum, diesem aufgeblasenen Stint das Maul einschlagen zu dürfen.“

„Du vergißt Dan.“

„O Hölle, so ein verdammter Mist.“

„La Menthe“, sagte der Seewolf. „Wir sind nur bis auf dieses Plateau vorgedrungen, um nach der Ursache der Schreie und des Schusses zu forschen, die wir gehört haben. Das kannst du uns nicht verübeln. Draußen sinkt eine Galeone, deren Besatzung sich in Lebensgefahr befindet, wie bestimmt auch du beobachtet hast, und wir sollten uns wie zivilisierte Menschen benehmen und gemeinsam versuchen, etwas für die armen Teufel zu tun.“

Der Franzose lachte kurz auf. „Aha, ein Menschenfreund bist du, Engländer? Wie heißt du denn? Deinen Namen muß ich wissen, ich werde ihn mir bis an das Ende meiner Tage merken, denn es gibt weiß Gott nicht viele Wohltäter wie dich auf dieser verrückten Welt.“

„Mein Name ist Philip Hasard Killigrew.“

„Killigrew – etwa aus der alten Seeräubersippe von Falmouth?“

„So ungefähr.“

Wieder lachte La Menthe, es klang höhnisch und verschlagen. „Mon Dieu, ausgerechnet ein dreckiger kleiner Pirat will sich zum Retter von Schiffbrüchigen aufschwingen! Ich stamme aus Dieppe, mein Freund, und habe genug von euch Killigrews gehört, um zu wissen, aus welchem Holz eure ganze Bande geschnitzt ist. Das ist doch nur eine faule Ausrede, Killigrew, du suchst nach einem Trick, um mich aufs Kreuz zu legen, nicht wahr?“

„Ich schwöre dir bei meiner Ehre, daß das nicht der Fall ist.“

„Ehre? Wo sitzt bei dir die Ehre?“

„Das brauchen wir uns nicht gefallen zu lassen, Sir“, sagte Shane wütend. „Die Partie steht drei gegen zwei, und ich traue es mir zu, diesen Bullen hier umzublasen, ehe er Dan was antun kann. Auf was warten wir?“

La Menthe hob seine beiden Pistolen noch etwas an und sagte laut: „Duplessis, auf meinen Ruf hin zertrittst du dem jungen Kerl das Gesicht, verstanden?“

„Ja“, antwortete Duplessis. „Ich tret ihm mit meinem Stiefel das ganze Hirn aus dem Schädel, und dann töte ich den Bärtigen. Was hat er gesagt?“

„Das braucht dich nicht zu interessieren“, entgegnete sein Herr. „Diese englischen Bastarde geben ohnehin nur Gewäsch von sich. Killigrew, weg mit den Waffen, oder es geschieht ein Unglück! Dies ist meine letzte Aufforderung!“

„Du begehst einen großen Fehler“, sagte der Seewolf. „Erkläre mir, was du von uns willst, und wir können darüber verhandeln.“

„Sieh da, sieh da!“ rief der Franzose hämisch. „Jetzt packt den großen Kaperfahrer doch die Angst, nicht wahr? Ich habe es schon immer gesagt, bei euch englischen Hundesöhnen ist es mit dem Schneid nicht so weit her, wie ihr es uns immer erzählen wollt. Verhandeln willst du? Nicht mit mir. Duplessis!“

„Halt“, sagte Hasard. „Wir gehorchen. Männer, laßt die Waffen fallen. Los, das ist ein Befehl!“

Carberry und Shane gehorchten widerstrebend. Die Musketen landeten mit klapperndem Laut auf dem Gestein.

Hasard zog langsam seine Doppelläufige, ließ sie seinen Fingern entgleiten und blickte dabei La Menthe an. „Zufrieden? Wir wollen eben doch nicht den Heldentod sterben.“

„Fort auch mit den Degen, Säbeln und Messern!“ herrschte La Menthe ihn und seine Männer an.

Es hatte keinen Zweck, den Franzosen irgendwie täuschen zu wollen, er hatte seine wachen Augen überall. Als schließlich alle Waffen der Seewölfe auf den Felsen lagen, winkte La Menthe seine beiden Sklaven aus dem Versteck hervor, in das sie sich vorher auf sein Geheiß hin hatten zurückziehen müssen.

Sobald La Menthe durch sein Spektiv verfolgt hatte, daß die unerwünschten Besucher der Insel sich im Anmarsch auf das Plateau befanden, hatte er sich einen einfachen, aber wirksamen Plan zurechtgelegt, durch den er die vier überrumpeln konnte. Als Hasard, Shane, Carberry und Dan auf dem Aussichtsplatz gestanden und nach der fremden Galeone Ausschau gehalten hatten, hatte der Glatzkopf vom Versteck in den Felsen aus Duplessis hinunter in die Büsche geschickt, weil er ahnte, daß der Seewolf einen Mann als Melder zurück zur Bucht senden würde. Duplessis hatte einen weiten, zeitraubenden Bogen geschlagen, um von den Männern der „Isabella“ nicht entdeckt zu werden. Der Aufwand hatte sich gelohnt.

La Menthe wies auf seine Gefangenen.

„Durchsucht sie“, sagte er zu den Schwarzen.

Hasard, Carberry und Shane mußten es sich gefallen lassen, von den Sklaven abgetastet zu werden. Einer der beiden förderte aus Carberrys Stiefel ein kleines Messer zutage und wies es untertänigst seinem Herrn und Gebieter vor.

„Gut“, sagte La Menthe. „Und nun zu den Flaschen, die du an deinem Gürtel festgebunden hat, Killigrew. Was sind das für merkwürdige Dinger? Erzähl mir bloß nicht, daß du darin Wasserproben entnehmen wolltest. Ich sehe von hier aus, daß sie bereits gefüllt sind. Womit?“

„Mit Pulver, Blei, Eisen und Glas“, erwiderte der Seewolf. Warum sollte er es dem Franzosen verheimlichen? La Menthe würde ja ohnehin herausfinden, daß es sich um Flaschenbomben handelte, die man vermittels ihrer durch den Korken führenden Lunte zur Explosion bringen konnte. Viel Scharfsinn gehörte nicht dazu.

5.

Das erste Beiboot der „Novara“ schlug quer und kenterte an der Bordwand, kaum, daß es abgefiert war und das Wasser berührt hatte. Nur ein Wunder hätte die Jolle wieder in ihre ursprüngliche Lage zurückbringen können, aber Wunder gab es nicht auf der Welt, schon gar nicht für den unglücklichen Kapitän Fosco Sampiero und seine Mannschaft.

„Es hat keinen Zweck!“ schrie Domenico Gori, der inzwischen wieder auf den Beinen war und das Achterkastell verlassen hatte. „Wir müssen alle sterben! Wir saufen ab, wir sind verloren!“

Sampiero, Venturi, der Rudergänger, der Feldscher und die anderen Männer, die sich auf dem Hauptdeck am zweiten Boot versammelt hatten, konnten jetzt nicht dafür sorgen, daß er den Mund hielt. Sie hatten genug zu tun mit dem Hochhieven der Jolle, die an über die Rahnocken und durch Taljen laufenden Tauen hing.

Aber sie fluchten darüber, daß Gori ihre Verzweiflung durch sein Geschrei noch anheizte und wachsen ließ, und alle hatten sie den Wunsch, dem durchgedrehten Zweiten den Hals zuzudrücken.

Bianca Sampiero stürzte auf ihren Mann zu und rief im Rauschen und Tosen der Fluten: „Warte, Fosco! Laß schon einige Leute in das Boot klettern! Dadurch wird es beschwert und kann nicht so leicht kentern wie das andere!“

Der Kapitän zögerte nicht, diesen Vorschlag seiner Frau anzunehmen.

„Los!“ brüllte er. „Die Frauen als erste in das Boot – auch du, Bianca! Nein, keine Widerrede, verstanden? Das ist ein Befehl!“

Bianca Sampiero hatte alles, nur nicht dies beabsichtigt, doch sie wußte, daß sie sich dem Willen ihres Mannes beugen mußte. Sie half Tosca Venturi und Ivana Gori, die jetzt bei ihr waren, auf die Duchten der Jolle, dann kletterte sie selbst hinterher.

Sampiero und seine Helfer hatten das Boot wieder ganz auf die Kuhl abgefiert. Sampiero drehte sich auf dem wild schwankenden Deck zu seinem Zweiten Offizier um und winkte ihm zu.

„Gori! Hierher! Sie gehen mit von Bord, los, beeilen Sie sich, verdammt noch mal!“

Gori eilte auf die Jolle zu, glitt aus, schlitterte ein Stück über die Planken und stieß dabei einen Laut des Entsetzens aus. Die Kuhlgräting stoppte ihn. Er rappelte sich wieder auf, stolperte zur Jolle und ließ sich über das Dollbord sinken.

Es war eine Schande für einen Schiffsoffizier, mit den Frauen zu fliehen, statt bis zur letzten Minute an der Seite seines Kapitäns auszuharren, doch Gori schien in seinem derzeitigen Zustand weder so ehrenhaft zu empfinden noch überhaupt urteilsfähig zu sein.

Sampiero suchte noch drei Decksleute aus, die mit an Bord der Jolle gehen sollten, denn Gori und die drei Frauen allein konnten sie nicht voranbringen, es waren dazu ein paar erfahrene Rudergasten erforderlich.

Mit vereinten Kräften hievten der Kapitän und seine Männer das Boot wieder hoch, schwenkten es außenbords und fierten es ab. Allein das war bei der gefährlichen Schräglage der Galeone ein höchst waghalsiges Unternehmen. Die Jolle wurde hecklastig, und die vier Männer und die drei Frauen mußten sich an den Duchten festklammern, um nicht herauszufallen.

Sampiero, Venturi, der Rudergänger und die anderen schrien sich gegenseitig Worte zu, die im Brüllen des Strudels fast untergingen. Immerhin brachten sie es fertig, durch rascheres Wegschricken des einen Bootstaues die Lage der Jolle wieder halbwegs zu stabilisieren, und so setzte sie endlich sicher im Wasser auf. Zwar tanzte sie wie eine Nußschale, aber es erwies sich doch als richtig, daß die Belastung durch eine siebenköpfige Besatzung ein Umschlagen verhinderte.

Die Rudergasten griffen nach den Riemen. Gori hatte sich so weit gefangen, daß er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Er zerrte den Bootshaken unter den Duchten hervor und drückte die Jolle mit aller Macht von der Bordwand der „Novara“ fort.

Die „Novara“ bewegte sich nicht mehr kreisend und taumelnd, sie hatte im Zentrum des Trichters einen ruhenden Pol gefunden und neigte sich fast gemächlich noch tiefer mit dem Bug dem Grund der See entgegen. Der Strudel zerrte an ihrem Rumpf, doch er vermochte ihn nicht mehr zu drehen, dazu war die Last des Schiffes mitsamt seiner Ladung zu gewaltig.

„Aufs Achterdeck!“ schrie Sampiero seinen Männern zu. „Von dort aus werdet ihr springen!“

„Signor Capitano!“ rief Emilio Venturi. „Sie kommen doch mit uns, oder?“

Fosco Sampiero antwortete darauf nicht, er arbeitete sich auf der Kuhl, die sich jetzt wie der glatte Hang eines Berges vor ihnen erhob, nach achtern. Es war keine Zeit mehr gewesen, die Manntaue zu spannen, die bei Sturm der Mannschaft einen gewissen Halt an Oberdeck geben. Mühsam mußten sich der Kapitän und seine abgekämpfte, zu Tode entsetzte Gefolgschaft hocharbeiten, am Schanzkleid entlang und dann über den Niedergang bis zur Nagelbank auf dem Achterdeck, die ihnen vorläufig ausreichenden Halt bot.

Kein Strudel der Weltmeere konnte ein so großes Schiff wie die „Novara“ binnen weniger Augenblicke in die Tiefe ziehen. Dagegen sprachen die Trägheit der Masse und die Behäbigkeit, mit der der Dreimaster zwangsläufig seine Abwärtsfahrt vollführen mußte. Nein, schnell ging das nicht, sondern es vollzog sich fast wie ein Zeremoniell, bei dem die „Novara“ ächzend wie ein verwundeter Gigant nunmehr in nahezu senkrechte Haltung abkippte und das verzierte Heck mit der Galerie und den Bleiglasfenstern der Kapitänskammer hoch aus der See hob. Zoll um Zoll sank sie. In ihrem Frachtraum tanzten die Weinfässer und die Werkzeugkisten im schwappenden Wasser. Bald würden sie unter die Deckenbalken gepreßt werden.

Sampiero und seine Männer waren ganz bis zur Heckreling hinauf geklommen und kletterten jetzt darüber weg. Damit begaben sie sich auf den Heckspiegel und befanden sich praktisch zwischen der großen Achterlaterne und der Galerie, die rund ums Plattgatt lief, auf der achteren Außenhaut ihres Schiffes.

Von hier aus vermochten sie zu sehen, wie sich die Jolle in zähem, beständigem Kampf von der Galeone entfernte. Emsig arbeiteten die vier Männer an den Riemen, aber auch die Frauen hatten mit zugegriffen und ruderten so gut mit, wie sie es konnten. Bianca Sampiero saß auf der Heckducht und hielt die Ruderpinne. Immer wieder drehte sie sich zu ihrem Mann und dessen letzten Getreuen um, die wie kleine, hilflose Kreaturen auf dem mächtigen Heckspiegel der „Novara“ aussahen.

„Fosco!“ schrie Bianca, so laut sie konnte. „Wir schaffen es! Folgt uns, wir werfen euch Taue zu, an denen ihr euch festhalten könnt! Hörst du mich?“

Sampiero winkte ihr zu, dann sagte er zu seinen Männern: „Ihr springt jetzt. Es ist die letzte Chance, nehmt sie wahr. Versucht, die Insel zu erreichen und Lodovisi zu stellen, der dies alles angezettelt hat. Zorzo und Prevost haben Cavenago, Medola und Teson niedergestochen, sie verdienen dafür den Tod. Über Lodovisi sollte man Gericht halten, ich habe es versäumt, und deshalb trage ich die eigentliche Schuld an diesem Unglück.“

„Lodovisi wußte, daß Sie ihn noch bestrafen würden, weil er aufwieglerische Reden geführt hatte, Signor Capitano!“ rief Emilio Venturi. „Sie hätten auf jeden Fall damit gewartet, bis wir Nombre de Dios erreichten. Deshalb wollte er vorher von Bord, wollte sich aber auch an Ihnen rächen. Dieser Hund, dieser Mörder!“

Sampiero richtete sich halb auf und schrie seinen Leuten zu: „Springt! Auf was wartet ihr, ihr elenden Narren?“

„Signore!“ rief der Rudergänger. „Sie müssen uns begleiten, das sind Sie uns schuldig!“

„Ja! Ich komme ja auch! Springt!“

Sie krochen zum Rand des Spiegels, erhoben sich, stießen sich kräftig mit den Beinen ab und flogen dem Wasser entgegen, das inzwischen die „Novara“ bis hinauf zur Querwand des Achterkastells geschluckt hatte.

Wieder drang ein Stöhnen aus der Tiefe des Schiffsleibs, ein urwüchsiger, dumpfer Laut, in dem sich alle Qual zu vereinen schien, die die Männer empfanden.

Venturi blickte seinen Kapitän an. „Capitano, ich weiß, daß Sie mit diesem Schiff in Gottes tiefen Keller sinken wollen, ich sehe es Ihnen an! Aber das lasse ich nicht zu!“

„Venturi, Sie haben mir keine Anweisungen zu geben!“

„Das tue ich auch nicht.“

„Verschwinden Sie endlich! Hauen Sie ab!“

„Nein! Ich bleibe!“

„Venturi, ich kann Sie zwingen, diesen Teufelskahn zu verlassen, das wissen Sie ganz genau!“

„Sie werden es nicht tun!“

Ja, das stimmte: Niemals würde Sampiero es über sich bringen, Hand an seinen Ersten Offizier zu legen, auf den er immer große Stücke gehalten hatte. So gesehen, befand er sich jetzt in einer Zwangslage, denn er konnte es nicht verantworten, den Mann mit sich sterben zu lassen.

„Capitano, hören Sie mich an!“ schrie Venturi. „Sie begehen ein Verbrechen an Ihrer Frau, wenn Sie hierbleiben! Und es ist auch ungerecht der Mannschaft gegenüber, die Ihre Führung weiterhin braucht! Capitano – unterlassen Sie diesen unsinnigen Mannesbeweis!“

Sampiero wandte sich wütend zu ihm um. „Sie beleidigen mich! Gehen Sie von Bord, ehe ich mich vergesse! Sie sind ein Trottel, ein Einfaltspinsel und ein unfähiger Anfänger, den ich an Bord meines Schiffes nur geduldet habe, weil ich Mitleid mit ihm hatte!“

Venturi lachte freudlos auf. „Beschimpfen Sie mich ruhig, es stört mich nicht. Deswegen bleibe ich trotzdem.“

„Fosco!“ ertönte ganz schwach aus dem Tosen des Wassers die Stimme von Bianca Sampiero. „Mein Gott, so kommt doch endlich!“

„Emilio!“ schrie nun auch Tosca Venturi.

Sampiero kroch auf Venturi zu, um ihn nun doch zu packen und ins Wasser zu stoßen. Etwas kochte in seinem Inneren über. Er begriff den Starrsinn seines Ersten nicht und vergaß darüber seine eigene Verbohrtheit.

Sampiero hatte Venturi, der vor ihm auswich, fast erreicht, da wurden sie beide durch etwas völlig Unerwartetes abgelenkt.

Aus der Tür der Kapitänskammer, die sich jetzt in waagerechter Lage befand, kroch eine Gestalt hervor, die sich an den Taljen der Heckbalustrade festklammerte, und sich – augenscheinlich unter größter Anstrengungen – daran hochzog. Sie schaffte es, stellte sich mit den Füßen auf die Achterwand der Hütte und schob dem Kapitän und seinem Ersten ein bleiches Gesicht mit weit aufgerissenen Augen entgegen, das beim ersten Hinsehen wie das Antlitz eines Geistes anmutete.

Der Mann war Vittorio Medola.

Old O’Flynn, Sam Roskill, Luke Morgan und Bill rissen augenblicklich ihre Musketen und Tromblons hoch, als es im Dickicht raschelte. Trotz des diffusen Dämmerlichtes, das jetzt einzusetzen begann, konnten sie alle vier deutlich die Bewegung verfolgen, die keine zehn Yards von ihnen entfernt war und von einem größeren Lebewesen herzurühren schien.

„Achtung!“ zischte Old O’Flynn. „Ich gebe einen Schuß ab, und zwar dicht über den Rücken von dem Kameraden hinweg. Ist er ein Mensch, gibt er sich wohl zu erkennen, ist es ein Tier, wird es bocken und die Flucht ergreifen, und dann strecken wir es nieder.“

„Nur zu“, raunte Sam Roskill. „Wir sind bereit.“

Der Alte kniff ein Auge zu und zielte ruhig über den Lauf seiner Muskete, doch jetzt tönte ein Ruf aus dem Gebüsch: „He – Freunde, seid ihr das? Hasard? Shane?“

„Matt Davies, hol’s der Henker“, knurrte Old O’Flynn. „Dich reitet ja wohl der Teufel, wie? Um ein Haar hätte ich dir das ganze Stroh aus deinem verfluchten Schädel geblasen.“

Luke Morgan stieß heftig die Atemluft aus, dann sagte er: „Mann, Matt, das war wirklich knapp. Kannst du nicht eher Bescheid geben, wer du bist?“

„Ich hab euch doch auch eben erst entdeckt“, verteidigte sich der Mann mit der Eisenhakenprothese. „Kann ich mich jetzt zeigen, oder habt ihr die Schießeisen immer noch auf mich gerichtet?“

„Vorwärts“, sagte der Alte und ließ die Muskete sinken. „Was ist denn bloß los? Bist du allein?“

„Nein. Bob Grey ist bei mir.“

„Na, Mahlzeit“, brummte Sam Roskill. „Auf euch haben wir gerade gewartet. Was wollt ihr? Habt ihr Heimweh nach uns gehabt?“

Matt Davies trat aus dem Dickicht hervor und grinste breit. „Da irrst du dich aber gewaltig, Sam. Von mir aus hätten wir an Bord der Old Lady bleiben können, aber Ben bestand darauf, daß wir mal nach euch Ausschau halten. Na ja, wir haben eure Stimmen gehört und …“

Er wurde durch Bob Grey unterbrochen, der jetzt hinter ihm war und rief: „Vorsicht, nicht schießen, Leute! Ich bin’s, euer guter alter Bob! Ich bin kein Wildschwein und auch kein Hirsch, überzeugt euch bitte davon, bevor ihr abdrückt!“

„Du Rüsseltier“, sagte Luke wütend. „Schrei hier doch nicht so ’rum. Willst du uns die Wilden auf den Hals locken?“

„Wieso?“ fragte Matt verdutzt. „Ist die Insel also doch bewohnt?“

„Augenblick mal“, sagte Sam. „Werfen wir nicht alles durcheinander, ja?“

Old O’Flynn empfing Bob Grey mit einem zornigen Blick. „Sag mal, du denkst wohl, wir haben alle Schlick auf den Augen. Ich kann eine Mißgeburt wie dich auch in zehn, zwanzig Jahren auf eine Meile Abstand noch von einem Gorilla oder Orang-Utan unterscheiden, und das ist gar nicht mal so einfach.“

Bob wollte darauf eine passende Antwort geben, aber Matt hielt ihn am Arm fest und sah Old O’Flynn an. „Lassen wir das lieber. Darf man erfahren, was hier läuft? Schön, ich seh ja, daß ihr die Quelle gefunden habt. Fein. Aber warum seid ihr vier hier und nicht oben auf dem Plateau?“

„Plateau? Was für ein Plateau?“ wollte Luke wissen.

„Na, jetzt hör aber auf“, sagte Bob empört. „Wollt ihr uns für dumm verkaufen? Das laß ich mir von dir nicht gefallen, Mister Morgan.“

„Vorerst wissen wir gar nichts“, sagte Old O’Flynn giftig. „Wir tappen hier im Ungewissen, und ich habe das langsam satt. Habt ihr in der Bucht die Schreie und den Pistolenschuß gehört?“

„Keine Spur“, erwiderte Matt. „Was hat das jetzt wieder zu bedeuten?“

„Das wissen wir nicht“, erwiderte der Alte. „Aber wenn ihr nichts gehört habt, warum scheucht euch Ben Brighton dann an Land?“

„Weil ihr schon zu lange weg seid und er sich fragt, warum ihr auf dem Plateau herumkriecht, während hier unten doch wohl eher eine Quelle zu finden ist.“ Matt räusperte sich. „Gary Andrews hat vomVormars aus oben, auf dem Plateau an den nördlichen Berghängen der Bucht, mit dem Kieker die Bewegung von menschlichen Gestalten wahrgenommen, und da haben wir angenommen, das wäret ihr. In Ordnung?“

„Ich denke schon“, sagte Old O’Flynn. „Hasard, Carberry, Shane und mein Sohn sind in die Berge aufgestiegen, um zu sehen, was es mit diesem Geschrei auf sich hat. Wir sind hiergeblieben und sollen auf die vier warten. Einverstanden, Mister Davies?“

Matt schüttelte den Kopf. „Nein, Sir. Da stimmt nämlich was nicht. Gary hat auf dem Plateau ganz deutlich insgesamt acht Männer unterscheiden können, und wir dachten, das wäret ihr. Jetzt seid ihr vier aber hier, und ihr seid vorher auch nicht mit Hasard zusammen ’raufgeklettert, oder?“

„Nein“, sagte der Alte verdutzt.

„Und Gary hat ganz bestimmt auch keinen Tang auf den Augen“, meinte Bob Grey. „Wenn er sagt, er hat acht Leute gesehen, dann waren es acht. Bloß hat er nicht unterscheiden können, wer das war.“

„Auf jeden Fall sind es vier zuviel“, sagte Old O’Flynn mit umwerfender Logik. „Aber falls es sich um einen Überfall gehandelt hat, hätte Hasard zwei Schüsse in die Luft abgegeben – wie vereinbart.“

„Und wenn er dazu keine Gelegenheit hatte?“ fragte Bill. „Was dann?“

„Die Angelegenheit ist höllisch kompliziert, verdammt noch mal“, sagte Luke Morgan. „Und faul.“

„Oberfaul, es stinkt bis hierher“, sagte Matt Davies. „Wir können hier nicht herumstehen. Wir müssen etwas tun.“