Kitabı oku: «Seewölfe Paket 12», sayfa 22

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6.

Sampiero und Venturi waren bei dem schwerverletzten Bootsmann Medola angelangt und halfen ihm über die Reling der Heckgalerie. Sie griffen ihm unter die Arme und führten ihn über den Spiegel des sinkenden Schiffes, bemüht, die Balance zu halten. Plötzlich war es für den Kapitän der „Novara“ keine Frage mehr, ob er bis zum bitteren Ende an Bord blieb oder nicht: Sie mußten Medola retten, und Emilio Venturi allein vermochte dies nicht zu schaffen.

Für einen Moment standen sie hart am Rand der Backbordseite und hatten hinter sich das Ruderblatt, das sich jetzt knarrend nach Steuerbord bewegte.

Sampiero paßte den günstigsten Zeitpunkt ab, dann schrie er: „Jetzt!“

Sie sprangen gleichzeitig und nahmen den Bootsmann in ihrer Mitte mit, tauchten mit den Füßen zuerst ein, schoßen wieder hoch und schwammen auf die Jolle zu.

Geistesgegenwärtig hatte sich Bianca Sampiero im Bootsheck aufgerichtet und eins der aufgeschossenen Taue zur Hand genommen, die unter den Duchten lagen. Sie warf es aus. Das Ende schwebte durch die Luft auf ihren Mann, auf Venturi und Medola zu, landete jedoch drei oder vier Yards vor ihnen in den Fluten.

Während die drei Rudergasten und die beiden anderen Frauen weiterpullten, packte Gori schleunigst das in der Jolle liegende Tauende und belegte es um die Ducht vor der Heckbank. Er wollte die Fehler von zuvor revidieren und neuen Mut und Einsatzbereitschaft beweisen.

Der Sog riß an den Leibern der drei Männer im Wasser und wollte sie zurück zur „Novara“ ziehen, die jetzt schneller in die Tiefe abglitt.

„Laßt mich los! Laßt mich zurück!“ rief Medola, aber Sampiero und Venturi hörten nicht auf ihn. Sie kämpften verbissen gegen die Macht des Wassers, stemmten sich gegen die tödliche Drift, gaben nicht auf.

Doch die knappe Distanz, die sie von dem Tau trennte, schien sich nicht zu verringern.

„Haltet mit dem Pullen ein!“ schrie Bianca Sampiero plötzlich.

Domenico Gori, der aus aufgerissenen Augen zu ihr hinüberblickte, glaubte anfangs, die Panik habe auch ihr den Geist verblendet, doch dann merkte er, wie ernst es ihr war. Er drehte sich zu den Rudergasten um und brüllte: „Aufhören! Habt ihr nicht gehört? Das ist ein Befehl, zum Teufel!“

Die drei Decksleute der „Novara“ waren nicht weit davon entfernt, höhnisch aufzulachen und die Order ihres Zweiten Offiziers zu ignorieren, hatte er doch vorher ein so klares Bild von seiner Furcht und Schwäche geliefert.

Doch sie gehörten nicht zum Schlag eines Zorzo oder Prevost, sie spürten ein tiefes Gefühl der Verbundenheit mit ihrem Kapitän, der sich ihnen gegenüber immer loyal verhalten hatte – und so gehorchten sie. Auch die Frauen hielten inne.

Die Jolle stoppte, sobald sich die Blätter der Riemen aus dem Wasser hoben. Dann trieb sie zurück zur „Novara“, und auch das straff im Wasser liegende Tau bewegte sich in derselben Richtung.

Sampiero streckte die Hand danach aus, packte das Tau, zog Medola und Venturi in einer gewaltigen Anstrengung mit sich und sah zu seiner Freude, daß auch sein Erster Offizier das Tau packte und sich mit aller Kraft daran festklammerte. Alle beide hielten sie sich mit einer Hand fest, mit der anderen zerrten sie Medola mit sich, der wieder das Bewußtsein verloren hatte.

Ivana Gori hatte Medola für tot gehalten, als sie ihn so reglos in der Kapitänskammer hatte liegen sehen, doch jetzt erhielt sie einen Begriff davon, wie zäh Männer dieses Schlages waren. Noch war Medolas Stunde nicht gekommen, noch brannte sein Lebenslicht, wenn auch nur schwach und flackernd.

„Pullt an!“ rief Gori. Die Riemen tauchten wieder ein. Ein Ruck lief durch die Jolle, langsam, aber beständig schob sie sich aus dem Bannkreis des rauschenden Trichters.

Sampiero, Venturi und Medola unternahmen jetzt keinen Versuch, sich näher an das Boot heranzubringen. Sie wußten, daß es zwecklos war. Sie schöpften ein wenig Atem und Kraft, ließen sich schleppen und hangelten erst wieder ein Stück voran, als das energische Zerren an ihren Beinen nachließ.

Bianca und der Zweite begannen, das Tau Hand über Hand durchzuholen, und rasch schrumpfte der Abstand zwischen ihnen und den drei keuchenden Männern.

Von allen Seiten strebten die Schiffbrüchigen auf die Jolle zu: der Rudergänger, der Feldscher und noch gut ein halbes Dutzend von denen, die auf Sampieros Befehl hin vom Achterdeck gesprungen waren.

Sie alle hielten sich schließlich an den Dollborden fest, wandten die Köpfe und sahen schweigend zu, wie die „Novara“ in den Fluten verschwand. Nur für kurze Zeit schwamm ihr verziertes Heck mit dem Ruderblatt noch wie ein wunderbares Reliefbildnis im Mittelpunkt des Wirbels, dann floß das Seewasser darüber zusammen. Das Ruder entzog sich als letztes den Blicken der Männer und Frauen.

Das Kreisen des Strudels ließ etwas nach. Nie schien es die „Novara“ wirklich gegeben zu haben, sie war fort wie ein Spuk, ein Trugbild unerklärlicher dunkler Mächte.

Sampiero und Venturi halfen, den besinnungslosen Bootsmann in die Jolle zu befördern, dann schaute sich der Kapitän in der Runde um.

„Wo sind die anderen?“ fragte er mit seltsam brüchiger Stimme. „Ich sehe hier bei weitem nicht alle Besatzungsmitglieder. Wo sind sie?“

Der Rudergänger hob die rechte Hand und wies stumm über das Boot weg auf den Strudel, der nicht nur die „Novara“, sondern auch mehr als zehn Männer des Vordecks mit in die Tiefe gerissen hatte – abgesehen von Raoul Cavenago und Alfredo Teson, die ihr Grab im Inneren des Schiffes gefunden hatten.

Lange Schatten krochen von Osten her in das Tal der Insel Martinique und flossen dort, wo an einem Bachlauf die Siedlung stand, ineinander. Ein gewundener Pfad führte vom Aussichtsberg in die üppig bewachsene Senke hinunter. Auf seinem untersten Drittel schritten die acht Männer, voran die Seewölfe, dann La Menthe und Duplessis und zuletzt die beiden Negersklaven, die das Holzgestühl, das Spektiv und einige andere Utensilien ihres Herrn trugen.

Dan war zu sich gekommen, als La Menthe dem Seewolf gerade die Höllenflaschen abgenommen hatte. Dan hatte mächtige Schmerzen in seinem Kinn und im ganzen Kopf, und er zog das Bein ein wenig nach, das von Duplessis gepackt und umgedreht worden war. Aber all das störte ihn nicht so sehr wie die Tatsache, daß er sich hatte überrumpeln und niederschlagen lassen.

Er hörte nicht auf, sich innerlich mit Selbstvorwürfen zu überhäufen – und wartete nur auf eine Gelegenheit, den Franzosen den heimtückischen Überfall zurückzuzahlen.

Eine passende Chance wollte sich aber nicht bieten. Der Glatzkopf und sein bulliger Helfer hatten sich die Gurte mit den Waffen ihrer Gefangenen vollgestopft. Sie hielten jeder zwei Pistolen in den Fäusten, mit denen sie Hasard, Shane, den Profos und Dan zweifellos ohne den geringsten Skrupel über den Haufen schießen würden, falls diese zu fliehen versuchten.

Die Siedlung bestand aus fünf langgestreckten, solide wirkenden Steinhäusern, die alle am nördlichen Ufer des Baches standen und von einer mannshohen weißen Mauer umgeben waren. Die Mauer bildete geometrisch genau ein Rechteck. Das ganze Anwesen sah sehr gepflegt aus.

„Siehst du, Killigrew“, sagte Regis La Menthe. „Das ist meine friedliche kleine Musterkolonie. Dort lebe ich mit Duplessis, fünf anderen Landsleuten und zwölf schwarzen Dienern, von denen die Hälfte Frauen sind. Es mangelt uns an nichts, und manch einer würde uns um dieses Paradies beneiden. Wir haben Wasser in Mengen, können jagen, sooft wir Lust haben, und bauen Zukkerrohr, Tabak, Kaffee, Melasse und Ingwer an. Wir ernten Bananen und brennen Rum, und meine ganz besondere Leidenschaft ist die Zucht von Orchideen. Gefällt dir das?“

„Ja. Danke für den Vortrag.“

„Wir haben Handfeuerwaffen und ein kleines Geschütz, und auch an Pulver und Kugeln fehlt es nicht.“

„Eine Festung, die uneinnehmbar ist, nicht wahr?“ sagte Hasard.

La Menthe lachte. „Oh, ich bin überzeugt, daß du sie entdeckt und zu stürmen versucht hättest. Ein Pirat wie du läßt sich eine solche Gelegenheit doch nicht entgehen.“

„Du täuschst dich immer noch in uns, aber ich sehe ein, daß es keinen Zweck hat, dich vom Gegenteil überzeugen zu wollen.“ Hasard ließ seinen Blick wandern und nahm alle Details der Landschaft in sich auf. Wo bot sich eine Möglichkeit zur Flucht? Wann konnte er zuschlagen und die Franzosen überwältigen? Wenn sie erst innerhalb der Mauer waren, war es zu spät dazu, dann würde man sie einsperren.

La Menthe gab sich ausgesprochen redselig, er schien seine Englischkenntnisse an den Mann bringen zu wollen.

„Ihr werdet euch fragen, was uns hierher verschlagen hat“, sagte er. „Nun, auch das will ich euch verraten. Vor etwas mehr als zwei Jahren lief ich mit meinem Schiff, einem Sklavenfänger, auf eins der Riffe vor der Ostküste, und damit war unsere Reise, die uns eigentlich nach Portobello hatte führen sollen, zu Ende. Ich hatte hundert Sklaven aus Senegal an Bord und wollte sie in Neuspanien verkaufen, doch mit diesem Plan war es vorbei. Wir konnten noch froh sein, daß wir uns in dem Sturm, der über die See tobte, ans Ufer retteten. Das Schiff zerbrach am Korallenriff, doch uns sieben Franzosen wollte der Teufel nicht haben. Wir trieben die überlebenden Sklaven zusammen, schlugen uns durch den Dschungel und fanden schließlich dieses Tal. Wir beschlossen, uns hier niederzulassen, und das haben wir seit jenem Tag nicht bereut.“

„Und was soll jetzt aus uns werden?“ fragte der Seewolf. „Sollen wir euch auch als Leibeigene dienen?“

„Vielleicht.“

„Unsere Kameraden werden bald nach uns suchen.“

„Das kann ich mir denken“, sagte der Franzose.

„Es sind viele Männer, La Menthe, sehr viele.“

„Stört mich das?“ Der Glatzkopf ließ wieder sein unangenehmes Lachen vernehmen. „Nein, nicht im geringsten. Natürlich finden sie uns, aber sie werden es nicht wagen, euer Leben aufs Spiel zu setzen.“

„Aber sie werden auf meinen Befehl hören.“

„Du würdest zum Angriff blasen und selbst den Märtyrer spielen? Ich glaube nicht, daß du dich von mir erschießen lassen würdest. Schon gar nicht würdest du zulassen, daß ich vor deinen Augen deine drei Spießgesellen hier langsam zu Tode quäle.“

„Was bezweckst du mit alledem?“ fragte Hasard, ohne sich nach ihm umzudrehen.

„Ich will, daß du mir einen kleinen Gefallen tust“, antwortete La Menthe. „Dein Schiff gefällt mir. Du wirst es mir durch eine Schenkungsurkunde vermachen. Ich setze den Text auf, und du unterschreibst einfach. Das ist alles.“

„Mit meinem Schiff wirst du keine Freude haben.“

„O doch. Ich will damit kleine Abstecher in die Umgebung von Martinique unternehmen, zum Beispiel nach Dominica hinauf, wo ich dich und deine Mannschaft von Schnapphähnen und Schlagetots auch aussetzen werde.“

„Und dann? Willst du dich der Freibeuterei verschreiben, die du doch so sehr verabscheust, Sklavenjäger?“

„Ich könnte mir vorstellen, daß ich vorbeisegelnden Spaniern und Portugiesen ein wenig von dem Reichtum abnehme, den sie unverdienterweise zusammenraffen und nach Spanien verschiffen“, erwiderte La Menthe höhnisch lächelnd. „Wer weiß, vielleicht kehre ich eines Tages als reicher Mann in meine Heimat zurück.“

„Du bist ein Narr, Sklavenjäger“, sagte Hasard.

La Menthes Züge verzerrten sich. „Wenn du mich noch einmal so nennst, dann ziehe ich dir den Knauf deiner eigenen Pistole über den Schädel, du Hund.“

„Wie soll ich dich denn sonst bezeichnen? Als Leuteschinder? Als Galgenstrick? Als hirnrissigen Prügelknecht, der ein Dutzend armer Neger quält?“

„Hör auf!“ schrie La Menthe.

„Was sagt der Hund, was sagt er?“ fragte Duplessis, der hinter seinem Herrn hermarschierte.

Dan, Shane und Carberry, die hinter Hasard schritten, begriffen jetzt, was ihr Kapitän plante, und mit einemmal waren ihre Sinne bis zum äußersten geschärft. Dan humpelte ein wenig stärker und gab ein unterdrücktes Stöhnen von sich, womit er dem Seewolf signalisierte, daß er zur Aktion bereit war.

Weiterer Absprachen, die ohnehin von dem Franzosen unterbunden worden wären, bedurfte es nicht. Hasard und seine Männer waren hervorragend aufeinander eingespielt. Hundert Abenteuer hatten sie so fest zusammengeschmiedet wie keine andere Schiffsmannschaft.

„La Menthe“, sagte Hasard voll Verachtung. „Du beschimpfst uns, weil du uns für Seeräuber hältst, aber du vergißt dabei, was für eine niedere Kreatur du selbst bist. Es gibt nichts Erbärmlicheres auf dieser Welt als einen Sklaventreiber, das weiß doch jedes Kind.“

„Sei still!“ fuhr der Glatzkopf ihn an. „Warte, dich bringe ich zum Schweigen, dir stopfe ich das Maul!“

Er überholte mit zwei schnellen Schritten Big Old Shane, strebte dann an Carberry und Dan O’Flynn vorbei und hob die erbeutete Reiterpistole, um sie auf den Kopf des Seewolfs niedersausen zu lassen.

Dan brach plötzlich in den Knien zusammen und ließ sich auf die rechte Körperseite sinken. Er stöhnte noch einmal und tat so, als wolle er sich das schmerzende Bein halten. In Wirklichkeit aber griff er nach einem der faustgroßen Steine, die am Rand des Pfades lagen.

Wie auf ein vorher vereinbartes Zeichen hin schnellte Carberry unvermittelt vor – zu schnell für Duplessis, der zwar feuern wollte, jedoch durch die erstaunliche Gewandtheit des Profos’ irritiert war. Nur einen Atemzug lang – dieser Zeitraum genügte Carberry, dem Glatzkopf einen heftigen Schlag in den Rücken zu geben.

Hasard sprang zur Seite, hielt sein linkes Bein aber so, daß La Menthe darüber stolperte. Der Franzose schlug der Länge nach hin, überrollte sich und verlor die Doppelläufige aus der Hand.

Dan hatte den Stein in der Faust, fuhr auf dem Boden herum und schleuderte ihn nach Duplessis. Big Old Shane duckte sich gedankenschnell und drehte sich dabei um, um den Bullen angreifen zu können.

Gut gezielt prallte der Stein gegen Duplessis’ Stirn, und der begann zu wanken wie ein Betrunkener. Er ging aber nicht zu Boden, sondern riß seine beiden Pistolen hoch und feuerte die rechte auf Dan ab. Der Schuß krachte, der Stein polterte zu Boden. Dan wälzte sich seitlich ins Dickicht und entging der Kugel um Haaresbreite.

Shane wich ebenfalls aus, weil Duplessis fluchend mit der anderen Pistole fuchtelte und Anstalten traf, damit genau auf seine breite Brust abzudrücken.

„Weg!“ rief der Seewolf. „Abhauen! Los, beeilt euch!“

Carberry hatte zwar vorgehabt, sich mit dem ganzen Gewicht seines Körpers auf La Menthe zu werfen, doch dieser hatte sich inzwischen halb aufgerichtet und zielte mit seiner zweiten Pistole auf den Narbenmann. Rechtzeitig hatte Hasard erkannt, daß sie auch zu viert keine reelle Chance hatten, die Franzosen zu überwältigen, ganz ohne Waffen war es ein hoffnungsloses Unterfangen.

Aber fliehen konnten sie – und das taten sie jetzt, indem sie sich zu Dan hinüber ins Gebüsch warfen, sich schnell wieder aufrappelten und davonliefen.

La Menthe feuerte, aber die Kugel lag zu hoch und pfiff über die Köpfe der vier weg. La Menthe sprang auf, fluchte auf mörderischste Weise in seiner Muttersprache und hob die Doppelläufige, die er wieder an sich gebracht hatte, aber die Gestalten, die jetzt im Dickicht verschwunden waren, boten ihm kein Ziel mehr.

Duplessis stand zornbebend da und wollte sich mit der einen Hand die schmerzende Stirn reiben, doch jäh traf ihn von hinten ein Stoß. Er flog gegen seinen Willen auf seinen Herrn zu, konnte ihm nicht mehr ausweichen, prallte mit ihm zusammen und ging mit ihm zu Boden.

Einer der beiden schwarzen Männer hatte die Gelegenheit ergriffen und Duplessis mit seinem nackten Fuß kräftig gegen das Rückgrat getreten. Jetzt wandte er sich nach rechts und tauchte im Gebüsch unter, und sein Stammesbruder folgte dem Beispiel.

La Menthe befreite sich von der Last des Bullen Duplessis, erhob sich und sandte den Negern eine Kugel nach, doch auch diese traf nicht.

Aus Richtung der Häuser erklangen helle, fragende Rufe. Sie wurden von La Menthes und Duplessis’ französischen Landsleuten ausgestoßen, die beim Aufpeitschen der Pistolenschüsse die Häuser verlassen hatten und sich jetzt erschrocken nach allen Seiten umsahen.

„Drei Mann zu mir herauf!“ schrie La Menthe mit überkippender Stimme. „Die beiden anderen bleiben unten und passen auf die verfluchte schwarze Brut auf! Der Aufstand ist ausgebrochen, Martinique ist in Gefahr! Aber wir werden sie alle töten, diese Hunde, töten, töten!“

7.

Roi Lodovisi, Corrado Prevost, Mario Zorzo und die fünf anderen Meuterer der „Novara“ hatten auf einem aus dem Wasser ragenden Teil der Korallenbänke eine kurze Verschnaufpause eingelegt, dann waren sie weitergeschwommen. Sie befanden sich jetzt auf der Landzunge und blickten zurück zu der Untergangsstelle der Galeone.

„Zur Hölle!“ stieß Lodovisi aus. „Sie sind nicht alle ersoffen. Seht doch das Boot! Sie sitzen darin und klammern sich daran fest, und gleich pullen sie zu uns herüber.“

„Wir bereiten ihnen einen gebührenden Empfang“, sagte Zorzo. „Unsere Schußwaffen sind zwar durch das Wasser unbrauchbar geworden, aber wir haben noch unsere Messer und Schiffshauer, mit denen wir sie erledigen können. He, täusche ich mich, oder sind da wirklich auch die Weiber mit in der Jolle?“

„Du irrst dich nicht“, entgegnete Prevost grinsend. „Die Frauenzimmer lassen wir natürlich am Leben, und dann bereiten wir uns den Spaß mit ihnen, den wir uns schon lange gönnen wollten.“

„Sie sind in der Überzahl“, sagte der Profos der „Novara“. „Und auch sie haben noch Degen, Säbel und Messer. Ich kann von hier aus den Capitano – diesen scheinheiligen Hundesohn –, Venturi und Gori erkennen. Insgesamt sind sie mehr als ein Dutzend Männer.“

Zorzos Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Verdammt, soll das heißen, daß du vor denen kneifen willst?“

Lodovisi drehte sich langsam zu ihm um. Er war ein über sechs Fuß großer Mann mit schwarzem Vollbart, dunklen Augen und einer grobknochigen, kräftigen Statur, der Zorzo, den Kleineren, Schlankeren, um eine halbe Kopfeslänge überragte.

Lodovisi sah sein Gegenüber drohend an und sagte: „Diese Frage nimmst du am besten zurück, Mario. Ich kneife nicht, wenn gekämpft wird, ich habe nur etwas gegen Dinge, die von vornherein aussichtslos sind. Also?“

„Gut, gut, es war nicht so gemeint“, erwiderte Zorzo. Es hatte keinen Zweck, sich jetzt mit dem Profos herumzustreiten. Es war ratsam, sich einlenkend und diplomatisch zu verhalten. Gewisse „Kleinigkeiten“ konnten später immer noch geklärt werden – zum Beispiel, ob Lodovisi allein der Anführer der Bande bleiben sollte.

„Wir ziehen uns in den Busch zurück und versuchen, ihnen einen Hinterhalt zu legen“, sagte Roi Lodovisi. „Es ist gleich dunkel, und gerade dann dürfte es uns nicht schwerfallen. Vorwärts, wir wollen hier abhauen, ehe sie näher heran sind und uns hier sichten.“

Er wandte sich ab, schritt voran und führte seine nunmehr siebenköpfige Meute über ein schmales Stück Strand zu den zerklüfteten Felsen, die dem an der ganzen östlichen Küste entlang verlaufenden dichten Grüngürtel vorgelagert waren.

Die Männer verschwanden in einem schmalen Einschnitt, der als Hohlweg allmählich aufwärts in das Gebiet der schwarzen, morastigen Erde führte, auf der Baumfarne, Schlinggewächse, blütenbildende Büsche und Bromeliazeen wucherten.

Sie schlugen sich mit ihren Entermessern einen Weg und suchten nach einem höher gelegenen Punkt, von dem aus sie die Ankunft der Schiffbrüchigen der „Novara“ beobachten konnten.

Die Schleier der Abenddämmerung fielen rasch. Als das Beiboot der Galeone die Landzunge erreichte, herrschte fast kein Büchsenlicht mehr. Die Felsen und der Dschungel wurden für Sampiero und seine Begleiter zu einem grauen, unwirklichen Gebilde, das sich einer Mauer gleich vor ihnen erhob.

Sampiero und Venturi waren im Wasser geblieben, als die anderen Männer an Bord der Jolle geklettert waren. Sie hatten das Boot, das jetzt erheblichen Tiefgang hatte, mit größter Behutsamkeit an den Riffbarrieren vorbeigeführt. Erst dann, im Wasser zwischen den Korallenfelsen und dem Ufer, waren auch sie an Bord geklettert.

Sechzehn Männer und drei Frauen waren schon fast zu viele Leute für ein Boot dieser Größe. Es lag beinah bis zum Dollbord im Wasser und bewegte sich nur noch träge wie eine dicke Schildkröte voran. Doch gelang es den Männern, ihr Fahrzeug sicher bis ans Land zu bringen.

Erschöpft stiegen sie jetzt aus, halfen auch den Frauen an Land und befestigten die Jolle so zwischen ein paar flachen Uferfelsen, daß sie nicht abtreiben konnte.

Fosco Sampiero blickte sich aufmerksam nach allen Seiten um.

„Lodovisi und seine Kumpane dürften sich ins Innere der Insel zurückgezogen haben“, sagte er. „Gori, Sie haben doch noch gesehen, wie sie vom Riff zu dieser Landzunge geschwommen sind, nicht wahr?“

„Si, Signor Capitano, ja, das stimmt“, beeilte sich Gori zu versichern. „Wahrscheinlich verstecken sie sich jetzt irgendwo.“ Er wies zu der düsteren Masse aus Stein und Busch hinauf, in deren oberem Bereich sich die achtköpfige Bande derzeit tatsächlich vorankämpfte.

„Erst bei Morgengrauen können wir daran denken, sie zu verfolgen und zu stellen“, sagte der Kapitän. „Während der Nacht wäre es heller Wahnsinn, sich in das Dickicht zu wagen. Wir stellen Wachen auf und schlagen zwischen den Felsen ein Notlager auf, aber wir werden kein Feuer anzünden, denn wir wissen ja noch nicht, ob die Insel Martinique vielleicht bewohnt ist.“

Plötzlich peitschten im Nordwesten ein paar Pistolenschüsse, die trotz des aus Nordosten wehenden Passats deutlich zu vernehmen waren. Sampiero blickte zu seinen Männern.

Emilio Venturi, der Erste Offizier, der sich gerade um den Bootsmann Medola gekümmert hatte, schaute auf und sagte: „Diese letzte Frage dürfte hiermit wohl beantwortet sein, Signor Capitano.“

Lodovisi, Zorzo, Prevost und die fünf anderen Meuterer blieben zum selben Zeitpunkt mitten im Dschungel stehen, sahen sich untereinander an und überlegten, was die drei Pistolenschüsse wohl zu bedeuten hatten und wie sie sich verhalten sollten.

Der ehemalige Profos der „Novara“ grinste plötzlich.

„Hört zu“, sagte er leise. „Wo geschossen wird, sind Menschen, und diese Menschen haben wahrscheinlich nicht nur eine Handvoll Pistolen und Munition – vielleicht verfügen sie über ein ganzes Arsenal. Wir brauchen nur ein paar Schießeisen an uns zu bringen, dann können wir Sampiero und dem übrigen Gesindel einen Tanz liefern, der es in sich hat. Mit ein paar Pistolen und Musketen sind wir ihnen klar überlegen. Wir knallen sie ab wie die Hasen und schnappen uns ihre Weiber. Ha, das wird ein Spaß!“

„Roi“, sagte Corrado Prevost. „Wir müssen aber erst mal an die Waffen heran, und das ist gar nicht so einfach. Vielleicht sind es Spanier, die da geschossen haben. Ich könnte mir vorstellen, daß sie hier eine Festung oder so was Ähnliches haben. Angenommen, sie haben auf ein paar nackte Wilde gefeuert, die ihnen an den Hals wollten, dann werden sie auch uns einen heißen Empfang bereiten, sobald wir auftauchen.“

Lodovisi schüttelte den Kopf. „Die lieben Spanier und Portugiesen haben sich hier nie niedergelassen. Das weiß ich von Venturi, und der hat’s von Sampiero gehört. Keiner hat an dieser Insel Interesse, weil es hier zu viele Vulkane gibt.“

„Aber offenbar gibt’s doch Leute, die die Vulkane nicht fürchten“, erklärte Prevost. „Wer denn wohl?“

„Piraten“, sagte Zorzo.

„Und mit denen sollen wir uns ’rumschlagen?“ sagte ein anderer.

Lodovisi grinste immer noch. „Wer Angst hat, kann im Dschungel bleiben. Ich pirsche mich jedenfalls dorthin, wo die Schüsse gefallen sind, und sehe nach, was sich tun läßt. Die Waffen sind verdammt wichtig für uns, und ich bin bereit, dafür einiges zu riskieren. Kapiert?“

Er wartete keine Antwort ab, sondern drehte sich um und stapfte weiter, wobei er mit seinem Entermesser nach links und rechts hieb, um Farne und Lianen zu beseitigen.

Zorzo, Prevost und die anderen schlossen sich ihm wieder ohne großes Zögern an. Sie sahen ein, daß er recht hatte. Musketen und Pistolen waren für sie so wichtig wie Trinkwasser und Nahrung. Da es bald stockfinster sein würde, hatten sie auch einige Aussichten, mit ihrem Unternehmen Erfolg zu haben. Die Nacht war ihr Verbündeter.