Kitabı oku: «Seewölfe Paket 16», sayfa 9

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Der Wikinger schob sich den Kupferhelm ein Stückchen aus der Stirn. „Und was, bei Wotan, habe ich damit zu tun?“

„Gib mir Piet Straaten, Jan Ranse und Nils Larsen. Die gehören doch sowieso nicht zu deiner regulären Mannschaft.“

Thorfin Njal schüttelte energisch den Kopf. „Wo denkst du hin? Ich kann sie nicht entbehren. Schließlich habe ich keine Süßwasserfahrt vor mir. Sie sind nun mal auf dem Schwarzen Segler, und da bleiben sie vorläufig auch.“

„Augenblick“, mischte sich Jean Ribault ein. „Da habe ich ja wohl ein Wörtchen mitzureden. Piet, Jan und Nils sind meine Leute.“

„Richtig“, bestätigte der Wikinger, der schon ahnte, was jetzt folgte. „Und du hast sie mir überlassen, kannst du dich daran erinnern?“

„Ja. Aber von mir aus können sie ruhig auf der ‚Isabella‘ anmustern, dagegen habe ich nichts einzuwenden. Und du solltest nicht so groß ’rumtönen, du hast nämlich genug Leute.“

Thorfin Njal rollte mit den Augen. Hasard grinste, Jean Ribault lachte vergnügt, und die Männer rückten immer dichter zusammen.

„He“, sagte Jan Ranse. „Wollt ihr euch etwa um uns schlagen? Das wäre ja wirklich ein Witz.“

„Nein“, entgegnete der Seewolf. „Ich wollte sowieso vorschlagen, daß wir euch die Entscheidung überlassen.“

„Gegen eine Fahrt auf der neuen ‚Isabella‘ hätten wir ganz und gar nichts“, sagte Piet Straaten, und Jan und Nils nickten zur Unterstützung.

Der Wikinger wollte erneut aufbegehren, doch dann sah er ein, daß es sich nicht lohnte. Er lachte wild, hieb Hasard auf die Schulter und rief: „Na gut, du sollst sie haben, die Himmelshunde! Nils Larsen kann ja auch Deutsch, wie ich gehört habe, das ist euch vielleicht eine Hilfe, wenn ihr zufällig bei den Teutonen landet! Aber das eine ist gewiß, Mister Killigrew: Für meine Großzügigkeit bist du mir heute abend die Zeche schuldig!“

„Einverstanden“, sagte Hasard – und dann betrat er als erster die „Bloody Mary“.

Plymson schien hinter seiner Theke zusammenzuschrumpfen. Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, legte seinen schmutzstarrenden Wischlappen weg und winkte den wenigen Zechern – fünf oder sechs Männern – zu.

„Wir schließen gerade!“ rief er. „Es ist, äh – kurz vorm Zapfenstreich!“

Hasard trat zu ihm an die Theke und sah ihn freundlich an. „So früh schon? Unmöglich, Plymmie. Nun bleib mal ganz ruhig. Wir wollen schön friedlich unseren Abschied von Plymouth feiern und haben nicht vor, irgendein Tänzchen zu beginnen.“

„Abschied?“ fragte Plymson hoffnungsvoll.

„Ja. Morgen früh laufen wir aus. Ich weiß, daß du glücklich darüber bist. Deshalb wirst du uns natürlich nur von deinem besten Wein auftischen. Und wehe dir, wenn das Bier keine Schaumkrone hat und nicht kühl genug ist.“

„Selbstverständlich erhalten Sie bei mir nur erstklassige Getränke, Sir“, beeilte sich Plymson zu versichern. „Also bitte, nehmen Sie doch Platz. Ich werde Sie selbst bedienen, der grobe Johann ist nicht da.“

„Der ist sowieso nie da“, brummte Big Old Shane. „Wir können auch auf dich verzichten und uns selbst bedienen, wir kennen uns ja aus.“

Plymson vollführte eine wedelnde Handbewegung. „O nein, nein. Es ist mir eine Ehre, Ihnen zu Diensten zu sein, Gentlemen.“

„Wie freundlich der heute abend ist“, wunderte sich der Profos. Verdutzt schaute er den Dicken über die Theke hinweg an. „So kennt man ihn sonst gar nicht. Ist heute was Besonderes?“ Plötzlich schien er Plymson mit seinem Blick festnageln zu wollen. „Hast du etwa Geburtstag oder so, Kerl?“

„Ich? Nein.“

„Aber irgendwann mußt du Geburtstag haben. Wann? Na?“

„Es ist mir – entfallen“, stöhnte Plymson, und unter der Perücke wurde es ihm entsetzlich heiß zumute.

„Laß ihn in Ruhe, Ed“, sagte der Seewolf. „Wir wollen anständig sein und seine Einrichtung heil lassen. Los, setzt euch. Alles, was getrunken wird, geht auf meine Kosten!“

„Nicht ganz“, brummte Carberry und beugte sich zu Plymson hinüber, um ihn so freundlich wie ein hungriger Hai zu mustern. „Du hast einen Grund zum Feiern, Plymmie! Du bist uns nämlich bald los. Also? Wie ist das mit der ersten Runde?“

„Die – geht natürlich auf Kosten des Hauses“, ächzte Plymson.

„He, ho!“ rief der Profos. „Plymmie gibt einen für uns aus, ist das nichts?“

„Hurra!“ schrien die Männer und ließen sich an den Tischen nieder. „Hoch soll er leben!“

Allem Anschein nach versprach es ein sehr gemütlicher Abend zu werden.

4.

Zur selben Stunde kämpfte sich unweit der Ostfriesischen Inseln eine holländische Galeone durch den Sturm. Ihr Name lautete „Eendracht“, ihr Heimathafen war Den Haag. Vor vier Tagen noch hatte sie in Hamburg gelegen und Ladung an Bord genommen, jetzt befand sie sich auf der Rückreise. Doch die Fahrt stand unter einem schlechten Stern. Immer weiter drückte der fauchende und heulende Nordwind das Schiff nach Legerwall.

Kapitän Winschoten tat alles, um den Kurs zu halten. Er stand selbst auf dem von Brechern überrollten Achterdeck und bediente den Kolderstock. Doch die schwere See, der Sturm und der Nebel, der sich herabgesenkt hatte, waren einmütig gegen ihn. Statt nach Westen zu laufen, geriet die „Eendracht“ immer weiter nach Südwesten, schließlich nach Süden, und bald war sie nicht mehr weit von Norderney und Baltrum entfernt.

„Wir schaffen es nicht!“ schrie Winschoten im Tosen der Urgewalten seinem Bootsmann van de Pool zu. „Wir laufen gleich irgendwo auf, wenn nicht ein Wunder geschieht!“

„Können wir nicht eine der Inseln ansteuern?“ brüllte van de Pool zurück.

„Ja! Aber wo sollen wir in diesem Teufelswetter verholen? Man kann kaum die Hand vor Augen sehen!“

„Wir müssen nach einer Bucht Ausschau halten!“ schrie der Bootsmann. „Mit etwas Glück gelingt es uns, irgendwo vor Anker zu gehen!“

Das Glück hat uns verlassen, dachte Winschoten, wir sind dazu verdammt, ihn abzureiten und finden keinen Zufluchtsort, an dem wir sein Abklingen abwarten können. Zur Hölle mit der Seefahrt!

Wieder lief ein Brecher gegen die „Eendracht“ an und übergoß ihre Decks mit Salzwasser, Schaum und Gischt. Die Männer schrien, klammerten sich an den Haltetauen fest und schickten Stoßgebete zum Himmel. Schwer krängte das Schiff nach Backbord. Fast schien es, als müsse es nun querschlagen und würde sich nie wieder aufrichten. Der Wind peitschte auf die Galeone ein, zerrte und rüttelte an ihrer Takelage, die Masten und Rahen knarrten und knackten.

Doch noch einmal erhob sich die „Eendracht“ und setzte ihre Irrfahrt stampfend und schlingernd fort. Das Rollen wurde aber immer schlimmer, nichts schien das Schiff und die Mannschaft vor einem furchtbaren Ende bewahren zu können.

Und doch trat das Wunder ein, Winschoten glaubte seinen Augen kaum trauen zu dürfen: Lichter glommen in Nebel und Dunkelheit auf, ein rötlicher Schimmer schien im Süden über den Inseln aufzusteigen. Jemand hatte Erbarmen mit den der See Ausgelieferten, jemand half und wies ihnen den Weg.

Neue Hoffnung erfüllte Winschoten. Er brachte die Galeone direkt vor den Sturmwind und steuerte die kursangebenden Feuer an. Mit immer schnellerer Fahrt eilte die „Eendracht“ dahin. Sie schien selbst etwas von der Rettung zu verspüren, die dort, keine fünf Meilen mehr entfernt, auf sie wartete.

„Durchhalten, Männer!“ feuerte van de Pool die Mannschaft an. „Wir haben es gleich geschafft!“

Winschoten spähte mit verbissener Miene voraus und war jetzt sicher, daß die Leuchtfeuer die Einfahrt einer Bucht oder Passage kennzeichneten. Hätte er in diesem Moment die Gestalten erkannt, die an den Ufern der Inseln auf und ab eilten und ununterbrochen neue Scheite nachlegten, um die Flammen zu unterhalten, hätte er die grinsenden Gesichter, die Schadenfreude in den Mienen der Groot-Jehans und der Lütt-Jehans sehen können –, er hätte schleunigst beigedreht und wäre lieber mit seiner Galeone im Sturm gekentert, statt in die für ihn und andere Unglückliche errichtete Falle zu laufen.

Noch konnten die Jehans die „Eendracht“ nicht sichten, denn längst war die Hecklaterne des Schiffes in Wind und Gischt erloschen, und die Dunkelheit und der Nebel ließen es nicht zu, auch nur schemenhaft die Konturen des Schiffes zu erkennen. Doch die Friesen waren sicher, daß früher oder später ein Opfer erscheinen und auf der Barriere hängenbleiben würde – zu gut waren die Voraussetzungen, zu günstig der Wind, zu groß die Wahrscheinlichkeit, daß in dieser Nacht Kauffahrer und kleine Küstensegler unterwegs waren, um ihre Fracht so schnell wie möglich an den Ort ihrer Bestimmung zu bringen.

„Willem!“ brüllte Lüder Groot-Jehan seinem Schwager im Toben des Sturmes zu. „Bring die Laternen, wir wollen sie jetzt anzünden!“ Er stand nur wenige Schritte von der Brandung entfernt am Hang des Deiches und blickte nach Baltrum hinüber, wo die Lütt-Jehans inzwischen ein paar Lampen entfacht hatten und sie hin und her schwenkten.

Willem erschien mit den Laternen, und gemeinsam setzten sie sie an den lodernden Feuern in Betrieb. Gode, Jan, Uwe, Onno und alle anderen Männer des Dorfes schleppten wieder Holz herbei, damit die Feuer ja nicht erloschen. Zwischendurch wurden Flaschen mit Korn herumgereicht. Die Männer tranken, um sich warmzuhalten, denn die Hitze der Flammen schien sich in der grimmigen Kälte zu verlieren.

Plötzlich wurde von Baltrum ein Lichtsignal gegeben, das nur den Groot-Jehans gelten konnte. Lüder konnte nicht verfolgen, wie Karl, Heino, Pit, Friedhelm, Brüne und deren Helfer drüben aufgeregt zusammenliefen und gestikulierten, aber er begriff, daß sie etwas erspäht hatten.

Und tatsächlich: Wenige Augenblicke später erblickten auch Lüder und seine Kumpane die Umrisse der Galeone, die aus den milchigen Schleiern auftauchten. Einem verirrten, hilflosen Riesentier gleich segelte das Schiff mitten in die Passage hinein, ohne daß die Besatzung auch nur etwas von der Pfahlbarriere ahnte.

Winschoten hielt den Kolderstock mit aller Kraft fest. Es war, als würde das Holz jeden Moment zerbrechen, die Wasser drückten mit Macht gegen das Ruder. Ein tiefes Stöhnen schien sich dem Schiffsrumpf zu entringen, und wieder rollte die „Eendracht“ so ungestüm, daß zwei Mann der Besatzung um ein Haar ihren Halt an den Tauen verloren und von der Kuhl gerissen wurden.

Doch sie schrien nicht mehr in panischer Angst, denn sie hofften immer noch darauf, daß gleich alles vergessen sein würde. Die Feuer waren nah, Winschoten und van de Pool waren nunmehr fest überzeugt, die Einfahrt einer schützenden Bucht vor sich zu haben. Sie warteten darauf, in ruhigeres Wasser zu geraten, doch jählings war das Kratzen, Bohren und Schrammen da, das ihre Zuversicht mit einem Schlag wieder zerstörte.

Etwas schien unter dem Kiel der „Eendracht“ zu zerbersten, dann lief das Schiff mit einem donnernden Lauf auf. Die dicken Pfähle bohrten sich tief in den Rumpf, die schnelle Fahrt der Galeone wurde abrupt gestoppt.

Die Männer brüllten auf, stürzten auf die Planken, verloren ihren Halt, überrollten sich, rutschten gegen das Schanzkleid und prallten gegen die Querwand des Vorkastells. Zwei Männer trugen Verletzungen davon, ein dritter ging außenbords und wurde nicht wiedergesehen.

Die „Eendracht“ saß fest. Ihre Sturmsegel schlugen wie verrückt, das Knattern peitschte auf die Gestalten der entnervten Männer nieder. Aber noch begriffen sie nicht, wie ihnen geschah, noch sahen sie nicht die kleinen Boote, die sich von Norderney und Baltrum aus in Bewegung gesetzt hatten.

Nußschalen gleich tanzten die Boote auf den Wogen, es glich einem Wunder, daß sie nicht sofort kenterten. Doch sie bewiesen eine erstaunliche Stabilität in den kochenden Fluten und näherten sich unaufhaltsam der Galeone.

Winschoten hatte den Kolderstock losgelassen, sprang auf die Kuhl hinunter und stürzte ans Schanzkleid. Er hatte gesehen, wie der eine Decksmann außenbords gegangen war, und wollte etwas zu seiner Rettung unternehmen. Aber der Mann war spurlos verschwunden. Winschoten sah plötzlich die von eisernen Spitzen gekrönten Balken, die überall aus den Wellen aufragten – und da durchfuhr ihn wie ein Stich die Erkenntnis, daß sie in eine Falle geraten waren.

Piraten, dachte er entsetzt, Strandwölfe und Küstenhaie! Er fuhr zu van de Pool herum und schrie: „Die Waffen verteilen, van de Pool! Man hat uns hereingelegt! Wir sitzen in einer Falle!“

Doch die Boote der Friesen waren heran und gingen längsseits. Wie ein Spuk tauchten sie auf und entluden ihre Insassen, die katzengewandt an Bord der Galeone enterten.

Winschoten hatte zwei der Angreifer plötzlich direkt vor sich, große Männer mit hellblonden Haaren, die Leinenhemden, Leinenhosen und Stiefel trugen und ihn höhnisch anlachten.

Er zog seine Pistole, spannte den Hahn und drückte auf den einen Kerl ab, doch die Waffe versagte ihren Dienst. Die Ladung war naß geworden. Winschoten schleuderte sie von sich und zückte seinen kurzen Degen, aber jetzt war der eine Mann – Lüder Groot-Jehan – bereits über ihm und drosch mit einem Knüppel auf ihn ein.

Winschoten sank auf die Planken. Lüder riß sein Messer aus dem Gurt, bückte sich und stach zu. Van de Pool wollte seinem Kapitän zu Hilfe eilen, doch er wurde von Onno Osten niedergeworfen. Gode, Jan, Uwe Willem, Karl, Heino, Pit, Friedhelm, Brüne und all die anderen stürmten die Decks und hieben mit Knüppeln, Säbeln und Messern zu. Es knallten auch ein paar Schüsse. Ein heftiger Kampf entbrannte, doch die Gegenwehr war nur kurz, die Friesen hatten das Überraschungsmoment auf ihrer Seite.

Gnadenlos und ohne jeden Kompromiß setzten die Jehans die Holländer außer Gefecht. Sie kannten kein Erbarmen. Als sich an Bord der Galeone nichts mehr regte, gaben Lüder und Karl ihren Kumpanen ein Zeichen, und nun wurden die Besatzungsmitglieder, der Kapitän und der Bootsmann gepackt und ins Meer geworfen.

Lüder und Karl blickten sich an, dann stiegen sie in die Schiffsräume hinunter, die sich allmählich mit Wasser füllten. Sie erreichten die Laderäume, brachen einzelne Kisten und Fässer der Fracht auf und nickten sich grimmig zu. Bier und Pökelfleisch, Sauerkraut und Speckseiten befanden sich darin, aber auch Werkzeuge und ein paar Waffen. Es war eine gemischte Ladung. Winschoten hatte sie auf eigene Rechnung in Hamburg gekauft und wollte sie in seiner Heimat verkaufen.

Lüder und Karl waren mit ihrem Fund zufrieden, es gab nichts, das sie nicht gebrauchen konnten. Sie kosteten von dem Bier und befanden, daß es stark war und würzig schmeckte.

„Gut so!“ rief Lüder seinem mutmaßlichen Halbbruder zu. „Wenn die Ebbe einsetzt, fangen wir mit dem Löschen an!“

„Wie üblich, nicht wahr?“ sagte Karl grinsend. „Und den Kahn wrakken wir natürlich ab, bis nichts mehr von ihm übrigbleibt.“

„Ja. Es wird gerecht geteilt.“

„Das ist doch selbstverständlich.“

Lüder trat dicht vor Karl hin und fragte: „Wer hat Klusmeier umgebracht?“

„Ich nicht“, erwiderte der andere. „Aber wollen wir das nicht später klären? Wir halten uns doch an unsere Vereinbarung, oder?“

„Ja.“ Aber wir rechnen noch ab, dachte Lüder.

Die Nacht ging schnell vorbei, die Ebbe legte das Watt frei, und bald herrschte in den Prielen ein reger Bootsverkehr. Alle Inselbewohner, auch die Frauen und Mädchen, halfen beim Abwracken der „Eendracht“ mit.

Nicht nur die Beute aus den Laderäumen wurde übernommen, auch das Holz war auf, beiden Inseln knapp. Alles wurde unter der strengen Oberaufsicht von Eberhard und Frieda gerecht halbiert und mal nach Norderney, mal nach Baltrum transportiert. Es gab auch jetzt keinen Streit, der Burgfrieden dauerte an.

Jeder fragte sich, welches Schiff wohl als nächstes der Friesenfalle zum Opfer fallen würde. Keiner rechnete damit, daß es noch eine böse Überraschung geben würde. Die Jehans feierten ihren guten Fang mit Bier und Korn und tranken, bis sie fast nicht mehr auf ihren Beinen stehen konnten.

5.

Nathaniel Plymson hatte sich beruhigt, denn die Seewölfe und ihre Kameraden von dem Schwarzen Segler hielten sich an ihre Versprechungen. Alles blieb friedlich, es schien keine Gefahr für die Einrichtung der „Bloody Mary“ zu bestehen. Schon wollte der dicke Wirt erleichtert aufatmen und sich den Schweiß von der Stirn wischen, da trat gegen Mitternacht etwas ein, mit dem selbst er nicht gerechnet hatte.

Ganz unerwartet öffnete sich zu dieser späten Stunde die Kneipentür, und ein Kommando der Stadtwache erschien. Es bestand aus fünf Männern unter der Leitung eines Offiziers, der seiner Uniform nach den Rang eines Lieutenants bekleidete. Groß und wuchtig gebaut war dieser Mann, sein kantiges Gesicht drückte Strenge und Entschlossenheit aus.

„Wer ist denn das?“ fragte Ben Brighton den Seewolf. „Den habe ich hier in Plymouth noch nie gesehen.“

„Er muß neu sein“, entgegnete Hasard. „Vielleicht will er sich ein paar Lorbeeren verdienen. Wie er aussieht, scheint er nicht bereit zu sein, ein Auge zuzudrücken.“

Der Lieutenant war zur Theke gegangen und blickte Plymson kühl aus seinen grauen Augen an.

„Mister Plymson“, sagte er schroff. „Haben Sie das Schlagen der Kirchturmuhr nicht gehört? Brauchen Sie einen Trommler, der Sie gesondert darauf hinweist, wie spät es ist?“

„Ich – nun, ich wollte gerade schließen“, erwiderte der Dicke und warf einen beschwörenden Blick zu seinen Gästen hinüber. Die aber rührten sich von ihren Plätzen nicht fort.

Wiederholt hatte Plymson diesen Lieutenant, der tatsächlich erst seit zwei Wochen zur Stadtgarde von Plymouth gehörte, zu einem Umtrunk eingeladen und vorgehabt, ihn mit einem Fäßchen Wein oder Bier auf die übliche Weise zu bestechen. Aber darauf hatte der Mann sich nicht eingelassen. Er blieb stur und hielt am Reglement fest.

Jetzt umrundete er mit ein paar Schritten die Theke, zog seinen Degen und gebot durch einen Schlag der Klinge auf den Zapfen in einem gerade frisch angestochenen Bierfaß Feierabend. Dies war der Zapfenstreich, der gleichsam Gesetzeskraft hatte, niemand hatte dagegen aufzubegehren.

Mit einem Ruck drehte sich der Lieutenant zu den Zechern um und sagte: „Gehen Sie! Es wird nicht mehr getrunken. Soll ich das Lokal räumen lassen?“

„O nein, natürlich nicht“, beeilte sich Plymson zu sagen. „Meine Gäste zahlen sogleich die Zeche und kehren an Bord ihrer Schiffe zurück, nicht wahr?“ Der Blick, den er Hasard zuwarf, war flehend.

Thorfin Njal hatte sich von seinem Stuhl erhoben.

„Bei Geri und Freki, den Wölfen Odins“, brummte er. „Jetzt, da es gerade richtig gemütlich wird, will man uns rausschmeißen? Das soll wohl ein mieser Witz sein?“

„Thorfin“, sagte Hasard ruhig. „Feure bloß keine Breitseite ab, es lohnt sich nämlich nicht.“

„Ich will nur ein Wörtchen zu dem Mann dort sagen“, erklärte der Wikinger. Er trat mit drei langen Schritten auf den Lieutenant zu und tippte diesem mit seinem großen Zeigefinger so derb gegen die Brust, daß er unwillkürlich ein Stück zurückwich. „Meinen Feierabend“, sagte Thorfin unwirsch, „lasse ich mir von keinem vorschreiben. Und schon gar nicht von einem aufgeblasenen Kerl wie dir.“

Die Seewölfe und die Männer des Schwarzen Seglers hielten die Luft an. Plymsons Blick wurde flackernd, er suchte nach einem Loch, durch das er sich verkriechen konnte. Die Männer der Stadtgarde legten die Hände an die Griffe ihrer Waffen. Die Luft schien von einem Moment auf den anderen vor Spannung zu knistern.

Der Lieutenant sah den wilden, bärtigen Mann mit dem Kupferhelm auf dem Haupt wie ein Wesen aus einer fremden Welt an. Noch nie hatte er einen Menschen vor sich gehabt, der derart eigentümlich gekleidet war. Und er konnte sich weder seine Herkunft noch seine tolldreiste Art aufzutreten erklären.

Daß dieser Thorfin Njal der Kapitän des Viermasters war, davon wußte der Lieutenant auch nichts, denn die Belange des Hafens interessierten ihn nicht sonderlich, da dieser sonst nicht zu seinem unmittelbaren Dienstbereich gehörte. Nur in dieser Nacht war er als Ablösung für einen seiner Offizierskollegen tätig, und der Zufall wollte es, daß er ausgerechnet in der „Bloody Mary“ auf diese Meute von verwegenen Männern gestoßen war.

„Ich höre immer dann mit dem Saufen auf, wenn es mir paßt“, verkündete der Wikinger und sah den Lieutenant drohend an. „Außerdem ist das hier nicht üblich, um zwölf auf den Zapfen zu hauen.“

Der ist verrückt, dachte der Lieutenant, total übergeschnappt. Dennoch war er nicht bereit, dem Wikinger nachzugeben.

„Was üblich ist, bestimme ich“, sagte er zornig. „Treten Sie zur Seite, Sie ungehobelter Klotz.“

„Ungehobelter Klotz?“ echote der Stör, der bei Eike, Arne, Olig und drei anderen Männern von „Eiliger Drache“ an einem der Tische hockte. „Das hat aber noch keiner zu unserem Kapitän gesagt.“

Thorfin Njal wandte den Kopf und blickte ihn ärgerlich an. „Stör, du Plattfisch, was fällt dir denn ein? Wenn du schon was nachplapperst, dann aber nur das, was ich sage, verstanden?“

„Verstanden“, antwortete der Stör, aber er war doch verwirrt. Sonst pflegte Thorfin ihm immer in den Allerwertesten zu treten, wenn er seine letzten Worte nachsprach.

„Verlassen Sie augenblicklich das Lokal!“ fuhr der Lieutenant den Wikinger an. „Verschwinden Sie! Nehmen Sie Ihre Leute mit!“

„Ich wünschte, Hugin und Munin würden dir die Augen auspicken“, sagte Thorfin, der jetzt langsam vor Wut zu kochen begann.

„Hugin und Munin?“ fragte der Lieutenant verdutzt. „Wer sind denn das?“

„Odins Raben. Aber warum äffst du alles nach wie der Stör?“

Der Lieutenant lief um eine Nuance dunkler im Gesicht an, seine Schläfenadern traten leicht hervor. „Wer in aller Welt ist Odin – und wer der Stör?“

„Odin ist der Herr aller Götter“, erklärte Thorfin Njal und hob würdig den Kopf. „Ein Narr, wer das nicht weiß.“

„Der Stör sitzt dort drüben!“ stieß Nathaniel Plymson fast schluchzend hervor und rang dabei verzweifelt die Hände. „Der lange Kerl mit dem Schnauzbart. Aber, bitte, Gentlemen, können Sie Ihre Diskussionen nicht woanders austragen?“

Der Wikinger hieb mit der Faust auf die Theke, daß die darauf stehenden Humpen ein Stück hochsprangen. „Von dir lasse ich mir auch nichts vorschreiben, Plymson! Ich rede hier, soviel und solange ich will!“

„Sie sind verhaftet!“ schrie der Lieutenant. „Sie haben sich der Ordnungsmacht widersetzt und sie obendrein beleidigt! Sie stehen unter Arrest und folgen mir!“

„Ich bleibe hier!“ brüllte der Wikinger ihm ins Gesicht.

„Nehmt diesen Kerl fest!“ schrie der Lieutenant seinen Begleitern zu.

Angesichts der Überzahl der Männer, die sich jetzt von ihren Stühlen erhoben, zögerten die Soldaten jedoch.

Der Seewolf stand gleichfalls auf und ging zu den Streithähnen hinüber. Er fand, daß das Spielchen schon viel zu lange gedauert hatte, und wollte versuchen, die Angelegenheit zu einer gütlichen Einigung zu führen.

„Lieutenant“, sagte er. „Mein Name ist Philip Hasard Killigrew. Ich bitte Sie, nehmen Sie es meinem Freund Thorfin Njal nicht übel, daß er so rauhbeinig auftritt. Es ist nicht so gemeint.“

„Sie können mir viel erzählen!“ rief der wütende Mann. „Der Kerl wandert für den Rest der Nacht in eine Zelle, das ist sicher!“

„Mies, ganz mies“, brummte Mac Pellew, der beim Kutscher, bei Batuti, Shane und den Zwillingen stand. Er selbst hatte ja üble Erfahrungen mit dem Kerker von Plymouth, und er hätte noch jetzt dort festgesessen, wenn die Seewölfe ihn nicht herausgeholt hätten. „Ich kann’s keinem empfehlen, sich da einbuchten zu lassen“, fügte er murmelnd hinzu. „Schon nach ein paar Stunden würde man am liebsten mit dem Kopf gegen die Wand rennen.“

„Bitte“, sagte Hasard noch einmal. „Verzeihen Sie meinem Freund. Üben Sie Nachsicht, Lieutenant. Ich bürge für Thorfin Njal und für alle anderen, die Sie hier vor sich sehen. Es sind alles anständige, unbescholtene Männer. Wir trinken noch ein Bier, und dann gehen wir, einverstanden?“

„Nein!“ schrie der Lieutenant. „Zum letzten Male: Hauen Sie ab! Dies ist die letzte Aufforderung!“

Hasard trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Na, dann fangen Sie mal mit dem großen Aufräumen an, Sir. Wir werden ja sehen, was daraus wird.“ Die barsche, bevormundende Art des Mannes reizte nun auch ihn.

Thorfin Njal hatte ein hartes Grinsen aufgesetzt.

„Wie war das, Kameraden?“ sagte er zu den Soldaten. „Wolltet ihr mich nicht verhaften? Nur zu.“

„Abführen, den Kerl!“ schrie der Lieutenant seinen Männern zu, doch als er sie wieder zaudern sah, schien auch er wankelmütig zu werden. Im übrigen rückten jetzt die Männer der „Isabella IX.“ und des Schwarzen Seglers bedrohlich nahe heran, und auch dieser Umstand steigerte seine Bedenken gegen eine sofortige Aktion erheblich.

Deshalb wählte er drei Soldaten aus und sagte: „Sie bleiben hier und passen auf, daß diese Strolche nicht das Weite suchen. Ich hole Verstärkung.“

„Ja, Sir“, sagten die Soldaten, aber untereinander tauschten sie furchtsame Blicke.

Erbost verließ der Lieutenant mit den beiden anderen Soldaten die „Bloody Mary“ und rammte die Tür hinter sich zu. Die Seewölfe und ihre Freunde vom Schwarzen Segler lachten, dann ließen sie sich wieder an den Tischen nieder.

„Die nächste Runde, Plymmie!“ rief der Seewolf. „Und gib auch den drei Burschen etwas zu trinken, bevor der Tanz richtig losgeht!“ Er wies auf die Soldaten.

Plymson hatte heftig zu keuchen begonnen, er sah seine schöne Einrichtung im Geist schon in tausend Trümmer zerspringen.

„O bitte, geht doch“, jammerte er. „Ich zahle die gesamte Zeche, ich gebe euch den ganzen Abend aus, aber verschwindet bitte.“

Wieder hieb der Wikinger mit der Faust zu, diesmal knallte sie auf einen der Tische, daß die Becher und Humpen tanzten. „Wohl verrückt geworden? Wir lassen uns hier nicht rumkommandieren! Was, Hasard?“

„Genau. Wo bleibt denn da das Prestige?“ Der Seewolf grinste. Ihn stach jetzt der Hafer, die bekannten tausend Teufel tanzten wieder einmal in seinen eisblauen Augen.

„Das was?“ fragte der Profos.

„Hasard spielt auf unsere Ehre und unser Ansehen an“, setzte Dan O’Flynn ihm auseinander. „Mit anderen Worten, wir bleiben hier hübsch sitzen und warten auf die Verstärkung.“

„Sir“, sagte der Kutscher. „Wäre es nicht doch besser, einen Kompromiß zu schließen? Ich meine – es wäre doch wohl nicht der richtige Beginn für unsere Reise, wenn wir mit blauen Augen und zerschrammten Gesichtern an Bord der ‚Isabella‘ zurückkehren würden.“

„Nein, keinen Kompromiß!“ rief Philip junior. „Dad, laß uns bleiben! Das gibt eine schöne Keilerei!“

Arwenack, der Affe, der neben ihm auf einem Hocker saß, klatschte begeistert in die Vorderpfoten und entblößte sein Gebiß, so daß es wirkte, als lache er.

Hasard richtete sich auf und blickte in die Runde. „Wer lieber an Bord gehen will, der soll es jetzt tun! Wir anderen zeigen dem bornierten Lieutenant, daß wir es nicht gern haben, wenn in der ‚Bloody Mary‘ neue Sitten einreißen!“

Alle blieben sitzen, keiner traf auch nur Anstalten, aufzustehen und fortzugehen. Die Zwillinge bangten nur, daß ihr Vater sie fortschicken würde, aber zu ihrem Glück tat er das nicht. Sie atmeten auf und grinsten sich in Vorfreude dessen, was nun gleich geschehen würde zu.

„Plymmie, roll mit dem Bier an!“ schrie Ferris Tucker dem Dicken zu, der inzwischen leichenblaß geworden war. „Oder müssen wir es uns selber holen?“

„Nein, nein, ich komme ja schon“, stammelte Plymson, dann füllte er die Humpen. Drei davon knallte er auf die Theke, und die Soldaten griffen danach. Plymson glaubte sich nicht zu täuschen: Ihre Hände bebten ein wenig, und auch ihren Mienen konnte man die Angst ablesen, die sie verspürten.

Kein Wunder – er selbst zitterte ja auch schon! Ogottogott, dachte er, wie soll das bloß enden?

Die Antwort auf diese Frage erhielt Nathaniel Plymson etwa eine Viertelstunde später. Der Lieutenant kehrte zurück, stieß die Kneipentür auf und marschierte sofort auf Hasard und den Wikinger zu. In seinem Gefolge befanden sich zwanzig Soldaten der Stadtgarde.

„Alle festnehmen!“ brüllte der Lieutenant und winkte auch den drei Soldaten zu, die nach wie vor an der Theke standen und ihre Humpen soeben geleert hatten. „Ab hinter Gitter!“ schrie er. „Mal sehen, wer hier den längeren Arm hat!“

„Ja, mal sehen!“ rief der Boston-Mann und sprang im selben Augenblick auf, in dem sich auch Hasard, Thorfin Njal, Ben, Roger, Jean Ribault, die O’Flynns, Shane, Ferris Tucker, Carberry und alle anderen erhoben.

„Sir“, sagte der Seewolf zu dem Lieutenant, der nun beinah feuerrot im Gesicht war. „Ich appelliere noch einmal an Ihre Vernunft. Wir haben nichts verbrochen und nur ganz harmlos gezecht. Sie haben nicht das Recht, uns deswegen festzunehmen.“

„Ich vertrete das Recht!“ brüllte der Lieutenant. „Und ich ersuche Sie dringend, keinen Widerstand zu leisten!“

Carberry platzte der Kragen, er schrie zurück, daß der ausgestopfte Stör über der Theke zu wackeln begann und Plymsons Perückenhaare zu Berge standen: „Mach hier keinen Stunk, du gepökelte Kanalratte! Ich kann das nicht leiden! Verzieh dich, oder es setzt Hiebe!“

„Gepökelte Kanalratte?“ wiederholte der Lieutenant verdutzt. „Meint der damit etwa mich?“

„Sir, das war bestimmt auf uns gemünzt“, sagte einer der Soldaten beschwichtigend. Er hoffte wie seine Kameraden immer noch, daß sich das drohende Unheil verhindern ließ, aber er ahnte nicht, wie sehr er sich täuschte.

„Verhaftet die Bande!“ schrie der Lieutenant mit überkippender Stimme. „Ich werde sie einsperren, auspeitschen und vor den Richter stellen!“

„Heiliger Bimbam, laßt mir doch die Bude heil“, jammerte Plymson.

Dann ging es los. Der Stör eilte zur Theke und riß seinen Außenbordkameraden, der immer noch leicht in Bewegung war, vom Haken. Plymson wollte ihn daran hindern, doch der Stör versetzte ihm einen Stoß vor die Brust, daß der Dicke rücklings gegen eins der Fässer prallte. Dabei verrutschte seine Perücke und hing ihm schief vor der Stirn. Er konnte nur noch mit einem Auge verfolgen, was passierte, doch auch das war noch viel zuviel für ihn.

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