Kitabı oku: «Seewölfe Paket 20», sayfa 14
4.
Auf der Schlangen-Insel waren Fackeln und Lichter gesetzt worden, um den beiden heimkehrenden Schiffen die Passage durch den Felsendom zu erleichtern.
Mühelos schaffte es denn auch Old O’Flynns Steuermann Martin Correa, die „Empress“ in die ebenfalls von Feuerschein erhellte Innenbucht zu jagen. Während Batuti und Bob Grey die Segel wegnahmen, rauschte der Schwarze Segler in den Felsendom. Der Boston-Mann hatte selbst das Ruder übernommen.
Ungewöhnliche Geräusche begleiteten die Männer auf dem Viermaster bei ihrer kurzen Fahrt durch den natürlichen Tunnel. Aus der Kapitänskammer dröhnte und sägte es, daß die Planken von „Eiliger Drache“ erbebten. Hohl und röhrend hallte das Schnarchkonzert des Wikingers von den Felswänden zurück. Grinsend erledigten die Crewmitglieder die gewohnten Handgriffe. Natürlich hatte sich die Geschichte mit der „Medizin“ inzwischen herumgesprochen. Arne und Eike hatten fusselige Lippen, nachdem sie immer wieder aufgefordert worden waren, die Einzelheiten über die „Besänftigung“ Thorfin Njals zum besten zu geben. Für alle Fälle war lediglich Olig als Wache in der Kapitänskammer zurückgeblieben.
Der Schwarze Segler erhielt seinen Liegeplatz neben der „Wappen von Kolberg“. Die Galeone Arne von Manteuffels war hier gewissermaßen in der Versenkung verschwunden. In Havanna hatte der Vetter des Seewolfs als Inhaber eines deutschen Handelshauses verbreitet, daß sich die „Wappen“ auf der Heimreise nach Kolberg befände. Erst nach einer angemessen berechneten Frist durfte die Galeone also wieder in Erscheinung treten.
Am Strand und auch auf den Decks der übrigen Schiffe hatten sich die Freunde vom Bund der Korsaren zur Begrüßung versammelt. Alle wurden Zeugen der Szene, die sich nun abspielte.
Old O’Flynn und seine drei Männer waren als erste ans Ufer gepullt, zogen das Beiboot auf den weichen Sand und reckten die müden Knochen.
Old Donegal klatschte aufmunternd in die Hände.
„Jetzt wird erst mal gefeiert, Männer. Grund genug haben wir ja. Es ist alles im Lot. Mutter und Kinder sind wohlauf, und auch der Vater ist zur Stelle.“
„Der wird sich bei dir bedanken, weil er nicht mitfeiern kann“, wandte Bob Grey ein.
Bevor Old O’Flynn zu einem Gegenargument ansetzen konnte, löste sich eine Gestalt aus der Dunkelheit außerhalb des Lichtscheins.
„Das könnte dir so passen, alter Freund und Bierfaßzapfer!“ tönte Mary O’Flynns Reibeisenstimme. Und schon baute sie sich in ihrer allzu vertrauten Positur auf – die Fäuste in die Hüften gestemmt.
„Ich – ich denke, du hältst Wache am Kindbett“, stotterte Old Donegal. „Das hast du dir fein ausgedacht“, entgegnete sie grimmig. „Aber weil ich dich kenne, habe ich mich ablösen lassen. Schließlich haben wir hier auf der Insel genug Frauen, die vernünftig sind und nicht ständig nur Saufen und Feiern im Kopf haben.“
Unter dem symbolischen Hieb zog Old Donegal den Kopf ein. Trotzdem konnte er es sich nicht leisten, gleich klein beizugeben. Vor versammelter Mannschaft mußte er letzten Endes auch an seine Mannesehre denken.
„Es ist uns gelungen, den glücklichen Vater nach Hause zu holen“, sagte er stolz. „Da kann man doch nicht so mir nichts dir nichts in die Koje kriechen. Es gehört sich ja wohl, daß wir jetzt in der ‚Rutsche‘ ein standesgemäßes Tauffest feiern. Tun wir das nicht, bringt’s Unglück. Ich erinnerte mich da an einen Vorfall …“
„Auf der Schlangen-Insel hat es keinen von deinen geheimnisvollen Vorfällen gegeben“, fiel ihm seine bessere Hälfte ins Wort. „So was zählt hier also nicht, Mister O’Flynn. Klar? Gotlinde und die Kleinen brauchen ihre Ruhe. Basta. Ihr habt euch begrüßen können und damit genug. Jetzt verholt euch gefälligst. Morgen ist auch noch ein Tag.“
Old Donegal sah ein, daß er bei seiner Miß Snugglemouse wieder einmal auf Granit biß.
„Also gut“, sagte er seufzend, „verschieben wir das Tauffest auf morgen.“
„Ob und wann es stattfinden wird, darüber reden wir noch“, entgegnete Mary O’Flynn kategorisch. Mit energisch erhobenem Kopf wandte sie sich um und rauschte davon.
Die Männer verkniffen sich das Gelächter, das ihnen allen auf der Zunge lag. Mit der resoluten Mary O’Flynn wollte sich keiner unbedingt anlegen. Genug, daß der bedauernswerte Old Donegal vor ihr zu kuschen hatte.
Der Boston-Mann hatte unterdessen die „Drachen“-Crew an Deck zusammengerufen.
„Männer“, sagte er, „Mitternacht ist vorüber. Wenn ihr auf Gotlindes Nachwuchs auch noch so gespannt seid – ihr müßt euch bis morgen gedulden. Thorfin würde es euch mächtig übelnehmen, wenn ihr die Kleinen eher seht als er. Außerdem habt ihr gehört, daß sich jetzt sowieso nichts abspielt.“
Keiner hatte etwas einzuwenden, wenn es ihnen auch schwerfiel, sich jetzt einfach aufs Ohr zu legen. Doch sie wußten auch, daß der Boston-Mann nicht aus Respekt vor Mary O’Flynn die Nachtruhe anordnete. Es war tatsächlich vernünftiger, sich noch zu gedulden.
Kurz vor Sonnenaufgang war es mit der Ruhe vorbei.
Wildes Gebrüll ertönte plötzlich aus der Kapitänskammer. Im Handumdrehen war die gesamte Mannschaft an Bord des Schwarzen Seglers hellwach.
In fliegender Hast, nur notdürftig angekleidet, stürmte der Boston-Mann aus seiner Kammer und rannte der Lärmquelle entgegen. Kurzentschlossen riß er das Schott auf, und das Gebrüll des Wikingers brandete ihm entgegen.
„… haue ich dich zu Matsch, wenn du mir nicht gleich aus dem Weg gehst! Verdammt noch mal, bin ich denn nur noch von Meuterern umgeben? Bin ich der Kapitän auf diesem Schiff oder nicht? Himmel, Arsch und …“
Der Boston-Mann sah einen völlig verzweifelten Olig, der den Tobenden immer wieder in seine Koje zurückstieß. Doch jedesmal richtete sich Thorfin wieder auf. Für Olig war es ein nervenzermürbendes Spiel, das kein Ende nehmen würde, wenn nicht jemand eingriff.
Die Stimme des Boston-Manns schnitt Thorfins Gebrüll peitschend ab.
„Ruhe!“
Der Wikinger verstummte. Erstaunt blinzelnd musterte er den hageren Engländer, der das Schott hinter sich zuzog und die Arme über der Brust verschränkte.
Olig atmete tief durch und trat erleichtert einen Schritt zur Seite.
„Das war knapp“, sagte er keuchend. „Lange hätte ich es nicht mehr geschafft, dieses Riesenbaby zu bändigen.“ Er warf dem Boston-Mann einen dankbaren Blick zu. Thorfin brauste erneut auf. „Was?“ dröhnte seine Stimme. „Wie hast du mich gerade genannt? Du Sumpfkrähe wagst …“
„Schluß jetzt“, fuhr ihm der Boston-Mann abermals schneidend über den Mund. „Es reicht wirklich, Thorfin. Ich bin nicht bereit, bei deinem Affentheater länger mitzuspielen. Olig hat ganz recht. Du benimmst dich wie ein Kindskopf. Wenn du nur ein bißchen nachdenkst, wirst du von selber vernünftig.“
Der Wikinger erbleichte. Seine Augen öffneten sich weit, er starrte seinen Stellvertreter an, als hätte er ein Fabelwesen vor sich.
„Ist das dein Ernst?“ fragte er ungewohnt leise.
„Allerdings“, entgegnete der Boston-Mann mit eiserner Schärfe. „Und auch dies sage ich dir in vollem Ernst: Ich denke nicht daran, deinetwegen die ganze Bordroutine durcheinanderbringen zu lassen. Kein anderer Kranker hätte einen solchen Verschleiß an Aufpassern wie du. Ich kann nicht ständig mehrere Männer abstellen, damit sie dich bewachen. Ich habe die Nase voll davon, Mister Njal. Tu von mir aus, was du willst. Olig kriegt jetzt seine wohlverdiente Ruhe.“
Der Wikinger sperrte den Mund auf.
„Wie, zum Teufel, meinst du das?“
„So, wie ich es sage. Hüpf von mir aus aus der Koje. Vielleicht kapierst du dann, was es heißt, einen gebrochenen Knöchel zu haben. Anders scheint es in deinen Schädel ja nicht hineinzugehen. Aber glaube nicht, daß sich einer von uns um dich kümmert, wenn du jammernd am Boden liegst.“
Thorfin blinzelte abermals.
„Du meinst, ich soll …“ Er sprach nicht zu Ende.
Der Boston-Mann nickte.
„Wenn du so scharf drauf bist, mit einem Knochenbruch spazierenzugehen – bitte! Mit den Folgen mußt du dann selber fertig werden.“
„Du meinst, der verdammte Flunken ist tatsächlich gebrochen? Nicht nur verknackt?“
„Hältst du den Medizinmann etwa für einen Dummkopf? Diese Leute können es mit unseren Feldscheren allemal aufnehmen. Glaubst du vielleicht, er hätte dir den Fuß nur so aus Spaß geschient?“
Der Wikinger seufzte tief. Von einer Minute zur anderen war er so sanftmütig geworden wie selten zuvor.
„Himmeldonnerwetter“, murmelte er, „dann muß es ja wohl stimmen. Oh, verflucht, das heißt ja ich liege wer weiß wie lange flach. Und dann noch dieser elende Brummschädel. Weiß der Teufel, was der Medizinaffe alles in sein Süppchen gekippt hat.“
Olig wandte sich ab und grinste sich eins.
„Es bleibt dir nicht erspart“, sagte der Boston-Mann mit unbewegter Miene. „Wenn du wieder wie ein normaler Mensch herumlaufen willst, mußt du erst mal stramm liegen. Daran führt kein Weg vorbei.“
Aus einem plötzlichen Gedanken heraus hob Thorfin den Kopf.
„Und der Mistkerl, dem ich das alles zu verdanken habe?“ knurrte er. „Sag bloß, dieser Tölpel spaziert immer noch ungestraft an Deck herum! Bring ihn her, diesen Blindfisch von einem Stör. Erst kriegt er ein paar passende Worte zu hören, und dann wird er kielgeholt.“
„Geht leider nicht“, erwiderte der Boston-Mann rundheraus. „Er ist verschwunden. Spurlos. Keiner aus der Crew weiß, wo er steckt.“
„Waas?“ Thorfin brachte sekundenlang kein weiteres Wort hervor. Dann lief er purpurrot an und brüllte von neuem los. „Wie, zum Teufel, kann so was passieren? Auf meinem Schiff verschwindet keiner, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen! Ich will, daß ihr sofort Suchtrupps losschickt. Die gesamte Insel wird abgesucht. Wenn dieser Schnarchhahn nicht in spätestens zwei Stunden vor mir steht und schlottert, sollt ihr mich alle kennenlernen.“
„Wir tun unser Bestes“, sagte der Boston-Mann ungerührt. „Sonst noch Anordnungen?“
„Natürlich. Ich will endlich meinen Stammhalter und sein Schwesterchen sehen. Wenn ich schon nicht selber hinstiefeln kann, dann müßt ihr mich eben tragen.“
„Das ist mit der behelfsmäßigen Trage nicht möglich. Wir müssen erst eine bauen, die sich abfieren läßt und auch für den Transport an Land geeignet ist.“
„Auf was wartest du dann noch?“ brüllte der Wikinger.
Der Boston-Mann schluckte es, ohne mit der Wimper zu zucken. Er nickte und forderte Olig mit einer Handbewegung auf, die Kapitänskammer zu verlassen. Unleidliche Patienten wie diesen überließ man besser sich selbst.
In der Felsenkneipe herrschte noch trübes Halbdunkel, nachdem die Sonne längst aufgegangen war. Das durch den Eingang hereinfallende Tageslicht reichte noch nicht aus, um die gesamte Kaverne zu erhellen.
Old Donegal Daniel O’Flynn kroch schlaftrunken aus seinen Decken und klappte angestrengt die Lider auf und zu, bis er halbwegs wach geworden war.
„Hölle und Verdammnis“, murmelte er. „Muß schon mächtig spät sein. Dabei haben wir letzte Nacht nicht mal gefeiert. Der Mensch ist doch ein Gewohnheitstier. Fehlt einem das traute Weib, das einen auf Trab bringt, horcht man entschieden zu lange die Matratze ab.“ Mit einem Anflug von Sehnsucht dachte er an Mary, geborene Snugglemouse, die bei Gotlinde am Kindbett Wache hielt. Erst im nächsten Moment fiel ihm ein, daß er kein Selbstgespräch geführt hatte.
Er hob den Kopf und spähte blinzelnd ins Halbdunkel.
In der Nähe des Eingangs hockte der Stör auf seiner Schlafstatt. Regungslos wie eine Statue saß er da, hatte den Kopf auf die angezogenen Knie gelegt und starrte Löcher in die Luft.
„He!“ rief Old O’Flynn und räusperte sich, weil seine Stimme heiser klang. „Was ist los mit dir, Mann? Bist du wach, oder schläfst du im Sitzen? Warum sagst du nichts, wenn ich was sage?“
Der Stör blieb stumm.
Old Donegal runzelte besorgt die Stirn. Mit einem Fluch schleuderte er seine Decken beiseite und rappelte sich auf. Während er zu seinem Logiergast hinüberhumpelte, rieb er sich den Schlaf aus den Augen.
Kopfschüttelnd blieb er neben dem Starrenden stehen. Als er sich nicht einmal rührte, klopfte er ihm auf die Schulter.
„Sag mal, bist du anwesend oder nicht?“
„Nicht mehr lange“, antwortete der Stör mit Grabesstimme.
„Nicht mehr lange? Was soll das heißen? Erst verkriechst du dich bei mir, und ich muß dir versprechen, daß ich dich nicht verrate, und dann willst du plötzlich wieder weg? Ich hab ja ’ne Menge Verständnis, aber fang nicht an, mich zum Narren zu halten.“
„Ich werde dir nicht mehr lange zur Last fallen.“ Der Stör sagte es weinerlich, ohne den Kopf zu wenden. Er schien bereits in eine ferne Welt entrückt zu sein.
„Himmel noch mal“, entgegnete Old Donegal stöhnend. „Was soll denn das nun wieder? Du fällst mir nicht zur Last. Das habe ich dir schon letzte Nacht gesagt, als du von Bord geschlichen bist. Ich bin Strohwitwer, habe ich dir gesagt, und ich kann ein bißchen Gesellschaft ganz gut vertragen. Aber wenn du nicht mit deinem Gejammer aufhörst, gehst du mir auf den Geist.“
„Ich werde dir nicht länger zur Last fallen“, wiederholte der Stör monoton. „Nein, ich werde überhaupt niemandem mehr zur Last fallen. Ich bringe meiner Umwelt nur Unglück. Thorfin habe ich schon zum Krüppel gemacht. Wenn ich mir vorstelle, daß seine Kinder nun einen Krüppel zum Vater haben! Ich kann Gotlinde nie wieder unter die Augen treten.“
„Schwachkopf“, knurrte Old O’Flynn.
Aber der Stör ließ sich in seinem Weltschmerz nicht beirren.
„Nein“, sagte er verbiestert, „ich habe meinen Entschluß gefaßt. Ich werde mich einem Gottesurteil stellen. Dann werde ich sehen, ob ich es wert bin, weiterzuleben. Aber daran glaube ich nicht. Wer so dämlich ist wie ich, der taugt nicht für diese Welt.“
„Also gut“, sagte Old Donegal geduldig, als hätte er eine kranke Kuh zu kurieren. „Und wie hast du dir das mit dem Gottesurteil vorgestellt?“
„Ich werde mich die Rutsche hinunterstürzen. Wenn mich die Haie unten in der Bucht zerfleischen, ist es die gerechte Strafe für mich. Ich rechne fest damit, daß sie mich zerfleischen. Etwas anderes habe ich nicht verdient.“
Minutenlang kriegte Old Donegal den Mund nicht wieder zu. Dann bückte er sich, packte den Langgesichtigen energisch am Kragen, zog ihn auf die Beine und schüttelte ihn durch. Im nächsten Moment hielt er inne, denn der Stör schien keine einzige Muskelfaser mehr im Leib zu haben. Seine Glieder schlenkerten wie die einer Puppe, sein Kopf wackelte beängstigend vor und zurück.
„Sag mal“, herrschte Old Donegal den Lebensmüden an. „Hast du überhaupt kein bißchen Mumm mehr in den Knochen?“
„Nein“, erwiderte der Stör in bestürzender Gleichgültigkeit. „Wenn Thorfin mich zu fassen kriegt, bringt er mich sowieso um. Ich kann es ihm nicht mal übelnehmen. Was soll es also? Ich kann die Sache ebensogut selbst erledigen.“
„Soviel Unsinn wie in diesen fünf Minuten hast du noch nie auf einmal gequatscht“, sagte der alte O’Flynn ungehalten. „Jetzt paß mal gut auf. Wir beiden werden erst mal einen ordentlichen Happen frühstücken, damit du wieder auf andere Gedanken kommst. Dann hilfst du mir, die Pinte aufzuklaren, und anschließend reden wir noch mal über die Geschichte.“
Der Stör sah ihn aus wäßrigen Augen an.
„Tu nicht so, als ob ich zu was nütze wäre. Das willst du mir bloß einreden, damit ich mich nicht dem Gottesurteil stelle.“
„Klar doch.“ Old Donegal nickte grimmig. „Ich bin ja auch ein unaufrichtiger Lump, der anderen nie seine ehrliche Meinung sagt. Fang nur an, mich zu beleidigen.“
Der Stör verzog bestürzt das lange Gesicht.
„Siehst du!“ heulte er los. „Jetzt hab ich schon wieder was falsch gemacht. Es hat wirklich keinen Zweck mit mir. Ich habe kein Recht, weiterzu…“
Old Donegal holte aus und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.
„Jetzt halt’s Maul. Bring das Feuer in Gang und hol frisches Wasser. Ich bereite inzwischen den Speck zum Braten vor.“
Der Stör rieb sich die Wange, schnaufte herzerweichend und schlurfte los. Der alte O’Flynn beschloß, ihn an diesem Tag nicht mehr aus den Augen zu lassen.
5.
An Bord des Schwarzen Seglers wurde gesägt und gehämmert, als gelte es, einen Wettstreit mit den Männern der Ramsgate-Werft aufzunehmen. Thorfin Njal hatte sich auf das Achterdeck bringen und die behelfsmäßige Trage so postieren lassen, daß er die Arbeiten auf dem Hauptdeck überblicken konnte. In Minutenabständen trieb er die Männer immer wieder an, gefälligst schneller zu arbeiten.
Die neue, solidere Trage näherte sich ihrer Vollendung, als die Sonne bereits über die Felsformationen der Schlangen-Insel gestiegen war.
„Wir kriegen Besuch“, sagte der Boston-Mann unvermittelt und wandte sich zu dem Wikinger um.
Thorfin verzog unwillig das Gesicht. So sehr er auch den Hals reckte – über die Achterdecksverschanzung konnte er nicht spähen. Eine Störung war jetzt ohnehin höchst unwillkommen, so kurz vor dem großen Augenblick, in dem er seinen Nachwuchs und sein geliebtes Weib sehen würde.
„Weiblicher Besuch“, fügte der Boston-Mann nach einer Weile hinzu, und dabei grinste er.
Thorfin kniff die Augen zusammen, und seine Brauen bildeten eine düstere Linie.
„Du willst mich bloß auf die Folter spannen“, knurrte er. „Gotlinde kann noch nicht wieder auf den Beinen sein. Welche Lady sollte uns also beehren?“
„Warte ab“, sagte der hagere Engländer kurz angebunden.
Auch die Männer auf dem Hauptdeck hatten das Boot bemerkt, das sich dem Viermaster näherte. Sie ließen Hämmer und Sägen fallen, eilten zum Schanzkleid und spähten auf die Wasserfläche hinaus.
Dem Wikinger platzte zum soundsovielten Male der Kragen.
„He, ihr Schnarchsäcke!“ brüllte er. „Wer hat was von Pause gesagt? Wollt ihr wohl weiterarbeiten! Bewegt euch gefälligst oder ich …“ Er brach ab, als er sah, wer dort über die Jakobsleiter aufenterte.
Rot leuchtete die Haarpracht von Mary O’Flynn im frühen Sonnenlicht. Ihr folgte eine hochgewachsene blonde Frau, Smokys Eheweib Gunnhild. Mary wechselte einige Worte mit Arne und Eike. Mehrmals nickte sie verstehend und blickte zum Achterdeck. Thorfin begriff, daß von ihm die Rede war. Und wieder wurde er sich der Tatsache bewußt, daß er weiter nichts als ein hilfloses Wickelkind war. Welch eine Ironie, daß ausgerechnet zwei kleine Wickelbälger – nämlich der eigene Nachwuchs – Anlaß für seine Hilflosigkeit waren!
Die beiden Frauen wandten sich von den Männern auf dem Hauptdeck ab und enterten über den Niedergang zum Achterdeck auf.
„Willkommen an Bord, Ladys“, sagte der Boston-Mann mit der geschulten Höflichkeit des Engländers, damit wenigstens einer die Formen wahrte.
Mary und Gunnhild erwiderten lächelnd seinen Gruß, wurden aber gleich darauf wieder ernst.
„Wir haben von deinem Pech gehört“, wandte sich Mary an den Wikinger. „Natürlich tut es uns leid. Aber andererseits trifft es sich ganz gut.“
„Was? Wie?“ entgegnete Thorfin kopfschüttelnd. „Was soll daran gut sein, daß ich mit gebrochenen Gräten langliege?“
Mary verschränkte die Arme über dem hübschen Busen.
„Du kannst Gotlinde vorerst nicht besuchen. Sie wurde vom Kindbettfieber erwischt, und damit ist weiß Gott nicht zu spaßen.“
Thorfin erbleichte. Sekundenlang starrte er die Frauen fassungslos an. Im nächsten Moment verdüsterte sich sein Gesicht. Ruckartig setzte er sich auf der Trage auf.
„Seid ihr vom Knurrhahn gebissen?“ brüllte er los, daß es dröhnend über die Innenbucht der Schlangen-Insel hallte. „Nichts und niemand wird mich daran hindern, meine Kinderchen zu besichtigen! Und wenn Gotlinde mich nicht sehen will, dann muß sie es mir schon selber sagen. Ich lasse mich doch nicht von irgendwelchen verdammten Weibern …“
Mary O’Flynn trat einen drohenden Schritt auf ihn zu und brüllte zurück. An Stimmgewalt war sie dem Wikinger kaum unterlegen.
„Jetzt halt die Luft an, verstanden? Bei deinem Mannsvolk kannst du dir diese Flegeleien leisten. Nicht bei uns! Und damit du klarsiehst: Keiner wird Gotlinde besuchen, solange sie im Fieber liegt. Vielleicht geht es in deinen Torfschädel hinein, was das Kindbettfieber für eine Frau bedeutet. Ihr Leben steht auf dem Spiel, du verdammter Einfaltspinsel. Wenn du ein guter Ehemann bist, dann nimmst du erst mal Rücksicht und sonst gar nichts.“
Thorfin schüttelte ungläubig den Kopf und blinzelte. Aber das Bild der zürnenden Mary O’Flynn ließ sich nicht wegwischen. Und auch die blonde Gunnhild sah verdammt energisch aus. Doch er dachte nicht daran, schon aufzugeben. Zu tief hatte ihn der Schmerz getroffen, Frau und Kindern so nahe zu sein und doch nicht zu ihnen zu dürfen.
„Ihr befindet euch auf meinem Schiff“, knurrte er. „Was du dir herausnimmst, brauche ich mir nicht bieten zu lassen, Mary O’Flynn. Ich kann euch beide unter Arrest stellen, wenn ich will. Hast du verstanden?“ Mary lächelte verächtlich und blies die Luft durch die Nase.
„Keiner von deinen Kerlen wird uns anrühren, Thorfin Njal. Daß Gotlinde unsere Hilfe braucht, ist dir wohl nicht klar, wie? Du hirnverbrannter Narr bringst es fertig, nur an dich zu denken und deine Frau zugrunde gehen zu lassen. Aber das eine sage ich dir: Nur über meine Leiche betrittst du Gotlindes Kammer. Punktum. Ich hatte gehofft, daß du Verständnis zeigen würdest. Aber da habe ich von dir wohl zuviel erwartet.“ Mit energischem Ruck wandte sie sich um und verließ das Achterdeck.
„So weit hättest du es wirklich nicht treiben müssen, Thorfin Njal“, sagte Gunnhild zornig. Dann folgte sie Old Donegals resolutem Weib, ohne auf eine Antwort zu warten.
Der Wikinger blieb noch lange stumm.
Erst als die beiden Frauen längst zum Land zurückpullten, fand er die Sprache wieder.
„Bei Odin und allen Nebelkrähen“, murmelte er. „Vor Old Donegals Mary würde wohl sogar der Teufel Reißaus nehmen.“
Der Boston-Mann nickte nur.
Hatte es am Tag zuvor ausnahmslos strahlende Gesichter auf der Schlangen-Insel gegeben, so vermochte nun auch der strahlende Sonnenschein nichts mehr an der allgemeinen trüben Stimmung zu ändern. Männer und Frauen ließen in trauter Einigkeit die Köpfe hängen. Jeder war mit seinen Gedanken bei der armen Gotlinde und bei dem ebenfalls bedauernswerten Wikinger.
Wenn auch Thorfins Polterei einem Außenstehenden grob und unangebracht erscheinen mochte, so wußten doch alle auf der Schlangen-Insel, daß dies nur die rauhe Schale war, hinter der er seine wahren Gefühle verbarg. Es würde geraume Zeit dauern, bis sein Knöchelbruch geheilt war und er wieder laufen konnte.
Doch um Gotlinde war es wesentlich schlechter bestellt. Die Frauen, die sie umsorgten, waren sich darüber im klaren, daß es unter Umständen um Leben und Tod gehen würde.
In den späten Vormittagsstunden waren Old O’Flynn und der Stör nach wie vor mit dem Aufklaren der „Rutsche“ beschäftigt. Der Langgesichtige schlurfte willig durch die Kaverne, schleppte ungespülte Humpen zum Tresen, rückte Sitzfässer und Tische zurecht und hantierte mit dem Putzlappen. Seit seiner Offenbarung über das Gottesurteil war er merklich einsilbig geworden. Old Donegal ließ ihn kaum eine Sekunde aus den Augen. Jeden Moment rechnete er damit, daß der Stör um die Ecke flitzte, um sich in die Bucht zu stürzen, wo die hungrigen Haie auf ihn warteten.
Doch unvermittelt waren Schritte zu hören, die sich dem Eingang der Felsenhöhle näherten.
Der Stör richtete sich erschrocken vom Putzen auf.
Old Donegal, der hinter der Theke Bierkrüge abwusch, reagierte sofort.
„Hierher!“ zischte er. „Los, los, beweg dich.“
Der Stör erwachte aus seiner Erstarrung, hastete zu ihm und verbarg sich auf Anweisung des alten O’Flynn zwischen Fässern und Kisten hinter dem Tresen. Old Donegal schnappte sich unterdessen einen Wischlappen, verließ seinen Platz und tat, als sei er im Schankraum beschäftigt.
Dann sah er die unverwechselbare stramme Statur im Eingang der Kaverne.
„Mary!“ rief er erstaunt. „Was, in aller Welt, führt dich her?“
Sie trat auf ihn zu.
„Dies ist immer noch der Ort, an dem ich genauso zu Hause bin wie du, oder?“
„Ja, ja, natürlich“, stotterte er, „aber …“
„Für nutzlose Worte ist keine Zeit“, unterbrach sie ihn rauh. „Die Lage ist ernst.“
Er starrte sie an. Dann, als sie berichtete, wie es um Gotlinde stand, traf ihn das Mitgefühl wie ein schmerzhafter Stich.
„Um Himmels willen“, sagte er tonlos. „Kann man denn überhaupt nichts tun?“
„Doch. Deshalb bin ich hier. Ich habe mit Arkana gesprochen. Sie sagt, es gibt da so eine besondere Wurzel, die gegen das Kindbettfieber hilft. Arkana kennt das Rezept für die Medizin, die die Wöchnerin wieder auf die Beine bringt. Allerdings, und das ist der Haken an der Geschichte, wächst die bewußte Wurzel nur auf Hispaniola. Hier gibt’s so was im weiten Umkreis nicht. Also, der langen Rede kurzer Sinn: Du machst sofort die ‚Empress‘ seeklar und segelst nach Hispaniola. Arkana nimmst du mit, damit sie die Wurzeln besorgen kann. Jetzt kannst du mal zeigen, ob du Manns genug bist, dem Teufel ein Ohr abzusegeln. Jede Stunde ist nämlich wertvoll. Wir brauchen das Heilmittel so schnell wie möglich.“
Old Donegal grinste bis zu den Ohrläppchen.
„Wird erledigt“, sagte er erfreut, denn eine solche „Order“ ließ er sich nicht zweimal erteilen. Endlich konnte er wieder etwas Sinnvolles tun, abgesehen vom Schankbetrieb. Und zur Zeit, da die Weiber das Regiment auf der Schlangen-Insel übernommen hatten, war es sowieso besser, aus dem Kinken zu treten.
„Dann steh nicht länger rum, sondern flitz ab!“ befahl Mary mit einem energischen Nicken. „Arkana ist bereit zur Abreise.“
„Sind wir auch“, entgegnete Old Donegal, „so schnell, daß dir die Augen übergehen.“
„Rede kein Zinnober, Mister O’Flynn. Sieh lieber zu, daß du den Auftrag ordnungsgemäß ausführst.“ Mary, geborene Snugglemouse, vollführte eine Kehrtwendung und rauschte hinaus.
Old Donegal blickte ihr nur einen Moment nach. Der Wind hatte beträchtlich aufgebrist und wehte aus Nordosten. Da braute sich etwas zusammen. Der Sonnenschein würde nicht mehr von langer Dauer sein.
Er rief den Stör aus seinem Versteck und winkte ihn zu sich heran.
„Du hast gehört, was los ist. Ich muß dich jetzt eine Weile allein lassen. Du wirst hier die Stellung halten, verstanden? Und vor allem wirst du keine Dummheiten anstellen. Ist das klar?“
Der Stör zog sein Gesicht noch länger, als es ohnehin schon war.
„Aber ich kann doch nicht …“ Er zog hilflos die Schultern hoch.
„Was kannst du nicht?“
„Die Schenke geöffnet halten. Ich meine, wenn die Kerls hier auftauchen und was trinken wollen, dann bin ich doch schon entdeckt. Und dann wird Thorfin mich kielholen lassen.“
„Unsinn. Natürlich wird der Laden geschlossen. Miß Snugglemouse und die anderen Weiber erlauben sowieso keine Sauferei, solange Gotlinde um ihr Leben kämpft. Ist ja auch verständlich. Also: Du verkriechst dich und läßt dich nicht blicken, bis ich wieder zurück bin. Verpflegung ist genug vorhanden. Du lebst also wie im Paradies. Klar?“
Der Stör nickte bedächtig.
„Und was ist, wenn Mary O’Flynn aufkreuzt?“
„Himmel!“ stöhnte Old Donegal. „So schwer von Begriff kannst du doch gar nicht sein. Dann versteckst du dich – genauso, wie du’s eben getan hast.“
Er verschwendete keine Zeit mehr und überließ den Langgesichtigen sich selbst. Letzten Endes war der Manns genug, um mit sich selber fertig zu werden. Gotlindes Wohlergehen stand jetzt an erster Stelle aller Überlegungen. Von ihrer Gesundheit hing es schließlich auch ab, ob die beiden Neugeborenen eine Überlebenschance hatten. Alles zusammen war von nicht zu unterschätzender Bedeutung für das Seelenheil des schwer angeschlagenen Wikingers.
Der alte O’Flynn war sich der Tragweite seiner Mission in vollem Umfang bewußt. Es war ein Auftrag so recht nach seinem Geschmack.
Eilends humpelte er mit seinen Krücken zur Innenbucht hinunter und sprach Ben Brighton an, der gleich darauf auf dem Achterdeck der „Isabella“ erschien. Der Erste Offizier des Seewolfs war sofort einverstanden, abermals Batuti und Bob Grey für die „Empress“ zur Verfügung zu stellen. Angesichts der Wichtigkeit des Einsatzes kommandierte Ben außerdem Jack Finnegan für den Borddienst auf der kleinen Karavelle ab.
Die drei Männer erschienen Minuten später an Deck. Ein Beiboot wurde abgefiert. Sie pullten zum Strand, wo jetzt auch Arkana, die Schlangenpriesterin, erschien. Keine der anderen Frauen begleitete sie. Old Donegal konnte daran ermessen, wie ernst es um Gotlinde bestellt war.
„Das Wetter wird stürmisch“, sagte Arkana mit einem besorgten Blick zum Himmel. „Es wird nicht leicht sein, die Heilwurzeln zu beschaffen.“
„Keine Sorge“, entgegnete Old Donegal. „Mit der ‚Empress‘ segle ich dem Gehörnten sämtliche Ohren und auch noch den Schwanz ab, wenn es sein muß. Und für Gotlinde segeln wir notfalls sogar mitten durchs Fegefeuer.“
Sie begaben sich ins Beiboot, und die Männer von der „Isabella“ pullten mit kraftvollen Schlägen zu der kleinen Karavelle des alten O’Flynn. Martin Correa erwartete sie bereits. Nach den Zurufen zwischen Old Donegal und Ben Brighton wußte er bereits, um was es ging. Ebenso wie die anderen Männer war Martin Correa von einer fieberhaften Entschlossenheit gepackt.
Die Begleitmannschaft von der „Isabella“ pullte die Jolle zurück. Noch bevor sie den Dreimaster des Seewolfs erreichten, war die „Empress“ bereits seeklar. Old Donegal gab das Zeichen zum Ankeraufgehen. Mit rasch zunehmender Fahrt rauschte sein Schiff auf den Felsentunnel zu. Abschiedsrufe von den zurückbleibenden Männern begleiteten sie. Old Donegal meinte, auch die Stimme des Wikingers zu vernehmen. Aber Thorfin war nicht zu sehen, da er noch immer flachlag. Er schien sich mittlerweile zu einem folgsamen Kranken entwickelt zu haben.
Routiniert überwand Martin Correa den Mahlstrom. Die „Empress“ brauste auf das offene Wasser hinaus.
Der Zufall wollte es, daß Batuti in dem Moment einen Blick zurückwarf, in dem der kleine Dreimaster den Felsendom hinter sich ließ.