Kitabı oku: «Seewölfe Paket 20», sayfa 13
Auf der „Empress“, die mittlerweile bereits in einiger Entfernung vor Anker lag, brachen die vier Männer in schallendes Gelächter aus. Old Donegals Lachen klang wie das Meckern eines Ziegenbocks.
Doch Sekunden später, als sich der Wikinger noch immer nicht rührte, wurde es auch auf der kleinen Karavelle still.
Arne und Olig waren als erste auf den reglosen Thorfin Njal zugeeilt, ihnen folgte der Boston-Mann. Gemeinsam beugten sie sich voller Besorgnis über den Reglosen und zogen behutsam den Korb beiseite. Was sich ihren Blicken darbot, reizte erneut zur Heiterkeit.
Der Helm lag mitten in der Tomatenbrühe, und Thorfins Haarpracht mitsamt Bart war dunkelrot von Tomatensaft.
Doch das Lachen blieb den anderen im Hals stecken, als sie ihn stöhnen hörten. Seine Gesichtshaut war grau vor Schmerzen – an den wenigen Stellen, die die rote Brühe nicht erreichte. Mühsam schaffte es der Wikinger, den Oberkörper aufzurichten.
So hatte ihn noch keiner erlebt. Und sie brauchten keine besondere Erklärung, um die Ursache zu erkennen.
Der linke Fuß des Wikingers stand auf erschreckende Weise schief. Unter den Riemen der Sandale war der Knöchel bereits unförmig angeschwollen.
Auf dem Achterdeck ließ der Stör die noch immer zum Freudenschrei erhobenen Arme sinken. Sein Mund stand offen, sein starrer Blick war auf den schiefen Fuß seines Kapitäns gerichtet. Dann sah er, wie die Zornesadern unter der Tomatenröte des Wikingers anschwollen.
Fluchtartig hastete der Stör los – hinüber zum Backbordniedergang, um nur schnellstens größtmögliche Distanz zwischen sich und den saftbesudelten frischgebackenen Vater zu bringen. Mit einem wilden Satz landete der langgesichtige Nordmann auf den Planken der Kuhl. Die Donnerstimme Thorfins Njals erreichte ihn noch, als er auf die offene Grätingsluke zurannte und sich unter Deck in Sicherheit brachte.
„Verdammter hirnrissiger Torfkopp! Du dreimal verfluchtes Mondkalb hast nichts als Schlick im Schädel! Aber diesmal kriegst du, was dir zusteht, verlaß dich drauf! Du sollst im hintersten Höllenwinkel gebraten werden, bis du kohlrabenschwarz bist. Aber vorher ziehe ich dir an der Großrah den Hals lang, daß du als Ausguck nicht mal mehr in den Mars rauf mußt!“
Eike, der in der Nähe der Luke stand, stieß zur Bestätigung ein grimmiges Knurren aus. Mit einem Satz folgte er dem Fliehenden in den Unterdecksraum. Diesmal war das Maß für den Stör voll. Genug, um den Männern an Bord den Kragen platzen zu lassen.
Nur sekundenlang waren dumpfe Schritte aus der Luke zu hören. Dann ein erschrockener Laut, gefolgt von einem trockenen Schlag. Im nächsten Moment tauchte Eike wieder auf und rieb sich grimmig die Knöchel der rechten Hand.
„Dieser Hohlkopf richtet fürs erste keinen Schaden mehr an“, sagte er grollend.
Thorfin Njal nickte zufrieden, verzog aber schmerzerfüllt das Gesicht, als er versuchte, das linke Bein zu bewegen.
„Bei Odins Raben“, sagte er ächzend, „jetzt fehlt mir bloß noch, daß der Flunken gebrochen ist.“
„Sieht ganz danach aus“, entgegnete Arne und kniete sich vor ihm auf die Planken. „Halt mal still.“ Er begann, den geschwollenen Knöchel zu betasten.
Schon bei der ersten Berührung brüllte der Wikinger vor Schmerzen. Arne zuckte zurück und wechselte einen betroffenen Blick mit Olig und dem Boston-Mann. Auch die übrigen Crewmitglieder betrachteten ihren auf den Planken liegenden Kapitän voller Mitgefühl. Vergessen war die frohe Botschaft, die Old Donegal Daniel O’Flynn überbracht hatte.
Der Stör hatte es mit seiner Dämlichkeit geschafft, das Vaterglück vorerst weit in den Hintergrund zu schieben. Folglich gab es auch kein Freudenfest an Bord. Alles zusammen war Grund genug, eine Mordswut auf den Trottel zu entwickeln. Die Gedanken der Männer unterschieden sich deshalb nicht sehr voneinander.
Der alte O’Flynn war mittlerweile per Beiboot herübergepullt und über die Jakobsleiter aufgeentert. Er stelzte auf den angeknacksten Wikinger zu und schüttelte den Kopf.
„Mann o Mann. Mußt du gleich so aus dem Häuschen geraten, daß du dir die Gräten brichst? Dabei braucht Gotlinde gerade jetzt deinen männlichen Beistand.“
Der Gedanke daran war fast zuviel für Thorfin. Er verdrehte die Augen und seufzte so herzerweichend, wie es die Männer nie zuvor von ihm gehört hatten.
„Dafür werde ich diesen Blödhammel eigenhändig kielholen“, sagte er keuchend. „Und anschließend wird er geteert und gefedert und auf einer unbewohnten Insel ausgesetzt. Da kann er für den Rest seines Lebens als Sumpfhuhn durch die Gegend hüpfen.“
Die Männer konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Erst mal halblang“, sagte Old O’Flynn beschwichtigend. „Ich denke, wir benachrichtigen Shawano. Sein Medizinmann wird sich um die Geschichte kümmern.“ Er deutete auf Thorfins geschwollenen Knöchel und den schief stehenden Fuß.
Der Wikinger hatte nichts dagegen einzuwenden. Und alle wußten, was es bedeutete, diesen eisenharten Mann so still und widerspruchslos zu erleben. Jeder einzelne aus der Crew konnte sich nur zu gut in seine Lage versetzen. Denn während der vergangenen Monate hatten sie sich mit ihm über seinen bevorstehenden Vaterstolz gefreut. Nun flachliegen zu müssen, noch dazu wegen eines so lächerlichen Grundes – das hatte er bestimmt nicht verdient.
Die Timucuas, die am Strand beschäftigt waren, hatten bereits mitgekriegt, was sich an Bord des Schwarzen Seglers abgespielt hatte. So dauerte es nicht lange, bis Häuptling Shawano und der Medizinmann des Stammes in einem Beiboot herübergepullt wurden.
Ohne Umschweife begann der Medizinmann, den geschwollenen Fuß des Wikingers zu untersuchen. Thorfins anfängliches Mißtrauen wich, als er sah, wie behutsam der Indianer dabei zu Werke ging. Dann hob dieser den Kopf und wechselte wenige Worte in der Timucua-Sprache mit dem Häuptling.
Shawano nickte und, wandte sich an den Wikinger. Die Sprache des weißen Mannes beherrschte er bereits fließend, wenn auch noch mit deutlichem Akzent.
„Der Knöchel ist gebrochen. Du wirst jetzt Schmerzen haben, denn der Fuß muß gerichtet und geschient werden. Es dauert aber nur einen kurzen Augenblick.“
„Dann mal los“, sagte der Wikinger matt. „Was ich hinter mir habe, kann ich vergessen.“
Shawano nickte und und gab dem Medizinmann entsprechende Anweisung.
Blitzschnell und bevor Thorfin es richtig begreifen konnte, packte der Indianer zu. Mit einem kurzen, kraftvollen Ruck bewies er, daß er etwas von Knochenbrüchen verstand.
Der Wikinger brüllte auf wie ein Stier. Doch nur einen Atemzug lang. Dann sank er zurück und streckte alle viere von sich. Die Bewußtlosigkeit erlöste ihn von dem grausamen Schmerz.
Die Männer preßten die Lippen aufeinander. Nur zu gut konnten sie sich vorstellen, welche Höllenqualen Thorfin beim Richten des Bruches hatte leiden müssen. Denn die meisten von ihnen hatten ähnliche Erfahrungen hinter sich – Verstauchungen, Verrenkungen und auch Brüche gab es in einer kampferprobten Crew mehr als genug.
Seine weitere Arbeit erledigte der Medizinmann mit schnellen, geübten Handgriffen. Der Boston-Mann teilte ein halbes Dutzend Männer ein, die zunächst Holzstäbe zum Schienen des Bruches herbeischafften und dann eine behelfsmäßige Trage anfertigten. Währenddessen legte der Medizinmann dem Bewußtlosen einen fachgerechten Verband an.
Anschließend wurde er auf die Trage gebettet, in die Kapitänskammer gebracht und dort in seine Koje gepackt. Daß der Blessierte jedoch nicht so zahm bleiben würde wie im bewußtlosen Zustand, darüber waren sich der Boston-Mann und alle anderen im klaren.
3.
„Hinlegen!“ brüllte Olig schon eine halbe Stunde später. Arne und Eike, die mit ihm zur ersten Krankenwache eingeteilt waren, nahmen drohend neben ihm Aufstellung. Doch das nutzte herzlich wenig.
Das Theater hatte begonnen. Wie erwartet.
Thorfin Njal, der sich in seiner Koje halb aufgerichtet hatte, starrte die drei Männer mit wild funkelndem Blick an.
„Ist euch irgendwas durch die brüchige Hirnschale gerieselt?“ knurrte er. „Oder wie?“
„Nichts in der Art“, entgegnete Olig standhaft. „Wir haben Order, auf dich aufzupassen. Und das tun wir auch. Darauf kannst du dich verlassen.“ Arne und Eike nickten bekräftigend und gaben ihren Mienen dabei den notwendigen grimmigen Ausdruck.
Thorfin zog die Brauen zusammen. Vom Tomatensaft hatten ihn die Männer gereinigt, als er noch bewußtlos und friedlich gewesen war. „Welcher Waldaffe hat das angeordnet?“
„Der Boston-Mann“, antwortete Olig. „Er hat das Kommando an Bord übernommen. Und zwar so lange, wie du – hm – untauglich bist.“
Das Gesicht des Wikingers färbte sich rot.
„Untauglich?“ brüllte er und fuhr hoch, als hätte ihn ein unverfrorenes Insekt in den Achtersteven gekniffen. Einen Moment sah es aus, als wolle er sich in seiner Rage aus der Koje schwingen. Doch er schaffte nur den Ansatz der Bewegung. Mit einem ächzenden Schmerzenslaut sank er zurück. Sein Brustkorb hob und senkte sich unter schweren Atemzügen.
Olig trat bis auf einen Schritt Distanz an ihn heran, die Fäuste in die Hüften gestemmt.
„Damit du klar siehst“, sagte er grollend, „dein linker Fußknöchel ist gebrochen. Der Medizinmann hat dir strenge Bettruhe verordnet. Und daran wirst du dich halten.“
Thorfins Augen funkelten noch immer, wenn auch das zornige Rot seines Gesichts jetzt einer bemitleidenswerten Blässe gewichen war.
„Kein Medizinmann hat mir was zu verordnen“, sagte er dumpf. „Hier an Bord bestimmt nur einer, und das bin ich.“
„Beim Wotan“, stöhnte Olig und verdrehte gequält die Augen. Er wandte sich hilfesuchend zu seinen beiden Gefährten um. „Kann mich denn nicht mal einer unterstützen?“
„Wir dachten, du gibst so einen guten Wortführer ab“, sagte Eike und grinste breit.
Arne gab sich einen entschlossenen Ruck und baute sich neben Olig auf. „Jetzt hör mal gut zu, Thorfin. Wir sind ja auch nicht ganz dämlich und haben begriffen, was der Medizinmann und der Häuptling uns verklart haben. Also: Mit deinem Knöchelbruch ist nicht zu spaßen. Wenn du dich nicht schonst, heilt das nie. Wenn du sogar glauben solltest, du könntest damit durch die Gegend humpeln, dann hast du dich erst recht geschnitten. Dann müßtest du dich wahrscheinlich damit abfinden, daß du für den Rest deines Lebens mit schiefen Quadratlatschen durch die Gegend hinkst.“
„Im übrigen“, fügte Olig hinzu, „gilt an Bord unseren Schiffes die Bestimmung, daß bei Ausfall des Kapitäns der Boston-Mann das Kommando übernimmt. Tu jetzt nicht so, als ob du das vergessen hättest.“
Thorfin hatte den Oberkörper wieder halb aufgerichtet und folgte den Ausführungen seiner Aufpasser mit scheinbar geduldigem Interesse.
„Seid ihr jetzt fertig? Gut. Dann dürft ihr verschwinden. Ich habe alles gehört, nehme alles zur Kenntnis und bin zutiefst gerührt über euer Mitgefühl. Es ist mehr, als ich brauche.“
Verwirrt blinzelnd und mit offenem Mund starrten ihn die drei Männer an. Ihre Fassungslosigkeit wuchs ins Uferlose, als sie sahen, wie der verrückte Kerl allen Ernstes Anstalten zeigte, sich nun doch aus der Koje zu schwingen.
Olig erholte sich als erster von der Verblüffung.
„Da hilft nur noch eins“, murmelte er entnervt, trat vor, holte aus und schlug zu.
Sein Fausthieb beförderte den Wikinger zurück in die Waagerechte. Doch die Männer wußten, daß sie nur einen Aufschub von einigen Minuten gewannen. Sobald er aus der Bewußtlosigkeit erwachte, würde Thorfins Genörgel von vorn anfangen. Arne begab sich zu einer kurzen Unterredung auf das Achterdeck und schilderte die Probleme mit dem unleidlichen Kapitän.
„Das war zu erwarten“, sagte der Boston-Mann mit einem milden Lächeln. Er deutete zum Strand und auf das Hauptdeck, wo die Verladearbeiten in vollem Gange waren. Die Übernahme der Naturalien ging jetzt im Eiltempo vonstatten. „Ich denke, daß wir noch am frühen Abend ankerauf gehen können. Seht zu, daß ihr Thorfin irgendwie zur Ruhe bringt.“
„Leicht gesagt“, brummte Arne. „Wir können ihm ja nicht dauernd eins unter das Kinn verpassen. Dann muß der Medizinmann als nächstes seinen verrenkten Unterkiefer behandeln.“
„Laßt euch was einfallen.“
Arne sah den hageren Engländer eine Weile stirnrunzelnd an. Dann erhellte sich seine Miene, und er rannte los. Sein erster Weg führte in die Kombüse. Es dauerte etliche Minuten, bis er mit einem großen Tonkrug wieder auftauchte und in die Kapitänskammer hastete.
Gebrüll brandete ihm entgegen, als er das Schott aufstieß.
Eike und Olig mußten mit beiden Händen zupacken, um den tobenden und zeternden Thorfin in die Koje zurückzudrängen. Eben war Olig im Begriff, mit einem erneuten Fausthieb für Ruhe zu sorgen.
„Aufhören!“ donnerte Arne mit Stentorstimme über den Lärm hinweg. „Jetzt gibt’s Medizin.“
Thorfin verstummte in der Tat.
„Medizin?“ fragte er mißtrauisch. „Was sollte denn das sein, das gegen Knochenbrüche hilft?“
„Nicht gegen den Bruch“, antwortete Arne, „aber gegen Schmerzen. Und es beruhigt. Shawano hat es an Bord bringen lassen, mit schönen Grüßen vom Medizinmann.“ Es gab einen dumpfen Laut, als er seine Last zu Boden sinken ließ. Der Krug reichte ihm bis zu den Knien.
„Ich habe keine Schmerzen“, behauptete Thorfin, „und ich bin völlig ruhig.“
„Das merkst du selbst gar nicht“, entgegnete Arne. „Shawano sagt, daß die Medizin gut sei. Du kannst wieder aufstehen, wenn der Krug leer ist.“
Thorfin zog die Augenbrauen hoch.
„Wirklich?“
„Wirklich“, sagte Arne treuherzig.
Olig war bereits beim Schapp und holte eine Muck heraus. Eike blieb indessen in der Nähe des Wikingers, für den Fall, daß dieser übermütig werden sollte.
„Her damit“, forderte Thorfin ungeduldig. „Wenn das Zeug so gut ist, daß es einen auf die Beine bringt, dann muß es schleunigst vernichtet werden.“
Arne entkorkte den Krug und füllte die Muck mit der dunkelbraunen, fast sirupartig aussehenden Flüssigkeit. Olig trug den Becher zur Koje, und Thorfin leerte ihn in einem Zug.
Die drei „Krankenpfleger“ musterten ihn mit heimlichem Interesse. Natürlich hatten Eike und Olig begriffen, daß es mit der „Medizin“ etwas Besonderes auf sich haben mußte.
Der Wikinger fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und schmatzte ein paarmal genüßlich.
„Mhm. Schmeckt gar nicht unübel. Kann’s sein, daß Honig drin ist?“
„So was Ähnliches wie Met“, behauptete Arne. „Und ein paar geheime Kräuter, die nur der Medizinmann kennt.“
„Met? Warum haben die Timucua-Torfköppe uns nicht eher gesagt, daß sie so etwas brauen können!“ Thorfin streckte den Arm mit der Muck aus. „Gebt mir mehr von dem Zeug. Schmeckt teuflisch gut.“
„Siehst du“, sagte Arne und grinste. „Da mußt du dir erst den Knöchel brechen, um die wirklich guten Sachen zu entdecken.“ In Wahrheit bestand die „Medizin“ aus geringen Teilen Honig, Rübenmelasse und Dorschlebertran sowie zum größten Teil aus hochprozentigem Karibik-Rum.
Olig ließ die Muck abermals füllen, schnupperte daran, grinste ebenfalls und trug sie dann mit todernster Miene zurück zur Koje. Thorfin kippte das Zeug herunter und atmete voller Behagen tief durch.
„Nachschenken“, befahl er knapp und drückte Olig die Muck wieder in die Hand.
„Irgendwie scheint es doch zu beruhigen“, bemerkte Eike trocken.
Der Wikinger lief rot an.
„Woher willst du das wissen?“ schnauzte er seinen „Aufpasser“ an.
Eike zog unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern.
„Na, das sieht man doch. Schon nach den ersten beiden Mucks bist du viel vernünftiger geworden. Bis eben hatten wir mächtig Last, dich in die Koje zu zwingen.“
Arne und Olig, mit dem Nachfüllen beschäftigt, wechselten einen Blick und schüttelten den Kopf. Eike schien mit seiner Faselei dem Stör nacheifern zu wollen.
„Quatsch nicht solchen Blödsinn“, schnaubte Thorfin denn auch. „Ich bin nie unvernünftig gewesen. Aber wenn der Medizinmann sagt, ich soll diese Brühe schlucken, dann schluckte ich sie auch. Aber ich tue es nur, damit ich in einer Stunde wieder auf dem Achterdeck stehe. Klar?“
„Klar“, sagte Eike kleinlaut, „in einer Stunde bist du wieder an Deck.“
Olig war unterdessen zum dritten Mal mit gefüllter Muck zur Stelle. Wieder leerte der Wikinger das Trinkgefäß in einem Zug, und in entsprechender Geschwindigkeit setzte sich die Verabreichung der „Medizin“ fort.
Etwa eine Stunde später, als der mächtige Tonkrug bereits über die Hälfte geleert war, wurde Thorfin Njal von plötzlicher Ungeduld gepackt.
„Donner und Doria“, sagte er dröhnend. „Ich merke die Wirkung schon jetzt. Ihr könnt aufhören, Leute. Die Timucua-Tunke ist so verteufelt gut, daß ich den Rest nicht mehr brauche. Ich geh jetzt raus und löse den Boston-Mann ab.“
Arne und Olig, die sich auf Schemeln neben dem Krug niedergelassen hatten, sprangen erschrocken auf. Neben der Koje spannte Eike die Muskeln an.
„Du rührst dich nicht“, befahl er.
Diesmal erinnerte Thorfins aufwallende Gesichtsfarbe an die Tomaten, mit denen er noch vor wenigen Stunden gekämpft hatte.
„Welche Filzlaus ist dir ins Hirn gekrochen?“ brüllte er. „Dein Schädel muß aus Matschtorf sein. Wie ich mich fühle, das kann nur ich allein beurteilen. Und ich fühle mich so prächtig, daß ich jetzt frische Luft brauche – und mein Sesselchen.“
Arne und Olig holten tief Luft und schoben sich auf ihn zu. Olig hielt eine erneut gefüllte Muck in der Hand.
„So haben wir nicht gewettet“, sagte Arne mit mühsamer Beherrschung. „Bevor der Krug nicht leer ist, spielt sich überhaupt nichts ab.“
Thorfin hatte sich bereits wieder halb aufgerichtet.
„Dieser Medizinaffe hat sich eben geirrt. Seine Suppe ist besser, als er glaubt. Das Teufelszeug würde sogar einen zehn Tage toten Indianer wieder in die Stiefel heben. Beim Odin, ich fühle mich so prächtig, daß ich den Großmast aus dem Kielschwein rupfen könnte.“
„Du spinnst“, sagte Olig im Brustton der Überzeugung. „Und damit du klar siehst: Wenn du nicht parierst, hauen wir dir wieder was unters Kinn. Wir sind nämlich dafür verantwortlich, daß deine Gräten da unten in Ordnung bleiben.“ Er deutete auf den dicken Fußverband des Wikingers.
Thorfin sperrte sekundenlang den Mund auf. Dann klappte er ihn wieder zu, daß die Zähne krachten.
„Das ist Meuterei“, knurrte er erbittert. „Glatte Meuterei. Und so was muß ich mir von meinen besten Männern bieten lassen. Ich gebe euch noch eine Chance, Kerls. Wenn ihr jetzt vernünftig seid, will ich nichts gehört haben.“
Die drei „Krankenpfleger“ waren hart am Rand ihrer Nervenkraft.
„Trink deine Medizin“, sagte Arne mit mühsam erzwungener Beherrschung. „Ich denke, Olig hat es dir richtig verklart. Wir sind zu dritt, Thorfin. Gegen uns kannst du nicht anstinken.“
Der Wikinger starrte ihn an, öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Dann schluckte er trocken. Schweigend nahm er die Muck und gehorchte.
Die drei Männer konnten halbwegs aufatmen. Doch sie wußten auch, daß der Tanz jeden Moment von neuem losgehen konnte. Vorerst jedoch schluckte Thorfin die „Medizin“ folgsam und verbissen.
Nach einer weiteren halben Stunde war der Krug zu drei Vierteln geleert. Die Geräusche an Deck hatten sich geändert. Arne, Eike und Olig registrierten erleichtert, daß der Boston-Mann Vorbereitungen zum Ankeraufgehen treffen ließ.
Doch eine neue Nervenbelastung kündigte sich jetzt an: Noch immer zeigte sich bei Thorfin nicht die geringste Wirkung – abgesehen von der Tatsache, daß er merklich ruhiger geworden war. Leise Zweifel an der richtigen Zusammensetzung der Mixtur keimten in Arne auf.
Wenn Thorfin nach dem letzten Viertel der „Medizin“ noch immer nicht ins Traumland hinübergewandert war, was dann?
Mit wachsender Besorgnis beobachtete Arne den gehorsam schluckenden Wikinger. Schließlich hatte er zehn Flaschen Rum mit den übrigen Zutaten verrührt. Wenn das nicht reichte, verstand er die Welt nicht mehr. Abermals füllte er die Muck, und Olig trug sie hinüber.
Immerhin schaffte es Thorfin jetzt schon nicht mehr auf einen Zug.
„Bald leer?“ fragte er merkwürdig dumpf.
Arne und die anderen runzelten die Stirn. Täuschte es, oder hatten sich seine Lider tatsächlich etwas gesenkt? Und war sein Blick nicht etwas glasig geworden?
„Lange dauert’s nicht mehr“, erwiderte Arne und hoffte dabei auf eine völlig andere Wirkung, als Thorfin sie sich ausmalte.
Und eben jene Wirkung stellte sich schlagartig ein. Jäh wurde die Zunge des bärtigen Riesen schwer.
„D…ann ist es g…gut. Dann g…ehe ich an D…eck und l…öse den B…oston …“ Den Rest brachte er nicht mehr heraus. Ohne einen weiteren Ton von sich zu geben, sackte er zurück und rührte sich nicht mehr.
Die drei Männer wischten sich den Schweiß aus dem Gesicht.
Dröhnende Schnarchtöne erfüllten eine Minute später die Kapitänskammer. Kurz darauf war der Schwarze Segler klar zum Auslaufen. Arne, Eike und Olig hatten das Gefühl, Schwerstarbeit geleistet zu haben.