Kitabı oku: «Seewölfe Paket 20», sayfa 16
7.
Arkana deutete auf die knorrigen Stämme der Mangroven, zwischen denen das Dickicht fast brusthoch wucherte.
„Haltet euch immer in der Nähe der Bäume“, riet sie. „Die Heilwurzeln wachsen am häufigsten in Schatten und Feuchtigkeit.“
„… am häufigsten in Schatten und Feuchtigkeit“, murmelte der Stör, richtete sich neben seinem Flechtkorb auf und streckte den Rücken, der vom vielen Bücken schmerzte.
Batuti, der nur zwei Schritte von ihm entfernt war, lachte und entblößte dabei sein perlweißes Gebiß.
„Na also!“ rief er erfreut. „Unser Stör ist auf dem Wege der Besserung.“
„Fängt er wieder an, alles nachzuquasseln?“ erkundigte sich Jack Finnegan.
Bob Grey und Martin Correa lachten.
„So ist es“, erwiderte der Gambianeger. „Und er benutzt Arkana dabei als Ersatz für den Wikinger.“
„Nicht gerade sehr schmeichelhaft“, sagte die Schlangenpriesterin lächelnd, „mich mit dem Riesenkerl aus dem Norden zu vergleichen.“
Der Stör verzog erschrocken das lange Gesicht.
„Aber das habe ich doch gar nicht getan“, sagte er bedrückt. „Ich wollte doch nicht – ich meine, ich habe doch nicht …“
Arkana trat auf ihn zu und klopfte ihm auf die Schulter.
„Denk nicht darüber nach, mein Freund. Ich bin nicht Thorfin Njal, und mich stört es nicht im geringsten, wenn jemand meine Worte wiederholt. Im Gegenteil. Ich finde es sogar schön, wenn ich einen so guten Eindruck bei jemandem erwecke, daß er nachspricht, was ich sage.“
Der Stör sperrte den Mund auf, und seine Augen wurden groß und rund.
„Ist das wahr?“ hauchte er staunend.
Arkana fand keine Gelegenheit mehr, ihm zu antworten.
Das Krachen eines Schusses hallte von der Bucht her durch das Dickicht. Sekunden später folgte ein weiterer, wesentlich dünner klingender Schuß.
Die Schlangenpriesterin und die fünf Männer standen wie erstarrt.
„Waren da nicht eben Stimmen?“ flüsterte Arkana.
Batuti zog die Schultern hoch. Die anderen horchten angestrengt.
Doch es blieb still.
„Das kann nichts Gutes bedeuten“, sagte Jack Finnegan, und keiner widersprach.
„Wir müssen sofort nach dem Rechten sehen“, entschied die Schlangenpriesterin. „Wir lassen alles stehen und liegen, was wir bisher gesammelt haben. Wir können es später immer noch abholen.“ Für die Dauer der Wurzelsuche hatte sie das Kommando übernommen, und so war es für die Männer nur selbstverständlich, auch jetzt ihren Anweisungen zu folgen.
Auf einer kleinen Lichtung, die nur wenige Schritte entfernt war, stellten sie die Flechtkörbe zusammen. Sie hatten bereits einen beträchtlichen Vorrat an Heilwurzeln zusammengetragen. Unter Arkanas Anleitung hatten die Männer schnell gelernt, wie die unscheinbaren Pflanzen aussahen, die sie mit dem Entermesser vorsichtig aus dem Boden heben mußten, damit die Wurzeln unbeschädigt blieben.
Jetzt aber galt es, nachzusehen, ob sich bei der „Empress“ Verdruß zusammengebraut hatte.
Arkana und Batuti übernahmen die Führung. Sie benutzten den Weg durch das Dickicht, den sie sich von der Bucht her freigeschlagen hatten. Nur noch gelegentlich mußte der Gambianeger sein Entermesser als Machete einsetzen, um herabhängende Schlingpflanzen zu beseitigen.
Mit jeder Minute wuchs die Besorgnis der kleinen Gruppe. Nach den beiden Schüssen waren keine weiteren Geräusche herübergeweht. Daß das nichts Gutes bedeuten konnte, war allen klar. Ebenso eindeutig war auch, daß es sich bei dem ersten Schuß um eine der Drehbassen gehandelt haben mußte. Old Donegal war also in Bedrängnis geraten. Eine andere Erklärung gab es nicht. Und diese Schlußfolgerung spannte ihre Nerven zum Äußersten an.
„Verdammter Dschungel“, fluchte Martin Correa, womit er allen aus der Seele sprach. Denn trotz des vorgebahnten Weges gelangten sie nur langsam voran. Die Minuten dehnten sich zu Ewigkeiten.
So hatten sie das Gefühl, stundenlang unterwegs gewesen zu sein, als endlich helleres Licht durch die Baumreihen schimmerte. Doch sie hatten von ihrer Sammelstelle bis zum Rand der Bucht nicht mehr als zehn Minuten gebraucht.
Vorsichtig, langsamer jetzt, pirschten sie auf die Uferzone zu. Deutlicher wurde nun auch das Heulen und Orgeln der Böen. Der Sturm tobte noch immer, im Dschungel war sein Wüten weniger auffallend gewesen.
Arkana und Batuti verständigten sich mit einem Blick. Der Gambianeger gab Bob Grey und den anderen ein Handzeichen, in sicherer Deckung zurückzubleiben. Dann drang er gemeinsam mit der Schlangenpriesterin weiter vor. Beide hatten gelernt, sich auch im dichtesten Unterholz so geräuschlos und geschickt zu bewegen, daß selbst aus geringer Entfernung nichts zu erkennen war. Die letzten Yards legten sie kriechend zurück, die Pflanzen, unter denen sie voranglitten, bewegten sich um keinen Deut.
Nach Minuten hatten sie freies Blickfeld.
Was sich auf der „Empress“ abspielte, ging nicht mit rechten Dingen zu. Freiwillig war Old Donegal jedenfalls nicht bewußtlos geworden, und freiwillig hatte er sich auch nicht fesseln lassen. Die fremden Kerle, die ihn über das Hauptdeck schleppten, hatten offenbar vor, ihn im Vorschiff unterzubringen. Also war er noch am Leben. Immerhin. Ein schwacher Trost jedoch.
„Sieht so aus, als ob es Soldaten sind“, flüsterte die Schlangenpriesterin. „Spanier, nicht wahr?“
„Ehemalige Soldaten“, verbesserte Batuti mit einem wilden Grinsen. „Das erkennt man schon an ihrer unvollständigen und unterschiedlichen Kleidung. Außerdem würden sie nicht mit einer Schaluppe unterwegs sein, wenn sie sich noch im Dienst befänden.“
Arkana nickte verstehend. Auch sie hatte inzwischen den ramponierten Einmaster entdeckt, der Steuerbord querab der Karavelle des alten O’Flynn lag. Außerdem war ein kleines Beiboot am Heck der „Empress“ vertäut. Sie konnten sich leicht zusammenreimen, was geschehen war.
„Also Fahnenflüchtige“, sagte Arkana. „Und Old Donegals Dreimaster ist genau das Richtige für sie, damit sie ihre Flucht fortsetzen können.“
„Sieh mal da drüben“, flüsterte Batuti und deutete mit einer Kopfbewegung zur Landzunge vor der „Empress“.
Zwei Gestalten lagen dort reglos am Ufer. Ihre Körper waren verkrümmt, die Kleidung blutgetränkt. Augenscheinlich waren sie tot.
Drei andere Kerle waren aus dem Ufergestrüpp aufgetaucht. Einer von ihnen watete ins seichte Wasser und fischte das zerschossene Ende der Vorleine heraus. Gemeinsam knotete sie die Enden wieder zusammen und legten die Leine um den Baum.
Die Schlußfolgerung lag auf der Hand: Wegen des Sturms wollten sie mit der gekaperten „Empress“ nicht sofort verschwinden.
Doch noch etwas anderes wurde Arkana und Batuti mit schmerzhafter Deutlichkeit bewußt: Wenn sie den Dreimaster verloren, bedeutete das für Gotlinde tödliche Gefahr.
Deshalb drängte die Zeit. Buchstäblich jede einzelne Minute war kostbar.
„Acht Kerle insgesamt“, sagte Arkana. „Wir sind sechs. So ungünstig ist das Verhältnis gar nicht.“
„Sechs?“ entgegnete Batuti erstaunt. „Du zählst dich doch nicht etwa mit?“
„Warum denn nicht?“ Arkanas Augen blitzten zornig. „Für was hältst du mich? Für eine schlechte Kämpferin? Oder für ein schwaches Weib?“
„Für eine Frau“, sagte der Gambianeger spontan. „Eine Frau, die sich aus einer gefährlichen Männersache möglichst heraushalten sollte.“
„Das laß nur meine Sorge sein. Es geht um Gotlinde. Ich denke nicht daran, die Hände in den Schoß zu legen. Wenn es sein muß, kämpfe ich für ihr Leben genauso wie ihr harten Männer.“ Die letzten beiden Worte sprach sie mit einem unüberhörbaren Hauch von Spott aus.
Batuti grinste, antwortete aber nicht. Er ließ sich die Dinge durch den Kopf gehen, die jetzt zählten. Arkana hatte zwar recht – zahlenmäßig war das Verhältnis nicht einmal schlecht. Aber die „Empress“, war rundum mit Drehbassen bestückt. Zweifellos das Werk Old Donegals, der vergeblich versucht hatte, sich zu verteidigen. Wenn die Deserteure die schwenkbaren Geschütze einsetzten, waren sie klar in der Übermacht.
Arkana und ihre fünf Begleiter hatten indessen nur Pistolen und Entermesser mit an Land genommen. Das Beiboot, das noch unter den Mangroven am Ufer versteckt lag, war zwar von den Spaniern nicht entdeckt worden. Aber damit anzugreifen, war heller Wahnsinn. Sie würden sich wie auf dem Präsentierteller befinden und weggeputzt werden, bevor sie sich der „Empress“ nähern konnten.
Während Batuti noch angestrengt über eine Taktik nachdachte, wehten unvermittelt lautere Wortfetzen von der „Empress“ herüber.
„… immer ich! Ausgerechnet … reine Schikane!“ schrie einer der Kerle aufgebracht.
„Kann ich genauso sagen“, ertönte eine andere Stimme. „Ich seh auch nicht ein, warum ich schon wieder an der Reihe sein soll.“
Der Wind trug die Worte jetzt deutlicher herüber.
„Wenn wir sowieso warten, bis der Sturm vorbei ist, können wir die Klamotten auch später holen.“
„Verdammt noch mal, seid ihr nicht bei Trost?“ dröhnte eine tiefere Stimme. „Ich habe angeordnet, daß unsere Sachen von der Schaluppe an Bord dieses hübschen Kahns gebracht werden! Ist das so schwer zu kapieren, oder spreche ich zu undeutlich?“
„Spiel dich nicht auf, Sargento!“ schrie einer der anderen zurück. „Hier haben wir auch ein Wörtchen mitzureden.“
„Die Befehle erteile immer noch ich!“ brüllte der Anführer erbost. „Einer muß das Sagen haben, sonst sind wir verraten und verkauft. Mit einem Sauhaufen, wie ihr es seid, geht’s beim besten Willen nicht ohne Disziplin.“
„Der Sargento hat recht!“ rief ein anderer. „Wir waren uns einig, und wir haben darüber abgestimmt.“
„Aber wir stehen hier nicht mehr im Dienst der Krone“, widersprach der, der gern ein Wörtchen mitreden wollte. „Da kann’s also ruhig ein bißchen lockerer zugehen.“
„Du kannst locker was aufs Maul kriegen!“ polterte der Sargento los. „Verflucht noch mal, ich will jetzt, daß die Sachen rübergeholt werden. Wenn ihr nicht spurt …“
Batuti hörte nicht mehr hin. Jäh erkannte er die Chance, die sich ihnen bot. Er wandte sich um und erblickte die anderen, die aus dem Unterholz lugten.
Auf den Wink des Gambianegers kroch Jack Finnegan lautlos heran.
„Wir sehen uns die Schaluppe etwas näher an“, sagte Batuti leise. „Eine bessere Gelegenheit kriegen wir so schnell nicht.“
„Einverstanden“, flüsterte Arkana.
Die beiden Männer ließen ihre Pistolen bei der Schlangenpriesterin zurück. Der schwarze Herkules tauchte als erster in das kabbelige Uferwasser. Jack Finnegan folgte ihm mit Sekundenabstand, gleich darauf waren die beiden nicht mehr zu sehen.
Ein hartes Lächeln umspielte die Mundwinkel der Schlangenpriesterin. An Bord der Schaluppe stritten die Spanier noch immer darüber, wer es nun übernehmen sollte, mit dem Beiboot zur Schaluppe zu pullen. Das Palaver, das aus ihrer Faulheit entstanden war, schien sich endlos auszudehnen. Batuti und Jack Finnegan hatten eine gute Chance, es rechtzeitig zu schaffen. Dann stand dem Erfolg ihrer Aktion kaum noch etwas im Weg.
Wer auch immer die Schaluppe im Verlauf der nächsten Minuten betrat, er würde im Handumdrehen ausgeschaltet werden. Damit war die Kampfkraft der acht Kerle auch schon beträchtlich vermindert.
Ein leises Rascheln näherte sich der Schlangenpriesterin. Erstaunt wandte sie den Kopf und blickte in das lange Gesicht des Störs. Seine großen, immer noch betrübten Augen, sahen sie fragend an. Er bewegte zwar die Lippen, doch kein Wort war dabei zu hören.
„Was hast du auf dem Herzen?“ fragte Arkana leise.
Er räusperte sich hinter vorgehaltener Hand.
„Wenn du einverstanden bist“, flüsterte er, „würde ich mir gern die drei Halunken auf der Landzunge vornehmen.“ Mit einer Handbewegung deutete er zu der Stelle, wo die Spanier immer noch damit beschäftigt waren, die zusammengeknotete Leine am Baum festzuzurren.
Arkana überlegte nicht lange.
„Dann beweg dich schon“, sagte sie halblaut. „Je schneller du sie erwischst, desto besser.“
Der Stör strahlte plötzlich. Seit er an Bord der „Empress“ war, hatte er nicht mehr so froh ausgesehen wie in diesem Moment.
„Bin schon unterwegs“, hauchte er, vergewisserte sich, daß seine Pistole fest im Gurt steckte und robbte los.
Arkana verstand nur zu gut, was in seinem Kopf vor sich ging. Die Selbstvorwürfe nagten mit unvermindertem Schmerz am Gleichgewicht seines Seelenlebens. Der Tatendrang, mit dem er sein Gewissen entlasten wollte, war einfach übermächtig.
Er brauchte die Genugtuung, etwas zur Rettung Gotlindes beigetragen zu haben – mehr, als nur die Decksarbeit auf der „Empress“ zu verrichten. Nein, er wollte einen aktiven Beitrag leisten, durch den er sich bei Thorfin Njal in ein besseres Licht rücken konnte.
Deshalb, und nur deshalb, hatte Arkana nicht widersprochen. Sie wußte sehr wohl, daß der Stör jegliche Hilfe kategorisch abgelehnt hätte. Er wollte den Erfolg für sich allein. Nur dadurch, so hoffte er, würde Thorfin ihm wieder gnädiger gesonnen sein.
Arkana beschloß, dennoch ein wachsames Auge auf das Geschehen auf der Landzunge zu werfen. Sie fühlte sich verantwortlich, da sie wegen der Wurzelsuche die Führung übernommen hatte.
8.
Es war ein Klang wie von Hammerschlägen gegen einen großen gußeisernen Kessel. Unablässig dröhnte es mit nicht endendem Nachhall, und jeder dieser Schläge wurde von einem stechenden Schmerz begleitet.
Der alte O’Flynn brauchte eine Weile, bis er begriff, daß dies die Begleitumstände seines Erwachens waren.
Mit unendlicher Mühe gelang es ihm, die Augenlider zu öffnen. Doch nichts änderte sich. Nach wie vor war er von schwärzester Finsternis umgeben. Nur das Dröhnen in seinem Schädel ließ ein wenig nach, wenn auch die Schmerzen unverändert blieben.
Schlagartig setzte seine Erinnerung wieder ein.
Die verfluchten Kerle, die die „Empress“ gekapert hatten. Sein vergeblicher Versuch, das Schiff zu verteidigen. Das Hohngelächter der Hundesöhne, als sie ihn mit den Riemenblättern niedergeknüppelt hatten. Alles zusammen reichte, um kochende Wut in ihm aufsteigen zu lassen.
Er verspürte den Geruch von Tauwerk. Also hatten sie ihn ins Kabelgatt gesperrt. Daher auch die Dunkelheit. Alles wurde nach und nach erklärlich. Nur die Frage nicht, wie es den Mistkerlen gelungen war, ihn zu überrumpeln. Er war versucht, sich selbst in den Hintern zu treten, wenn das nur möglich gewesen wäre.
Erst in diesem Moment wurde ihm bewußt, daß er sich nicht rühren konnte.
Sie hatten ihn gefesselt.
Eine neue Woge der Wut brandete durch sein eben erwachtes Bewußtsein. Er lag auf der Seite. Vergeblich zerrte er an den Stricken, die seine Handgelenke umschlossen. Sie hatten ihm die Arme auf den Rücken gebunden, und sie hatten ganze Arbeit geleistet. Auch sein gesundes linkes Bein und die Prothese hatten sie zusammengeschnürt.
Nur einen Knebel hatten sie ihm nicht in den Mund gestopft. Old Donegal war versucht, ein erbittertes Lachen auszustoßen. Darauf, ihn zum Schweigen zu bringen, konnten sie sehr wohl verzichten. Erstens würde ihn kaum jemand hören, wenn er im Kabelgatt Gebrüll anstimmte. Und zweitens hatten sie ohnehin alle Vorteile auf ihrer Seite.
Denn selbst wenn Arkana und die anderen irgendwann mit ihrer Suche fertig waren und am Ufer auftauchten, würden sie doch herzlich wenig ausrichten. Old Donegal verfluchte sich selbst dafür, daß er sämtliche Drehbassen geladen hatte. Arkana und die fünf Männer waren dagegen mit ihren Pistolen hoffnungslos unterbewaffnet.
Unvermittelt waren Stimmen zu hören.
Minutenlang horchte der alte O’Flynn auf den rauhen Wortwechsel, der sich mehr und mehr zum Gebrüll steigerte. Er hörte heraus, daß sie sich darüber stritten, wer zur Schaluppe hinüberpullen sollte.
Aber ein anderer Umstand war von entscheidender Bedeutung: Die Halunken befanden sich achtern. Also war er vorerst ungestört. Und wenn sie wirklich die Idee hatten, sich auf das Vorschiff zu begeben, dann würde er durch ihre Schritte rechtzeitig gewarnt werden.
Er atmete tief durch. Dann schob er sich behutsam rückwärts über die Planken, indem er sich abwechselnd krümmte und wieder streckte. Als er mit dem Kopf gegen eine Taurolle stieß, hielt er inne. Der schwierigere Teil der Arbeit begann.
Erneut verstärkte sich das Dröhnen und Stechen in seinem Schädel, denn die Kraftanstrengung, mit der er sich jetzt an der Taurolle hochschob, war fast zuviel. Einen Moment hatte er das Gefühl, wieder das Bewußtsein zu verlieren. Feurige Ringe begannen vor seinen Augen zu tanzen, und die aufwallende Schwärze war tiefer und intensiver als die Dunkelheit des Kabelgatts.
Aber er bezwang die drohende Ohnmacht. Und er schaffte es, sich an der Kabelrolle halb aufzurichten, so daß er sich im Sitzen krümmen konnte.
Natürlich hatten ihm die Strolche den Cutlass abgenommen. Aber zu mehr waren sie mit ihrem beschränkten Verstand gottlob nicht fähig gewesen. Denn daran, daß es die Beinprothese des alten O’Flynn im wahrsten Sinne des Wortes in sich hatte, hatten sie nicht gedacht. Bei oberflächlichem Betrachten war dies ohnehin nicht zu erkennen. Man mußte schon sehr genau hinsehen, um das Geheimfach zu entdecken, das in den Schaft der Prothese eingearbeitet war.
Ferris Tucker hatte dieses Meisterwerk vollbracht, und Old Donegal hätte ihn in diesem Augenblick wieder einmal dafür umarmen können.
So weit es nur ging, zog er das gesunde Bein und die daran festgeschnürte Prothese an die Oberschenkel heran. Zum Glück konnte er die Finger bewegen, und er hatte einen Freudenschrei ausstoßen mögen, als er den Schaft der Prothese mit den Fingerspitzen ertastete.
Jetzt war es fast ein Kinderspiel, die Einkerbung zu finden und die Abdeckung des Geheimfachs herauszuheben. Als das lange Holzstück sich löste, hielt er es sorgsam fest und ließ es sacht zu Boden gleiten. Er hatte nicht vor, die Kerle durch ein unbeabsichtigtes Geräusch zu alarmieren.
Die schwierigere Aufgabe stand jedoch noch bevor.
Bevor er sich mit den Handfesseln befassen konnte, brauchte er etwas mehr Beweglichkeit. Deshalb packte er das Stilett, das in dem Hohlraum verborgen war, mit den Fingern. Es gelang ihm, die rasiermesserscharfe Klinge an die Seilwindungen der Fußfesseln heranzubringen. Wenige Schnitte mit leichtem Druck genügten, und die Fesseln fielen ab.
Aufatmend streckte Old Donegal das linke Bein aus.
Ohne viel Zeit zu verlieren, ließ er sich von der Taurolle auf die Planken gleiten und legte sich auf die Seite. Behutsam drehte er den Messergriff in den Fingern, bis die lange Klinge nach oben zeigte. Es geriet zu einem schweißtreibenden Bemühen, den scharfen Stahl zwischen den Handgelenken unter die Fesseln zu schieben. Und es ließ sich auch nicht vermeiden, daß er seine Haut dabei an mehreren Stellen ankratzte.
Er biß die Zähne zusammen und begann, die Klinge auf und ab zu bewegen. Naturgemäß konnte er hierbei viel weniger Druck anwenden als bei den Fußfesseln, und so dauerte es entsprechend länger. Dann jedoch, nach endlosen Minuten, spürte er, wie die erste Hanffaser zerplatzte. Weitere folgten, und schließlich ging es Schlag auf Schlag. Prickelnd und stechend setzte seine Blutzirkulation wieder ein, als die zertrennten Stricke wegfielen.
Old Donegal atmete tief durch und richtete sich halb auf. Als erstes verstaute er das Stilett wieder im Hohlraum, den er mit der Holzabdeckung verschloß. Dann horchte er.
Die Kerle befanden sich noch immer auf dem Achterdeck, hatten ihr Palaver aber beileibe noch nicht abgeschlossen.
„So eine verdammte Schufterei!“ rief einer. „Ausgerechnet jetzt, bei diesem Sturm. Können wir nicht wenigstens warten, bis das Wetter sich beruhigt hat?“
„Faule Ausreden“, entgegnete der Sargento Wütend. „Die Schaluppe wird abgewrackt und damit basta. Sturm oder nicht Sturm, ich will, daß wir so schnell wie möglich seeklar sind. Ich habe nämlich das Gefühl, daß hier noch einiges im Busch ist.“
Worauf du dich verlassen kannst, dachte Old Donegal und grinste sich eins. Er bemerkte jetzt, daß ein dünner Lichtstreifen durch das Schott zum Mitteldeck hereinfiel. Anscheinend war das Schott nur angelehnt. Einen größeren Gefallen hatten ihm die Strolche nicht tun können.
„Was meinst du denn damit?“ erkundigte sich einer der Kerle in einfältigem Tonfall.
Die Halunken waren faul wie die Sünde, folgerte Old Donegal. Sie taten alles nur Erdenkliche, um ihren Anführer im Gespräch hinzuhalten – alles, um die Arbeit an Bord des zerrupften Einmasters so lange wie möglich hinauszuschieben.
„Ja, seid ihr denn von gestern?“ rief der Sargento dröhnend. „Glaubt ihr im Ernst, daß der alte Knacker dieses hübsche Schiffchen allein führt? Seine Leute müssen an Land sein. Egal, was sie da treiben, wir können nur hoffen, daß der Sturm abflaut, bevor sie zurück sind.“
„Die schießen wir doch in Stücke“, sagte einer der Kerle im Brustton der Überzeugung. „Mit all den Drehbassen haben wir hier eine richtige kleine Festung.“
Leider wahr, dachte Old Donegal grimmig. Er hörte nicht weiter hin, richtete sich vorsichtig ganz auf und tastete sich geräuschlos durch die Enge des Kabelgatts. Zum Glück hatten sich die Galgenstricke nicht die Mühe bereitet, genauer nach dem Rechten zu sehen. Daher wußten sie auch nicht, daß das Kabelgatt gleichzeitig als Reserve-Waffenkammer diente.
In einer Ecke, hinter Taurollen verborgen, stieß er tastend auf die Halterung mit den Musketen und anderen Langwaffen. Er entschied sich für einen Blunderbuss, den er vorsichtig aus der Arretierung löste. Schwarzpulver und gehacktes Blei füllte er behutsam in den trichterförmigen Lauf und benutzte den schweren Ladestock, um die Ladung zu sichern. Mit Daumen und Zeigefinger überzeugte er sich, daß das Steinschloß in Ordnung war. Der Flint war bombenfest in den Hahn gespannt, der Reibstahl knochentrocken, wie es für einen einwandfreien Zündvorgang unerläßlich war.
Mit der geladenen Waffe schlich Old Donegal zum angelehnten Schott. Das Palaver der Kerle tönte noch immer über das Mitteldeck. Eine beruhigende Tatsache. Solange sie nichts unternehmen, arbeitete die Zeit gegen sie. Denn irgendwann mußten ja auch Arkana, Batuti und die anderen mit der Wurzelsuche fertig sein. Wahrscheinlich, so überlegte der alte O’Flynn, hatten sie aber auch den Drehbassenschuß gehört, wenn sie nicht ganz taub waren. Er spürte es an einem deutlichen Kribbeln in seinem Holzbein, daß sich die Dinge sehr bald entscheidend ändern würden.
Er erreichte das Schott, verharrte und horchte angestrengt. Geduld war jetzt am Platze.
Nach etlichen Minuten gelangten die Halunken endlich zu einer Einigung. Der Sargento konnte sich durchsetzen. Zwei von ihnen erhielten Order, zur Schaluppe hinüberzupullen und zunächst ihre Habseligkeiten zu holen. Danach sollten sie Verstärkung erhalten, damit auch Leinen, Trossen, Segeltuch und andere Ausrüstung geborgen werden konnten. Zum Schluß sollte die Schaluppe angebohrt und auf Grund gesetzt werden.
Die Deserteure waren bestrebt, ihre Spuren zu verwischen.
Old Donegal packte den Blunderbuss fest mit beiden Fäusten. Den Geräuschen nach begaben sich die beiden Spanier jetzt ins Beiboot. Nur noch drei befanden sich folglich an Bord der „Empress“.
Wenn sie günstig auf dem Achterdeck standen, war es keine Schwierigkeit, sie mit dem Blunderbuss abzuräumen.
Harte Furchen bildeten sich in Old O’Flynns Mundwinkeln. Er war entschlossen, sein Schiff zurückzuerobern. Diesen Bastarden sollte es nicht gelingen, sich die „Empress of Sea“ unter den Nagel zu reißen. Noch viel weniger sollten sie es schaffen, Gotlindes Leben in ernsthafte Gefahr zu bringen.
Batuti tauchte als erster an der Steuerbordseite der Schaluppe auf. Wassertretend verharrte er und bewegte den Kopf ruckartig nach beiden Seiten, um sich das Wasser aus den Augen zu schütteln. Im nächsten Moment war Jack Finnegan auch schon neben ihm.
Der Engländer grinste kampflustig.
Batuti nickte und entblößte sein perlweißes Gebiß. Er hob die Rechte aus dem kabbeligen Wasser und stieß den Daumen senkrecht hoch. Es war das Zeichen.
Ohne zu zögern, enterte der herkulische Gambianeger als erster auf. Mit kraftvollem Ruck zog er sich hoch, packte das Schanzkleid und rollte sich flach hinüber. Indem er sich mit den Händen abstützte, landete er lautlos auf den Planken. Jack Finnegan folgte ihm wenige Sekunden später auf die gleiche Weise.
Atemlos verharrten die beiden Männer auf dem Mitteldeck des verwahrlosten Einmasters. Keine einzige Leine war ordnungsgemäß aufgeschossen. Reserve-Segeltuch lag in wirrem Durcheinander vor dem Mastfuß. Und es gab eine Reihe von Sturmschäden. Keiner der Kerle hatte sich dazu aufgeschwungen, auch nur einen Handschlag zu tun, um die Schäden auszubessern. Die beiden Männer dachten mit Entsetzen daran, wie die „Empress“ aussehen würde, wenn sie längere Zeit von diesen Faulpelzen mit Beschlag belegt worden war.
Unvermittelt waren durch das Heulen der Sturmböen eindeutige Geräusche zu hören.
Das Klatschen von Riemenschlägen.
Batuti und Jack Finnegan wechselten einen Blick. Die Rechnung des schwarzen Herkules ging auf. Die Spanier hatten sich endlich entschieden, ihre Sachen von der Schaluppe zu bergen.
Sehr eilig hatten sie es damit nicht. Der Takt der Riemenschläge war träge und widerwillig.
Die beiden Männer verloren keine Zeit. Lautlos robbten sie bis zur Backbord-Verschanzung und warteten.
Es dauerte noch etliche Minuten.
Dann schließlich stieß das Beiboot mit dumpfem Laut gegen die Außenbeplankung.
„Du zuerst“, sagte einer der Spanier.
„Damit du hier im Boot hockst und ich die ganze Arbeit erledige?“ empörte sich der andere.
„Quatsch nicht! Ich werfe dir den Tampen zu, du sicherst die Nußschale, und schon bin ich bei dir. Du wirst dich schon nicht überanstrengen, Amigo.“ Ein meckerndes Lachen folgte.
Batuti sah zu Jack Finnegan hinüber. Ein Blick genügte zur Verständigung. Sie wußten jetzt, daß sie es nur mit zwei Gegnern zu tun hatten.
Der Gambianeger zog sein Entermesser und spannte die Muskeln.
Schabende Geräusche waren zu hören, als der erste Spanier aufenterte. Seine Hände erschienen auf dem Schanzkleid, im nächsten Moment mit Schwung sein Oberkörper. Durch seine Ungeschicklichkeit drohte er das Gleichgewicht zu verlieren und vornüber auf die Decksplanken zu kippen.
Batuti ließ ihm keine Zeit, seine Balance wiederzufinden.
Der Spanier fiel in das Entermesser des Gambianegers, der sich nur halb aufgerichtet hatte und zum tödlichen Stoß ausholte. Ohne einen Laut von sich zu geben, sackte der Deserteur in sich zusammen. Batuti fing ihn rechtzeitig auf und bettete ihn vorsichtig auf die Planken. Der Mann war bereits tot.
„He, Jorge, wo bleibst du?“ ertönte es aus der Jolle. „Was ist los?“
Jack Finnegan, der gleichfalls sein Entermesser gezogen hatte, sah Batuti fragend an. Sollten sie auf Spanisch antworten, um den Mann in Sicherheit zu wiegen? Aber aus dieser unmittelbaren Nähe würde er den ungewohnten Klang der Stimme zweifellos bemerken.
Während sie noch zögerten, wurden sie einer Entscheidung enthoben.
Fluchend entschied sich der zweite Kerl, nach dem Rechten zu sehen. Wieder erschienen Hände auf dem Schanzkleid. Als der Oberkörper des Mannes auftauchte, federte Jack Finnegan bereits hoch.
Entsetzt riß der Spanier die Augen auf. Er sah seinen leblosen Kumpan, und er sah die mächtige Klinge, die auf ihn zuraste. Der eigene Schwung trieb ihn vorwärts. Er konnte nicht mehr zurück.
Sein Gesicht verzerrte sich in Todesangst, weit öffnete sich sein Mund, und der gellende Schrei drang tief aus seiner Kehle.
Erst einen Atemzug später brachte ihn das Messer Jack Finnegans zum Verstummen.