Kitabı oku: «Seewölfe Paket 20», sayfa 19

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Sie stürmten aus dem Laderaum zum nächsten Niedergang, Vitaliano und Rosaria allen voran. Sie hatten Pistolen, und kaum langten sie auf der Kuhl an, feuerten sie die Waffen ab. An Bord war der Teufel los, es gab Tote und Verletzte.

3.

Ramón Vega Venteja hatte sich langsam von seinem Platz in der Ecke des großen Frachtraumes der „Almeria“ erhoben. Sabina und Pablito waren endlich eingeschlafen. Es war ihm gelungen, ihnen auf einem Stapel fest verzurrter Kisten ein provisorisches und trockenes Lager einzurichten.

Durch das Leckwasser schritt Ramón auf Marcela Buarcos zu. Er war fest entschlossen, ihrem Vorhaben Einhalt zu gebieten. Was sie plante, war ihm klar: Sie wollte Unfrieden und Zwietracht säen und eine Meuterei vom Zaun brechen. Das mußte verhindert werden, um jeden Preis. Ramón wollte nicht, daß seine Kinder den Galgenstricken in die Hände fielen, die sich auf diesem Schiff befanden. Er war aber auch um die Mitreisenden besorgt, von denen die meisten immer noch nicht begriffen hatten, was hier seinen Lauf nahm.

Marcela verhöhnte das Lenzkommando.

„Narren!“ rief sie ihnen zu. „Ihr könnt euch kaum noch auf den Beinen halten! Wann schlaft ihr endlich? Nie? Das will der Kapitän ja – daß ihr tot umfallt! Wenn, wir Kuba erreicht haben, braucht er euch nicht mehr! Er müßte euch sowieso irgendwie loswerden!“

„Sei still“, sagte der Anführer des kleinen Trupps, ein in Ehren ergrauter Seemann. „Du weißt offenbar nicht, was du redest. Das Wasser muß abgepumpt werden. Wir tun das für euch, will dir das nicht in den Kopf?“

„Ich wüßte eine bessere Beschäftigung“, sagte sie und bewegte aufreizend ihre Hüften.

„Zum Beispiel?“ fragte einer der Kerle an der Pumpe grinsend.

Er gehörte zu den Kerlen, die in Cadiz im Gefängnis gesessen hatten – und bei ihm waren zwei andere Galgenstricke. Somit bestand das Kommando aus vier Männern. Der alte Seemann ahnte schon, was sich anbahnte, aber er versuchte, etwas dagegen zu tun.

„Los“, sagte er. „An die Arbeit. Wenn der Kapitän erfährt, daß wir hier herumlungern, gibt es Ärger.“

„Ich warte noch auf eine Antwort“, sagte der Kerl an der Pumpe.

„Komm mit nach nebenan, dann erkläre ich dir, was ich meine“, sagte Marcela.

„Aha“, sagte der zweite Galgenstrick. „Wie wär’s, wenn ich auch mitgehe? Und mein Kumpel hier würde auch ganz gern erfahren, was man auf diesem Scheißkahn noch alles anstellen kann. Wir scheinen ja bislang ganz schön blöd gewesen zu sein.“

„Das wollte ich euch gerade erklären“, sagte sie. „Also los, meinetwegen, ich bin bereit, euch alle drei zu bedienen.“

Der Seemann trat zwischen sie und die Kerle.

„Seid ihr wahnsinnig?“ stieß er hervor. „Dafür läßt der Kapitän euch auspeitschen!“

„Und ihr habt kein Schamgefühl“, sagte Ramón, der Marcela in diesem Moment erreicht hatte. „Ihr seid wie die Tiere. Es sind Frauen und Kinder an Bord. Vor allem die Kinder solltet ihr achten. Was seid ihr bloß für ein erbärmliches Pack.“

„Halt du dich raus“, sagte Marcela. „Du hast hier gar nichts zu melden.“

Trotzdem packte Ramón sie an der Schulter und zog sie zu sich zurück.

„Jetzt ist Schluß“, sagte er. „Was du hier treibst, ist eine Schande.“

„Laß sie los!“ fuhr der Kerl an der Pumpe ihn an.

„Du tust mir weh!“ schrie Marcela.

„Aufhören!“ rief der Seemann und griff zur Pistole.

In diesem Moment ertönten die Schuß- und Kampfgeräusche von Bord der „San Sebastian“. Alle horchten auf, die Köpfe ruckten herum, einige stürzten zu den Luken, um ins Freie zu blicken. Auch auf dem Oberdeck der „Almeria“ wurde es lebendig. Schritte trappelten auf und ab, Befehle und fragende Rufe erklangen.

„Hört ihr das?“ schrie Marcela. „Die da drüben sind nicht so dumm wie wir! Die haben bereits angefangen!“

„Mit was?“ stieß einer der Siedler entsetzt hervor.

„Mit der Meuterei!“ schrie der Kerl an der Pumpe und streckte den Seemann mit einem einzigen Hieb nieder.

Er entriß ihm die Miqueletschloß-Pistole, spannte den Hahn und zielte auf Ramón, der in einem jähen Wutausbruch Marcela eine schallende Ohrfeige verpaßte. Marcela kreischte und stürzte. Der Kerl mit der Pistole feuerte über sie hinweg, donnernd hallte das Schußecho von den Schiffswänden wider.

Siedendheiß bohrte sich die rotgelbe Stichflamme in Ramóns Brust. Er wurde zurückgeworfen, stolperte über eine Kiste und fiel auf die Planken. Die Frauen und Kinder schrien vor Angst und Panik. Auch Sabina und Pablito fuhren von ihrem Lager hoch, sahen ihren blutenden Vater und stießen schrille, entsetzte Schreie aus.

Der Kerl ließ die schmauchende Pistole fallen, half Marcela auf die Beine und rief: „Los, nichts wie weg hier!“

„Ja!“ brüllte einer seiner Kumpane. „Zeigen wir es dieser aufgeblasenen Achterdecksbande! Auf zum Kampf!“

Sie stürmten quer durch den Laderaum zum Schott, rissen es auf und hasteten durch den im Halbdunkel liegenden Schiffsgang zum nächsten Niedergang. Ihre Schritte polterten auf den Stufen, durch Rufe verständigten sie sich mit anderen Passagieren, die sich ihnen spontan anschlossen.

Sabina wankte mit kreideweißem Gesicht zu ihrem Vater und ließ sich neben ihm auf die Knie sinken.

„Santa Maria“, stammelte sie fassungslos.

Juan Alentejo, der Kapitän, stand zu diesem Zeitpunkt längst auf dem Achterdeck der „Almeria“ und verfolgte durch sein Spektiv, was an Bord der „San Sebastian“ vor sich ging. Als in den unteren Räumen seines Schiffes der Tumult begann und der Pistolenschuß krachte, wußte er, daß sich auch hier die offene Auseinandersetzung nicht mehr vermeiden ließ.

„Aufpassen!“ rief er seinen Leuten zu. „Das ist eine Meuterei! Haltet die Waffen bereit!“

Fast schien es, als hätten sich die Galgenvögel von der „San Sebastian“ durch eine geheime Absprache mit den Meuterern der „Almeria“ verständigt. Das Backbordschott des Vorkastells flog auf und knallte gegen die Querwand. Die Meute, von Marcela Buarcos geführt, stürmte auf die Kuhl. Zwei, drei Seeleute, die verdutzt zu ihnen herumfuhren, wurden durch Hiebe gefällt. Marcela und ihre Spießgesellen entrissen ihnen die, Waffen. Dann begann der Sturm auf das Achterdeck.

Fierro war nach wie vor darauf aus, Kapitän Gomez Rascón zu erreichen. Wild schlug er mit seiner Zimmermannsaxt nach allen Seiten um sich und hatte schon drei Männer schwer verletzt. Aber die Zahl der Gegner war groß, und je mehr Blut floß, desto erbitterter wurde ihr Widerstand. Da erfolgte die Verstärkung – Vitaliano, Rosaria und die anderen Glücksritter aus dem Laderaum – wie gerufen.

Schüsse krachten, Männer stürzten, Schreie und Flüche tönten über das Hauptdeck der „San Sebastian“. Vitaliano und sein kleiner Trupp drangen bis zu Fierros Meute vor, und es bildete sich eine geballte, wehrhafte Einheit.

Aber Rascón hatte unterdessen Musketen und Tromblons verteilen lassen. Er selbst kniete vor der Querwand des Achterkastells und legte mit einer Muskete auf die Meuterer an.

„Zurück!“ brüllte er noch einmal. „Ihr habt keine Chance! Ergebt euch!“

„Aufs Achterdeck!“ schrie Fierro und versuchte, einen Keil in die Masse der Leiber zu treiben, die ihm immer noch den Weg versperrte. Doch jetzt drückte der Kapitän auf ihn ab. Laut knallte der Musketenschuß, und noch einmal hatte Fierro es seiner Geistesgegenwart und Schnelligkeit zu verdanken, daß er nicht mitten in die Brust getroffen wurde. Er warf sich zur Seite. Neben ihm brach einer seiner Kerle getroffen zusammen.

Jetzt krachten auch die anderen Musketen und die Blunderbüchsen. Solares, Elcevira und die anderen Verteidiger des Achterdecks feuerten, was das Zeug hielt, wobei sie aber darauf achtgeben mußten, die eigenen Getreuen nicht zu gefährden.

Es gab Tote und Verletzte auf beiden Seiten, aber dank ihres massiven Widerstandes konnten Rascón und seine Männer ihre Position halten. Sie verhinderten, daß Fierro und die Horde in einem neuen Anlauf das Achterdeck stürmte. Wieder landeten zwei Meuterer getroffen auf den Planken.

Fierro begriff, daß das Unternehmen zum Scheitern verurteilt war. Er beschloß zu retten, was noch zu retten war.

„Rückzug!“ schrie er. „Zur Back!“

Rascón verfolgte, wie die Front der Angreifer endlich zurückbrandete. Er hatte eine frisch geladene Muskete an sich gerissen, legte noch einmal auf Fierro an und feuerte, verfehlte ihn jedoch. Es war wie verhext – Fierro schien mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Er war nicht zu treffen. Nach wie vor war er unverletzt und schwang mit wüsten Flüchen und Drohungen seine Beuteaxt.

Die Bande wich zurück und verschanzte sich im Vordeck. In den unteren Schiffsräumen war unterdessen das Trappeln von Schritten zu vernehmen, das Rufen von Männern und Frauen und das Weinen und Klagen von Kindern.

„Achtung“, sagte Solares. „Sie kommen nach achtern und wollen uns in den Rücken fallen.“

„Das glaube ich nicht“, sagte Gomez Rascón. Dann betrat er als erster das Achterkastell und eilte zum Niedergang. Mit vorgehaltener Muskete sprang er nach unten, in den Gang, der nach achtern führte.

Eine Frau taumelte ihm entgegen, sie hielt ein kleines Kind in den Armen.

„Señor!“ stieß sie mit flehender Stimme aus. „Bitte schießen Sie nicht! Bitte!“

„Ich bin der Kapitän“, sagte er. „Suchen Sie Schutz?“

„Ja. Wir wollen mit diesen Teufeln nichts zu tun haben.“

„Kommen Sie, Señora“, sagte Rascón. Er ließ die Waffe sinken und streckte die Hand aus. Die Frau ergriff sie, und er dirigierte sie an sich vorbei. Dann eilte er weiter nach achtern und stieß in dem kleineren achterlichen Stauraum, der hinter dem eigentlichen Laderaum lag, auf die Passagiere. Ängstlich waren sie zusammengerückt und wichen vor ihm in die Ecke zurück.

„Die Männer helfen mir“, sagte er. „Wir müssen die Schotten verriegeln, damit wir vor den Meuterern geschützt sind. Wer ist noch vorn?“

„Nur diese Galgenstricke“, erwiderte einer der Männer, ein stämmig gebauter Schmied. „Wir sind vor ihnen ausgerückt, weil wir ihre Handlungsweise ablehnen. Das sind Verbrecher. Deshalb fürchten wir um unser Leben.“

„Sie sind imstande und bringen jeden um, der ihnen im Weg ist“, sagte ein anderer Mann.

„Bestimmt“, sagte Rascón grimmig.

Er hastete zu den Schotten, die Männer folgten ihm. Er zeigte ihnen, was zu tun war. Inzwischen waren auch Solares und ein paar Männer der Besatzung eingetroffen. Mit vereinten Kräften wurden die Schotten verriegelt und abgesichert, die von den Laderäumen zu den Räumen unter dem Achterdeck führten.

„Das wäre geschafft“, sagte der Kapitän aufatmend. „Auf diesem Weg dringen sie jedenfalls nicht mehr zum Achterdeck vor.“

„Ein Glück, das wir schnell genüg gewesen sind“, sagte Solares. „Wir dürfen auch nicht vergessen, daß sich achtern die kleine Waffenkammer befindet.“

„Wenn die Kerle das Schott aufzubrechen versuchen, wird durch das Holz geschossen“, ordnete Rascón an. „Wir halten die Stellung und versuchen, sie zu überrumpeln, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet.“

„Haben die denn überhaupt noch eine Chance, Señor Capitán?“ fragte der Schmied.

„Ja.“ Rascón kehrte zu den Passagieren zurück. „Ich will offen zu Ihnen allen sprechen. Sie müssen darüber informiert sein, in welcher Situation wir uns befinden. Das Vordeck mit der Back und der Kombüse sowie den darunter liegenden Räumen – Kabelgatt, Vorpiek, Proviantraum mit Trinkwasser und so weiter – ist in der Hand der Meuterer. Die Kuhl ist sozusagen Niemandsland. Das Achterdeck mit allen darunterliegenden Räumen bleibt im Besitz unserer Partei.“

„Der Kapitänspartei“, erklärte der Schmied. „Señor, wir halten voll zu Ihnen. Sagen Sie uns, was wir tun sollen, um mit diesem Gesindel aufzuräumen. Wir haben doch genug Waffen, nicht wahr?“

„Ja.“

„Das Achterdeck beherbergt jetzt mehr Menschen als das Vordeck“, sagte Solares. „Hier befinden sich die anständigen Leute – dort die Huren und Verbrecher. Die Spreu ist vom Weizen getrennt. So mußte es ja kommen. Warum begreift die Casa nicht, daß man solches Gesindel nicht an Bord von Segelschiffen lassen kann?“

„Es hat keinen Sinn, das jetzt zu erörtern“, sagte Kapitän Rascón. „Legen wir uns lieber einen Plan zurecht.“

„Zahlenmäßig sind wir den Kerlen jetzt, da auch die Passagiere auf unserer Seite sind, weit überlegen“, sagte Elcevira. „Es wäre doch gelacht, wenn wir nicht mit ihnen fertig werden würden.“

„Ganz so einfach sehe ich das nicht“, sagte Rascón. „Ja, es ist richtig: Die Meuterer sind eindeutig in der Minderheit. Aber sie sind ausnahmslos skrupellose, rohe und verbrecherische Elemente, deren Reaktionen kaum berechenbar sind – es sei denn ihr Wille, zu zerstören und zu vernichten. Wir müssen uns also genau überlegen, wie wir gegen sie vorgehen. Es darf keine weiteren Opfer geben, jedenfalls nicht auf unserer Seite.“

„Die Toten und Verletzten haben wir vom Hauptdeck abgeborgen, Señor Capitán“, meldete der Schiffszimmermann. „Die Verletzten werden soeben vom Feldscher versorgt. Was soll mit den Toten geschehen? Wann sollen wir sie beisetzen?“

„Sobald sich eine Gelegenheit dazu ergibt“, erwiderte der Kapitän. „Wir müßten ja in jedem Fall auf die Kuhl, um die Toten der See zu übergeben. Dort sind wir zwar keine direkte Zielscheibe für die Hunde, sie haben nur ein paar Pistolen. Aber sie könnten einen Ausfall wagen und versuchen, einige von uns als Geiseln zu nehmen. Wenn ihnen das gelingt, haben wir verspielt, Señores.“

„Wir warten also erst einmal die weitere Entwicklung der Dinge ab?“ fragte Solares.

„Ja“, entgegnete Rascón. „Es scheint mir in unserer Lage das Richtige zu sein.“

Fierro brauchte das Vordeck nicht zu inspizieren, um sich ein Bild darüber zu verschaffen, was er gewonnen hatte. Er kannte sich überall an Bord der „San Sebastian“ aus, auch im Achterdeck, das er schon mehrfach heimlich untersucht hatte.

Das Logis ernannte er zu seinem „Kommandostand“. Hier ließ er sich mit Vitaliano und den drei anderen Abenteurern, mit Rosaria und zwei anderen Huren nieder und hieb Vitaliano kräftig auf die Schulter.

„Danke, Kamerad“, sagte er laut, „daß ihr uns geholfen habt. Wir haben zwar das verfluchte Achterdeck nicht erobert, aber sie haben uns auch nicht besiegt, die elenden Hurensöhne.“

Vitaliano grinste. „Aber achtern sind sie im Besitz der Waffen und der Munition, wenn mich nicht alles täuscht.“

„Richtig“, sagte Fierro. Er wurde ernst und schien angestrengt zu überlegen. Aber dann lachte er wieder und zog eine der Huren zu sich heran. „Wir haben dafür aber den Proviant und das Trinkwasser. Und noch mehr: Auch Wein und Schnaps gehören zum Proviant.“

„Großartig!“ rief Rosaria. „Muß das nicht gefeiert werden?“

„Ja.“ Fierro schlug mit der Faust auf den Tisch des Logis’. „Her mit dem Wein, jetzt wird erst mal kräftig gesoffen. Wir wollen auf unsere Freiheit anstoßen.“

„Glaubst du, daß wir das Vordeck halten können?“ fragte Vitaliano.

„Wir halten es! Hier kriegt uns keiner mehr raus!“ rief Fierro. Er gab den anderen Männern einen Wink. „Los, holt was zu trinken! Ihr wißt ja, wo die Vorratskammern sind! Beeilt euch! Ich sterbe vor Durst!“

Wenig später wurde mit Wein und Rum gezecht. Fierro hatte die Hure auf seinen Schoß gezogen, und auch die anderen Kerle hielten sich nicht zurück. Rosaria und ihre „Kolleginnen“ wurden reihum gereicht und befingert, es wurde gelacht, gegrölt und gekreischt. Der Lärm war bis nach achtern zu hören, doch dort gab man sich keinen Illusionen hin: Der Alkohol würde die Meuterer keineswegs einschläfern. Sie waren an tüchtige Saufgelage gewöhnt, und wahrscheinlich würden der Wein und der Rum ihre Aggressivität nur noch steigern.

Fierro hatte sich zum Rädelsführer aufgeschwungen, er war der starke Mann. Keiner zweifelte an seinen Entscheidungen, keiner versuchte, seinen neuen Rang in Frage zu stellen – auch der gerissene Vitaliano nicht, der von Fierros Führerrolle ebenfalls überzeugt war.

Immerhin hatte es Fierro inzwischen geschafft, Posten an den Schotten zur Kuhl und in Deckung des Geländers der achteren Back aufzustellen. Sie waren mit Äxten, Belegnägeln, Spillspaken, Bootshaken und Enterbeilen bewaffnet. Vitaliano und drei seiner Glücksritter-Kumpane verfügten überdies über Pistolen, zu denen ihnen die Munition vorläufig nicht mangelte. So gesehen, schien das Vordeck der „San Sebastian“ wahrhaftig uneinnehmbar zu sein.

Daß inzwischen auch an Bord der „Almeria“ eine erbitterte Auseinandersetzung stattfand, nahmen die Meuterer mit Erstaunen und Verwunderung zur Kenntnis. Sie verfolgten das Geschehen, sahen aber keine Möglichkeit, die drüben gegen das Achterdeck kämpfenden Aufrührer auf irgendeine Weise zu unterstützen. Noch hatte Fierros Bande selbst genug damit zu tun, die mühsam eroberte Stellung zu halten.

4.

Etwa zur selben Stunde gingen die „Pommern“ und die „Caribian Queen“ im westlichen Bereich der „Jardines de la Reina“, einer langgestreckten Inselgruppe im Süden von Kuba, vor Anker. Das mühsame Kreuzen gegen den Wind aus Osten wurde somit unterbrochen. Die Crews an Bord beider Schiffe atmeten auf.

Im Nachlassen des Sturmes war es Dan O’Flynn gelungen, näher an die „Pommern“ heranzusegeln und Hasard zu informieren. Dan hatte ein Problem. Die „Caribian Queen“, mit Proviant und Trinkwasser ohnehin nur mangelhaft versorgt, hatte im Sturm auch ihr letztes Wasserfaß eingebüßt. Es hatte sich aus seinen Zurrings gelöst und war an der Wand des Vorratsraumes zerschmettert. Somit wurde Nachschub dringend erforderlich. Ohne Essen konnten es die Männer eine Weile aushalten – ohne Wasser nicht.

Auf einem winzigen Eiland begaben sich Dan und vier seiner Männer auf die Suche. Nach gut einer Stunde wurden sie tatsächlich fündig: Im Inneren der Insel gurgelte und sprudelte eine Süßwasserquelle, deren Naß angenehm kühl und erfrischend war. Sofort knieten sie sich hin, schöpften es mit den Händen und tranken. Dann kehrten sie mit dem Beiboot zur „Caribian Queen“ zurück und holten die leeren Weinfässer.

Während die Fässer gefüllt und wieder an Bord des Zweideckers gemannt wurden, unternahm der Seewolf mit dem Beiboot der „Pommern“ einen Abstecher zur Nachbarinsel. Dan wollte hinter dem dicht wuchernden Dschungel, der sich im Zentrum der Insel über einige flache Hügel hinzog, Mastspitzen entdeckt haben. Durch das Spektiv ließ sich jedoch nichts Genaues erkennen. Deshalb hatte sich Hasard entschlossen, eine Inspektionsfahrt durchzuführen.

Seine Begleiter waren Renke Eggens, Ferris Tucker, Big Old Shane, Carberry und Smoky. Sie hatten Musketen, Tromblons, genug Munition, Flaschenbomben und Hasards Radschloß-Drehling an Bord und glaubten, somit gegen jede Art von unangenehmen Überraschungen gewappnet zu sein. Hasard als Bootsführer bediente die Ruderpinne, die beiden anderen pullten kräftig durch die schmale Passage zwischen den beiden Inseln.

Die „Pommern“ hätte hier nicht passieren können. Das Wasser war zu flach, wie sie durch Ausloten feststellten. Außerdem gab es Korallenriffs und Sandbänke in reichlicher Zahl, die das Manövrieren mit einem Schiff ebenfalls nicht zuließen. Man hätte nur die ganze Gruppe im Nordwesten runden und sich von der nördlichen Seite her der Insel nähern können, aber das hätte wiederum zuviel Zeit erfordert.

„Dan hat sich bestimmt nicht getäuscht“, sagte Hasard. „Aber ich glaube nicht, daß wir auf die Queen und Caligula mit ihren letzten Kumpanen stoßen. Das wäre denn doch ein zu großer Zufall.“

„Ich halte das auch für unwahrscheinlich“, sagte Shane. „Aber wir sollten dennoch nachsehen, um was für ein Schiff es sich handelt.“

„Vielleicht ein Geisterkahn“, brummte Carberry. „Wir nehmen eine Spiere davon als Andenken für Old O’Flynn mit. Er kann sie sich in seine Rutsche hängen, damit er was zum Spintisieren hat.“

Sie rundeten die westliche Seite der Insel und stießen wenig später in einer kleinen, idyllisch wirkenden Bucht an der nordöstlichen Seite auf das fremde Schiff. Es entpuppte sich als das Wrack einer Dreimast-Galeone.

Vorsichtig pullten sie in die Bucht. Hasard hatte den Radschloß-Drehling jetzt in den Händen und hielt ihn schußbereit. Aber nichts ereignete sich. Kein Mensch befand sich an Bord des Wracks, das halb nach Backbord gekrängt auf einer Sandbank festsaß. Es war verrottet und verlassen, tatsächlich haftete ihm etwas Unheimliches an, wie der Profos schon richtig vermutet hatte.

Die Untersuchung ergab, daß es sicherlich schon seit Jahren hier lag.

„Eine spanische Galeone“, sagte Hasard. „Wahrscheinlich hat sie seinerzeit in einem Sturm Zuflucht in dieser Bucht gesucht.“

„Dabei ist sie dann aufgebrummt“, fügte Ferris hinzu. Er war an Bord geentert und hatte sich die unteren Schiffsräume angesehen. „Sie ist dabei ziemlich ramponiert worden und in der Mitte auseinandergebrochen. Es lohnte wohl nicht mehr, sie zu bergen, die Reparatur wäre zu aufwendig gewesen.“

„Aha“, sagte Renke Eggens. „Darum hat der Kapitän sie aufgegeben. Er ist mit seinen Leuten in Beibooten nach Kuba übergesetzt. Später hat man wohl die Ladung abgeborgen.“

„Auch die Kanonen“, erklärte Ferris. „Und alles, was noch brauchbar war. Nur den hohlen Schiffsrumpf haben sie hier zurückgelassen.“

„Schlampig, die Dons“, sagte Carberry. „Sie hätten diesen Schandfleck ruhig ganz beseitigen können. Man läßt Galeonen nicht einfach so herumliegen.“

Hasard mußte unwillkürlich lachen. „Den Rest besorgt die Natur. Das Holz ist faulig und von Würmern zerfressen. Es ist nur noch eine Frage von Wochen oder Monaten, dann zerfällt der Kahn.“

Sie legten wieder von dem Wrack ab und landeten am weißen Sandstrand der Insel. Der Gründlichkeit halber suchten sie auch hier alles ab und drangen ziemlich weit ins Innere vor. Danach stand es fest: Die Insel war unbewohnt.

„Keine Spur von der Queen also“, sagte Smoky. „Es wäre ja auch zu schön gewesen. Ich würde was drum geben, zu erfahren, wo sie sich verkrochen hat.“

„Wir erfahren es schon noch“, sagte Hasard. „Vielleicht früher, als uns lieb ist.“

„Oder wir stoßen irgendwo auf ihre Leiche“, sagte der Profos. „Sie ist am Ende. Sie kriegt kein Bein mehr an Land, Sir. Wir wissen doch jetzt, wie es um sie bestellt ist.“

„El Tiburons Schuß hat sie nicht getötet, aber er hat sie für immer gezeichnet“, sagte auch Shane. „Davon erholt sie sich nicht mehr. Vielleicht geht ihr auch Caligula von der Fahne. Wen hat sie dann noch? Nur die vier zerlumpten, müden Halunken, die zu faul zum Kämpfen sind.“

Hasard war anderer Ansicht. Die Queen war zäher als alle anderen Gegner, mit denen der Bund der Korsaren bisher aneinandergeraten war. Und sie war unberechenbar. Früher oder später würde sie doch wieder auftauchen, davon war er überzeugt. Andererseits aber hatte es wenig Sinn, sich mit den abenteuerlichsten Vermutungen über das Schicksal der Queen abzugeben. Auf die Zukunft hatten sie ohnehin keinen Einfluß.

Die Männer verließen die Insel und pullten zur „Pommern“ und zur „Caribian Queen“ zurück. Hier berichteten sie, was sie gesehen hatten. Dan O’Flynn und die Männer des Zweideckers hatten unterdessen das An-Bord-Mannen der vollen Wasserfässer abgeschlossen. Die Reise konnte fortgesetzt werden.

Kurze Zeit darauf wurden die Anker gelichtet. Die Schiffe gingen wieder in See – mit Kurs auf die Schlangen-Insel.

Analog zu den Geschehnissen an Bord der „San Sebastian“ hatten sich auch auf der „Almeria“ die Dinge dramatisch entwickelt. Die Meuterer hatten Schußwaffen, und ihre Horde hatte sich inzwischen etwas vergrößert, weil auch einige Seeleute die Gelegenheit nutzten, sich gegen die Schiffsführung aufzulehnen. Wieder waren es, wie auf der „San Sebastian“, die Ex-Sträflinge aus dem Kerker von Cadiz. Im dichten Pulk stürmten sie auf das Achterdeck zu und feuerten. Die Schüsse knallten, aber Alentejo ließ sofort zurückschießen.

Zehn Musketen krachten auf dem Achterdeck, die Garbe traf voll in den Trupp der Meuterer. Zwei, drei Gestalten stürzten, andere brüllten vor Schmerz und hielten sich ihre blutenden Wunden. Marcela Buarcos blieb wie durch ein Wunder unversehrt und warf sich hin. Sie robbte auf den Planken wieder zum Vorschiff zurück und suchte hinter dem Fockmast Deckung.

Denn inzwischen hatten Alentejo und seine Männer das Achterdeck verlassen und warfen sich den Aufrührern mutig entgegen. Verstärkung erhielten sie von den loyalen Seeleuten und den Auswanderern, die inzwischen durch eine der Luken auf das Hauptdeck gestiegen waren. Was unten geschehen war, hatte die meisten davon überzeugt, daß es an der Zeit war, mit dem Gesindel aufzuräumen. Ramón Vega Venteja hatte für alle Passagiere gehandelt und entschlossen sein Leben eingesetzt. Und auch der alte Seemann hatte versucht, den Aufstand zu verhindern. Jetzt lagen sie wie leblos auf den Planken. Es brach sowohl den Frauen als auch den Männern das Herz, wie Sabina und Pablito um ihren Vater weinten. Die Wut auf Marcelas Bande war größer als alle Bedenken.

So kämpfte ein starker Trupp gegen die Meuterer, und Alentejo ließ sofort Musketen und Pistolen an alle verteilen, die keine Waffen hatten. Es krachte und knallte, und die Kugeln flogen den Meuterern um die Ohren.

Mit einer derart schnellen und heftigen Reaktion hatte selbst Marcela nicht gerechnet. Sie kauerte mit verkniffenem, haßerfüllten Gesicht hinter dem Fockmast. Langsam hob sie die Muskete. Die Situation war verzweifelt, aber noch nicht aussichtslos. Sie wußte, was sie zu tun hatte.

Sie war nicht nur eine ausgekochte und mit allen Wassern gewaschene Hafenhure, sondern auch ein skrupelloses Flintenweib. Ihre Erfahrungen waren mannigfach. Sie war bereits mit Philipps II. Soldaten mitmarschiert und wußte, wie man in einem Kampf vorging. Auch kannte sie sich mit allen Waffen aus.

Ihr ursprüngliches Vorhaben, das Achterdeck mit dem Ziel zu stürmen, in die Waffenkammer zu gelangen, war an dem erbitterten Widerstand von Kapitän und Schiffsführung gescheitert. Hinzu kam die Unterstützung durch die Mannschaft und die Auswanderer – auch das hatte sie in ihre Berechnungen nicht mit einbezogen. Sie verfluchte Ramón und alle anderen, die zum Achterdeck hielten. Dann zielte sie mit der Muskete auf Kapitän Alentejo.

Die Meuterer hatten unterdessen das Vorschiff geentert und verschanzten sich. Wie Rascón an Bord der „San Sebastian“ ließ Alentejo die Schotten zum Achterdeck verriegeln und verrammeln. Der Hohn der Situation wollte es, daß auf der „Almeria“ nahezu alles genauso verlief wie auf der „San Sebastian“, wo jetzt eine Kampfpause eingetreten war.

Aber etwas war doch anders – dafür sorgte Marcela. Noch hatte man sie nicht hinter dem Fockmast entdeckt.

Alentejo enterte in diesem Moment auf das Achterdeck zurück, verharrte an der Schmuckbalustrade und rief den Meuterern zu: „Ergebt euch! Es hat keinen Sinn, daß ihr euch auflehnt! Euer Unternehmen ist zum Scheitern verurteilt! Seid vernünftig!“

Die Kerle im Vordeck lachten nur. Marcela schob den Lauf der Muskete fast behutsam noch ein Stück weiter vor. Sie hielt die Waffe gegen den Mast gepreßt und hatte auf diese Weise mehr Sicherheit beim Zielen, etwa so, als habe sie eine Gabelstütze zum Auflegen der Muskete zur Verfügung.

Alentejo stand hochaufgerichtet da, die Chance war günstig. Marcela drückte ab. Der Schuß krachte, eine Feuerlanze fuhr aus der Mündung, und die Kugel erreichte Kapitän Juan Alentejo, bevor er sich in Deckung werfen konnte.

Stöhnend brach er hinter der Balustrade zusammen und hielt sich mit einer Hand die blutende Schulter. Im Vordeck lachten und grölten die Kerle. Sie pfiffen schrill und schrien „Hurra“, und Marcela grinste wie der Teufel persönlich. Sie ließ die Muskete sinken und zog sich langsam zurück, flach auf die Planken gepreßt, damit sie kein Schußziel bot.

Der Erste Offizier stieß einen Fluch aus und stürzte an eine der achteren Drehbassen. Er schwenkte sie in ihrer Gabellafette herum und zielte auf das Vordeck.

„Feuer her!“ brüllte er. „Jetzt schieße ich das Vorkastell kurz und klein!“

Alentejo hatte sich halb aufgesetzt und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Balustrade. Er hatte gewaltige Schmerzen, es brauste in seinem Kopf, schwarze Schleier wallten vor seinen Augen auf und ab. Doch er war noch halbwegs bei Besinnung. Er hob die Hand und winkte ab.

„Señor“, sagte der Steuermann zum Ersten. „Der Capitán will nicht, daß Sie feuern.“

Der Erste ließ von der Drehbasse ab und eilte zu Alentejo. Er kniete sich neben ihn, sah die Schulterwunde und sagte: „Señor, es ist die einzige Möglichkeit, mit diesem Pack aufzuräumen. Lassen Sie mich schießen.“

„Nein.“ Alentejos Gesicht war schmerzverzerrt.

„Wo steckt der Feldscher?“ schrie der Erste Offizier.

„Hier!“ Der Mann enterte in diesem Augenblick aufs Achterdeck. Er untersuchte Alentejos Wunde nur kurz, dann sagte er: „Sie haben Glück gehabt, Señor Capitán. Kein Knochen ist verletzt. Aber die Kugel steckt. Ich muß sie herausholen.“

„Gut“, sagte Alentejo gepreßt. Er blickte zu seinem Ersten. „Sie übernehmen in der Zwischenzeit das Kommando. Aber es wird nicht mit den Stücken gefeuert. Das ist ein Befehl. Ich will nicht mein eigenes Schiff zerstören.“

Wie Gomez Rascón gehörte er zu jenen Kapitänen, denen es eine Qual war, wenn ihr Schiff in irgendeiner Weise beschädigt wurde. Sturmschäden und Brüche von Masten und Spieren nahmen sie hin, weil es in ihren Augen höhere Gewalt war, etwas Unabwendbares also. Das Schiff aber mit eigener Hand zu zerschießen – das gab es für sie nicht.

Der Erste Offizier, der Feldscher und zwei andere Männer hoben Alentejo vorsichtig hoch und transportierten ihn in die Kapitänskammer des Achterkastells. Musketenschützen an der Querbalustrade sicherten mit ihren Waffen zur Back hin und waren bereit, auf alles zu feuern, was sich dort bewegte.

Marcela hatte sich jedoch inzwischen ganz in Sicherheit gebracht. Sie war zum vorderen Geländer der Back gekrochen, hatte sich zwischen zwei Traljen hindurchgezwängt und ließ sich auf die Galionsplattform fallen. Von hier aus betrat sie durch das Schott das Vorkastell. Die Kerle empfingen sie mit großem Hallo, ließen sie hochleben und reichten ihr einen Becher Wein.