Kitabı oku: «Seewölfe Paket 20», sayfa 18

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„Señores“, sagte Gomez Rascón. „Wir stehen wieder einmal einer heiklen Situation gegenüber. Wie lautet unsere genaue Position?“

Solares, der Erste, nannte sie ihm und fügte hinzu: „Wir befinden uns also bereits fast auf der Höhe von Santiago de Cuba.“

„Aber der Wind ist zu stark“, erklärte der Steuermann Elcevira. „Ein höllischer Sturm, Señor Capitán. Wir dürfen nicht wagen, nach Norden auf den Hafen zuzusteuern.“

„Dem stimme ich zu“, sagte Solares. „Wir riskieren dabei Kopf und Kragen.“

„Sehr richtig“, pflichtete Rascón ihnen ebenfalls bei. „Wir haben nur noch die eine Wahl. Wir müssen vor dem Sturm lenzen, also westwärts segeln. Nur so können wir uns retten. Señores, geben Sie Juan Alentejo ein entsprechendes Lichtsignal. Dann setzen Sie ein Hecklicht, denn er wird in unserem Kielwasser segeln und uns folgen. Geben Sie der Mannschaft alle erforderlichen Anweisungen, und sorgen Sie dafür, daß die Verschalkungen der Schotten und Luken sowie die Festigkeit der Manntaue regelmäßig überprüft werden.“

„Jawohl, Señor“, sagten die beiden gleichzeitig.

Dann war es Solares, der sich noch einmal zu Wort meldete. „Aber was sollen wir den Leuten in den Stauräumen sagen?“

„Vorläufig gar nichts“, erwiderte der Kapitän mit ernster Miene. „Lassen wir sie im Ungewissen. Sie müssen glauben, daß wir Santiago bald erreichen. Wenn sie erfahren, daß es eine Verzögerung gibt, werden sie noch unruhiger. Das müssen wir verhindern.“

„Was ist mit den Hundesöhnen, die mit zur Mannschaft gehören?“ fragte Elcevira. „Denen können wir es nicht verheimlichen.“

„Der Bootsmann soll ein waches Auge auf sie haben.“ Rascón erhob sich. „Gott segne unser Schiff und die ‚Almeria‘. Hoffen wir, daß wir unser Ziel unbeschadet erreichen.“

Solares und Elcevira bekreuzigten sich mit ihm zusammen, dann zeigten sie klar und verließen die Kapitänskammer im Achterkastell. Sie eilten nach vorn, enterten das Hauptdeck und teilten die Kommandos aus.

Wenig später lenzte die „San Sebastian“ vor dem Sturm und rauschte westwärts. Die „Almeria“ war in ihrem Kielwasser. Alentejo orientierte sich an dem auf und ab tanzenden Hecklicht, das Rascón hatte setzen lassen.

Die Schiffe ritten donnernde Brecher auf ihren gischtenden Kämmen ab, sie taumelten über den schmalen Grat in gähnende Wasserschluchten und drohten darin unterzugehen. Sie stampften, schlingerten und rollten und waren den Mächten der Natur ausgeliefert. Nur wenig konnten Rascón und Alentejo noch tun. Sie ließen Trossen durch das Hennegat ausbringen, die im Kielwasser ihrer Dreimaster schlingenförmig mitliefen und den Schiffen weniger Fahrt und mehr Kursstabilität verleihen sollten.

So trieben sie durch die Nacht, ihrem Schicksal ausgeliefert. Nie war es so fraglich gewesen wie jetzt, ob sie Santiago jemals erreichten, selbst auf dem Atlantik nicht. Was brachte die nahe Zukunft?

Weiter westlich, ebenfalls an der südlichen Küste von Kuba, kämpften zwei andere Schiffe mit dem Sturm – eine Dreimastgaleone und ein düsterer, unheimlich wirkender Zweidecker. Geheimnisvoll und mit komplizierten Zusammenhängen verbunden waren die Zukunft, der Auftrag und das Ziel dieser Schiffe, deren Anblick jeden Beobachter in Staunen versetzt hätte.

Die Galeone mit den drei Masten war spanischer Herkunft. Einst hatte sie „Santa Clara“ geheißen und Perlen befördert. Dann aber war sie aufgebracht und entführt worden, und ein findiger Schiffsbaumeister hatte sie gründlich umkonstruiert, so daß sogar der frühere spanische Kapitän sie nicht wiedererkannt hätte.

Hesekiel Ramsgate hieß dieser ausgefuchste Schiffsbaumeister. Er hatte die „Santa Clara“ in eine deutsche Galeone aus Kolberg in Pommern verwandelt. Im Großtopp flatterte die Flagge mit dem roten Greif auf silbernem Feld, das Wappen Pommerns, an der Besanrute die Flagge von Kolberg mit der Bischofsmütze, den drei Stadttürmen und den beiden Schwänen. Die Galionsfigur war ein Greif, rot angestrichen, das Wappentier von Pommern. Das Schiff war überdies schwarz angestrichen worden, und auf jeder Seite hatte Ramsgate an den Schanzkleidern Halterungen anbringen lassen, in denen beliebig viele Drehbassen zusätzlich montiert werden konnten.

Und der Kapitän dieses rätselhaften Schiffes? Nun, er hieß Philip Hasard Killigrew und hatte es selbst gekapert. Er galt als Spaniens Todfeind, doch bislang war es selbst Don Juan de Alcazar, dem Sonderbeauftragten in Havanna, nicht gelungen, ihn zu stellen oder gar zu fassen. Vielmehr war es der Seewolf, der der spanischen Nation immer neue Stiche und Hiebe zufügte, nicht zuletzt dank seiner guten Verbindungen in Havanna. Dort nämlich saß ein gewisser Arne von Manteuffel, sein leiblicher Vetter, der sich als Handelsherr getarnt und eine Faktorei eröffnet hatte. Die Verständigung klappte prächtig: durch Brieftauben, die von Havanna zur Schlangen-Insel und umgekehrt aufgelassen wurden.

Damit nicht genug: Zuletzt hatte Hasard auch noch die Verwegenheit gehabt, frech und gottesfürchtig an Bord der „Pommern“ in den Hafen von Havanna einzulaufen. Allerdings hatte er sich nicht offen an Deck gezeigt. Die Begegnung mit Arne hatte in der Kapitänskammer stattgefunden, und Arne hatte ihm alles erzählt, was sich zuletzt auf Kuba ereignet hatte.

Hasards Ziel war es, die Black Queen endgültig zu vernichten. Aber wieder einmal war sie ihm entwischt, zusammen mit Caligula und ihren vier letzten Getreuen. Ihr Schiff, den Zweidecker „Caribian Queen“, hatte er den Meuterern abgenommen, die damit auf Beutefahrt gegangen waren.

So gehörte die „Caribian Queen“ jetzt mit zum Verband der Schlangen-Insel-Schiffe – und boxte sich gemeinsam mit der „Pommern“ ostwärts laufend durch die See. Am 27. April hatten sie die Islas de Mangles verlassen und gerieten mitten in den Sturm. Sie waren gezwungen, dicht unter Land in jeweils kurzen Schlägen ostwärts zu kreuzen. Eine mühselige Schinderei, die dadurch erschwert wurde, daß beide Schiffe unterbemannt waren.

Hasard hatte zu dem Raid auf die Black Queen als Crew an Bord der „Pommern“ Renke Eggens, Dan O’Flynn, Ferris Tucker, Big Old Shane, Edwin Carberry, Smoky, Blacky, Al Conroy, Stenmark, Gary Andrews, den Kutscher, Pete Ballie, Matt Davies, Sam Roskill, Luke Morgen und die Zwillinge samt Plymmie, der Wolfshündin, mitgenommen, außerdem dreizehn Männer der „Wappen von Kolberg“. Somit war die „Pommern“ bislang mit zweiunddreißig Mann besetzt gewesen. Nach der Kaperung der „Caribian Queen“ jedoch war Dan O’Flynn als Kapitän mit fünfzehn Mann auf den Zweidecker übergewechselt.

Das war die Situation – und die Crews hatten es nicht leicht, ihre Schiffe im Sturm zu halten. Das Risiko, auf ein Riff zu laufen oder auf Legerwall gedrückt zu werden, war groß, doch andererseits war Hasard gleichsam dazu gezwungen, es auf sich zu nehmen. Die letzte Chance, die Black Queen und Caligula zu erwischen, durfte nicht verspielt werden. Deshalb galt es, keine Zeit zu verlieren.

Daß die Aussichten, die Queen und Caligula noch irgendwo zu stellen, dennoch gering waren, war Hasard klar. Er hatte in dieser Beziehung keinerlei Illusionen. So hatte sein Befehl denn auch gelautet: Rückkehr zur Schlangen-Insel. Sollten sie auf dem Weg dorthin auf die Queen stoßen, würden sie alles daransetzen, sie gefangenzunehmen. Wenn nicht, war es vorläufig auch nicht so schlimm. Denn die Queen war geschwächt, und Caligula hatte in Havanna eine Niederlage erlitten, die auch er nicht so schnell verwinden würde.

Folglich stellten die Queen und Caligula vorerst keine Gefahr dar, obwohl sie versucht hatten, die Spanier als den verlängerten Arm ihrer rächenden Hand zu benutzen und auf die genaue Position der Schlangen-Insel hinzuweisen. Doch das hatte nicht geklappt. So leicht ließen sich die Spanier nicht beeinflussen, und schon gar nicht waren sie bereit, hergelaufenen Schnapphähnen dafür etwas zu bezahlen. Die Queen und Caligula waren total gescheitert.

„Sie werden einige Zeit brauchen, um sich von diesem Schlag zu erholen“, sagte Hasard in dieser Nacht noch einmal zu Renke Eggens und Ferris Tucker. „Wir haben wieder Ruhe vor ihnen, vor allem weil die ‚Caribian Queen‘ nicht mehr in ihren Händen ist und künftig unter der Flagge des Bundes der Korsaren segeln wird.“

„Ja“, sagte der rothaarige Riese. „Und ich wünsche der Queen, daß sie an den Spätfolgen ihrer Verletzung stirbt. Ich habe keinerlei Mitleid mit ihr.“

„Ich auch nicht“, sagte Renke Eggens. „Aber ich glaube doch, daß sie zäher ist als jeder andere Pirat, dem wir bislang begegnet sind.“

„Das ist mit Sicherheit richtig“, sagte der Seewolf. „Sie ist noch nicht am Ende. Aber sie braucht viel Zeit, um wieder auf die Beine zu kommen, eine neue Crew zusammenzustellen und sich ein neues Schiff zu beschaffen.“

„Was meint ihr, ob Siri-Tong wohl die ‚Caribian Queen‘ übernimmt?“ fragte Renke Eggens.

„Überlassen wir die Entscheidung ihr“, entgegnete Hasard. „Vielleicht findet sie es richtig, das Schiff ihrer bisher härtesten Gegnerin zu übernehmen, vielleicht aber auch nicht. Wir werden sehen, was sich tut. Auf jeden Fall ist es wichtig, daß wir die Schlangen-Insel so schnell wie möglich wieder erreichen, um zu erfahren, was in der Zwischenzeit passiert ist.“

Ereignisreich genug war die letzte Zeit gewesen – und immer wieder konnten Nachrichten aus Havanna eintreffen, die einen neuen Raid gegen die Spanier einleiteten. Nicht zuletzt aus diesem Grund drängte es Hasard, die Schlangen-Insel und Coral Island so schnell wie möglich wieder anzulaufen.

Ihre Unterredung, in der Kapitänskammer der „Pommern“ geführt, fand ein jähes Ende. Das Tosen und Rauschen nahm zu, das Schiff begann stärker in der See zu rollen. Die Sturmgeräusche ließen keine Gespräche mehr zu, und jede Hand wurde an Deck gebraucht, wo längst die Manntaue gespannt, die Schotten und Luken verschalkt und die Sturmsegel gesetzt worden waren. Hasard, Ferris und Renke eilten zu ihren Männern und unterstützten sie bei der beschwerlichen, lebensgefährlichen Arbeit an den Brassen und Schoten. Hasard selbst übernahm das Ruder der „Pommern“ und steuerte sie durch das tobende Inferno.

Die „Caribian Queen“ konnten sie zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr sehen. Aber der Seewolf hoffte inständig, daß Dan O’Flynn nicht den Kontakt zu ihnen verlor, daß es ihm gelang, mitzuhalten und trotz der Unterbemannung wieder mal dem Teufel ein Ohr abzusegeln, wie sie es so oft getan hatten.

Doch der Ausgang des Höllentörns war ungewiß. Keine Situation war mit früheren Erfahrungen vergleichbar, jede neue Lage wies andere Bedingungen auf. Ob sie es schafften, dem Wetter zu trotzen oder doch noch einen Nothafen anlaufen mußten, würde sich erst in den nächsten Stunden zeigen, je nachdem, wie lange der Sturm dauerte.

2.

Fierro, ein stiernackiger, wuchtiger Mann, gehörte zu den Mannschaftsmitgliedern der „San Sebastian“, auf die der Bootsmann ein besonders waches Auge hatte. Fierro hatte stets das große Maul gehabt und immer an diesem oder jenem etwas auszusetzen gehabt. Nie war er mit dem Bordleben zufrieden, immer murrte er über die Arbeit – so sehr, daß er einmal ein paar Hiebe mit der Neunschwänzigen erhalten hatte.

Da die „San Sebastian“ wie die „Almeria“ über keinen Profos verfügte, war es der Bootsmann gewesen, der Fierro auf diese Weise zur Ordnung gerufen hatte. Der Bootsmann nahm auch die Aufgaben des Zuchtmeisters wahr. Er tat es nicht gern, andererseits wußte er jedoch auch, daß es manchmal kein anderes Mittel als die neunschwänzige Katze gab, um sich den erforderlichen Respekt zu verschaffen.

Das galt besonders bei Kerlen wie Fierro, der in Cadiz im Gefängnis gesessen hatte. Menschliche Gefühle waren ihm völlig fremd, er dachte bei allem nur an seinen persönlichen Vorteil. Er hatte bereits einem Kameraden das letzte Stück Brot weggenommen, Münzen gestohlen und sich mit den Fäusten einen der besten Schlafplätze im Logis gesichert. Keiner wagte, gegen ihn aufzubegehren.

Den Bootsmann haßte er wie die Pest. Er hatte sich fest vorgenommen, sich irgendwann für die Peitschenhiebe zu rächen. Die Gelegenheit dazu, das wußte Fierro genau, würde sich früher oder später bieten. Dann aber würde er nicht nur gegen den Bootsmann vorgehen, sondern noch mehr unternehmen.

Meuterei – allein daran dachte er. Was wurde aus ihm, wenn sie Santiago de Cuba erreichten? Der Kapitän würde alles versuchen, um ihn und seinesgleichen loszuwerden. Wahrscheinlich verhalf er ihnen zu einem Posten in den Minen, und sie durften wie die Sklaven schuften. Alles, so sagte sich Fierro immer wieder im stillen, alles, nur das nicht.

Mitten im dicksten Sturm stand er auf der Back und versah seinen Dienst am Fockmast. Die „San Sebastian“ lenzte, die Segel brauchten also nicht bedient zu werden, doch immer wieder mußten die sich lösenden Fallen dichtgeholt und neu belegt werden. Das tat Fierro, und er fluchte und brüllte kräftig dabei.

Niemand hörte es, das Tosen des Sturmes war lauter. Aber Fierro war sicher, daß es den anderen kaum anders als ihm erging. Sie waren völlig genervt, zumal auch die bisherige Überfahrt, die zwei Monate gedauert hatte, alles andere als ein Zuckerlecken gewesen war.

Eng war es an Bord, nicht nur in den Laderäumen, sondern auch im Logis. Man stolperte über die Beine der anderen, man rempelte sich gegenseitig an, und oftmals gab es schon wegen der geringsten Anlässe Streit. Dazu trug auch die Tatsache bei, daß die Nahrung und das Trinkwasser rationiert worden waren. Hungrig, übermüdet, abgezehrt und gereizt waren sie alle, eine Situation, die nach einem Aufstand zu schreien schien.

Hinzu kam jetzt der Sturm, der der Mannschaft das Letzte an Kraft abverlangte. Sie schufteten und fluchten, waren bis auf die Haut durchnäßt und riskierten, bei jeder überkommenden See außenbords gerissen zu werden.

Fierro spielte mit dem Gedanken, den Bootsmann über Bord zu stoßen. Aber der Mann hielt sich auf Distanz – wohlweislich. Die Fronten waren abgesteckt, etwas würde sich zwischen ihnen ereignen, das wußten sie beide. Nur wann es passieren würde, war die Frage.

Nicht selten geschah es an Bord eines Segelschiffes, daß ein Mann unerwartet über Bord flog und nie mehr gesehen wurde. In den meisten Fällen handelte es sich jedoch um Racheakte Menschenschindern gegenüber, die der Mannschaft das Leben zur Hölle machten. Das war sowohl auf der „San Sebastian“ als auch auf der „Almeria“ anders: Gomez Rascón und Juan Alentejo behandelten ihre Leute den Umständen entsprechend gut. Nur wurden sie von Kerlen wie Fierro gründlich verkannt.

Fierro war fest davon überzeugt, daß er mißhandelt und ausgebeutet wurde. Er wollte frei sein. In der Karibik, so hatte er vernommen, konnte man als Küstenhai und Freibeuter ein herrliches Leben führen. Es gab Inseln in Hülle und Fülle, auf denen man sich verkriechen konnte, eingeborene Frauen, Nahrung reichlich und viele vorbeisegelnde Schiffe, vor allem Spanier und Portugiesen, die man überfallen konnte.

Auch er wollte diese Art von Dasein wählen und Pirat sein. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, sich von der „Knechtschaft“ auf der „San Sebastian“ zu befreien, und nichts konnte ihn von diesem Plan abbringen. Nur der Tod – und der war in dieser Nacht vom 27. auf den 28. April sehr, sehr nah.

Wie durch ein Wunder blieben die „San Sebastian“ und die „Almeria“ vom größten Wüten des Wetters nahezu verschont. Kleinere Lecks und Schäden, die durch die Wucht der Brecher hervorgerufen wurden, konnten in recht kurzer Zeit wieder behoben werden. Jetzt, da die Schiffe standhielten, wußte Kapitän Gomez Rascón genau, was er wollte: Er versuchte, das Cabo Cruz zu erreichen, das im Süden von Kuba nach Südwesten hervorstach. Nur dort konnten sie Deckung finden.

Denn der Sturm dauerte auch den ganzen 28. April über mit kaum verminderter Härte an. Wieder brach eine Nacht der Schrecken über die Besatzungen beider Galeonen herein. Weder an Deck noch in den Laderäumen tat auch nur ein Mensch ein Auge zu. Die Frauen und Kinder weinten jetzt ununterbrochen. Sie waren total zermürbt, die Angst quälte sie wie eine Geißel.

Dann aber, am Vormittag des 29. April, ließ der Sturm unverhofft ein wenig nach. Rascón zögerte keinen Augenblick, er befand sich auf der richtigen Position, wie er anhand der Karten und einiger groben Berechnungen feststellte.

Auf seinen Befehl hin drehten die „San Sebastian“ und die „Almeria“ nach Norden hoch. Jetzt durften sie es wagen, ohne ein Zerschellen auf den Klippen zu riskieren. Schon nach kurzer Zeit tauchte ein grauer Streifen Land aus der Sturmsee auf. Und immer, wenn die Galeonen über den Kamm eines Wellenberges taumelten, war Kuba in aller Deutlichkeit zu erkennen. Dann wieder, im Hinabtauchen in die dunklen Schluchten, verschwand die Insel all ihrer Hoffnungen, als sei sie nur ein Trugbild gewesen.

Rascón ließ sich nicht beirren, er konnte nach wie vor klar genug denken. Das Kap de Cruz bot in seiner Situation eine hervorragende Abschirmung und Schutz gegen den Sturm aus Osten. Rascón dirigierte sein Schiff unter Einhaltung aller Vorsichtsmaßnahmen um die Landspitze herum in jenen Bereich der See, der in den Golf von Guacanayabo überging – und dann, endlich, war es geschafft.

Die „Almeria“ folgte ihrem Führungsschiff und gelangte ebenfalls an den geschützten Platz, ohne auf eine Korallenbank oder auf Klippen zu laufen, die hier wie fast überall um Kuba herum als tückische Schiffsfallen versteckt lagen.

Die Schiffe verholten ein paar Meilen nördlich der Kapspitze. Hier ließen Rascón und Alentejo die Anker werfen.

Solares, der Erste Offizier der „San Sebastian“, wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Señor“, sagte er auf dem Achterdeck zu seinem Kapitän. „Das wurde aber auch höchste Zeit. Ein paar Luken sind in den letzten Stunden nämlich doch undicht geworden.“

„Hat es weitere Beschädigungen gegeben?“ fragte Rascón.

„Das Leckwasser steht bereits in den unteren Laderäumen.“

„Lassen Sie sofort die Pumpen einsetzen.“

Solares gab die Anweisung an den Bootsmann weiter, dessen Aufgabe es nun war, die unteren Schiffsräume leerzulenzen.

Vor der unmittelbaren Wucht des Sturmes war man jetzt sicher, aber neues Unheil bahnte sich an, und zwar fast gleichzeitig an Bord beider Galeonen. Die Spreu hatte sich vom Weizen gesondert, zwei Parteien hatten sich gebildet. Besonders traten jene hervor, die vom Stadtgefängnis in Cadiz an Bord der Schiffe „abgestellt“ worden waren. Sie lungerten auf den Decks herum, obwohl es noch alle Hände voll zu tun gab.

Natürlich hatte auch Kapitän Juan Alentejo an Bord der „Almeria“ den Befehl gegeben, unverzüglich das eingedrungene Wasser aus den Laderäumen zu pumpen – eine völlig selbstverständliche Maßnahme, an der sich jeder Mann reihum zu beteiligen hatte. Doch Ärger drohte von Marcela Buarcos. Sie stand – wie alle anderen Passagiere – bis zu den Knöcheln im Leckwasser und stieß die unflätigsten und gemeinsten Verwünschungen aus. Als das erste Lenzkommando mit einer Pumpe auftauchte, baute sie sich breitbeinig vor den Kerlen auf und begann höhnisch zu lachen.

Zum offenen Bruch zwischen der Schiffsführung und dem Schiffsvolk kam es jedoch zuerst an Bord der „San Sebastian“.

Der Bootsmann trat auf die am Schanzkleid herumlungernden Kerle zu und sagte: „Vorwärts, an die Pumpen, Männer. Wir dürfen jetzt nicht schlappmachen. Es gibt noch genug zu tun, das wißt ihr.“

Der willige Teil der Mannschaft – das registrierte er in diesem Augenblick – hatte bereits mit dem Ausmessen der Sturmschäden unter der Aufsicht des Schiffszimmermanns begonnen. Vorbildlich verhielten sich diese Männer, obwohl auch sie am Ende ihrer Kräfte waren. In ihnen überwog der echte Geist der Kameradschaft und die Sorge um das Wohl der ganzen Besatzung.

Hier aber, den Galgenstricken gegenüber, sah die Lage anders aus. Der Bootsmann zuckte unwillkürlich zusammen, als sie sich untereinander anstießen und verächtlich zu grinsen begannen.

Fierro hatte seine große Stunde. Er trat einen Schritt vor, stemmte die Fäuste in die Seiten und blickte den Bootsmann frech an. „Wir, hast du gesagt? Gut, dann geh du doch an die verdammte Pumpe. Ich habe die Schnauze voll, und zwar gestrichen. Einen Dreck werde ich tun. Du kannst mich mal! Jetzt ist Schluß.“

Der Bootsmann zuckte noch einmal zusammen, kaum merklich diesmal. Er wußte genug über Fierro – daß er im Gefängnis von Cadiz gesessen hatte, weil er ein notorischer Raufbold und Streithammel war, daß er längst am Galgen gehangen hätte, wenn auch seine Mordtaten bekannt geworden wären. Doch war das ein Grund, vor diesem Kerl zurückzuschrecken?

Der Bootsmann fühlte sich in seiner Autorität angegriffen. Er mußte handeln – sofort. Es war seine Pflicht, ein Exempel zu statuieren, sonst hatte er für alle Zeiten vor der Mannschaft verspielt. Das konnte er sich nicht leisten.

Schon sprang er vor – direkt auf Fierro zu. Er packte ihn und riß die Faust hoch, sie war auf Fierros Kinn gezielt. Mit einem einzigen Hieb gedachte er, den Kerl zu fällen. Dann wollte er ihn vor der versammelten Mannschaft mit der Neunschwänzigen züchtigen. Der Angriff, so meinte er, erfolge viel zu überraschend für Fierro.

Aber er hatte sich in Fierro getäuscht. Der hatte auf den wütenden Ausfall nur gewartet. Absichtlich hatte er den Bootsmann provoziert, denn anders war die Meuterei nicht herbeizuführen. Jetzt war der Funke ins Pulverfaß geflogen, und das Verhängnis nahm seinen Lauf.

Fierro reagierte geistesgegenwärtig. Sein Kopf ruckte nur ein wenig zur Seite – und der Fausthieb des Bootsmannes ging fehl. Fierro versetzte ihm einen Stoß gegen die Brust, daß er ins Taumeln geriet, folgte seiner Rückwärtsbewegung und schlug selbst mit voller Wucht zu.

Er traf – der Bootsmann flog zurück und rutschte auf dem Deck aus. Die Kerle johlten schadenfroh. Auf dem Achterdeck sprangen der Erste Offizier, der Steuermann und der Rudergänger an die Querbalustrade, um nachzusehen, was geschah, doch aufhalten konnten sie den Lauf der Dinge auch nicht mehr.

Der Bootsmann prallte rücklings gegen die Nagelbank des Großmastes. Sein Kopf und sein Nacken gerieten mitten zwischen die Köpfe der Koffeynägel, ein häßliches Geräusch war zu vernehmen. Dann sank er schlaff zu Boden und rührte sich nicht mehr.

„Der steht so schnell nicht wieder auf!“ brüllte Fierro. „Recht so! Geht nicht an die Pumpen, Amigos! Laßt den Kapitän die Lausearbeit verrichten! Der tut den ganzen Tag über sowieso nichts!“

Gomez Rascón befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in seiner Kapitänskammer, war aber ebenfalls durch den auf der Kuhl entstehenden Lärm alarmiert. Soeben blickte er von seinen Kurskarten auf, ließ sie auf dem Pult liegen und schritt zur Tür, die halb offenstand. Er tastete instinktiv zur Pistole und zum Degen und vergewisserte sich, daß er sie wie üblich bei sich trug.

Solares, der Erste Offizier, hatte seine Radschloßpistole bereits in der Hand. Er spannte den Hahn. Das metallische Geräusch war bis zu Fierro und den anderen Kerlen zu vernehmen. Sie standen mitten auf der Kuhl. Fierro hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte herausfordernd zum Achterdeck hoch.

Solares verließ das Achterdeck auf dem Weg über den Backbordniedergang.

„Vorsicht“, sagte Steuermann Elcevira hinter seinem Rücken. „Mit den Kerlen ist nicht zu spaßen.“

„Mit mir auch nicht“, sagte Solares wütend. Er näherte sich der Nagelbank, blieb stehen, bückte sich nach dem immer noch bewegungslos daliegenden Bootsmann und untersuchte ihn flüchtig, ließ die Kerle dabei aber kaum aus den Augen.

„Mein Gott“, murmelte er dann und richtete sich langsam wieder auf. Seine Stimme hatte sich verändert, sie klang etwas brüchig. „Er steht nie wieder auf“, sagte er. „Er ist tot. Es hat ihm das Genick gebrochen.“

„Gut“, sagte Fierro kalt. „Das Schwein hat’s verdient.“

Solares hob die Pistole und zielte genau auf Fierros Stirn. Hinter dessen Rücken traten die Aufrührer näher heran, als wollten sie ihn schützen. Fierro stand in unveränderter Haltung da. Er schien nicht die geringste Angst zu haben.

„Dafür bezahlst du“, sagte Solares grimmig.

„Señor“, sagte Fierro. „Überleg dir genau, was du tust. Du bist nicht der Kapitän und nicht das Bordgericht. Du weißt, daß du mich nicht abknallen kannst wie irgendeinen Hund.“

„Doch“, sagte Solares kaum verständlich. „Wie einen Hund.“

Kapitän Gomez Rascón trat in diesem Moment aus dem Schott, das den Mittelgang des Achterkastells abschloß.

„Solares!“ rief er. „Um Himmels willen, was tun Sie da?“

Solares antwortete nicht, aber Elcevira, der über Rascón an der Schmuckbalustrade stand, entgegnete: „Die Kerle haben unseren Bootsmann umgebracht, Señor.“

Solares schien durch das Auftauchen des Kapitäns irritiert zu sein. Fierro nutzte die Chance. Er war mit einem Satz bei dem Ersten und versuchte, sich auf ihn zu stürzen und ihm die Pistole zu entreißen. Doch Solares handelte gedankenschnell. Er wich zurück und drückte ab. Krachend brach der Schuß, eine Wolke Pulverqualm puffte in den Morgenhimmel hoch. Fierro ließ sich blitzschnell fallen und rollte zur Nagelbank hin ab. Die Kugel traf einen anderen Kerl, der sich ebenfalls auf den Ersten werfen wollte. Röchelnd brach er zusammen.

Jetzt gab es für die anderen keinen Halt mehr. Brüllend stürmten sie vor und bewaffneten sich mit Koffeynägeln, die Fierro aus der Nagelbank riß und ihnen zuwarf.

Ein Belegnagel flog haarscharf an Solares’ Kopf vorbei. Er wollte den Säbel zücken und sich den Angreifern entgegenwerfen, doch hinter ihm schrie der Kapitän: „Solares! Zurück!“

„Auf sie!“ brüllte Fierro und griff nach einer herumliegenden Zimmermannsaxt, die er gerade entdeckt hatte. „Schlagt sie nieder! Stürmt das Achterdeck! Der Kahn ist unser!“

„Aufruhr“, stöhnte Gomez Rascón. „Die Kerle haben Morgenluft gewittert.“ Er riß die Pistole aus dem Gurt und feuerte einen Warnschuß in die Luft ab. „Zurück!“ schrie er.

Solares war neben ihm, er hielt den Säbel jetzt in der Hand.

„Señor, die bringen uns alle um!“ stieß er hervor. „Wir müssen schießen, wir haben keine andere Chance mehr!“

„Vorwärts!“ brüllte Fierro. Er war auf den Beinen und schwang drohend die Zimmermannsaxt. Schon hatte er den Kapitän fixiert und versuchte, ihn zu erreichen. Die Horde setzte nach, und wieder flogen ein paar Koffeynägel. Elcevira konnte gerade noch rechtzeitig genug den Kopf einziehen. Der Rudergänger wurde getroffen und sank stöhnend auf die Planken des Achterdecks.

Rascón und Solares sahen sich schon umzingelt und niedergemetzelt, da geschah etwas Unerwartetes. Bislang hatte die reguläre Besatzung der „San Sebastian“ ziemlich fassungslos und irritiert verfolgt, was sich abgespielt hatte. Doch jetzt ergriff der Zimmermann die Initiative und sprang von der Back auf die Kuhl.

„Mir nach!“ schrie er. „Das lassen wir nicht zu!“

Tatsächlich zögerten die Seeleute nicht. Sie schlossen sich ihm an, fielen den Meuterern in den Rücken und in die Seite und entfesselten ein erbittertes Handgemenge. Ein mörderischer Kampf entbrannte auf der Kuhl. Rascón und Solares griffen aktiv mit ein, und auch die anderen Achterdecksmannen waren mit Waffen zur Hand. Sie wollten über die Niedergänge ebenfalls auf das Hauptdeck stürmen, aber Rascón hielt sie durch einen Zuruf zurück.

„Bleibt oben!“ schrie er. „Wir müssen das Achterdeck halten!“

„Schlagt die Hunde zusammen!“ brüllte der Zimmermann. „Fesselt sie! Sperrt sie ein!“

„Vorwärts!“ brüllte Fierro. „Nieder mit dem Kapitän!“

„Ich warte auf dich!“ schrie Rascón ihm zu. Er fühlte sich innerlich bestätigt und angespornt durch die Tatsache, daß der alte Teil seiner Mannschaft loyal zu ihm stand. Jetzt zahlte sich aus, daß er sie immer ehrlich und anständig behandelt hatte.

Der Kampf tobte hin und her. Fierro und die Meuterer setzten sich wie Raubtiere zur Wehr und droschen mit allem um sich, was ihnen in die Hände geriet.

Unter Deck war der Lärm natürlich auch nicht ungehört geblieben. Die Passagiere der „San Sebastian“ kauerten an den Schotten und unter den Luken und wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten.

„Jetzt geht es uns an den Kragen“, sagte einer der Siedler mit entsetztem Gesicht.

„Nein“, begann eine Frau zu jammern. „Ich will nicht sterben. Lieber tue ich alles, was sie von mir verlangen.“

Die Kinder fingen wieder zu weinen an, und viele von ihnen zuckten unter jedem Schuß, der oben fiel, und jedem Fluch wie unter Peitschenhieben zusammen. Alle bangten um ihr Leben – nur die Abenteurer und die Huren unter ihnen nicht.

„Seid still“, sagte einer von ihnen, ein dunkelhaariger, gefährlich wirkender Mann namens Vitaliano. „Ihr wißt doch noch gar nicht, was wird. Vielleicht ist es unser aller Glück, daß die Männer da oben meutern. Ich kenne ihren Anführer. Er heißt Fierro. Der weiß, was er will.“

Die rothaarige Hure, die sich an seine Seite gedrückt hatte, lachte heiser. „Ja, er ist ein toller Kerl, nicht wahr? Einer, auf den man sich verlassen kann.“ Sie hieß Rosaria.

Vitaliano musterte sie von der Seite. Er konnte genau in ihren großzügigen, üppig gefüllten Ausschnitt blicken.

„Das ist jetzt eine Sache der Entscheidung, Muchacha“, brummte er. „Man muß wissen, auf welcher Seite man steht.“

„Ja“, sagte der Glücksritter, der hinter ihm stand. „Ich bin wie du für Fierro, und mit mir noch zwei oder drei andere. Was die anderen tun, ist mir scheißegal.“

„Warum gehen wir nicht rauf und unterstützen Fierro?“ fragte Vitaliano.

„Eine gute Idee!“ rief Rosaria und lachte. „Ich hab’ mich auch entschlossen! Ich bin mit dabei! Du gefällst mir, und ich glaube, wir können zusammen einiges auf die Beine stellen!“ Sie quietschte vor Vergnügen, als Vitaliano ihr grinsend in den Ausschnitt griff.

„Auf was warten wir noch?“ schrie ein anderer Abenteurer. „Los, wir verlieren hier nur kostbare Zeit! Das Schiff gehört uns!“