Kitabı oku: «Seewölfe Paket 20», sayfa 5
„Don Juan wäre damit wegen Unfähigkeit abgemeldet“, sagte Jörgen.
„So ein Ding“, sagte Jussuf empört. „Das darf auf keinen Fall geschehen. Ich persönlich ziehe Don Juan als Gegner vor.“
Arne verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. „Ja, er ist ein netter Feind, nicht wahr?“
„Einer, den ich mir gut als Kameraden vorstellen könnte“, ging Jussuf sofort darauf ein. „Er ist aufrichtig, mutig und ehrlich.“
„Der würde zum Bund der Korsaren passen“, pflichtete Jörgen ihm bei. „Du weißt es ja selber, Arne.“
„Ihr zwei spinnt ganz schön“, sagte Arne. „Eure Phantasie kennt wohl keine Grenzen, was? Aber ich will euch was verraten: Das ist ein reines Hirngespinst. Don Juan kämpft weiter, bis zum letzten. Ein Mann wie er gibt nicht auf.“
„Nie“, sagte Jussuf. „Ich weiß. Er hat sich in seinen Auftrag sozusagen verbissen und läßt nicht locker. Daß Hasard gesiegt und ihn obendrein noch zusammengestaucht hat, stört ihn wenig.“
„Wahrscheinlich stört es ihn auch nicht weiter, daß er verletzt ist“, sagte Jörgen. „Er ist hart im Nehmen, wie es scheint.“
„Es scheint nicht nur, es ist so“, sagte Arne trocken. „Eigentlich wundert es mich, daß er von seinem Raid noch nicht zurück ist. Aber für uns bedeutet das eine Art Aufschub. Solange Don Antonio über den Erfolg oder Mißerfolg von Don Juans Aktion nichts bekannt ist, kann er nämlich auch nichts unternehmen. Er muß also abwarten.“
„Und in der Zwischenzeit läßt er Caligula zwiebeln“, sagte Jörgen.
„Scheußlich ist das“, sagte Jussuf. „Versteht mich nicht falsch. Ich bemitleide Caligula nicht. Aber ich verachte derartige Methoden.“
„Ich auch“, sagte Arne. „Eines Tages wird Don Antonio ein Opfer seiner eigenen Grausamkeit. Ein Sadist und Betrüger wie er strauchelt irgendwann. Das wünsche ich ihm von ganzem Herzen.“
Don Antonio de Quintanilla verabscheute jede Art von Arbeit, sie war ihm zuwider. Selbst das Laufen haßte er. Am liebsten verbrachte er den ganzen Tag in einem seiner riesigen Salons, auf einem Diwan ausgestreckt, oder in der Loggia, wo er kandierte Früchte knabberte, Süßwein trank und den Ausblick auf Havanna genoß.
In dieser Nacht aber entwickelte er ungeahnte Aktivitäten. Noch einmal suchte er das Stadtgefängnis auf und nahm sich Caligula vor. Die Sache ließ ihm keine Ruhe. Im Schlupfwinkel der englischen Piraten mußten Schätze von gewaltigem Ausmaß lagern. Gold und Silber in Barren, Diamanten und Perlen, Gold- und Silberschmuck – sack-, kisten- und truhenweise. Gelang es ihm, sich diesen Reichtum anzueignen, hatte er bis ans Ende seiner Tage ausgesorgt und brauchte sich keine Sorgen mehr um die Zukunft zu bereiten, auch dann nicht, wenn ihn die spanische Krone eines Tages seines Postens als Gouverneur von Kuba enthob.
Im Licht von vier Lampen hockte Don Antonio dem Gefangenen gegenüber. Schweigend beobachtete er ihn eine Weile. Wie lange würde er noch durchhalten?
Caligula saß vornübergebeugt da. Sein Gesicht und sein Oberkörper waren angeschwollen, verschrammt und verbeult. Schweiß und Blut waren auf seiner dunklen Haut getrocknet, sein Gesicht war verzerrt, die Last der Ketten und die Schmerzen setzten ihm zu. Er konnte viel erdulden, aber er wußte, daß er bald an der Grenze des Ertragbaren angelangt war. Irgendwann würde er – mehr tot als lebendig – zusammenbrechen und auspacken.
„Caligula“, sagte Don Antonio mit honigsüßem Grinsen. „Warum machst du dir das Leben so schwer? Eigentlich hätte ich dich für klüger gehalten.“
Caligula atmete tief durch. Sein Blick war auf den Dicken gerichtet. Das Licht der Lampen quälte ihn, es stach ihm in die Augen.
„Gouverneur“, sagte er leise und drohend. „Warum läßt du mir nicht die Ketten abnehmen?“
Don Antonio seufzte. „Liebend gern würde ich es tun, aber du bist ja so dumm und unvernünftig.“
„Hör auf, mich zu piesacken.“
„Warum verrätst du mir nicht die Lage des Schlupfwinkels?“
„Ich soll dich doch hinführen.“
„Mir wäre lieber, du zeichnest mir die Position auf einer Karte ein. Oder aber du sagst sie mir einfach, und ich kümm’re mich dann um den Rest.“
„Ich bin kein Narr, Gouverneur“, sagte Caligula.
„Selbstverständlich müßte ich deine Angaben erst nachprüfen“, sagte der Dicke. „Das wirst du verstehen. Immerhin könnte es gut sein, daß du mich an der Nase herumführst. Daß du mir einfach irgendeine Position nennst, meine ich, obwohl dort keine Killigrews und keine Seewölfe zu finden sind.“
„Und keine Schätze.“
„Eben.“
„Gouverneur“, sagte Caligula. „Ich weiß, was ich rede. Ich habe selbst gegen den Seewolf gekämpft. Und gegen seine Kumpane, gegen Jean Ribault zum Beispiel. Ich könnte dir sehr viel erzählen.“
„Ja? Dann tu es doch.“
„Nimm mir die Ketten ab. Jetzt gleich.“
Don Antonio schüttelte den Kopf und bewegte tadelnd den Zeigefinger. „So haben wir nicht gewettet, Amigo. Du hast mir versprochen, daß du mir erst einmal alles sagst. Wir schließen eine Vereinbarung ab, und ich halte mich daran.“
„Wer garantiert mir dafür?“
„Ich.“
Caligula lachte trotz seiner Qualen. „Ich habe Lust, dir ins Gesicht zu spucken, Mann. Du bist doch das scheinheiligste und ausgekochteste Schlitzohr, das mir je über den Weg gelaufen ist.“
„Du behauptest, ich lüge?“ Don Antonios Stimme war schrill geworden.
„Ja! Du willst mich reinlegen! Ich verrate dir die Lage des Verstecks, und anschließend bin ich ein toter Mann!“
„Wache!“ schrie Don Antonio.
Die Tür wurde aufgestoßen, drei Soldaten stürmten herein. Don Antonio sprang auf – eine erstaunliche Leistung für einen Mann seines Gewichtes – und deutete mit seinem dicken, stämmigen Finger auf den Delinquenten. „Abführen! Weg mit diesem Hundesohn! Bindet ihn auf die Streckbank! Legt ihm Daumenschrauben an! Zwickt ihn mit glühenden Zangen!“
„Der Teufel soll dich holen!“ brüllte Caligula. Dann wurde er hochgerissen und abgeführt.
Das „Plauderstündchen“, wie Don Antonio de Quintanilla es genannt hatte, war vorbei. Aber er nahm sich schon jetzt vor, am frühen Morgen wieder bei Caligula zu sein. Dann wollte er ihm genüßlich mitteilen, welche neuen „Spielchen“ er sich ausgedacht hatte, um ihn weichzukochen.
Lange hält er nicht mehr durch, dachte er, als er in die Residenz zurückkehrte, irgendwann bricht er zusammen. Vielleicht schon heute nacht. Oder morgen früh. Das hängt davon ab, wer den längeren Atem hat.
8.
Mitternacht war vorbei, als Caligula wieder in seine Zelle geschleppt wurde. Die Wachen ketteten ihn an, und er blieb reglos auf dem kahlen Steinboden liegen. Er atmete flach und unregelmäßig. Erst nach Stunden kam er wieder zu sich. Er versuchte, sich aufzusetzen. Es gelang. Er kroch durch die Zelle und setzte sich so hin, daß er sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnen konnte.
Lange blickte er starr vor sich hin. Dann begann er, seine Ketten abzutasten. Seine Finger glitten bis zu dem Augbolzen, der in die Wand eingelassen war. Er zerrte an dem Eisenring, mit dem seine Handketten verbunden waren – vergebens.
Doch später registrierte er, daß sich der Bolzen ein wenig bewegen ließ. Er arbeitete, ruckte und rüttelte, zerrte und keuchte, und irgendwann schlief er vor Erschöpfung ein.
Der neue Tag brachte neue Pein und Qualen. Schritte im Gang, die Tür wurde geöffnet, man löste seine Ketten und führte ihn ab, in den Vernehmungsraum. Don Antonio erschien, seine Fragen prasselten auf Caligula ein, sein Gelächter gellte in seinen Ohren. Caligula schwieg. Er wollte nicht sterben. Aber er wollte auch keine Schmerzen mehr ertragen.
Gegen Mittag war er wieder in seiner Zelle. Carnera erschien und brachte das Essen. Caligula schleppte sich zu seinem Napf. Maden wimmelten in dem Fraß, das Wasser roch faulig. Wütend schleuderte er beides von sich.
Der Abend. Wieder ein Verhör. Don Antonio lockte ihn mit dem Versprechen, ihn als erstes fürstlich tafeln zu lassen, in der Gouverneursresidenz, wenn er endlich alles verriet. Doch wieder hielt Caligula stand. In dieser Nacht glaubte er, sterben zu müssen, aber er war doch zäher, als er selbst noch zu hoffen wagte.
So vergingen Tage. Längst hatte Caligula begriffen, daß er verraten und verkauft war, sobald er das Geheimnis der Position der Schlangen-Insel dem fetten Kerl verriet. Es war eine aussichtslose Lage.
Er hatte auch erkannt, daß die Idee der Black Queen, den Bund der Korsaren über die Spanier vernichten zu lassen, geradezu wahnsinnig war. Närrin, dachte er, während er sich keuchend auf dem Boden wand, verfluchtes, verbohrtes Weibsstück.
Jeder Mann der Crew des Zweideckers, der wegen ihres Planes persönlichen Kontakt mit den Spaniern aufnahm, war dazu verdammt, über die Klinge zu springen. Deshalb war das ganze Unternehmen verrückt und absurd. Warum, zur Hölle, schleppte sie sich nicht selbst nach Havanna?
Er verwünschte sie in die tiefsten Schlünde der Hölle. Er schlug und trat sie in seinen Gedanken, er ließ seinen ganzen Zorn an ihr aus. Er selbst hatte nach Havanna gehen wollen, das war richtig, aber er war wegen Cariba hier, und ihre Idee war es schließlich gewesen, den Kreolen mit dem hirnrissigen Auftrag loszuschicken.
Im übrigen hatte Don Antonio Caligula hämisch und süffisant erklärt, was mit Cariba geschehen war, der sich mit seinem Wissen über die Position des Verstecks hatte freikaufen wollen, dann aber von Don Juan de Alcazar zu dessen Aktion mitgenommen worden war.
So ging es also nicht. Jeder Tag, der jetzt verstrich, schien außerdem zu beweisen, daß das Unternehmen gescheitert war. Don Juan schien zumindest in große Schwierigkeiten geraten zu sein, sonst wäre er längst als triumphierender Sieger zurückgekehrt.
Doch er, Don Antonio, war großmütig und souverän, anständig und menschenfreundlich. Das jedenfalls hob er immer wieder hervor. Er wollte Caligula nicht sterben sehen. Er wollte ihn am Leben erhalten, ihm sein Dasein sozusagen schenken. Wenn er, Caligula, die Position des Schlupfwinkels verriet, ließ er, Don Antonio, ihn selbstverständlich sofort frei.
Selbstverständlich, dachte Caligula voll ohnmächtigem Zorn. Der Galgen oder der Tod durch Erschießen winkt mir, nichts anderes. Vielleicht bauen sie den Galgen schon. Oder das Peloton steht bereits Gewehr bei Fuß. Für wie blöd hält mich dieser gemeine Hund eigentlich?
Er wußte, daß Don Antonio nichts von dem, was er laufend versprach, in die Tat umsetzen würde. Und er wußte auch, daß er irgendwann nicht mehr die Kraft haben würde, der Folter zu widerstehen. Er mußte fliehen. Fort, nur fort – aber wie? Carnera, dieser Hund, war nicht bereit, ihm zu helfen. Auch die schönsten Versprechungen konnten ihn nicht locken, er hatte zuviel Angst vor den Soldaten und ihrem elenden Kommandanten.
Bei den Soldaten brauchte Caligula es gar nicht erst zu versuchen. Sie meldeten jeden Bestechungsversuch sofort dem Sargento, und der war der Ehrgeiz und die Disziplin in Person. Er mußte also auf einem anderen Weg geschehen. Caligula raffte sich auf und nahm seine letzten Kräfte zusammen. Es mußte gelingen. Fort, nur fort, raus und ab in die Wälder, das waren jetzt seine einzigen Gedanken. Wie von Sinnen zerrte er nachts an seinen Handketten und dem Eisenring, immer dann, wenn er sicher sein durfte, daß der Wachtposten döste.
In der Nacht vom 22. auf den 23. April gelang es: Caligula brach den Eisenring, mit dem seine Handketten verbunden waren, samt dem Bolzen aus der Kerkermauer. Die Ketten rasselten, er stürzte mit ihnen zu Boden. Er blieb liegen und lauschte. Nein, niemand schien etwas gehört zu haben.
Um Mitternacht, beim Wachwechsel, betraten zwei Posten seinen Kerker, um ihn zu kontrollieren. An diese Routine hatte auch er sich bereits gewöhnt. Gezwungenermaßen wenn er schlief, traten sie ihn, oder aber sie traktierten ihn mit den Kolben ihrer Musketen, um festzustellen, ob er noch am Leben war. War er wach, kujonierten sie ihn ebenfalls. Weil er sie anspuckte, wie sie behaupteten – auch wenn er es nicht tat.
Caligula entblößte die Zähne und gab einen dumpfen, röchelnden Laut von sich. Ich werde es euch heimzahlen, dachte er, alles. Ihr werdet eure Mütter verdammen, daß sie euch in die Welt gesetzt haben, ihr Bastarde!
Der erste Erfolg und die Hoffnung auf ein Gelingen seines Fluchtunternehmens verliehen ihm frische Kräfte. Er schöpfte sie aus dem Nichts – seit Tagen aß er nicht mehr und trank nur manchmal, wenn es nicht mehr anders ging, von dem fauligen Naß. Aber er war ein Naturmensch, der verborgene Energien hatte. Er atmete tief durch und bereitete sich auf die nächste Phase seiner Aktion vor.
Den Bolzen des Eisenrings schob er wieder in die Mauerlücke. Er tarnte die Lücke mit den herausgebrochenen Brocken und verwendete sehr viel Geschick auf sein Werk. Dann brauchte er nur noch zu warten.
Sie erschienen pünktlich um Mitternacht. Zwei Soldaten. Einer nahm im Gang die Fackel aus der Eisenhalterung, der andere sperrte die Zellentür auf. Gemeinsam traten sie ein und musterten den Gefangenen, der zusammengerollt auf dem Boden lag und zu schlafen schien.
„Ob er wohl schon tot ist?“ fragte der mit dem Schlüssel.
„Es sieht so aus“, erwiderte der Mann mit der Fackel und lachte. „Er liegt da wie ein verreckter Hund.“
„Das ist wieder nur so ein Trick von ihm. Wetten, daß er sich bewegt?“
„Ich nehme die Wette an.“
„Um einen Silberling?“
Der Soldat mit der Fackel in der Hand lachte wieder. „Meinetwegen. Aber beeil dich. Ich halte den Gestank in diesem Loch nicht lange aus.“
Der Schlüsselträger trat Caligula mit voller Wucht in die Seite.
„Madre de Dios, wie du stinkst“, sagte er. „Warum gibst du es nicht zu? Wach auf. Sag, daß du stinkst!“
Caligula rührte sich nicht. Der Posten schnitt ein verwundertes Gesicht, trat etwas zurück und drehte seine Muskete um. Mit dem Kolben berührte er Caligulas Schulter. Wieder nichts. Der Soldat hob die Waffe und versetzte Caligula einen Hieb, aber auch das nutzte nichts.
„Verdammt“, sagte der Mann mit der Fackel. „Jetzt ist er uns doch tatsächlich krepiert. Was tun wir jetzt?“
„Es ist nicht unsere Schuld.“ Der erste Soldat stellte seine Muskete weg und beugte sich über Caligula. Caligula lag auf der Seite, er wollte ihn auf den Rücken drehen.
Eine bessere Chance, das wußte Caligula, erhielt er nicht. Er fuhr hoch, packte den Arm des Soldaten und riß ihn zu sich herunter. Der Mann war zu überrascht, um rechtzeitig reagieren zu können. Er strauchelte und stürzte so unglücklich, daß er mit dem Kopf auf den Steinboden schlug. Es war sein Pech, daß er keinen Helm trug.
Der zweite Soldat ließ die Fackel einfach fallen und griff zur Muskete, die er am Lederriemen über der Schulter trug. Doch wieder war Caligula der Schnellere. Er riß den Eisenring samt Bolzen aus der Mauer und hieb mit den Ketten zu. Sie waren eine furchtbare Waffe.
Getroffen sank der Soldat zu Boden. Caligula war über ihm, bückte sich und nahm ihm das Messer ab. Gnadenlos stach er zu. Auch den ersten Soldaten, der durch den Sturz das Bewußtsein verloren hatte, verschonte er nicht.
Er steckte sich ihre Pistolen samt Munition und die Messer zu. Der Ketten konnte er sich nicht entledigen, er mußte sie mitschleppen. Seine Handknöchel waren mit Eisenmanschetten versehen, die durch eine etwa unterarmlange Kette verbunden waren. Von dieser kleineren Kette führte wiederum eine größere Kette zu dem herausgebrochenen Mauerring. Es gab keine andere Wahl, er hatte keine Werkzeuge und auch nicht die Zeit, um sie zu sprengen. Er war gezwungen, mit den Ketten die Flucht anzutreten.
Doch sie waren ihm auch dienlich. Als Waffen richteten sie Verheerendes an. Er raffte sie zusammen und preßte sie sich vor die Brust. Dann schlich er zur Tür.
Im Licht der Fackel, die auf dem Boden weiterbrannte, bückte er sich noch einmal und nahm dem einen toten Soldaten auch den Schlüsselbund ab. Er pirschte in den Gang hinaus, blieb stehen und lauschte. War der kurze Kampf, das Rasseln der Ketten von anderen Soldaten gehört worden?
Caligula hoffte inständig, daß sie auch weiterhin schliefen. Er wußte nicht genau, wo sich das Wachlokal befand, aber er beschloß, nicht danach zu suchen. Wichtig war, daß er den Ausgang fand und sich absetzte, bevor irgend jemand Alarm schlug.
Sein Weg führte an dem Vernehmungsraum vorbei. Unwillkürlich verharrte er. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze des Hasses. Gern hätte er jetzt Don Antonio de Quintanilla festgenommen und einem peinlichen Verhör unterzogen. Aber er würde noch die Gelegenheit erhalten, sich an ihm zu rächen. Das schwor er sich.
Caligula schlich weiter, durch den Gang zur Treppe, die ein Stockwerk höher führte, ein ungeschlachter, leicht wankender Riese, halbnackt, verletzt, häßlich. Der Weg in die Freiheit öffnete sich ihm, und er war bereit, Amok zu laufen, um sein Leben zu retten.
Im Erdgeschoß des Stadtgefängnisses befand sich das Wachlokal der Soldaten. In einem winzigen Zimmer unter der Treppe, die ins obere Geschoß hinaufführte, schlief Carnera. Die Wohnung des Kommandanten befand sich oben.
Einer der Soldaten war aufgewacht, ein winziges Geräusch hatte ihn geweckt. Er setzte sich auf, lauschte und murmelte einen Fluch. Er glaubte, sich nicht getäuscht zu haben. Schlurfende Schritte bewegten sich durch den Flur. War es Carnera, der keine Ruhe fand?
Der Soldat erhob sich, um nach dem Rechten zu sehen. Der Sargento hatte ihnen das Pflichtbewußtsein eingeimpft, und nie durfte eine Vorschrift außer acht gelassen werden. Die Strafen, die bei Unachtsamkeit und Disziplinlosigkeit drohten, waren hart. Deshalb empfahl es sich, ein paar Minuten Schlaf zu opfern und einen Blick in den Flur zu werfen.
Der Soldat bewegte sich leise zur Tür, er wollte seine Kameraden nicht wecken. Er öffnete sie und trat durch den Spalt hinaus. Er blickte nach links und nach rechts, entdeckte jedoch niemanden. Die Schritte waren auch nicht mehr zu hören.
Dennoch lenkte er seine Schritte zu Carneras Schlafstelle, um auch dort nachzusehen. Der Flur beschrieb eine Biegung, bis dorthin waren es genau acht Schritte. Es waren die letzten Schritte, die er in seinem Leben tat. Caligula hatte ihn längst bemerkt und erwartete ihn – hinter der Ecke.
Lautlos starb der Soldat. Caligula packte ihn, zerrte ihn zu sich heran und stach mit einem der Beutemesser zu. Der Tote sank zu Boden. Caligula setzte seine Flucht fort. Es gab nur einen Ausgang – und der wiederum wurde von einem Posten kontrolliert, der im vierstündigen Turnus abgelöst wurde.
Carnera, der auf einem Packen Lumpen schlief, hob den Kopf. Auch er hörte etwas – das unterdrückte Stöhnen eines Mannes, dann einen dumpfen Laut, der zu verkünden schien, daß jemand hingefallen war.
Carnera zitterte vor Angst. Neugierde konnte das Leben kosten. Er beschloß, weiterzuschlafen und zog sich die Decke über den Kopf. Sollte man ihn am Morgen über einen Vorfall befragen, der sich vor dem Portal des Stadtgefängnisses zugetragen hatte, so würde er steif und fest behaupten, nichts gehört oder gesehen zu haben. Und das war ja auch der Fall. Er hatte nichts bemerkt. Nur geträumt hast du, dachte er, dann nickte er wieder ein.
Caligula hatte das Gefängnis verlassen. Den Soldaten, den er vor dem Portal niedergestochen hatte, schleppte er bis zu einer Seitengasse und ließ ihn dort liegen. Dann tauchte er in den Gassen im Süden unter.
Zwei Posten, die in dem Viertel Patrouille gingen, wurden auf ihn aufmerksam. Sie sahen die Gestalt am Ende einer Gasse, stießen sich untereinander an und beschleunigten ihre Schritte. Wer er war, hatten sie nicht erkannt – aber es war ihre Pflicht, „verdächtige Personen“ zu kontrollieren. Verdächtig sah der Kerl aus: Er lief gebückt und schien etwas in seinen Armen zu tragen. Vielleicht war er ein Dieb?
Plötzlich war er verschwunden. Die Soldaten verständigten sich durch Zeichen und trennten sich. Der eine bog nach links ab und sah in einem Hinterhof nach, der andere überprüfte rechts von der Gasse eine schmale Einfahrt.
Dieser Mann vernahm hinter seinem Rücken plötzlich einen gurgelnden Laut. Er wandte sich um, lief auf den Hinterhof und blickte sich nach seinem Kameraden um. Auch der war verschwunden.
Der Soldat griff nach seiner Muskete, aber in diesem Moment wuchs rechts neben ihm eine Gestalt hoch. Caligula! Er hieb mit den Ketten zu, und wieder brach ein Opfer unter seiner furchtbaren Kraft zusammen.
Er lief weiter, durch das nächtliche Havanna nach Süden. An einem Ziehbrunnen verhielt er und trank gierig von dem kühlen Wasser, das sich in dem Eimer befand. Dann eilte er weiter. Er begegnete keinem Menschen mehr und erreichte bald den Stadtrand an der Atares-Bai.
Nur ein Augenpaar beobachtete ihn aus dem Dickicht eines Waldes. Es gehörte einem hageren, schwarzhaarigen Mann mit dichtem Vollbart. In dieses Bartgestrüpp fuhr der Mann sich jetzt mit dem Finger und kratzte sich angelegentlich. Was er von dem schwarzen Riesen mit den Ketten halten sollte, wußte er nicht. Er spürte nur instinktiv, daß es empfehlenswert war, sich nicht zu zeigen.
Das rettete ihm das Leben. Er hieß Luiso Muscas und hatte sich schon immer auf die große Kunst verstanden, in jeder Situation zu überleben. Er war von Beruf Stadtstreicher und aß, wenn ihm jemand ein Stück Brot abgab, trank an Bächen und Brunnen und schlief, wo er sich gerade aufhielt, wenn die Dunkelheit hereinbrach. Er rollte sich wieder im Gebüsch zusammen und beschloß, weiterzuschlummern.