Kitabı oku: «Seewölfe Paket 20», sayfa 6

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9.

Eine Stunde nach Mitternacht wurde Don Antonio de Quintanilla auf höchst brutale Weise aus dem Schlaf gerissen. Jemand hämmerte mit den Fäusten gegen die Tür seines Gemaches. Entsetzt fuhr er hoch und rief mit schriller Stimme: „Wer da? Wache! Was ist los?“

„Ich bin die Wache, Señor!“ rief der Posten, der draußen stand.

„Was fällt dir ein?“ schrie Don Antonio. „Ich werde dich auspeitschen lassen, du Hund! Nichts kann so wichtig sein, daß man mich deswegen aus dem Schlaf reißt!“

„Doch, Señor! Befehl vom Stadtkommandanten – ich soll Sie alarmieren! Der Gefangene ist geflohen!“

„Was?“ Mit einem Satz war Don Antonio auf den Beinen – eine erstaunliche Leistung für einen Mann seiner Körperfülle. In Windeseile kleidete er sich an, ohne seine Lakaien zu rufen, denn das wäre nur ein Zeitverlust gewesen.

Dann eilte er hinaus. Er verzichtete auf seine Kutsche und hastete in Begleitung von vier Soldaten zu Fuß zum Stadtgefängnis. Nie hatte er sich derart verausgabt.

Don Ruiz de Retortilla, der seinerseits vom Kerkerkommandanten benachrichtigt worden war, war ebenfalls zur Stelle. Fassungslos verfolgten sie, wie die Toten geborgen wurden.

„Sechs Tote“, sagte der Kerkerkommandant mit erbitterter Miene. „Der Sargento hat sie gefunden, als er zufällig aufstand und nach dem Rechten sah. Irgendwie muß er so was wie eine Ahnung gehabt haben. Er hat auch die Zelle leer vorgefunden.“

„Wie konnte das geschehen?“ fragte Don Antonio.

„Er hat die Kette aus der Mauer gebrochen“, antwortete der Kommandant.

Jetzt brauste Don Antonio auf. „Was? Nicht einmal das Stadtgefängnis ist sicher? Das ist Ihre Schuld, Señor! Dafür sind Sie verantwortlich!“

„Sie vergessen, über welche enormen Kräfte diese Bestie verfügt, Don Antonio“, sagte Don Ruiz.

Ja – Caligula war ein wilder Riese, der Eisen mit den bloßen Händen zu biegen vermochte. Don Antonio geriet ins Schwitzen. Er blickte zu den Toten, und in seinen Gedanken sah er den Schwarzen, wie er sich in der Residenz versteckte und auf ihn wartete. Caligula würde sich an ihm rächen, das war sicher.

„Wir müssen ihn wieder einfangen!“ stieß er keuchend hervor. „Riegelt sofort die ganze Stadt ab! Er darf nicht entwischen!“

„Das ist bereits geschehen“, sagte Don Ruiz.

In der Tat – die Stadtgarde rückte an. Schritte trappelten durch die Gassen von Havanna, die ganze Stadt wurde wach. Jedes Haus wurde durchsucht, bis eine Meldung eintraf, daß Caligula doch entwischt war. So blieb die Faktorei Arne von Manteuffels verschont.

Ein Trupp Soldaten war am südlichen Stadtrand auf eine Gestalt gestoßen, die sich im Dickicht des bis hart an die Mauern der Häuser reichenden Waldes bewegte.

„Halt!“ brüllte der Führer des Trupps. „Da ist er! Legt an! Knallt ihn nieder, wenn er Widerstand leistet!“

„Nicht schießen“, sagte eine Stimme im Gebüsch. „Ich bin nicht der, den ihr sucht.“

Eine bärtige Gestalt trat mit erhobenen Händen aus dem Gestrüpp.

„Nehmt die Waffen runter“, sagte der Führer. „Ich kenne den Kerl. Er ist Luiso Muscas, einer der Stadtstreicher, die sich hier rumtreiben. Luiso, was hast du hier zu suchen?“

„Nichts. Ich habe nur geschlafen.“

„Und woher weißt du, daß wir jemanden suchen?“

„Ich habe einen Kerl gesehen und mir einiges zusammengereimt.“

„Wie sah er aus?“

„Groß, schwarz, bärtig – und nackt. Er hat Ketten mit sich rumgeschleppt, soviel habe ich im Mondlicht erkannt.“

„Das ist er!“ stieß der Führer des Trupps hervor. „Los, einer läuft sofort zurück in die Stadt und meldet das dem Gouverneur!“

„Jawohl, Señor“, sagte einer der Soldaten. Im Eilschritt kehrte er zum Gefängnis zurück, wo Don Antonio einen provisorischen Kommandoposten eingerichtet hatte und den Oberbefehl über die Aktion führte.

„Wer ist denn der Kerl?“ fragte Luiso die Soldaten.

„Caligula. Dieser Neger, der in Havanna schon fast ein Dutzend Menschen umgebracht hat“, erwiderte der Führer.

„Der?“ Erst jetzt begriff Luiso, welcher Gefahr er ausgesetzt gewesen war. Er geriet ins Taumeln. „Mann, hab’ ich ein Glück gehabt:“

„Das kannst du sagen“, erwiderte einer der Männer der Garde. „Er tötet nämlich jeden, der sich ihm in den Weg stellt oder ihm einfach nur in die Finger gerät. Dir hätte er auch das Genick gebrochen.“

Don Antonio tobte, als er erfuhr, daß Caligula Havanna bereits verlassen hätte. Er hieb mit beiden Fäusten auf die Tischplatte im Raum des Kerkerkommandanten.

„Verdammte Schweinerei!“ brüllte er. „Ihm nach! Setzt alles in Bewegung! Reiter müssen her! Sofort! Beeilung!“

„Die Reiter treffen gleich ein“, sagte Don Ruiz. „Ich habe sämtliche Patrouillen in Bewegung gesetzt, die wir haben. Und sie sollen auch Hunde mitnehmen.“

Don Antonio fuhr zu ihm herum. Es zuckte in seinem Gesicht. „Sehr gut. Bluthunde?“

„Ja. Sehr weit kann der Schwarze zu Fuß ja nicht gelangen. Die Reiter und die Hunde holen ihn ein.“

„Ausgezeichnet.“

„Jetzt ist nur noch die Frage zu klären, ob Sie ihn lebend oder tot haben wollen, Señor“, sagte der Kerkerkommandant.

Don Antonio überlegte nur kurz.

„Tot“, sagte er dann. „Die Hunde sollen ihn zerfetzen.“ Er mußte eben auf die Schätze der englischen Piraten verzichten. Caligula war eine zu große Gefahr, er hatte schon zu viele Menschen auf dem Gewissen. Ehe er nicht selbst vernichtet war, bangte Don Antonio um seine eigene Existenz. Der Preis für die Schätze war zu hoch. Caligula mußte sterben.

Lauf, Neger, lauf – Caligula hetzte durch den nächtlichen Wald, entlang der südwestlichen Bucht von Havanna. Die Schmerzen setzten ihm wieder zu, aber er legte keine Rast ein. Er hatte beschlossen, bis zur Südküste von Kuba zu laufen und zur Insel zu schwimmen, wenn es nötig war. Nichts konnte ihn mehr stoppen.

Natürlich hatte er mit dem Gedanken gespielt, in den Palast des Gouverneurs einzudringen. Doch das Unternehmen war zu riskant. Die Residenz war zu gut bewacht, er konnte niemals bis zu Don Antonio vordringen.

Dabei wäre es das ideale gewesen, den fetten Kerl als Geisel gefangenzunehmen. Mit ihm als Faustpfand hätte Caligula öffentlich und mit erhobenem Haupt Havanna verlassen können. Keiner hätte gewagt, ihn zu behelligen. Und er hätte auch die Schätze, über die Don Antonio mit Sicherheit in seiner Residenz verfügte, mitgehen lassen.

Die Black Queen hätte gestaunt, wenn er ihr den Dickwanst vor die Füße gestoßen hätte. Größer hätte Caligulas Triumph nicht sein können. Wie Don Antonio sterben sollte, hätte er sich in aller Ruhe ausgedacht. Vielleicht ließ er ihn kielholen? Nein. Spießrutenlaufen war besser.

Wenn und hätte. Es hatte ja nicht sein sollen. Aber er würde nach Havanna zurückkehren, das nahm Caligula sich vor. Heimlich, er kannte sich ja jetzt gut genug aus. Er würde Don Antonio irgendwo überraschen und töten.

Jetzt aber war es das wichtigste, sich von Havanna abzusetzen. Er konnte sich leicht ausmalen, daß die Soldaten in der Zwischenzeit ihre toten Kameraden gefunden hatten. Ganz Havanna befand sich im Aufruhr, alle verfügbaren Kräfte wurden mobilisiert. Natürlich wurde überall nach dem entlaufenen Gefangenen gesucht.

Lauf, Neger, lauf – Caligula stolperte über eine Baumwurzel und stürzte. Er fiel auf die Ketten, wand sich und fluchte. Stöhnend rappelte er sich wieder auf und hetzte weiter. Sein Atem ging schnell und stoßweise, sein Herz schlug ihm bis zum Hals hinauf.

Plötzlich vernahm er Geräusche hinter seinem Rücken. Ein dumpfes Trommeln auf dem Untergrund – Pferdehufe. Aber viel schlimmer war das Bellen und Winseln der Hunde. Jetzt wußte er, woran er war. Eine Reiterpatrouille mit Hunden, dachte er, das sieht Don Antonio ähnlich. Er will mich zerfleischen lassen.

Sollte er sich auf einen Baum retten? Unmöglich – die Hunde würden ihn auch dort aufspüren. Umzingelten sie ihn, war er geliefert. Dann mußte er sich den Soldaten ergeben. Oder aber sie schossen ihn ab wie ein Stück Flugwild. Was bildete er sich denn ein? Daß Don Antonio ihn jetzt noch verschonte? Nach allem, was geschehen war? Nein, er verzichtete lieber auf die Schätze der Engländer. Wie die Dinge standen, war es besser, wenn er Caligula töten ließ. Er konnte gar nicht anders, die Lage schrie nach Vergeltung.

Laufen – das war die einzige Rettung. Vielleicht verloren die Hunde im Urwald die Spur. Oder sie fanden sie erst gar nicht. Caligula gab die Hoffnung nicht auf. In dem wilden Bestreben, sich nicht wieder einfangen zu lassen, hetzte er weiter.

Das Trommeln der Hufe und das Bellen der Hunde näherten sich. Bald waren sie dicht hinter ihm. Caligula gab sich keinen Illusionen hin – er mußte sich dem Kampf stellen.

Die Reiter waren noch etwas entfernt, das Rudel Hunde stob vor ihnen her. Caligula verharrte, drehte sich um und sah sie aus dem Dickicht brechen: große, wilde Tiere mit gefletschten Zähnen und triefenden Lefzen. Knurrend stürzten sie sich auf ihn.

Fünf Hunde waren es. Im Nu hatten sie ihn umzingelt und schnappten nach seinen Beinen. Einer versuchte, an ihm hochzuspringen und seine Kehle zu packen. Caligula setzte sich mit der Kette zur Wehr.

Es gab keine andere Möglichkeit. Er hielt sie mit beiden Händen und ließ sie wirbeln. Der erste Hund brach blutend zusammen. Caligula schöpfte Hoffnung und drosch wie ein Verrückter mit der Kette auf die übrigen Tiere ein. Auf die Köpfe, gegen die Kiefer, ins Rückgrat – er schlug sie, wo er sie treffen konnte.

Winselnd gingen wieder zwei Bluthunde zu Boden. Jetzt hatte Caligula nur noch zwei gegen sich. Sie sprangen um ihn herum, knurrten und schnappten erneut nach seinen Waden.

Die Kette surrte durch die Luft. Caligulas Gesicht war verzerrt. Er mußte sie treffen, immer wieder treffen, sonst war er verloren. Schon schienen die Reiter heranzusein. Er hörte das Hufgetrappel überlaut, es schien in seinen Ohren zu dröhnen, und er konnte auch die Stimmen der Männer vernehmen.

Der vierte Hund blieb, von der Kette getroffen, auf der Strecke. Doch jetzt passierte Caligula ein Mißgeschick. Er wich zurück, um dem Biß des fünften Hundes zu entgehen, strauchelte dabei aber über die Luftwurzel eines Mangrovenbaumes. Er fiel – und mit einem Satz war der Hund über ihm.

Caligula stöhnte. Um ein Haar hätte er sich den Hinterkopf an dem Baumstamm gestoßen. Doch er hatte noch einmal Glück. Und nur Schnelligkeit konnte jetzt entscheiden, denn der große, schwere Hund schnappte mit den spitzen Zähnen nach seinem Hals.

Mit den Ketten konnte Caligula nichts mehr gegen ihn ausrichten. Er stieß den Hund mit der linken Hand zurück, mit der rechten riß er eins der Messer aus dem Gurt. Bevor die messerscharfen Zähne seinen Hals trafen, stach er zu.

Mit einem verhaltenen, jammernden Laut sank das Tier zusammen. Caligula schob es von sich fort, sprang auf und zückte eine Pistole. Es prasselte im Dickicht – der erste Reiter stürmte daraus hervor und hielt auf ihn zu.

Caligula sprang nach links, duckte sich etwas und legte, die Pistole mit beiden Händen haltend, auf den Reiter an. Der Schuß krachte, ein Feuerblitz stach als grellrote Zunge durch die Nacht. Er traf. Der Soldat warf die Arme hoch und kippte aus dem Sattel, ehe er selbst mit seiner Muskete auf Caligula anlegen konnte.

Der Soldat landete auf dem Waldboden und regte sich nicht mehr. Sein Pferd stieg auf, schlug mit den Vorderläufen und wieherte. Dann setzte es sich wieder in Bewegung und wollte davongaloppieren.

Gebrüll ertönte im Urwald, die anderen Soldaten hielten, durch den Schuß alarmiert, auf den Kampfplatz zu. Caligula lief neben dem Pferd her, packte seine Zügel und hielt es fest.

Das Pferd schnaubte vor Angst, es schien die Gefahr zu spüren, die von dem schwarzen Riesen ausging. Doch Caligula gab nicht auf. Er zerrte es an den Zügeln zu sich heran. Er wußte, daß es falsch war, das Tier zu schlagen, und brachte es – trotz der prekären Lage – fertig, ein paar besänftigende Worte zu murmeln. Tatsächlich beruhigte sich das Tier.

Flüche und Rufe ertönten, Pferde wurden gezügelt. Die Soldaten hatten ihren toten Kameraden und die toten Bluthunde gefunden.

„Er muß hier irgendwo sein!“ schrie jemand. „Ganz in der Nähe! Er ist bewaffnet! Nehmt euch in acht!“

Caligula überlegte, ob er sie aus dem Hinterhalt angreifen sollte. Nein, auch das war falsch. Er wußte nicht, wie viele Soldaten es waren. Er hatte nur noch die eine Pistole zur Verfügung und hatte gewiß keine Zeit zum Nachladen. Nein – er mußte die Flucht fortsetzen.

Er stieg in den Sattel des Pferdes, schnalzte mit der Zunge und murmelte wieder ein paar Worte. Dann drückte er ihm die Hacken in die Weichen. Das Pferd gehorchte seinem Willen und trabte an. Caligula mußte höllisch auf Hindernisse achten. Schon eine Luftwurzel konnte zum Verhängnis werden.

Hinter ihm nahmen die Soldaten wieder die Verfolgung auf. Sie schienen das Hufgeräusch des Pferdes gehört zu haben und orientierten sich daran.

Caligula beschleunigte das Tempo etwas, als er einigermaßen sicher im Sattel saß. Tief über die Mähne gebeugt, ritt er weiter und versuchte, das Pferd von seinem Gewicht zu entlasten. Das Pferd hatte sich ebenfalls auf ihn eingestellt. Wir beide geben ein gutes Gespann ab, dachte Caligula. Hilf mir, von hier zu flüchten, du wirst es nicht bereuen.

Kurze Zeit darauf stieß er auf einen Bachlauf und lenkte, ohne zu zögern, das Pferd hinein. Eine Weile ritt er im Wasser und ließ das Tier in einen leichten Galopp fallen, dann wandte er sich erneut nach Süden und verschwand im Dschungel.

Die Soldaten trafen am Bach ein und suchten die ganze Umgebung nach dem schwarzen Mann ab. Doch sie entdeckten nichts, es gab keine Spur. Sie hörten ihn auch nicht mehr. Er schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

Ohne die Bluthunde konnten die Soldaten die Fährte nicht mehr aufnehmen. Sie hatten sie verloren, jeder weitere Versuch, in der Dunkelheit doch noch auf die Fährte zu stoßen, schien sinnlos zu sein.

Dennoch fahndeten sie die ganze Nacht über nach dem Flüchtigen. Ohne Erfolg. Bis in die frühen Morgenstunden dauerte die Suche, und Don Antonio fand keinen Schlaf mehr.

Er hockte in seinem Raum und dachte mit verkniffener Miene darüber nach, was geschehen würde, wenn Caligula wirklich nicht gefunden wurde. Würde der Kerl nicht auf Rache sinnen und mit Verstärkung nach Havanna zurückkehren?

Diesen Verdacht wurde Don Antonio de Quintanilla nicht mehr los. Er hatte allen Grund, besorgt zu sein.

Caligula ritt durch den Urwald, seine Gedanken waren jetzt schon bei der Black Queen. Er hatte in Havanna nicht erfahren, ob Don Juan de Alcazar, der mit Cariba zur Schlangen-Insel unterwegs war, Erfolg gehabt hatte. Aber auch das würde sich noch herausstellen. Wichtig war jetzt, an Bord des Zweideckers zurückzukehren, ihr Bericht zu erstatten und zu beraten, wie man weiter verfahren sollte.

Außerdem war es ratsam, an Bord der „Caribian Queen“ nach dem Rechten zu sehen. Ganz richtig war sein eigenmächtiges Handeln doch nicht gewesen. Er konnte nur hoffen, daß die Kerle nicht aufsässig geworden waren. Sollte dies der Fall sein, würde er ihnen die Peitsche zu kosten geben – Kerlen wie Casco beispielsweise, die dauernd etwas zu meckern und zu murren hatten.

Caligulas Flucht, zumindest aus Havanna, war gelungen …

ENDE


Frank Moorfield

Meuterei auf der Caribian Queen

1.

Casco drehte den Becher um und knallte ihn hart auf das Holz der Schiffsplanken. Die Spieler starrten wie gebannt auf die Würfel.

„Zum Teufel, jetzt hab’ ich dich endlich geschafft!“ brüllte der bullige Kreole, der die Muskeln und den Nacken eines Kampfstieres hatte. Er hieb sich mit beiden Pranken auf die Schenkel und grinste von einem Ohr zum anderen. Sein Gesicht glich in diesem Augenblick einer dämonischen Fratze, wozu sicherlich auch seine verknorpelten Ohren sowie die breitgeschlagene Nase beitrugen.

„Gar nichts hast du geschafft“, sagte Pablo. „Wir sind jetzt lediglich auf dem gleichen Stand.“

„Was soll das heißen, du Ratte?“ In den pechschwarzen Augen Cascos glomm ein gefährliches Feuer.

„Daß du mich beschissen hast“, erwiderte Pablo wütend. Er war ein vierschrötiger Kerl, muskelbepackt und mit einem Gesicht voller häßlicher Narben.

Der Kreole fuhr von den Planken hoch.

„Reiß dein Maul nur nicht zu weit auf!“ stieß er hervor. „Ein einziges Wort noch, und ich zerquetsche dich zwischen Daumen und Zeigefinger wie eine Kakerlake.“

Pablo lachte heiser, und die anderen grinsten dazu erwartungsvoll.

„Wenn du spielst, mußt du dich auch an die Regeln halten“, sagte er ungerührt. „Bilde dir nur nicht ein, daß ich mich auf eine so plumpe Weise übers Ohr hauen lasse. Da such’ dir lieber gleich einen Dümmeren aus, es gibt ja genug Idioten an Bord dieses verdammten Kahns.“

Für einen Moment herrschte Totenstille. Die Spielkumpane blickten in gespannter Erwartung auf die massigen Körper der beiden dunkelhäutigen Giganten.

Sie wurden nicht enttäuscht.

Die Rechte Cascos zuckte blitzschnell zum Gürtel, und einen Lidschlag später blitzte die Klinge seines Messers grell im Licht der Vormittagssonne.

Jawohl, über der versteckten Bucht im Labyrinth der Islas de Mangles vor der westlichen Südküste Kubas brauten sich an jenem 23. April im Jahre des Herrn 1594 Wolken des Unheils zusammen.

Schon seit Tagen spürte jeder an Bord des schwarz gestrichenen Zweideckers mit dem anspruchsvollen Namen „Caribian Queen“, daß etwas in der Luft lag, aber keiner der Piraten konnte sich einen Reim darauf bilden. Die Stimmung an Bord glich der dumpfen Atmosphäre, die einem heftigen Gewitter vorausgeht.

Eigentlich hatte der sonnige Apriltag recht harmlos begonnen. Ein halbes Dutzend der verluderten Kerle hatte sich auf der Back im Schatten des mächtigen Schanzkleides hingehockt und ließ einen Würfelbecher kreisen. Kleinere und größere Häufchen von Perlen sowie Gold- und Silbermünzen wechselten ihre Besitzer und wurden von gierigen Händen hin und her geschoben.

Jetzt aber hatten die Piraten kaum noch Interesse an den Münzen. Ihre Augen waren auf Casco und Pablo gerichtet. Endlich passierte mal wieder etwas auf diesem Teufelskahn, auf dem die Kerle seit dem Anlaufen des Schlupfwinkels im Dezember des vergangenen Jahres tatenlos herumgammelten. Die nervtötende Warterei ging ihnen schon lange aufs Gemüt. Da half es auch nicht, wenn von Zeit zu Zeit eine kleinere Gruppe zum kubanischen Festland übersetzte, um dort in einer der zahlreichen Hafenkneipen mal tüchtig auf die Pauke zu hauen.

Das war ohne Zweifel der begehrteste Zeitvertreib, denn die glutäugigen Schönen, die fast schon zum Inventar der Spelunken gehörten, warfen allem, was Hosen trug, verführerische Blicke zu, und nicht nur das. Trotzdem hatten es die meisten Schnapphähne von der „Caribian Queen“ längst satt, einen Großteil ihrer Zeit faul an Bord herumzulungern oder bei den zahlreichen Glücksspielen ihre Barschaft zu verjubeln. So verschlechterte sich die Stimmung von Tag zu Tag mehr, und immer wieder mußte sich mal einer der Kerle „Luft“ verschaffen – gleich auf welche Weise.

Auch Casco war seit Tagen übelgelaunt. Kein Wunder, daß er jetzt die Nasenflügel blähte wie ein Büffel, der im Begriff ist, seinen Gegner auf die Hörner zu nehmen. Seine Rechte umklammerte den Griff des Messers, seine Augen funkelten tückisch.

„Komm her, du Ratte!“ zischte er. „Niemand bezeichnet mich ungestraft als Falschspieler. Auch du nicht.“

„Trotzdem hast du mich beschissen!“ schnaubte Pablo. „Alle können das bezeugen. Außerdem scheinst du die Hosen gestrichen voll zu haben. Warum sonst brauchst du einen Piekser? Deinen zarten Fäusten traust du wohl nichts mehr zu, wie?“

Casco warf einen verdutzten Blick auf sein Messer.

„Na schön“, sagte er dann mit rauher Stimme, „du sollst es haben, wie du willst – heiß oder kalt, langsam oder schnell. Wenn du dich vor einem Messerkampf fürchtest, bin ich gern bereit, dir mit den Fäusten was zu verpassen. Aber verlaß dich drauf – ich werde dir jeden Knochen einzeln brechen.“ Mit einer raschen Bewegung schob er das Messer in den Gürtel zurück.

Pablo quittierte das mit einem höhnischen Grinsen.

„So ist’s besser, Freundchen. Und jetzt zeig endlich, ob du deine großspurigen Versprechungen auch einhalten kannst.“ Sein narbiges Gesicht nahm einen lauernden Ausdruck an. Er stand nach vorn gebeugt wie ein Gorilla und hatte die Hände zu Fäusten geballt.

„Und ob ich dir das zeigen werde!“ stieß Casco hervor. Fast gleichzeitig wuchtete er seinem Gegner eine rechte Gerade entgegen.

Pablo hatte jedoch damit gerechnet. Er kannte die wilde und ungestüme Art Cascos und ebenso seine Verschlagenheit, Skrupellosigkeit und Hinterlist. Da er dem Kreolen, was diese und einige andere Charaktereigenschaften betraf, durchaus ebenbürtig war, reagierte er entsprechend. Trotz seiner massigen Gestalt war er flink und beweglich. Er tauchte blitzschnell unter der Faust Cascos weg und rammte diesem den kantigen Schädel in die Magengrube.

Casco keuchte und krümmte sich für einen Moment zusammen. Dann entrang sich ihm ein wütender Aufschrei, der an das Brüllen eines Ochsen erinnerte.

„Jetzt bist du endgültig dran!“ schrie er mit haßverzerrtem Gesicht. „Dir drehe ich die Nase so auf den Rücken, daß du dein eigenes Hinterteil betrachten kannst.“

„Versuch’s doch“, entgegnete Pablo wild. Im selben Augenblick stießen seine Pranken zu. Offensichtlich wollte er seinen Rammstoß mit den Fäusten wiederholen, um dem Kreolen abermals die Luft aus dem mächtigen Brustkorb zu jagen.

Doch diesmal war Casco auf der Hut. Er blockte den Hieb geschickt ab und erwischte seinen Gegner mit einem harten Schlag gegen die rechte Schulter.

Pablo wurde ein Stück um die eigene Achse gerissen. Dennoch reagierte er geistesgegenwärtig und ging sofort in die Hocke, denn der zweite Hieb Cascos hätte ihn ohne Zweifel am Kopf erwischt und von den Beinen gefegt. So aber stieß die Faust des Kreolen ins Leere, und er torkelte durch die Wucht des eigenen Schlages ein Stück vor.

Pablo nutzte das aus. Noch in der Hocke wirbelte er herum, warf sich der Länge nach zu Boden und griff nach Cascos Beinen. Bevor dieser zur Seite springen konnte, zog er ihm die Füße unter dem Körper weg, so daß der bullige Mann mit einem wüsten Fluch auf die Planken krachte.

Die Zuschauer, die den Schlagabtausch mit Begeisterung verfolgten, brüllten lachend auf. Solange sie Casco kannten, hatte es noch keiner geschafft, den Bullen auf eine so simple Weise aufs Kreuz zu legen.

Aber sie freuten sich zu früh. Der Kampf strebte rasch seinem Ende entgegen.

Pablo, der Casco an Körperkräften unterlegen war, wollte seinen bisherigen Erfolg auskosten. Der Gedanke, am Ende doch noch der Unterlegene zu sein, war ihm unerträglich, deshalb riß er mit einer jähen Bewegung sein Entermesser aus dem Gürtel. Er wollte unter allen Umständen verhindern, daß der Kreole wieder auf die Beine kam. Schon Sekunden danach zerschnitt die scharfe Klinge seines Messers die Luft und raste auf Casco zu.

Einen Atemzug lang sah Casco dem Tod ins Auge, dann warf er seinen schweren Körper in einem wilden Aufbäumen zur Seite. Das Messer fuhr mit einem dumpfen Geräusch in das Holz der Schiffsplanken.

Casco schäumte vor Wut. Mit einem Schrei, der seinen ganzen Haß zum Ausdruck brachte, griff er ebenfalls zum Messer. Dabei verwünschte er sich selber, weil er es zu Beginn des Kampfes in den Gürtel zurückgesteckt hatte.

Bevor Pablo die scharfe Klinge seiner Waffe aus dem Holz ziehen konnte, war sein Schicksal besiegelt.

„Stirb, du hinterlistiger Hund!“ brüllte Casco und stieß dem narbengesichtigen Burschen, der noch halb über ihn gebeugt war, von unten das Messer in die Brust.

Pablo kippte zur Seite und rollte auf den Rücken. Ein Röcheln verriet dem bulligen Kreolen, daß er seinen Gegner endgültig besiegt hatte. Trotzdem warf er sich in seiner unbändigen Wut über Pablo und hätte ohne Zweifel ein zweites Mal zugestoßen, wenn ihn nicht plötzlich die Stimme einer Frau in die Wirklichkeit zurückgerissen hätte.

Die Stimme gehörte der Black Queen, jener halbnackten Negerin mit dem athletischen Körperbau, die den gefürchteten Zweidecker mit eiserner Hand regierte und sich zum Ziel gesetzt hatte, die gesamte Karibik zu beherrschen.

„Aufhören!“ rief sie mit wütender Stimme. „Sofort aufhören!“

Casco rollte wild mit den Augen, dann ließ er das Messer zähneknirschend auf die Planken fallen.

Der Befehl der Black Queen war jedoch um Sekunden zu spät erfolgt, denn Pablo war tot. Seine Augen starrten gebrochen in den wolkenlosen Himmel.

Die Black Queen, die gestützt vom Feldscher zu einem ihrer sehr kurzen und seltenen Inspektionsgänge aufgebrochen war, blickte Casco böse an.

„Was geht hier vor?“ wollte sie wissen, und jeder an Bord bemerkte, daß ihre Stimme nicht mehr die frühere Schärfe und Festigkeit hatte. Sie war leiser und kraftloser geworden in der langen Zeit, seit die schwarze Piratin ihre schwere Verwundung auskurierte. Früher, ja, da hatte sie ihrem Namen alle Ehre gemacht. Stolz und tatkräftig wie eine Königin war sie aufgetreten und gar mancher hatte sich die Zähne an ihr ausgebissen.

Seit sie sich jedoch im Duell gegen El Tiburon eine Kugel dicht über dem Herzen eingefangen und viele Wochen lang mit Wundfieber, Vereiterungen und gefährlichen Entzündungen in ihrer Koje gelegen hatte, war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Casco rappelte sich von den Planken hoch und deutete verächtlich auf die Leiche Pablos.

„Diese Ratte hat mich der Falschspielerei beschuldigt, und zwar unberechtigt, wie jeder dieser Männer hier bezeugen kann.“ Die Blicke, mit denen er seine Spielkumpane bedachte, sagten deutlich genug, daß eine gegenteilige Antwort von ihnen ernste Folgen nach sich ziehen würde.

Die Kerle nickten deshalb eifrig.

„Er hat recht, Madam!“ rief einer von ihnen. „Pablo hat den Streit begonnen. Er hat seine Pechsträhne nicht verwinden können.“

Die Piratin winkte ab.

„Werft die Leiche über Bord!“ befahl sie, und damit war der Fall für sie erledigt.

Die wüsten Kerle führten diesen Befehl aus, zumal es an Bord der „Caribian Queen“ ohnehin nicht üblich war, einen Toten in Segeltuch zu nähen und nach einem Gebet und einer Ansprache der See zu übergeben. Leichen nahmen den gleichen Weg wie die Küchenabfälle: man warf sie einfach über Bord.

Nachdem Pablos Körper mit einem Klatschen in das Wasser der Bucht eingetaucht war, zog sich die Black Queen mit Hilfe des Feldschers in ihre Achterdecksräume zurück. Das hämische Grinsen, das die wulstigen Lippen Cascos dabei umspielte, bemerkte sie nicht.

Sobald die einst so gefürchtete Frau nicht mehr zu sehen war, wandte sich Casco seinen Kumpanen zu. Ihre Schar war durch eine beträchtliche Anzahl Gaffer größer geworden. Das Stimmengewirr, das während des Auftauchens des weiblichen Kapitäns leiser geworden war, schwoll jetzt wieder an. Einige der Schnapphähne hieben dem bulligen Kreolen anerkennend auf die Schultern – getreu dem Brauch, sich immer auf die Seite des Stärkeren zu schlagen.

Casco genoß seinen Triumph, obwohl es nicht mehr sein Sieg über Pablo war, der sein Denken beherrschte. Seine Gedanken kreisten bereits um eine ganz andere Sache. Um eine Sache, die ihm schon seit Wochen im Kopf herumspukte, und über die man zuweilen hinter vorgehaltenen Händen tuschelte.

Der stiernackige Mann mit der breitgeschlagenen Nase zeigte jetzt mit dem Daumen zum Achterdeck.

„Unsere Queen scheint eine Katze ohne Krallen geworden zu sein“, sagte er spöttisch. „Wenn ich sie so kraftlos herumschleichen sehe, erinnert sie mich an meine sieche Großmutter.“

Während einige der verlotterten Burschen ein lautes Gelächter anstimmten, zogen es andere vor, zu schweigen, denn man wußte zur Zeit nicht so recht, wie man dran war auf der „Caribian Queen“.

Überhaupt hatte der Zusammenhalt an Bord in letzter Zeit merklich nachgelassen. Die meisten Männer waren gereizter Stimmung, und nichts fehlte ihnen mehr, als ein wilder Raid, der auch ihre leeren Beutel wieder auffüllte. So aber lag der Dreimaster seit Monaten in dieser einsamen Bucht, um die Genesung der Black Queen abzuwarten.

Das üppige Grün der Insel, die hochaufragenden Palmen und die baumhohen Farne waren oft wochenlang das einzige, was die Mannschaft zu sehen kriegte. Manchmal zog ein Schwarm Vögel lärmend über das Schiff weg und übertönte für einige Augenblicke die Flüche jener, die gerade beim Glücksspiel ihre letzte Barschaft verloren hatten. Die erzwungene Untätigkeit setzte den Kerlen am meisten zu. Alle warteten darauf, daß endlich etwas geschah.

Hinzu kam, daß seit Tagen auch die harte Hand an Bord fehlte. Die Black Queen war noch immer krank und schwach, und Caligula, ihr Geliebter, hatte schon vor acht Tagen das Schiff verlassen, um sich nach Havanna durchzuschlagen. Er wollte herausfinden, was aus Cariba geworden war, der im Auftrag der Black Queen schon vor einem Monat nach Havanna aufgebrochen war, um die Männer von der Schlangen-Insel, jenen schlagkräftigen Bund der Korsaren, den Spaniern ans Messer zu liefern.

Die Queen lebte nur noch ihrer persönlichen Rache. Da Cariba längst überfällig war, hatte der hünenhafte Caligula die Angelegenheit selber in die Hand genommen. Das aber war ein Fehler, wie sich noch zeigen sollte, denn seit er das Schiff verlassen hatte, bröckelte nicht nur der Zusammenhalt an Bord ab, sondern auch die Autorität. Und das war gefährlich, sehr gefährlich sogar.

In der Mannschaft gärte und brodelte es, und gerade Casco war einer von jenen, die genug Schlitzohrigkeit und Durchsetzungsvermögen hatten, um die allgemeine Stimmung auszunutzen.

Auch jetzt begann er das bereits schwelende Feuer wieder aufzuheizen.

„Manchmal frage ich mich“, fuhr er fort, „ob die Queen jemals wieder etwas als Kämpferin taugen wird. Ist euch nicht aufgefallen, wie schwach und abgemagert sie ist, he?“

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