Kitabı oku: «Seewölfe Paket 20», sayfa 8
2.
Havanna, am Morgen des 24. April.
Die „Pommern“, eine schwarz gepönte Dreimastgaleone mit zwanzig Culverinen sowie acht Drehbassen an Bord, rauschte stolz in den Hafen. Im Großtopp wehte die Flagge mit dem roten Greif auf silbernem Feld, das Wappen Pommerns, und an der Besanrute die Flagge von Kolberg mit der Bischofsmütze, den drei Stadttürmen und den beiden Schwänen.
Daß die wendige Beutegaleone, die früher einmal „Santa Clara“ geheißen hatte, auf der Schlangen-Insel durch die sachkundigen Hände des Schiffbaumeisters Hesekiel Ramsgate gegangen war, gereichte ihr sehr zum Vorteil. Nichts an dem Dreimaster erinnerte mehr an sein früheres Aussehen, selbst die weibliche Galionsfigur war entfernt und durch einen rot angestrichenen hölzernen Greif, das Wappentier Pommerns, ersetzt worden.
Die beiden Forts östlich und westlich der Hafeneinfahrt – das Castillo del Morro und das Castillo de la Punta – hatte die „Pommern“ unbehelligt passiert. Die Besatzung brauchte zu ihrer Zufriedenheit keinerlei Formalitäten und Kontrollen über sich ergehen zu lassen, weil die Galeone neben der „Wappen von Kolberg“ als zweites Schiff aus der Flotte des Handelshauses der von Manteuffels nach Havanna geschickt worden war. Zudem war Arne von Manteuffel, der Vetter des Seewolfs, vom Gouverneur der Insel als deutscher Kaufherr bestätigt worden.
Arne war darüber informiert, daß die „Pommern“ Havanna anlaufen würde, denn der Täuberich Izmir hatte die Nachricht schon am 20. April von der Schlangen-Insel gebracht. Die Brieftauben garantierten fürwahr einen absolut zuverlässigen Informationsdienst.
Während der Dreimaster auf die Pier zuhielt, die in unmittelbarer Nähe von Arnes Faktorei lag, wurden die Segel ins Gei gehängt. Laute Kommandos dröhnten in deutscher Sprache über die Decks, und die guteingespielte Crew demonstrierte den zahlreichen Gaffern und Herumlungerern, die das Hafengebiet bevölkerten, wie man fachkundig mit einem solchen Schiff umging. Die Zusammenarbeit zwischen den deutschen und englischen Besatzungsmitgliedern funktionierte hervorragend, und das war kein Wunder, denn sie alle hatten bisher dem Teufel auf allen Meeren der Welt beide Ohren abgesegelt.
Jawohl, trotz des deutschen Stimmengewirrs gehörten siebzehn Engländer – ausnahmslos Seewölfe von der „Isabella IX.“ – zur Crew. Außer dem Seewolf handelte es sich dabei um Dan O’Flynn, Ferris Tucker, Big Old Shane, Edwin Carberry, Smoky, Blacky, Al Conroy, Stenmark, Gary Andrews, Pete Ballie, Matt Davies, Sam Roskill, Luke Morgan sowie um den Kutscher und die Zwillinge.
Die Arwenacks hatten, was die nicht eben leichte deutsche Sprache betrifft, bereits eine ganze Menge von ihren Kameraden gelernt, denn auch die „Wappen von Kolberg“ hatte die Hälfte ihrer Mannschaft auf die „Pommern“ entsandt. Renke Eggens fungierte offiziell als Kapitän, weil sich Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, aus verständlichen Gründen nicht in Havanna blicken lassen konnte. Auch jetzt, während das Schiff anlegte, blieb er vorsichtshalber in der Kapitänskammer.
Draußen auf der Pier stand Arne von Manteuffel mit seinen beiden Helfern und begrüßte winkend die Mannschaft. Er packte kräftig mit zu und nahm zusammen mit seinen Männern die Leinen wahr. Wenig später war die „Pommern“ fest vertäut und Arne enterte mit lachendem Gesicht an Bord. Auf seinem Weg zur Kapitänskammer hieb er vielen Männern freundschaftlich auf die Schultern. Unter anderem auch dem bulligen Profos Ed Carberry.
„Wie geht es dir, Edwin?“ fragte er und vermied bewußt das englische „Mister Carberry“, solange er an Land gehört werden konnte.
Ed fühlte sich geehrt, von Arne in deutscher Sprache angeredet zu werden. Eine deutsche Antwort war deshalb absolute Pflicht.
„Danke, Härr von Mandeubel, es gätt mich sähr gutt.“
Stolz auf seine sprachliche Leistung schob Ed sein Rammkinn vor. Dennoch war sein Deutsch schauderhaft und erinnerte an einen der zahlreichen Dialekte, die man in jenem fernen Land sprach.
Arne nahm es lächelnd zur Kenntnis und strebte bereits dem Achterdeck zu. Ferris Tucker jedoch war erschüttert und boxte dem Profos gegen die Rippen.
„Mann, Ed, schließ lieber die Luke“, sagte er halblaut in englischer Sprache. „Die Leute auf Kuba halten dich sonst für einen Chinesen.“
„Hä?“ fragte Ed mit gedämpfter Stimme. „Warum für einen Chinesen? Habe ich vielleicht Schlitzaugen und einen Zopf, der mir im Genick herumbaumelt, was, wie?“
„Nein“, sagte Ferris verzweifelt, „aber du sprichst ein so grauenhaftes Deutsch, daß es wie Chinesisch klingt, oder was weiß ich, vielleicht auch wie Indisch oder Afrikanisch.“
„Blödsinn!“ begehrte Ed auf. „Wenn ich ein Chinese bin, kann meine Sprache nicht indisch oder afrikanisch klingen. Du redest vielleicht einen Stuß, du rothaariger Holzwurm!“
Ferris verdrehte die Augen und warf einen hilfesuchenden Blick gen Himmel.
„Aber du bist doch gar kein Chinese!“
„Weiß ich selber, Mister Tucker. Und wenn du mein hervorragendes Deutsch nicht verstehst, dann geh mal bei unseren Blondschöpfen in die Schule. Vielleicht kapierst du dann mit deinem Quadratschädel, was ich in dieser – äh – Kultursprache gesagt habe.“
Ferris Tucker streckte die Waffen, zumal es jetzt auch genug andere Dinge zu tun gab, als sich mit diesem Dickschädel von einem Profos über dessen Sprachkenntnisse zu streiten.
Arne von Manteuffel war inzwischen mit Renke Eggens in der Kapitänskammer angelangt und umarmte dort seinen Vetter Hasard.
Auf allen Seiten war die Wiedersehensfreude echt und tief. Die eisblauen Augen des Seewolfs blitzten, der mehr als sechs Fuß große Mann mit den breiten Schultern und schmalen Hüften hatte sich von seinem Stuhl erhoben.
Nur zu gerne wäre er an Land gegangen, um die Faktorei Arnes zu besichtigen, aber das wäre zu riskant gewesen. Die Dons waren geradezu begierig darauf, ihn zu vernichten, oder – was ohne Zweifel rentabler war – ihn als Gefangenen ins ferne Spanien zu bringen. Für sie war er der Staatsfeind Nummer eins, denn kein anderer hatte die Schiffe der spanischen Krone so gründlich erleichtert wie er.
Dabei war er kein Pirat, sondern ein Korsar der englischen Königin Elisabeth I. Sie hatte ihm einen Kaperbrief ausgestellt und ihn für seine Erfolge, von denen sie gewaltig profitierte, zum Ritter geschlagen.
Während Philip Hasard Killigrew drei schwere Zinnbecher auf den Eichentisch stellte und besten spanischen Rotwein einschenkte, sagte der blonde Arne, der bis auf die Haarfarbe seinem Vetter zum Verwechseln ähnlich sah: „Leg schon los, Hasard. Was gibt es Neues auf der Schlangen-Insel?“
„Oh“, meinte Hasard lächelnd, „dort ist eigentlich immer eine Menge los, langweilig wird es so gut wie nie.“ Dann berichtete er einige amüsante Begebenheiten aus „Old Donegals Rutsche“, der Felsenkneipe des alten O’Flynn, und natürlich auch von seiner Lebensgefährtin und „Beschließerin“, der rothaarigen und resoluten Mary Snugglemouse, was soviel wie Kuschelmaus bedeutete.
Auch Smoky, seine Gunnhild und der gemeinsame Stammhalter, gaben eine Menge Gesprächsstoff her, ebenso die hervorragenden Schiffe, die Hesekiel Ramsgate und seine Männer auf der Inselwerft bauten. Es tat Arne sichtlich gut, wieder einmal etwas über die Freunde auf der Schlangen-Insel zu hören, und so drehte sich das Gespräch noch eine ganze Weile um das versteckt gelegene Domizil des Bundes der Korsaren.
„Jetzt bist du aber an der Reihe“, sagte Hasard schließlich lachend. „Wir sind ja nicht nach Kuba gesegelt, um uns über niedliche Babys, Kneipen und Kuschelmäuse zu unterhalten. Ich nehme an, daß du ebenfalls mit einigen Neuigkeiten aufwarten kannst.“
„Das kann man wohl sagen“, erwiderte Arne und nahm einen Schluck aus dem Zinnbecher. „Hier hat unser gemeinsamer Freund Caligula wieder einmal für Furore gesorgt. Über sein plötzliches Auftauchen und seine Gefangennahme habe ich euch ja durch die Brieftauben auf dem laufenden gehalten, dennoch hat sich das Blatt inzwischen wieder gewendet.“
Hasards Züge wurden ernst. Ja, Arne hatte ihn und die anderen Bewohner der Schlangen-Insel in letzter Zeit ständig mit Nachrichten versorgt. So hatten sie rechtzeitig davon erfahren, daß nach dem Tod Caribas, der sich an Bord der gesunkenen spanischen Kriegskaravelle befunden hatte, Caligula persönlich aufgebrochen war, um die Engländer auf raffinierte Weise ans Messer zu liefern.
Sie waren auch darüber informiert worden, daß die totgeglaubte Black Queen noch unter den Lebenden weilte, und daß sich Caligula in einer Kneipe wie ein Verrückter aufgeführt hatte. Sein Amoklauf hatte einem Fischhändler sowie zwei Gendarmen das Leben gekostet. Kein Wunder, daß Soldaten anrücken mußten, um ihn ins Stadtgefängnis zu verfrachten. Da Arne große Bedenken gehabt hatte, daß sich der Schwarze dort mit seinem Wissen um die Schlangen-Insel freikaufen könnte, hatte er eine Brieftaube auf die Reise geschickt.
Alles in allem waren das Gründe genug, um eine gut armierte Galeone wie die „Pommern“ als Handelsschiff getarnt nacht Kuba zu schicken.
Die letzte Neuigkeit jedoch erfuhr Hasard erst jetzt.
„Caligula ist aus dem Stadtgefängnis ausgebrochen“, berichtete Arne, „und zwar in der Nacht vom zweiundzwanzigsten auf den dreiundzwanzigsten April. Wie ich in Erfahrung bringen konnte, hat er eine Reiterpatrouille abgehängt und dabei fünf Bluthunde erschlagen. Einen Reiter hat er aus dem Sattel geschossen und ist dann mit dessen Pferd weitergeflohen. Obwohl die Reiter seine Spur verloren haben, steht fest, daß er nach Süden geritten ist.“
Hasard horchte auf.
„Nach Süden? Wenn man davon ausgeht, daß er zur ‚Caribian Queen‘ zurückkehrt, dann müßte sich das Schiff vor der Südküste versteckt halten.“ Der Seewolf hieb sich plötzlich mit der flachen Hand auf den rechten Oberschenkel. „Ich will verdammt sein, wenn sich das Pack nicht irgendwo zwischen den Islas de Mangles verkrochen hat. Sie liegen vor der westlichen Südküste und bieten jede Menge Schlupfwinkel.“
Arne nickte zustimmend.
„Darüber habe ich mir auch schon den Kopf zerbrochen und stundenlang die Seekarten studiert. Der Verdacht liegt in der Tat sehr nahe, daß sich die Schnapphähne samt ihrer Königin bei den Islas de Mangles versteckt halten. Aber wo? Wenn du sie dort suchen willst, kannst du gleich die Stecknadel im Heuhaufen suchen. Die Karten weisen zwölf nicht sehr große Inseln aus, die sich, hintereinanderliegend, als Kette von Süden nach Nordwesten erstrecken, und zwar in einer Gesamtlänge von etwa fünfundzwanzig Meilen.“
Hasard zuckte mit den Schultern.
„Ein Kinderspiel wird es sicherlich nicht sein, aber unmöglich ist es nicht, die Kerle zu finden. Wir haben da schließlich auch unsere Erfahrungen und manchmal sogar einen Riecher für solche Verstecke. Zumindest werden wir es versuchen, denn aus diesem Grund sind wir ja nach Kuba aufgebrochen. Ich bin der Meinung, daß wir endlich für reinen Tisch sorgen müssen, bevor uns die Black Queen noch weiteren Ärger bereitet.“
„Hoffentlich hat das Caligula nicht schon getan“, wandte Renke Eggens ein. „Wenn er dem fetten Gouverneur die Position der Schlangen-Insel verraten hat, wird einiges auf uns zukommen.“
„Da hast du völlig recht“, bestätigte Hasard, „doch ich denke, daß er es nicht getan hat. Zumindest läßt seine plötzliche Flucht und die Tatsache, daß man ihn erfolglos gefoltert hat, darauf schließen. Nachdem er erfahren hat, was aus Cariba geworden ist, hat er wohl begriffen, daß ihm ein Verrat in seiner Situation als Gefangener überhaupt nichts nützen würde. Wahrscheinlich hätte man ihn ebenso wie Cariba auf ein Kriegsschiff verfrachtet.“
Das leuchtete den Männern ein, und in gewissem Sinne atmeten sie alle auf. Dennoch waren sie sich darüber im klaren, daß die Bedrohung durch die Queen nach wie vor weiterbestehen würde, wenn man sie nicht zur Strecke brachte. Die Möglichkeit war nie auszuschließen, daß sie dem Gouverneur oder Don Juan, dem Sonderbeauftragten der spanischen Krone, auf anonymem Weg die Lage der Insel verriet, um sich am Bund der Korsaren zu rächen. Ein rasches Handeln war deshalb unumgänglich.
Der Seewolf erhob sich. Mit nachdenklichem Gesicht ging er in der Kapitänskammer auf und ab und stützte dabei die Hände in die Hüften.
„Wir werden die ‚Caribian Queen‘ finden“, sagte er fest entschlossen.
„Wie willst du das anstellen?“ wollte Renke Eggens wissen.
„Wir werden während unserer Suche verschiedene Tricks ausprobieren“, antwortete Hasard. „Zum Beispiel werden wir versuchen, die ‚Pommern‘ als Köder anzubieten, um die Horde aus ihrem Versteck zu locken. Bekanntlich läßt ja die Katze das Mausen nicht. Des weiteren ist es möglich, daß sich die Piraten an der Festlandküste versorgen. Notfalls könnte man sich auf die Lauer legen und beobachten, ob die Kerle mit einer Jolle einen Hafen anlaufen – beispielsweise Batabano. Daß wir das gesamte Gebiet der Islas de Mangles kräftig durchstöbern werden, versteht sich von selbst.“
Der Seewolf fand mit diesen Plänen die Zustimmung Arnes und Renkes und füllte die Zinnbecher erneut mit Wein. Anschließend ließ er sich wieder auf seinem Stuhl nieder, um weitere Einzelheiten zu besprechen.
Als man sich über die wichtigsten Punkte geeinigt hatte und wieder ins allgemeine Plaudern verfiel, berichtete Hasard noch über sein Zusammentreffen mit einem erbitterten Jäger der Seewölfe – mit Don Juan de Alcazar, der im Rang eines mit Sondervollmachten ausgestatteten Generalkapitäns stand und der spanischen Krone als eine Art Menschenjäger diente.
Allerdings war dieser Mann nicht im entferntesten mit Don Antonio de Quintanilla, dem korrupten Gouverneur, zu vergleichen. Im Gegensatz zu diesem feisten Kapaun war er ein Mann, der auf ehrenvolles und ritterliches Verhalten Wert legte. Skrupellosigkeit und Niedertracht waren ihm fremd. Und das machte ihn – obwohl er sich zu einem ernst zu nehmenden und gefährlichen Jäger der Seewölfe entwickelt hatte – für die Arwenacks irgendwie auch sympathisch.
Hasard hegte die leise und vage Hoffnung, ihn irgendwann „umdrehen“ zu können, in dem man ihm über das verantwortungslose und ausbeuterische Treiben der spanischen Krone in der Neuen Welt die Augen öffnete. Irgendwann würde Don Juan schon begreifen, daß es sinnvoller und nützlicher war, den Dreck vor der eigenen Haustür zu kehren und dem hinterhältigen Gouverneur und seiner habgierigen Clique auf die Finger zu sehen, als hinter den Engländern herzujagen.
Arne teilte die Ansicht Hasards und versprach, alles, was in seiner Macht lag, zu versuchen, um in diesem Sinne auf Don Juan einzuwirken. Doch im weiteren Verlauf des Gesprächs schieden sich die Geister der beiden Vettern, denn Hasard schnitt ein Thema an, das ihm seit einiger Zeit Sorgen bereitete.
„Im übrigen“, fuhr er fort, „solltest du dir wirklich überlegen, Arne, ob es nicht zu gefährlich geworden ist, die Faktorei hier auf Kuba weiter zu betreiben. Du weißt genau, daß jeder Schnapphahn auf der ‚Caribian Queen‘ in der Lage ist, dich und deine Helfer zu enttarnen, und was das für dich sowie Jussuf und Jörgen bedeuten würde, kannst du dir an den Fingern einer einzigen Hand abzählen. Nach meiner Meinung ist das Risiko inzwischen zu groß geworden.“
Arne winkte energisch ab.
„Da laß dir keine grauen Haare wachsen. Bis jetzt läuft alles noch bestens, und ein gewisses Risiko hat nun mal jedes Geschäft. Trotzdem meine ich, daß unsere Ziele das Risiko wert sind. Daß Jussuf und Jörgen diese Meinung teilen, dessen bin ich sicher. Unsere Späherdienste, das mußt du zugeben, sind für den Bund der Korsaren sehr wichtig, ich möchte sogar sagen, lebenswichtig. Zumindest haben das die letzten Ereignisse wieder deutlich bestätigt. Wir werden auf jeden Fall weitermachen. Überlaß das getrost unserer eigenen Verantwortung.“
Hasard spürte rasch, daß er mit seinen Bedenken bei Arne auf Granit biß, und schließlich, nach einigem Hind und Her, akzeptierte er dessen Argumente. Das vorrangige Ziel für den Bund der Korsaren bestand jetzt darin, die Black Queen endgültig auszuschalten und zu verhindern, daß sie ihnen noch größere Schwierigkeiten bereitete, als sie das ohnehin schon getan hatte.
Die beiden Männer verabredeten noch, daß sie sich abermals durch Brieftauben verständigen wollten, wenn die „Pommern“ nach dem Unternehmen gegen die Black Queen zur Schlangen-Insel zurückgekehrt sei.
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als Renke Eggens und Arne von Manteuffel die Kapitänskammer verließen. Die Düfte, die aus dem offenen Kombüsenschott strömten, erinnerten daran, daß das mittägliche Backen und Banken bevorstand.
Die Mannschaft hatte die Zeit genutzt und unter der Anleitung Jussufs und Jörgen Bruhns bereits einen Teil Ladung übernommen – Schiffsbauholz für Hesekiel Ramsgate, Segeltuch, Werkzeuge, Nägel, Farben und einiges mehr. Auf den nackten Oberkörpern der Männer glänzte der Schweiß, und manch einer schielte mit knurrendem Magen zur Kombüse, wo der Kutscher unter Mithilfe der Zwillinge das Mittagsmahl zubereitete.
Der Tag verging rasch, und alles verlief ohne Zwischenfälle. Trotzdem blieb Hasard in der Kapitänskammer. Erst in der Nacht verließ er die „Pommern“ und besichtigte mit seinen Männern die Faktorei Arnes, die in unmittelbarer Nähe lag. Die Zeit war zwar kurz bemessen, doch die Arwenacks genossen die wenigen Stunden an Land. Der edle Tropfen, den Arne spendierte, mundete allen vorzüglich, so daß selbst Ed Carberry seine anfängliche Befürchtung, am „Inselstaub“ ersticken zu müssen, aufgab. Sie alle bedauerten lebhaft, daß sie noch in der Dunkelheit auf die „Pommern“ zurückkehren mußten.
Am darauffolgenden Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, verließ der Dreimaster unbehelligt den Hafen von Havanna. Arne, Jörgen und Jussuf standen noch lange an der Pier und winkten.
Sobald die Galeone außer Sichtweite war und weder von Havanna noch von den beiden Forts aus gesehen werden konnte, ging sie auf Westkurs, um Kap San Antonio zu runden.
3.
Über Batabano hatte sich die Abenddämmerung gesenkt. Die Sonne versank wie ein blutroter Ball hinter dem Horizont. Von der See her wehte eine frische Brise und vertrieb die flirrende Hitze, die tagsüber das Atmen erschwerte.
Der pechschwarze und muskulöse Mann, der eine ehemals weiße, jetzt aber schmutzige und zerschlissene Pumphose trug, spähte vorsichtig durch die Fensteröffnung. Sein nackter Oberkörper war schweißnaß, um die Handgelenke trug er Eisenmanschetten, die mit einer Kette verbunden waren. Seine Augen tasteten lauernd die nähere Umgebung ab, schließlich wanderten seine Blicke hinüber zum Hafen und hinaus auf die silbrig glitzernde Wasserfläche.
Caligula war auf der Hut, und er hatte auch allen Grund dazu, denn bei seiner Flucht aus dem Stadtgefängnis von Havanna hatte er eine blutige Spur hinterlassen.
Man schrieb den 24. April 1594, und Caligula hatte Batabano bereits am Nachmittag erreicht. In einiger Entfernung von den ersten Häusern und strohgedeckten Lehmhütten hatte er das erbeutete Pferd davongejagt. Er war schlau genug, zu wissen, daß ein mit Handketten gefesselter Neger auf einem Pferd, das nach Zaumzeug und Sattel einem spanischen Reitersoldaten gehören mußte, sofort auffallen würde.
In den heißen Nachmittagsstunden, in denen die Bewohner ihre Siesta hielten und sich kaum jemand in den engen Gassen blicken ließ, hatte er sich nach Batabano geschlichen und in einer leerstehenden Lehmhütte versteckt. Das halbzerfallene Gebäude hatte den Vorteil, daß es in der Nähe des Hafens lag und eine gute Sicht dorthin gewährte.
Zunächst einmal hatte Caligula mit Heißhunger einige Bananen in sich hineingeschlungen, die er im Vorbeigehen einem im Schatten seines Karrens eingenickten Obsthändler entwendet hatte. Schließlich war sein Magen schon seit vielen Stunden am Knurren.
Danach war er auf dem gestampften Lehmboden für einige Stunden eingeschlafen. Niemand hatte seine Ruhe gestört. Das Gebäude war alt, das Dach teilweise eingestürzt. Überall in den Räumen roch es muffig, eine dicke Staubschicht bedeckte Boden und Wände. Das störte Caligula jedoch nicht, denn dieses Versteck war immer noch komfortabler als das Rattenloch, in das man ihn in Havanna gesperrt hatte.
Jetzt, nachdem er in Batabano war und den Hafen in seiner unmittelbaren Nähe wußte, huschte hin und wieder ein triumphierendes Grinsen über sein verschlagenes Gesicht. Er fühlte sich seinem Ziel weit näher, als das im Gefängnis der Fall gewesen war. Und dieses Ziel war die „Caribian Queen“.
Nach dem bisher so erfolgreichen Verlauf seiner Flucht fühlte sich Caligula wieder obenauf, auch wenn die Lage zur Zeit nicht besonders rosig für die ganze Piratenschar aussah. Die Black Queen lag siech in ihrer Koje, und er war ein verfolgter Sträfling, während die Crew vor Langeweile rappelig wurde.
Fürwahr, man hatte schon bessere Zeiten erlebt. Wenn der Neger an die Vergangenheit dachte, dann tauchte immer wieder das Gesicht des Seewolfs vor seinem inneren Auge auf. Der Seewolf war es, dem man seiner Meinung nach die ganze Misere zu verdanken hatte. Er war schuld daran, daß die Black Queen und er nicht längst die ganze Karibik beherrschten.
Zum Teufel, irgendwann würde die Stunde nahen, in der er diesem englischen Bastard alles heimzahlen würde, und sei es auch nur in kleinen Münzen.
Caligula blickte immer wieder durch die Fensteröffnung zum Hafen hinüber. Jetzt, am Abend, belebten sich die Gassen und Plätze wieder etwas. Er hörte Stimmengewirr, dazwischen das Geschrei von Kindern und das Bellen von Hunden. Das helle Lachen einer Frau erinnerte ihn an die angenehmsten Stunden seines Havanna-Aufenthaltes, denn gleich nach seiner Ankunft hatte er sich tagelang in den Hurenhäusern herumgetrieben.
Den Einbruch der Dunkelheit wartete Caligula noch ab, dann verließ er vorsichtig sein Versteck. Die schwere Eisenkette, die man an seine Handgelenke geschmiedet hatte, ließ sich kaum verbergen. Er konnte sie jedoch erst auf der „Caribian Queen“ zerschlagen lassen.
Der schwarze Herkules huschte flink durch die mondhelle Nacht und mied dabei jene Plätze und Gassen, die ziemlich belebt waren. So erreichte er in kurzer Zeit und ohne irgendwelche Schwierigkeiten den Hafen. Dort verhielt er einen Moment und ließ seine Blicke über die Schiffe und Boote streifen, die dort vertäut waren oder vor Anker lagen. Dabei achtete er für Augenblicke nicht auf seine Umgebung, und das sollte ihm Ärger einbringen – Ärger jedoch, den er auf seine Art bereinigen würde.
„Auf was wartest du hier?“
Caligula fuhr blitzschnell herum. Die barsche Stimme gehörte zu einem Gendarm, der unbemerkt hinter ihm aufgetaucht war. Der Mann war schwer bewaffnet und höchstens noch zehn Schritte von ihm entfernt.
Während des Herumwirbelns hatte Caligula nicht vermeiden können, daß die schwere Eisenkette klirrte. Ebenso konnte er nicht verhindern, daß der Gendarm sie sah. Was tun? Die Gedanken hinter der Stirn des Schwarzen jagten sich. Einem Gendarm brauchte niemand zu erklären, was Sträflingsketten bedeuteten.
Sollte er also davonlaufen? Nein, das wäre verkehrt. Der Kerl würde Alarm schlagen, und er hätte im Nu die ganze Meute im Nacken. In dieser Situation blieb ihm nichts anderes übrig, als einen kühlen Kopf zu bewahren und jede sich bietende Gelegenheit beim Schopf zu packen.
„Ich habe dich was gefragt, Kerl!“ rief der Gendarm und zog gleichzeitig seine Steinschloßpistole aus dem Gürtel. Ein leises Klicken verriet, daß er den Hahn gespannt hatte. Außer der Schußwaffe trug er noch einen Säbel und ein Messer bei sich.
Caligula zwang ein Grinsen in sein Gesicht.
„Auf was soll ich schon gewartet haben“, sagte er mit ruhiger Stimme, „auf dich natürlich.“
„Willst du Witze reißen, du Bastard?“
„Aber nicht doch“, erwiderte Caligula. „Es heißt doch immer, verlorengegangene Sträflinge sollten sich reumütig bei der Obrigkeit melden. Das tue ich hiermit.“
Der Gendarm warf dem hünenhaften Neger einen mißtrauischen Blick zu und blieb vier Schritte vor ihm stehen. Den Lauf seiner Pistole richtete er drohend auf die Brust des Sträflings.
„Hör auf, hier dumme Geschichten zu erzählen. Wie heißt du, woher kommst du? Heraus mit der Sprache, aber ein bißchen plötzlich!“
Caligula grinste noch breiter.
„Wie ich heiße, ist doch unwichtig. Interessant ist nur, daß ich zuletzt in Havanna war.“
„Havanna?“ Der Gendarm wurde wütend. „Ich stopfe dir gleich dein Lügenmaul, du verdammter Nigger. Glaubst du vielleicht, ich lasse mich von dir verulken? Niemand läuft unbemerkt mit Sträflingsketten von Havanna nach Batabano! Außerdem siehst du bemerkenswert ausgeruht aus. Wage nicht, mir noch weitere Märchen aufzutischen. Also – wo bist du ausgebrochen?“
Caligula zuckte mit den Schultern.
„Es tut mir leid, daß du dich so aufregen mußt, aber ich war wirklich in Havanna. Daß ich den Weg zu Fuß zurückgelegt habe, hat niemand behauptet. Man hat mir nämlich großzügigerweise ein Pferd zur Verfügung gestellt. War das nicht nobel?“
Jetzt schoß dem Gendarm die Zornröte ins Gesicht.
„Das reicht mir!“ brüllte er und tat genau das, was Caligula mit seinen provozierenden Reden hatte erreichen wollen. Er trat dicht an ihn heran, um ihm den Lauf seiner Pistole über den Schädel zu schlagen.
Im selben Augenblick rasselten Ketten. Bevor der Gendarm zuschlagen oder einen Schuß abfeuern konnte, war sein Schicksal besiegelt. Der kräftige Mann mit dem gedrungenen Körperbau hatte sich gewaltig überschätzt, wenn er geglaubt hatte, diesem Neger gewachsen zu sein. Er ahnte nicht, daß sich dieser Sträfling in eine todbringende Bestie verwandeln konnte.
Die Ketten schlangen sich in Sekundenschnelle um seinen Hals. Dabei ließ er reflexartig die Pistole fallen, um nach der Würgekette zu greifen.
Aber er hatte keine Chance gegen Caligula. Wenig später hing sein Körper schlaff zwischen der Kette.
„So hast du dir das wohl nicht vorgestellt, du Hund!“ zischte Caligula und ließ den reglosen Körper auf die Erde sinken. Mit leiser Stimme fügte er hinzu: „So einfach schafft man mich nicht, verstehst du? Mich nicht!“
Rasch blickte er sich um, aber es war niemand in der Nähe, der die grausige Szene beobachtet hatte. Trotzdem verlor Caligula keine Zeit. Er bückte sich und zog dem Gendarmen das Messer aus dem Gürtel, dann stieß er den Toten einfach ins Wasser.
Wenig später verschwand der Schwarze im Schatten eines Lagerschuppens. Nur bei genauem Hinsehen konnte man dort seine Körperumrisse erkennen. Er verharrte eine Weile in diesem Versteck, immer noch nach einem passenden Fluchtfahrzeug Ausschau haltend. Eine Gruppe betrunkener Männer, die grölend vorbeitorkelten, bemerkte ihn nicht.
Caligula brauchte nicht lange in seinem Versteck auszuharren, denn schon bald rückte eine einlaufende kleine Schaluppe in sein Blickfeld. Das Fahrzeug, das drei Männer an Bord hatte, wurde an der Pier ganz in seiner Nähe vertäut. Es handelte sich offensichtlich um Fischer, die spät zurückkehrten. Zwei davon landeten ihren Fang und schleppten die Körbe abseits der Pier zu einem kleinen Schuppen. Ein Mann blieb an Bord zurück.
Caligula witterte eine Chance.
Die Schaluppe war absolut seetüchtig und leicht zu segeln. Damit würde er die „Caribian Queen“ mühelos erreichen. Warum also lange fackeln? Wie ein Raubtier, das auf Beutefang aus ist, huschte der schwarze Herkules durch die Nacht und erreichte die Schaluppe.
Der ahnungslose Fischer war noch mit Aufräumarbeiten beschäftigt und verstaute einige Dinge in einem Korb. Er achtete nicht auf das, was in seiner Nähe vor sich ging.
Caligula schlich sich gewandt wie eine Katze an Bord. In der Rechten hielt er das Messer, das er dem toten Gendarm abgenommen hatte.
Erst das Klirren der Kette ließ den Fischer, der noch immer über den Korb gebeugt war, hochfahren.
„Bist du es, Pedro?“ fragte er. Im selben Moment weiteten sich seine Augen. Wie versteinert starrte er auf den riesigen Neger mit der Handkette und dem blitzenden Messer.
Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte Totenstille, dann fiel Caligula wie ein Löwe über seine Beute her. Er stieß zweimal mit dem Messer zu, der Fischer sank stöhnend auf die Planken.
Die wulstigen Lippen Caligulas umspielten ein triumphierendes Grinsen. Er hatte es geschafft. Nichts und niemand würde ihn jetzt noch aufhalten. Der Weg zur „Caribian Queen“ war frei.
Um den Toten kümmerte sich Caligula zunächst nicht. Er warf rasch die Leinen los, legte einen Riemen in die dafür vorgesehene Halterung und wriggte das Fahrzeug aus dem Hafenbereich.
Niemandem war etwas aufgefallen, keiner hatte etwas gehört oder gesehen. Erst als er weiter draußen war, setzte er in der Dunkelheit das Segel und nahm Kurs auf die Islas de Mangles.
„Dich erwartet dort niemand“, sagte er zu der reglosen Gestalt auf den Planken und stieß sie mit dem Fuß an. Dann packte er den Toten und wuchtete ihn mit einem lauten „Hopp!“ über das Schanzkleid.
Caligula war wieder in Form, in Bestform sozusagen. Und Skrupel – nein, die hatte er noch nie gehabt.