Kitabı oku: «Seewölfe Paket 20», sayfa 9
4.
Es war Nachmittag. Die „Caribian Queen“ hatte vor etwa einer Stunde Kap Corrientes, die östliche Spitze des gleichnamigen Golfes, passiert.
Casco stand an der Schmuckbalustrade des Achterkastells, hielt eine Muck mit Rum in der Hand und lachte dröhnend. Die breitgeschlagene Nase verlieh dabei seinem Gesicht das Aussehen einer Horrormaske.
Der Kreole genoß seine Stellung als neuer Kapitän der „Caribian Queen“. Und er amüsierte sich köstlich über die beiden Kerle, die sich da unten auf der Kuhl wegen einer verlorenen Wette prügelten.
„Ho, Sancho!“ brüllte er. „Sei nicht so zimperlich! Ich weiß, daß Puso eine stinkende Ratte ist, aber deshalb mußt du ihn trotzdem anfassen!“
„Casco hat recht!“ rief der säbelbeinige Silo dazwischen. „Du kannst dir ja hinterher die Hände waschen.“
Die zahlreichen Gaffer hieben sich johlend und grölend auf die Schenkel.
Sancho und Puso, die zu den Jüngsten an Bord gehörten, droschen wie die Wilden aufeinander ein. An der Stirn Sanchos wuchs bereits eine prächtige Beule, Pusos linkes Auge verfärbte sich zusehends dunkler.
Der Schlagabtausch tobte eine Weile unentschieden hin und her. Wahrscheinlich hätten die beiden längst aufgegeben, wenn nicht die Schar der Gaffer sie ständig angefeuert hätte. Die Kerle waren nach den Monaten des Wartens und Herumgammelns für jede Abwechslung, selbst für die kleinste, dankbar. Auch jetzt hätten sie gern noch ein Weilchen zugesehen, doch der laute Ruf des Mannes im Ausguck veränderte die Situation schlagartig.
„Deck, ho!“ wahrschaute er die Mannschaft und deutete dabei in nördliche Richtung. „Dort drüben stehen Hütten!“
Casco unterbrach sein Lachen, und da ihnen das allgemeine Interesse im Moment entzogen wurde, ließen auch Sancho und Puso voneinander ab.
„Wie groß ist das Nest?“ wollte Casco wissen.
„Nicht sehr groß“, lautete die Antwort aus dem Großmars. „Es sind nur ein paar Fischerhütten.“
Casco ließ sich das kostbare Spektiv bringen, das bisher die Black Queen benutzt hatte, und setzte es mit einer wichtigtuerischen Pose ans Auge. Ja, da lag etwas nördlich im Schutze des Kaps tatsächlich eine kleine Ansiedlung.
Der Oberschnapphahn schnalzte genüßlich mit der Zunge.
„Viel zu holen gibt es da sicherlich nicht“, sagte er grinsend, „aber eine kleine Übung, gewissermaßen als Auftakt für unsere künftigen Beutezüge, könnte bestimmt nicht schaden. Oder hat jemand was dagegen?“
Er erntete begeisterte Zustimmung. Die wüste Schar der Meuterer war begierig darauf, sich endlich mal wieder richtig auszutoben. Gleichzeitig bot sich bei dem Überfall auf das Fischerdorf für Casco die Gelegenheit, seine „Führerqualitäten“ erneut zu demonstrieren.
Der erste, der laut „Hurra!“ brüllte, war der kriecherische Silo. „Endlich ist mal wieder etwas los“, fügte er hinzu. „Wir werden schon unseren Spaß haben, auch wenn es da drüben nicht viel zu holen gibt. Hauptsache, wir bleiben in Übung.“
„Und sicherlich gibt’s dort genug Weiber!“ rief Sancho, der nun wieder in Eintracht neben Puso stand. „Zum Teufel, die sind mir lieber als die paar Münzen der Fischer.“
Er erntete lautes Gelächter.
Auch Puso, dessen blutunterlaufenes Auge mehr und mehr zuschwoll, war wieder in seinem Element. Er klopfte sogar Sancho, dem er noch vor wenigen Augenblicken am liebsten ein Messer in die Brust gestoßen hätte, freundschaftlich auf die Schulter.
Ja, so langsam hob sich die Stimmung auf dem Meutererschiff, und Casco tat alles, was in seiner Macht lag, um sie noch zu steigern. Natürlich wuchs damit auch sein Ansehen gewaltig.
Es war die schönste Musik in seinen Ohren, als er einen der Kerle sagen hörte: „Casco, ja, der ist goldrichtig. Der geht bei der ersten Gelegenheit schon ran.“
Ein anderer rief fäusteschwingend: „Der Teufel soll die Black Queen holen! Unter ihrem Kommando würden wir jetzt noch in der Bucht herumgammeln. Hoffentlich vermodert die dürre Ziege auf der Insel, mir soll es nur recht sein.“
Casco gab im Hinblick auf den bevorstehenden Überfall seine ersten Befehle. So oft er auch durch das Spektiv spähte – er konnte nichts Auffälliges an dem Küstendorf feststellen. Es rührte sich zwischen den Lehmhütten kaum etwas, wahrscheinlich hielten die Bewohner in der Nachmittagshitze ihre Siesta. Das konnte sein Vorhaben nur begünstigen.
„Sollen wir die Geschütze gefechtsklar machen?“ fragte Silo, der sich mehr und mehr zur rechten Hand Cascos entwickelte.
Doch der Kreole winkte lässig ab.
„Meinetwegen drei auf jeder Seite“, entschied er. „Genaugenommen brauchen wir zur Begrüßung höchstens eine einzige Kugel. Irgendwie müssen wir das faule Pack ja aufwecken, sonst verpennen die noch den ganzen Spaß.“
Silo lachte meckernd.
„Recht so, wenn wir schon vorab alles kaputtschießen, ist überhaupt nichts mehr zu holen.“
Casco nickte selbstgefällig.
„Die Männer, die auf dem Schiff bleiben, können uns vorsichtshalber etwas Rückendeckung geben, aber selbst das wird bei diesem Spielchen kaum nötig sein. Sorg dafür, Silo, daß unsere Leute ausreichend bewaffnet sind.“
Während der düstere Dreimaster, dessen Rumpf weit aus dem Wasser ragte und dessen zwei Kanonendecks mit 20-Pfündern bestückt war, nach Steuerbord abfiel und die nahe Küste anlief, bereiteten sich die Piraten auf ihren Überfall vor. An Waffen fehlte es ihnen wahrhaftig nicht. Es gab so gut wie nichts, was da nicht gehortet worden war: Musketen, Steinschloß- und Radschloßpistolen, Säbel, Degen, Entermesser und Enterbeile, Cutlasse, Dolche und sogar Morgensterne, jene gefürchteten eisengezackten Schlaginstrumente.
Casco, der sich in seiner Eigenschaft als neuer Kapitän äußerst wichtig fühlte, überwachte alles bis ins Detail. Er vergaß nicht einmal, witzig gemeinte Ratschläge über den Gebrauch der einzelnen Waffen zu geben, um die ausgezeichnete Stimmung der Schnapphähne noch zu verbessern.
Einer der Meuterer verholte sich zum Ausloten der Wassertiefe auf die Galion, nachdem ihm Casco die Lotleine in die Hände gedrückt hatte.
Die Maßnahme erwies sich rasch als nützlich, denn innerhalb der Bucht ließ die Tiefe gewaltig nach. Sie konnten sich kaum noch weiter an das Ufer heranwagen.
„Fallen Anker!“ befahl Casco und gleich darauf sausten Trosse und Anker in die Tiefe. Dann wurde – ohne weitere Zeit zu verlieren – die einzige, noch vorhandene Jolle ausgeschwenkt und zu Wasser gelassen. Die zweite Jolle hatten drei ihrer Kumpane, die noch vor der Meuterei bei den Islas de Mangles still und leise „abgemustert“ hatten, mitgehen lassen.
„Fünfzehn Mann bleiben zunächst an Bord“, entschied Casco. „Die anderen sehen zu, daß sie ein Plätzchen in der Jolle finden.“
Da sich die Horde nicht darauf einigen konnte, wer zurückbleiben sollte, denn sie waren ja alle begierig darauf, an dem „Spielchen“, wie sie es nannten, teilzunehmen, mußte Casco die Männer auswählen. Natürlich ging das nicht ohne lange Gesichter ab.
„Sollen wir hier Däumchen drehen oder vielleicht ein Nickerchen halten, während ihr euch da drüben vergnügt?“ wollte einer wissen.
„Reiß dein vorlautes Maul nicht so weit auf“, knurrte Casco, „es könnte sonst sein, daß du es nicht mehr zukriegst. Wir haben nur das eine Boot, und keiner von euch wird wohl darauf erpicht sein, ans Ufer zu schwimmen. Also werdet ihr hier das Schiff bewachen und uns Rückendeckung geben. Sobald wir da drüben die Lage für uns entschieden haben, werdet ihr bis auf eine Ankerwache abgeholt.“
Diese Aussichten besänftigten die Kerle wieder, obwohl es ihnen ganz gewaltig in den Fingern juckte.
„Sollen wir jetzt schon eine Begrüßungskugel ’rüberschicken?“ fragte ein bärtiger Kerl.
Der Kreole schüttelte den Kopf.
„Damit warten wir noch ein bißchen. Bis jetzt ist drüben noch alles ruhig. Wenn wir die Hühner vorzeitig aufscheuchen, laufen sie davon und verstecken sich und gerade das wollen wir ja vermeiden. Ich werde, kurz bevor wir an Land gehen, ein Zeichen geben. Dann meinetwegen setzt einen gezielten Schuß mitten zwischen die Hütten. Sie werden diesen freundlichen Gruß sicher richtig verstehen.“
„Feuert nur nicht zu tief“, bemerkte Sancho grinsend, „sonst versenkt ihr womöglich noch unsere Jolle.“
Der Bärtige ließ das nicht auf sich sitzen.
„Ich werde genau auf deinen Hinterkopf zielen“, versprach er Sancho, „damit dir auch dort eine Beule wächst.“
Bald darauf drängten sich die schwerbewaffneten Piraten an Bord der Jolle und stießen das Fahrzeug von der „Caribian Queen“ ab.
Casco hatte gerade die Anweisung gegeben, sich möglichst leise zu verhalten, um den Überraschungseffekt zu vergrößern, da begann sich in dem Küstendorf etwas zu regen.
Spätestens nach der Bemannung der Jolle hatten die Dorfbewohner begriffen, daß kein harmloser Handelsfahrer in der Bucht vor Anker gegangen war. Warum sonst war das Boot fast bis zum Kentern mit wildaussehenden und bis an die Zähne bewaffneten Männern bemannt? Jedes andere Schiff hätte, wenn beispielsweise Trinkwasser gebraucht worden wäre, nur eine kleine Abordnung an Land geschickt.
Die Männer, die den düsteren Zweidecker bereits eine Weile beobachteten, wußten jetzt, was die Stunde geschlagen hatte.
Der Ruf „Piraten!“ pflanzte sich in Windeseile von Hütte zu Hütte fort. Aber was konnte man tun? Die Fischerboote ins Wasser bringen und damit fliehen – dazu war es zu spät. Das riesige Schiff würde sie mühelos zerschießen.
So entschlossen sich die wenigen Männer des Dorfes, so gut es eben ging, Widerstand zu leisten. Rasch holten sie ihre halbverrosteten Pistolen und Musketen herbei, einige bewaffneten sich mit Holzlatten, Knüppeln und Bootsriemen. Die einzigen Waffen, über die sie alle verfügten, waren Messer.
Einige Frauen und Mädchen rafften hastig ihre wichtigsten Habseligkeiten zusammen, um damit landeinwärts zu fliehen. Doch es war fraglich, ob die Zeit dazu noch ausreichen würde. Die Jolle der Piraten wurde mit kräftigen Riemenschlägen vorangetrieben, sie würde das Ufer bald erreichen.
Das Gebrüll und Gejohle wurde immer lauter. Hinten in der Jolle stand ein bulliger Kerl, schwarz wie alle anderen, und reckte die Fäuste in die Luft. Dabei feuerte er seine Kerle zum schnelleren Pullen an.
Casco amüsierte sich darüber, daß die Dorfbewohner wie aufgescheuchte Hühner reagierten. Dieses Verhalten steigerte seine Jagdlust gewaltig, und er konnte es kaum erwarten, diese „Hühnchen“ zu rupfen. Außerdem fand er es jetzt auch an der Zeit, den verabredeten „Begrüßungsschuß“ abfeuern zu lassen.
„Ha!“ rief er. „Gleich werden wir den Hühnerstall ausmisten. Und denkt daran, Leute, wir fackeln nicht lange rum. Nur die Weiber sollten wir ein bißchen schonen, sonst verderben wir uns selber den Spaß.“ Er drehte sich um und winkte zur „Caribian Queen“ hinüber, auf der man inzwischen an der Steuerbordseite drei Stückpforten geöffnet und die schweren Culverinen ausgerannt hatte.
Die Schnapphähne an Bord bestätigten das Zeichen. Kurz danach stach eine grelle Feuerflamme aus dem Schlund der mittleren Kanone hervor und jagte brüllend und fauchend eine schwere Eisenkugel mitten in das Fischerdorf.
Die Kugel raste mit zerstörerischer Kraft in eine der Lehmhütten. Ein Teil des Daches und die der See zugewandte Mauer stürzten krachend zusammen. Eine Fontäne aus Dreck, Staub und Mauerteilen wurde hochgewirbelt und ergoß sich über die umliegenden Gebäude. Laute Schreie aus dem Inneren der Ruine ließen erkennen, daß sich auch Menschen darin aufgehalten hatten.
Der Kampf war eröffnet, die gleich darauf an Land stürmenden Schnapphähne, die sich über das winzige Dorf verteilten, verwandelten sich im Handumdrehen in menschliche Bestien.
Die ersten Musketen- und Pistolenschüsse krachten, bald darauf klirrten die Blankwaffen.
Die Fischer, eine Handvoll älterer und jüngerer Männer, hatten sich in die Deckung ihrer bescheidenen Behausungen zurückgezogen und feuerten zunächst ihre Schußwaffen auf die heranstürmenden Piraten ab.
Einen der Schwarzen erwischten sie sogar. Er warf die Arme hoch und fiel dann rücklings in den Ufersand. Das hinderte seine blutdürstigen Kumpane jedoch nicht daran, wie eine wildgewordene Büffelherde über ihn hinwegzutrampeln.
Nach kurzer Kampfzeit waren die Fischer bereits gezwungen, nur noch die Blankwaffen sowie die Knüppel und Bootsriemen einzusetzen. Für ein Nachladen der wenigen Schußwaffen blieb keine Zeit.
Eine wilde Schlacht tobte im ganzen Dorf. Die Bewohner wehrten sich verzweifelt, doch die Piraten kannten kein Pardon. Etliche Tote lagen zwischen den Hütten, einige Verwundete wälzten sich stöhnend auf der Erde. Die schrillen Angstschreie der Frauen und Mädchen übertönten zeitweilig den Kampflärm. Jene, die losgelaufen waren, um sich im nahen Dickicht zu verstecken oder weiter landeinwärts zu fliehen, wurden rasch eingeholt und zurückgetrieben. Einige Piraten fielen gleich an Ort und Stelle über sie her.
Der ganze brutale Überfall dauerte kaum länger als eine halbe Stunde. Außer einigen Alten, die in ihren Hütten geblieben waren, überlebte kaum einer der männlichen Verteidiger des winzigen Dorfes das Massaker.
Die Kerle, die auf der „Caribian Queen“ geblieben waren, starrten sich die Augen aus und brüllten anfeuernde Rufe über die Bucht, auch wenn diese wegen der Entfernung niemand verstehen konnte. Sie bedauerten lebhaft, daß sie nicht mitmischen konnten. Aber Casco hatte ja versprochen, sie zu holen.
Dieses Versprechen hielt der Kreole auch, aber zunächst einmal tobte auch er sich an den wehrlosen Frauen des Dorfes aus. Danach brüllte er lautstark seine Horde zusammen, stieg auf ein kieloben im Sand liegendes Fischerboot und begann wild herumzufuchteln.
„Alle mal herhören!“ rief er. „Das gilt auch für dich, Sancho. Laß das Weib solange in Ruhe! Es zweifelt wohl niemand daran, daß dieses Dorf in unserer Hand ist. Wer jetzt noch weiter Widerstand leistet – und das gilt auch für die Widerspenstigen unter den Weibern –, wird über die Klinge springen. Ab sofort bin ich nämlich der Bürgermeister …“
Wildes Gejohle unterbrach ihn. Die Kerle tanzten um ihn herum und benahmen sich wie eine Schar Verrückter.
„Hoch lebe unser Bürgermeister!“ rief Puso.
„Hoch lebe Casco!“ fügte Silo hinzu.
Auf das Weinen und Wimmern der Frauen und Mädchen achtete niemand. Keiner der Kerle hatte auch nur eine Spur von Mitleid.
Jetzt ergriff Casco wieder das Wort.
„Hört zu, Leute, die Ernennung zum Bürgermeister muß gefeiert werden, und zwar so, wie sich das gehört. Doch vorab werdet ihr die Toten wegschaffen, damit wir Platz zum Tanzen haben. Dann werden einige von euch zu unserem Schiff pullen und den Rest der Mannschaft holen. Die Jungs wollen auch ihren Spaß haben.“
Wieder wurde der Kreole von lauten Hurrarufen unterbrochen. Er genoß sie wie ein Komödiant den Applaus.
„Das ist noch nicht alles“, fuhr er schließlich fort. „Treibt alles Vieh zusammen, das ihr finden könnt. Anschließend werden uns die Weiber mal zeigen, was sie vom Kochen verstehen. Während wir uns in den Hütten umsehen, um das Pack etwas zu erleichtern, werden die Weiber das Viehzeug schlachten und uns in ausreichender Menge Spießbraten zubereiten. Danach kann es dann losgehen mit Musik, Tanz und Sauferei. Ha, Leute, laßt uns unsere Freiheit feiern – die Freiheit vom Joch der Black Queen!“
Die Schnapphähne tobten wie entfesselte Naturgewalten. Selbst die Stimme Cascos ging in ihrem Beifall unter.
Danach wurden die Anordnungen des Kreolen ausgeführt. Während einige der Kerle zur „Caribian Queen“ pullten, um die restliche Bande zu holen, begannen andere zu rauben und zu plündern. Ein paar schafften die Toten weg, indem sie sie einfach ins Wasser warfen. Wieder andere trieben das wenige Vieh der Fischer zusammen. Vorwiegend handelte es sich um Ziegen und Hühner.
Einige alte Männer, die ohnehin wehrlos waren, schleppten die Verwundeten in ihre Behausungen, um sie notdürftig zu versorgen. Die Piraten ließen es geschehen, weil von diesen wenigen Männern ohnehin keine Gefahr mehr ausging. Außerdem waren sie jetzt mit ganz anderen Dingen beschäftigt.
Bereits bei Einbruch der Abenddämmerung war auf dem Dorfplatz ein wildes und zügelloses Fest im Gange. Einer der Schwarzen begann eine Trommel zu schlagen, ein anderer blies dazu auf einer schaurig klingenden Flöte. Etliche tanzten oder torkelten unter dem Einfluß des Rums, den sie teils erbeutet und teils von der „Queen“ herübergeschafft hatten, um ein großes Feuer, andere sangen und grölten oder jagten hinter den schreienden Frauen her.
Die gesamte Bande hatte sich um die riesige Feuerstelle geschart und sog begierig den Duft des Spießbratens ein. Da nicht allzuviel Brennholz vorhanden war, scheuten sie nicht davor zurück, einige Dächer abzudecken und das Material als Brennstoff zu verwenden. Des weiteren zerschlugen sie mit ihren Äxten einige der Fischerboote und benutzten die Holzstücke für das Lagerfeuer. Besonders an jene wurde Hand gelegt, die kieloben im Sand lagen und von der Tageshitze getrocknet worden waren.
Das wüste Gelage bereitete den Schnapphähnen einen höllischen Spaß. Casco beschloß sogar, hier solange den „Bürgermeister“ zu spielen, bis es wirklich nichts mehr zu holen gab. Das bedeutete bestenfalls ein Gelage für ein paar Tage. Bis dahin würde er auch genug haben von Pepita, jener dunkelhäutigen Dorfschönen, die er sich gewaltsam zugeeignet hatte.
Der bullige Kreole war zufrieden – mit sich, mit seinen Leuten und im übrigen mit der ganzen Welt. Er war mächtig stolz auf seinen raschen Aufstieg zum Piratenkapitän. Wie es aussah, wurde er von der Bande auch voll akzeptiert.
5.
Am 26. April 1594, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, passierte die „Pommern“ Kap Corrientes. Der handige Westwind füllte die Segel und brachte die Galeone zügig voran.
Die Stimmung an Bord war gut, wie fast immer, wenn die Zeit des Backens und Bankens bevorstand. In letzter Zeit hatte man abends meist etwas länger damit gewartet, weil es angenehmer war, die Mahlzeiten in der frischen Abendbrise an Deck einzunehmen. Dafür schoben die Männer, Deutsche wie Engländer, aber auch mächtig Kohldampf, bis es soweit war.
Vor allem Edwin Carberry schien der Magen schon bis auf die Stiefelspitzen zu hängen. Er konnte nicht verhindern, daß seit dem letzten Glasen der Schiffsglocke seine Gedanken ständig um das Abendessen kreisten.
Immer wenn der Magen ein Knurren von sich gab, das an einen bösartigen Hund erinnerte, streichelte er mit seiner rechten Pranke besänftigend darüber und blickte sich verstohlen um. Er war nicht darauf erpicht, daß es jemand hörte, denn er wollte sich auf keinen Fall Gefräßigkeit vorwerfen lassen. Einige Kerle gab es immer, die über solch peinliche körperliche Mißtöne ihre Witze rissen.
Oh, verdammt, dachte Ed nach dem nächsten Mal, das wird ja immer schlimmer. Das hört sich an, als hätte ich eine Hornisse verschluckt, die jetzt verzweifelt den Ausgang sucht.
Wie zufällig trieb es Ed auch heute wieder in die Nähe der Kombüse, aus der die herrlichsten Gerüche strömten. Ja, es war schon eine feine Sache, daß der Kutscher, der sonst auf der „Isabella IX.“ das Amt des Kochs und Feldschers versah, auch auf der „Pommern“ die Kombüse übernommen hatte. Der Koch der deutschen Mannschaft war verständlicherweise auf der „Wappen von Kolberg“ geblieben. Dafür aber gingen die beiden „Rübenschweinchen“, wie Ed die Zwillingssöhne des Seewolfs nannte, dem Kutscher kräftig zur Hand.
Viele Dinge im Leben geschehen rein zufällig, das wußte der Profos sehr wohl, deshalb strich er auch jetzt wie zufällig am offenen Kombüsenschott vorbei. Da ihn jedoch niemand ansprach und er sich durch eine eigene Anfrage nicht den Vorwurf des Verfressenseins einhandeln wollte, kehrte er um und strich – vornehm hüstelnd – noch mal vorbei.
O Lord, diesmal klappte es, wenn auch ein bißchen anders, als der hungrige Ed sich das vorgestellt hatte.
Der Kutscher, ein blonder, etwas schmalbrüstiger Mann, streckte den Kopf heraus und grinste auf eine ganz niederträchtige Weise. Zumindest erschien das Ed so.
„Na, Mister Carberry“, sagte er, „hat dich der achterliche Wind wieder einmal nach vorn zur Kombüse getrieben?“
Ed stoppte bereitwilligst seine Schritte – jedoch nicht, ohne dem Kutscher einen mißtrauischen Blick zuzuwerfen.
„Was soll denn das heißen, was, wie? Ich bin nur ganz zufällig hier vorbeigegangen, damit du das weißt!“
„So ist das also“, sagte der Kutscher grinsend. „Und ich dachte schon, dein blasses Gesicht und das heftige Donnergrollen in deinem Magen hätten dich hergetrieben.“
„Ich und blaß?“ Der Profos schob das Rammkinn vor. „Du bist mir ein rechter Witzbold, Kutscher. In meinem ganzen Leben bin ich noch niemals blaß gewesen. Außerdem donnert in mir überhaupt nichts, ich habe schließlich kein Gewitter im Bauch. Oder bist du vielleicht wild darauf, mich wieder einmal mit deiner stinkenden schwarzen Salbe einzureiben, was, wie? Wenn du mir damit kommst, Pfannenschwenker, dann sieh dich vor, sonst stecke ich dich selber einmal in das schwarze Zeug. Hinterher siehst du dann aus wie Caligula.“
Der Kutscher gab sich, was einen Wortwechsel betraf, nicht so schnell geschlagen.
„Wer sagt denn was von der schwarzen Salbe, Mister Carberry? Ich habe gegen das merkwürdige Rumpeln und Knurren in deinem Bauch ein viel besseres Mittel.“
Ed blickte den Koch argwöhnisch an.
„Willst du damit wieder einmal sagen, mein Magen würde wie ein halbverhungerter Wolf knurren?“
Der Kutscher lächelte freundlich.
„Na, heute sind das schon mindestens zwei halbverhungerte Wölfe. Und immer, wenn ein Wolf am Verhungern ist, schleicht er so nahe wie möglich an seine Beute heran. Genau das hast du auch getan. Bis zum Kombüsenschott bist du schon vorgedrungen.“
Der Kutscher drehte sich jetzt um und rief in die Kombüse: „Paßt auf die Töpfe auf, Jungs, Mister Carberry ist am Verhungern!“
Die „Rübenschweinchen“ griffen scheinbar erschreckt zu den Topfdeckeln.
Der Profos blickte den Kutscher wild an.
„Der Teufel soll dich …“
„Ich weiß, ich weiß“, unterbrach ihn der blonde Mann. „Aber wenn mich der Teufel gerade jetzt, bevor das Mahl fertig ist, holt, mein lieber Mister Carberry, dann fürchte ich sehr um deine Gesundheit. Vielleicht gibt es dann zum erstenmal einen völlig verhungerten Wolf an Bord.“
Ed beruhigte sich und winkte verlegen ab, zumal Philip junior jetzt in einem dritten Topf zu rühren begann, aus dem erneut verführerische Düfte aufstiegen. Der Profos schluckte hart. Da lief einem wirklich das Wasser im Mund zusammen.
„Ist ja schon gut, Kutscher, der Teufel kann dich auch noch nach dem Backen und Banken holen“, sagte er. Dann trat er einen Schritt näher und senkte die Stimme. „Wenn ich schon zufällig hier bin, könntest du mir wenigstens verraten, was da in den riesigen Töpfen ist.“
Der Kutscher tat, als müsse er eine schwerwiegende Entscheidung treffen.
„Nun erzähl’s schon“, fuhr Ed fort, „du verrätst damit doch kein Geheimnis der englischen Krone, was, wie?“
„Das nicht gerade“, sagte der Kutscher, „aber meist erkläre ich erst hinterher, was es war. Dann weiß ich nämlich schon, ob es auch geschmeckt hat. Auf diese Weise kann man Vorurteilen aus dem Weg gehen.“
„Das ist sehr schlau von dir“, säuselte der Profos und schielte dabei verlangend zu den großen Töpfen, in die die Zwillinge jetzt extra hineinschnupperten und dabei genüßlich die Augen verdrehten. Nachdem er sich schmachtend die Lippen beleckt hatte, sagte er: „Du weißt ja, daß ich keine Vorurteile habe, also kannst du es mir ruhig anvertrauen. Dem – äh – dem himmlischen Duft nach muß es etwas ganz Hervorragendes sein.“
Der Kutscher grinste und wußte nur zu gut, daß er den armen Profos jetzt nicht mehr länger auf die Folter spannen konnte.
„Es gibt heute etwas Karibisches“, verkündete er.
„Etwas Karibisches?“ Ed war verblüfft. „Und was ist das? Nach Rum riecht es nicht.“
„Es ist ja auch keine Rumsuppe.“ Der Kutscher deutete zu den Töpfen. „Was darin gart, ist ein sogenannter Westindischer Pfeffertopf. Er besteht aus mehreren erlesenen Gemüsesorten, die ich alle frisch in Havanna eingekauft habe. Dazu gehören natürlich Bohnen, Erbsen, Möhren, Schwarzwurzeln, Weißkraut, Sellerie, Ogra, Yam-Wurzeln und Pigstail. Im Gemüse werden prächtige Fleischstücke vom Rind, Hammel und Schwein mitgekocht, dann wird das Ganze noch mit Langustenschwänzen verfeinert.“
Dem Profos gingen fast die Augen und Ohren über.
„Himmel, Arsch und Ziegenkäse“, sagte er schließlich fast andächtig. „Da hast du dir wirklich was besonderes Gutes einfallen lassen, Kutscher.“ Wieder leckte er sich genüßlich über die Lippen. „Wie lange – ich meine, dauert es noch lange bis zum Backen und Banken, was, wie?“
„Wir können gleich damit anfangen“, versprach der Kutscher.
Der dankbare Blick, den der Profos ihm jetzt zuwarf, sollte ihm noch lange in Erinnerung bleiben.
Die Nacht senkte sich mit tropischer Schnelligkeit über die Karibik. Die Mannschaft der „Pommern“ hatte es gerade noch vor dem Dunkelwerden geschafft, mit dem Backen und Banken fertig zu werden, und der Kutscher sah überall nur zufriedene Gesichter.
Vor allem Edwin Carberry lächelte das Lächeln der Glückseligen, als er seinen vollen Magen betastete.
Der Kutscher beugte sich zu ihm hinunter, weil er auf einer Taurolle hockte.
„Da du ja keine Vorurteile hast, Mister Carberry“, flüsterte er, „sage ich dir im Vertrauen, daß es morgen zu Mittag ein deutsches Gericht mit viel gutem Fleisch geben wird, denn wir haben ja auch viele Deutsche an Bord.“
„Ah, das ist sehr gut, Kutscher, wirklich“, lobte der Profos. „Die deutschen Blondschöpfe verstehen ja fast schon soviel von gutem Essen wie wir Engländer.“
Der Kutscher nickte.
„Damit jedoch niemand benachteiligt wird“, fuhr er fort, „wird es am Abend ein echt englisches Essen geben.“
„Ausgezeichnet“, sagte der Profos begeistert und klopfte dem Koch anerkennend auf die Schulter. „Das wird natürlich ein richtiger Festtag. Was gibt es denn?“
„Einen schönen dicken Hirsebrei“, verkündete der Kutscher, und da dem Profos augenblicklich die Kinnlade nach unten klappte und er einen verdammt wilden Blick draufkriegte, zog er es vor, samt den kichernden Zwillingen in der Kombüse zu verschwinden.
Dem schockierten Edwin Carberry blieb jedoch nicht viel Zeit, sich verulkt zu fühlen, denn Dan O’Flynn, dem Mann im Ausguck, war aufgefallen, daß etwas nördlich des Kaps mehrere große Feuer loderten, und zwar direkt am Ufer einer Bucht. Sofort hatte er die Crew gewahrschaut.
Einige Männer eilten zum Schanzkleid und blickten hinüber, obwohl es sich dabei nicht um ein außergewöhnliches Vorkommnis handelte, das Anlaß zur Besorgnis gegeben hätte.
Das, was jedoch in erster Linie die Blicke der Männer anzog, war nicht das Feuer, sondern ein großer Dreimaster, dessen Konturen sich gestochen scharf vor den Feuern abhob und der offenbar in der Bucht vor Anker lag.
Die Stimme Dan O’Flynns aus dem Großmars ließ erneut alle aufhorchen.
„Das ist die ‚Caribian Queen‘!“ rief er.
„Irrst du dich auch nicht?“ wollte der Seewolf wissen.
„Nein, es gibt keinen Zweifel. Die ‚Queen‘ liegt dort mit aufgetuchten Segeln vor Anker.“
Jeder glaubte ihm jetzt, denn es war bekannt, daß er die schärfsten Augen unter den Arwenacks hatte.
„Sofort alle Lichter löschen!“ befahl der Seewolf, der inzwischen wieder seinen Platz als Kapitän übernommen hatte. „Unsere Suche nach der ‚Caribian Queen‘ ist damit beendet.“
„Dann ist das sicherlich der Schlupfwinkel der Black Queen“, meinte Renke Eggens, „und wir brauchen gar nicht erst die Islas de Mangles abzusuchen. Das erspart uns eine Menge Zeit.“
„Wir werden der Sache gleich auf den Grund gehen“, entschied Hasard und wandte sich an Pete Ballie, der das Ruder übernommen hatte. „Wir fallen hart nach Backbord ab, Pete, dann gehen wir unmittelbar östlich des Kaps vor Anker. Wir sind noch weit genug von der Bucht entfernt, so daß man uns bei einigen Vorsichtsmaßnahmen nicht vorzeitig entdeckt.“
„Merkwürdig“, sagte Big Old Shane, der mit seinem langen grauen Haar und dem dichten grauen Vollbart an den Meeresgott Neptun erinnerte. „Ich anstelle der Black Queen hätte mir ein besseres Versteck ausgesucht. Es gibt doch hier so viele stille und abgelegene Buchten.“
Hasard nickte zustimmend.
„Da hast du nicht unrecht, Shane. Irgendwie paßt das nicht so recht zu diesem raffinierten Frauenzimmer. Trotzdem ist das Schiff dort drüben die ‚Caribian Queen‘, daran ist nicht zu rütteln.“
„Was willst du unternehmen?“ fragte Shane.
„Es darf uns jetzt kein Fehler unterlaufen“, sagte Hasard. „Also werden wir zunächst einmal die große Jolle aussetzen. Dann pullen wir vorsichtig in die Bucht, um auszukundschaften, was da los ist. Die zurückbleibende Crew kann inzwischen die ‚Pommern‘ gefechtsklar machen.“
So geschah es auch. Die deutschenglische Crew arbeitete Hand in Hand. Die große Jolle wurde abgefiert, und Hasard selber ging zusammen mit zehn Männern an Bord. Renke Eggens übernahm zusammen mit Big Old Shane das Kommando an Bord der „Pommern“ und sorgte dafür, daß die Galeone rasch und ohne unnötigen Lärm gefechtsklar gemacht wurde.
Zu der Jollenbesatzung gehörten vier „Kolberger“, wie die Deutschen von der „Wappen von Kolberg“ meist genannt wurden, sowie sechs Arwenacks – Gary Andrews, Stenmark, Blacky, Smoky, Luke Morgan und Ed Carberry. Philip Hasard Killigrew führte das Kommando.
Die Nacht war angenehm kühl, der Wind wehte immer noch aus westlicher Richtung. Die Luft war klar, und der Mond schien hell. Nur zeitweise verschwand der goldgelbe Ball am Himmel hinter vorbeiziehenden Wolkenfetzen.
Die Jolle gelangte gut voran, die Rudergasten legten sich kräftig in die Riemen. Besonders Ed als Steuerbordschlagmann packte zu, als müsse er einen Wettkampf gewinnen.