Kitabı oku: «Seewölfe Paket 21», sayfa 18

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2.

Auf der „San José“ verhielt es sich nicht anders als auf den übrigen Schiffen des zusammengeschmolzenen Verbandes.

Jede Hand wurde für die dringend notwendigen Arbeiten an Deck gebraucht.

So ergab es sich zwangsläufig, daß sich Capitán Cubera an die vier Lakaien des Gouverneurs erinnerte, die seit dem fehlgeschlagenen Fluchtversuch in Remedios in der Vorpiek hockten und über ihre niederträchtigen Charaktereigenschaften nachdenken durften. Keine Frage, daß sie sich während des Feuersturms vor der Pirateninsel nicht besonders wohl gefühlt hatten.

Wenn Cubera aber geglaubt hatte, vier zerknirschte und um Gnade flehende Jammerlappen vor sich zu sehen, dann hatte er sich gründlich getäuscht.

Der Erste Offizier hatte die Gefangenen aus der Vorpiek holen lassen. Sie trugen noch ihre Handfesseln, als sie – von zwei bewaffneten Seesoldaten bewacht – zum Steuerbordniedergang des Achterdecks geführt wurden.

Cubera hatte sich zum Niedergang begeben und blickte auf die Kerle hinunter.

Rein äußerlich boten sie ein Bild des Elends. Ihre einstmals prächtige Lakaienkluft war dreckig, speckig und stellenweise zerrissen. Die Silber- und goldfarbenen Tressen und Pailletten funkelten nicht mehr im Sonnenlicht, sondern waren stumpf geworden und an vielen Stellen abgeschabt. Die Gesichter der vier Gouverneursdiener waren bleich und eingefallen und von sprießenden Bartstoppeln verunziert.

Doch ihre innere Einstellung stand in krassem Widerspruch zu ihrem abgewrackten Äußeren.

Jener, der vorn stand, pumpte sich auf und riß den Mund auf, kaum daß sie vor dem Niedergang stehengeblieben waren. Er war ein schwammiger Bursche mit fettig-strähnigem Haar. In wenigen Jahren würde er seinem Dienstherrn, dem sehr ehrenwerten Don Antonio de Quintanilla, zweifellos sehr ähnlich sein, was den Körperumfang betraf.

„Ich protestiere gegen …“

Der Erste Offizier wirbelte herum und schnitt ihm mit einer energischen Handbewegung das Wort ab.

„Niemand hat dir Redeerlaubnis erteilt!“ fuhr er ihn an. „Du sprichst nur, wenn du gefragt wirst. Verstanden?“

Der Schwammige zuckte zusammen und duckte sich unwillkürlich, als erwarte er, geschlagen zu werden.

Der Erste wandte sich seinem Capitán zu und salutierte.

„Gefangene wie befohlen zur Stelle, Señor Capitán.“

Cubera nickte und bedankte sich mit einem Lächeln. Nur kurz wanderte sein Blick über die eifrige Betriebsamkeit, die überall an Bord herrschte. Da wurde gehämmert und gesägt, daß es ein Vergnügen war, es anzusehen. Die Männer waren von neuer Einsatzfreude erfaßt. Es tat Cubera gut, dies zu spüren. Er wandte sich den vier Lakaien zu.

„Ich höre, Sie haben einen Protest vorzubringen“, sagte er ruhig. Dabei zogen sich seine Mundwinkel unwillig nach unten. „Gegen was, wenn man fragen darf? Die Redeerlaubnis ist hiermit erteilt.“

Der Schwammige pumpte sich abermals auf, und ein wahrer Wortschwall sprudelte über seine wulstigen Lippen.

„Gegen die menschenunwürdige Behandlung, Señor Capitán. Wir sind in der Vorpiek eingepfercht worden wie Tiere. Kein Lichtstrahl hat uns erreicht. Das Essen hat man uns hingeschoben, wie man Tieren ihren Fraß vorwirft. Wir durften uns nicht waschen und hatten nicht die geringste Möglichkeit zur Körperpflege. Selbst die Sträflinge in Havanna werden nicht so schlecht behandelt. Es ist dies der erste Moment seit – seit Tagen, daß wir wieder das Sonnenlicht erblicken.“ Der Lakai holte tief Luft und setzte zu einem neuen Redeschwall an.

Capitán Cubera unterbrach ihn rechtzeitig.

„Was das Sonnenlicht betrifft, da werden Sie Ihren Nachholbedarf ausgiebig befriedigen können. Im übrigen habe ich Ihren sogenannten Protest zur Kenntnis genommen. Ich will kein Wort mehr davon hören, sonst müßte ich Ihre Arrestbedingungen wegen ungebührlichen Benehmens verschärfen.“

Der Schwammige wurde kalkweiß.

„Aber“, stammelte er, „Sie – Sie können doch nicht …“

„Ich kann sehr wohl“, entgegnete Cubera schneidend. „Kerle Ihres Schlages haben keinen Grund, das Maul aufzureißen. Erstens befinden wir uns auf einem Kriegsschiff und nicht in einem pompösen Gouverneurspalast. Und zweitens: Warum wurden Sie unter Arrest gestellt?“

Augenblicklich starrten alle vier auf die Kuhlplanken, als gäbe es dort etwas höchst Interessantes zu suchen. Der Schwammige trat verlegen von einem Bein auf das andere, da er dem Blick Cuberas unmittelbar ausgesetzt war.

„Dann rufe ich es Ihnen noch einmal ins Gedächtnis“, sagte der Capitán mit metallisch klingender Stimme. „In Remedios haben Sie den Gouverneur bei einem Fluchtversuch, der fast mit einem Mord geendet hätte, unterstützt. Sie können froh sein, daß Sie nicht standrechtlich abgeurteilt wurden, wie es zuvor mit dem Kammerdiener geschah. Damit das unmißverständlich klar ist: Sie haben kein Recht, anders behandelt zu werden als gemeine Verbrecher. Als einziger Vorzug wird Ihnen ein ordentliches Gerichtsverfahren gewährt werden.“

Die vier Elendsgestalten duckten sich wie unter Peitschenhieben. Weder der Schwammige noch einer der anderen wagte, auch nur noch einen Ton von sich zu geben.

Cubera hob den Kopf und suchte mit seinem Blick die Kuhl ab.

„Señor Rodrigo?“ rief er dann.

Rodrigo, einer der Schiffszimmerleute, eilte mit langen Sätzen herbei, baute sich neben den Gefangenen auf und nahm Haltung an.

„Señor Capitán?“

„Sie werden vier zusätzliche Hilfskräfte brauchen können, nehme ich an.“

„Aber ja, Señor Capitán. Jeder gesunde Mann ist zur Zeit Gold wert.“

„Gut.“ Ein Lächeln huschte über Cuberas Lippen. Er deutete mit einer knappen Handbewegung auf die Gefangenen. „Hier haben Sie vier gesunde Kerle. Geben Sie ihnen ein bißchen Arbeit. Achten Sie aber darauf, daß sie auf einem der oberen Decks eingesetzt werden. Die Señores beklagen sich über Mangel an frischer Luft und Tageslicht.“

„Dem kann abgeholfen werden, Señor Capitán“, sagte der Schiffszimmermann breit grinsend. „Auch an Bewegung wird es den Señores nicht mangeln.“

„Ausgezeichnet.“ Cubera nickte scheinbar erleichtert und zufrieden. „Ich möchte mir nicht vorwerfen lassen, dem Gericht Gefangene in schlechtem Gesundheitszustand zu übergeben.“ Er gab dem Ersten Offizier und den beiden Seesoldaten einen Wink, sich um den Arbeitseinsatz der Lakaien zu kümmern.

Mit hängenden Schultern schlurften sie los, geführt von dem immer noch grinsenden Schiffszimmermann.

Vor dem Großmast war ein halbes Dutzend Sägeböcke aufgebaut worden. Decksleute mühten sich mit breitblättrigen Handsägen ab, vorgezeichnete Planken präzise auf das richtige Maß zurechtzuschneiden.

Rodrigo blieb stehen und sah den Ersten fragend an.

„Meinen Sie, das wäre etwas für unsere Amigos aus dem Gouverneurspalast?“

„Eine leichte Arbeit“, sagte der Offizier. „Für den Anfang dürfte es genau das Richtige sein. Später können Sie ihnen dann handfestere Aufgaben geben.“

„Si, Señor.“ Rodrigo forderte vier der Decksleute an den Sägeböcken auf, ihre Arbeit einzustellen. „Meldet euch bei Anselmo und helft ihm beim Pechkochen.“

Die Männer strahlten und liefen los. Die Vorbereitung des Kalfaterpechs war ein amüsanter Zeitvertreib, verglichen mit der knochenschindenden Sägerei.

Währenddessen ließ der Erste den vier Gefangenen die Handfesseln abnehmen. Mißmutig rieben sich der Schwammige und seine drei Kollegen die schmerzenden Handgelenke.

„Ihr übernehmt die Aufsicht“, sagte der Erste zu den beiden Seesoldaten, „und seid mir persönlich für die Kerle verantwortlich. In zwei Stunden werdet ihr abgelöst.“

Die Soldaten salutierten. Dann trieben sie die Gouverneursdiener auf die Sägeböcke zu, wo Rodrigo bereits darauf wartete, ihnen die Handhabung des Werkzeugs zu erklären.

„Ich weise darauf hin“, sagte der Schwammige gepreßt, „daß wir gemäß Dienstvertrag nicht verpflichtet sind, derartig niedere Arbeiten …“

„Das hast du fein gesagt“, unterbrach ihn Rodrigo grinsend. „Aber ihr werdet gleich merken, wieviel Spaß es macht, so eine Planke abzuschnippeln. Schön paßgenau muß alles sein, und ihr werdet euch mit uns freuen, wenn unsere ‚San José‘ in ein paar Tagen aussieht wie nach dem Stapellauf. Übrigens – wenn mich nicht alles täuscht, habt ihr als Arrestanten keinen Dienstvertrag, oder? Seid also froh, daß es auf einem Schiff keinen Steinbruch gibt.“

Die beiden Soldaten lachten leise. Naserümpfend wechselten die Lakaien Blicke. Doch es gab keine Möglichkeit mehr, der entwürdigenden handwerklichen Arbeit zu entrinnen. Rodrigo zeigte ihnen, wie sie die Säge ansetzen mußten, und dann gab es keinen Zeitverlust mehr.

Schnaufend vor Selbstmitleid wuchtete der Schwammige die erste Planke in den Sägebock, rückte das eingeritzte Ende zurecht und setzte das doppelt handtellerbreite Sägeblatt an. Immer wieder rutschte er ab, und schon nach wenigen Minuten rann ihm der Schweiß in Strömen über das Gesicht. Seinen Lakaienkollegen erging es kaum besser, und als sie die ersten vernünftigen Schnitte zustande brachten, zeichneten sich bereits große Schweißflecken auf ihrer verschmutzten Nobelkluft ab.

Und jedesmal, wenn sie keuchend innehielten, erinnerten sie die beiden Posten mit freundschaftlichen Stößen ihrer Musketenkolben daran, daß es noch lange nicht an der Zeit war, eine Pause einzulegen.

Den sehr ehrenwerten Lakaien verging jegliche Lust, weiteren Protest zu äußern.

Etwa eine halbe Stunde war seit dem Arbeitsbeginn der vier Gefangenen verstrichen.

Völlig unerwartet meldete sich der Schiffsarzt bei Capitán Cubera auf dem Achterdeck.

„Ich hoffe, Sie haben keine weiteren Verluste zu verzeichnen“, sagte Cubera mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Gottlob nicht“, entgegnete der Arzt. „Alle Verwundeten sind bestens versorgt und auf dem Weg der Besserung. Ich will nichts prophezeien, aber wir können guter Hoffnung sein, daß alle durchkommen werden. Meine Helfer und ich sind derzeit dabei, die Verbände der zuerst versorgten Schwerverwundeten zu erneuern.“

Cubera musterte ihn forschend.

„Sie haben etwas anderes auf dem Herzen, Doktor. Das sehe ich Ihnen an der Nasenspitze an.“

Der Schiffsarzt faltete die Hände vor dem Bauch.

„Ihre Fähigkeit, einen anderen bis auf die Knochen zu durchschauen, ist bemerkenswert, Capitán. Aber Sie haben recht. Ich habe mich breitschlagen lassen, für Don Antonio de Quintanilla den Vermittler zu spielen.“

Cubera stieß einen leisen Pfiff aus.

„Sieh einer an! Was führt der Dicke jetzt im Schilde? Will er etwa auch wegen menschenunwürdiger Behandlung protestieren wie seine Speichellecker?“

„Nichts dergleichen.“ Der Arzt schüttelte lächelnd den Kopf. „Im Gegenteil. Er zeigt sich äußerst reumütig und hat mich bedrängt, mit Ihnen zu reden.“

„Ich bin äußerst gespannt“, gab Cubera zu.

„Um mich kurz zu fassen: Don Antonio bietet seine Mitarbeit an. Er möchte seinen Beitrag leisten, damit der Verband möglichst bald wieder einsatzbereit ist.“

Capitán Cubera glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen.

„Das ist wieder eine Hinterlist“, sagte er spontan. „So etwas sagt de Quintanilla nicht, ohne etwas im Schilde zu führen.“

Der Arzt wiegte den Kopf.

„Mit Verlaub, ich bin sicher, daß Sie ihm unrecht tun, Capitán. Wegen seines Holzsplitters im Hintern hat er zwar anfangs sehr viel herumgejammert und gestöhnt. Aber seit einigen Stunden hilft er im Lazarett nach Kräften mit.“

„Seit er weiß, daß das Gefecht vorbei ist.“

„Kann man ihm das verdenken?“

„Vielleicht nicht. Also, wie ist Ihr Eindruck? Meint er es ehrlich?“

Der Arzt zögerte nur einen Atemzug lang.

„Ich will meine Hand nicht für ihn ins Feuer legen. Aber ich glaube, daß er wirklich meint, was er sagt. Ich könnte mir vorstellen, daß er so eine Art von Wiedergutmachung anstrebt.“

Cubera rieb sich das Kinn mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand.

„Also gut“, sagte er nach einer Weile. „Ich traue dem Dicken zwar noch immer nicht, aber er soll seine Bewährungsprobe haben. Schicken Sie ihn herauf.“

„In Ordnung, Capitán“, sagte der Arzt, lächelte, vollführte eine Kehrtwendung und marschierte los.

Bereits fünf Minuten später erschien der schwergewichtige Gouverneur watschelnd auf der Kuhl und manövrierte seine Leibesfülle durch das Gewühl der Arbeitenden in Richtung Achterdeck. Dabei war es unvermeidlich, daß er in die Nähe seiner schweißgebadeten Lakaien geriet.

Der Schwammige erblickte ihn als erster und richtete sich in jäh erwachender Hoffnung auf. Auch die anderen hielten mit ihrer Arbeit inne.

„Señor Gouverneur!“ rief ihr Wortführer weinerlich. „Sehen Sie nur, welche Schande man uns antut. Bitte sorgen Sie dafür, daß mit dieser Erniedrigung Schluß ist. Ihr Wort hat doch immer noch Gewicht.“

Don Antonio verharrte schnaufend und bedachte seine Diener mit einem verächtlichen Blick aus kleinen, hinter Fettpolstern fast verschwindenden Augen.

„Memmen“, sagte er herablassend und ließ seine Stimme dabei laut und vernehmlich klingen. „Da jammert ihr wie Waschweiber, nur weil ihr ausnahmsweise ein bißchen arbeiten müßt! Schämen solltet ihr euch. Seid lieber froh, daß ihr euren Beitrag leisten dürft, die Kampfkraft unseres Verbandes wiederherzustellen.“

Die Lakaien starrten ihn an und verstanden die Welt nicht mehr. Dem Schwammigen sackte das Kinn herab. Sein Mund stand immer noch offen, als sich Don Antonio längst abgewandt hatte, ohne ihn und die anderen noch eines Blickes zu würdigen.

Mühsam bewältigte der Gouverneur den beschwerlichen Weg über den Niedergang auf das Achterdeck. Die Männer auf der Kuhl hatten dabei Gelegenheit, einen Blick auf seinen ausladenden Achtersteven zu werfen. Deutlich zeichnete sich unter seiner Hose das Polster ab, hervorgerufen durch den Wundverband, mit dem seine Splitterverletzung versorgt worden war.

Mit freudestrahlender Miene walzte er auf den Capitán zu. Die Offiziere hatten sich diskret zur Heckbalustrade zurückgezogen.

„Ihr Verständnis weiß ich sehr zu schätzen“, sagte er breit, „das müssen Sie mir glauben, Capitán. Zuallererst muß ich mich jedoch für das Verhalten meiner Dienerschaft entschuldigen. Dieses nichtsnutzige Pack ist es nicht wert, daß man einen überflüssigen Gedanken an die Kerle verschwendet. Lassen Sie sie ruhig schuften bis zum Umfallen. Das bringt sie vielleicht zur Vernunft.“

„Vielen Dank für den Ratschlag“, sagte Cubera. Das Stirnrunzeln wollte aus seinem Gesicht nicht weichen. Was, in aller Welt, führte der salbadernde Fettsack jetzt wieder im Schilde? Cubera gab sich einen inneren Ruck. Nun gut, sollte er seine Mitarbeit leisten. Man mußte ihn eben unter Kontrolle halten. „Ich habe gehört, Sie wollen uns unterstützen?“

Don Antonio de Quintanilla schob den mächtigen Bauch vor und legte die Hände mit gefalteten Wurstfingern darüber.

„Es ist ganz einfach meine Pflicht, Señor Cubera. Wenn ich auch nicht mit der Waffe in der Hand an den Kämpfen teilnehmen konnte – meine Verwundung, Sie wissen –, so möchte ich doch wenigstens auf andere Art und Weise aktiv werden. Je mehr Hände zupacken, desto schneller wird der Verband wieder einsatzbereit sein. Habe ich recht?“

„Allerdings“, antwortete Cubera und konnte sich ein spöttisches Lächeln nicht verkneifen. Nun gut, sicherlich schadete es dem hochwohlgeborenen Gouverneur in der Tat nicht, seine Aktivität unter Beweis zu stellen. Cubera faßte einen schnellen Entschluß. „In Ordnung. Melden Sie sich beim Zahlmeister. Zusammen mit den übrigen Zahlmeistern und Proviantmeistern unserer Schiffe werden Sie die erforderlichen Listen über Materialverluste und derzeitige Ist-Stärke aufstellen. Dazu gehört auch der Verbrauch an Rationen. Vor allem darüber müssen meine Kommandanten und ich genau im Bilde sein, damit wir wissen, wie lange die Vorräte an Lebensmitteln und Trinkwasser noch reichen. Das ist besonders deshalb wichtig, weil die ‚San José‘ und die beiden anderen Schiffe durch die Geretteten überbelegt sind. Entsprechend mehr Tagesrationen werden verbraucht, und wir müssen uns ständig vor Augen halten, daß in diesem Teil der Karibik an eine Ergänzung der Vorräte nicht zu denken ist.“

Don Antonio deutete eine Verbeugung an, was ihm wegen seines Körperumfangs sehr schwerfiel.

„Ich bin mir der Bedeutung der Aufgabe bewußt“, sagte er eilfertig, „und ich danke Ihnen, daß Sie mich damit beauftragen. Ich versichere Ihnen, daß ich Sie mit meinem Arbeitseinsatz nicht enttäuschen werde.“ Er hob die Rechte zu einer Art Ehrenbezeugung, vollführte eine Kehrtwendung mit der Eleganz einer Seekuh und watschelte von dannen.

Capitán Cubera blickte ihm mit gefurchter Stirn nach und hatte trotz allem noch ein ungutes Gefühl.

3.

Für Plymmie, die Bordhündin der „Isabella“, brachte dieser sonnige Morgen den lang ersehnten Landgang. Nach der ungewohnten Enge auf der „Empress of Sea“ genoß sie es sichtlich, über den Strand der Innenbucht zu hetzen – unermüdlich, mit plötzlichen Kehrtwendungen, hakenschlagend und zeitweiligen wilden Sprüngen.

Während nach und nach die Jollen von den einzelnen Schiffen eintrafen, standen die Söhne des Seewolf abseits und hielten ein waches Auge auf ihren vierbeinigen Schützling. Die Wolfshündin, die sie aus dem fernen Finnland mitgebracht hatten, war ihnen ans Herz gewachsen – vielleicht sogar noch mehr als zuvor, seit sie von dem Verlust ihres Vaters erfahren hatten.

Plymmie bedeutete eine gemeinsame Erinnerung, die Philip und Hasard mit ihrem Vater verband. Eine von vielen Erinnerungen, die nun aber, in dieser schmerzlichen Lage, ihr besonders Gewicht gewann.

Die Wolfshündin war eine getretene und mißhandelte Kreatur gewesen, als die beiden Jungen damals in Finnland auf sie aufmerksam geworden waren. Sie hatten das gepeinigte Tier gerettet, hatten es aufgepäppelt und gepflegt und schließlich mit ihrer Überzeugungskraft durchgesetzt, daß die Hündin an Bord der „Isabella“ bleiben durfte. Ohne daß sie es in jenem Moment selbst wußten, hatten Philip und Hasard so gehandelt, wie es der Wesensart ihres Vaters entsprach.

Denn auch für den Seewolf standen an erster Stelle aller Überlegungen stets Gerechtigkeit und Fairneß, Ritterlichkeit selbst dem hinterlistigsten Feind gegenüber.

Ein neuer, harter Zug hatte sich in die Gesichter der beiden Jungen gegraben, seit sie wußten, daß ihr Vater vermißt wurde. Aber sie waren darüber nicht in Wehklagen ausgebrochen. Sie hatten die Trauer und den Schmerz erduldet, wie es auch ein erwachsener Mann an ihrer Stelle getan hätte. Ja, mit ihren dreizehn Jahren waren sie ernster und reifer geworden, und vieles von ihrem kindlichen Wesen war längst verblaßt.

Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als die beiden Jollen der „Isabella“ den Strand erreichten. Während die Männer ins seichte Uferwasser sprangen und die Boote höher an Land zogen, gab es für Plymmie eine kleine Wiedersehensfeier.

Arwenack, der Schimpanse, war als erster an Land gesprungen und hüpfte mit hellem Keckern auf die Hündin zu. Plymmie verharrte, blickte ihm schwanzwedelnd entgegen und nahm dann blitzartig Reißaus, als er zähnefletschend den wilden Mann markierte und sie mit seinen langen Armen umfangen wollte.

Eine rasante Verfolgungsjagd begann, bei der Plymmie endlich einmal im Vorteil war, da es auf dem Strand keine Masten und keine Takelage gab, in die sich ein geschickter Kletterer wie Arwenack flüchten konnte.

Sir John, der Papagei, stieg zeternd von der Schulter des Profos auf und begleitete die Tollerei der beiden Gefährten mit schrillen Rufen.

„Affenärsche! Bilgenratten – Haut in Streifen abziehen – Kakerlaken – teeren und federn!“

Edwin Carberry und die anderen blieben einen Moment vor den Booten stehen, um das Schauspiel zu beobachten.

„Ho, nun seht euch das Viehzeug an!“ rief der Profos der „Isabella“ dröhnend. „Wenigstens die haben was, worüber sie sich freuen können.“

Die Männer lächelten. Rechte Heiterkeit wollte nicht aufkommen. Zu sehr steckte ihnen in den Knochen, was geschehen war. Am schlimmsten von allem war die Tatsache, den Seewolf nicht mehr in der Mitte des Bundes der Korsaren zu wissen. Gewiß, ihr Leben mußte weitergehen. Sie mußten ihren Feinden die Zähne zeigen, um sich zu behaupten.

Aber Philip Hasard Killigrew würde niemals vergessen werden.

Während Plymmie, Arwenack und Sir John weiter ihr lautstarkes Spiel trieben, versammelten sich die Schiffsbesatzungen und die Verteidiger der Schlangen-Insel am Strand. Diesmal nahmen alle teil, die Lagebesprechung war nicht den Repräsentanten des Bundes der Korsaren vorbehalten.

Als erste hatten die „Wappen von Kolberg“ und die „Empress of Sea“ in der Bucht festgemacht. Bald darauf waren auch die weiteren Schiffe des Bundes eingetroffen und hatten ihre angestammten Liegeplätze eingenommen – die „Tortuga“, die „Pommern“, die „Caribian Queen“, der Schwarze Segler und die „Isabella“. Dort indessen, wo sonst die „Le Vengeur“ vertäut gewesen war, lag jetzt die dreimastige Schebecke, die einst dem Algerier Mubarak gehört hatte.

Don Juan de Alcazar und seine Männer traten zum ersten Male in den großen Kreis der Männer und Frauen. Von diesem Tag an waren sie vollwertige Mitglieder des Bundes der Korsaren, und da gab es nicht einen einzigen mißtrauischen Blick, der sich etwa auf sie gerichtet hätte.

Arkana, die Schlangenpriesterin, ergriff als erste das Wort und schilderte die Verluste, die man bei der Verteidigung der Insel hatte hinnehmen müssen. Mehrere ihrer Kriegerinnen und Krieger waren bei der Abwehr des Landeunternehmens gefallen.

„Ich will dies aber nicht in den Vordergrund stellen“, sagte Arkana. „Wir alle wußten, daß mit einem Blutzoll zu rechnen sein würde. Was jedoch am schwersten wiegt, ist der Verlust Hasards. Bis an unser eigenes Ende werden wir nicht aufhören, seiner zu gedenken. Das gilt auch für jene Männer, die auf der ‚Le Vengeur‘ gestorben sind. Ich denke, jeder von uns kann nachempfinden, wie sich Jean Ribault jetzt fühlt.“

Der schlanke Franzose winkte ab und schüttelte den Kopf.

„Trübsal zu blasen hat keinen Zweck“, sagte er energisch. „Der Kampf ist noch lange nicht vorbei. Old Donegal hat gemeldet, daß der spanische Verband in der östlichen Bucht von Grand Turk vor Anker gegangen ist. Also haben die Dons noch nicht aufgegeben. Denn sonst wären sie schleunigst westwärts gesegelt. Das ist der Punkt …“ Jean Ribault brach ab, denn die Aufmerksamkeit galt plötzlich nicht mehr ihm.

Es war Araua, die aus der Mitte der Kriegerinnen und Krieger nach vorn trat. Die Tochter der Schlangenpriesterin bewegte sich mit seltsam gemessenen Schritten, fast wie eine Schlafwandlerin. Auch ihr Gesichtsausdruck bestärkte dies. Wie geistesabwesend, den Blick in eine unendliche Ferne gerichtet, verharrte sie in der Mitte der Versammlungsrunde.

„Sie befindet sich in Trance“, flüsterte Jean Ribault seinem Nebenmann, Don Juan de Alcazar, zu. „Sie hat ähnliche Fähigkeiten wie ihre Mutter.“

Don Juan wandte den Kopf und sah den Franzosen fragend an. Aber es gab keine Gelegenheit, sich weiter mit übersinnlichen Erscheinungen zu beschäftigen.

Denn Araua hob jetzt wie beschwörend die Arme. Ihre Stimme klang wie aus einem hohlen Raum.

„Ich spüre es, ja ich spüre es sehr deutlich – die Willenskraft des Seewolfs, die Botschaft seiner Seele. Ich fühle, daß er mir etwas mitteilen möchte, es uns allen mitteilen möchte – er ist nicht tot! Nein, er ist nicht tot! Philip Hasard Killigrew lebt!“

Die letzten Worte hatte sie wie einen Schrei ausgestoßen.

Im nächsten Moment schien alle Kraft aus Araua zu weichen wie nach einer unendlichen Anstrengung. Arkana lief auf sie zu und schloß sie in die Arme, bevor sie in sich zusammensinken konnte. Dann führte die Schlangenpriesterin ihre Tochter in den Kreis der anderen zurück.

Noch minutenlang herrschte völlige Stille. Ergriffen blickten die Männer auf das schlanke junge Mädchen, dessen Prophezeiung neue Hoffnung in ihnen geweckt hatte. Aber sie wußten auch, daß sie sich an diese Hoffnung nicht klammern durften.

„Es ist wahr“, flüsterte Old Donegal Daniel O’Flynn. „Araua kennt die Wahrheit.“ Keiner der anderen sah ihn in diesem Augenblick spöttisch an, wenn er auch vielleicht der einzige war, der fest und unerschütterlich an die übersinnlichen Fähigkeiten des Mädchens glaubte, das die Tochter des Seewolfs war.

Jean Ribault war es, der die Aufmerksamkeit schließlich wieder auf das Vordringliche lenkte.

„Wir können trotz allem die Hände nicht in den Schoß legen“, sagte er heiser. „Ich wiederhole: Der entscheidende Punkt ist, daß die Spanier bei Grand Turk vor Anker liegen. Wir sollten als nächstes erörtern, was wir unternehmen wollen. Bevor wir das tun, so meine ich, sollten wir aber die neuen Mitglieder willkommen heißen.“

Beifall wurde laut.

Jean Ribault nickte Don Juan aufmunternd zu.

Der hochgewachsene Spanier lächelte und forderte seine Männer auf, gemeinsam mit ihm vorzutreten. Nacheinander stellte er Ramón Vigil und die Decksleute der Schebecke vor. Zum Schluß schilderte er mit knappen Worten seine eigene Geschichte und begründete seinen Entschluß, auf die Seite des Mannes überzuwechseln, den er eigentlich hatte jagen und zur Strecke bringen sollen.

„Ich habe erkennen müssen, wieviel Unrecht im Namen der spanischen Krone geschieht“, schloß Don Juan. „Der Seewolf hat mir die Augen geöffnet. Um so mehr bedaure ich, daß er nicht mehr in unserer Mitte weilt.“

Abermals erhielt er Beifall von den Zuhörern.

Thorfin Njal, dessen Kupferhelm im Sonnenlicht funkelte, trat wortlos auf den Spanier zu, hieb ihm die Riesenpranken auf die Schultern und schüttelte ihm dann die Hand. Auch die übrigen Kapitäne, Siri-Tong und die Schlangenpriesterin folgten dem Beispiel des Wikingers. Dann wandte sich Thorfin mit dröhnender Reibeisenstimme an die Versammlungsrunde.

„So. Und jetzt sollten wir nicht länger Löcher in den Sand stehen. Das Beste ist, wir laufen mit allen Schiffen aus. Und dann schießen wir die spanischen Torfköppe in ihrer Bucht zu Klump, bevor sie ihre lausigen Kähne repariert haben und die Schlangen-Insel noch mal angreifen können. Dagegen hat wohl keiner was einzuwenden, oder?“ Er verschränkte die Arme über dem Brustkasten und blickte in die Runde.

„Kein schlechter Vorschlag“, sagte Dan O’Flynn nach kurzem Nachdenken. „Eigentlich ist nichts daran auszusetzen. Wenn wir so handeln, befolgen wir die taktische Regel, einem bereits angeschlagenen Gegner nicht die Zeit zu lassen, sich zu erholen.“

Zustimmendes Gemurmel wurde laut.

„Endlich mal ein vernünftiges Wort!“ rief der Wikinger und nickte grimmig. „Ich sage euch, das ist noch immer die beste Methode: drauf und den ganzen Verband zusammenhauen, bevor sie überhaupt kapieren, was passiert.“

„Ein überfallartiger Angriff“, sagte Siri-Tong beipflichtend. „Ausnahmsweise teile ich deine Meinung, Thorfin. Wir hätten das Überraschungsmoment auf unserer Seite – und damit den entscheidenden Vorteil.“

„Haargenau!“ rief Matt Davies. „Denen machen wir Feuer unter dem Hintern, wie sie es verdient haben.“

„Rache für den Seewolf!“ brüllte Luke Morgan, und sein Gesicht rötete sich dabei vor Zorn.

Augenblicklich stimmten die anderen mit ein, und der Ruf aus den vielen heiseren Kehlen hallte wie Donner von den Felswänden der Schlangen-Insel zurück.

„Rache für den Seewolf!“

Es folgte der alte Kampfruf aus Cornwall, jenes schmetternde „Ar – we – nack!“, das Philip Hasard Killigrew so oft in den Ohren geklungen hatte, wenn er mit seiner Crew mitten durch die schlimmsten Höllenfeuer und Eisengewitter gesegelt war.

Pater David war einer der wenigen, die sich nicht an dem Gebrüll beteiligten. Er sah die verhärteten Gesichter der Arwenacks, und er konnte sich sehr wohl vorstellen, wie Wut und Schmerz in ihnen brodelten und kochten. Ihr Verlangen nach Rache war nur allzu verständlich. Der Tod des Seewolfs war ihnen unter die Haut gegangen, und der nach Vergeltung schreiende Stachel steckte tief in jedem einzelnen von ihnen.

Der riesenhafte Gottesmann schüttelte den Kopf. Nein, so ging es nicht. Er fühlte sich verpflichtet, ihnen den rechten Weg zu weisen, er durfte sie in ihrem gerechten Zorn nicht alleinlassen. Mit erhobenen Armen trat er auf die freie Fläche in der Mitte der Versammlungsrunde und wandte sich nach allen Seiten.

Nach und nach wurde es ruhiger, doch ein wütendes Gemurmel wollte nicht ganz verstummen.

„Hört mich an!“ rief Pater David und bemühte sich, seiner Stimme einen milden Klang zu verleihen. Er konnte aber nicht verhindern, daß es dennoch wie ein Donnergrollen dröhnte. „Ihr seid erfüllt von dem Wunsch nach Rache, wollt Blut mit Blut vergelten. Seid gewiß, ich kann verstehen, wie euch zumute ist. Ich habe den Seewolf kennen- und schätzengelernt, und mir ergeht es kaum anders als euch. Aber, so glaubt mir, man darf seine Gedanken nicht von ungestümen Gefühlen überrumpeln lassen. Es ist nicht gut, Entschlüsse zu fassen, wenn der Kopf und das Herz von Rachegedanken erfüllt sind. Ich bitte euch dringend, laßt euch nicht allein von der Wut leiten!“

Es war still geworden, als Pater David seine kurze Ansprache beendete. Betroffene Blicke folgten ihm, als er an seinen Platz zurückging.

„Was gibt es da viel zu überlegen?“ brüllte Thorfin Njal kurz darauf. „Wir sind sowieso in der Übermacht, und wir schießen ihre lausigen Torfkähne ruckzuck in Stücke. Schiefgehen kann dabei überhaupt nichts.“

Don Juan de Alcazar meldete sich zu Wort, indem er die Rechte hob.

„Ich denke, ich sollte auf einige Punkte hinweisen“, sagte er gelassen. „Eins erscheint mir vor allem wichtig: Bei einem Mann wie Capitán Cubera muß man davon ausgehen, daß er sich nicht überraschen lassen wird. Zumindest wird er Ausguckposten aufgestellt haben. Er kann also rechtzeitig Abwehrmaßnahmen ergreifen, wenn sich nähernde Schiffe gemeldet werden. Hier auf der Schlangen-Insel wird letzten Endes nicht anders verfahren.“ Er hielt inne und sah sich um.

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