Kitabı oku: «Seewölfe Paket 21», sayfa 2
2.
Bei einem Etmal von nahezu einhundertvierzig Seemeilen pro Tag standen die sechs Schiffe am Nachmittag des 21. Juli, nach zwei vollen Tagen also, südlich der Columbus-Bank beim Cay Santo Domingo am östlichen Ausgang des Alten Bahama-Kanals und harkten in auseinandergezogener Dwarslinie nach Westen die See ab.
An Bord der „Isabella“ hatten zu diesem Zeitpunkt Gary Andrews und Sam Roskill die Ausguckposten inne. Gary, der Fockmastgast, war es, der als erster den kleinen Dreimaster sichtete, der sich aus westlicher Richtung näherte.
„Mastspitzen!“ meldete er, dann richtete er sein Spektiv auf die Erscheinung, die sich wie ein rumpfloses Gerüst aus den sanften Wogen hob. Er drehte am Okular und stellte die Schärfe richtig ein, dann stieß er einen Pfiff aus.
„Da brat mir doch einer einen Barsch“, sagte er. „Das ist ja – Donegal!“ Er ließ das Rohr sinken, beugte sich über die Segeltuchumrandung des Vormars und schrie: „Der Teufel soll mich holen – es ist die ‚Empress‘!“
Tatsächlich hatte er sich nicht getäuscht, es war wirklich die „Empress of Sea II.“ die in der breitgefächerten „Harken“-Formation der sechs Schiffe hängenblieb. Sie drehten bei, und die Mannschaften geiten die Segel auf. Kurze Zeit darauf hatte Old O’Flynn mit seiner „Empress“ zur „Isabella“ herangeschlossen, drehte ebenfalls bei und ging auf eine Distanz von knapp zwanzig Yards an sie heran.
„Holla!“ rief der Alte. „Das ist mal eine Überraschung! Was treibt ihr denn hier?“
„Dreimal darfst du raten!“ entgegnete Hasard, der ein Stück in den Lee-Besanwanten aufgeentert war und sich mit einer Hand in den Webeleinen festhielt. „Wir sind ganz auf Kampf eingestellt! Was bringst du für Neuigkeiten?“
Der Alte schien jetzt sehr erregt zu sein. „Du glaubst ja nicht, was wir erlebt haben! In der Nacht des 19. – im westlichen Bereich des Nicolas-Kanals!“
„Was?“ rief der Seewolf. „Spann mich nicht auf die Folter!“
„Wir sind auf die Schebecke von Don Juan gestoßen!“
„Und wer war an Bord?“ fragte Hasard. Seine Männer begannen bereits zu grinsen und sich untereinander mit den Ellenbogen anzustoßen. Die Zwillinge waren die ersten an Bord der „Empress“, die es bemerkten, aber sie hüteten sich, den Alten darauf aufmerksam zu machen.
„Na, halt dich mal schön fest!“ brüllte Old O’Flynn. „Du kommst nicht drauf, beim Henker nicht!“
„Laß mich raten!“ rief Hasard. „Don Juan de Alcazar natürlich – und Arne! Richtig?“ Er konnte sich sein Grinsen ebenfalls nicht mehr verkneifen.
„Stimmt’s oder stimmt’s nicht?“ brüllte Carberry. „Donegal, was ist los? Hat es dir die Sprache verschlagen?“
„Ihr Stinte!“ schrie der Alte mit hochrotem Kopf. „Ihr wißt ja schon alles! Hölle und Teufel, dann brauche ich ja gar nicht erst Aufklärung zu fahren und mir tage- und nächtelang die Augen aus dem Kopf zu starren! Genausogut kann ich in der Rutsche hängen und mir die Hucke voll saufen!“
„Beruhige dich!“ rief Hasard. „Es ist nicht unsere Schuld, daß wir bereits Bescheid wissen! Wir haben wieder eine Brieftauben-Botschaft aus Havanna empfangen, von dem guten alten Jussuf!“
Der Alte war immer noch wütend. „Zur Hölle mit ihm und seinen Nebelkrähen! Was stand in der Nachricht?“
„Arne hat sie noch selbst abgefaßt, bevor er an Bord der Schebecke in See gegangen ist!“ erklärte der Seewolf. „Er teilt uns darin lediglich mit, daß der Verband von zehn Schiffen ausgelaufen sei und daß die Schebecke ihm folge! Außerdem befindet sich der Gouverneur Don Antonio de Quintanilla an Bord des Flaggschiffes! Das ist alles, was wir wissen!“
„Das ist auch schon genug!“
„Wir haben Kriegsrat gehalten und sind mit den Schiffen ausgelaufen!“ fuhr Hasard unbeirrt fort. „Nur die ‚Wappen‘ unter dem Kommando von Renke Eggens liegt noch in der Bucht vor Anker!“
„Ein Fluchtmittel, wenn’s hart auf hart geht“, sagte der Alte brummig. „Eine gute Idee, obwohl wir alle nicht hoffen, daß es so weit kommt.“
„Donegal!“ rief Hasard. „Spaß beiseite – ich bin natürlich versessen darauf, nähere Einzelheiten zu erfahren! Ich muß unbedingt Genaueres über die Schebecke und Don Juans und Arnes Aktivitäten erfahren, verstehst du? Es könnte für unser weiteres Handeln von großer Bedeutung sein! Nur du kannst mir in allen Details berichten, wie es an Bord der Schebecke zugeht!“
„Du brauchst mir keinen Honig ums Maul zu schmieren!“ rief der Alte mit bitterböser Miene. Plötzlich hellte sie sich aber doch wieder auf. „Na ja, ich weiß natürlich genau Bescheid! Ein tolles Stück, diese Sache! Don Juan ist ja plötzlich wie umgewandelt!“
„Vielleicht ist es nur ein Trick von ihm!“ brüllte der Wikinger von Bord des Schwarzen Seglers herüber. „Sind wir sicher, daß er uns auf diese faule Art nicht reinlegen will?“
„Quark!“ schrie der Alte. Er war im Begriff, wieder fuchsteufelswild zu werden. „Wer hat dich überhaupt nach deiner Meinung gefragt, du Nordpol-Kannibale? Hölle, wenn ich einem Mann in die Augen sehe, weiß ich, was ich von ihm zu halten habe! Don Juan ist kein Schlitzohr! Der meint es ehrlich!“
„Wie hast du ihm mitten in der Nacht in die Augen sehen können?“ brüllte Thorfin Njal.
„Warum bist du nicht bei deiner Gotlinde geblieben?“ schrie der Alte. „Das wäre verdammt besser gewesen, für uns alle!“
„Auch Mary wartet auf dich!“
„Weißt du eigentlich, was du mich kannst?“
„Aufhören!“ rief der Seewolf. „Es hat wirklich keinen Sinn, daß ihr euch streitet! Donegal, du wolltest mir über Don Juans Gesinnungswandel erzählen!“
„Ich will es, aber ich werde dauernd unterbrochen!“ stieß der Alte hitzig hervor. Dann dachte er an die Begegnung mit der Schebecke zurück, und seine Züge glätteten sich wieder. „Also, wie gesagt, der Mann ist ganz anders, als wir ihn bisher gekannt haben, und ich wußte gar nicht, daß so ein guter Kern in ihm steckt. Ich meine – er könnte wirklich glatt einer von uns sein. Er paßt zu uns, kapiert?“ Er geriet jetzt fast ins Schwärmen. „Was für ein feiner Kerl das doch ist! Stellt euch vor – er hat, Bord an Bord, einen tüchtigen Schluck mit mir aus der Rumpulle getrunken! Ja, er kann mithalten, das schwöre ich euch!“
„Das hätte ich mir gleich denken können!“ rief Jean Ribault von Bord der „Le Vengeur III.“. „Kaum schickt man unseren Donegal mal allein los, nutzt er die Zeit, um Saufgelage abzuhalten! Sag mal, schämst du dich gar nicht, Donegal?“
„Hasard!“ schrie der Alte. „Warum schaffst du mir diese Bande nicht vom Hals?“
„Weil es sich um eine Flotte handelt!“
„Aber ich laß’ mich nicht anblöden!“
Der Seewolf wandte sich um und blickte zu den Schiffen. „Männer! Wir haben hier keine Zeit zu verlieren! Wer Donegal jetzt noch einmal unterbricht, der segelt zurück zur Schlangen-Insel, verstanden?“
Sie murmelten ihr „Aye, aye“ und steckten zurück, denn sie wußten, daß er es ernst meinte. Im übrigen war es ohnehin nicht ganz fair, Old O’Flynn ständig anzustänkern. Wie er Don Juan schilderte, war nämlich keineswegs eine Übertreibung. Er schätzte den Spanier völlig richtig ein, und er war stolz darauf, daß es Arne von Manteuffel gelungen war, einen solchen Kämpfer für den Bund der Korsaren gewonnen zu haben.
„Also, wo war ich stehengeblieben?“ fuhr er in seinem Bericht fort. „Richtig: Dieser Don Juan, das ist ein Kerl wie Samt und Seide, vom rechten Schrot und Korn! Den können wir brauchen! Und ich versichere euch, er ist voll auf die Seite des Bundes umgeschwenkt! Er hat jetzt keine Zweifel mehr! Er kämpft mit uns gegen den Verband – und das ist natürlich letztlich auf die Intrige des Gouverneurs zurückzuführen! Diese fette Qualle, dieser Don Antonio, hatte ihm einen Frauenmord anhängen wollen!“
„Und das ist ihm wohl auch gelungen, oder?“ rief Hasard.
„Ja! Don Juan ist jetzt ein Geächteter! So hat er den Weg zu Arne gefunden, und der hat ihm auch geholfen, die Crew der beschlagnahmten Schebecke aus der Gewalt der Schergen des Gouverneurs zu befreien und dann die Schebecke selbst im Hafen von Havanna zurückzuerobern!“
„Hochinteressant!“ feuerte Hasard den Alten an. „Weiter!“
„Nun, Arne hat Don Juan bei unserer Begegnung ja endgültig reinen Wein über alles eingeschenkt, was die Verwandtschaft mit dir betrifft und so. Auch die Zwillinge hat er ihm vorgestellt. Don Juan war ganz schön von den Socken.“
„Was ist weiter geschehen?“ wollte der Seewolf wissen.
„Wir haben uns wieder verabschiedet und sind noch in der Nacht ostwärts gesegelt, um euch den Anmarsch des Kampfverbandes zu melden“, erwiderte der Alte. „Hinter uns hat es ganz schön gekracht! Ein klares Zeichen dafür, daß Don Juan und Arne bereits voll eingestiegen sind!“ Plötzlich lachte er und rieb sich die Hände. „Fein, die Dons haben also die Schebecke am Hintern und werden sie nicht mehr los! Ich schätze, Don Juan und Arne spielen fleißig das bewährte Ruderanlagenzerschießen! Das wäre nämlich genau das, was ich an ihrer Stelle tun würde! Und Arne ist ja auch nicht auf den Kopf gefallen! Oder? Leute, es geht rund, und auch wir gehen jetzt in die vollen, nicht wahr?“
„Wie darf ich das auffassen?“ fragte Hasard.
„Daß ich mit euch segle, ist doch klar!“
„Irrtum! Du kehrst zur Schlangen-Insel zurück!“
„Nein!“ brüllte der Alte, und seine Schläfenadern schwollen bereits wieder bedrohlich an. „Das kommt gar nicht in Frage! Was soll ich da? Die ‚Wappen‘ ist doch dort!“
Seine Einwände nutzten ihm nichts, bei Hasard biß er auf Granit. „Du segelst zur Schlangen-Insel!“ rief Hasard noch einmal. „Das ist ein Befehl! Du wirst nach Westen hin Aufklärung fahren – für den Fall, daß es einzelnen Schiffen des Gegners gelingen sollte, nach Osten durchzubrechen und Kurs auf die Schlangen-Insel zu nehmen!“
„Das schaffen die Hunde nie!“ brüllte der Alte.
„Das hab’ ich auch gesagt!“ pflichtete der Wikinger ihm mit Stentorstimme bei.
„Ruhe!“ schrie Hasard. „Wir müssen mit jedem Eventualfall rechnen, das habe ich schon mal gesagt! Wenn der Feind durchbricht, gilt es, die Schlangen-Insel so schnell wie möglich zu alarmieren! Keiner kann diesen Dienst besser versehen als du, Donegal, das mußt du einsehen! Und wenn du es nicht einsiehst, ist es mir auch egal!“
„Aye, Sir!“ rief der Alte, aber man sah ihm an, wie schwer es ihm fiel.
„Ich sage es euch noch mal klipp und klar!“ rief der Seewolf seinen Männern zu. „Bei dem Verhältnis von sechs Schiffen des Bundes gegen zehn spanische Kriegsschiffe ist durchaus damit zu rechnen, daß nicht alles so verläuft, wie wir uns das erhoffen! Wie ich die Dinge sehe, steht uns der härteste Kampf bevor, den wir jemals ausgefochten haben!“
„Wir haben schon ganz andere Schlachten geschlagen!“ rief Carberry aufgebracht. „Hast du das vergessen?“
„Nein! Aber es stand seinerzeit weniger auf dem Spiel!“
„Wir hauen die Dons in Stücke!“ brüllte Smoky. „Hölle, es wäre doch gelacht, wenn wir ihnen mit Höllenflaschen und Pulverpfeilen nicht Feuer unter dem Hintern machen würden!“
„Allein darauf dürfen wir uns nicht verlassen!“ schrie Hasard. „Wir müssen voraussetzen, daß sie gut armiert sind und jede Menge Munition an Bord haben! Wir wünschen uns, daß Don Juan und Arne so viele Galeonen und Karavellen wie möglich außer Gefecht setzen, aber wir wissen nicht, ob sie es schaffen! Wir dürfen auf keinen Fall etwas voraussetzen, von dem wir keine Bestätigung haben! Und noch etwas! Der Gegner könnte leicht Verstärkung aus einem der Häfen an der Nordküste von Kuba erhalten! Habt ihr an diese Möglichkeit schon gedacht? Stellt euch vor, der Kriegsverband verdoppelt sich! Was dann?“
„Hör bloß auf mit der Unkerei!“ brüllte Old O’Flynn.
„Das tust du doch sonst immer!“ rief Hasard ihm zu. „Aber diesmal gilt es, besonders vorsichtig zu sein! Nur das will ich euch klarmachen, sonst nichts! Donegal, ist dir etwas über die Black Queen bekannt?“
„Ja! Daß sie die größte Hurentochter und das ausgekochteste Höllenweib aller Zeiten ist!“
„Wo steckt sie zur Zeit?“
„Ich habe keine Ahnung“, erwiderte der Alte. „Aber ich drücke uns die Daumen, daß wir es rauskriegen! Und dann gnade Gott oder sonstwer diesem Satansbraten!“
Er wußte nicht, daß die Schebecke Don Juans den Zweimaster der Black Queen am Abend des 20. Juli zusammengeschossen und zum Sinken gebracht hatte – und auch nicht, daß die Schwarze mit ihrer Meute von Kerlen zuvor an dem Kampfverband der Spanier Fühlung gehalten hatte. Über diese Ereignisse war ihm nicht einmal in Ansätzen etwas bekannt – erst später sollte der Bund von dem Zweimaster und seinem Ende erfahren.
Der Seewolf hatte vorerst genug gehört, Old O’Flynn hatte nichts mehr zu berichten. Ernst verabschiedeten sich die Männer voneinander, und Hasard winkte noch zu seinen Söhnen hinüber. Dann ging die „Empress of Sea II.“ gemäß Hasards Order auf Ostkurs. Der Verband segelte weiter in Richtung Westen, einem Schwarm stolzer Schwäne gleich, deren Konturen im heraufziehenden Dämmerlicht verblaßten wie die Pinselstriche auf einem unfertigen Gemälde.
3.
Zur selben Zeit hockte ein gedemütigter, niedergeschlagener, ratloser Gouverneur Don Antonio de Quintanilla auf dem Rand der Koje in der Gästekammer des Achterkastells an Bord der „San José“. Das Flaggschiff des Kriegsverbandes war jetzt sein Gefängnis. Man hatte ihn unter Kammerarrest gestellt, und vor dem Schott stand ein bewaffneter Posten. Er war von seinen eigenen Landsleuten verdammt worden, war ihnen ausgeliefert und würde noch die Konsequenzen, einen Prozeß in Havanna oder anderswo, über sich ergehen lassen müssen.
Das Bordgericht der „San José“ hatte ihn unter Arrest gestellt, und Don Garcia Cubera, der Kapitän und Verbandsführer, hatte den Befehl sofort ausführen lassen. Nur zu gern, wie Don Antonio grimmig registrierte, und auch berechtigterweise mit Genugtuung, wenn man sachlich sein wollte, denn schließlich hatte man ihn töten wollen, und er war nur wie durch ein Wunder am Leben geblieben, weil zwei Männer der Kriegskaravelle „Gaviota“ ihn aus der See gefischt hatten.
Gomez Guevara – so hieß der verhinderte Meuchelmörder. Sein Messer hatte Cubera nur an der Schulter verletzt, und es war ihm letztlich zum Verhängnis geworden, denn der Erste Offizier der „San José“ hatte es nach der Tat auf den Planken des Achterdecks gefunden. Das Beweisstück hatte den Kerl überführt und zum Geständnis gezwungen. Er war gehängt, wieder von der Rah geschnitten und ohne Leichenrede in die See geworfen worden, wie es jedem Mörder oder versuchten Mörder gebührte.
Don Antonio erschauerte unwillkürlich, als er daran dachte. Immer wieder wurde er daran erinnert. Er konnte nicht mehr schlafen, und er wußte nicht, ob er sitzen oder stehen sollte. Er glaubte, seine eigene Angst zu riechen. Seine dicken, beringten Finger tasteten nach dem fetten Hals, und für einen winzigen Augenblick hatte er das Gefühl, auch um seine Kehle schnüre sich bereits die tödliche Schlinge zusammen.
Gewiß, seine Mittäterschaft hatte sich nicht nachweisen lassen. Dennoch: Guevara hatte ihn schwer belastet. Guevara war sein Kammerdiener gewesen, und es lag auf der Hand, daß er, Don Antonio, den Mordauftrag erteilt hatte.
Natürlich stritt er alles ab, und so stand Aussage gegen Aussage. Das Bordgericht konnte ihm also nichts anhängen. Aber Cubera würde ihn vor ein Gericht des Königs stellen, und der Prozeß würde keine Farce sein wie viele Verhandlungen, die in der Residenz von Havanna stattgefunden hatten, wenn es Don Antonio darum gegangen war, sich lästiger, aufmüpfiger oder unbequemer Zeitgenossen zu entledigen. Cubera war vorgewarnt und wußte, daß sich der dicke Mann wie ein Aal wand. Ein neutrales, unbestechliches Gericht mußte zusammentreten – und er würde dafür sorgen, daß es einen gerechten und unantastbaren Schuldspruch gab.
Don Antonio war davon überzeugt, daß ihm das gelang. Noch einmal hatte er das Verhängnis abwenden können, aber jeder Mann an Bord war davon überzeugt, daß er, der Gouverneur, dem Kommandanten nach dem Leben getrachtet hatte. Gründe für ein solches Handeln gab es genug, und auch die Tatsache, daß Guevara Cubera angegriffen und außenbords geworfen hatte, sprach für sich.
Was also tun? Fliehen? Don Antonio schauderte allein bei dem Gedanken daran zusammen. Schwimmen konnte er nicht. Ein Boot konnte er nicht entwenden, außerdem wußte er nicht, wie er es fortbewegen sollte, wenn es erst einmal im Wasser lag. Segel, Riemen – all das waren ihm widerwärtige Begriffe, er wollte mit der Seefahrt nichts zu tun haben. Und wie sollte er im übrigen auch den Wachtposten überwältigen?
Er saß in der Falle, es gab keinen Fluchtweg. Diese Erkenntnis machte ihn regelrecht krank, und auch der süße Portwein half ihm nicht über seinen Kummer weg. Die kandierten Früchte schmeckten ihm auch nicht mehr, aber er stopfte sie sich trotzdem ununterbrochen in den Mund. Irgend etwas mußte er tun, sonst wurde er noch wahnsinnig.
Dabei hatte alles so schön begonnen. Don Antonio war als sicherer Sieger an Bord des Flaggschiffes gegangen und hatte alle Privilegien für sich beansprucht, von der Kapitänskammer bis zum Waschzuber, der eigens für ihn hatte beschafft werden müssen. Nicht den geringsten Zweifel hatte er daran gehegt, daß alles nach seiner Pfeife tanzte, daß das Gefecht gegen die Engländer mit einem glorreichen Sieg für die spanische. Krone endete und daß er, Don Antonio, sämtliche Schätze der englischen Hundesöhne geflissentlich vereinnahmen würde. Das waren seine Pläne – und nur deshalb hatte er sich entschlossen, mitzusegeln.
Aber das Leben war voller Ecken und Kanten, und er bereute zutiefst seinen Entschluß, die Residenz verlassen zu haben. Jetzt konnte er nicht mehr zurück, und er hatte alle gegen sich.
Ausgerechnet auf einen Mann wie diesen Cubera hatte er stoßen müssen, der hart wie Eisen und unbeugsam war. Jeder Versuch Don Antonios, den Befehl über den Verband an sich zu reißen, war auf den erbitterten Widerstand dieses Kommandanten gestoßen, der sich nur seiner Obrigkeit, der Admiralität, verpflichtet fühlte und sonst niemand anderem Rechenschaft ablegte.
An einem gewissen Punkt des Kriegsmarsches auf die Schlangen-Insel angelangt, hatte Don Antonio den Verdacht zu hegen begonnen, die Black Queen habe ihn in eine Falle gelockt oder wolle ihm einen üblen Streich spielen. Denn was hatten die nächtlichen Angriffe auf den Verband zu bedeuten, bei dem nun schon mehrere Schiffe Schaden erlitten hatten?
Der Verdacht hatte Angst hervorgerufen, und Don Antonio hatte Don Garcia Cubera gedrängt, umzukehren und nach Havanna zurückzusegeln. Doch auch in diesem Punkt blieb der Kommandant stur: Er behielt seinen Kurs bei und war mehr denn je davon überzeugt und darauf bedacht, den Angriff auf die englischen Piraten durchzuführen.
Es war ein altes Prinzip von Don Antonio de Quintanilla, daß ein Mann so rasch wie möglich verschwinden mußte, wenn er unbequem zu werden begann. Viele Männer hatten im Laufe der Jahre, die er seinen Posten als Gouverneur versah, die Residenz von Havanna betreten und nie wieder verlassen, höchstens mit den Füßen zuerst. Im Kerker hatte er so manchen Gegner weichgeklopft, und unter den Qualen des peinlichen Verhörs waren auch die härtesten Kerle lammfromm geworden. Hatte ein Mann dann seine Geheimnisse preisgegeben – welcher Art sie auch immer sein mochten –, konnte er getrost den Weg ins Jenseits nehmen. Starb er nicht an den Folgen der Folter, half Don Antonio gern mit einer Prise Gift nach.
Aber nicht nur im Kerker, auch in den prunkvollen Sälen und Gemächern seines Allerheiligsten hatten schon Männer ihr Leben gelassen. Zuletzt Don Ruiz de Retortilla, der Stadtkommandant von Havanna.
Don Antonio verzog das Gesicht, wenn er an ihn zurückdachte. Dieser Narr, dachte er. Er hatte versucht, seinem Gouverneur zu drohen und ihn zu erpressen. Er hatte sich dadurch sein eigenes Grab geschaufelt.
Don Juan de Alcazar hatte einen ähnlichen Weg gehen sollen. Er war, so hatte Don Antonio es dargestellt, der Mörder der Señora Samanta de Azorin. Daß in Wirklichkeit ein gedungener Mörder des Don Antonio und Don Ruiz die Señora auf dem Gewissen hatten, wußte niemand.
Aber Don Juan war geflohen, und seitdem wußte kein Mensch mehr, wo er sich versteckt hielt. Don Antonio gab sich Mühe, nicht mehr an ihn zu denken, aber gerade durch Cubera wurde er immer wieder an diesen hartnäckigen und unbestechlichen Mann erinnert, der seine Prinzipien vor alles andere setzte. Auch Cubera war so ein Mensch, der Kühnheit, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und den Kampf fürs Vaterland an die Stelle persönlicher Interessen stellte.
Zum Teufel, der ist imstande und läßt sich für die Krone töten, dachte Don Antonio. Unbegreiflich! In seinen Augen waren solche Männer Narren oder Idioten, denn sie brachten es im Leben zu nichts, höchstens zu einem Orden, den sie mit ins Grab nehmen konnten.
Doch man mußte das Leben genießen. Genuß war nur durch Reichtum gesichert, und reich wurde man weder durch Prinzipien noch durch Heldenmut. Spanien hatte Gold und Silber im Überfluß – warum also nicht wenigstens einen Teil davon für den Gouverneurspalast von Havanna beiseite schaffen?
Don Antonio hatte es getan. Er lebte im Luxus und verfuhr nach einem einfachen Grundsatz: Was dein ist, ist auch mein, und was mein ist, bleibt mein.
Reichtum und Besitz – und all das sollte durch einen fanatischen Capitán namens Cubera aufs Spiel gesetzt werden? Nein, auf gar keinen Fall durfte er sich geschlagen geben. Er mußte reagieren und sich zur Wehr setzen. Wenn er Cubera nicht beseitigen konnte, mußte es einen anderen Weg geben, sich zu befreien und für den nötigen Respekt seitens des Achterdecks zu sorgen. Er, Don Antonio, beging einen gewaltigen Fehler, wenn er sich jetzt von seiner Niedergeschlagenheit und seinem Selbstmitleid übermannen ließ.
Was sollte er unternehmen? Er verlieh sich einen innerlichen Ruck und zwang sich dazu, angestrengt nachzugrübeln. Wieder verschwanden drei, vier kandierte Früchte in seinem Mund, und er spülte kräftig mit Portwein nach.
Plötzlich fiel ihm etwas ein. Hatte er nicht eine Waffe in seinem Gepäck? Hatte er kurz vor dem Verlassen der Residenz nicht ausdrücklich befohlen, auch eine Pistole in seinen Sachen zu verstauen, damit er, der Hochwohlgeborene und Erlauchte, im Falle höchster Gefahr nicht ganz wehrlos dastand?
Er wollte bereits zu dem Glöckchen greifen, mit dem er seine Dienerschaft herbeizuklingeln pflegte, zog die Hand aber rechtzeitig genug wieder zurück. Guevara, sein Kammerdiener, war ja nicht mehr am Leben. Benachrichtigte er die übrigen Lakaien, schöpfte die Wache selbstverständlich Verdacht.
Es gab nur den einen Weg: Er mußte selbst suchen. Aber das war mit Arbeit verbunden. Mühsam erhob er sich, kippte auf den leicht schwankenden Planken fast um, hielt sich an der Koje fest und ließ sich auf die Knie sinken. Er begann, in seinen Gepäckstücken herumzukramen, aber die Suche brachte nicht den gewünschten Erfolg.
Mit einemmal war er nicht mehr sicher. Hatte er nun eine Pistole, oder hatte er sie nicht? Oder hatte Cubera heimlich seine Kammer durchsuchen lassen? Auch das war möglich. Überhaupt, auf diesem Teufelsschiff waren sie zu jeder Schandtat fähig.
Erschöpft ließ sich Don Antonio auf die Koje sinken. Er mußte Kräfte sammeln. Wenn er schon nicht schlafen konnte, dann wollte er doch wenigstens ein bißchen ruhen. Und mit der Zeit kam auch der erforderliche Rat. Vielleicht, dachte er und gähnte, suche ich nachher weiter. Vielleicht ist das Glück mir armem Teufel doch noch hold.
Der spanische Kampfverband lag in den Nachtstunden des neuen Tages, des 21. Juli also, nach dem Schebecken-Angriff wieder vor Treibanker im Nicolas-Kanal. Die beschädigte Ruderanlage der einen Kriegskaravelle mußte repariert werden, wie verrückt war das Schiff nach der Attacke in den Wind geschossen. Ebenso war es einer anderen Karavelle, der „Gaviota“, ergangen. Sie war sogar derart stark ramponiert, daß sie mit einem Notruder den nächsten Hafen anlaufen mußte.
Das war Remedios an der Nordküste von Kuba. Don Garcia Cubera hatte dem Kapitän der „Gaviota“ den offiziellen Befehl erteilt, den Hafen anzulaufen und dort ins Dock zu gehen. Die „Gaviota“ schied somit aus der Unternehmung aus, hatte jedoch den Auftrag, eventuelle in Remedios liegende spanische Kriegsschiffe über den Raid gegen die englischen Piraten zu informieren und um Unterstützung zu bitten.
Der Verband – so hatte Don Garcia Cubera dem Kapitän der „Gaviota“ mitgeteilt – würde den ganzen 21. Juli über noch vor Treibanker liegen und erst am Abend mit Kurs Osten zum Süden weiter an der Küste entlangsegeln, so daß man sich auf der Höhe von Remedios treffen konnte.
Aufgrund der bösen Erfahrungen der beiden letzten Nächte und der Gewißheit, daß zumindest zwei Gegner bereits gegen den Verband kämpften, ließ Cubera auch in dieser Nacht die Jollen der einzelnen Schiffe ausschwärmen, um den Verband nach allen Seiten hin gegen etwaige neue Angriffe abzuschirmen. Immerhin war sein Verband zur Zeit um zwei Schiffe vermindert: Eine Kriegskaravelle war aus bisher noch ungeklärten Gründen gesunken, und man hatte nur Trümmerteile westlich der Cay-Sal-Bank gefunden. Das zweite Schiff war die „Gaviota“, die jetzt mit schwerstem Ruderschaden nach Remedios verholen mußte.
Don Garcia Cubera stand auf dem Achterdeck der „San José“ und dachte erneut über die bisherigen Ereignisse nach. Vieles war ihm rätselhaft, aber folgende Punkte hatte er doch recherchieren können: Bei den beiden bisher festgestellten Gegnern handelte es sich – aus seiner Sicht – um einen Zweimaster, der laut Bericht der Jollenführer, die sich bereits mit der Besatzung dieses Schiffes herumgeschlagen hatten, von einer Negerin kommandiert wurde und mit dunkelhäutigen Männern besetzt sein sollte.
Ob das wirklich stimmte? Cubera sah keinen Grund, an den Darstellungen seiner Leute zu zweifeln. Gewiß, es gab einige unter ihnen, die vieles übertrieben und besonders farbig ausgeschmückt wiedergaben. Doch die Jollenführer waren nüchterne, salzgewässerte Männer, die aufmerksam zu beobachten verstanden und nicht unter Einbildungen litten. Sie hatten von einem „Negerweib“ gesprochen, und sie täuschten sich gewiß nicht.
Farbige also, die sich von einer Frau kommandieren ließen. Was für eine Bande war das? Nun, er würde es durch zähe Nachforschungen vielleicht doch noch herausfinden.
Bei dem anderen Gegner sollte es sich um die Schebecke des Don Juan de Alcazar handeln. Der Kapitän der „Gaviota“ hatte sie deutlich gesehen, und er hatte seinem Kommandanten gegenüber noch nie etwas behauptet, das er nicht belegen konnte. Bei ihrem nächtlichen Angriff hatte er sie zweifelsfrei identifiziert.
Cubera begriff die Zusammenhänge nicht. Die Schebecke war eine Prise des Don Juan de Alcazar, er hatte sie in den Hafen von Havanna überführt und dort vor Anker gehen lassen. Aber – sie war von den Soldaten des Gouverneurs unter Befehl des dann so plötzlich verstorbenen Stadtkommandanten Don Ruiz de Retortilla beschlagnahmt worden, soweit sich Cubera entsinnen konnte. Die kleine Mannschaft war ins Gefängnis geworfen worden, ganz abgesehen von der Ungeheuerlichkeit, daß ausgerechnet der Mann eine Frau ermordet haben sollte, der von der spanischen Krone beauftragt worden war, den englischen Kapitän Killigrew zur Strecke zu bringen. Don Juan ein Mörder – stimmte das denn wirklich?
Das alles war höchst verwirrend und stand nicht miteinander in Einklang. Don Garcia Cubera fuhr sich mit der Hand übers Kinn und dachte angestrengt nach. Er wägte dieses und jenes ab und stellte verschiedene Theorien auf. Wenn sich Don Juan de Alcazar wieder in den Besitz der Schebecke gebracht hatte, warum bekämpfte er dann die eigenen spanischen Schiffe, die jetzt gegen jenen Feind segelten, den er doch eigentlich vernichten sollte?
Cubera gelangte in dieser Nacht nicht zur Ruhe, denn natürlich beschäftigte ihn gleichzeitig auch der Gedanke an den Mordversuch, der an ihm vorgenommen worden war. Gomez Guevara, der Täter, war vom Bordgericht überführt worden. Und er hatte auch gestanden. Aber er hatte behauptet, von dem Gouverneur zu der Tat angestiftet worden zu sein. War es die Wahrheit?
Don Antonio de Quintanilla hatte jede Anschuldigung heftig abgestritten und den verhinderten Mörder einen Schurken und Lügner genannt. Dabei handelte es sich bei dem Mann um seinen eigenen Kammerdiener, um eine Vertrauensperson also, die niemals in seinen Diensten hätte stehen können, wenn sie wirklich so verschlagen und unehrlich gewesen wäre, wie Don Antonio sie hingestellt hatte.
Don Antonios Auftreten während der Verhandlung hatte Cubera eigentlich nur noch in seiner bisherigen Annahme bestätigt und bestärkt: daß nämlich der eigentliche Schuldige der Gouverneur war. Nur beweisen konnte er es nicht. Guevara hatte für sein Verbrechen mit dem Tod bezahlt. Don Antonio stand unter Kammerarrest, und daran würde sich auch nichts ändern. Später sollte er, seinem Rang als Gouverneur entsprechend, vor ein Gericht des Königs in Havanna gestellt werden.
Da war tatsächlich einiges zu klären und zu untersuchen – zum Beispiel der Versuch des Gouverneurs, ihm, dem Kapitän, die Kommandogewalt über den Verband zu entziehen. Oder sein plötzlicher Entschluß, das Unternehmen gegen die Engländer wieder abzublasen. Und wenn Cubera daran dachte, wie der Dicke sich an Bord der „San José“ aufgeführt hatte, stieg ihm sowieso nachträglich die Galle hoch.
Eine Kriegsgaleone war kein Lustfahrzeug zur Erbauung eines Gouverneurs der spanischen Krone. O nein! Hier wurde ein harter Dienst versehen, unter der permanenten Bedrohung eines unbekannten Gegners, der nachts tollkühn und mit offensichtlichem Erfolg angriff. Was sollten die Allüren eines Don Antonio, was bezweckte er mit seinem ganzen unhaltbaren Auftreten?
Don Garcia Cubera folgte einem plötzlichen Entschluß – oder sollte er ihn lieber eine Eingebung nennen? Irgendwie hatte er das Gefühl, er könne die wahren Hintergründe noch erfahren – jetzt. Alles würde sich aufklären, man mußte nur den entsprechenden Schlüssel in der Hand haben.