Kitabı oku: «Seewölfe Paket 21», sayfa 3
Er verließ das Achterdeck der „San José“. Der Erste Offizier übernahm solange das Kommando. Cubera begab sich ins Achterkastell und suchte Don Antonio de Quintanilla auf, vor dessen Kammer wie üblich ein Posten Wache stand. Er bedeutete dem Mann, zur Seite zu treten, und öffnete das Schott.
Mit grimmiger Genugtuung stellte Cubera fest, daß auch dem Gouverneur der Schlaf abging. Er hockte auf seiner Koje und hielt einen Kelch in der rechten Hand, der zur Hälfte mit schwerem Portwein gefüllt war. Mit der Linken schob er sich nahezu ununterbrochen die kandierten Früchte in den Mund, die Cuberas Widerwillen hervorriefen. Überhaupt, er verspürte fast Ekel, wenn er sah, wie Don Antonio aß und mit Portwein nachspülte. Nie zuvor hatte er einen Mann gesehen, der derart viele Süßigkeiten in, sich hineinzustopfen vermochte.
Don Antonio ähnelte zur Zeit einer in die Enge getriebenen, allerdings sehr fetten Ratte. Dieser Vergleich drängte sich Cubera auf, als er in die Kammer trat und das Schott hinter sich schloß.
Don Antonio sah zu ihm auf. Sofort schien er zu begreifen, daß der Capitán etwas von ihm wollte, und entsprechend fiel seine Reaktion aus. Sofort richtete er sich auf, und seine alte Überheblichkeit war wieder da.
„Capitán, was fällt Ihnen ein, mein Schlafgemach zu betreten, ohne vorher anzuklopfen?“ fragte er scharf.
„Sie befinden sich an Bord eines Kriegsschiffes.“
„Oh, das hatte ich noch nicht bemerkt.“
„Auf diesem Schiff führe ich den Befehl, und meine Befehlsgewalt ist uneingeschränkt“, fuhr Cubera unbeirrt fort. „Ich bitte Sie, das endlich zur Kenntnis zu nehmen, Señor.“
Don Antonios Gesicht nahm einen tückischen Ausdruck an. „Sie haben es mir deutlich genug zu verstehen gegeben, Capitán, auf jede erdenkliche Art.“ Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, seine Stimme hob sich etwas. „Aber das werden Sie noch schwer und bitter bereuen.“
„Das glaube ich allerdings nicht, Señor“, sagte Cubera kalt. „Und ich bin auch nicht gekommen, um darüber mit Ihnen zu diskutieren.“
„Sie werden es aber tun müssen!“ fuhr der Dicke ihn an. „Das ist der Gipfel all dessen, was Sie sich mir gegenüber erlaubt haben! Daß Sie es gewagt haben, mich, den Gouverneur, einen Vertreter der spanischen Krone, unter derart entwürdigenden Umständen vor ein Bordgericht zu zerren! Einen Gouverneur vor ein Bordgericht! Das muß man sich mal vorstellen!“
„Sie haben es sich selbst zuzuschreiben“, sagte Cubera. „Und Sie können noch froh sein, daß Sie einigermaßen glimpflich davongekommen sind.“
„So?“ Don Antonio lachte höhnisch auf. „Das alles ist so absurd, als erlaubten sich irgendwelche dahergelaufenen Bauerntrampel, über Seine Majestät, den König von Spanien, zu Gericht zu sitzen. Unvorstellbar! Wahnwitzig! Verrückt!“
„An Bord eines Kriegsschiffes ist der Kommandant König“, sagte Cubera scharf. „Wer das nicht weiß, sollte besser an Land bleiben und dort seinen Amtsgeschäften nachgehen, wie es sich gehört – statt auf einem Kriegsschiff Seiner Majestät Unheil zu stiften und es offenbar mit dem Gouverneursamt zu verwechseln.“
„Was nehmen Sie sich eigentlich noch alles heraus?“
„Señor, ich warne Sie“, sagte Cubera. „Lassen Sie es nicht an dem nötigen Respekt mangeln, sonst lernen Sie mich von einer Seite kennen, die ich Ihnen bisher noch vorenthalten habe. Es könnte leicht passieren, daß Sie Ihre bisherige Kammer mit dem Kabelgatt oder der Vorpiek vertauschen, wenn Sie wieder unverschämt werden.“
Don Antonio steckte zurück. Von der Seefahrt hatte er kaum Ahnung, doch was das Kabelgatt und die Vorpiek waren, wußte auch er. Er durfte Don Garcia Cubera nicht bis aufs Blut reizen, sonst war der tatsächlich imstande, ihn in ein feuchtes, rattenverseuchtes Schiffsverlies zu stecken.
In seinem aufgedunsenen Gesicht zuckte es heftig, aber er wagte nicht mehr aufzubegehren.
„Was führt Sie zu mir?“ fragte er.
„Ich wünsche eine klare Auskunft über die Mordgeschichte, in die Don Juan de Alcazar angeblich verwickelt ist.“
„Wie bitte? Was geht denn Sie das an?“
„Eine ganze Menge, und ich kann Ihnen nur raten, mir alles zu erzählen, was Ihnen über den Fall bekannt ist.“
„Soll das eine Drohung sein?“ fragte Don Antonio mit schriller Stimme. „Nötigung?“
Cubera zwang sich zur Ruhe. „Nein. Keineswegs. Ich trage nur Fakten und Daten zusammen, um mir ein Bild von der Gesamtlage zu verschaffen. Warum, das setze ich Ihnen gleich noch auseinander. Aber vorher bitte ich Sie um klare Antworten. Don Juan ist doch angeblich ein Frauenmörder, nicht wahr?“
Jetzt fuhr der Dicke von seiner Koje hoch. „Angeblich? Das wird ja immer schöner! Es gibt Augenzeugen für die Tat – Leute, die gesehen haben, wie der Kerl die Señora de Azorin ermordet hat!“
„Und seitdem ist er verschwunden?“
„Ja! Seine sofortige Flucht nach der Tat beweist seine Mordschuld sogar zusätzlich! Leuchtet Ihnen das ein?“
„Noch nicht ganz.“
„So? Das ist mir auch egal. Sie stehen ja sowieso nicht auf meiner Seite, sondern sind gegen mich.“
„Hören Sie mit der Polemik auf“, sagte Cubera. „Eine andere Frage: Warum hat man die Schebecke beschlagnahmt, die im Hafen von Havanna geankert hat? Und warum wurde die Besatzung ins Gefängnis gesperrt?“
„Sie unterziehen mich also einem Verhör?“
„Herrgott, nein. Es ist Ihnen freigestellt, ob Sie mir antworten oder nicht.“
Don Antonio schien angestrengt nachzudenken. Er ließ seinen Besucher stehen und bot ihm keinen Platz an, auch kein Glas Portwein oder kandierte Früchte – die Cubera ohnehin abgelehnt hätte. Die Atmosphäre hätte nicht frostiger sein können, und sie gaben sich keinerlei Mühe, ihre beiderseitige Abneigung zu verbergen.
„Gut“, sagte Don Antonio schließlich. „Ich will Sie zufriedenstellen. Ich habe nach Don Juans Flucht sofort die Möglichkeit einkalkuliert, daß er versuchen könne, mit der Schebecke zu fliehen, die ja eine Prise von ihm war. Weiterhin war damit zu rechnen, daß seine kleine Mannschaft zu ihm hielt. Also habe ich entsprechende Vorsorge getroffen. Oder was hätten Sie an meiner Stelle getan?“
„Lassen wir das einmal dahingestellt“, entgegnete Cubera. Trocken fuhr er fort: „Im übrigen scheint Don Juan wider Erwarten größten Erfolg gehabt zu haben.“
„Wie meinen Sie das?“ fragte Don Antonio, und jäh erwachte Mißtrauen in ihm. Was wollte der Capitán? Ihn zum Narren halten? Ihn auf die Probe stellen? Was wußte er über Don Juan? Mehr als er? „Wie soll ich das verstehen?“ stieß er hervor.
„Es ist eindeutig die Schebecke Don Juan de Alcazars gewesen, die um Mitternacht die Ruderanlagen der beiden letzten Schiffe des Verbandes zerschossen hat.“ Cubera wartete nach diesen Worten ab und beobachtete, welche Wirkung sie auf den Dicken hatten. Es entging ihm nicht, wie dieser kaum merklich zusammenzuckte.
Don Antonio griff nach seinem Glas, füllte es mit Portwein und führte es an die Lippen. Er trank einen Schluck, verschluckte sich und begann zu husten und zu röcheln. Er lief dunkelrot im Gesicht an und schien keine Luft mehr zu bekommen, aber Cubera dachte nicht daran, ihm hilfreich auf den Rücken zu klopfen.
Völlig ungerührt stand er da und betrachtete sein Gegenüber. Don Antonios Getue und Gehabe vermochte ihn nicht im geringsten zu beeindrucken.
Don Antonio ließ das Glas wieder sinken, und fast verschüttete er dabei den Rest des Inhalts. Er keuchte und schöpfte japsend Atem, dann ließ er sich wieder auf den Rand seiner Koje sinken.
„Was erregt Sie eigentlich so?“ fragte Cubera.
„Ach, es ist nichts.“
„Vielleicht ist es doch besser, wenn Sie endlich mit der Wahrheit herausrücken. Denn daß hier einiges faul ist, habe ich längst begriffen.“
„Faul? Ich verstehe Sie nicht.“
„Das ist nicht weiter schlimm“, sagte Cubera gelassen. „Ich bin aber sehr gespannt darauf, die volle Wahrheit über Don Juan zu erfahren.“
„Gut, die sollen Sie wissen“, sagte Don Antonio, und er keuchte immer noch. „Dieser Frauenmörder ist ein Verrückter, ein Lustmörder und Sittenstrolch, dem es offenbar gelungen ist, mit der Schebecke aus Havanna zu fliehen.“
„Ja, das ist offensichtlich.“
„Und jetzt?“ stieß Don Antonio mit schriller, kreischender Stimme hervor. „Jetzt fällt er in seiner Mordlust auch noch über die eigenen Schiffe her, über die Schiffe Seiner Majestät!“
„Eben“, sagte Cubera in aller Ruhe und verschränkte die Arme vor der Brust. „Genau das will mir nicht in den Kopf. Es leuchtet mir einfach nicht ein. Nie wäre ein Mann wie Don Juan zu so etwas fähig.“
„Kennen Sie ihn denn?“
„Nur flüchtig, aber …“
„Er zeigt jetzt sein wahres Gesicht“, unterbrach ihn der Dicke. „Oder er hat total den Verstand verloren. Eins von beiden.“
Cubera fixierte ihn kühl. „Das glaube ich Ihnen nicht, Señor Gouverneur.“
4.
„Etwas anderes habe ich auch nicht erwartet“, sagte Don Antonio. Nur mühsam beherrschte er seine aufwallenden Haß- und Zorngefühle. „Warum reden wir überhaupt miteinander? Wenn Sie mich für einen Lügner halten, brauchen Sie mich ja gar nicht erst zu vernehmen, oder?“
Unbeirrt sagte Cubera: „Don Juan steht im Range eines Generalkapitäns, außerdem ist er Sonderagent der spanischen Krone. Wie können Sie im Ernst behaupten, daß ein solcher Mann ein Verbrecher oder Geistesgestörter ist?“
„Ich berufe mich nur auf die Tatsachen.“
„Es ist auch allgemein bekannt, daß sich Don Juan bravourös geschlagen hat, als die Horde eines gewissen Catalina über Havanna hergefallen ist.“ Fast süffisant fügte Cubera hinzu: „Einen solchen Mann kann ich mir schlecht als Frauenmörder vorstellen, als Lustmörder und Sittenstrolch schon gar nicht.“
Don Antonio blickte ihn an und wünschte sich, etwas Gift zur Verfügung zu haben, das er ihm heimlich in den Portwein streuen konnte. Aber dummerweise hatte er seine sämtlichen Vorräte in Havanna zurückgelassen. Außerdem trank der Capitán gewiß keinen Portwein, und er hätte bei einem so plötzlichen Ausbruch von Gastfreundschaft auch sofort Verdacht geschöpft.
„Mit der Mordlust, über die eigenen Schiffe herzufallen, scheint auch etwas nicht zu stimmen“, fuhr Cubera fort. „Denn es verwundert mich wirklich sehr, daß bei dieser Mordlust stets nur in die Ruderanlagen geschossen wird, wobei noch kein einziger Mann getötet worden ist.“
„Das sind alles nur Zufälle“, sagte der Dicke. „Beim nächstenmal schon kann es ein Massaker geben. Don Juan ist zu allem fähig. Aber, ach, Sie nehmen mir das ja doch nicht ab.“
Cubera musterte ihn verächtlich von oben bis unten. „Nach meiner Ansicht deuten diese Angriffe vielmehr darauf hin, daß mit allen Mitteln versucht wird, möglichst viele Schiffe des Verbandes außer Gefecht zu setzen und auf diese Weise zur Umkehr zu zwingen.“
„So?“ Don Antonio horchte auf. Was sagte der Mann da? Natürlich – Don Juan de Alcazar wollte, aus welchen Gründen auch immer, das Unternehmen sabotieren. War das für ihn, Don Antonio, nicht ein Vorteil? Er konnte seine Taktik darauf einstellen. Sofort nahm er die einmalige Chance wahr. „Daran habe ich noch gar nicht gedacht“, erklärte er mit lauernder Miene. „Aber ich schätze, Sie haben wirklich recht, Señor. Ich meine – wenn ich so richtig darüber nachdenke, muß ich Ihre Theorie sogar unterstützen. Nur bin ich bislang nicht darauf gekommen.“
„So ein Pech“, sagte Cubera. „Sie hätten mich sonst schon eher auf die Absichten des Don Juan hinweisen können.“
„Ich wußte ja nicht, daß er uns folgt. Aber Sie entsinnen sich, daß auch ich genau das im Sinn gehabt habe – daß der Verband umkehrt. Sehen Sie, es scheint also gar nicht so falsch und abwegig zu sein, das, Unternehmen abzubrechen.“
„Ich kann mich sehr gut an jedes einzelne Ihrer Worte erinnern“, sagte Don Garcia Cubera sarkastisch. „Aber Sie kennen mich immer noch nicht richtig. Gerade das werde ich nicht tun. Wir segeln auf dem bisherigen Kurs weiter.“
„Vielleicht kostet das unser aller Leben.“ Don Antonio spürte bei dem Gedanken an die bevorstehende Schlacht wieder die Angst in sich aufflackern, die stärker war als die Gier nach Gold und Silber. Natürlich würde dieser Fanatiker Cubera mit seinem Flaggschiff auch in erster Linie kämpfen und sich nicht zurückhalten, wie Don Antonio es getan hätte, wenn der Verband seinem Kommando unterstanden hätte. Es wurde also höchst brenzlig, und das Risiko, nie mehr nach Havanna zurückzukehren, war hoch.
„Ich fühle mich herausgefordert“, sagte Cubera. „Und als spanischer Seeoffizier bin ich gewohnt, eine einmal angefangene Angriffsoperation auch durchzuschlagen. Letztlich geht es ja auch um einen Gegner, der Spanien seit Jahren unermeßlichen Schaden zugefügt hat. Eine Umkehr ist völlig undiskutabel.“
„Aber – versuchen Sie doch, vernünftig zu denken!“ stieß Don Antonio flehend hervor.
„Das tue ich. Sie haben das Unternehmen gewollt und in Gang gesetzt. Und jetzt werden Sie dabeisein, wenn wir es durchführen.“ Mit diesen Worten vollführte er eine kühle Verbeugung und verließ die Kammer, in der man die Angst riechen konnte. Voller Abscheu verzog er den Mund, als er draußen war und den Gang zum Querschott entlangschritt. Mehr denn je war er davon überzeugt, daß es richtig war, durchzuhalten und bis zur äußersten Konsequenz zu gehen. Für Don Antonio de Quintanilla würde es im übrigen die Lektion seines Lebens sein. Er hatte sie verdient.
Don Juan de Alcazar stand mit seiner Schebecke um diese Zeit bereits wieder auf der Luvseite des Verbandes, also nördlich von ihm und aufgrund der nächtlichen Lichtverhältnisse im dunklen Sektor, der das Schiff hervorragend tarnte.
Der Verband hingegen war klar zu erkennen. Schweigend beobachteten die Männer der Schebecke, was geschah. Es war ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen, daß die eine von ihnen angegriffene Kriegskaravelle nach einer gewissen Zeit – offenbar unter Notruder – mit Kurs auf die Küste im Süden davongekrochen war, während das Achterschiff des anderen Opfers hell erleuchtet war.
„Sie arbeiten daran, den Ruderschaden zu beheben“, sagte Don Juan. „Gut so. Das gibt wieder eine Verzögerung.“
„Der ganze Verband liegt vor Treibanker“, sagte Arne von Manteuffel. „Aber natürlich trifft der Verbandsführer jetzt auch einige Sicherheitsvorkehrungen, um die Schiffe abzuschirmen.“
Ramón Vigil bestätigte dies durch ein Kopfnicken. Fast unausgesetzt hatte er durch sein Spektiv geblickt und zu verfolgen versucht, was sich an Bord der spanischen Schiffe tat.
„Sie haben die Jollen ausgesetzt und um den Verband verteilt“, sagte er.
„Also Wachboote, die auf und ab patrouillieren“, sagte José Buarcos. „Außerdem dürfte damit zu rechnen sein, daß sie auch an Bord der Schiffe auf der Hut sind.“
Don Juan lächelte. „Unzählige Augenpaare beobachten die See ringsum, und man lauert darauf, daß der Angreifer sich noch einmal heranwagt. Richtig, Arne?“
„Völlig richtig. Aber den Gefallen tun wir ihnen nicht.“
„Überlegen wir es uns“, sagte Don Juan. „Wir könnten auch auf Teufel komm raus noch einmal an sie herangehen, wobei der Einsatz natürlich relativ hoch sein könnte.“
„Die Spanier sind jetzt höllisch auf der Hut und haben aus ihren Fehlern gelernt“, sagte Arne. „Das Risiko ist für uns zu groß. Wir sollten uns lieber im Hintergrund halten, finde ich. Wenn wir sie jetzt attackieren, gibt es auf unserer Seite Todesopfer. Dann werden wir kampfunfähig, denn wir sind eine zu kleine Crew. Wir haben keinerlei Reserven, das dürfen wir nicht vergessen.“
„Ja, dem stimme ich zu“, sagte auch Don Juan. „Man soll es nicht übertreiben und den Bogen nicht überspannen.“
„Erfolg haben wir nur, wenn wir den Gegner überraschend angreifen“, sagte Arne. „Genau das ist jetzt nicht mehr der Fall.“
„Aber wir können sie auch nicht ungeschoren lassen“, sagte Vigil. „Was wir bis jetzt erreicht haben, genügt noch nicht.“
„Natürlich nicht“, pflichtete Arne ihm bei. „Aber es empfiehlt sich, die Taktik zu ändern. Überhaupt sollten wir den Gegner über unsere nächsten Züge im Ungewissen lassen. Ich meine das so: Versetzen wir uns mal in ihre Lage. Sie sind zweimal in der Nacht überfallen worden. Beide Male scheint es sich um denselben Gegner gehandelt zu haben, und die Methode des Angriffs war auch dieselbe. Daraus folgern sie mit Scharfsinn und Logik, daß es auch einen dritten und vierten Überfall geben könnte. Sie erwarten ihn – und werden nervös, weil er nicht erfolgt.“
„Ich könnte mir aber vorstellen, daß ein Mann wie Don Garcia Cubera etwas weiter blickt“, meinte Don Juan.
„Auch er kann sich der allgemein herrschenden Spannung nicht entziehen“, sagte Arne. „Und ich weiß, daß die zunehmende Ungewißheit stark an den Nerven zehrt. Folglich haben wir eine unsichtbare, aber dennoch gute Waffe in Händen, die wir nur richtig bedienen müssen.“
„Du meinst, wir klopfen die Spanier weich, und es kostet uns trotzdem nicht den geringsten Einsatz?“ fragte Jörgen Bruhn. „Ja, sicher, auch das ist ein Weg. Die ständige Gefechtsbereitschaft verlangt den Dons im übrigen auch einiges ab. Bis sie die Schlangen-Insel erreichen, haben sie die Hälfte ihrer Energien hoffentlich aufgebraucht.“
„Da würde ich mal nicht so sicher sein“, sagte Jorge Matteo. „So gering, wie du denkst, sind die vorhandenen Kraftreserven bei der guten Verpflegung an Bord der Schiffe nicht. Laß dir das von einem Don gesagt sein.“
„Schon gut“, sagte Jörgen und grinste. „Der ‚Don‘ ist übrigens kein Schimpfwort.“
„So habe ich es auch nicht aufgefaßt.“
„Und unsere Devise ist nach wie vor, daß wir eingreifen, um ein großes Blutvergießen zu verhindern“, sagte Don Juan. „Wir halten also Fühlung, folgen dem Verband, wenn er wieder die Segel setzt, und kitzeln den Grund der Seelen unserer Landsleute sozusagen mit spitzen Federn. Bald werden sie ziemlich gereizt sein, und daraus wiederum könnte sich ein schwacher Punkt ergeben, der uns die Möglichkeit eines neuen Angriffes bietet.“
Er grinste Arne anerkennend zu. Dieser neue Freund aus Deutschland, aus dem fernen Kolberg, bewies wieder einmal mehr, daß die englischen Teufelskerle um Philip Hasard Killigrew keinen besseren Mann nach Havanna hätten schicken können. Arne von Manteuffel war hervorragend geeignet für diese Aufgabe, und unter dem Tarnmantel eines biederen deutschen Kaufherrn hatte er es bisher verstanden, jeden Zweifel an der Authentizität seiner Rolle von sich fernzuhalten.
Geschickt und intelligent, wie er war, konnte er sich noch über Jahre in Havanna halten und mit Hilfe seiner Männer Jörgen Bruhn und Jussuf die besten und vielversprechendsten Raids für den Bund der Korsaren auskundschaften. Die Verständigung mit der Schlangen-Insel funktionierte dank der Brieftauben, und kein Außenstehender würde jemals erfahren, wie es geschehen konnte, daß Philip Hasard Killigrew rechtzeitig davon erfuhr, wenn spanische Schatzschiffe den Hafen von Havanna verließen.
Noch während er darüber nachdachte und zu den Galeonen und Karavellen des Kriegsverbandes blickte, fiel Don Juan plötzlich wieder etwas ein.
Er hatte Arne von Manteuffel bereits vorgeschlagen, die Position als deutscher Kaufherr in Havanna möglichst nicht aufzugeben – was aber der Fall sein würde, wenn Arne auf der Schebecke durch einen dummen Zufall vom Gegner erkannt wurde. Einen solchen Umstand sollte man nicht heraufbeschwören. Don Juan hielt es für angebracht, noch einmal mit Arne über dieses Thema zu sprechen, solange sie die Gelegenheit dazu hatten. Da der Verband immer noch vor Treibanker lag und darauf wartete, daß die Ruderanlage der einen Karavelle wieder in Ordnung gebracht wurde, herrschte für die Männer der Schebecke gewissermaßen Leerlauf.
„Überlegen Sie sich noch mal, wie es wäre, wenn wir Jörgen und Sie an Land setzen würden“, sagte Don Juan zu Arne.
„Ich habe mir Ihren Vorschlag auch schon durch den Kopf gehen lassen.“
„Und zu welcher Ansicht sind Sie gelangt?“
„Daß Sie recht haben.“
„Es freut mich wirklich, daß Sie das einsehen.“
„Ich darf den Posten in Havanna um keinen Preis aufgeben“, sagte Arne. „Für die Freunde auf der Schlangen-Insel ist er geradezu lebenswichtig und notwendig.“
„Warum reden wir noch lange herum?“ fragte Jörgen. „Treffen wir eine Entscheidung.“
„Du bist also auch meiner Meinung – oder besser, unserer Meinung?“ Arne sah ihn erwartungsvoll an.
„Natürlich. Es soll aber nicht so aussehen, als wollten wir vor weiteren Kampfaktionen kneifen“, entgegnete Jörgen.
„So seht ihr auch gerade aus“, sagte Vigil. „Nein, ich glaube, das denkt keiner von uns.“
Don Juan sagte: „Wir sind bereit, euch noch heute nacht an der Küste an Land zu setzen.“
„Einverstanden“, sagte Arne. „Aber wo?“
Vigil brachte eine Karte, deren Eintragungen und Zeichnungen jedoch nur schwach zu erkennen waren. Licht durften sie nicht entfachen, um dem Gegner ihre Position nicht zu verraten. Also beugten sie sich einer nach dem anderen über die Karte und versuchten, im bleichen Schimmer des Mondes soviel wie möglich zu sehen.
Arne tippte schließlich auf La Isabela. Unwillkürlich mußte er wegen des Namens lächeln. La Isabela war ein Hafenort nördlich von Sagua la Grande.
„Der erscheint mir gerade wegen der Lage zu unserer momentanen Position günstig“, sagte er. „Außerdem dürften dort hauptsächlich Fischer wohnen, die zumeist wortkarg sind und nicht viel fragen.“
„Ja, auch ich glaube, daß Sie Ihre Wahl gut getroffen haben, Arne“, sagte Don Juan. „Ich bin einverstanden.“ Er wandte sich an seine Mannschaft. „Setzt die Segel. Wir runden den Verband und gehen auf Kurs Süden. Wir laufen die Küste von Kuba an, unser Ziel ist La Isabela.“
„Und der Verband?“ fragte einer der Männer.
„Der bleibt uns sicher“, erwiderte Vigil grinsend. „So schnell bricht er noch nicht wieder auf. Aber unsere lieben Landsleute werden denken, daß wir auch weiterhin im Dunkeln auf der Lauer liegen. Ja, diese Art der Kriegführung ist wirklich nicht schlecht.“
Wenig später glitt die Schebecke davon, umsegelte den Verband und legte sich auf südlichen Kurs. Kein Mann an Bord der Kriegsschiffe registrierte ihr Ablaufen, auch die Jollenbesatzungen sahen es nicht. So blieben die Ungewißheit und die Spannung, und die Nervosität wuchs, wie Arne das vorhergesagt hatte. Mit Hast wurde an Bord der beschädigten Karavelle gearbeitet, keinem ging das Instandsetzen der Ruderanlage schnell genug.
Nur ein Mann betete darum, daß der Verband ewig vor Treibanker liegen möge: Don Antonio de Quintanilla. Der Geschmack an der Rolle des Eroberers war ihm gründlich vergangen. Er wußte jetzt, daß der Kampf nicht ohne Blutvergießen abgehen würde. Solange es das Blut der anderen war, kümmerte es ihn nicht. Doch auch sein Blut würde fließen – und allein die Vorstellung bereitete ihm Grauen.
Unterdessen steuerte die Schebecke Don Juans die Küste von Kuba an. Die Fahrt verlief ruhig. Es wurde kaum ein Wort gesprochen, aber immer wieder hielten die Männer aufmerksam Umschau.
Im Morgengrauen des 21. Juli erreichten sie die Küste in unmittelbarer Nähe von La Isabela. Nebliggraue Schleier krochen über die See zum Land, durchsetzt von rötlichem Zwielicht, dennoch fiel den Männern die Orientierung nicht schwer. Sie steuerten zwischen den Inseln hindurch, die der Küste vorgelagert waren, wichen jedem Riff und jeder Untiefe aus und segelten schließlich auf die Palmen und Mangroven zu, die sich mattgrün hinter den aufsteigenden Brandungswellen erhoben.
„Beidrehen!“ befahl Don Juan. „Geit auf die Segel! Fiert ab das Boot!“
„Das wäre dann also die Stunde des Abschieds“, sagte Arne. „Schade – aber nicht zu ändern.“ Er streckte Don Juan die Hand entgegen. „Adios – oder soll ich lieber sagen: Hasta la vista?“
„Das klingt besser“, entgegnete Don Juan. „Auf Wiedersehen und nicht ade. In Havanna treffen wir uns wieder.“
„Daran führt kein Weg vorbei.“ Jörgen mußte lachen. „Und die Fronten sind jetzt geklärt. Jeder weiß vom anderen, wer er wirklich ist. Geheimnisse gibt es nicht mehr.“
„Und unser Pakt, unsere Freundschaft?“ fragte Arne. „Wann werden wir die endlich gebührend feiern?“
„Die Gelegenheit kommt noch“, erwiderte Don Juan. „Nach dem Gefecht um die Schlangen-Insel. Ich schätze aber, daß wir bis dahin noch einiges auf uns nehmen müssen. Ganz reibungslos wird auch unsere Aktion letztlich nicht verlaufen.“
„Ich denke auch an Don Antonio“, sagte Arne. „Wir haben immer Ärger mit ihm gehabt, und er wird es uns auch in Zukunft nicht daran mangeln lassen.“
„Irgendwie habe ich aber doch das Gefühl, daß Don Garcia Cubera ihn früher oder später durchschaut“, sagte Don Juan. „Daraus ergeben sich Konsequenzen. Wenn ich doch mit diesem Cubera hätte sprechen können, wie ich es in Havanna vorgehabt hatte.“
„Aber Sie sehen doch ein, daß es glatter Selbstmord gewesen wäre, nicht wahr?“ fragte Arne. Schließlich war er es gewesen, der ihn davon abgehalten hatte.
„Selbstverständlich. Ehe ich wieder offiziell etwas unternehmen kann, muß ich von der Anklage des Mordes freigesprochen sein und meine Sondervollmachten wieder in meinen Besitz gebracht haben.“ Seine Züge verhärteten sich. „Aber Don Antonio wird für das, was er sich geleistet hat, noch teuer bezahlen. Die Stunde der Abrechnung kommt – und dann gnade ihm Gott.“ Er drückte Arnes Hand kurz und fest, dann sagte er noch: „Grüßen Sie Jussuf von mir – und den alten Amando, wenn Sie ihn sehen. Meines Wissens sind, sie derzeit die einzigen beiden Männer in Havanna, die wirklich etwas taugen.“
Auch Jörgen schüttelte Don Juan die Hand. Arne und er verabschiedeten sich ebenso von den anderen, dann kletterten sie in das Boot, das inzwischen ausgeschwenkt und abgefiert worden war.
José Buarcos und Jorge Matteo pullten sie an Land. Die Brandung hob das kleine Boot hoch und ließ es auf den Strand zuschießen, als solle es dort zerschmettert werden. Dann aber, einer unsichtbaren, unerklärlichen Macht folgend, verlangsamte sich die Geschwindigkeit wieder, und fast sanft schob sich das Boot mit seinem Bug auf den weichen, weißen Sand.
Arne und Jörgen stiegen aus und nahmen ihre Waffen und ihr weniges Gepäck an sich. Arne gab durch eine Gebärde zur Schebecke hin zu verstehen, daß alles in Ordnung sei. Jörgen schob das Boot ins Wasser zurück. Arne half ihm dabei.
„Señores“, sagte Matteo. „Wir wünschen euch alles Gute. Gott sei mit euch!“
„Danke, das wünschen wir euch auch!“ rief Arne ihm und Buarcos zu. „Und grüßt den Seewolf von uns, wenn ihr ihn seht!“
Die beiden Spanier lachten und pullten zur Schebecke zurück. Arne und Jörgen verfolgten vom Ufer aus, wie das Boot längsseits ging und binnenbords gehievt wurde. Dann nahm Don Juans kleine Crew die Segel aus dem Gei, und das Schiff ging wieder in See.
Arne und Jörgen winkten den Freunden kurz nach, dann beobachteten sie, wie die Schebecke verschwand. Verschwimmende Schleier im blassen Morgenlicht waren das letzte, was sie von ihr sahen.
„Also dann, mein Bester“, sagte Arne. „Packen wir’s. Erst mal sehen wir uns dieses La Isabela an, dann entscheiden wir, ob wir bis nach Havanna zurück marschieren oder ob jemand so gnädig ist, uns mitzunehmen.“
„Das hängt ganz von den Angeboten ab“, sagte Jörgen und grinste.
Don Juan indes hatte nicht den geringsten Zweifel, daß es seinem Freund Arne von Manteuffel in Kürze gelingen würde, ein Fahrzeug zu finden und nach Havanna zurückzukehren. Es war nur eine Frage der Zeit, relativ kurzer Zeit obendrein.
Die Schebecke segelte in Richtung Osten an der Küste von Kuba entlang. Der nächste Hafenort auf ihrem Kurs war Remedios – und Don Juan ahnte noch nicht, was ihn dort erwartete.
Arne und Jörgen schritten zügig aus und wanderten nach La Isabela. Ihr Plan lautete, so schnell wie möglich nach Havanna zu gelangen und von dort aus ihre Rückkehr per Brieftaube zur Schlangen-Insel zu melden, falls die Insel weiterhin der Stützpunkt des Bundes der Korsaren blieb.
Dies hofften alle, selbst Jussuf, der in Havanna in der Faktorei saß und grübelte. Es gab keinen besseren Stützpunkt als die Schlangen-Insel, und auch Coral Island und die Timucuas hingen von der Schlangen-Insel ab. Sie durfte nicht fallen, um keinen Preis der Welt.