Kitabı oku: «Seewölfe Paket 21», sayfa 6

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8.

Der Erste Offizier ging gebückt. Er war durch die stechenden Schmerzen in seinem Hinterkopf benommen und behindert. Nie hätte er gedacht, daß ein Pistolenkolbenhieb derartige Qualen verursachte. Aber das hing eben davon ab, wohin jemand mit dem Knauf seiner Waffe schlug. Der Kopf war ein höchst empfindlicher Körperteil; man konnte sterben, wenn man einen Hieb gegen die Schläfe erhielt oder ein entsprechend harter Gegenstand den Schädel traf.

Aber sein Widerstand war noch nicht ganz gebrochen. Seine Gedanken überschlugen sich, während er vor Don Antonio de Quintanilla her ging und den Niedergang zur Kuhl hinunterstieg.

Wut kochte in ihm, heimlich ballte er seine Hände zu Fäusten. Es erschien ihm ungeheuerlich, er konnte noch immer nicht begreifen, daß er sich von dem Fettwanst Don Antonio hatte übertölpeln lassen. Die Szene war ein einziger Hohn, eine Farce, eine Klamotte – und doch wahr. Don Antonio verließ mit seinem Hofstaat die „San José“, und er, der Erste Offizier, würde sich dafür zu verantworten haben.

Don Antonios ganzes Verhalten, der Klang seiner Stimme und die Art, wie er mit der Pistole umging, ließen darauf schließen, daß er bereit war, bis zum Äußersten zu gehen. Er war in die Enge getrieben worden, Cubera hatte ihn praktisch des versuchten Mordes oder der Anstiftung dazu überführt. Der Prozeß, den man gegen ihn führen würde, stand Don Antonio drohend vor Augen. Deshalb befand er sich in der Situation eines Mannes, der nichts mehr zu verlieren hatte. Entsprechend war sein Handeln: Vom Haß und von der Verzweiflung getrieben, war er in der Lage, seine Lakaien mitten zwischen die Besatzung feuern zu lassen.

Äußerste Vorsicht war geboten, und doch wußte der Erste, daß er unverzüglich handeln mußte, wenn er noch etwas erreichen wollte. Je mehr sie sich von der „San José“ entfernten, desto geringer wurden die Aussichten, noch etwas unternehmen zu können. Hier hatte er noch die Offiziere und die Mannschaft hinter sich, aber wenn Don Antonio ihn in die Gassen von Remedios entführte, war er ihm endgültig ausgeliefert.

Warum übernahm Don Antonio jetzt, da er die Macht dazu hatte, nicht das Kommando über das Flaggschiff? Er hatte das Achterdeck bereits erobert, und mit der Unterstützung durch seine Diener konnte er die komplette Mannschaft dazu zwingen, sofort auszulaufen und nach Havanna zurückzukehren.

Aber der Geschmack an der Seefahrt schien ihm gründlich vergangen zu sein. Außerdem mußte er damit rechnen, daß die Besatzung der „San José“ nach dem ersten Schock über seinen Ausbruch reagierte und sich gegen ihn auflehnte. Zu groß war der Zorn, den diese Männer gegen ihn hegten. Er wußte das Risiko, das er einging, sehr wohl abzuschätzen, und nach reiflicher Überlegung in seiner „Gefängniskammer“ war er zu dem Schluß gelangt, daß es besser war, von Bord zu gehen und den Landweg zu wählen.

Der Erste Offizier schritt, von Don Antonio vorangetrieben, über die Kuhl auf die offene Schanzkleidpforte zu. Die beiden vor ihm gehenden Lakaien verhielten jetzt und wandten sich zu Don Antonio um.

„Bleibt da stehen“, sagte er. „Wartet, bis wir vorbei sind, und behaltet diese Hundesöhne im Auge. Der erste, der sich rührt und etwas unternimmt, kriegt eine Kugel.“

Der Erste Offizier sagte: „Don Antonio, ich appelliere noch einmal an Ihr Gewissen.“

„Habe ich nicht gesagt, daß du das Maul halten sollst?“

„Ja.“ Die Gedanken des Ersten überschlugen sich. Sollte er handeln, wenn er auf der Stelling war? Konnte er sich nicht zur Seite und zwischen der Pier und dem Schiff ins Wasser werfen?

Eine riskante Sache, aber besser als gar nichts. Er mußte es versuchen. Don Antonio konnte auch dann noch auf ihn schießen, wenn er bereits im Wasser schwamm – aber war andererseits nicht auch das Wagnis groß, sich von ihm verschleppen zu lassen? Mußte er nicht damit rechnen, daß der Dicke ihn vor lauter Rach- und Vergeltungssucht umbrachte, sobald er ihn als Geisel nicht mehr brauchte?

„Ja“, sagte er noch einmal. „Aber – begreifen Sie denn nicht? Sie werden für diese Tat zur Verantwortung gezogen, sobald Sie wieder in Havanna sind. Sie finden keine ruhige Minute mehr, und …“

„Schweig!“ schrie Don Antonio mit schriller Stimme. „Ich will nichts mehr hören! Kein Wort mehr!“

Genau in diesem Moment betrat der Erste die Stelling. Er zögerte jetzt nicht mehr. Jäh warf er sich nach rechts und stürzte in das Hafenwasser hinunter. Im Fallen spürte er wieder einen unbändigen Schmerz im Hinterkopf, der ihm die Sinne zu rauben drohte. Ihm war übel. Das Wasser raste auf ihn zu, es schien plötzlich pechschwarz zu sein.

Aber als die Fluten ihn aufnahmen und über ihm zusammenschlugen, fühlte er sich wie erlöst. Die Kühle des Wassers erfrischte ihn und verlieh ihm neue Energien. Der Schmerz ließ nach. Alles schien sich zu ändern. Nur undeutlich, wie gedämpft, nahm er noch das Krachen des Pistolenschusses wahr, dann begann er, unter Wasser zu schwimmen, um sich in Sicherheit zu bringen.

Es sah aus, als sei der Erste Offizier, immer noch benommen durch den Hieb, den Don Antonio ihm auf dem Achterdeck verpaßt hatte, auf der Stelling ausgeglitten. Aber Don Antonio reagierte sofort, als er die Gestalt des Mannes nach rechts wegsinken sah. Er riß die Pistole hoch. Sein Finger krümmte sich um den vorderen der beiden Abzüge. Der Hahn schnappte nach vorn, das Rad drehte sich, die Funken sprühten, und donnernd brach der Schuß.

Ein langer Feuerblitz stach in die Morgenluft, und die Kugel raste dorthin, wo der Erste eben noch gestanden hatte. Unten, zwischen der Pier und der Bordwand, war ein Klatschen zu vernehmen. Die Kugel fuhr ins Leere, flog zu den Hafenanlagen und bohrte sich mit einem dumpfen Laut in die Wand eines Schuppens.

Bewegung geriet in die Mannschaft der „San José“. Die Lakaien hoben ihre Pistolen, aber sie schienen jetzt verunsichert zu sein.

„Schnell weg!“ zischte Don Antonio ihnen zu. Dann ergriff er die Flucht nach vorn. Er rannte über die Stelling, schien zu wanken, hielt sich jetzt aber doch sicher auf seinen kurzen Beinen. Die Stelling schwankte unter ihm, er schien darauf zu hüpfen. Mit wenigen Schritten erreichte er die Pier. Die Lakaien folgten ihm. Sie stürmten an Land und liefen hinter ihm her auf die Häuser zu.

„Hinterher!“ rief der Zweite Offizier der „San José“. Der Dritte Offizier lief unterdessen zum Schanzkleid des Achterdecks, beugte sich darüber und hielt nach dem Ersten Ausschau, der immer noch verschwunden war.

In diesem Augenblick prallte die Tür der Hafenkommandantur auf. Der Schuß war natürlich vernommen worden, und Don Garcia Cubera und der Hafenkommandant hatten sich über das Pult im Kontor hinweg verblüfft angesehen.

„Das war bei meinem Schiff!“ stieß Cubera entsetzt hervor, dann warf er sich herum und stürmte ins Freie.

Die Tür der Kommandantur knallte gegen die Außenwand. Cubera lief zur Pier und erfaßte mit einem einzigen Blick, was geschehen war. Don Antonio de Quintanilla war frei! Er eilte watschelnd von der Pier zum Kai, gefolgt von seinen vier Lakaien. Von Bord der „San José“ ertönten Flüche und Schreie, und die ersten Männer verließen mit Musketen und Pistolen in den Händen das Schiff.

Cubera stürmte genau auf den Dicken zu. Hinter Cubera stürzte auch der Hafenkommandant ins Freie und versuchte zu erkennen, was vorgefallen war.

Plötzlich war der Teufel los.

„Aus dem Weg!“ schrie Don Antonio Cubera zu. „Ich knalle dich ab, du Hurensohn!“

Cubera dachte nicht daran, ihn an sich vorbeizulassen. Mit wenigen Schritten überbrückte er die Distanz, die zwischen ihnen lag. Don Antonio zielte jedoch auf ihn und drückte ab. Der zweite Lauf der Pistole spuckte seine Ladung aus, aber Don Antonio hatte nicht mit der Geistesgegenwart des Capitáns gerechnet.

Cubera ließ sich fallen, blitzschnell. Er schlug hart auf und spürte das Katzenkopfpflaster von Remedios in allen Knochen. Aber er entging dem tödlichen Schuß. Die Kugel pfiff über ihn weg.

„Zur Hölle!“ brüllte Don Antonio, dann, zu seinen Lakaien gewandt: „Schießt den Weg frei!“

Cubera war ebenso schnell, wie er sich hingeworfen hatte, wieder auf den Beinen. Er jagte auf den Dicken los und warf sich auf ihn. Don Antonio riß die Pistole hoch, um damit zuzuschlagen. Einer der Lakaien sprang zwischen sie. Don Antonios Hieb traf ihn zwischen die Schulterblätter, und er stieß einen pfeifenden Ächzer aus.

Cubera packte den Lakaien, riß ihn zu sich heran und fällte ihn mit einem Schlag gegen das Kinn. Seine Pistole landete auf dem Pflaster.

Don Antonio versuchte zu entwischen. Aber Cubera war mit einem Satz bei ihm, packte seine rechte Schulter und holte ihn zu sich herum. Don Antonio taumelte und drohte das Gleichgewicht zu verlieren. Er stieß einen Schwall von Flüchen aus, sein Gesicht war gräßlich verzerrt.

Er versuchte, mit der Pistole zuzuschlagen, aber Cubera fegte sie ihm mit einer wilden, heftigen Bewegung seiner rechten Hand aus den Fingern. Sie segelte durch die Luft und fiel dem heranstürmenden Hafenkommandanten vor die Füße.

„Hau ab!“ kreischte Don Antonio. „Laß mich in Ruhe!“

„Das könnte dir so passen“, sagte Cubera grimmig und schmetterte dem Dicken die Faust unters Kinn. Sie schien sich in eine weiche, teigartige Masse zu graben, das Gefühl war abstoßend. Aber irgendwo war doch der harte Punkt – und Don Antonio verdrehte, von diesem Rammhieb getroffen, die Augen und torkelte rückwärts.

Er stieß noch einen Seufzer aus, dann fiel er in sich zusammen, einem breiigen Berg ähnlich, der sich wie durch ein Wunder noch für wenige Lidschläge hielt, dann aber jeglichen inneren Halt verlor. Er blieb auf dem Rücken liegen, die Arme ausgebreitet und die Beine abgespreizt. Sein Bauch ragte wie eine Kuppel auf. Er hatte die Perücke verloren – die rollte wiederum dem Hafenkommandanten vor die Füße, der jetzt bei ihm war.

Die drei Lakaien trafen Anstalten, mit erhobenen Pistolen an Cubera und dem Hafenkommandanten vorbeizustürmen, doch Cubera fuhr mit der Pistole zu ihnen herum.

Inzwischen waren auch die Männer der „San José“ heran.

„Gebt auf!“ schrie der Zweite Offizier. „Ihr habt keine Chance! Ihr sterbt, wenn ihr auch nur einen Schuß abgebt!“

Die drei blieben stehen. Cubera und der Hafenkommandant, der nun ebenfalls seine Pistole gezückt hatte, versperrten ihnen den Weg. Sie konnten den Durchbruch nicht mehr wagen – er endete zweifellos mit einem Blutbad.

Hinter ihnen standen die Männer der „San José“ mit Musketen und Pistolen, die unmißverständlich auf sie gerichtet waren. Es gab keine Rettung mehr. Die Fluchtwege waren versperrt, abgeriegelt. Sie saßen in der Falle.

„Laßt die Waffen fallen, und hebt die Hände“, sagte Cubera.

Die Lakaien schienen noch zu überlegen. Was blühte ihnen, wenn sie gehorchten? Wurden sie an der Rah aufgehängt wie Gomez Guevara? Oder übte der Capitán Nachsicht und begnadigte sie?

„Señor“, sagte einer von ihnen. „Was geschieht, wenn wir uns ergeben?“

„Das kann ich jetzt nicht sagen. Weg mit den Waffen!“

Seine Worte ließen keinen Widerspruch und keine Gegenwehr zu. Die Übermacht war zu groß. Kämpften sie, starben sie ohnehin. Aber sie wollten leben und ihr Schicksal nicht hier, in Remedios, besiegelt sehen.

Die Pistolen landeten auf den Katzenköpfen. Langsam hoben die drei die Hände. Der Profos der „San José“ gab seinen Männern einen Wink, und sie begannen sofort, die drei und auch den bewußtlosen Lakaien nach weiteren Waffen abzutasten.

Aber sie hatten keine Waffen mehr, bis auf ein Messer, das aus der Tasche des Bewußtlosen zutage gefördert wurde. Auch Don Antonio wurde nun einer Leibesvisitation unterzogen, und die Männer gingen dabei nicht zimperlich mit ihm um.

„Woher hatte er die Pistole?“ fragte Cubera.

„Er muß sie in seiner Kammer gehabt haben“, erwiderte der Zweite Offizier. „In seinem Gepäck. Anders können wir es uns nicht vorstellen, Señor.“

„Ich habe einen Fehler begangen“, sagte der Capitán. „Ich hätte sein Gepäck durchsuchen lassen sollen.“

„Wer hat daran schon gedacht?“ fragte der Dritte. „Keiner von uns, Señor.“

„Wo ist der Erste?“ fragte Don Garcia Cubera und blickte zum Schiff.

Dort wurde eine Jakobsleiter abgefiert, denn der Erste war bis zum Heck der „San José“ getaucht, um sich vor weiteren möglichen Schüssen in Sicherheit zu bringen. Jetzt schob er den Kopf aus dem Wasser und hielt sich am Ruderblatt fest.

„Der Gouverneur hatte ihn als Geisel genommen, Señor Capitán“, antwortete der Zweite. „Aber er ist jetzt in Sicherheit.“

„Unfaßbar“, murmelte Cubera. „Daß so etwas passieren konnte. Aber es ist meine Schuld.“

„Das dürfen Sie nicht sagen“, erklärte der Hafenkommandant, der in diesem Moment neben ihn trat. „Vielmehr ist es höchst verwunderlich und skandalös zugleich, daß sich der Gouverneur von Kuba zu einer derartigen Handlung hinreißen läßt.“

„Ich habe Ihnen berichtet, was an Bord der ‚San José‘ vorgefallen ist. Dieser Mann wird sich einem Prozeß stellen müssen, einer Verhandlung, die über sein weiteres Leben entscheidet. Davor hat er Angst.“

„Was haben Sie jetzt vor?“

Don Garcia Cubera blickte zu dem Ersten Offizier, der in diesem Augenblick an der Jakobsleiter aufenterte und ihnen zuwinkte.

Don Antonios Fluchtversuch war gescheitert, und sein Tun verschlechterte seine Lage noch mehr. Er gestand seine Mittäterschaft an dem Mordanschlag auf den Capitán dadurch praktisch ein, und, mehr noch, er hatte sich des direkten Mordversuchs schuldig gemacht, indem er auf Cubera geschossen hatte.

Cubera deutete auf Don Antonio und sagte zu seinen Männern: „Abführen, den Mann. Er wird wieder in seine Kammer gesperrt und scharf bewacht. Das Gepäck wird in eine Nebenkammer gebracht und gründlich durchsucht.“

„Ja, Señor“, sagte der Zweite Offizier. Dann teilte er die Männer ein, die den Dicken zurück an Bord des Flaggschiffes tragen sollten.

„Was geschieht mit den vier Lakaien, Señor?“ fragte der Dritte Offizier.

„Die wandern ab in die Vorpiek“, entgegnete Cubera mit ruhiger, kühler Stimme. „Auch die Vorpiek wird bewacht. Alle weiteren Befehle erhalten Sie von mir im Verlauf des Vormittags.“

Er steckte seine Pistole weg und wandte sich erneut an den Hafenkommandanten. „Bitte begleiten Sie mich an Bord der ‚San José‘. Wir haben noch einiges miteinander zu besprechen.“

Sie schritten zum Schiff und gingen über die Stelling an Bord. Cubera trat zu seinem Ersten Offizier, der klatschnaß auf dem Hauptdeck stand und noch zu überlegen schien, was er tun sollte.

„Alles in Ordnung?“ fragte er ihn.

Der Erste rieb sich verlegen den Hinterkopf. „Jetzt wieder, Señor Capitán. Aber Sie können mich wegen meines Verschuldens zur Verantwortung ziehen. Ich stehe voll dafür ein. Nur durch mein Versagen konnte Don Antonio diesen Handstreich durchführen.“

„Das stimmt nicht ganz“, sagte Cubera. „Ich habe mir auch einiges vorzuwerfen. Also vergessen wir das Ganze am besten. Die Hauptsache ist ja, daß ihm die Flucht nicht geglückt ist.“

„Danke, Señor Capitán.“

„Wie wäre es, wenn Sie sich jetzt trockene Sachen anziehen würden?“

Der Erste verschwand im Achterdeck. Don Garcia Cubera und der Hafenkommandant suchten die Kapitänskammer auf, um zu beraten.

Am Nachmittag dieses 22. Juli 1594 verließ der Kriegsverband Remedios und ging wieder auf Ostkurs. Eine Kriegskaravelle hatte sich hinzugesellt, so daß Don Garcia Cubera nunmehr über sechs Kriegsgaleonen und drei Kriegskaravellen verfügte.

Ferner begleiteten sechs Schaluppen, armiert mit Drehbassen und verstärkt mit Seesoldaten und Seeleuten der „Gaviota“ sowie der beiden zuletzt beschädigten Kriegsgaleonen, den Verband.

Weitere Zwischenfälle, so schwor sich Don Garcia Cubera, sollte es nun nicht mehr geben. Das Ziel, die Schlangen-Insel des Philip Hasard Killigrew und des Bundes der Korsaren, mußte ohne Verzögerungen so schnell wie möglich erreicht werden …

ENDE


1.

Die Umrisse der Kriegsschiffe waren in der Dunkelheit mehr zu ahnen, als wirklich zu erkennen. Mächtige, drohende Schatten waren es, die der Nordostwind über das Karibische Meer trieb – unaufhaltsam und wie von einem Eigenleben beseelt, das nur den einen unerschütterlichen Willen kannte: Kurs auf die Schlangen-Insel. Tod den blutrünstigen Piraten unter dem Engländer Philip Hasard Killigrew!

Ja, mit ihren schattenhaften Silhouetten wirkten jene Kriegsgaleonen und Kriegskaravellen wie urwelthafte Wesen, deren ruhiges Dahinrauschen ein trügerisches Bild vermittelte. Von den Schaluppen wie von bissigen Wachhunden abgeschirmt, würden sie sich in Minutenschnelle in Feuer und Eisen speiende Ungeheuer verwandeln. Eine geballte, tödliche Vernichtungskraft würde sich dabei entwickeln, gegen die nur ein fast übermenschliches Maß an Entschlossenheit und Tapferkeit zur Verteidigung ausreichen mochte.

Don Juan de Alcazar war kein Mann, der sich von düsteren Stimmungen in einen Gedankenwinkel treiben ließ, in dem es keine Klarheit mehr gab. Auch unter den widrigsten Umständen war er ein Mann der Tatkraft und der nüchternen Überlegtheit. Der Seewolf und seine Gefährten hatten dies erkannt, als er noch im feindlichen Lager gestanden hatte. Jetzt aber, da er sich auf die Seite des Bundes der Korsaren geschlagen hatte, war er bereit, die Ziele seiner neugewonnenen Freunde mit aller Kraft zu verfolgen.

An diesem Abend des 22. Juli Anno 1594 vermochte Don Juan indessen einen Hauch von Unbehagen nicht zu unterdrücken. Sicherlich lag das mehr an der Vorstellung dessen, was den Verteidigern der Schlangen-Insel bevorstand. Würde den Männern um Philip Hasard Killigrew überhaupt genügend Zeit bleiben, um sich auf den unvermeidlichen Großangriff vorzubereiten?

Und wie sah es mit ihren Chancen aus, im Kampf gegen Capitán Cubera zu bestehen? Don Juan kannte den Verbandsführer. Ein erfahrener Seeoffizier, an dem sich schon mancher Gegner die Zähne ausgebissen hatte. Cubera hatte das Seekriegshandwerk in jenen großen Kämpfen erlernt, die sicher noch in den Geschichtsbüchern späterer Jahrhunderte Erwähnung finden würden. Zweifellos war dieser Mann dem Seewolf ebenbürtig.

Die Überlegenheit des in Havanna zusammengestellten und später ergänzten Kampfverbandes beruhte jedoch neben seiner Feuerkraft auch auf der Zahl der an Bord befindlichen Seesoldaten und Seeleute. Insgesamt zweitausend Mann mußten es jetzt wieder sein, gegen die der Bund der Korsaren rein zahlenmäßig wie ein Zwerg wirkte. Nur durch Klugheit und geschickte Taktik konnten Killigrew und seine Freunde gegen diese Übermacht vielleicht bestehen.

Die Ungewißheit war es, die Don Juan in verschiedener Hinsicht plagte. Neben dem Schicksal des Bundes der Korsaren ging es vor allem um die Frage, ob er durch seine Störangriffe auf den Verband für genügend Aufschub gesorgt hatte.

Und jetzt, da er vom Achterdeck der Schebecke aus in die Dunkelheit spähte, stand im Vordergrund die Frage, ob der Verband den hartnäckigen Fühlungshalter gesichtet hatte. Mit seinem schwarzen Rumpf, dem roten Schanzkleid und den rotweiß gestreiften Lateinersegeln war der Dreimaster zweifellos nur auf geringe Entfernung zu erkennen. Dennoch konnte man nach den jüngsten Ereignissen nicht mehr ganz sicher sein. Cubera war gewarnt und hatte sich auf die Bedrohung aus dem Dunkel eingerichtet.

Erst in den Nachmittagsstunden dieses zur Neige gehenden Tages hatte Don Juan das Auslaufen des Kampfverbandes aus Remedios beobachtet. Zumindest zu jenem Zeitpunkt konnte er von den Ausgucks des spanischen Verbandes auf keinen Fall bemerkt worden sein. Ankerplatz der Schebecke war die Bucht einer dem Hafenort vorgelagerten Insel gewesen. Dieses Eiland, das zur Gruppe der Cayo-Fragoso-Inseln gehörte, hatte ausgezeichnete Versteckmöglichkeiten geboten.

Als unschätzbarer Vorteil hatten sich überdies die kurzen Pfahlmasten der Schebecke erwiesen. Unter den überhängenden Zweigen des Uferdickichts war der Dreimaster nahezu unsichtbar gewesen. Auch die Möglichkeit des Riemenantriebs erwies sich in solchen Situationen immer wieder als günstig, denn die Schebecke konnte dadurch in problematischen Gewässern rasch und mühelos verholen.

Nach den vorangegangenen Ereignissen hatten Don Juan, Ramón Vigil und die anderen voller Spannung darauf gewartet, welche Entscheidungen Cubera treffen würde.

Noch gemeinsam mit Arne von Manteuffel hatten Don Juan und seine Männer einen weiteren nächtlichen Angriff auf den Verband gefahren, wobei die Ruderanlagen der beiden in Schlußposition segelnden Karavellen beschädigt worden waren. Ausgerechnet hatte es dabei die „Gaviota“ ein zweites Mal getroffen. Dieses Mal allerdings so erheblich, daß die Karavelle – mit einem Notruder versehen – nach Remedios schleichen mußte. Die andere Karavelle hatte es weniger schlimm erwischt. Ihr Ruder war mit Bordmitteln repariert worden.

Wenn er sich vorstellte, wie Capitán Cubera und seine Offiziere angesichts der rätselhaften Angriffe in Wut geraten waren, konnte sich Don Juan auch jetzt noch eines Lächelns nicht erwehren.

Er hatte Arne von Manteuffel und Jörgen Bruhn in dem Hafenort La Isabela, nördlich von Sagua la Grande gelegen, abgesetzt. Der Vetter des Seewolfs mußte unbedingt seine Tarnrolle als deutscher Kaufherr in Havanna wieder aufnehmen. In diesem Punkt waren, sich Arne und Don Juan nach kurzer Besprechung einig gewesen.

Die Schebecke war anschließend der „Gaviota“ nach Remedios gefolgt. Zwei Galeonen, vom Kapitän der Karavelle als Unterstützung für den Kampfverband in Marsch gesetzt, hatten unliebsame Bekanntschaft mit der Feuerkraft und der Wendigkeit des algerischen Dreimasters schließen müssen.

Don Juan und seine Männer hatten ihnen die Ruderanlagen zerschossen, und die Galeonen hatten sich beim Rammstoß hoffnungslos ineinander verkeilt. Nachdem der herannahende Kampfverband Hilfe geleistet hatte, war Cubera kurze Zeit später offenbar in Remedios an Land gegangen, um seine weiteren Maßnahmen zu treffen.

Das Ergebnis hatte Don Juan in den Nachmittagsstunden aus sicherem Versteck heraus beobachtet. Nach dem Auslaufen aus Remedios hatte der Verband wieder seine alte Marschformation eingenommen. Vorn in der Mitte segelte das Flaggschiff „San José“, und ihm folgten zu beiden Seiten in Kiellinie je vier Kriegsschiffe. An den beiden Außenflanken der Galeonen und Karavellen segelten wiederum jeweils drei Schaluppen.

Die letztere Beobachtung gefiel Don Juan ganz und gar nicht. Der Verband war also in Remedios mit einer Karavelle und sechs Schaluppen aufgefüllt worden. Insbesondere die Schaluppen spielten dabei eine Rolle, die zu Don Juans Unbehagen beitrug. Eindeutig dienten sie als Aufklärer und würden überdies den Verband vor weiteren Überraschungsangriffen abschirmen.

Es war indessen zu erwarten gewesen, daß Cubera aus den nächtlichen Aktionen des geheimnisvollen Gegners seine Lehre ziehen würde. Das war nun geschehen. Zwar bestand der Verband letzten Endes – trotz der Ergänzung durch die Karavelle – nicht mehr aus zehn, sondern nur noch aus neun Schiffen. Doch diese Verringerung der Kampfkraft wurde durch die Schaluppen zweifellos ausgeglichen.

Bei Wind aus Nordost war der Verband auf die freie See hinausgekreuzt und dann außerhalb der Cayo-Fragoso-Inseln auf Südostkurs gegangen.

Mit ausreichendem Sicherheitsabstand hatte Don Juan die Verfolgung aufgenommen. Er hatte zunächst weit nach Luv ausgeholt und dann nach Einbruch der Dunkelheit die beabsichtigte Position eingenommen. Über Steuerbordbug segelnd, stand die Schebecke vorlich und in Luv des Verbandes auf Parallelkurs, rauschte also an seiner vorderen Backbordflanke dahin.

Ständig rechnete Don Juan damit, daß die drei Schaluppen an eben jener Flanke plötzlich wenden und nach Norden hochstoßen würden. Erst bei einer solchen Reaktion konnte er sicher sein, daß man den Fühlungshalter bemerkt hatte. So aber blieb er weiter im Ungewissen. Denn vor dem schwachen Schimmer der Schiffslaternen waren die schattenhaften Umrisse der Schaluppen zu erkennen, wie sie unbeirrbar den Kurs des Verbandes einhielten.

Nichtsdestoweniger war sich Don Juan darüber im klaren, daß er auf jeden Fall zuerst mit den Schaluppen aneinandergeraten würde.

Er wandte sich für einen Moment ab und ließ seinen Blick über die völlig verdunkelten Decks der Schebecke gleiten. Als bewegungslose Silhouetten harrten die elf Männer seiner Crew auf der Kuhl aus. Während des Nachmittags hatten sie die Geschütze und Handfeuerwaffen überprüft und gereinigt, und die Munitionsvorräte waren gesichtet und geordnet worden. Jetzt waren sämtliche Drehbassen geladen. Der Dreimaster war bereit, dem Verband erneut einen spürbaren Biß in die verwundbare Ferse zu verpassen.

Don Juan ging auf Ramón Vigil zu, der mit unerschütterlicher Ruhe am Ruder stand, und legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Wir werden nicht mehr lange warten, Ramón. Aber diesmal wird es eine härtere Nuß, fürchte ich.“

Der Bootsmann wandte den Kopf und lachte verhalten. Seine Zähne blitzten in der Dunkelheit.

„Keine Sorge“, sagte er voller Zuversicht, „wenn dieser Fettsack von Gouverneur jemals die Schlangen-Insel erreichen sollte, wird er vorher tausend Tode gestorben sein.“

Don Juan mußte grinsen.

„Woher willst du wissen, daß er ein ängstlicher Mensch ist?“

„Ist doch klar.“ Ramón Vigil blies verächtlich die Luft durch die Nase. „Nach allem, was Sie mir von dem Kerl erzählt haben, kann er nur ein feiger Hund sein. Ich frage mich nur, warum er sich an Bord des Flaggschiffs begeben hat.“

„Du meinst, er sollte eigentlich von anderen die Kastanien aus dem Feuer holen lassen?“

„So ungefähr.“

„Nun“, entgegnete Don Juan lächelnd. „Dann würde er aber Gefahr laufen, daß diese anderen mit den heißen Kastanien verschwinden, bevor er sie überhaupt zu sehen kriegt.“ Er klopfte dem Bootsmann abermals auf die Schulter und trat wieder an das Steuerbordschanzkleid des Achterdecks.

Soviel war inzwischen sicher: Dem sehr ehrenwerten Don Antonio de Quintanilla ging es nur in zweiter Linie darum, den angeblich schlimmsten Feind der spanischen Krone, Philip Hasard Killigrew, zu besiegen. An erster Stelle der Überlegungen stand für den geldgierigen Gouverneur die Tatsache, daß auf der Schlangen-Insel offenbar immense Schatzvorräte lagerten. Mit seinen Wurstfingern wollte er tief hineingreifen und sich zu unermeßlichem Reichtum verhelfen.

Don Juan wandte seine Gedanken den vordergründigen Zielen zu, während er abermals zu den Schiffen des Kampfverbandes spähte. Fest stand, daß die Gefahr, um ein Vielfaches höher war, wenn er in dieser Nacht einen erneuten Angriff unternahm. Und die bisherigen Angriffe? Hatten sie trotz aller Erfolge ihren Zweck erfüllt?

Man mußte daran zweifeln.

Seine und die Absicht Arne von Manteuffels war es gewesen, den Verband durch eine hohe Zahl von Ausfällen und Schäden zur Umkehr zu zwingen und dadurch ein sinnloses Blutvergießen zu vermeiden. Don Juan mußte sich eingestehen, daß er mit seinen nächtlichen Aktionen diesem Ziel um nichts näher gerückt war. Statt dessen hielt dieser Schurke von einem Gouverneur mit verbissener Sturheit seinen Kurs, der ihn zur Schlangen-Insel und dem dort erhofften Reichtum führen sollte.

Von den wahren Gründen für diese vermeintliche Sturheit ahnte Don Juan allerdings nichts. So war es nicht etwa der Gouverneur, der die Befehle an Bord der „San José“ gab. Seit dem Mordversuch an Capitán Cubera und seit dem Fluchtversuch in Remedios befand sich Don Antonio de Quintanilla in verschärftem Arrest in einer der Achterdeckskammern; des Flaggschiffs. Bereits zuvor war es Cubera gewesen, der sich aus militärischen Erwägungen heraus entschlossen hatte, das Unternehmen auf jeden Fall durchzuführen.

Wären Don Juan de Alcazar die Zusammenhänge bekannt gewesen, hätte er eine völlig andere Entscheidung getroffen. Als Generalkapitän, ausgestattet mit Sondervollmachten der spanischen Krone, wäre er berechtigt gewesen, Cubera Befehle zu erteilen und ihn zurückzupfeifen. Während Don Juans Flucht in Havanna hatte sich zwar der Gouverneur die Sondervollmachten unter den Nagel gerissen, doch es wäre sicherlich auch ohne dieses Dokument möglich gewesen, die Weisungsbefugnisse durchzusetzen. Aber nach dem Stand der Dinge ließ sich der verhängnisvolle Lauf des Geschehens nicht mehr abwenden.

Das Gefühl, unter zunehmendem Zeitdruck zu stehen, hatte sich für Don Juan in den letzten Stunden immer mehr verstärkt. Noch gemeinsam mit Arne hatte er berechnet, wann die Schiffe des Bundes der Korsaren in See gehen konnten, um dem Feind entgegenzusegeln. Voraussetzung dafür war der Erhalt der Brieftaubennachricht gewesen, die den Seewolf und seine Gefährten über das Auslaufen des Verbandes aus Havanna unterrichtete. Wenn die Berechnungen stimmten, mußten die Schiffe des Bundes am Nachmittag des 19. Juli ankerauf gegangen sein und sich seither auf Westkurs befinden.

Der Wind aus Nordosten war günstig. Nach Don Juans. Berechnung der Marschgeschwindigkeit mußte sich der Verband des Seewolfs bereits dem Alten Bahama-Kanal genähert oder ihn erreicht haben. Im günstigsten Fall stand der Verband mittlerweile auf der Höhe von Lobos Cay, wo Don Juan seine erste Begegnung mit Philip Hasard Killigrew gehabt hatte.

Die Erinnerung daran drängte sich machtvoll in sein Bewußtsein und ließ sich nicht auf Anhieb wegwischen. Seinerzeit hatte er dem Mann Auge in Auge gegenübergestanden, der nach dem Willen der spanischen Krone eigentlich sein Todfeind sein sollte. Doch aus dem Duell heraus war er gemeinsam mit Killigrew in eine tödliche Bedrohung durch blutrünstige Marodeure geraten.

Kurz darauf hatte Don Juan erleben müssen, wie ihm der Engländer zum ersten Male das Leben rettete. Und es war nicht bei diesem einen Mal geblieben. Wie auch sein Vetter Arne von Manteuffel, hatte sich Philip Hasard Killigrew als ein fairer Gegner erwiesen – als das, was die Briten einen vollendeten Gentleman nannten.

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