Kitabı oku: «Seewölfe Paket 29», sayfa 18

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9.

Aus der Sicht der Arwenacks sah das alles ganz anders aus. Es waren nicht viele an Bord. Die meisten sahen sich noch Istanbul an und trieben sich auf den bunten Märkten herum, die soviel Abwechslung boten.

Die anderen Arwenacks standen an Deck und sahen dem lebhaften Treiben im Hafen zu, das ebenfalls viel Abwechslung bot.

Hasards Blick galt einer Galeone, die die Innenreede anlief und dort vor Anker ging. Da sie keine Flagge zeigte, tippte der Seewolf auf einen Portugiesen, was Ferris Tucker auch bestätigte.

Gleich darauf änderte sich das Bild.

Die große Galeere nahm Kurs auf die Galeone, und dort reagierte man sichtlich nervös.

„Seltsam“, sagte Hasard, „das scheint sich zu wiederholen. Oder die Portugiesen haben erfahren, was sich hier getan hat.“

„Sieht aus, als wollen sie die Galeone kontrollieren“, meinte Don Juan nachdenklich. „Aber wenn sie gleich mit einer Galeere aufkreuzen, versetzen sie die Leute nur in Angst und Schrecken. Sehr gastfreundlich ist das jedenfalls nicht. Sie haben doch ihre Schaluppen.“

„Das verstehe ich auch nicht.“

Auf der Galeone ging das gleiche Theater los wie auf der Dhau. Als die Besatzung das mächtige Schiff mit dem Rammsporn sah, das direkt auf sie zulief, kappte man das Ankertau und setzte in aller Eile die Segel.

Daraufhin erhöhten die Ruderer auf der Galeere die Schlagzahl, und so wurden die Arwenacks erneut Zeugen eines sich zuspitzenden Dramas.

Doch diesmal lief alles ganz anders ab.

Die Galeone schaffte es gerade noch, vor der Galeere abzulaufen, aber sie hatte keine Chance. Es war nur eine Frage der Zeit, wann der Rammstoß erfolgen würde, denn die Galeone war schwerfällig mit ihren Segelmanövern. Sie segelte in Richtung einer steinernen Mole, wo es eine Durchfahrt gab, aber sie war immer noch langsam.

Eine harte Kursänderung der Galeere folgte, die jetzt der Galeone achtern aufzulaufen versuchte.

Innerhalb kurzer Zeit würde sie die flüchtende Galeone gestellt haben, daran bestand kein Zweifel.

Doch nun geschah etwas, das die Arwenacks verblüffte.

Ohne jeden erkennbaren Grund wurde auf der Backbordseite das Rudern eingestellt. Es war, als hätten alle Männer schlagartig die Riemen losgelassen.

„Was ist denn da los?“ fragte Don Juan erstaunt. „Was hat das seltsame Manöver zu bedeuten?“

„Das ist mir auch unerklärlich“, sagte Hasard. „Fast sieht das nach einer Meuterei aus, Ungehorsam, oder was weiß ich. Jedenfalls ist das nicht üblich. Die Galeere muß aus dem Kurs laufen.“

An Steuerbord wurde weitergepullt, als sei nichts geschehen. In gleichmäßigem Takt wurden die Riemen durchgezogen, und das mit einem direkt atemberaubenden Tempo. Auf der anderen Seite dagegen herrschte Chaos, als die Riemen wild durchs Wasser pflügten.

Auf dem Oberdeck pullten sie stehend mit wildem Schlag. Dann war lautes Gebrüll zu hören.

„Himmel, die rennen auf die Mole zu“, sagte Ferris Tucker. „Das ist kein Zufall mehr, da steckt wirklich Meuterei dahinter, zumindest aber eine gezielte Absprache.“

Innerhalb kurzer Zeit herrschte eine unglaubliche Wuhling auf dem Riesenschiff, und alles ging drunter und drüber.

Der Rammsporn zielte auf die Steinmole, und unter Gebrüll und Geschrei streifte er sie hart. Holzsplitter flogen durch die Luft, ein entsetzliches Krachen war zu hören, als das Schiff die Mole rammte. Dann wurde es jäh gestoppt. Die Masten wackelten und schwankten, der ganze riesige Kasten wurde hart durchgeschüttelt.

Danach ging das Gebrüll erst richtig los. Die Galeone segelte davon und zeigte das Heck, die Galeere saß fest.

Schüsse krachten. Auf dem Oberdeck prügelten sich Männer. Aber das Bild wurde immer undeutlicher in der beginnenden Dämmerung. Es wirkte jedoch wie ein Alptraum.

„Die haben tatsächlich gemeutert!“ rief Old O’Flynn. „Jetzt haben sie sich von den Ketten befreit und springen über Bord!“

Überall im Hafen war man jetzt aufmerksam geworden, denn was sich an der Mole abspielte, war einfach unglaublich.

Es dauerte auch nicht lange, da rückten wieder Soldaten an, und zwei Schaluppen lösten sich von der Pier, die zu der Galeere hinübersegelten.

Das Geknatter von Musketen übertönte jedes andere Geräusch. Dort drüben kochte und brodelte ein Hexenkessel. Verzweifelte Gefangene kämpften sich mit den Fäusten einen Weg zum Oberdeck frei und schlugen auf alles ein, was ihnen im Weg stand. Die meisten trugen noch ihre eisernen Manschetten. Damit sprangen sie ins Wasser.

Hasard zählte mindestens zwei Dutzend Männer, die sich befreit hatten und nun ihr Heil in der Flucht sahen. Aber etliche von ihnen tauchten nicht mehr auf.

Mit zusammengepreßten Zähnen Sah er zu und konnte doch nichts unternehmen. Außerdem wurde es jetzt zunehmend dunkler und die Sicht immer schlechter.

Das ganze Spektakel dauerte keine halbe Stunde. Dann hatten die Schaluppen etliche Männer aus dem Wasser gefischt. Es waren auch ein paar Tote dabei, die den Musketenkugeln zum Opfer gefallen waren.

Die Galeere war inzwischen vor Anker gegangen. Von außen sah man ihr keine Beschädigung an, bis auf die zersplitterten Riemen, die auf der Backbordseite zu Bruch gegangen waren.

Hasard und seine Männer waren so in den Anblick versunken, daß sie nicht bemerkten, wie sich eine triefende Hand an der Bordwand festkrallte. Ein ausgelaugter Mann hielt sich fest und atmete langsam und bedächtig ein und aus. Dann zog er sich unendlich langsam an Deck, robbte dort ein Stück entlang, entdeckte eine Kammer und verschwand darin, ohne daß ihn jemand bemerkte.

Die Bordhündin Plymmie hätte ihn ganz sicher bemerkt, aber die war mit Smoky, Jung Philip und ein paar anderen ebenfalls an Land.

Ali Mustafa hatte ganz erbärmliche Angst. Hinzu kam der Schock, als Ahmed unterging, nachdem ihn eine Musketenkugel getroffen hatte.

Er sah ihn versinken und streckte noch die Hand aus, aber Ahmed war tot und ging unter.

Ali Mustafa würgte es. Etlichen Männern war die Flucht von der Galeere gelungen, aber jetzt suchten die Schaluppen und Männer in Beibooten und erwischten immer wieder einige von ihnen.

Er hielt die Luft an, solange er konnte und schwamm unter Wasser weiter. Erst als seine Lungen zu platzen drohten, tauchte er auf und streckte ganz vorsichtig den Kopf aus dem Wasser. Dann sah er sich für einen kurzen Augenblick um.

Er war ein Stück abgetrieben, aber das hatte den Vorteil, daß sie ihn in dieser Ecke nicht suchten. Ihre Suche konzentrierte sich vielmehr auf die Nähe der Galeere. Er hatte auch noch mitgekriegt, daß es zwei Männern gelungen war, die Mole zu überwinden. Sie waren in der Dunkelheit verschwunden.

Er schwamm und schwamm um sein Leben, tauchte, wenn er ein Boot entdeckte, und hielt wieder die Luft an, bis er feurige Ringe vor seinen Augen sah. Erst dann holte er ganz schnell einmal Luft.

Zum Glück war es jetzt so dunkel, daß die Schergen alle Mühe hatten, noch Männer aufzufischen. Bei Tage wäre das wesentlich schwieriger und mit größerer Gefahr verbunden gewesen.

Seine rechte Hand stieß plötzlich an ein Hindernis im Wasser, und er erschrak im ersten Augenblick. Unter Wasser tastete er es ab und spürte, daß es die Planken eines Schiffes waren, das ziemlich tief im Wasser lag.

Vorsichtig zog er sich hoch und warf einen Blick in die Runde. Es war tatsächlich ein Schiff, das an einer hölzernen Pier lag. Jetzt zog er sich mit beiden Händen hoch.

Auf dem Schiff waren ein paar Männer. Er vernahm Worte in einer Sprache, die er schon einmal gehört hatte, aber er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Er war jetzt auch so erschöpft, erledigt und ausgelaugt, daß ihm fast alles egal war.

Vielleicht entdeckten ihn die Männer, vielleicht lieferten sie ihn den Behörden aus, aber vielleicht halfen sie ihm auch.

Auf den Planken blieb er ein paar Augenblicke reglos liegen. Die Männer sahen ihn nicht. Sie blickten zu der Galeere hinüber, auf der jetzt überall Laternen entzündet waren.

Er robbte mühsam weiter und entdeckte einen Niedergang, den er hinunterkroch. Er fand eine Kammer, in der eine Funzel brannte, die von einem Deckenbalken hing. An der Wand in der Kammer stand eine Koje. Einen Augenblick zögerte Ali Mustafa, ob er sich auf die verlockend dastehende Koje legen sollte.

Er entschied sich dafür, sich unter die Koje zu legen. Im Schein der trüben Funzel sah er noch, daß ein Schlüssel im Schloß des Schotts steckte. Er zog ihn ab und legte ihn auf den kleinen Teppich.

Dann rollte er sich unter die Koje und schlief augenblicklich vor Erschöpfung ein.

Zwei Stunden später kehrten auch die anderen Arwenacks in kleinen Gruppen zurück an Bord. Für die meisten war es ein recht anstrengender Tag gewesen.

Old O’Flynn berichtete ihnen, was vorgefallen war, und so wurde an Deck noch darüber diskutiert.

Die Bordhündin Plymmie begann auf dem Achterdeck zu schnüffeln und zu kratzen, aber niemand schenkte ihr Beachtung. Die Zwillinge Hasard und Philip nahmen sie mit nach vorn.

„Mir langt’s für heute“, sagte Old Donegal. „Ich werde erst einmal meine Pflichtübung absolvieren und in die Koje gehen. Morgen ist ja auch noch ein Tag.“

„Das ist anzunehmen“, sagte der Profos grinsend. „Denn wenn morgen kein Tag ist, sieht es verdammt schlimm aus.“

Old O’Flynn verzog sich nach unten, doch nach ganz kurzer Zeit war er wieder an Deck und blickte die anderen mürrisch an.

„Ist was?“ fragte der Profos. „Ich denke, du wolltest auf deinen Lauscherposten gehen.“

„Du mußt gerade noch so dämlich fragen“, motzte der Alte. „Das ist doch wieder mal dein Werk. Aber ich habe jetzt keine Lust, mit dir herumzustreiten. Gib mir also den Schlüssel.“

„Welchen Schlüssel?“

„Den zu meiner Kammer. Und tu nicht wieder so unwissend.“

Carberry sah den Alten forschend und etwas besorgt an.

„Hast du zuviel gesoffen, Mister O’Flynn? Was, zum Teufel, soll ich mit deinem Schlüssel?“

„Weiß ich nicht“, sagte der Alte erbost. „Aber dem einzigen, dem ich solche Lumpereien zutraue, bist nun mal du.“

Der Profos kniff die Augen zusammen und schob sein Rammkinn vor.

„Sieh dich vor, Old Man. Ich habe keine Lumpereien getrieben, und von deinem Schlüssel weiß ich nichts.“

„Was geht hier eigentlich vor?“ fragte Hasard. „Kann mir das mal einer erklären, ohne daß ihr euch gegenseitig immer gleich anstänkern müßt?“

„Einer hat meine Kammer abgeschlossen und den Schlüssel versteckt“, sagte Old Donegal wütend zu Hasard. „Und man weiß ja mittlerweile, wer für solche Bubenstücke zuständig ist. Aber auf solche lausigen Scherze bin ich heute nicht scharf.“

„Hast du den Schlüssel, Ed?“ fragte Hasard.

„Nein, Sir, mein Wort darauf. Außerdem war ich den ganzen Nachmittag an Land und bin eben erst zurückgekehrt. Old Donegal wird wohl mal wieder Tomaten auf den Augen haben, wenn er den Schlüssel nicht sieht.“

„Dann sehen wir noch einmal nach“, sagte Hasard unwillig.

Sie gingen hinunter und sahen nach. Das Schott war dicht, und der Schlüssel verschwunden.

„Ich habe ihn von innen steckenlassen“, sagte Donegal.

„Das spielt keine Rolle, ob von außen oder innen. Jedenfalls ist das Schott dicht.“

Hasard wollte sich gerade abwenden, als sein Blick auf den Boden fiel.

Auf den Dielen befand sich ein feuchter Fleck, der vor Donegals Kammer abrupt endete. In dem kurzen Gang war auch so etwas wie eine Schleifspur zu erkennen.

„Das ist aber merkwürdig“, sagte der Profos nachdenklich. Dann grinste er ein wenig. „Vielleicht haben dir deine Enkelchen einen kleinen Schabernack gespielt. Wollten vielleicht mal das alte Zauselchen ein bißchen auf die Schippe nehmen, was, wie?“

„Das tun meine Enkelchen nicht“, verwahrte sich der Alte.

Hasard ließ sie trotzdem holen, weil er das geklärt haben wollte.

Sie brachten Plymmie mit, und kaum war die Hündin in dem Gang, als sie sich auch schon eigenartig benahm. Sie streckte die Pfote nach dem Schott aus, winselte, bellte heiser und kratzte daran herum.

„Vielleicht hat sich ein Wassermann in deine Kammer geschlichen“, höhnte Carberry, „sieht ganz danach aus. Ein türkischer Wassermann natürlich, mit einem grünen Fez auf der Rübe und Tang an den Ohren.“

Er ahnte nicht, wie nahe er damit bei der Wahrheit lag – im übertragenen Sinne natürlich.

Der Alte sah schaudernd auf die feuchte Schleifspur, und dann wurde ihm der Hals zu eng. Er schien tatsächlich den Stuß zu glauben, den Carberry ihm grinsend verklarte.

„Glaubst du wirklich?“ fragte er verwirrt.

„Aber sicher. In Istanbul schleichen jede Menge Wassermänner rum. Mal erkennt man sie sofort, manchmal haben sie sich aber auch hinter einem Schleier getarnt. Oder sie rauchen Wasserpfeife, wie sich das für einen Wassermann gehört. Daher …“

„Ed“, sagte Hasard sanft. „Geh bitte in meine Kammer und hole den anderen Schlüssel. Er hängt an dem Brett links neben dem Schott.“

„Aye, aye, Sir.“

Als Carberry weg war, fragte Old O’Flynn: „Und wenn wirklich einer drinliegt – ein Wassermann, meine ich.“

„Dann darfst du ihn behalten“, sagte Hasard trocken. „Du kannst ihn dir auch ausstopfen – ganz wie du willst. Hier nimmt man das mit Wassermännern nicht so genau.“

Carberry kehrte mit dem Schlüssel zurück, und dann wurde das Schott geöffnet.

Die Bordhündin raste in die Kammer, hatte die Vorderläufe gespreizt und stand vor der Koje, die sie verbellte.

Der Schlüssel lag auf dem Boden, und auch hier war wieder die nasse Schleif spur zu sehen.

Als Donegal das sah, flitzte er mit einem heiseren Schrei aus der Kammer und rannte fast Ben Brighton um. Carberry standen ebenfalls die Haare zu Berge, als er unter die Koje blickte. Da lag doch wahrhaftig ein Wassermann drunter, zwar nicht mit einem grünen Fez auf „der Rübe“, und Tang an den Ohren, aber schwarzen Haaren und tropfnaß. Für Old O’Flynn war das natürlich ein Anlaß, wirklich an Wassermänner zu glauben, wenn die auch anders aussahen.

„Mir geht langsam ein Licht auf“, sagte Hasard. „Dieser Mann muß von der Galeere stammen. Er ist herübergeschwommen und hat sich unbemerkt an Bord geschlichen. Niemand hat ihn bemerkt.“

Er griff unter die Koje, hackte den „Wassermann“ an den Beinen und zog ihn hervor. Der Mann war noch jung. Er trug nur eine Hose und ein durchlöchertes verschwitztes Hemd.

Hasard legte ihn vorsichtig auf die Koje und wandte sich an den Kutscher, der der Szene mit hochgezogenen Augenbrauen zusah.

„Jetzt bist du dran, Kutscher.“

Mittlerweile hatte sich Donegals Kammer mit Arwenacks gefüllt, die erstaunt auf den Mann blickten, dem es gelungen war, sich unbemerkt an Bord zu schleichen. So was gab es auch nur selten, aber es war darauf zurückzuführen, daß sie ausnahmslos auf die Vorgänge an Bord der Galeone geachtet hatten.

Der Kutscher untersuchte Ali Mustafa rasch.

„Totale Erschöpfung“, stellte er fest. „Der Mann ist vor Erschöpfung bewußtlos. Außerdem hat er Peitschenwunden.“

„Was können wir tun?“

„Vor allem dafür sorgen, daß wir keinen Ärger kriegen“, meinte der Kutscher. „Wir sollten ihn an Bord behalten und dann versuchen, ihn in Sicherheit zu bringen. Ich bin davon überzeugt, daß die Soldaten den ganzen Hafen durchkämmen werden. Finden sie ihn bei uns, dann dürfte das mit einigem Ärger verbunden sein. Aber im Augenblick sollten wir ihn schlafen lassen. Er ist nicht krank, nur total ausgelaugt und fertig.“

Hasard nickte. Der Kutscher hatte recht. Sie durften den Mann nicht lange an Bord behalten, aber sie konnten ihn auch nicht einfach fortschicken, sonst war er erledigt.

„Immerhin gehört er zu den Meuterern“, sagte Ben Brighton. „Das kann uns wirklich eine Menge Ärger einbringen.“

„Schuldig oder nicht“, meinte Hasard. „Im Augenblick will ich keine Entscheidung treffen, nur die, daß wir ihn erst einmal an Bord behalten, bis er wieder auf den Beinen ist.“

„Und wenn sie die Schiffe durchsuchen und ihn finden?“

„Sie werden ihn nicht finden. Zwei Mann bleiben bei ihm, und wenn heute nacht wirklich Soldaten nach ihm suchen, dann bringt ihr ihn in den kleinen Raum, der sich unterhalb der Pulverkammer befindet. Da gibt es ein schmales Versteck, das selbst wir nur durch einen Zufall gefunden haben. Dort paßt ein Mann genau der Länge nach hinein, und dann stellt ihr ein paar Fässer darüber.“

„Wir sollten ihm die Eisen abnehmen“, sagte Big Old Shane. „Es sind nur die ganz gewöhnlichen Manschetten. Die kann man aufbiegen, wenn man etwas Kraft aufwendet.“

„Das tun wir am besten gleich.“

Für Big Old Shane war das Problem gleich darauf gelöst. Die schmalen Eisenbänder wurden aufgebogen und über Bord geworfen. Damit war er von den Dingern befreit.

Dann kam jedoch wieder einmal alles ganz anders, als die Arwenacks es geplant hatten.

Ali Mustafa schlug plötzlich die Augen auf.

10.

Der Blick war völlig klar, etwas erstaunt vielleicht, doch dann lag ein jähes Erschrecken darin, als er die vielen Männer sah, die ihn im Halbkreis umstanden.

Mit einem Ruck wollte er aufspringen.

Hasard legte ihm die Hand auf die Schultern und drückte ihn auf die Koje zurück.

„Nur keine Aufregung“, sagte er besänftigend. „Sie sind vorerst in Sicherheit. Ihnen wird nichts passieren. Sie sind doch von der Galeere geflüchtet, oder?“

Als Jung Hasard das übersetzte, nickte der Mann kläglich. Noch einmal sah er sich scheu um. Dabei kehrte auch schlagartig seine Erinnerung zurück.

„Ja, ich bin von der Galeere“, sagte er heiser. „Mein Name ist Ali Mustafa.“

„Ali Mustafa“, wiederholte Hasard und nannte seinen Namen. „Den Namen haben wir doch erst kürzlich gehört.“

„Bei Aladin“, sagte Dan O’Flynn. „Der hat von einem Ali Mustafa erzählt, der zu Unrecht verurteilt wurde.“

„Richtig, so war der Name“, sagte Hasard. „Sind Sie dieser Ali, der die Kadis und den Henker verflucht hat?“

„Ja, ich habe das getan.“ Ali Mustafa setzte sich ganz langsam aufrecht hin. „Aber man hat mich betrogen und zu Unrecht verurteilt. Das ist auch wahr. Ich sollte zum Tode verurteilt werden, und man band mich vor ein Kanonenrohr.“

Hasard nickte. „Ich kenne Ihre Geschichte so einigermaßen. Ein Mann namens Aladin aus Sulukule hat sie uns erzählt. Man sprach in ganz Istanbul darüber. Ihr Fall hat viel Aufsehen erregt.“

Der Kutscher hielt Ali eine Muck hin. Der Mann trank dankbar und in langen Schlucken, dann bedankte er sich.

„Sie begeben sich in Gefahr, wenn Sie mich weiterhin an Bord behalten“, sagte er leise. „Ich will Ihnen keine Schwierigkeiten bereiten. Ich bin nur geschwommen, bis ich nicht mehr konnte. Dann habe ich mich an einem Schiff hochgezogen und zu einer Kammer verschleppt. Mir war in dem Moment alles egal.“

„Das kann ich mir vorstellen. Wir haben die Vorfälle auf der Galeere von Anfang an beobachtet. Es war eine Meuterei, nicht wahr?“

„Ja, und ich war der Initiator. Mein Freund Ahmed war auch daran beteiligt, aber er hat es nicht überlebt. Er ist vor meinen Augen untergegangen, und ich konnte ihm nicht mehr helfen.“

Ali Mustafa strich mit der Hand über seinen sichelförmigen schwarzen Schnauzbart.

„Wir konnten nicht anders“, setzte er wie entschuldigend hinzu. „Die meisten hatten nichts verbrochen und waren unschuldig. Da ist es besonders schwer, wenn man für etwas büßen muß, was man nicht getan hat.“

Als auf dem Deck über ihnen Schritte erklangen, glomm Furcht in den Augen des Türken auf.

„Soldaten?“ fragte er heiser.

Hasard schüttelte den Kopf.

„Nein, keine Soldaten, jedenfalls bis jetzt noch nicht. Es sind unsere Leute, die an Deck Wache gehen.“

„Aber sie werden kommen. Sie werden nach den Gefangenen suchen, und wenn sie mich finden, wird man ihnen Ärger bereiten.“

„Davon bin ich überzeugt, aber man wird Sie nicht finden. Wir bringen Sie später in Sicherheit, doch im Moment geht das nicht, der Hafen ist noch in Aufruhr.“

Hasard sah den Türken noch einmal nachdenklich an. Als sein Blick auf den Schnauzbart und die vielen Bartstoppeln fiel, lächelte er.

„Wir haben zwar ein kleines Versteck an Bord, aber ich habe gerade eine andere Möglichkeit in Betracht gezogen. Wir werden Sie für einige Zeit in unsere Mannschaft aufnehmen. Das würde gar nicht einmal auffallen. Sie müßten nur die Rolle eines Taubstummen spielen, falls die Soldaten hier aufkreuzen.“

„Das würde mir nicht schwerfallen“, sagte Ali erleichtert. „Aber die Kerle kennen mein Gesicht.“

„Man müßte ihm den Schnauzbart abrasieren und die Haare kürzer scheren“, meinte Mac Pellew. „Wenn er dann noch ein paar Klamotten von uns trägt, fällt er überhaupt nicht auf. Kein Mensch wird vermuten, daß er die Frechheit hat, öffentlich an Bord zu arbeiten.“

„So ähnlich dachte ich mir das auch“, sagte Hasard. „Aber dann sollten wir nicht lange zögern und gleich damit beginnen.“

Als Ali das übersetzt wurde, glitt seit langer Zeit wieder ein Hoffnungsschimmer über sein Gesicht. Er brachte sogar ein zaghaftes Lächeln zustande.

„Wenn das wirklich geht …“

„Natürlich geht das. Wir haben ja etliche dunkelhaarige Männer an Bord. Es wird nicht auffallen.“

Ali betrachtete seine Hände. Erst jetzt fiel ihm auf, daß er keine Manschetten mehr trug.

„Die haben wir Ihnen abgenommen.“

„Vielen Dank. Ich war schon so daran gewöhnt, daß ich es anfangs gar nicht bemerkt habe.“

„Wollen wir nun, oder was ist los?“ fragte Mac Pellew. „Reden können wir nachher immer noch.“

„Gut, dann fang an“, sagte der Seewolf.

Will Thorne brachte schweigend ein paar Sachen für Ali. Das alte Zeug nahm er mit und warf es über Bord. Dann erhielt Ali Mustafa ein helles grobes Leinenhemd, ebensolche Hosen und ein paar Stiefel. Auch ein Entermesser steckte Will Thorne ihm in den Gürtel, wie die anderen es trugen.

Danach erschien Mac Pellew, der an Bord auch für das Haareschneiden zuständig war.

„Sie werden sich nachher selbst nicht mehr wiedererkennen“, versprach er.

Darauf schnitt er Ali mit einer Schere den Bart ab, sozusagen als Grobschnitt, dann seifte er ihn gründlich ein und begann hingebungsvoll zu schaben.

Unter Macs kundigen Händen verwandelte sich Ali erstaunlich rasch, was den Profos zu der Bemerkung veranlaßte, dieser Ali sei jetzt so glatt wie ein Affenbabyarsch.

Zum Schluß waren die Haare dran, die immer kürzer wurden.

Während der ganzen Prozedur erfuhren die Seewölfe Alis Geschichte. Sie erfuhren auch von der Korruption, die in Istanbul herrschte, von den Intrigen, die hier gesponnen wurden und von den Kadis, die allesamt Dreck am Stecken hatten und sich auf Kosten anderer bereicherten. Fast das gleiche hatte Aladin ihnen auch schon berichtet.

Ali sah jetzt aus wie einer von ihnen. Hasard schärfte ihm nur noch ein, daß er die Rolle des Taubstummen perfekt beherrschen müsse, falls die Soldaten erschienen.

Das versprach Ali. Danach brachte ihm der Kutscher zu essen und zu trinken, und er wurde im Mannschaftslogis einquartiert.

Als Ali schlief, durchsuchten die Soldaten immer noch den Hafen und knöpften sich ein Schiff nach dem anderen vor.

Am anderen Morgen war auch die Dubas der Seewölfe an der Reihe. Das Hafengelände war abgesperrt worden, überall wurden die Leute kontrolliert.

Hasard sah aber auch noch etwas anderes. Die große Galeere hatte an einer Pier vertäut. Offenbar hatte man sie in der Nacht noch notdürftig repariert. Jetzt wurden neue Riemen an Bord genommen und ins Unterdeck gebracht.

Etwas später erschienen fast vierzig Gefangene, die ebenfalls im Unterdeck des Schiffes verschwanden.

Hasard warf einen Blick zu Ali, der zusammen mit Bill, Bob Grey, Blacky und Gary Andrews das Deck schrubbte. Die anderen Arwenacks taten auch so, als seien sie beschäftigt.

„Er fällt wirklich nicht auf“, sagte Don Juan. „Niemand würde glauben, daß er nicht zur Mannschaft gehört.“

„Ich habe auch keine Befürchtungen, daß man ihn entdecken wird. Sobald hier Ruhe eingekehrt ist, bringen wir ihn unauffällig weg. Aber jetzt sind wir erst einmal dran.“ Hasard deutete dabei auf einen Trupp bewaffneter Türken, die im Gleichschritt über die Pier marschierten und genau auf sie zuhielten.

Ihr Anführer war offenbar ein Hauptmann, der einen noch größeren sichelförmigen Schnauzbart trug als Ali. Sein Gesicht war böse verkniffen, er hatte noch keine Erfolgsmeldungen bringen können, denn etliche der Gefangenen waren entwischt und spurlos verschwunden. Das hob nicht gerade seine Laune. Zudem war er übernächtigt und seine Soldaten auch.

Vor der Dubas blieb er stehen.

„Kapitän?“ fragte er, auf Hasard deutend.

„Ja, ich bin der Kapitän“, sagte Hasard. „Was kann ich für Sie tun?“

„Ich muß das Schiff durchsuchen“, erklärte der Hauptmann übellaunig. „Es besteht der Verdacht, daß sich entlaufene Sträflinge bei Ihnen an Bord versteckt haben.“

„Bei mir?“ Hasard lachte leise. „Das würde ich aber mit Sicherheit wissen.“

„Ich muß trotzdem das Schiff durchsuchen“, beharrte der Hauptmann. „Wenn Sie ablehnen, muß ich Gewalt anwenden.“

„Aber bitte, durchsuchen Sie das Schiff. Wir haben nichts zu verbergen. Mein Offizier wird Sie begleiten.“

Ali schrubbte weiter, kniend auf den Planken, als sei nichts geschehen. Die innere Aufregung und Anspannung sah ihm keiner an, obwohl ihm das Herz bis zum Hals schlug. Aber keiner der Soldaten warf ihm auch nur einen Blick zu.

Ben Brighton begleitete den Trupp und zeigte ihnen alles, was sie sehen wollten. Er verzog nicht einmal das Gesicht, als der Hauptmann in der Pulverkammer darauf bestand, ein paar Fässer zur Seite zu rücken. Zu Bens Erstaunen entdeckte er das winzige Versteck auf Anhieb und begann zu grinsen. Anscheinend glaubte er, fündig zu werden.

Doch das Grinsen verging ihm, als er in der länglichen Vertiefung lediglich ein paar Luntenstöcke entdeckte.

Sie nahmen sich jede Kammer sehr gründlich vor und sahen auch in den Schapps und unter den Kojen nach.

Das alles dauerte fast eine halbe Stunde. Dann erschien der Hauptmann mit seinen Leuten wieder an Deck. Sein Gesicht war noch mürrischer geworden, denn er konnte wieder keinen Erfolg vorweisen.

„Die Mannschaft soll antreten“, befahl er. „Aber alle, ich will sie mir ansehen.“

Hasard ließ auch das geduldig über sich ergehen. Er gab sich den Anschein größter Gelassenheit, und doch war ihm reichlich mulmig zumute, als der Hauptmann die Reihen abschritt und jeden einzelnen sehr genau musterte.

Als er dem Profos ins Gesicht blickte, schluckte er. Ferris war an der Reihe, Matt Davies, bei dem er fast ehrfürchtig auf die Hakenprothese starrte.

Als er Old O’Flynn mit seinem Holzbein sah, zuckte er erneut zusammen. Dann fiel ihm ein weiterer Mann mit einer Hakenprothese auf, was ihn ziemlich verwirrte.

Bei Ali Mustafa zogen sich seine Augen zusammen. Dann sprach er ihn unvermittelt auf Türkisch an.

Ali Mustafa gab sich die größte Mühe, etwas dümmlich zu grinsen, was ihm auch prächtig gelang.

„Er kann Sie nicht verstehen“, sagte Hasard, „er ist seit seiner Geburt taubstumm und kann sich nur durch Zeichen verständigen.“

„Türkenblut“, sagte der Hauptmann sehr bestimmt.

Hasard lächelte milde und nachsichtig.

„Er ist Engländer und schon acht Jahre bei mir. Er hat als Schiffsjunge angefangen. Ich habe noch mehr Leute, die so ähnlich aussehen. Überzeugen Sie sich selbst.“

Der Hauptmann starrte wieder auf die Männer mit dem Haken, den alten Mann mit dem Holzbein und den Taubstummen. Einen riesigen Schwarzen hatten sie auch noch. Warum sollten sie da nicht auch einen Taubstummen haben?

„Eine Frage noch“, sagte Hasard. „Dürfen meine Männer wieder an Land gehen, oder gibt es eine Ausgangssperre?“

„Sie können an Land gehen, wann Sie wollen“, sagte der Hauptmann verdrossen. „Istanbul ist eine freie Stadt, wo jeder tun kann, was ihm beliebt.“

Damit drehte er sich um, gab seinen stumm dastehenden Soldaten einen Wink und verschwand übelgelaunt.

„Das wäre überstanden“, sagte Hasard. Er wirkte erleichtert. „Aber der Kerl hat doch gezweifelt. Irgendwie haben sie für ihre Landsleute einen ganz besonderen Blick.“

„Die Bewährungsprobe war kurz, aber gründlich“, meinte Dan. „Ich habe fast ein bißchen geschwitzt.“

„Und den Hohlraum, wo wir Ali verstecken wollten, hat dieser Bursche auf Anhieb gefunden“, sagte Ben. „Wenn wir ihn da wirklich verborgen hätten, wären wir jetzt in einer schwierigen Lage.“

„Na ja, es hat alles bestens geklappt. Gegen Mittag werden wir Ali wegbringen. Er kennt sich hier aus und hat ja auch gesagt, daß er Freunde hat, die ihn aufnehmen werden. Damit ist er dann vorerst in Sicherheit und kann später immer noch untertauchen.“

Auch Ali wirkte sehr erleichtert, als die Soldaten endlich abgezogen waren und das nächste Schiff durchsuchten. Ein ganzer Felsen war ihm von der Seele gerutscht.

„Ich habe Blut und Wasser geschwitzt“, gab er zu. „Als der Kerl mich ansprach, hätte ich im ersten Schreck fast geantwortet. Aber dann habe ich mir auf die Zunge gebissen.“

„Er hat nichts gemerkt“, sagte Hasard.

Gegen Mittag zog ein kleiner Trupp los zum Landgang. Ali befand sich unter ihnen, und so schlenderten sie durch die Stadtviertel, wo Ali dann unauffällig nach vielen Dankesworten verschwand. Sie waren am Hafen nur noch einmal flüchtig kontrolliert worden.

Am Nachmittag erschien der Hauptmann zu ihrer großen Überraschung erneut. Er sah noch übernächtigter und vergrämter aus. In seinem Gesicht sprossen Bartstoppeln.

„Fünf Ihrer Männer sind heute mittag an Land gewesen“, sagte er. „Aber nur vier sind zurückgekehrt. Wo ist der fünfte Mann?“

Hasard zuckte mit den Schultern und blieb wieder die Gelassenheit in Person.

„Wo habt ihr Jack gelassen?“ fragte er den Profos.

„Jack ist auf dem großen Basar geblieben“, sagte der Profos trocken. „Er sieht sich die Märkte und die Spiele an.“

„Da hören Sie es“, sagte Hasard. „Er wird später zurückkehren.“

Aber der Hauptmann blieb mißtrauisch und musterte einen nach dem anderen.

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