Kitabı oku: «Seewölfe Paket 29», sayfa 20

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2.

Das Tageslicht fiel durch kleine Fensterscheiben, und es legte eckige Bahnen, in denen grauer Staub spielte. Der ganze Raum war schwarzgrau, vom Fußboden bis zur Decke. Ein trockener, schwefliger Geruch lastete auf der gesamten Einrichtung. Düsternis herrschte vor. Auf Werkbänken und in Wandfächern hatte sich ein schwarz-grauer Belag gebildet, der bis in den unergründlichsten Winkel reichte.

Stille hüllte das verwinkelte Gemäuer am Stadtrand ein. Olivenhaine schirmten es von der hügeligen Umgebung ab, lediglich ein schmaler Weg führte von der breiteren Straße herüber. Nachbarn gab es nur in einiger Entfernung, und sie sahen den Bewohner des Gemäuers so gut wie nie.

Er galt als Sonderling, als Kinderschreck. Wenn er überhaupt einmal aus seiner Behausung auftauchte, dann stets bei Dämmerung oder Dunkelheit. Wie ein Geist schlurfte er dann durch die Olivenhaine, deren Früchte nie geerntet wurden.

Niemand aus der Umgebung wagte sich nach Sonnenuntergang in die Nähe jener Bäume mit dem dunklen, mattgrünen Laub, und Eltern schärften ihren Kindern ohnehin ein, dem Haus in den Olivenhainen niemals zu nahe zu geraten.

Es war ein nahezu überflüssiges Verbot. So viel Unheimliches ging von diesem wirr zusammengefügten Gebäude aus, daß sich die Mädchen und Jungen vom Stadtrand ohnehin fernhielten.

Und hätten sie einen Blick durch die grauverschleierten kleinen Fensterscheiben riskiert, dann wäre ihnen der Anblick des Entdeckten sicher nicht als lohnend erschienen.

Im Grau und Schwarz des großen Werkraumes, der den Hauptgebäudeteil einnahm, ließen sich Konturen nicht einmal unterscheiden – besonders für einen Beobachter, dessen Augen an das helle Tageslicht und nicht an das Halbdunkel unter den brüchig wirkenden Dachschindeln gewöhnt waren.

So wäre er ihnen, hätte es die heimlichen kleinen Fensterspäher tatsächlich gegeben, nicht einmal auf den ersten Blick aufgefallen.

Denn der Mann, der da nahezu bewegungslos vor einem Werktisch ausharrte, war so schwarzgrau wie seine Umgebung. Die einfache Leinenkleidung, die er trug, hatte diese Farbe angenommen. Eine topfförmige Mütze ebensolcher Farbe bedeckte den Kopf des Mannes.

Sein Gesicht hatte einen unnatürlichen Grauton, scharf gezeichnete Furchen gaben ihm einen Ausdruck von Grausamkeit. Das Weiße der Augen stach als deutlichster Kontrast hervor. In den Pupillen loderte Feuer, das nie zu erlöschen schien.

Seinen Namen kannten nur die alten Leute in unmittelbarer Nachbarschaft. Selten aber sprachen sie diesen Namen aus. Die jüngeren Leute wollten nichts über ihn wissen. Mit Zurückhaltung, so glaubten sie, konnten sie sich vor dem Unheilvollen schützen, das von dem einsamen Sonderling ausging.

Süleyman Ayasli.

Er selbst sorgte dafür, daß sein Name so unbekannt wie möglich blieb. Seine Verbindungen zur Außenwelt bewegten sich in festgefügten Kanälen – Kanälen jedoch, deren einzelne Abschnitte sich nicht bis zu ihm zurückverfolgen ließen.

Funken sprühten in der düsteren Werkstatt Ayaslis. An einem Holzrahmen über einer Werkbank hatte er sechs Luntenstränge aufgehängt. Alle Lunten hatten die gleiche Länge von etwa eineinhalb Fuß. Nur das Wesentliche unterschied sich: die Stärke der einzelnen Lunten, die Beschaffenheit und die Art der Fasern, aus denen sie zusammengefügt waren.

Ayasli hatte ein kurzes Luntenstück, das er in der Hand hielt, mit Feuersteinen und Zunder entfacht. Unter dem Holzrahmen hielt er nun die Enden aller sechs Lunten zusammen und entzündete sie gleichzeitig.

Sofort ließ er los und blickte auf die Sanduhr mit den Markierungen, die er bereitgestellt hatte. Auf einen Bogen Papier hatte er für die verschiedenen Luntensorten Buchstabensymbole geschrieben. Er zog ein Tintenfaß mit Feder zu sich heran, um die Abbrennzeiten einzutragen.

Nach zweieinhalb Minuten erreichte die Glut der ersten Lunte den oberen Teil des Holzrahmens und erlosch. Ayasli notierte die Zeit. Nachdem er wenig später die Zeiten der übrigen fünf Lunten festgehalten hatte, begann er, eine Tabelle mit Brennzeiten für verschiedene Luntenlängen anzufertigen. Bisher hatte er für jeden Einzelauftrag besondere Berechnungen mit der Luntensorte angestellt, die er jeweils für geeignet gehalten hatte.

In Zukunft wollte er planvoller vorgehen, auch was die Einsatzart der Lunten betraf.

Ein Klopfen hallte durch die verwinkelten Räume des Hauses. Dreimal lang, zweimal kurz.

Ayasli blickte von seiner Tabelle auf. Anders als sonst war er erfreut über die Unterbrechung. Bei seltenen Gelegenheiten hatte er das Bedürfnis, sich mitzuteilen. Dies war einer der Augenblicke, in denen er über das Erscheinen seines Gehilfen froh war.

Er ließ die Werkstatt hinter sich und durchquerte den vorderen Wohnraum. Das helle Licht der. Morgensonne flutete herein. Der dünne kleine Mann war wie üblich zu Fuß erschienen. Und natürlich hatte er darauf geachtet, daß ihn niemand verfolgte.

Diese Gewohnheit war ihm längst in Fleisch und Blut übergegangen, und Ayasli brauchte nicht jedesmal extra zu fragen, ob alles in Ordnung sei. Wenn es Verdruß gab, dann berichtete Öbül schon von selbst darüber.

Es gab genügend Platz im Haus Ayaslis, so daß er seinen Gehilfen ohne weiteres bei sich hätte wohnen lassen können. Dadurch jedoch wäre die Gefahr des Entdecktwerdens um ein Vielfaches gestiegen. Süleyman Ayasli beließ es deshalb beim Bestehenden.

Er zahlte Öbül zusätzlich zu seinem Lohn die Miete für das Häuschen in der Stadt, eine Sicherheitsmaßnahme, die sich als richtig erwiesen hatte. Ayasli ging es darum, seine Arbeit in Ruhe tun zu können, ungestört von lästigen Nachforschungen, wie sie immer wieder auf Geheiß des Sultans angestellt wurden.

Aber der Sultan konnte sich schon lange nicht mehr durchsetzen. Es zeichnete sich immer deutlicher ab, daß neue Kräfte die Verantwortung in der Stadt und im Land übernehmen würden. Süleyman Ayasli hatte daran wesentlichen Anteil, und er freute sich auf den Tag, an dem er in aller Öffentlichkeit stolz, darauf sein konnte.

Öbül drückte die Tür zu und legte den Riegel vor.

„Gut, daß du da bist“, sagte Ayasli. „Ich muß dir etwas zeigen.“

Öbül holte den Brief unter seinem Umhang hervor. „Eine Nachricht“, sagte er und legte das Gesicht in listige Falten. „Der Höllenfürst wird wieder einmal gewünscht, Effendi. Ich habe den Brief in der Nacht erhalten. Bitte überzeugen Sie sich, daß das Siegel unversehrt ist.“

Ayasli winkte ab. Er nahm den Umschlag entgegen, ohne ihn zu öffnen. „Ich vertraue dir, das weißt du. Sieh dir erst einmal an, was ich entwickelt habe.“

Öbül widersprach nicht. Es war sein regulärer morgendlicher Arbeitsbeginn, und er hatte das zu tun, was sein Herr anordnete. Was dieser mit dem Brief anstellte, war letztlich einzig und allein dessen Sache.

Süleyman Ayasli führte seinen Gehilfen zu einem Arbeitstisch an der Stirnseite der Werkstatt. In den Lichtbahnen, die durch das Fenster hereinfielen, stand eine kleine Truhe aus poliertem, edlem Eichenholz. Die Beschläge bestanden aus starkem Messing, ebenfalls poliert.

„Sieh her“, sagte Ayasli und klappte den Deckel auf.

Öbül beugte sich weisungsgemäß vor, konnte aber nichts als den leeren Innenraum der Truhe erkennen.

„Mir fällt nichts auf“, gestand er.

„Sieh dir das Schloß ein bißchen näher an“, gebot Ayasli mit dem Stolz des Mannes, der sich des baldigen Begeisterungsausbruchs seines Gesprächspartners sicher war.

Der Gehilfe des Höllenfürsten betastete den Schloßmechanismus im Inneren der Truhe. Im nächsten Moment stieß er einen überraschten Pfiff aus und sah seinen Herrn mit großen Augen an.

„Das ist ja …“ Vor Staunen konnte er nicht weitersprechen.

„… ein Steinschloß“, vervollständigte Ayasli den Satz des kleinen Mannes. „Du erinnerst dich an den Auftrag, den ich vor zwei Wochen angenommen habe? Der, bei dem ein Zeitraum von Wochen oder Monaten überbrückt werden muß.“

„Ich fange an, zu begreifen“, sagte Öbül gedehnt und mit eben jener Begeisterung, auf die sein Herr gewartet hatte. „Wenn man den Schlüssel dreht, wird der Hahn gespannt?“

„Richtig, und zwar beim Schließen der Truhe.“

Öbül zog die Brauen hoch und rieb sich mit seinen pulvergeschwärzten Fingern das Kinn. „Das heißt, derjenige, der die Truhe wieder öffnet, löst die Zündung aus. Durch einen kurzen Zündkanal wird das Feuer des Zündkrauts ins Pulver geleitet. Die Truhe explodiert und tötet jeden in unmittelbarer Umgebung. Aber …“ Er hielt inne und begann offensichtlich, angestrengt nachzudenken.

Ayasli lächelte mit wissender Miene. „Du meinst das Zeitproblem, nicht wahr? Die Frage, wie sorge ich dafür, daß der Empfänger die Truhe nicht zu einem Zeitpunkt öffnet, den er selbst bestimmt?“

„Genau das“, sagte Öbül, erleichtert darüber, daß sein Herr ihn nicht zwang, über die Lösung nachzugrübeln.

„Für den richtigen Zeitpunkt sorgt der Auftraggeber“, erklärte Ayasli. „Damit brauche ich mich überhaupt nicht abzugeben. Folgendermaßen: Der Auftraggeber schickt die Truhe mit einem Brief an denjenigen, den er aus der Welt haben will. In dem Brief wird der Empfänger gebeten, die Truhe in Verwahrung zu nehmen, da man selbst in Gefahr geraten sei. Nach Wochen oder Monaten, wenn der Auftraggeber den Zeitpunkt für den Tod des anderen für richtig hält, wird er ihm mit einem zweiten Brief den Schlüssel der Truhe schicken und ihn bitten, aus persönlichen Gründen gewisse Wertgegenstände zu entnehmen. Die Neugier des Empfängers spielt natürlich auch eine Rolle. Er wird nichts Eiligeres zu tun haben, als die Truhe – nun ja mit Erlaubnis des Absenders – zu öffnen. Und dann …“ Ayasli ließ seine Hände wie von einer Explosion auseinanderfliegen.

„Eine phantastische Idee!“ rief Öbül bewundernd. „Ihr Auftraggeber wird voll und ganz zufrieden sein.“

„Das will ich hoffen“, entgegnete Ayasli.

Nun endlich nahm er sich die Zeit, den Brief zu öffnen. Mit hastigen Bewegungen riß er den Umschlag auf und zog das Blatt Papier heraus. Er überflog die Zeilen, knüllte das Papier zusammen und ging nach nebenan, wo er es in der Feuerstelle verbrannte.

„Ein leichter Auftrag“, sagte er, als er zurückkehrte. „Das wird im Handumdrehen erledigt sein. Kümmern wir uns jetzt wieder um unsere Arbeit.“

Öbül nickte wortlos und begab sich an seinen Platz, wo er eine Versuchsreihe vorbereitet hatte. Es ging darum, die Brenneigenschaften von Lunten in verschiedenen Gehäusen zu testen – unter Glas, in Holz- und Eisenbehältern.

Die erforderliche Luftzufuhr, darauf hatte Ayasli ausdrücklich hingewiesen, mußte ausreichend bemessen werden. Andererseits mußte gewährleistet sein, daß die Ladung nicht vorzeitig explodierte.

Öbül wußte, daß sein Herr ein Meister seines Faches war – eines Faches, das selbst in einer Riesenstadt wie Istanbul außer ihm niemand beherrschte. Und Süleyman Ayasli arbeitete nach dem Grundsatz, bei einem Tötungsauftrag niemals zu versagen.

Bislang hatten seine Bomben mit vorausberechnetem Zündzeitpunkt immer präzise funktioniert.

Die Sonne brannte auf den Platz, auf den die Gassen sternförmig mündeten. Eine dichte Menschentraube hatte sich gebildet. Sie nahm nahezu die gesamte Fläche ein, und jene, die sich am Rande drängten, hatten vorerst noch keine Chance, vom Zentrum des Geschehens auch nur das geringste zu sehen. Aber alle wußten dennoch, daß sie nicht benachteiligt werden würden.

Münnever Yildiz hatte ein Herz für jeden einzelnen von ihnen.

Deshalb wachte sie persönlich darüber, daß niemand bevorteilt, aber auch niemand benachteiligt wurde. Ihre einspännige Kutsche stand zwischen den beiden großen Frachtwagen, die in der Mitte des Platzes aufgefahren waren.

Münnever, eine schlanke, dunkelhaarige Frau mit sanft blickenden braunen Augen, hatte das Verdeck ihrer Kutsche herunterklappen lassen, so daß sie das Geschehen leicht beobachten konnte.

Ihre Helfer arbeiteten unermüdlich vor den offenen Ladeflächen der Frachtwagen. Frisch gebackene Brote verteilten die einen, eine nahrhafte Gemüsesuppe mit viel Fleischeinlage die anderen. Die Suppe war in großen Kübeln herbeigeschafft worden. Die Menschen, die in Reihe anstanden, hatten jeweils kleine Kannen oder Schüsseln mitgebracht, in die sie ihre Ration füllen ließen.

Münnever Yildiz, der Frau des Großkaufmanns Kemal Yildiz, wurde es jedesmal von neuem warm ums Herz, wenn sie die dankbaren Blicke der armen Menschen sah. Sobald sie mit gefülltem Suppenbehälter den Wagen zur Linken verließen und die Kutsche passierten, verneigten sie sich tief, ehe sie zum Wagen mit den Brotlaiben weitergingen.

Münnever hätte ihnen am liebsten zugerufen, sich nicht so unterwürfig zu zeigen, denn sie mochte das Gefühl nicht, daß sie den Armen ihren letzten Rest von Stolz nahm, indem sie sie beschenkte.

Am liebsten hätte sie ihnen erklärt, daß sie ihrer Meinung nach ein Anrecht darauf hätten, nicht in Elend und Hunger zu vegetieren, daß es die Pflicht der Reichen sei, etwas vom eigenen Wohlstand abzugeben und den Menschen damit zu helfen, die vom Schicksal benachteiligt worden waren.

Aber sie konnte es nicht jedem einzelnen erklären. Und vielleicht würde sie auch falsch verstanden werden. Ihr Mann unterstützte sie bei ihren Bemühungen um die Benachteiligten dieser Stadt mit vollem Herzen. Doch dabei konnte er keineswegs mit der Unterstützung von Männern gleichen Standes rechnen.

Eher wurde er dafür kritisiert, daß sich sein Eheweib die Freiheit herausnahm, etwas zu tun, was ihr in keiner Weise zustand. Gehorsame Ehefrauen hatten sich in den Harem einzuordnen und die ihnen zugewiesenen häuslichen Aufgaben zu erfüllen. Nichts anderes.

Eine Frau wie Münnever Yildiz war den nach althergebrachten Maßstäben denkenden Männern ein Dorn im Auge. Und sie konnten nicht begreifen, daß Kemal Yildiz ein Mann war, der so etwas zuließ.

Aus der Reihe der Bedürftigen trat einer vor und auf die Kutsche der Frau zu. Der Kutscher wollte sich ihm in den Weg stellen, aber Münnever rief ihn zurück.

Der Mann, der eine gefüllte Kanne in der Rechten hielt und in graubraune Lumpen gekleidet war, blieb in respektvollem Abstand vor der Kutsche stehen und verbeugte sich tief.

Münnever tat es in der Seele weh, sein eingefallenes Gesicht und die glanzlosen Augen zu sehen. Dabei war er ein hochgewachsener Mann, der sicher stark und gesund wäre, wenn er nur Arbeit und Brot gehabt hätte.

„Richte dich auf“, bat sie mit fester Stimme. „Ich bin keine Herrscherin. Ich bin nur eine einfache Frau, die es zufällig etwas besser getroffen hat. Also sprich, wenn du etwas zu sagen hast. Sprich, wie du mit einem normalen Menschen sprechen würdest.“

Der Mann richtete sich auf. In seinen Augen leuchtete unendliche Dankbarkeit.

„Mit Verlaub“, sagte er leise, „Ihr irrt euch. Von den gewöhnlichen Menschen unterscheidet Euch die Güte. Selbst unter meinesgleichen“, er deutete mit einer ausholenden Handbewegung auf die Menschenmenge, „wird es nicht einmal einen geben, der die gleiche Mildtätigkeit zeigen würde. Eigennutz ist das Grunddenken, das die menschliche Natur bestimmt. Davon bin ich überzeugt.“

„Du schmeichelst mir“, sagte die Kaufmannsfrau mit gerührtem Lächeln. „Das ist doch bestimmt nicht der Grund, warum du an mich herangetreten bist.“

Der zerlumpt Gekleidete mit dem hohlwangigen Gesicht lächelte. „Ihr habt recht. Es war nicht der Grund, aber die Gelegenheit, Euch einmal Dank zu sagen.“

„Nun gut. Ich freue mich darüber. Es ist so, wie ich es sage.“

„Ihr braucht das nicht extra zu betonen. Ihr könntet gar kein falsches Wort sagen, selbst wenn Ihr es wolltet.“

„Nun bring mich nicht in Verlegenheit!“ rief Münnever und lächelte. „Rede über das Thema, das du eigentlich im Sinn hattest.“

Das Lächeln des Zerlumpten schwand.

„Ich möchte Euch darauf hinweisen, daß Ihr seit einiger Zeit beobachtet werdet“, sagte er halblaut. „Bitte dreht Euch jetzt nicht um, denn dann würde es auffallen. Es sind zwei Männer an einem offenen Fenster im zweiten Stockwerk eines Hauses. Schräg hinter Euch. Sie stehen da und schauen die ganze Zeit zu.“

„Wie sehen sie aus?“ fragte Münnever, und auch sie hatte aufgehört zu lächeln.

„Der Kleidung nach gehören sie zu Eurem Stand.“

„Dann kann ich es mir denken.“

Der Zerlumpte zog die Brauen hoch. „Es berührt Euch nicht weiter?“

„Doch. Nur – ich muß damit leben.“

„Ich möchte Euch nur eins sagen: Wenn Ihr Hilfe braucht, werden Euch alle Menschen auf diesem Platz zur Seite stehen. Jeder von uns würde eher sterben, als zulassen, daß Euch etwas geschieht.“

Münnever lächelte wieder. „So ernst ist es nicht, keine Sorge. Vorerst beschränken sie sich darauf, mich zu beobachten. Ich bin ihnen ein Dorn im Auge. Aber sie wissen noch nicht, was sie gegen mich unternehmen sollen.“

Sie ahnte nicht, wie sehr sie sich in diesem Punkt irrte.

3.

„Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet, Ravet“, sagte Mehmet Küzürtüsi, einer der beiden Männer, die am offenen Fenster standen. „Daß Sie Ihr Haus für Beobachtungszwecke zur Verfügung stellen, ist nicht selbstverständlich.“

Küzürtüsi faltete die Hände über dem stattlichen Bauch. Sein Seidengewand vertuschte durch den raffinierten Schnitt ein wenig von seiner Leibesfülle. Das Doppelkinn vermochte es jedoch nicht zu verbergen.

„Eine Selbstverständlichkeit“, entgegnete Ravet Antasi, der – wie sein Gesprächspartner – zur Kaufmannschaft von Istanbul gehörte. „In unserem gemeinsamen Bestreben müssen wir alle einen Beitrag leisten, wenn es an der Zeit ist. Mir geht es darum, das Tun dieser Frau einmal deutlich werden zu lassen. Jeden Tag spielt sich hier das gleiche ab. Es ist ein Skandal, wie unser ehrenwerter Freund Yildiz es zuläßt, daß sein Weib die Profite seines Unternehmens mit offenen Händen zum Fenster hinauswirft.“

Küzürtüsi nickte bedächtig und sah sein Gegenüber mit ernster Miene an. Antasi war ein schlanker, schwarzhaariger Mann mit dünnem Oberlippenbart.

„Nun, wir wissen es ja längst“, entgegnete der Füllige. „Aber es ist doch einmal recht anschaulich, es mit eigenen Augen zu beobachten.“

„Wir müssen schleunigst etwas dagegen tun.“

„So ist es, so ist es.“

„Aber was kann man tun?“

Küzürtüsi lächelte hintergründig. „Seien Sie beruhigt, mein Freund, es sind bereits wirkungsvolle Schritte in die Wege geleitet worden.“

„Darf man erfahren, um was es sich handelt?“

Küzürtüsi schüttelte den Kopf. „Ich bin leider zur Geheimhaltung verpflichtet. Das bedeutet nicht, daß ich kein Vertrauen zu Ihnen hätte. Aber Sie werden verstehen, daß ich mich an Zusagen halten muß.“

„Natürlich, selbstverständlich. Hauptsache ist, es wird etwas gegen dieses Weib unternommen. Mit dieser verfluchten Großherzigkeit fällt sie unsereinem in den Rücken. Wie stehen wir denn da, wenn wir es ihr nicht gleichtun!“

„Keine Sorge“, entgegnete Küzürtüsi. „Sie wird bald ganz andere Gedanken haben.“

Der neue Tag hatte für die Arwenacks mit der Bordroutine begonnen. Abermals zeigte sich der Himmel von seiner strahlendsten Seite, und das geschäftige Treiben im Hafen unterschied sich wenig von dem Geschehen an den Tagen zuvor.

Es war am späten Vormittag, als die Söhne des Seewolfs mit Plymmie, der finnischen Wolfshündin, von einem Landgang zurückkehrten. Plymmie flitzte als erste an Bord, als wollte sie es sein, die hechelnd die Neuigkeit kundtat.

Der Seewolf, der sich mit Ben Brighton auf dem Achterdeck aufhielt, strich der Hündin über den Kopf, und sie schmiegte sich an seine Stulpenstiefel.

Sekunden später waren auch Philip und Hasard junior zur Stelle. Keuchend verharrten sie vor ihrem Vater. Der Seewolf wechselte einen Blick mit dem Ersten Offizier.

„Da scheint sich ja eine Sensation anzubahnen“, sagte Hasard lächelnd. „Oder weshalb seid ihr so aus dem Häuschen?“

„Da wird eine Sänfte getragen!“ rief Philip, der als erster wieder zu Atem gelangt war. „Sie nähert sich unserer Pier.“

„Wir glauben, daß es der Besucher ist, der sich für heute vormittag angesagt hat“, fügte Hasard junior keuchend hinzu.

„Durchaus möglich“, erwiderte der Seewolf. „Aber ihr solltet euch doch langsam daran gewöhnt haben, wie sich reiche Leute hierzulande fortbewegen.“

„Das schon“, sagte Philip. „Aber in diesem Fall ist es etwas ganz Besonderes. So eine kostbare Sänfte hat nämlich noch keiner von uns gesehen. Da sind Hasard und ich völlig sicher.“

Der Seewolf zog in gespielter Ehrfurcht die Augenbrauen hoch. „Nun, dann werden wir uns mal gehörig überraschen lassen, denke ich.“ Er klopfte seinen Söhnen auf die Schultern. „Gut, daß ihr uns vorgewarnt habt. Dann fallen wir wenigstens nicht vor Respekt auf die Knie.“

„Dad, du nimmst uns nicht ernst!“ rief Hasard junior empört.

„So viel Reichtum auf einmal ist wirklich ungewöhnlich“, fügte sein Bruder im gleichen Tonfall hinzu.

„Ich glaube, eure Ehrenrettung vollzieht sich ganz von selbst“, ließ sich Ben Brighton vernehmen. Er wies mit ausgestrecktem Arm zum Kai, wo der Hafenbetrieb plötzlich ins Stocken geriet.

Lastenträger blieben stehen, wichen zur Seite und ließen Kisten und Ballen zu Boden sinken. Handwerker hielten mit ihrer Arbeit inne und hoben die Köpfe. Ein Frachtfuhrmann beeilte sich, sein Pferdegespann aus dem Weg zu treiben, und Kinder erschienen lärmend in der Einmündung einer Gasse, die auf den Kai hinausführte.

Auch die Arwenacks, auf der Kuhl der Dubas, waren jetzt aufmerksam geworden. Da ihr Zweimaster die kleineren Schiffe in der Umgebung überragte, hatten sie keine Mühe, das Geschehen auf dem Platz am Kai zu beobachten.

Hinter dem Pulk von Kindern tauchten gemessenen Schrittes die beiden vorderen Sänftenträger auf. Ihre Kleidung war uniformartig und hatte doch zugleich den Schnitt eines außergewöhnlichen Kostüms – mit silbern durchwirktem Stoff, silberfarbenen Schnabelschuhen und einem edelsteinbesetzten Turban.

Gleich darauf schob sich die Sänfte ins Blickfeld, und sie bildete einen wirkungsvollen Kontrast zur silbern schimmernden Kleidung ihrer Träger.

Die Sänfte, das konnte man selbst von der Dubas aus einwandfrei erkennen, war rundum mit Blattgold belegt. Die Sonne verursachte einen rötlich-goldenen Glanz auf den gerundeten Dachkanten und den kunstvoll gedrechselten Säulen. Die Seidenvorhänge waren zurückgezogen.

Der Mann in der Sänfte trug ein Gewand, das mindestens so kostbar war wie das Blattgold, mit dem er sich umgab. Seine Statur war imposant, doch konnte man ihn nicht als massig bezeichnen.

Was den Seewolf und seine Gefährten am meisten erstaunte, war die Tatsache, daß der Mann in der Sänfte mit keinem einzigen feindseligen Blick betrachtet wurde. Im Gegenteil, jene, die ihm auf seinem Weg zuschauten, bedachten ihn mit begeisterten Rufen. Und die Art, wie er ihnen zuwinkte, hatte nichts Herablassendes oder gar Blasiertes.

Dieser Kemal Yildiz mußte ein überaus beliebter Mann sein.

Nur um ihn konnte es sich handeln, denn seine Träger hielten auf die Pier zu, an der die Dubas vertäut lag.

„Auf den Mann bin ich ehrlich gespannt“, sagte Ben Brighton leise.

„Dann geht es dir nicht anders als mir“, entgegnete der Seewolf. Er wollte weitersprechen.

Ein greller Blitz verhinderte es.

Der Blitz zuckte aus der Sänfte, gut zweihundert Yards entfernt, und er wurde im winzigsten Bruchteil einer Sekunde vom Donner der Explosion gefolgt.

Das schimmernde Gold der Sänfte wurde vom Gleißen des Detonationsfeuers verschlungen. Die Körper der Träger wirbelten durch die Luft. Von Kemal Yildiz war nichts mehr zu sehen. Es war, als hätte ihn das Zentrum der Detonation ebenso verschlungen wie seine kostbare Sänfte.

Arbeiter und Handwerker, die in der Nähe gestanden hatten, wurden von der Druckwelle zu Boden geschleudert. Kisten und Ballen fielen durcheinander. Erst im Nachhall der Explosion waren die gellenden Schmerzensschreie von Verwundeten zu hören. Durcheinander entstand. Jene, die unverletzt geblieben waren, schrien ebenfalls und rannten nach allen Seiten auseinander. Einige sprangen ins Wasser, wo sie sich vor möglichen weiteren Explosionen sicher glaubten.

In Sekundenschnelle war der Platz am Kai wie leergefegt.

Nur die zerfetzten Leiber der Sänftenträger lagen noch dort. Die Verwundeten, die in unmittelbarer Nähe der Sänfte gestanden hatten, wälzten sich in ihrem Blut. Ihre Schreie wollten nicht enden.

Der Seewolf überwand den Moment des fassungslosen Entsetzens als erster. Er stürmte los und war im nächsten Moment bereits an der Verschanzung.

„Kutscher!“ brüllte er. „Mister Pellew!“ Die beiden Kombüsenmänner fungierten zugleich als Feldschere, wenn es erforderlich sein sollte.

Und jetzt wurden ihre medizinischen Künste verdammt nötig gebraucht, wie es schien.

Sie packten ihre Tragekisten mit den Instrumenten zusammen und eilten hinter dem Seewolf her.

Die übrigen Arwenacks hielten sich zurück. Sie gehörten nicht zu jener Sorte, die als Gaffer immer und überall zur Stelle war, wenn sich blutiges Geschehen abgespielt hatte.

Der Seewolf ging auf die Stelle zu, an der die Explosion stattgefunden hatte. Aus einiger Entfernung war Befehlsgebrüll zu hören. Entweder hatten sie es bei der Stadtwache selber gehört, oder ein erster Augenzeuge war bereits dort eingetroffen und hatte Alarm geschlagen.

Die zerborstenen Bestandteile der Sänfte waren dreißig bis vierzig Yards weit auseinandergeflogen, an den Köpfen der Träger vorbei. Kemal Yildiz indessen existierte nicht mehr.

Dort, wo ihn die Explosion zerrissen hatte, befand sich lediglich ein rußartiger Fleck auf den Pflastersteinen.

Hasard betrachtete die Steine mit gefurchter Stirn.

Schritte näherten sich aus einer der Gassen. Der Kutscher und Mac Pellew waren zur Stelle und kümmerten sich um die Verwundeten. Nur noch deren Schmerzenslaute waren zu hören. Die Angstschreie der Fliehenden waren verstummt. Aus der nächstgelegenen Gassenmündung erschienen Wachsoldaten im Laufschritt. Ein Offizier lief an der Spitze der Gruppe.

Hasard konnte den Blick nicht von jenem Punkt wenden, an dem sich das Zentrum der Detonation befunden haben mußte. Dann, nach kurzem Überlegen, drehte er sich zu den Arwenacks um, die in Steinwurfweite entfernt auf der Pier ausharrten.

„Al!“ rief der Seewolf. „Mister Conroy!“ Mit einer Handbewegung forderte er ihn auf, näherzutreten.

Als der schwarzhaarige Stückmeister zur Stelle war, verlangsamten auch die Soldaten ihre Schritte. Der Offizier ließ sie Aufstellung nehmen und wandte sich den Engländern zu.

„Was hältst du von der Sache?“ fragte der Seewolf seinen Stückmeister.

Al Conroy begriff sofort, auf was Hasard hinauswollte. Er zeigte auf die geschwärzten Steine. „Ich nehme an, es ist das, worüber du dich wunderst.“

Hasard nickte. „Ich vermisse einen Explosionstrichter. Oder liegt es daran, daß die Pflastersteine zu hart sind?“

Al Conroy schüttelte den Kopf. „Kaum.“

Der türkische Offizier verfolgte das Gespräch der beiden Männer mit interessierter Miene. Hasard bemerkte es und folgerte daraus, daß der Mann offenbar die englische Sprache verstand.

„Hast du eine Erklärung?“ fragte er den Stückmeister.

„Plausibel wird es nur folgendermaßen“, erwiderte Al Conroy, „wir gehen mit unseren Überlegungen von falschen Voraussetzungen aus. Du vermutest, daß jemand einen Sprengsatz unter die Sänfte geworfen hat. Stimmt’s?“

„Richtig.“

„Deshalb deine Folgerung.“

„Auch richtig.“

„Davon mußt du dich lösen“, sagte Al. „Der Sprengsatz oder die Bombe, was immer es war; wurde nicht unter die Sänfte geworfen, sondern hinein.“

Hasard furchte die Stirn. „Daß es keine Wurfbombe war, erscheint mir plausibel. Der Rest deiner Erklärung aber nicht. Gerade der Boden der Sänfte muß aus so starkem Material gefertigt gewesen sein, daß es diese Spuren kaum gegeben haben dürfte.“

„Einverstanden“, sagte der Stückmeister und nickte. „Daraus folgt aber, daß sich der Sprengsatz unter der Sänfte befunden haben muß. Und wie, bitte sehr, soll so etwas möglich sein? Der Mörder hätte sich heranschleichen müssen, um die Ladung unter dem Boden zu befestigen und die Lunte zu zünden. Das hätte er niemals schaffen können.“

„Aber die Ladung muß unter dem Boden geklebt haben“, sagte der Seewolf beharrlich. „Anders sind die Explosionsspuren beim besten Willen nicht zu erklären.“

Der Offizier räusperte sich. „Bevor Sie sich weiter den Kopf zerbrechen, Gentlemen, sage ich Ihnen lieber, womit wir es zu tun haben. Dies dürfte eindeutig das Werk des Höllenfürsten gewesen sein.“

Hasard und Al starrten den Offizier an. Hatten sie es hier mit einer türkischen Ausgabe des alten O’Flynn zu tun? Mit einem, der auch gleich behaupten würde, das Zweite Gesicht zu haben?

„Nichts für ungut“, entgegnete der Seewolf. „Aber Schauermärchen sind keine Erklärung.“

Der Offizier schüttelte den Kopf, und er wirkte absolut ernst dabei. „Seit einiger Zeit passieren in Istanbul immer wieder Fälle dieser Art. Immer sterben einflußreiche Persönlichkeiten dabei, und immer explodiert eine Ladung, ohne daß jemand in der Nähe ist, der sie gezündet haben könnte. Der Täter ist unbekannt. Er wird der Höllenfürst genannt, weil er offenbar die Fähigkeit hat, Sprengladungen hochgehen zu lassen, wann immer und wo immer er will, ohne selbst dabeizusein.“

„Das hört sich in der Tat teuflisch an“, sagte Hasard. „Aber Hexerei kann es nicht sein. Es muß eine Erklärung dafür geben. Hast du eine, Al?“ Er blickte den Stückmeister an.

Al Conroy rieb sich das Kinn mit Daumen und Zeigefinger. „Ich bin mir nicht sicher. Ich erinnere mich an Berichte über einen deutschen Schwarzpulverfachmann, der Knochenbomben gebaut haben soll. Die Dinger sollen wie von selbst explodiert sein. Ich habe das bislang immer für eine Legende gehalten.“

Jetzt war selbst der türkische Offizier überrascht. „Knochenbomben?“ rief er. „Was heißt das – Knochen?“

„Ich kenne keine Einzelheiten“, antwortete der Stückmeister. „Nur so viel, daß Schwarzpulver in einen hohlen Knochen und in einer abgeteilten Kammer mit einer brennenden Lunte versehen wurde. Die Brenndauer soll dann für eine bestimmte Zeit genau berechnet worden sein. Ich konnte mir aber nie erklären, wie so was funktionieren soll. In dem geschlossenen Knochen, habe ich mir gedacht, muß die Zündflamme doch ersticken.“

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1902 s. 21 illüstrasyon
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