Kitabı oku: «Seewölfe Paket 29», sayfa 21
„Vielleicht funktionierte es mit winzigen Luftlöchern“, sagte der Seewolf. „Und Knochen hat dein deutscher Pulverkollege wahrscheinlich deshalb verwendet, weil man sie in Speisezimmern oder Speisesälen unauffällig auf den Fußboden plazieren kann.“
Al Conroy nickte. „Trotzdem hat es für meine Begriffe immer sehr unwahrscheinlich geklungen.“
„Aber es wäre eine Erklärung!“ rief der Offizier. „Vielleicht hat der Höllenfürst solche Methoden verfeinert und bietet nun seine Dienste an.“
„Interessenten dafür gibt es in Istanbul genug, nehme ich an.“ Hasard blickte den Offizier fragend an.
Der Türke nickte. „Die Machtverhältnisse in unserer Stadt werden immer unklarer. Teilweise finden bereits offene Kämpfe zwischen verfeindeten Gruppen statt. Und dieser Mann“, er deutete auf die Reste der Sänfte, „hatte eine Menge Feinde.“
„Kemal Yildiz“, sagte der Seewolf. „Er wollte mich zu einer Besprechung aufsuchen. Er hatte vor, Handelsbeziehungen mit England aufzunehmen.“
Der Offizier sah ihn überrascht an. „Dann sind Sie ein wichtiger Zeuge, Sir. Ich muß Sie bitten, sich zu meiner Verfügung zu halten.“
Hasard hatte nichts dagegen einzuwenden. „Unser Schiff bleibt an seinem Liegeplatz. Ich nehme aber an, daß wir uns innerhalb der Stadt frei bewegen können, sofern wir immer wieder auf die Dubas zurückkehren.“
„Selbstverständlich, Sir.“
Der Kutscher und der Feldscher hatten ihr möglichstes für die Verwundeten getan. Sie wurden in ein Lazarett abtransportiert. Der Offizier ließ die Soldaten am Ort des grausigen Geschehens aufräumen. Schon eineinhalb Stunden nach der Explosion erinnerte nichts mehr an den Tod des Kemal Yildiz und seine Sänftenträger.
Hasard und seine Gefährten hatten sich unterdessen vorgenommen, diese Angelegenheit nicht auf sich beruhen zu lassen. Schließlich war der Kaufmann auf dem Weg zu ihnen umgebracht worden. Fast waren sie es ihm schuldig, die Umstände seines Todes aufzuklären.
4.
Am späten Nachmittag verließen Hasard und Don Juan die Dubas. Ben Brighton übernahm wie üblich das Kommando an Bord. Im Labyrinth der Gassen steuerten die beiden Männer ihr Ziel an, eines der vielen Kaffeehäuser.
Die Orientierung war einfach. Sobald man sich in einer Gasse befand, brauchte man nur dem unvergleichlichen Duft nachzugehen. Kaffeehäuser gab es überall, und es war die Tageszeit, zu der sich die Männer dem Genuß des schwarzen Getränks hingaben.
Hasard und Don Juan entschieden sich für ein abseits gelegenes Haus, das schon von außen einen verschwiegeneren Eindruck erweckte. Die Räume, aus deren offenen Fenstern und Türen lautes Stimmengewirr drang, befanden sich an einem Innenhof, den sie durch einen Torweg erreichten.
Der gesamte Hof war vom Kaffeeduft ausgefüllt. Je weiter sie sich dem Eingang näherten, desto mehr schien die Luft nur noch aus jenem bittersüßen Aroma zu bestehen, das sich bei der Zubereitung des Türkentranks entfaltete.
Der Seewolf und sein Begleiter betraten den großen, saalartigen Raum, in dessen Mitte Kohle in einem Kupferbecken von Wagenrad-Durchmesser glühte. Über dem Becken hing ein mächtiger Topf, aus dem Männer mit Schürzen unablässig den Kaffee in kleine Porzellantassen schöpften.
Der Dampf aus dem Kaffeetopf vermischte sich mit dem Rauch des Feuers und stieg in einen geschwärzten Abzug, der vermutlich durch das Dach des Gebäudes reichte. Jungen, die gleichfalls Schürzen trugen, beförderten den brühheißen Kaffee auf Tabletts zielsicher durch die Tischreihen.
Nach einem unergründlichen System wußten sie stets genau, wann und wo jemand seine Tasse gerade geleert hatte. Niemand, so schien es, mußte länger als eine Minute ohne frischen Kaffee ausharren. Und die Bezahlung wurde offenbar nach einer Art Pauschalsystem geregelt.
Nirgendwo war auch nur der Zipfel eines Frauengewands zu sehen. Die Kaffeehäuser der Türken waren der Männerwelt vorbehalten. Das tosende Stimmengewirr ließ erkennen, wie sehr die Herren der Schöpfung es genossen, nach den Mühen des Tages bei einem anregenden Getränk unter sich zu sein.
Es hieß allerdings, daß die Kaffeehäuser den ganzen Tag über geöffnet wären und auch besucht würden. Während der früheren Tagesstunden mußten es dann die privilegierten Schichten sein, die es sich leisten konnten, ihre Tätigkeit für einen Kaffee zu unterbrechen.
Hasard und Don Juan sahen sich nach einem geeigneten Platz um. Die Männer hockten auf kissenartigen Lederpolstern, rings um flache Tische, auf denen neben den dampfenden Tassen auch Krüge mit klarem Wasser standen. Zwischen zwei Tassen Kaffee nahm man ein paar Schlucke Wasser zu sich, wohl, um den Geschmack zu neutralisieren.
Ein Servierjunge, dessen Tablett geleert war, winkte den Seewolf und den Spanier hinter sich her. Mit selbstbewußt erhobenem Kopf führte er sie zu einem Tisch in der Nähe der Hintertür.
Hasard und Don Juan setzten sich so, daß sie den Raum überblicken konnten. Der Junge entschwand, war jedoch in Sekundenschnelle wieder da – mit gefülltem Tablett, das er geschickt balancierte. Er stellte Tassen, aus denen es brühheiß dampfte, auf den Tisch, dazu saubere Gläser für das Wasser. Das Tablett mit weiteren Kaffeetassen auf der linken Handfläche balancierend, überprüfte er den Inhalt des Krugs.
Hasard winkte den Jungen zu sich, bevor er davoneilen konnte. „Verstehst du unsere Sprache?“
„Verstehen viel – sprechen bißchen“, radebrechte der Kleine.
Der Seewolf drückte ihm eine Silbermünze in die Hand.
„Wir suchen jemanden, mit dem wir über Kemal Yildiz sprechen können“, erklärte Hasard. „Für gute Informationen bezahlen wir einen guten Preis.“
Der Junge ließ die Worte in sich nachklingen. Dann nickte er.
„Warten hier“, sagte er. „Wird Mann kommen.“
Gleich darauf tauchte der Kleine mit seinem Tablett im Gewühl unter. Hasard und Don Juan sahen ihn noch ein- oder zweimal, wie er volle Tassen austeilte und leere einsammelte, ohne dabei das Tablett auch nur einmal aus der Balance zu verlieren.
Die beiden Männer von der Dubas schlürften den Kaffee in vorsichtigen Schlucken, wie es die Türken taten. Der heiße Trank war bitter, aber sie spürten doch jenes unvergleichliche Aroma, das dieses Gebräu erst bei den Ägyptern und dann beiden Türken so beliebt hatte werden lassen.
„Man muß positiv eingestimmt sein“, sagte Don Juan. „Wenn man von vornherein eine Abneigung gegen den Kaffee hat, wird er einem auch nicht schmecken.“
Hasard nickte. „So würde es den Türken wahrscheinlich ergehen, wenn sie unser englisches Bier trinken sollten.“
„Was sie nicht dürfen. Der Koran verbietet es ihnen.“
„Der Koran hat keine Ahnung, was englisches Bier ist“, sagte Hasard grinsend. „Mohammed hat den Wein verboten, wenn ich mich nicht irre. Aber von Bier hatte er bestimmt noch nie etwas gehört, als er seine Prophezeiungen aufschrieb.“
„Vom Kaffee auch nicht“, sagte Don Juan lächelnd. „Ich habe gelesen, daß sich die Schriftgelehrten des Islam den Kopf darüber zerbrochen haben, ob sie dem Volk den Kaffee erlauben sollten oder nicht. Irgendwann müssen sie festgestellt haben, daß das schwarze Zeug keine so schlimme Wirkung wie Wein hat.“
„Ich denke, wir wissen es besser“, entgegnete Hasard, immer noch grinsend. „Wer mit Wein und Bier umzugehen weiß, hat viel mehr davon als jene, die das Zeug sinnlos in sich hineinkippen.“
„Vom karibischen Rum ganz zu schweigen.“
„Und vom Wasser des Lebens.“
„Was soll denn das nun schon wieder sein?“
Hasard lachte. Die besonderen Erfahrungen, die die Arwenacks mit dem dänischen Schnaps gesammelt hatten, lagen vor jener Zeit, in der Don Juan zu ihnen gestoßen war.
„Die Dänen nennen es Aquavit“, sagte der Seewolf.
Don Juan nickte verstehend. „Aqua, das Wasser, Vita, das Leben. Die Iren haben allerdings auch ein Wasser des Lebens. Uisge Beatha, Gälisch für Whisky.“
„Donnerwetter“, sagte Hasard beeindruckt. „Deine Kenntnisse sind enorm.“
„Überhaupt kein Wunder“, entgegnete Don Juan abwehrend. „Vergiß nicht, daß Spanien seit Generationen Handelsbeziehungen mit dem Westen Irlands pflegt. Im Hafen von Galway wirst du mehr spanische als englische Schiffe sehen.“
„Stimmt. Mit Galway haben wir unsere besonderen Erfahrungen.“ Hasard ging nicht weiter darauf ein, denn ein Mann näherte sich ihrem Tisch. Die Abenteuer, die Hasard und die Arwenacks im irischen Rebellenland bei Galway erlebt hatten, lagen ohnehin schon Jahre zurück.
Der Mann, seiner Kleidung nach ein Türke, verneigte sich vor dem Tisch.
„Ich bitte um Erlaubnis, Sie anzusprechen, Gentlemen“, sagte er in hart rollendem Englisch und verneigte sich dazu. „Mein Name ist Ahmet Ezgin. Ich habe erfahren, daß Sie an gewissen Informationen interessiert seien.“
„So ist es“, antwortete der Seewolf. „Bitte setzen Sie sich zu uns, damit wir darüber reden können.“
Ezgin, ein schlanker Mann mit gepflegtem Spitzbart, folgte der Aufforderung. Er lächelte dankbar, als Don Juan ihm unter dem Tisch die ersten Silbermünzen reichte. Ezgin ließ die Münzen geschickt unter seiner Kleidung verschwinden.
Unvermittelt tauchte der Servierjunge wieder auf und brachte frischen Kaffee. Gleich danach verschwand er erneut im Gewühl des von Palaver erfüllten Raumes. Die Männer brauchten keine Sorge zu haben, daß man am Nebentisch auch nur Wortfetzen ihres Gesprächs mithörte. Jeder führte seine Unterhaltung lautstark, so daß sich nur unmittelbare Sitznachbarn untereinander verstehen konnten.
„Sie wissen, es handelt sich um Kemal Yildiz“, sagte Don Juan. „Wir möchten mehr über ihn erfahren.“
Ahmet Ezgin lächelte kaum merklich. „Er hatte eine Verabredung mit Ihnen, nicht wahr? An Bord Ihres Schiffes. Auf dem Weg dorthin wurde er umgebracht.“
„Sie sind gut informiert“, sagte Hasard.
„An guten Informationen sind Sie interessiert“, entgegnete der Türke. „Wenn ich sie nicht liefern könnte, würde ich mich nicht erdreisten, Ihnen meine Dienste anzubieten.“
„Ein vernünftiger Grundsatz.“ Der Seewolf schlürfte von seinem Kaffee und beugte sich vor. „Was für ein Mann war Yildiz? Wer waren seine Feinde? Und warum mußte er sterben?“
„Über die letzte Frage gibt es nur Vermutungen“, erwiderte Ezgin. „Wenn ich Ihnen darüber Auskunft geben könnte, wäre ich schlauer als alle amtlichen Organe, die sich mit dem Fall zu befassen haben. Sie werden sich lange damit befassen, und am Ende verläuft die ganze Angelegenheit im Sande, wenn niemand mehr darüber spricht. So viel vorweg zum Offiziellen.“
„Yildiz wollte über uns Handelsbeziehungen mit England anknüpfen“, sagte Don Juan. „Vielleicht ist das ein Ansatzpunkt für Sie.“
„Haargenau“, erwiderte Ezgin und setzte seine Kaffeetasse ab. „Kemal Yildiz war für seine ungewöhnliche Denkweise bekannt. Daß er zu den reichsten Kaufleuten von Istanbul gehörte, brauche ich nicht extra zu betonen. Kein anderer Kaufherr würde aber auf die Idee verfallen, mit – Verzeihung – Ungläubigen Handelskontakte anzustreben. So etwas, würden sie sagen, konnte sich nur Yildiz leisten. Es paßte zu seiner merkwürdigen Einstellung – genauso, wie er einen Teil seines Barvermögens für mildtätige Zwecke zur Verfügung stellte. Deswegen hat er sich allerdings wohl die meisten Feinde geschaffen.“
„Erklären Sie das genauer“, bat der Seewolf und leerte seine Tasse.
„Die Armut in Istanbul ist groß“, sagte Ezgin. „Noch bedenklicher erscheint verantwortungsbewußten Männern wie Kemal Yildiz die Kluft zwischen arm und reich, die immer größer wird. Die Gegenseite im Lager der Reichen hält es für das beste Mittel, den Pöbel mit Gewaltmaßnahmen zu unterdrücken. Die Freunde des Kemal Yildiz vertreten dagegen die Ansicht, daß nur Verständnis und Hilfe für die Schwachen und Benachteiligten auf Dauer den Verdruß beseitigen könne.“
Hasard und Don Juan wechselten einen Blick. Istanbul, so schien es, unterschied sich kaum von anderen Orten dieser Welt, an denen Menschen auf engem Raum zusammenlebten. Mit Ungerechtigkeiten machten sie sich gegenseitig das Leben zur Hölle. Und Männer, die ehrlich versuchten, etwas dagegen zu unternehmen, wurden wegen ihrer Hilfsbereitschaft von ihresgleichen angefeindet.
„Wir wollen versuchen, den Mörder von Yildiz zu finden“, sagte der Seewolf. „Wo können wir mit der Suche anfangen?“
Der Informant senkte seine Stimme zum Flüsterton. „Es ist so gut wie unmöglich, eine Spur aufzunehmen. Ich wüßte nur einen einzigen Weg. Aber der wäre sehr gefährlich.“
„Wir sind bereit, ein Risiko zu tragen“, sagte Don Juan.
„Lassen Sie hören“, drängte Hasard.
Der Spanier steckte dem Türken eine weitere Silbermünze zu. Der Servierjunge erschien mit neuem Kaffee. Ezgin wartete, bis der Junge außer Hörweite war.
„Es kursiert ein bestimmtes Gerücht in der Stadt. Und zwar darüber, wie man jemanden ermordet, ohne sich selbst die Finger zu beschmutzen. Man beauftragt den Höllenfürsten.“
„So soll es auch im Falle Yildiz gewesen sein“, entgegnete Hasard.
Ezgin nickte. „Lassen Sie durchsickern, daß Sie jemanden aus dem Weg geschafft haben möchten. Wer das Opfer sein soll, ist zunächst unwichtig. Ein Bote wird an Sie herantreten und sich anbieten, dem Höllenfürsten eine Nachricht zu überbringen. Das ist die Möglichkeit für Sie, eine Spur aufzunehmen.“
„Und wie setzen wir das in Gang?“ fragte Don Juan.
„Ich würde es übernehmen, die Nachricht unter das Volk zu bringen“, erwiderte Ezgin. „Sie müßten sich dann nur regelmäßig am selben Ort blicken lassen. Beispielsweise hier, in diesem Kaffeehaus, an diesem Platz.“
„Einverstanden“, sagte der Seewolf.
Don Juan erhöhte den Lohn des Türken um eine weitere Münze.
„Wenn Sie sich gründlich informieren wollen, sollten Sie unbedingt auch noch mit Münnever Yildiz sprechen“, sagte Ezgin. „Das ist die Witwe des Ermordeten. Sie hat seine gedankliche Einstellung in die Tat umgesetzt. Es gibt bei den armen Leuten von Istanbul keinen beliebteren Menschen als Münnever Yildiz. Nun, ich denke, ich werde jetzt …“ Er unterbrach sich, während er dabei war, sich zu erheben. „Blicken Sie nicht zum Vordereingang“, sagte er, indem er sich wieder seinen beiden Gesprächspartner zuwandte. „Da sind ein paar Burschen aufgetaucht, denen wir besser nicht gemeinsam begegnen. Noch haben sie uns nicht gesehen. Es wäre ratsam, durch den Hinterausgang zu verschwinden.“
„Was für Burschen?“ fragte Hasard.
„Sie arbeiten für jenen Machtblock, gegen den sich Kemal Yildiz gewandt hat“, erwiderte Ezgin. „Niemand weiß genau, wer dahintersteht. Aber es sind einflußreiche Kreise, soviel steht fest.“
Hasard und Don Juan waren einverstanden, sich zurückzuziehen. Ahmet Ezgin wirkte auf sie vertrauenerweckend. Kein Halsabschneider, der falsche Informationen verkaufte und seine Abnehmer hinterher ans Messer lieferte.
Die Gelegenheit, unbemerkt zu verschwinden, ergab sich, als am Nebentisch drei Männer auf einmal aufstanden und sich in Richtung Vorderausgang zum Gehen wandten.
Hasard, Don Juan und ihr türkischer Verbündeter schlüpften durch die Hintertür.
Sie fanden sich auf einem weiteren Hof wieder, der von weißen, fensterlosen Mauern eingegrenzt wurde. Eine schmale Gassenverbindung führte offenbar zur nächstgelegenen Straße.
„Ich werde von der Vorderseite ins Kaffeehaus zurückkehren“, sagte Ezgin. „Es ist mein gewohnter Aufenthaltsort. Sie sollten sich dagegen lieber entfernen.“
Hasard wollte zustimmen und etwas erwidern.
Ihm blieb der Ansatz der ersten Silbe im Hals stecken.
Zwei Gestalten schnellten aus der Gassenverbindung hervor. Klingen blitzten.
Ezgin stieß einen Entsetzenslaut aus. Im hastigen Zurückweichen stolperte er und schlug der Länge nach hin.
Einer der Angreifer wollte sich auf ihn stürzen und mit seinem Krummsäbel zustoßen.
Reaktionsschnell hatten Hasard und Don Juan blankgezogen.
Mit einem sausenden Hieb traf Don Juan die Klinge des Mannes, der im Begriff war, Ezgin zu töten. Der Türke wurde aus dem Schwung gerissen. Durch die Wucht des Hiebes verlor er den Säbelgriff aus den Fingern. Er ruckte herum und wich von dem am Boden Liegenden zurück.
Hasard hatte den zweiten Angreifer mit einer unbezwingbaren Parade zurückgetrieben. Geduckt und lauernd stand der Türke vor ihm, den Krummsäbel erhoben, bereit zur neuen Attacke. Keinen Sekundenbruchteil ließ Hasard den Mann aus den Augen. Am Rand seines Blickfelds sah er gleichzeitig, wie Don Juan den anderen mit dem Entersäbel zurückdrängte.
Urplötzlich, ohne erkennbaren Bewegungsansatz, schnellte Hasards Gegner los.
Der Seewolf duckte sich und federte zur Seite. Zischend fuhr die gekrümmte Klinge durch die Luft – haargenau an der Stelle, an der er eben noch gestanden hatte. Aus der Bewegung heraus antwortete Hasard mit einem blitzschnellen Gegenangriff. Der Türke parierte und schaffte es, noch einmal mit einer Attacke durchzustoßen.
Hasard tauchte weg und konterte. Einmal gelang es dem Türken noch, seinen Gegenangriff abzuwehren. Dann hatte er der Kraft des hochgewachsenen Engländers nichts mehr entgegenzusetzen. Seine Klinge wurde zur Seite gefegt, der Stahl des Entersäbels traf ihn tödlich.
Im selben Moment hatte Don Juans Gegner zum Krummdolch gegriffen. Die Aufforderung des Spaniers, sich nicht länger zur Wehr zu setzen, ignorierte er. Sein Angriff war blindwütig. Er lief geradezu in Don Juans Klinge hinein.
Ahmet Ezgin rappelte sich auf und starrte fassungslos auf die beiden Toten.
„Die Leichen müssen verschwinden“, sagte er atemlos. „Sie müssen wie vom Erdboden verschluckt sein. Kein Mensch darf jemals erfahren, wo sie geblieben sind.“
„Wie wollen Sie das anstellen?“ sagte Hasard verwundert, während er den Säbel in die Scheide schob.
Don Juan tat es ihm nach.
„Wenn Sie mir nur rasch helfen“, sagte Ezgin und deutete auf eine Kellerluke. „Nach Einbruch der Dunkelheit werde ich die Toten von hier aus zur Küste bringen. An eine einsame Stelle. Dort werde ich sie versenken. Und zwar so, daß sie nie wieder auftauchen.“
Hasard und Don Juan packten zu. Sie trugen die Toten zur Luke und senkten sie in das kühle, dunkle Geviert. Ezgin beseitigte unterdessen die Blutspuren, indem er sie mit Sand überdeckte.
Keine drei Minuten waren nach dem Vorfall vergangen, als sie den Hinterhof verließen. Ihre Wege trennten sich, nachdem sich Ezgin dafür bedankt hatte, daß sie ihm das Leben gerettet hatten. Hasard und Don Juan waren sicher, daß sie sich auf ihn verlassen konnten. Die Ehrlichkeit dieses Mannes war nicht gespielt.
Sie wußten jetzt, daß die Gegner des Kemal Yildiz bereits auf sie aufmerksam geworden waren. Man fürchtete ihre Nachforschungen. Die Gegenseite wußte allerdings nicht, daß Ahmet Ezgin ihr Informant war. Es war der Zeitvorsprung, den Hasard und Don Juan hatten.
5.
Münnever Yildiz empfing die beiden Männer in einem weißgetünchten Raum, einem der Besprechungszimmer des Palastes, in die sich ihr Mann oft zu vertraulichen Gesprächen mit seinen Geschäftsfreunden und auch mit seinen politischen Freunden zurückgezogen hatte.
Hasard und Don Juan hatten Münnever ihre Anteilnahme ausgesprochen. Die schlanke, dunkelhaarige Frau wirkte sehr beherrscht. Nur die Ränder ihrer Augen zeigten, wie sehr sie um ihren Mann geweint haben mußte.
„Es hat uns besonders getroffen“, sagte der Seewolf leise, „weil Ihr Mann ausgerechnet auf dem Weg zu unserem Schiff war. Man könnte fast meinen, daß es einen Zusammenhang zwischen dem Mord und seiner Besuchsabsicht gab.“
Münnever nickte bedächtig. „Das ist möglich. Aber wir werden es wohl nie herausfinden. Es muß schon lange geplant gewesen sein, Kemal zu töten. Und jetzt, als er nicht mehr verhehlte, daß er Handelsverbindungen nach England suchte, haben die Mörder zugeschlagen. Vielleicht aber auch nur deshalb, weil die Gelegenheit besonders günstig war.“
„Oder wirkungsvoll“, sagte Don Juan. „Man hätte ihn auch in einer einsamen Gasse umbringen können. Aber man tat es da, wo es viele Zuschauer gab. Vielleicht sollte es eine deutliche Warnung sein.“
„An mich gerichtet“, sagte Münnever. „Das ist durchaus möglich.“
„Wie werden Sie sich verhalten?“ fragte der Seewolf.
Ein Feuer erwachte in der Tiefe von Münnevers braunen Augen.
„Ich lasse mich nicht einschüchtern“, sagte sie energisch. „Jetzt werde ich erst recht weitermachen. Es ist Kemals Vermächtnis, das ich zu erfüllen habe.“
„Aber es wird schwieriger sein – ohne seine Rückenstärkung“, wandte Don Juan ein.
Münnever nickte. „Ich habe noch längst nicht alles durchdacht“, sagte sie bedrückt. „Ich werde mich auch um das Geschäftliche kümmern müssen, wobei ich nur hoffen kann, daß mir Kemals leitende Mitarbeiter die gleiche Treue erweisen, wie sie es bei ihm getan haben.“
„Ich bin sicher, daß er entsprechend vorgesorgt hat“, sagte Hasard.
„Davon gehe ich aus. Im Geschäftlichen sehe ich auch das geringere Problem. Was die politische Seite betrifft, könnte es wesentlich schwieriger werden. Gewiß, Kemals Freunde werden mich unterstützen, wo sie können. Aber er war ihr Vorbild, eine Art Leitfigur. Es gibt niemanden, der sein Durchsetzungsvermögen und seine Energie hätte.“
„Sie werden an seine Stelle treten“, entgegnete der Seewolf. „Sie haben das Zeug dazu.“
Münnever lächelte überrascht. „Danke. Aber ich möchte es so ausdrücken. Ich habe den festen Willen. Ob ich meine Ziele in allen Punkten erreiche, hängt wohl auch von Kemals und meinen Gegnern ab.“
„Sie meinen, diese Leute könnten jetzt schwerere Geschütze auffahren?“
„Damit rechne ich. Sie halten mich für geschwächt, nachdem ich meinen Mann verloren habe. Sie werden versuchen, mich zu ruinieren. Das wird der einfachste Weg sein. Denn ohne den finanziellen Hintergrund, den ich bislang hatte, kann ich meine Arbeit für die Armen nicht fortsetzen.“
„Kennen Sie Ihre Gegner?“ fragte Hasard unverblümt. „Die Mörder Ihres Mannes?“
Einen Moment sah ihn die Frau an, als müsse sie nachdenken.
„Ich habe natürlich keine Beweise“, sagte sie dann. „Aber der Kopf der politischen Gruppierung ist Mehmet Küzürtüsi. Als Kaufmann ist er einer der größten Konkurrenten unseres Handelshauses. Privat war er ein erklärter Feind Kemals. Er hat meine Hilfsaktionen in öffentlichen Reden in den Dreck gezogen. Aber er würde es natürlich weit von sich weisen, mit verbrecherischen Umtrieben zu tun zu haben.“
„Man muß Beweise gegen ihn sammeln“, entgegnete der Seewolf. „Und genau das werden wir tun.“
Don Juan de Alcazar nickte zustimmend und voller Entschlossenheit.
Münnever Yildiz blickte die beiden Männer an. „Ich bin froh über Ihre Hilfe. Ich wäre unehrlich, wenn ich das nicht zugeben würde. Aber es ist meine Pflicht, Sie zu warnen. Sie haben miterlebt, wie wenig ein Menschenleben in dieser Stadt wert ist. Auf Sie als ungläubige Ausländer wird man noch viel weniger Rücksicht nehmen. Wenn Sie in die Fänge der Mörder-Clique geraten, fürchte ich, sind Sie verloren.“
Hasard und Don Juan standen auf, um sich zu verabschieden.
„Wir sind gewohnt, auf uns aufzupassen“, sagte der Seewolf. „Bereiten Sie sich also keine Sorgen. Und quälen Sie sich vor allem nicht mit Selbstvorwürfen. Sie tragen keinerlei Schuld. Sie haben sich den Aufgaben gestellt, die gelöst werden müssen. Bleiben Sie dabei.“
Münnevers Blick war voller Dankbarkeit, als sie dem großen Mann die Hand reichte.
Süleyman Ayasli nahm den Schweren Lederbeutel, den Öbül ihm gebracht hatte. Er ging damit in den Wohnraum seines Gemäuers, schloß die Verbindungstür zur Werkstatt und ließ den kleinen dünnen Mann vorerst allein. Zu tun gab es immer etwas. Öbül würde um Beschäftigung nicht verlegen sein.
Ayasli setzte sich unter eine blakende Wandlampe, öffnete den Lederbeutel und schüttete den Inhalt auf den Tisch. Die schweren Goldstücke verursachten harte Geräusche. Ayasli beobachtete sie mit ihrem milden Glanz, bis sie zur Ruhe gelangten und liegenblieben. Ein regelrechtes Feuer ging von ihnen aus. Für Ayasli war es die Glut, die ihren Wert bedingte.
Er zählte nach. 50 Piaster.
Der Wert eines Menschenlebens.
Der Wert des Kemal Yildiz.
Ayasli ließ 45 Goldstücke zurück in den Lederbeutel gleiten. Er schnürte ihn sorgfältig zu und trug ihn zu einer Kommode auf der anderen Seite des Zimmers. Dort rückte er die Kommode weit genug beiseite, so daß er einen Ausschnitt zweier Fußbodendielen anheben konnte. Die beiden Dielen bildeten eine kleine Luke, die nicht zu erkennen war, wenn die Kommode darüberstand.
In der gemauerten Aussparung unter dem Fußboden des Wohnraums lagen Beutel aus Leder und grobem Leinen. Sie enthielten Süleyman Ayaslis Todeslohn vergangener Aufträge. Es war seine Art von Reichtum, den er hortete – bis er sich eines Tages nicht mehr verstecken mußte.
Es würde der Tag sein, an dem seine Auftraggeber alle Macht an sich rissen. Dann würden sie ihn aus seinem Schattendasein befreien. Allerdings fühlte er sich wohl in seinem unauffälligen Leben, und er fürchtete sich manchmal vor dem Tag, an dem er sich nicht mehr in die Einsamkeit zurückziehen konnte.
Nun, immerhin konnte er selber entscheiden, welche Art von Leben er bevorzugte.
Unter den neuen Machthabern ein öffentliches Amt zu bekleiden, würde er nicht ablehnen. Aber sie konnten ihn nicht zwingen, sein Leben außerhalb des Amtes anders zu gestalten, als er es wollte.
Er ließ den Lederbeutel zu den anderen gleiten, schloß die kleine Luke und schob die Kommode wieder an ihren Platz.
Er nahm die fünf Goldstücke für Öbül und ging damit in die Werkstatt.
Sein Gehilfe war damit beschäftigt, kleine Pulversäcke aus fein gewebtem Leinen in jene Truhe zu packen, die mit dem Steinschloß hinter dem Schließmechanismus ausgestattet war.
„Dein Lohn“, sagte Ayasli und legte die Goldstücke auf die Werkbank neben der Truhe.
Öbül sah kaum hin. Er strich die Piaster ein und nuschelte ein Wort des Dankes. Wohlstand bedeutete ihm nicht viel. Er war zufrieden mit dem Dasein, das er führte. Ein Dach über dem Kopf, Essen und Trinken, mehr brauchte er nicht.
„Wann soll ich die Truhe ausliefern?“ fragte Öbül. Er hielt mit der Arbeit inne und sah seinen Meister voller Respekt an.
Der Mann mit der topfförmigen Mütze wirkte geistesabwesend – schon den ganzen Abend, seit Öbül den Lohn für den Mord an Yildiz an einem Treffpunkt in der Stadt abgeholt und hergebracht hatte.
Der Höllenfürst schien die Frage gar nicht gehört zu haben.
„Was ist mit diesen Engländern?“ fragte er seinerseits, statt zu antworten. „Ich will die ganze Geschichte hören.“
Öbül seufzte. Er begriff nicht, daß Ayasli an diese Sache Gedanken verschwendete. Gut, er hatte schon am Nachmittag berichtet, daß der Kapitän der Dubas und ein Begleiter mit der Witwe des getöteten Kaufmanns Kontakt aufgenommen hatten. Öbül verstand jedoch beim besten Willen nicht, warum sich Ayasli deshalb sorgte.
„Ich habe doch schon alles gesagt“, erwiderte der Gehilfe des Höllenfürsten.
„Dann sage es noch einmal. Vielleicht fällt dir etwas ein, was du vorher vergessen hast.“
Öbül wagte nicht, zu widersprechen. „Der Kapitän der englischen Mannschaft heißt Philip Hasard Killigrew. Der Mann, mit dem er in der Stadt unterwegs war, ist allerdings Spanier. Ein gewisser Don Juan de Alcazar. Was sie mit Münnever Yildiz besprochen haben, weiß natürlich niemand. Aber es wird gemunkelt, daß sie ihr Hilfe angeboten haben.“
„Hilfe wobei?“ stieß Ayasli hervor.
„Diejenigen zu finden, die für den Tod ihres Mannes verantwortlich sind.“
„Die Auftraggeber?“
„Ich weiß es nicht, Effendi.“
„Oder die Ausführenden?“
„Ich weiß es wirklich nicht, Effendi. Aber wenn ich meinen nüchternen Menschenverstand gebrauche, sage ich mir, daß sie sowohl hinter den Auftraggebern als auch hinter den Ausführenden her sind. Wenn sich diese Ungläubigen einmischen, so vermute ich, dann tun sie das gründlich. Sie fühlen sich uns überlegen, diese Ausländer. Und sie wollen uns beweisen, daß sie es sind.“
Ayasli grinste. Sein Furchengesicht wurde zu einer diabolischen Maske. „Du hast unsere Feinde sehr genau studiert, mein Lieber. Du bist überhaupt nicht auf den Kopf gefallen. Was würdest du mir also raten?“
Der kleine Mann mit den vom Schießpulver geschwärzten Händen wurde rot vor Verlegenheit. „Ich würde etwas gegen diese ungläubigen Bastarde unternehmen, bevor sie es tun können.“
Ayasli klopfte ihm auf die schmale Schulter. „Das ist es! Wir sind uns in unserem Denken sehr ähnlich. Ich nehme deinen Rat an. Du wirst mich zum Hafen führen und mir das Schiff zeigen. Ist die Zeit dafür günstig?“
„Sie könnte nicht günstiger sein, Effendi. Mitternacht ist vorüber. Wir werden zwar aufpassen müssen, daß wir keiner Streife in die Hände fallen, aber sonst wird es wohl niemanden geben, der uns aufhält.“
Süleyman Ayasli überlegte nicht lange und holte seinen schwarzgrauen Umhang. Nachdem sie alle Fenster und Türen sorgfältig verriegelt hatten, strebten Öbül und er durch die Dunkelheit der Stadt entgegen. Der Gehilfe des Höllenfürsten kannte selbst die winzigsten Pfade und die engsten Gassen.
Zielstrebig führte er seinen Herrn durch das Hafengebiet, bis sie jenen Kai erreichten, auf dem sich erst vor Stunden das blutige Geschehen abgespielt hatte, dessen Opfer Kemal Yildiz und seine Sänftenträger geworden waren.
Ayasli und sein Gehilfe drückten sich in eine Tornische.
Der Höllenfürst ließ seinen Blick über den Platz vor dem Kai und über die Liegeplätze der Schiffe an den Piers gleiten. Wie mochte es hier ausgesehen haben, als die Bombe unter der Sänfte hochgegangen war? Welches Entsetzen, welche panische Angst mochte um sich gegriffen haben?
Er konnte es sich nur vorstellen. In diesem Fall hatte er den entscheidenden letzten Schritt des Vorhabens auch nicht selbst gestalten können. Die Handlanger seiner Auftraggeber hatten es übernommen, sich in Yildiz’ Kontorhaus einzuschleichen und die Bombe unsichtbar unter der Sänfte zu befestigen.