Kitabı oku: «Theorie U - Von der Zukunft her führen», sayfa 11

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4. Das U ist ein lebendiger, kein linearer mechanischer Prozess

In Gesprächen mit einigen Beratern und Führungskräften, die schon früh begonnen haben, mit dem U-Prozess zu arbeiten, wurde mir klar, dass eine Gefahr darin liegt, die Prinzipien dieses Prozesses auf eine sehr mechanische und lineare Art zu verwenden. Der U-Prozess ist das genaue Gegenteil einer Mechanik: Das U funktioniert als ganzheitliches Feld, nicht als linearer Prozess. Wenn man Bruce Lee, Muhammad Ali, Michael Jordan oder Lionel Messi beobachtet, kann man feststellen, dass ihre Bewegungen keinem linearen Prozess folgen. Sie tanzen eher mit der Situation, in der sie sich befinden. Sie sind ständig dabei, zu beobachten und wahrzunehmen, was passiert, sie erlauben ihrem inneren Wissen oder ihrer Intuition, sie zu führen, und dann handeln sie urplötzlich. Der U-Prozess beschreibt nicht drei Sequenzen, die nacheinander ausgeführt werden: heute Sequenz 1, dann eine Pause, dann Sequenz 2. Im Gegenteil, alle Phasen finden einander überlappend statt, eher wie ein Tanz.

Gleichwohl ist es aus praktischen Gründen von Vorteil, den Prozess zunächst sequenziell darzustellen. In der ersten Bewegung des U-Prozesses, der gemeinsamen Wahrnehmung (Co-sensing), liegt der Schwerpunkt auf einem gemeinsamen Hinspüren; in der zweiten Bewegung, der gemeinsamen Willensbildung (Co-inspiring), liegt der Schwerpunkt auf der Wahrnehmung des inneren Wissens; in der dritten Bewegung, der gemeinsamen Gestaltung (Co-creation), liegt der Schwerpunkt auf der Umsetzung und dem Handeln vom Ganzen her. In jeder Bewegung sind die anderen Bewegungen und Kapazitäten immer gegenwärtig. Man kann das U wie eine holografische Theorie betrachten: Die einzelnen Bestandteile spiegeln das Ganze wider, allerdings jeder Teil in einer spezifischen und eigenen Art und Weise.

Um ihre Resonanz mit den tieferen Schichten des sozialen Feldes zu verbessern, müssen Organisationen drei verschiedene Arten der Infrastrukturen und Orte schaffen:

•Orte und Infrastrukturen, die ein gemeinsames Sehen und Verstehen dessen, was im Gesamtsystem vor sich geht (co-sensing), ermöglichen;

•Orte der Reflexion und Räume der Stille, die ein Hinhören ermöglichen sowie das Verbinden mit den tieferen Quellen der Inspiration und des werdenden Selbst, individuell und kollektiv (co-inspiring);

•Orte und Infrastrukturen für die praktische Umsetzung des Neuen in Prototypen, die es erlauben, die Zukunft im Tun zu erforschen (co-creating).

5. Der Aufstieg des sozialen Raums der Emergenz und Kreativität (»cycle of presencing«) ist verbunden mit dem Aufstieg seines Gegenteils: des sozialen Raums der Zerstörung (»cycle of absencing«)

Ausgangspunkt dieser fünften und letzten These ist, dass global eine massive Zunahme an Zerstörung, Gewalt und Fundamentalismus beobachtbar ist und gleichzeitig ein Öffnen zu den tieferen Ebenen des sozialen Feldes stattfindet. Diese doppelte Bewegung, das Öffnen zu den tieferen Ebenen des sozialen Feldes auf der einen Seite und die verstärkten Zerstörungskräfte auf der anderen Seite, sind ein spezifisches Signum unserer Zeit. Diese zwei Kräfte – die des Anwesendwerdens (Presencing) und die des Abwesendwerdens (Absencing) – stehen zueinander in einer vielschichtigen Beziehung. Sie markieren den großen Kampf, die große Auseinandersetzung unseres gegenwärtigen Zeitalters und sind offenbar zwei Seiten derselben evolutionären Bewegung. Häufig erlebt man, dass Menschen gerade angesichts der allergrößten Zerstörung die Fähigkeit entwickeln, eine höhere Ebene der Aufmerksamkeit und des Bewusstseins zu erreichen. Im Verlaufe des Buches werde ich auf diesen Punkt zurückkommen.

Überall auf der ganzen Welt nehmen die Menschen an zwei unterschiedlichen Arten von Verbindung, zwei unterschiedlichen Qualitäten des sozialen Feldes teil. Die eine wird von der Dynamik der Antiemergenz und Zerstörung beherrscht, die den kollektiven sozialen Körper, der im Sterben begriffen ist, verstärkt. Die andere wird von der Dynamik der Emergenz und der kollektiven Kreativität gesteuert, die zu dem neuen sozialen Körper führt, der geboren werden will. Was heute in zahllosen sozialen Situationen mit Gewalt- und Verbindungspotenzial geschieht, ist, dass wir zwischen diesen beiden Welten hin- und hergerissen sind. Wir können jederzeit und an jedem Ort im Nu von einem Raum (dem Raum der kollektiven Kreativität) in den anderen (den Raum der kollektiven Zerstörung) wechseln. Ob wir diesen Wechsel bemerken, hängt davon ab, wie wach und aufmerksam wir füreinander sind (siehe Abb. V.1 im Vorwort zur Neuausgabe).

Die verbleibenden Kapitel 4 bis 7 von Teil I dieses Buches bieten einen Entdeckungsweg an, auf dem sichtbar wird, dass im Grunde genommen auf jeder Systemebene immer das Gleiche stattfindet: Es gibt einen blinden Fleck in unserer Wirklichkeitswahrnehmung, der immer wichtiger wird. Wir stehen immer öfter vor der leeren Leinwand, die von uns verlangt, dass wir uns selbst anschauen, auf unsere gemeinsamen Verhaltensmuster blicken und neu erfinden, wer wir sind und wohin wir als Institution, als Individuum oder als Gemeinschaft gehen wollen.

Teil II beschreibt den Kernprozess, der uns den blinden Fleck wahrnehmen lässt. Teil III geht der Frage nach, wie ein Umgang mit dem blinden Fleck auf allen übrigen Systemebenen aussieht: von der individuellen Ebene (Mikroebene) zu Gruppen (Mesoebene), Institutionen (Makroebene) und zu einer globalen Perspektive (Mundoebene).

Dieses Buch stellt mehrere Konzepte vor, die auf den ersten Blick komplex erscheinen mögen. Aber sämtliche Ideen und Thesen werden mit Beispielen und persönlichen Erfahrungen illustriert. Als Gesamtbild ergeben sich so etwas wie Fußspuren unseres gemeinsamen evolutionären Weges. Im Kern beschreibt das Buch eine »evolutionäre Grammatik«, die wir kollektiv über alle Systemebenen verkörpern und in allen unseren Alltagshandlungen realisieren. Es ist unsere eigene Geschichte. Der Akt des Sehens, Erkennens und bewussten Wahrnehmens dieser Muster ist also nicht einfach eine theoretische Übung, sondern ermöglicht uns, eine andere Art zu handeln zu entwickeln und gemeinsam eine Welt hervorzubringen, die gänzlich verschieden ist von dem, was aus der Vergangenheit kommt.

Wie es möglich ist, aus der entstehenden Zukunft heraus zu handeln, das ist die zentrale Frage dieses Buches. Mit dieser Kernfrage im Sinn wollen wir unsere Aufmerksamkeit jetzt darauf richten, wie Teams lernen.

24 Die Bezeichnung für die fünfte Ebene, »regenerating«, hat Adam Kahane vorgeschlagen.

25 Anm. d. Übers.: Im Englischen wird das erste Selbst kleingeschrieben (»self«) und das zweite (höhere) Selbst großgeschrieben (»Self«).

3Vier Ebenen des Lernens und der Veränderung

Ebenen des Lernens und der Veränderung • Interviewprojekt • Die Trennung zwischen Materie und Geist • Zwei Lernquellen und zwei Lernformen • Der blinde Fleck des organisationalen Lernens

Ebenen des Lernens und der Veränderung

In Kapitel 1, »Im Angesicht des Feuers«, habe ich davon erzählt, wie ich als Junge angesichts der kompletten Zerstörung meines Elternhauses eine neue Erfahrungsebene wahrgenommen habe. Im Nachhinein empfinde ich diese Erfahrung als ein Geschenk, das das Leben mir gegeben hat: Das Geschenk ist das Erlebnis einer Veränderung meines Aufmerksamkeitsfeldes. Mit Aufmerksamkeitsfeld meine ich die Art und Weise, wie ich mich der Welt zuwende, wie ich mit der Welt in Beziehung trete. Das ist der leichte Teil.

Der schwierige Teil besteht darin, diese Veränderung auch im Kontext von Gruppen und Organisationen zu bewirken, wenn es wirklich darauf ankommt, weil sie vor großen Herausforderungen stehen. Wie können wir als Gruppe unser Aufmerksamkeitsfeld so verändern, dass wir uns mit unserem höchsten Zukunftspotenzial verbinden anstatt weiterhin Handlungsmuster der Vergangenheit zu reinszenieren? Die praktische Frage ist, wie dieser Wechsel stattfinden kann, ohne dass das Haus jeden Tag abbrennen muss. Das war die Fragestellung, die mich 1994 an das MIT Organizational Learning Center (Zentrum für organisationales Lernen am Massachusetts Institute of Technology) brachte.

Als ich im Herbst 1994 in Boston ankam, war ich gerade im Bereich Wirtschaftswissenschaften promoviert worden. Meine Doktorarbeit (Scharmer 1996) trug den ziemlich komplexen Titel Reflexive Modernisierung des Kapitalismus als Revolution von innen und fand daher nicht sehr viele Leser. Darin versuchte ich zu argumentieren, unsere Gesellschaft müsse die Fähigkeit erlernen, institutionsübergreifend zu lernen und sich zu erneuern.

In wesentlichen Bereichen unserer Gesellschaft produzieren wir gemeinsam Ergebnisse, die fast niemand will: Wir haben Schulen, die unsere Kinder oft daran hindern, ihre wirklichen Potenziale zu entfalten, Gesundheitssysteme, die die Symptome von Krankheit bekämpfen, anstatt die Ursachen von Gesundheit zu verstärken, industrielle Produktionssysteme, die nicht nachhaltig sind und statt des Ganzen Subsysteme optimieren, Entscheidungsprozesse in der Politik, die auf organisierte Sonderinteressen reagieren, anstatt den systemischen Gesamtzusammenhang nach vorne zu bringen.

All diesen Beispielen liegt etwas Gemeinsames zugrunde: Wie können wir aktuell brennende Probleme lösen, ohne die dysfunktionalen Muster der Vergangenheit zu wiederholen? Das Erste, was ich nach meiner Ankunft am MIT Organizational Learning Center gelernt habe, war, dass es verschiedene Herangehensweisen dafür gibt, wie Veränderungsprozesse initiiert werden können. Die häufigste Form ist, dass auf eine Krise oder einen offensichtlichen Veränderungsbedarf »reagiert« wird.

Abb. 3.1 beschreibt vier Ebenen von Veränderungsprozessen. Ebene 1 stellt genau dieses »Reagieren« dar. Handlung erfolgt als Reaktion und basiert auf bestehenden Routinen und Gewohnheiten. Ebene 2, Restrukturieren, beschreibt einen Veränderungsprozess, der die zugrunde liegenden Strukturen und Prozesse mit einschließt. Ebene 3, Neuausrichten (Reframing), zielt darauf ab, auch die den Prozessen oder Strukturen zugrunde liegenden Denkmuster zu verändern.

Abb. 3.1: Vier Ebenen von Lernen und Veränderung

Häufig werden die meiste Zeit und die meisten Ressourcen auf den Ebenen 1 und 2 eingesetzt. Abhängig von Kontext und Ziel eines Veränderungsprozesses kann die Konzentration auf die ersten beiden Ebenen sinnvoll sein. Jedoch nicht immer. Laut einer Studie von Strebel (1996) sind etwa 70 Prozent der Projekte des Business Reengineering in den 1990er Jahren gescheitert. Ich sehe einen Grund für dieses Scheitern darin, dass es einen Veränderungsbedarf gibt, der über die Ebenen 1 und 2 hinausgeht und die tieferen Ebenen mit einschließt. Den Beteiligten gelingt es nicht, das Problem zu »reframen«, also neu zu rahmen oder umzudeuten.

Methoden des organisationalen Lernens bieten demgegenüber ein Beispiel für Veränderungsprozesse, die auch die Ebene 3 mit einbeziehen, die Ebene des Neuausrichtens von Annahmen, die einer Situation zugrunde liegen. Beispielsweise schlagen Chris Argyris, Professor in Harvard, und Donald Schön, Professor am MIT, vor, zwischen Single-loop-Lernen und Double-loop-Lernen zu unterscheiden (Kapitel 2). Single-loop-Lernen bedeutet, dass wir unsere Handlungen anpassen. Damit bewegen wir uns auf Ebene 2. Double-loop-Lernen schließt ein Reflektieren unserer tieferen Annahmen und Grundperspektiven ein. Diese Form von Lernen umfasst auch die Ebene 3.

Bislang hat sich organisationales Lernen hauptsächlich darum gedreht, wie Lernprozesse initiiert, verbessert und nachhaltig gemacht werden. Die Lernprozesse basieren auf einer Reflexion zurückliegender Erfahrungen. Die umfangreichen Arbeiten zu diesem Thema bieten Einsichten in das, was notwendig ist, damit Lernprozesse für die Ebenen 2 und 3 aufgebaut werden können.26

Bei meiner Arbeit mit Veränderungsprozessen in unterschiedlichen Organisationen habe ich allerdings beobachtet, dass es Herausforderungen gibt, die nicht durch eine Reflexion von Erfahrungen, also nicht durch eine Reflexion der Vergangenheit beantwortet werden können. Unternehmen kämpfen darum, in einer »VUCA«-Welt erfolgreich zu sein – in einer Welt, die durch Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit (»Ambiguity«) gekennzeichnet ist, und Führungskräfte erkennen, dass es nicht ausreicht, einfach über die Vergangenheit nachzudenken, wenn es darum geht, wie sie in Zukunft handeln wollen. Diese Herausforderungen sind komplex und schnelllebig. Will man auf sie eine Antwort finden, ist es notwendig, das in der Situation verborgene Zukunftspotenzial wahrzunehmen und damit auch die Ebene 4 in den Veränderungsprozess mit einzubinden.

Diesen Prozess, von einer im Entstehen begriffenen Zukunft aus zu lernen (Abb. 3.1), habe ich »Presencing« genannt, weil er mit einer bestimmten Art von Aufmerksamkeit und Erfahrung im gegenwärtigen Moment zusammenhängt. Presencing bezeichnet die Fähigkeit einzelner Menschen oder kollektiver Einheiten, sich direkt mit ihrer höchsten zukünftigen Möglichkeit zu verbinden und von dort aus unmittelbar zu handeln. Von einer zukünftigen Möglichkeit her zu handeln heißt, von einer authentischen Präsenz des Augenblicks her zu handeln – aus dem Jetzt.

Interviewprojekt: Was ist der Ausgangspunkt unserer kollektiven Handlung?

Als ich Michael Jung 1994 zum ersten Mal traf, war er Direktor des Büros von McKinsey & Company in Wien und fing gerade an, eine weltweite Forschungsinitiative im Bereich Führung und Organisation zu leiten. Wir trafen uns in München und führten ein faszinierendes Gespräch über die grundlegenden Probleme profunder Innovation und Veränderung. Am Ende des Gesprächs fragte mich Michael Jung, ob ich Interesse hätte, ein globales Interviewprojekt mit den Wissenschaftlern und Praktikern im Bereich Führung, Organisation und Strategie durchzuführen.

»Sämtliche Interviews werden ins Internet gestellt. Du kannst sie für deine Forschung am MIT verwenden, und ich kann sie für meine Arbeit bei McKinsey gebrauchen. Außerdem kann sie sich jeder, der etwas darüber erfahren möchte, von einer Website herunterladen. Wir hoffen, dass die Menschen sie als Anregung für ihre eigene Kreativität und ihr eigenes Denken nutzen werden.«27

War ich interessiert an dieser Aufgabe? Also, erstens klang es für mich wie das absolute Traumprojekt, und zweitens war ich fast pleite, weil ich meine Forschung durch Kredite und Stipendien finanziert hatte und man mir am MIT anfangs nur eine unbezahlte Stelle als Gastdozent angeboten hatte. Folglich war ich sehr interessiert. Nach meiner Rückkehr nach Boston bat ich mehrere Leute um ihren Input und ihre Hilfe, und innerhalb weniger Tage hatten wir eine Liste von Interviewpartnern zusammengestellt, darunter Akademiker, Unternehmer, Erfinder, Wissenschaftler, Pädagogen, Künstler und andere.

Eines der ersten Interviews führte ich mit Peter Senge, der damals der Direktor des MIT Organizational Learning Center war. Senges Buch The Fifth Discipline (1992; dt. 1996: Die fünfte Disziplin) war einer der Hauptgründe, warum ich am Center arbeitete. Ich begann das Interview so, wie ich das oft tat, nämlich indem ich fragte: »Welche Frage liegt deiner Arbeit zugrunde?«28

Senge sagte, sein Hauptinteresse gelte der Evolution des Bewusstseins menschlicher Systeme. Er erzählte mir dann von seiner kürzlich stattgefundenen Begegnung mit Karl-Henrik Robèrt, dem schwedischen Arzt und Gründer der Umweltorganisation The Natural Step.

»Etwas in seiner Geschichte berührte mich sehr«, sagte Senge. »Und ich erkannte, dass es hier eine direkte Parallele zu meiner eigenen Erfahrung gibt. Robèrt hatte fast sein ganzes professionelles Leben lang über Krebs geforscht und mit Hunderten von Familien, die sich mit dem Krebs eines Elternteils, eines Kindes oder eines Ehepartners auseinandersetzen mussten, gesprochen. Was er dabei festgestellt hat, war, dass die Betroffenen unglaubliche Kraftreserven hatten. Robèrt beschrieb das so: ›Du erzählst den Leuten furchtbar schwierige Dinge, beispielsweise dass dein dreijähriges Kind Krebs hat, und es ist unglaublich zu sehen, welche Kräfte die Menschen haben, welche Fähigkeiten, sich der Wahrheit zu stellen und als Familie zusammenzuhalten.‹«

Senge sprach dann von der Kraft, die entsteht, wenn man der Realität ins Auge sieht, und wie er diese Kraft in seinem Kurs »Leadership and Mastery« erlebt, wenn er mit Teilnehmenden an ihrem individuellen Entwicklungspotenzial arbeitet. Anschließend beschrieb er seine Kernfrage:

»Wie kann man Menschen helfen, dass sie gemeinsam ihre realen Reserven erschließen können, die für tief greifende Veränderungsprozesse vorhanden sind, für Veränderungsprozesse, die scheinbar unmöglich sind? Viele Leute halten die Menschen im Grunde für egozentrisch und materialistisch, und deswegen ist die Gesellschaft so, wie sie ist. So seien die Dinge nun mal. Aber das, wie die Dinge nun mal sind, ist natürlich nur ein mentales Modell. Und je nach Situation und Kontext konfrontieren Menschen sich damit und erfahren echte Großzügigkeit. Wie kann diese Energie kollektiv freigesetzt werden?«

Während ich Peter zuhörte, bemerkte ich, dass die Zeit sich verlangsamte. Auch mein Zuhören veränderte sich, wurde genauer, tiefer.

»Vor einem Jahr hatte ich ein interessantes Gespräch mit Meister Nan, einem chinesischen Zenmeister, der in Hongkong lebt«, sagte Peter. »In China wird er als Gelehrter geschätzt, der Buddhismus, Daoismus und Konfuzianismus integriert. Ich fragte ihn: ›Glauben Sie, dass das industrielle Zeitalter solche Umweltprobleme schaffen wird, dass wir uns zerstören werden?‹ Meister Nan machte eine Pause und schüttelte seinen Kopf. Er sagte: ›Es gibt nur ein Problem auf der Welt. Und das ist die Reintegration von Materie und Geist.‹ Das ist genau, was er zu mir sagte, die Reintegration von Materie und Geist

Diese Worte riefen eine tiefe Frage in mir wach: Was bedeutet die Trennung zwischen Materie und Geist in sozialen Systemen, für unsere soziale Welt als Ganzes, für den sozialen Körper, der wir kollektiv sind? Diese Frage verband sich mit Erinnerungen an die Arbeit meiner Eltern. Das sichtbare Ergebnis der Landwirtschaft, die Ernte, hängt von der unsichtbaren Qualität des Feldes ab. Ich fragte mich: Was wäre, wenn die Qualität der sichtbaren sozialen Interaktionen eine Funktion dieses unsichtbaren Feldes wäre, das im blinden Fleck unserer Wahrnehmung liegt? Die Qualität dieses unsichtbaren Feldes – unser blinder Fleck – bestimmt die Effektivität unserer sichtbaren sozialen Handlungen. Wenn Meister Nan die Reintegration von Materie und Geist als Hauptproblem benennt, bedeutet das, dass wir, wenn wir die Qualität unserer Handlungen als Gruppe oder Team erhöhen wollen, unsere Aufmerksamkeit auf die unsichtbare Dimension lenken müssen: auf den Ort, von dem aus wir handeln.

Die Trennung zwischen Materie und Geist

Ich fragte Senge, wie er die Trennung von Geist und Materie und Materie in Bezug auf unsere Arbeit mit Gruppen und Organisationen sieht. »Im Grunde genommen gestalten wir Organisationen wie Materie. Damit meine ich, dass Organisationen eine scheinbar unabhängige Existenz außerhalb von uns annehmen und wir dann Gefangene dieser Organisationen werden.«

Organisationen sind von Menschen geschaffen, aber wenn sie zum »System« werden, das Probleme verursacht, werden Organisationen zu einer rein äußerlichen Angelegenheit. »Der Gedanke schafft Organisationen, und dann halten Organisationen die Menschen als Gefangene«, oder, wie der Quantenphysiker David Bohm bemerkte: »Der Gedanke schafft die Welt und sagt dann: ›Ich war’s nicht!‹«

»Für mich«, so Senge weiter, »ist dies der Kern systemischen Denkens. Anstatt die Organisation als etwas zu sehen, das ›mir etwas antut‹, beginnen die Beteiligten, die Frage zu stellen, wie ihre eigenen Denkmuster und ihr Handeln das Ganze hervorbringen. Und dann vervollständigen sie diese Rückkopplungsschleife. Das sind für mich die intensivsten Momente in Veränderungsprozessen, wenn Teilnehmende plötzlich so etwas sagen wie: ›Oh, Mann! Seht nur, was wir uns selbst antun!‹ Oder: ›Wenn ich sehe, wie wir handeln, verwundert es mich nicht, dass wir nicht weiterkommen.‹ Und was für mich in diesen Momenten wichtig ist, ist dieses wir. Nicht ›du‹, nicht ›sie‹, sondern ›wir‹ … Eine gute Systemphilosophie schließt die Rückkopplungsschleife zwischen den Beteiligten, ihrer Realitätserfahrung und ihrer Teilnahme an diesem Zyklus von Wahrnehmung und Handeln.«

Zum Zeitpunkt dieses Interviews mit Peter hatte ich viel über organisationales Lernen und Systemdenken gelesen, aber es war mir noch nie so klar vorgekommen: Das Wesentliche des Systemdenkens besteht darin, Menschen dabei zu helfen, die Rückkopplungsschleife zwischen dem Handeln des Systems und dessen unsichtbaren Ausgangspunkt von Bewusstsein und Gedanke zu schließen. Senge meinte dazu leise: »Ja, ich glaube nicht, dass ich vorher so darüber gedacht habe.«

Nach dem Gespräch war ich ein anderer Mensch. Irgendetwas in mir hatte sich verschoben und neu geordnet. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich irgendwie einem wesentlichen Aspekt meiner eigenen Frage begegnet. Ich konnte die Frage nicht formulieren, aber ich konnte sie fühlen. Es war eine deutliche körperliche Empfindung, die vielleicht eine Woche anhielt (vgl. Gendlin a. Wiltschko 2004). Als dieses Gefühl nachließ, begann ich, darüber nachzudenken, was die tieferen Aspekte der sozialen Realität, die tieferen Bedingungen sind, aus denen heraus soziale Handlungen entstehen. Mir wurde deutlich, dass diese Ausgangspunkte oder tieferen Feldbedingungen, aus denen heraus wir handeln, genau das sind, was wir oft nicht sehen. Vielleicht ist dies der wichtigste blinde Fleck unserer zeitgenössischen Sozial- und Systemtheorie.

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