Kitabı oku: «Theorie U - Von der Zukunft her führen», sayfa 12

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Zwei Lernquellen und zwei Lernformen

Als ich am MIT ankam, war ich ein konventioneller, weißer, männlicher, europäischer Akademiker: stark im intellektuellen Reflektieren, eher weniger stark, was die praktische Erfahrung und Umsetzung betrifft. Was mich am MIT gereizt hatte, war die Aktionsforschung, die dort u. a. von Edgar Schein, dem Mitbegründer von Prozessberatung, vertreten wurde. Gemäß dem Gründer der Aktionsforschung, Kurt Lewin (1890–1947), der in Deutschland geboren und zum Zeitpunkt der »Machtergreifung« Hitlers in die Vereinigten Staaten emigriert war, ist der Ausgangspunkt für Aktionsforschung, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen soziale Systeme nur verstehen können, wenn sie sich aktiv an Veränderungsprozessen beteiligen. Aber wann weiß ein Aktionsforscher, dass er etwas weiß? Als ich Ed Schein diese Frage stellte, antwortete er: »… wenn mein Wissen für die Praktiker in den Organisationen hilfreich ist – in diesem Moment weiß ich, dass ich weiß« (vgl. Schein 1987c, 2002).

Diese Idee bestimmt auch meine eigene Forschung. Im Laufe der letzten 20 Jahre habe ich gemeinsam mit meinen Kollegen in zahlreichen Aktionsforschungsprojekten daran gearbeitet, Führungsteams zu helfen, einen Veränderungsprozess zu durchlaufen. Diese system-, sektoren- und kulturübergreifenden Aktionsforschungsprojekte haben mich sowohl in Unternehmen als auch zu Nichtregierungsorganisationen geführt. Ich habe viele direkte Erkenntnisse über die Welt der Unternehmen gesammelt, aber mein Weg hat mich über etablierte Institutionen hinaus auch in die Welt von Graswurzelaktivisten, Initiatoren von Basisbewegungen und unternehmerischen und revolutionären Erneuerern geführt.29 Was ich in diesen verschiedenen Welten gelernt habe, lässt sich im Kern mit dem folgenden Satz zusammenfassen: Es gibt zwei Ausgangspunkte für Lernprozesse: die Vergangenheit und die im Entstehen begriffene Zukunft.

Lernen von den Erfahrungen der Vergangenheit ist ein bekannter Prozess, der mit der Abfolge Handlung–Beobachtung–Reflexion–Plan–Handlung beschrieben wird (vgl. Kolb 1984). Wie aber lässt sich von einer im Entstehen begriffenen Zukunft her lernen? Das ist das Thema dieses Buches.30

Der blinde Fleck des organisationalen Lernens

Teams und organisationale Einheiten, die versuchen, diesen neuen Lernweg zu beschreiten, geben häufig frustriert wieder auf. Sie erkennen, dass es nicht möglich ist, tief greifende Veränderungen der oben beschriebenen Art zu erreichen, wenn sie die bisher verwendeten konventionellen Lern- und Veränderungsmethoden einsetzen. Das Lernen aus der Vergangenheit funktioniert nicht. Ein Lernen von einer im Entstehen begriffenen Zukunft lässt sich nicht einfach an konventionelle Lernprozesse als zusätzlicher Schritt anfügen, indem man sagt: »Lasst uns jetzt von der entstehenden Zukunft lernen.« Diese Lernform setzt vielmehr voraus, dass wir auf kollektiver Ebene eine Bewegung vollziehen, die dem entspricht, was mit mir geschah, als ich vor dem brennenden Bauernhof stand. Wir müssen den spezifischen Kontext mit neuen Augen betrachten (Weick 1996). Alte, gewohnheitsmäßige Formen des Reagierens müssen losgelassen werden. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit für die Welt vertiefen und uns für das Staunen öffnen. Wir müssen den Strahl unserer gewohnheitsmäßigen Aufmerksamkeit bewusst umlenken und zurück auf ihre Quelle richten – auf den blinden Fleck, aus dem heraus wir handeln. Wir müssen unser Aufmerksamkeitsfeld öffnen, um Anschluss an die Zukunft zu finden, die entstehen will.

Wir müssen uns also auf die Suche begeben. Aber wir verfügen über eine subtile, unsichtbare Dimension – die tiefere Ebene des Quellenbewusstseins –, die uns dabei hilft. Die tiefen Strukturen des sozialen Feldes bestimmen die Qualität unserer Handlungen genauso, wie das Feld des Landwirts die Qualität der Ernte bestimmt. Wir können die Qualität dieser tieferen Feldschichten auf eine Weise verändern und gestalten, die unseren Horizont für höhere Zukunftsmöglichkeiten öffnet. Dann fangen wir an, profunde soziale Erneuerung und Veränderung zu bewirken.

26 Siehe auch Argyris (1993); Argyris a. Schön (1995); Senge (1990); Senge (1994); Schein (1989).

27 Dieses Projekt umfasste Dialoginterviews mit Wissenschaftlern und Praktikern in den Bereichen Management, Veränderungsprozesse, organisationales Lernen, Strategie, Führung. Einige der 150 Interviews sind als E-Zeitschrift veröffentlicht (Society of Organizational Learning 1999). Eine Auswahl der Interviews ist zudem verfügbar unter: https://www.presencing.org/aboutus/theory-u/leadership-inter-view [Zugriff: 13.1.2020].

28 Alle folgenden Zitate stammen aus diesem Interview (Transkription verfügbar unter https://www.presencing.com/dol/senge [Zugriff: 13.1.2020]).

29 Siehe Scharmer und Käufer (2015); Scharmer und Käufer (2013, dt.: 2014).

30 Siehe auch einige frühere Arbeiten zu diesem Thema: Senge et al. (2004); Kahane (2004); Torbert et al. (2004).

4Organisationale Komplexität

Dynamische Komplexität • Soziale Komplexität • Emergente Komplexität • Der Job des Managers • Vom Produkt über den Prozess zur Quelle • Führung vor der leeren Leinwand • Der sich mitentwickelnde Kontext von Organisationen • Der institutionelle blinde Fleck

Dynamische Komplexität

Führungskräfte in allen Organisationen und Institutionen sehen sich mit Veränderungen und neuen Herausforderungen konfrontiert, die sich insbesondere durch ihren hohen Grad an Komplexität auszeichnen. Ich beschloss, den Ursprung dieser Komplexität unter die Lupe zu nehmen. Senge und Roth haben in ihren Arbeiten versucht, komplexe Herausforderungen und Probleme besser zu verstehen, und schlagen eine Unterscheidung zwischen dynamischer und sozialer Komplexität vor. Darauf aufbauend, möchte ich dieses Konzept um die emergente Komplexität erweitern.

Von diesen drei Typen ist die dynamische Komplexität wahrscheinlich am bekanntesten. Dynamische Komplexität heißt, dass Ursache und Wirkung nicht nahe beieinanderliegen. Sie sind räumlich oder zeitlich getrennt. Die globale Erderwärmung bietet ein gutes Beispiel für dynamische Komplexität. Die Emission von Kohlendioxid (CO2) – eine Ursache der Erderwärmung – wird eine Langzeitwirkung auf unseren Planeten haben. Die Treibhauseffekte, die wir heute beobachten, sind hauptsächlich durch die Emissionen der 1970er und 1980er Jahre (und der Zeit davor) verursacht. Wenn meine Organisation entscheidet, ihre CO2-Emissionen zu senken, werden wir unsere Auswirkung auf das Weltklima verringern. Doch was ist, wenn unsere Produkte Teil eines größeren Produkts sind, das die CO2-Emission erhöht? Und was ist mit den Emissionen, die durch den Transport von Waren erzeugt werden? Je länger und komplexer die Kette von Ursache und Wirkung, desto höher die dynamische Komplexität eines Problems. Ein Problem mit einer geringen dynamischen Komplexität kann sequenziell angegangen werden, d. h., das Problem wird in kleine Schritte unterteilt und dann bearbeitet. Steigt jedoch die dynamische Komplexität, stößt eine sequenzielle Herangehensweise an Grenzen, denn sie übersieht systemübergreifende Abhängigkeiten. Je größer die dynamische Komplexität, desto stärker sind Teilkomponenten eines Systems miteinander vernetzt und beeinflussen sich gegenseitig und desto wichtiger werden systemumfassende oder ganzheitliche Lösungsprozesse (Abb. 4.1).

Abb. 4.1: Drei Typen von Komplexität

Soziale Komplexität

Hinter Problemen mit dynamischer Komplexität steht häufig eine zweite Art der Komplexität: die soziale Komplexität. Soziale Komplexität ist das Ergebnis unterschiedlicher Interessen und Perspektiven der Beteiligten (Stakeholder). Um auf das Beispiel des Klimawandels zurückzukommen: Das politische Ringen um die Kyoto-Protokolle und ihre Umsetzung bieten ein anschauliches Beispiel der Bedeutung und Auswirkung sozialer Komplexität, die beispielsweise durch unterschiedliche Interessen, Weltsichten oder Werte hervorgerufen wird. Die meisten internationalen Experten waren sich einig über die Kyoto-Protokolle zum Klimawandel und zur Verringerung des CO2-Ausstoßes und unterstützten sie. Dennoch waren diese Protokolle von begrenztem Nutzen, weil drei der Länder, die zu den schlimmsten Klimasündern gehörten – die USA, Indien und Brasilien – das Abkommen nicht ratifiziert hatten. Auch das Pariser Abkommen von 2015 verlangt, dass alle Länder ihre Treibhausgasemissionen »so schnell wie möglich« verringern und im Laufe dieses Jahrhunderts weiter reduzieren. Alle 5 Jahre sind die Länder aufgefordert, ihre Fortschritte in Bezug auf ihre angestrebten Klimaziele zu überprüfen und neue Pläne einzureichen. Damit das funktioniert, müssen viele unterschiedliche und widersprüchliche Interessen, Weltanschauungen und Akteure zusammenkommen und sich den Bemühungen anschließen. Je niedriger die soziale Komplexität, desto einfacher lassen sich auf der Basis von Expertenwissen oder Daten Entscheidungen treffen (vgl. Kahane 2004). Je höher die soziale Komplexität, umso eher ist ein Prozess gefragt, der die Beteiligten in die Problemlösung einbezieht, sodass alle relevanten Stimmen gehört werden.

Emergente Komplexität

Emergente (oder generative) Komplexität bezieht sich auf Problemstellungen, die durch disruptive Veränderungen gekennzeichnet sind. Diese Veränderungen lassen sich mit den folgenden drei Merkmalen charakterisieren:

•Die Lösung des Problems ist unbekannt.

•Die Problemformulierung ändert sich ständig.

•Wer die wichtigsten Beteiligten sind, ist noch unklar.

»Emergente Komplexität« beschreibt eine Situation, in der die Zukunft nicht durch die Trends und Verlaufskurven der Vergangenheit vorhergesagt werden kann. Die Situation ist offen und verändert sich fortwährend. Je größer die emergente Komplexität, desto weniger können wir uns auf die Erfahrungen der Vergangenheit verlassen. Auf diese Form von Komplexität bezieht sich der U-Prozess. Im Kern zielen die im U beschriebenen Prozesse des Wahrnehmens, des Presencing und des Prototyping darauf, zukünftige Möglichkeiten wahrzunehmen und zu realisieren. In den Kapiteln 10, 11 und 13 werden die Einzelheiten des Prozesses beschrieben.

An dieser Stelle soll festgehalten werden, dass sich das Hinspüren (Sensing) als tiefere Art des Sehens beschreiben lässt – als das Sehen mit dem Herzen. Wir spüren eine deutliche Veränderung, wenn wir in diesen Zustand eintauchen; wir haben das Gefühl, dass sich die Zeit verlangsamt, unsere Wahrnehmung scheint sich zu erweitern, und irgendwie fangen wir an, das ganze Feld zu spüren und wahrzunehmen. Begleitet wird dies normalerweise durch das Gefühl erhöhter Energie und einen Wechsel zu einem »tieferen Ort«.

Presencing ist, wie bereits kurz angesprochen, der Zustand, den wir erleben, wenn wir aus der vollständigen Öffnung von Denken, Herz und Willen heraus handeln, und uns infolgedessen von einem wesentlich tieferen Ort, von den Quellen der Emergenz her, mit der Realität verbinden können. Dieser Zustand erlaubt uns, eine subtile Bewegung des Loslassens und Kommenlassens zu vollziehen, die unser entstehendes Selbst zu einem Vehikel für die im Entstehen begriffene Zukunft macht.

Das Prototyping folgt der Verdichtungsstufe oder der Stufe, in der wir tatsächlich ein Gefühl für die Zukunft, die entstehen will, entwickeln. Das Erproben in Prototypen bedeutet, dass wir die Zukunft im Tun erkunden und basiert auf der praktischen Integration von Kopf, Herz und Hand. Es erzeugt sehr schnell praktische Ergebnisse, die dann Feedback und Verbesserungsvorschläge von allen wichtigen Stakeholdern des betreffenden Systems generieren können.

Die generative Komplexität vieler wichtiger Führungsherausforderungen nimmt zu, weil das Umfeld, in dem Organisationen aus dem wirtschaftlichen, zivilgesellschaftlichen und öffentlichen Sektor arbeiten, immer turbulenter wird. Diese Kontextveränderung ist der Hauptantrieb, der es notwendig macht, dass wir von der rechten Seite des »U« aus – von der im Entstehen begriffenen Zukunft aus – lernen und führen.

Der Job des Managers

Eine zentrale Aufgabe von Managern ist es, Handlung zu mobilisieren und Ergebnisse zu produzieren. Dafür sind Ziele, Strategien, Persönlichkeiten und Prozesse zu integrieren. Ein Blick auf die Diskussion und Untersuchungen im Bereich Management in den letzten Jahrzehnten machen zwei Perspektivenwechsel sichtbar:

•Der erste Wechsel ist die Betonung des Wie anstelle des Was. Nicht nur, was Manager tun, sondern der Prozess und wie sie es tun rücken immer mehr in den Blickpunkt.

•Der zweite Perspektivenwechsel erfolgt vom Wie zum Woher. Vom Prozess (wie) wechselt die Fragestellung zur Frage nach dem inneren Ort, aus dem Manager und Systeme heraus handeln.

Diesen Schwerpunktwechsel beobachtete ich zum ersten Mal 1996, als ich Richard LeVitt von der Firma Hewlett-Packard (HP) in Palo Alto interviewte. Er war zum Zeitpunkt des Interviews der konzernweite Qualitätsbeauftragte bei HP.

»Zuerst konzentrierten wir uns hauptsächlich auf unsere Produktionsergebnisse und führten Messungen über beispielsweise Produktzuverlässigkeit durch. – Aber wir haben festgestellt, dass das nicht reicht, dass wir mehr erreichen können, wenn wir unser Augenmerk auf das richten, was dem Endergebnis vorgelagert ist, nämlich den Prozess. Das war im Grunde der Kerngedanke von Total Quality Management (TQM) in den Achtzigern. Aber als wir dann die Prozesse optimiert hatten, standen wir vor der Frage: Was kommt nun? Was kann der nächste Wettbewerbsvorteil sein?«

LeVitt fuhr fort zu beschreiben, was er als nächste Performance-Schwelle ansah:

»Wir erkannten, dass ein kritischer Fokusbereich darin bestand zu verstehen, wie Manager ihre Denkqualität verbessern können sowie ihre Tiefenwahrnehmung der Kunden und der Erfahrungen, welche die Kunden mit uns machen sollten.«

Vom Produkt über den Prozess zur Quelle

Diesen Perspektivenwechsel oder diese Perspektivenerweiterung, die LeVitt für HP beschreibt – vom Produkt zum Prozess und vom Prozess zur Quelle –, kann in allen funktionellen Managementbereichen beobachtet werden.

Abb. 4.2 zeigt zwölf unterschiedliche Bereiche des Managements. Die obere Hälfte der Abbildung benennt die klassischen Funktionsbereiche (Produktion, Personalwesen, Forschung und Entwicklung (F&E), Finanzen, Buchhaltung, Strategie, Marketing und Verkauf), während die untere Hälfte die eher prozessorientierten Funktionsbereiche darstellt (Qualitätsmanagement, Wissensmanagement, Führung, Organisationsentwicklung und Kommunikation).

Allen Bereichen gemeinsam ist, dass eine ähnliche Entwicklung – ein Schwerpunktwechsel vom Produkt zum Prozess und vom Prozess zur Quelle des Handelns – in allen Funktionsbereichen des Managements erkennbar ist.

Abb. 4.2: Zwölf Managementfunktionen: die Downstream-Sicht

Erster Fokuswechsel: Von greifbaren Ergebnissen zum Prozess (Downstream to Midstream)

Der äußere Ring in Abb. 4.2 beschreibt die erste Phase, in der der Schwerpunkt auf dem Endergebnis liegt, wenn die Aufgabe erfüllt ist (»Produkt«). Ein Beispiel ist die Endkontrolle in der Produktion. Charakteristisch für diese Phase ist, dass Aufgaben funktional differenziert werden, d. h., die Aufgaben des Managements werden in Teilaufgaben aufgeteilt – in Finanzen, Strategie, Personalwesen, Produktion und so weiter. Jeder Managementbereich entwickelt funktionsinterne Bewertungsmaßstäbe für Kosten, Lieferbereitschaft, Produktqualität und so weiter. Die unterschiedlichen Unternehmensbereiche sind hierarchisch und durch klare Leistungskennzahlen oder KPIs (»key performance indicators«) verbunden und werden so miteinander koordiniert.

In den 1980er und 1990er Jahren bewegte sich der Fokus im Management in Richtung Prozesse. Dieser Wandel, wie in Abb. 4.3 beschrieben, ist der Schritt vom äußeren Kreis zum mittleren Kreis. Beispiele für diese mittlere Ebene sind Total Quality Management (TQM), Wissensmanagementprozesse, organisationales Lernen, Lean Production (Produktionsverschlankung), Kostenzuordnung nach Tätigkeit (»activity-based costing«, ABC) etc. In all diesen Beispielen liegt der Schwerpunkt darauf, wie der Prozess verbessert werden kann, mit anderen Worten, wie bestimmte wiederkehrende innerbetriebliche Aufgaben besser angegangen, organisiert und insgesamt optimiert werden können. Im Fall des organisationalen Lernens beispielsweise fungiert der erfahrungsbezogene Lernzyklus als grundlegender Bezugsrahmen für die Gestaltung lernender Infrastrukturen, die organisationale Lernprozesse fördern. Ein weiterer Aspekt dieser Veränderung des Aufmerksamkeitsfokus im Management ist das Problem der funktionsübergreifenden Integration. Um die Arbeit über funktionelle und organisationale Grenzen hinweg zu integrieren und zu koordinieren, muss man lernen, wie man erfolgreich mit sozialer Komplexität bei immer stärker voneinander abhängigen Organisations- und Handlungsweisen umgeht. Die Leiter der einzelnen Subfunktionen oder -aufgaben haben ihre eigenen Interessen, Netzwerke und Ziele, deshalb brauchen sie unterschiedliche Managementfähigkeiten, um mit der sozialen Komplexität der funktionsübergreifenden Integration bei den Kernprozessen der Wertschöpfung umzugehen.

Abb. 4.3: Zwölf Managementfunktionen: die Midstream-Sicht

Zweiter Fokuswechsel: Vom Prozess zur Quelle (Midstream to Upstream)

Die dritte Phase, die Ende der 1990er Jahre begann und bis heute andauert, verlagert den Fokus vom Prozess zu den Quellen von Innovation und Veränderung (Abb. 4.4). Richard LeVitt stellte in dem oben zitierten Interview die Frage, welches der nächste Hebelpunkt sei, wenn der Prozess optimiert wurde. Diese dritte Phase, die in Abb. 4.4 im inneren Zirkel abgebildet ist, bezieht sich auf Probleme mit emergenter Komplexität. Ein weiteres Charakteristikum dieser Phase ist, dass die Grenzen zwischen den verschiedenen Funktionsbereichen immer stärker verschwimmen und sich auflösen. Wie Michael Jung von McKinsey es ausdrückte: »Jeder besteigt den gleichen Berg, aber jeder betrachtet ihn aus einem anderen Blickwinkel und ist davon überzeugt, dass es ein völlig anderer Berg ist.«

Trotz der verschiedenen Überschriften befassen sich in der Mitte des Rades die zwölf verschiedenen Funktionsbereiche alle mit den gleichen fundamentalen Grundfragen: Wie können wir es schaffen, in einem immer chaotischerem Umfeld die Quellen für fundamentale und nachhaltige Innovation und Erneuerung zu erschließen und zu nutzen – das heißt, wie können wir erfolgreich mit emergenter Komplexität umgehen?31

Das Management-Rad verbildlicht einen organischen Atmungsprozess. Die Vollständigkeit dieses Atmungsprozesses bestimmt über die Gesundheit und Ganzheit eines organisationalen Feldes. Das Einatmen bewegt die Aufmerksamkeit von der Ausführung zu den Quellen der Aufmerksamkeit und Intention, während alles, was von der Mitte her entsteht, ausgeatmet und in den vorgelagerten Bereichen von Management und Organisation hervorgebracht wird. Das Entscheidende ist nicht, für eine Upstream-Sichtweise von Führung auf Kosten von Prozessen, Kompetenzen (Midstream) und Ausführung (Downstream) zu plädieren, sondern das gesamte Feld von Führung und Organisation als eine einzige lebendige Einheit wahrzunehmen, die in der Quelle der Aufmerksamkeit und Intention im Zentrum gründet und von dort aus ständig erneuert wird. Aus dieser Sicht ist die Ganzheit einer Organisation oder eines Feldes von der Beziehung aller Teile zueinander abhängig und entsteht nur daraus. Das Zentrum existiert nicht ohne die Peripherie und umgekehrt.

Abb. 4.4: Zwölf Managementfunktionen: die Upstream-Sicht

Das Management-Rad wird durch zwei Achsen unterteilt. Horizontal sehen wir auf der oberen Kreishälfte die klassischen, gut sichtbaren Funktionsbereiche wie Produktion und Verkauf und auf der unteren Kreishälfte die neueren und oft weniger gut sichtbaren Funktionsbereiche wie Wissensmanagement und Organisationsentwicklung. Die vertikale Achse trennt die nach außen orientierten Funktionsbereiche auf der rechten Seite des Rades und die mehr nach innen bezogenen Funktionsbereiche auf der linken Seite. Eine gute Unternehmensführung integriert alle diese zwölf Funktionsbereiche, eine Aufgabe die, wie Henry Mintzberg einmal beschrieb, Wissenschaftler meistens den Praktikern überlassen.

Erfolgreiche Führung oder erfolgreiche Organisationen wertschätzen und integrieren die unterschiedlichen Perspektiven, die sich aus den unterschiedlichen Funktionsbereichen ergeben.

Zurück zum Perspektivenwechsel vom Produkt zum Prozess und zur Quelle des Handelns. Im Bereich Strategie, zum Beispiel, zeigt sich diese Entwicklung an der Schwerpunktverlagerung von den Kernkompetenzen zu den Quellen der Marktrevolutionierung. Zuerst war der Strategiebereich durch klassische Produkt-Markt-Positionierung gekennzeichnet. Strategie fokussierte sich darauf, wohldefinierte Produkte in wohldefinierten Märkten optimal zu platzieren. 1990 veröffentlichten Gary Hamel und C. K. Prahalad ihren Artikel im Harvard Business Review (HBR) über Kernkompetenzen (Hamel a. Prahalad 1990). Wirklich effektive Strategiearbeit, so die Autoren, zielt auf die Identifizierung und Entwicklung von organisationalen Kernkompetenzen. Denn es sind diese Kernkompetenzen, die letztlich bestimmen, welche Produkte erfolgreich im Markt platziert werden können. Damit verlagerten die Autoren den Fokus der Aufmerksamkeit vom Produkt zu der vorgelagerten organisationalen Kernkompetenz.

Als ich Gary Hamel 1996 zum ersten Mal interviewte, war ich überrascht, dass er in den letzten 5 Jahren keine einzige Präsentation zum Thema Kernkompetenzen abgehalten hatte. Er arbeitete bereits am nächsten Fokuswechsel, den er dann in seinem HBR-Artikel »Strategy as Revolution« (Hamel 1996) ausführte und später in seinem Buch Das revolutionäre Unternehmen (Hamel 2000, 2002) weiter ausbreitete. Hamel diskutiert in beiden Veröffentlichungen seine Beobachtung, dass Unternehmen sich mit Situationen konfrontiert sehen können, die nicht nur eine gut passende Strategie im Umgang mit bestehenden Märkten erfordern, sondern eine aktive Rolle in der Neuerfindung eines Sektors oder einer Industrie. Hierzu bedarf es jedoch einer Fähigkeit, die sich von derjenigen unterscheidet, die man braucht, um existierende Kernkompetenzen zu bewahren. Die Neudefinition eines Marktes und einer Industrie bedarf des Vermögens, die zukünftigen Kernkompetenzen und Chancen wahrzunehmen und zu entwickeln.

Während sich in den 1990er Jahren das übliche Denken im Bereich Strategie noch immer um Märkte und Kernkompetenzen drehte, argumentierte Hamel, in Zukunft müsse die Quelle von Wissen und Innovationen erschlossen werden. Er sah diesen Ausgangspunkt häufig eher in der Peripherie eines Unternehmens als im Zentrum angesiedelt. Um diesen Ausgangspunkt zu erschließen, so Hamel, müssten die Erfahrungen von Kunden und Geschäftspartnern mit in die Strategieentwicklung einbezogen werden wie auch die Erfahrungen von Mitarbeitern, die direkt mit den Kunden zusammenarbeiten.

In ihrem Buch Wettlauf um die Zukunft vergleichen Hamel und Prahalad diese Upstream-Verlagerung des Fokus mit einer Schwangerschaft (Hamel u. Prahalad 1995, S. 85 f.):

»Der Wettbewerb um die Zukunft kann mit einer Schwangerschaft verglichen werden. Wie der Wettbewerb um die Zukunft hat die Schwangerschaft drei Phasen: Zeugung, Tragzeit, Geburtsvorgang. In den meisten Lehrbüchern zur Strategie sowie in den Strategieplanungsübungen wird der dritten Wettbewerbsphase die größte Aufmerksamkeit gewidmet. Üblicherweise wird davon ausgegangen, dass das Produkt oder Dienstleistungskonzept bereits etabliert ist und die Grenzen der Industrie festgelegt sind. Aber die Konzentration auf diese letzte Stufe des marktbezogenen Wettbewerbs ohne entsprechende Berücksichtigung jener Marktauseinandersetzung, die dem Wettbewerb vorausgeht, ist dem Versuch vergleichbar, den Geburtsvorgang begreifen zu wollen, ohne Zeugung und Tragzeit mit einzubeziehen.«

Die Frage, die Manager sich an diesem Punkt stellen müssen, so die Autoren, lautet (ebd., S. 86):

»Welcher Phase widmen wir den größten Teil unserer Zeit und Aufmerksamkeit: Zeugung, Tragzeit oder Geburtsvorgang? Unserer Erfahrung nach verbringen die meisten Manager einen unverhältnismäßig großen Teil ihrer Zeit im Warteraum vor dem Kreißsaal und fiebern der Geburt entgegen. Aber wie wir alle wissen, wird es kaum zu einer Geburt kommen, wenn nicht neun Monate vorher ein wenig gearbeitet wurde.«

In unserem derzeitigen Jahrzehnt hat sich der Kontext für das Innovationsmanagement von einem starken Wachstum zu massiven Marktturbulenzen verschoben, was dazu geführt hat, dass mehr Gewicht auf Fähigkeiten wie Resilienz und auf grundlegende Werte wie ethische Integrität gelegt wird (Hamel a. Valikangas 2003, p. 52).

Der Aufstieg und Untergang von Enron, einem Unternehmen, das Hamel in seinem Buch Das revolutionäre Unternehmen oft als Beispiel herangezogen hatte, hat viele aufgerüttelt. Enron hat gezeigt, dass eine revolutionäre Strategie und Innovation keine Werte an sich sind, sondern dass sie mit einem gemeinsamen Verständnis und der ethischen Verantwortung für einen größeren sozialen Kontext verbunden und darin begründet sein müssen (Kapitel 18). Die Gefahren, die der Sog in den Raum des Absencing mit sich bringt, sind nicht auf den Fall Enron beschränkt. Wir haben sie an der Wall Street vor, während und nach 2008 ebenso gesehen wie in traditionellen Branchen (vgl. den Abgasskandal bei VW im Jahr 2015, Scharmer 2015b).

Vielleicht zeigen auch diese Beispiele, dass Strategie nicht isoliert ohne diese Verbindung zum Wohl des Ganzen erfolgreich sein kann. Prahalad fordert in seinem Buch Der Reichtum der dritten Welt. Armut bekämpfen, Wohlstand fördern, Würde bewahren, Strategie radikal neu zu denken, zu durchbrechen und neu zu erfinden, basierend auf den Bedürfnissen der 3 Milliarden Menschen, die von umgerechnet weniger als 2 Dollar pro Tag leben müssen (Prahalad 2006). Was ist erforderlich, damit wir in Bezug auf die Strategie so radikal umdenken, dass der Ansatz auf den Bedürfnissen der Menschen basiert, die im derzeitigen System nicht vorkommen? Dieser Schritt ist die Fähigkeit, von der leeren Leinwand aus zu handeln. Viele der neuen vermischten Geschäftsansätze, einschließlich der »Internetmethode« zur Schaffung von Unternehmen und Projekten, erfordern diese neue Fähigkeit. Wie im inneren Kreis von Abb. 4.4 dargestellt, stehen Manager und Führungskräfte mehr und mehr vor Herausforderungen, die genau das von ihnen verlangen: von der leeren Leinwand aus zu handeln – das heißt, im Entstehen begriffene neue Möglichkeiten zu erspüren und zu verwirklichen.

Werfen wir einen Blick auf zwei weitere Beispiele.

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