Kitabı oku: «Broken Hearted», sayfa 2
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Matt
»Ist heute der Tag der Griesgrämigkeit?« Matt knallte das Telefon auf den Tisch und knurrte unzufrieden. Sein Bauleiter hatte ihn soeben übelgelaunt darüber informiert, dass sich der Ausbau der Berghütte verzögerte. Dabei hatte Matt die Wiedereröffnung für den Herbst geplant, zur Hochsaison der Wandertouristen. Während Plansprings sich dank seines Mountain Ski Resorts zu einem Geheimtipp für Winterurlauber gemausert hatte, schwächelten die Übernachtungszahlen in den übrigen Monaten. Plansprings hatte den Anschluss verpasst, die Unterkünfte im Ort waren in die Jahre gekommen und die Angebote entsprachen nicht mehr den modernen Anforderungen. Längst reichte es nicht mehr, unberührte Natur und ein paar Wanderwege zu bieten. Die heutigen Gäste suchten neue Anreize: Erlebnispfade, Klettersteige, Trails für Jogging und Mountainbiking. Nachdem er das Resort in den vergangenen Jahren in Rekordzeit und dank großzügiger finanzieller Unterstützung durch seinen besten Freund und Investor Noel zu einem erfolgreichen Betrieb geformt hatte, wollte er sich jetzt vermehrt dem Umfeld widmen.
»Falls heute der Tag der Griesgrämigkeit sein sollte, fügst du dich mit deiner Laune jedenfalls mühelos ein.« Cadie sah von einigen Unterlagen auf, die sie abheftete. »Vermisst du Sandra schon, kaum dass sie ein paar Stunden weg ist?«
»Ich glaube nicht, dass es daran liegt.« Er hatte heute Morgen noch einmal ausgiebigen Sex mit Sandra gehabt, bevor sie mit Noel nach Denver gefahren war. Freitagabend würde sie dann ebenfalls mit Noel wieder nach Plansprings zurückkehren. In den dazwischen liegenden Tagen türmte sich die Arbeit und ließ ihm kaum Zeit, seine Freundin zu vermissen. Cadies wehmütiges Gesicht verriet ihm, dass sie das nicht verstehen würde. Noel arbeitete ebenfalls in Denver und Matt wusste, dass es Cadie jedes Mal schwerfiel, ihn montagmorgens für vier Tage zu verabschieden. Noel fehlte ihr, kaum dass er in seine Limousine gestiegen war. Er unterdrückte ein Schmunzeln. Frauen waren in solchen Dingen eben emotionaler.
»Dann liegt es wohl doch am Tag.« Cadie klappte den Ordner auf ihrem Schoß zu. »Brenda war auch mürrisch, als ich sie in der Mittagspause besucht habe. Dabei ist es heute so schön.« Sie stand auf und ging zum Fenster. »Hoffentlich hält das Wetter.« Plötzlich schlug sie sich mit der Hand vor die Stirn. »Mist! Ich habe vorhin vergessen, Brenda wegen des Kuchens zu fragen!«
»Das wird aber langsam Zeit.« Matt lachte leise. »Bis zu Noels Geburtstag sind es noch fünf Tage.«
»Ich wollte schon längst alles geklärt haben.« Cadie verzog gequält das Gesicht. »Der Hausbau hält uns in Atem, ständig vergesse ich die anderen Dinge. Mit der Küche habe ich das übrige Essen bereits abgesprochen, aber Brenda hat mich so kurz angebunden abgefertigt, dass ich sie wegen des Kuchens nicht mehr fragen konnte.«
»Brenda verhält sich in der Tat eigenartig.« Matt fuhr sich durch die Haare. »Ich wollte auf der Party mit ihr reden, aber sie hat mich auflaufen lassen und ist dann verschwunden.« Er schüttelte ratlos den Kopf. »Weißt du was – ich fahre runter und spreche mit ihr wegen des Kuchens. Dabei kann ich ihr noch einmal auf den Zahn fühlen.«
Mit einem Mal hatte er es eilig, aus dem Büro zu kommen. Er sah noch Cadies Schmunzeln, dann griff er sich die Autoschlüssel und machte sich auf den Weg in den Ort. Die Aussicht auf ein Stück Kuchen bei Brenda trieb ihn geradezu den Berg hinunter.
Der Parkplatz neben dem ›Plansprings Inn‹ war verwaist, wie so oft in den vergangenen Monaten. Nur Hanks alter Ford stand in einer Ecke. Dicht an einem Gebüsch geparkt, als wollte er genügend Platz lassen für die Gäste, die doch ohnehin nicht kamen. Es gab Matt einen Stich, wenn er daran dachte, wie lebhaft es hier noch vor wenigen Jahren zugegangen war. Einheimische, vor allem die Arbeiter aus dem Sägewerk, und Urlauber hatten hier manchmal Schlange gestanden, um an einem sonnigen Tag einen der begehrten Tische auf der Terrasse zu bekommen. Jetzt war das Sägewerk bis auf einen kleinen Bereich geschlossen und die Urlauber bevorzugten die elegante Terrasse oben im Resort. So sehr er sich über die Beliebtheit seines Hotels freute – dass er ausgerechnet Brenda und Hank damit schadete, tat ihm in der Seele weh.
Er betrat das ›Inn‹. Mit einem Blick erfasste er, was er ohnehin erwartet hatte: Auch hier herrschte gähnende Leere. Hank polierte Gläser an der Bar, Brenda war nicht zu sehen.
»Matthew«, grüßte der ältere Mann. »Welch seltener Besuch. Was kann ich für dich tun?«
»Hallo Hank.« Matt lächelte. »Wenn du nicht unter die Bäcker gegangen bist, kannst du mir nicht weiterhelfen. Ich wollte zu Brenda, ist sie da?«
Hank nickte. »Hinten. Warte, ich sage ihr Bescheid.«
Wenig später tauchte Brenda mit erhitztem Gesicht und einer steilen Falte auf der Stirn auf. Eine Mehlspur zog sich von der Schläfe über die Wange. Matt streckte die Hand aus, um sie abzuwischen, hielt aber im letzten Augenblick inne. Was tat er da? Diese Geste konnte leicht missverstanden werden. Rasch zog er die Hand zurück. »Man sieht, dass du gerade backst«, sagte er stattdessen grinsend und zeichnete in seinem eigenen Gesicht den Verlauf der Mehlspur nach.
Hastig wischte sich Brenda mit dem Ärmel über die Wangen. Die Furche oberhalb der Nasenwurzel blieb. »Mein Onkel sagt, du wolltest mich sprechen?«
»Ja. Hast du einen Moment Zeit?«
Brenda zuckte mit den Achseln. »Ist ja nicht so, dass uns die Leute hier die Bude einrennen.« Sie ging zur Theke und fragte über die Schulter: »Auch einen Kaffee?«
»Gern. Und wenn du hast, auch ein Stück Kuchen. Darauf freue ich mich schon die ganze Zeit.« Endlich schlich sich die Andeutung eines Lächelns in Brendas Gesicht. Sie verschwand in der Küche und kam mit einem großen Gebäckstück auf einem Teller zurück, den sie vor Matt abstellte.
»Dann bist du jetzt mein Versuchskaninchen. Eine neue Kreation, probiere mal.«
Sie brachte zwei Tassen Kaffee, dann setzte sie sich zu Matt an den Tisch und beobachtete mit gespannter Miene, wie er an dem Teilchen roch und dann vorsichtig abbiss.
Eine Geschmacksexplosion setzte ein. Genussvoll verdrehte er die Augen und nahm sofort einen zweiten, größeren Bissen. »Brenda, das ist göttlich.« Er kaute lange und schmeckte den Aromen nach. »Optisch eine Nussschnitte, darauf eine hauchdünne Schicht Karamell. Aber da ist etwas Überraschendes bei, ich komme nicht drauf. Eine latent salzige Note.«
»Richtig.« Brenda freute sich sichtlich über die Aufmerksamkeit, die er dem Gebäck widmete. »Der Karamell ist leicht gesalzen und im Boden ist Erdnussbutter.«
»Das ist großartig.« Er nahm einen weiteren Bissen. »Du solltest das größer aufziehen. Dann rennen dir die Leute doch die Bude ein.« Er hatte den Satz noch nicht beendet, da wusste er, dass er einen Fehler gemacht hatte.
Brendas Miene verdunkelte sich augenblicklich. »Wolltest du etwas Bestimmtes von mir? Ich muss wieder nach hinten.«
Sie stand schon, als er nach ihrem Handgelenk griff und sie festhielt. »Ja, ich wollte etwas Bestimmtes. Ich wollte mit dir über Noels Geburtstag reden.« Er legte den Kopf schräg und sah sie eindringlich an. »Wann genau hat das eigentlich angefangen, dass du ständig vor mir wegläufst?«
»Ich laufe nicht ständig vor dir weg.«
Er sah sie weiterhin ruhig an. Die Wirkung war verblüffend. Wie ein Luftballon, aus dem die Luft entwich, fiel sie in sich zusammen und glitt wieder auf ihren Stuhl.
»Ich kann nur einfach nicht …« Sie fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht und hinterließ einen neuen Streifen Mehl. Ihr gezwungenes Lächeln erreichte ihre Augen nicht. »Was ist mit Noels Geburtstag?«
›Was ist mit dir?‹, wollte er entgegnen, doch er begriff instinktiv, dass sie jetzt nicht reden würde. Also lächelte er zurück, und begann, mit Brenda die Details von Noels Geburtstagskuchen zu besprechen. Die ganze Zeit über blieb jedoch das Gefühl, dass Brenda nicht bei der Sache war und als er sich verabschiedete, wirkte sie regelrecht erleichtert. Grimmig stapfte er über den Parkplatz zu seinem Landcruiser. Viel länger würde er nicht mit ansehen, wie seine immer gutgelaunte Freundin mit Trauermiene herumlief.
5
Brenda
Sie blickte Matt hinterher und der Gedanke, alles hinzuwerfen, erschien ihr plötzlich verlockend wie nie zuvor. Begegnungen wie diese zerrten zusätzlich an ihren Kräften. Matt hatte sich – wohl mit Rücksicht auf Noels Geburtstagsplanung – zurückgehalten. Sie hatte gespürt, wie es ihn drängte, sie auszufragen. Natürlich merkten ihre Freunde, dass etwas nicht stimmte. Wie sollten sie auch nicht? Sie war mit Cadie und Matt befreundet, solange sie denken konnte.
Aber diese Probleme musste sie selbst lösen. Zum ersten Mal in ihrem Leben würde sie sich ihren Freunden nicht anvertrauen können. Matt hatte längst erkannt, dass sein Hotel Gäste bei ihr abzog. Das wusste sie von Cadie, die ihr auch gesagt hatte, dass Matt sich deshalb Vorwürfe machte. Solange nicht alles verloren war, würde sie also schweigen. Es wäre niemandem damit geholfen, wenn er sich am Ende auch noch schlecht fühlte, wegen einer Sache, die er ohnehin nicht ändern konnte. Matt zu verletzen, käme ihr niemals in den Sinn, selbst wenn sein Hotel die Wurzel ihres Übels war. Dafür mochte sie ihn viel zu gern. Sollte sie sich irgendwann einmal ernsthaft verlieben, konnte sie nur hoffen, an einen Mann wie Matthew Miller zu geraten: intelligent, humorvoll und ausgesprochen attraktiv.
Sie stellte sich unwillkürlich sein breites Grinsen vor, wenn er ihre Gedanken jetzt lesen könnte, und sofort verbesserte sich ihre Laune. Er würde ihren Zopf um seine Hand wickeln, daran ziehen und ihr mit todernster Stimme und einem Augenzwinkern zuraunen: »Einen wie mich findest du ohnehin kein zweites Mal.«
Brenda würde in sein anschließendes Gelächter mit einstimmen und sich klammheimlich fragen, ob er am Ende recht behalten sollte: War sie deshalb nie in einer längeren Beziehung, weil sie jeden Mann mit Matt verglich? Vehement schüttelte sie den Kopf. Wäre Matthew tatsächlich ihr Traumtyp gewesen, hätte sie ausreichend Zeit gehabt, sich in ihn zu verlieben.
Um sich von diesen albernen Gedanken abzulenken, vertiefte sie sich in die Sammlung an Backrezepten, die von ihrer Großmutter stammte. Als sie die Unterlagen für den bevorstehenden Banktermin zusammengesucht hatte, war ihr der Ordner in die Hände gefallen und seitdem schmökerte sie mit Begeisterung in den Aufzeichnungen und ließ sich inspirieren. Für Noels Geburtstagsparty brauchte sie einen Kuchen, der einerseits raffiniert, andererseits leicht zu transportieren war. Eine opulente Torte schied von vornherein aus. Die würde sie niemals unbeschadet auf den Berg bekommen.
Als Hank später in die kleine Kammer trat, die Umkleide, Abstellraum und Büro war, fand er Brenda noch immer über die Rezepte gebeugt vor.
»Möchtest du nicht auch Feierabend machen?«, fragte er. »Heute war wenig zu tun, da kommt es nicht darauf an, eine halbe Stunde eher zu schließen.«
Nichts an seiner Stimme verriet, ob ihm der immer offensichtlichere Gästeschwund genauso zu schaffen machte wie ihr, aber als sie den Kopf hob und ihren Onkel ansah, leuchteten seine Augen nicht so wie sonst.
»Geh ruhig schon.« Sie lächelte ihm fröhlicher zu, als ihr zumute war. Sie wartete nur darauf, dass sie allein im ›Inn‹ war, aber das konnte sie ihm unmöglich sagen.
»Du bist ein gutes Mädchen«, sagte er und sein Blick trübte sich noch weiter ein. Brenda brach es das Herz. Er legte so viel Hoffnung in sie und wurde nicht müde zu beteuern, dass er niemandem das ›Plansprings Inn‹ lieber anvertrauen würde als ihr. Sie musste morgen unbedingt erfolgreich sein!
Kaum war die Tür hinter Hank ins Schloss gefallen, schob sie die Rezepte zur Seite und holte einen anderen Ordner hervor. Der enthielt die traurige Wahrheit über das ›Plansprings Inn‹, aber auch ihre gesamte Hoffnung. Wochenlang hatte sie über den Zahlen gebrütet, hatte kalkuliert, analysiert, Angebote eingeholt und nun hielt sie etwas in Händen, das einem professionellen Businessplan nahekam. Er sollte reichen, um der Bank klarzumachen, dass es sich lohnte, in das ›Inn‹ zu investieren. Er musste reichen.
Denn eines hatten ihr die Zahlen unmissverständlich vor Augen geführt: Ohne den Kredit war es nur noch eine Frage von Wochen, bis sie ihre Lieferanten nicht mehr bezahlen konnten und endgültig dichtmachen mussten.
6
Matt
Matt sah Cadie entgegen, die sich mit einem beladenen Teller in der Hand zwischen den Tischen zu ihm hindurchschob. Der Tag versprach einmal mehr, sonnig und warm zu werden, und entsprechend früh drängten die Gäste in den Frühstücksraum.
Bis zur Fertigstellung ihres Hauses wohnten Cadie und Noel in einem hübschen Chalet des Resorts und an den Tagen, an denen Sandra und Noel in Denver waren, frühstückten Matt und Cadie zusammen. Das würde ihm fehlen, wenn Cadie in das neue Haus zog, wurde ihm plötzlich bewusst. Er bezweifelte, mit derartigen Vorlieben bei Sandra auf Verständnis zu stoßen. Sie mochte zwar exquisite Dinner, beschränkte sich morgens jedoch auf einen schnellen Kaffee.
»Was schaust du denn so drein, als läge die Last der Welt auf deinen Schultern?«, begrüßte Cadie ihn lächelnd. »Oder ist heute ein weiterer Griesgram-Tag? Davon stand nichts in meinem Kalender.« Mit einem dankbaren Nicken nahm sie den Milchkaffee entgegen, der unaufgefordert serviert wurde, sobald sie sich gesetzt hatte.
Matt gab ein Zeichen, dass er auch noch einen Kaffee wollte, und wandte sich Cadie zu. »Keine trüben Gedanken mehr, versprochen.« Er beobachtete, wie Cadie genießerisch ihr Glas Orangensaft leerte. Sie lebte nun schon seit einigen Monaten mit Noel im Resort und freute sich noch immer über die kleinen Luxusmomente, wie sie es nannte. Er wünschte ihr, dass sie diese Fähigkeit niemals verlor. Automatisch verglich er ihr Verhalten mit Sandras, die sich kürzlich minutenlang darüber aufgeregt hatte, dass man ihr versehentlich Orangensaft mit Fruchtfleisch serviert hatte, obwohl sie diese Fäden im Mund nicht ausstehen konnte, wie nun jeder wusste, der das Pech hatte, diesen Moment mitzuerleben.
»Ich war gestern bei Brenda«, informierte er Cadie und lief Gefahr, doch wieder sorgenvoll das Gesicht zu verziehen, obwohl er eben erst den heutigen Verzicht auf Trübsal erklärt hatte.
»Und?« Cadie biss in ein Butterhörnchen und sah Matt über den Tisch hinweg gespannt an.
»Wie immer in letzter Zeit.« Matt zuckte mit den Schultern. »Distanziert. Verschlossen. Irgendetwas bedrückt sie, aber sie rückt nicht mit der Sprache heraus.«
»Ist zwischen euch etwas vorgefallen?«
Cadies Frage traf Matt nicht ganz unvorbereitet. Nach Brendas merkwürdiger Reaktion auf der Party hatte er sich das in der Tat auch schon gefragt. »Mir fällt nichts ein. Hat sie dir gegenüber etwas erwähnt?«
»Nein, war nur ein Gedanke.« Cadie zupfte an ihrer Serviette herum. »Ich zerbreche mir auch schon seit längerem den Kopf, was mit ihr los ist. Mir weicht sie ebenfalls aus.«
»Meinst du, es könnte mit dem ›Inn‹ zu tun haben?« Matt nahm den frischen Kaffee entgegen und reichte der Bedienung seine leere Tasse über den Tisch. »Ich habe den Eindruck, der Laden läuft immer schlechter. Gestern war nicht ein einziger Gast da.«
»Früher sind die Urlauber, die unten im Ort ihr Quartier hatten, nach der Wanderung bei ihr eingekehrt. Heute machen sie hier oben Pause.«
»Mit unserer Terrasse kann die des ›Inn‹ einfach nicht mithalten.« Automatisch wanderte sein Blick nach draußen. Seit dem Ausbau im vergangenen Frühjahr war der Außenbereich zu einem wahren Besuchermagneten geworden. Edle Holzmöbel, farbenfrohe Sitzkissen, für kühlere Tage bunte Decken. Die gläserne Umrandung erlaubte die ungehinderte Sicht ins Tal und hinüber zu den gegenüberliegenden Gipfeln. Die eleganten schiefergrauen Fliesen waren mit einer Klarlackschicht überzogen, die im Sonnenlicht sanft glänzte. Nein, damit konnte sich das kleine Dinercafé wahrlich nicht messen. Die Aussicht dort war ebenbürtig, doch die verblichenen Plastikmöbel und der rissige Betonboden hätten schon vor Jahren erneuert werden müssen.
»Ob wir sie direkt darauf ansprechen?«, überlegte Cadie laut. »Von sich aus würde sie nie um Hilfe bitten. Aber wir können doch nicht zulassen, dass ihr Traum stirbt. Ich habe Management studiert, ich könnte mir die Bücher ansehen.«
»Ich fürchte, damit ist es nicht getan.« Matt fuhr sich durch die Haare. »Der Laden braucht ein neues Konzept und eine gründliche Renovierung. Das bedeutet vor allem eine Finanzspritze. Ich würde sie mit Freuden unterstützen, aber du weißt ja, wie sie ist.« Er schüttelte mit einem Anflug von Resignation den Kopf. »Das ›Plansprings Inn‹ ist so wichtig für den Ort. Weißt du, dass Hank behauptet, das Diner hätte es eher gegeben als den Ort und Plansprings sei erst später um das Lokal herum entstanden?« Er lachte, doch der Laut geriet wenig fröhlich. »Nicht vorstellbar, wenn es das ›Inn‹ nicht mehr gäbe.«
»Es wäre vor allem für die Familie Callen ein harter Schlag. Brenda hat nie etwas anderes gewollt, als den Betrieb zu übernehmen.«
»Ich weiß.« Matt nickte. »Sie ist nicht einmal auf das College gegangen, weil sie damals schon dort mitgearbeitet hat.«
»Dafür hat sie dann abends Kurse besucht. Buchführung, Gastronomie und Tourismus. Sie hat geschuftet wie ein Pferd«, ergänzte Cadie. »Wenn es wirklich so schlecht um das ›Inn‹ stehen sollte, wäre es kein Wunder, dass sie bedrückt ist.«
»Wir werden es herausfinden«, erklärte Matt entschlossen. »Vielleicht ergibt sich auf der Wanderung am Samstag eine Möglichkeit, mit ihr zu sprechen.« Im selben Augenblick fragte er sich, wie Sandra wohl reagieren würde, wenn er seine Zeit mit Brenda verbrachte.
Cadie schien in eine ähnliche Richtung zu denken. »Besser nächste Woche in Ruhe.«
»Dann schnappe ich sie mir und lasse erst wieder locker, wenn ich weiß, was los ist.«
7
Brenda
Hanks alter Ford, den Brenda inzwischen häufiger fuhr als ihr Onkel, klang ähnlich wie die riesigen Mähmaschinen, die in Kürze mit dem ersten Schnitt auf den Bergwiesen beginnen würden. Stotternd und laut kam der Wagen in Gang und Brenda nahm sich vor, nicht allzu nah bei der Bank zu parken. Der Termin bei der Vail Money Trust Bank war zu wichtig, um einen schlechten ersten Eindruck aufgrund des schäbigen Fahrzeugs zu riskieren.
Viel zu früh traf sie in Vail ein, fand ohne Probleme einen Parkplatz und atmete einmal durch.
Dann stieg sie aus und holte die Sachen von der Rückbank, die sie dort am Vorabend deponiert hatte. Sie zog den Pullover aus und strich die Bluse glatt, die sie darunter trug. Dann schlüpfte sie in den neuen Blazer, den sie sich extra für diesen Termin gekauft hatte, ebenso wie die Aktentasche. Die Pumps, die ihren Aufzug der dynamischen Jungunternehmerin komplettierten, hatte sie noch von der Hochzeit einer Cousine gehabt. Ihre Haare hatte sie zu einem strengen Knoten geschlungen. Sie straffte die Schultern, reckte das Kinn vor und betrachtete sich in der Reflexion des Autofensters. Ja, so würde es gehen. Ein nervöses Kichern entschlüpfte ihr. Sie kam sich verkleidet vor. Wenn sie jemand aus Plansprings so sähe! Deshalb hatte sie sich auch erst in Vail umgezogen. Wie hätte sie Hank erklären sollen, wohin sie so aufgedonnert fuhr? Sollte sie das bittere Ende nicht abwenden können, wäre es immer noch früh genug, ihm reinen Wein einzuschenken.
Mit der Aktentasche unter dem Arm machte sie sich auf den Weg. Im Geiste ging sie ein letztes Mal ihren kleinen Vortrag durch, den sie einstudiert hatte. Sie beherrschte ihn perfekt, dennoch konnte sie nicht verhindern, dass ihre Handflächen einen schwitzigen Abdruck am kühlen Türgriff hinterließen, als sie die Bank betrat. Unauffällig wischte sie die Hände an der Hose ab und sah sich um. Es herrschte die typische ruhige Geschäftigkeit eines Geldinstituts. Gedämpfte Stimmen drangen aus Büros, Tastaturen klapperten. Ein Schalter war besetzt. Brenda wandte sich mit einem Lächeln dorthin, trug ihr Anliegen vor und wurde nach kurzer Rücksprache in den hinteren Bereich geführt.
›Nevin Abbit‹ stand auf dem Schild neben der Bürotür, vor der sie nun zum Stehen kamen. Der Mitarbeiter, der sie begleitet hatte, klopfte, öffnete die Tür und lud sie mit einer Geste ein, den Raum zu betreten. Brenda atmete noch einmal durch. Einen Moment später stand sie mit einem hoffentlich einnehmenden Lächeln vor dem derzeit wichtigsten Mann ihres Lebens. Sie fürchtete sofort, den Weg vergebens auf sich genommen zu haben. Selten war ihr ein Mensch auf den ersten Blick so unsympathisch gewesen. Das konnte nicht gut ausgehen. Dennoch zwang sie sich, ihr strahlendes Lächeln beizubehalten und dem Gespräch positiv entgegenzusehen. Schließlich wollte sie den Mann nicht heiraten, sondern nur sein Geld. Das klang seltsam. Das hysterische Kichern vom Parkplatz stieg erneut in ihrer Kehle auf. Sie schluckte es herunter.
Nevin Abbit trat auf sie zu. Sein Lächeln zeigte eine Reihe weißer Zähne. Ein Zahnpastalächeln. Zu künstlich, um sympathisch zu wirken. Helle, teigige Haut zeugte von langen Tagen am Schreibtisch. Auch die blauen Augen wirkten seltsam farblos, ebenso wie das hellblonde, bereits schüttere Haar. Er war höchstens Mitte dreißig, aber er verblasste in dieser Bank.
Nevin Abbit deutete auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch und hielt ihre Hand zur Begrüßung fest, bis Brenda Platz genommen hatte. Sie hasste derlei kleine Übergriffigkeiten. Im ›Plansprings Inn‹ hatte sie sich ein dickes Fell zulegen müssen, was diese Dinge anging. Nur deshalb lächelte sie stoisch weiter.
»Nun, Miss Callen, Sie hatten am Telefon bereits umrissen, dass es um ein Darlehen für die Modernisierung eines – ja, was ist es eigentlich? Ein Restaurant? Ein Diner? Ein Café?« Der Banker runzelte die Stirn und Brenda sah ihren ersten Eindruck bestätigt. Er stand ihrem Ansinnen nicht positiv gegenüber. Aber so leicht würde sie nicht aufgeben.
»Es lässt sich nicht einordnen.« Ihre Stimme war fest, der Ton so, wie sie ihn wollte. Selbstbewusst, freundlich, souverän. »Da es die einzige Gaststätte am Ort ist, erfüllt es vielfältige Aufgaben und ist zudem der Treffpunkt von Einheimischen und Gästen.« Das klang gut, fand sie, und die innere Anspannung ließ nach.
Mit einem einzigen Kopfschütteln machte ihr Gegenüber alles zunichte.
»Soviel ich gehört habe, können Sie auf die Urlauber nicht mehr setzen.« Er lächelte gönnerhaft. »Das Resort von Mister Miller ist außerordentlich erfolgreich. Es ist bewundernswert, was er in den wenigen Jahren aus diesem einfachen Gasthaus gemacht hat.« Abbit deutete auf die Aktentasche, die Brenda inzwischen wie einen Schutzschild umklammerte. »Haben Sie einen Plan, der mindestens ebenso viel Potenzial hat?« Seine Stimme verriet erhebliche Zweifel.
Jetzt kam es darauf an. Sie nestelte am Verschluss der Tasche herum.
»Nicht so!«
Sein barscher Tonfall ließ sie innehalten.
»Tragen Sie mir Ihre Ideen mündlich vor«, wies er sie an. »Bevor ich bereit bin, mir die Unterlagen anzusehen, muss ich überzeugt sein, dass es sich für mich lohnt, meine kostbare Zeit zu opfern.« Er lehnte sich in seinem Bürosessel zurück und nickte ihr zu. »Also los, überzeugen Sie mich.«
Unmerklich hatte er seine Haltung verändert. Je unsicherer Brenda wurde, desto selbstbewusster wurde er. Er genoss sichtlich die Macht, die ihm diese Situation verlieh. Er wusste, dass es um ihre Existenz ging. Es ging vermutlich meist darum, wenn man hier bei ihm landete. Die kleine Bank verlangte höhere Zinsen, stand dafür aber im Ruf, risikofreudiger zu sein als große Bankhäuser. Offenbar nicht risikofreudig genug, wie Nevin Abbits Miene verriet, während Brenda nicht nur von der Renovierung sprach, sondern vor allem auch von ihren Plänen, auf selbstgemachte Backwaren zu setzen. Sie hatte sich intensiv mit den Profimaschinen auseinandergesetzt und ihr war schwindelig geworden von den horrenden Beträgen, die Dinge wie Etagenöfen, Zutatenstationen, Rührgeräte und Spezialkocher sogar gebraucht noch kosten sollten. Selbst wenn sie sich auf das Notwendigste beschränkte, wäre sie schnell im fünfstelligen Bereich. Dazu die dringend nötige Instandsetzung der heruntergekommenen Terrasse und das neue Mobiliar. Alles, was sich zu Hause noch so plausibel und durchdacht angehört hatte, klang plötzlich selbst in ihren Ohren dürftig. Sie musste nur in die Augen von Nevin Abbit blicken, um ihre Angst bestätigt zu sehen. Von ihm würde sie kein Geld erhalten.
Prompt hob er Einhalt gebietend die Hand. »Danke, Miss Callen. Doch leider war nichts dabei, was mich überzeugt hat.« Er nahm einen Kuli und ließ ihn spielerisch durch seine Finger wandern. Kühl ruhte sein Blick auf ihr. »Sehen Sie der Tatsache ins Gesicht – Plansprings ist nicht groß genug, um ausreichend Gäste für das Resort und ihren kleinen Betrieb zu bieten. Es tut mir leid.« Er legte den Kugelschreiber zurück auf den Schreibtisch und erhob sich.
Aus. Das war es also. Ein Zahnpastalächeln besiegelte das Ende des ›Plansprings Inn‹. Tränen brannten in Brendas Augen, doch die würde sie hier nicht weinen. Nicht vor diesem Kerl, der sie mit seinen wässrigen Iriden mitleidlos ansah. Mit einer wütenden Bewegung fuhr sie sich durch die Haare, allerdings vergaß sie dabei den ungewohnten Knoten im Nacken. Die Hand verhedderte sich und eine dicke, rotblonde Strähne fiel ihr ins Gesicht. Großartig, jetzt hatte sie nicht einmal mehr eine Frisur. Ein würdevoller Abgang sah anders aus.
Da nun ohnehin alles egal war, griff sie in ihren Nacken, löste die Klammern und das Haargummi und schüttelte ihre Haare auf.
Als sie den Kopf zu Nevin Abbit drehte, bot sich ihr ein seltsames Bild. Der Banker war hinter seinem Schreibtisch hervorgetreten und starrte sie mit offenem Mund an. Rasch hatte er sich wieder unter Kontrolle, doch das unverhohlene Interesse in seinem Blick blieb. Er trat auf Brenda zu und sie konnte es kaum glauben, als er die Hand hob. Er würde doch nicht in die jetzt weich fallenden Wellen greifen wollen?
Genau dies schien er unbewusst im Sinn zu haben, doch kurz bevor seine Finger nah genug waren, begriff er offenbar selbst, was er da tat. Seine Hand kam stattdessen auf ihrem Oberarm zu liegen und er sah ihr tief in die Augen.
»Vielleicht sollte ich mir Ihren Plan doch genauer erläutern lassen?«, erklärte er mit einem Augenzwinkern. »Bei einem Abendessen. Wie klingt das?«
Brenda traute ihren Ohren kaum. Sie musste sich zwingen, ihn nicht mit offenem Mund anzustarren, und schluckte. Seine Hand auf ihrem Arm war schon fast mehr, als sie ertrug. Sein Blick ließ sie erschauern. Obwohl seine Miene wohl freundlich wirken sollte, fand sie keine Wärme darin. Die Vorstellung, dass er sie einen Abend lang anstierte, jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Sie war doch nicht käuflich! Es musste einen anderen Weg geben, ihren Betrieb zu retten, ohne dass dieser nichtssagende Mann ihr ein Date aufzwang.
»Mister Abbit«, begann sie zurückhaltend.
»Nevin, bitte.«
»Nevin, ich fühle mich geschmeichelt, aber unter der Woche hält mich das ›Plansprings Inn‹ auf Trab und am Wochenende habe ich schon etwas vor.«
Ihr Gegenüber zeigte mit keiner Regung, ob ihn die Zurückweisung kränkte. Im Gegenteil: Mit der Sicherheit eines Mannes, der sich kurz vor dem Ziel wähnte, griff er an Brenda vorbei zum Schreibtisch und überreichte ihr mit einer galanten Bewegung eine Visitenkarte.
»Bitte, Brenda. Wenn du mich doch noch für dein Projekt begeistern möchtest, ruf mich an. Ich würde mich freuen, mit dir einen Abend verbringen zu dürfen.« Er deutete eine kleine Verbeugung an, ging voran und öffnete die Tür. Sie war entlassen. Ohne Kredit. Ohne Idee, wie es weitergehen sollte. Aber wenigstens auch ohne Zwangsdate.