Kitabı oku: «Take Me Home», sayfa 4

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6. Kapitel

»Das ist dämlich«, informierte Gray seine Tante, während sie seinen Arm umklammert hielt. Er war genervt von all dem Trubel, der um ihn gemacht wurde. »Ich gehe einfach raus und lasse sie ihre Fotos schießen. Die langweilen sich in kürzester Zeit.« Er machte einen Schritt nach vorn, doch Gina ließ nicht von ihm ab. Es wäre eine Leichtigkeit für ihn, sich von ihr loszulösen, aber er wollte ihr auf keinen Fall wehtun.

»Bleib hier«, forderte sie bestimmt. »Reverend Maitland kümmert sich darum.«

»Es wäre für jeden einfacher, wenn ich das erledige. Ich will nicht, dass irgendjemand verletzt wird.« Er sah die Schlagzeilen schon vor sich. Und letztendlich war er erwachsen und in der Lage, auf sich selbst Acht zu geben.

»Reverend Maitland kommt zurück«, meinte die Frau, die neben ihnen stand. »Er wirkt nicht besonders glücklich.«

»Ist alles in Ordnung?«, erkundigte sich Tante Gina, als der Reverend auf sie zukam. »Ist die Menge fort?«

Sie lockerte ihren Griff, und Gray nutzte die Gelegenheit, um seinen Arm wegzuziehen. »Das alles tut mir leid«, entschuldigte er sich bei dem Geistlichen. »Ich rede mit den Kids und bitte sie, zu gehen. So kann jeder mit seinem Tag weitermachen.«

»Das würde ich Ihnen wirklich nicht raten.« Reverend Maitlands Wangen glühten rosa. »Sie sind ein bisschen zu ... aufgeregt. Mr Hartson, ich möchte, dass Sie zur Hintertür gehen, die zwischen der Kanzel und der Orgel liegt. Dort wird jemand auf Sie warten und Ihnen hier raushelfen.«

Grays Blick huschte zur Tür und kehrte dann zum Reverend zurück. »Die Hintertür?«, wiederholte er. »Sie wollen, dass ich abhaue? Die paar Kids machen mir doch keine Angst, ich komme schon klar.« Die Sache wurde langsam verrückt. Das hier war Hartson’s Creek, nicht Hollywood.

»Das mag schon sein, aber ich mache mir um die Mädchen da draußen Sorgen. Es ist sicherer, wenn Sie sich in Luft auflösen.«

»Er hat recht, Gray«, stimmte Tante Gina ein. »Es ist einfacher, wenn du die Hintertür nimmst.«

»Das ist zwar Irrsinn, aber gut. Kommst du mit?«

Sie lehnte ab. »Ich würde dich nur aufhalten.«

»Wir kümmern uns um Ihre Tante«, versprach Reverend Maitland. »Sobald Sie fort sind, wird sich die Menge zerstreuen. Und dann kann ich vielleicht endlich frühstücken.«

»Gray! Gray Hartson! Wo bist du?«, brüllte jemand.

»Sie sollten los«, drängte Reverend Maitland.

Gray war schon früher aus Gebäuden geschmuggelt worden – mit gesenktem Kopf und umringt von seinen Bodyguards, bis er von einem wartenden Wagen weggefahren wurde. Doch er hatte noch nie aus einer Kirche flüchten müssen. Wenn er ehrlich mit sich war, fühlte es sich ein wenig entmannend an.

Kopfschüttelnd drückte er seiner Tante einen Kuss auf die Wange. »Wir sehen uns zu Hause, okay?«

Sie nickte, und er folgte Reverend Maitlands Anweisungen. Er lief der Tür entgegen, riss sie auf und trat hindurch. Einen Schritt später krachte er in etwas Weiches und Warmes und ... Scheiße ... Hatte er jemanden umgerannt?

Nein, nicht jemanden. Sie. Schon wieder.

»Cora Jean?«, fragte er, als sie gegen die Kleiderstange an der Seite des kleinen Zimmers stolperte. »Habe ich dir wehgetan?«

»Nein. Mir geht’s gut.« Kopfschüttelnd rückte sie die Roben gerade, die an der Stange baumelten. »Wir müssen dich hier rausholen. Folge mir.«

»Folge dir?« Er zog die Brauen zusammen. »Wo gehen wir hin? Ins Diner?«

Sie grinste ihn an, und er spürte, wie sich seine eigenen Lippen zur Antwort kräuselten. Über engen Jeans und einem einfachen Tanktop trug sie immer noch ihre Murphy’s Diner-Schürze. Obwohl sie ihren Körper bedeckte, war es unmöglich, die darunterliegenden Kurven zu ignorieren. Sie leckte sich über die Lippen, und er versuchte, sie nicht anzustarren. Ehrlich jetzt?

»Wir gehen nicht ins Diner«, verriet sie, zur Tür auf der anderen Seite des Ankleidezimmers nickend. »Ich hoffe, du gehst regelmäßig ins Fitnessstudio. Wir müssen durch ein paar Hinterhöfe klettern.«

Bei dem ernsthaften Ausdruck auf ihrem Gesicht widerstand Gray gerade so dem Drang zu lächeln. Sie wollte seine Retterin spielen. Welches Recht hatte er, sie zu enttäuschen? Und wenn das bedeutete, mehr Zeit mit ihr zu verbringen, wollte er gerne damit leben.

»Komm schon«, forderte sie ihn auf. Dabei schnappte sie sich seine Hand und zog ihn zum Notausgang am anderen Ende des Raums. Dort drückte sie gegen den Bügel, aber er bewegte sich kein Stück.

»Hier, lass mich«, murmelte Gray und lehnte die Hände dagegen. Mit einem metallischen Seufzen gab der Bügel nach und die Tür öffnete sich zum Kirchenhof.

Gray schaute sich um und erkannte, dass der Hof leer war. Gott sei Dank. »Wohin jetzt?«, wollte er wissen und ließ sich von Cora Jean führen.

»Hier drüben.« Sie zeigte nach rechts. »Wir klettern über den Zaun der Thorsens, dann durch das Loch in der Mauer der Carters. Es wird dich freuen zu hören, dass sich ein Tor zwischen den Carters und den Shortlands befindet«, meinte sie zwinkernd. »Gerüchten zufolge hatte der alte Shortland ein Techtelmechtel mit Mami Carter und das Tor erleichterte ihnen die Sache ein wenig.«

Kleinstädte. Er hatte vergessen, wie sehr sie ihn in den Wahnsinn trieben.

Der erste Zaun war einfach. Gray ging vor, hievte sich mit Leichtigkeit darüber und schwang seinen Körper über den Rand. Dann reichte er Cora Jean eine Hand, die sie ergriff, bevor sie zu ihm hochkletterte. Anschließend ließen sie sich zusammen auf die andere Seite fallen.

»Wo ist das Loch?«, fragte er.

Sie blinzelte. »Es war hier«, antwortete sie auf fünf Ziegelreihen deutend. »Ich bin mir sicher. Gerade groß genug, um sich durchzuschlängeln.«

»Hast du dich oft durchgeschlängelt?«

Sie zog die Unterlippe zwischen die Zähne, und verdammt, was hatte diese Frau an sich? »Als Kind war ich kein besonders großer Kirchenfan«, gestand sie. »Wann immer die Predigt langweilig wurde, habe ich behauptet, ich müsste mal, und bin auf diese Weise für eine Weile entkommen. Ist nie jemandem aufgefallen.«

»Du kommst wirklich in die Hölle«, bemerkte er amüsiert.

»Dahin kommen wir beide, wenn wir hier nicht irgendwie rausfinden.« Sie blickte auf das große Haus am Ende des ausladenden Gartens. »Vielleicht könnten wir an die Hintertür der Thorsens klopfen. Sie werden uns einfach durchlassen.«

Gray schüttelte den Kopf. »Am besten ziehen wir sie da gar nicht erst mit rein. Abgesehen davon, will ich dir dabei zusehen, wie du diese Mauer hochkletterst.«

Als sie ihre Augenbraue hob, hätte er sie am liebsten wieder glattgestrichen. »Du denkst, ich schaffe das nicht?«

»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gemeint, ich würde gern zuschauen.«

»Hm.« Sie lief zu der Garteneinfriedung rüber und musterte sie von oben bis unten, als suchte sie nach dem einfachsten Weg, um sie zu überwinden. Die Mauer überragte jedoch nicht nur Cora Jean, sondern auch ihn. In Anbetracht der Kraft in seinen Armen könnte er sie aber mit Sicherheit überwinden.

Den Kopf zur Seite geneigt, schloss Cora Jean die Hände zu Fäusten, bevor sie die Finger spreizte und mehrmals streckte. Er beobachtete, wie sie auf ihren Fußsohlen nach vorne und hinten wippte, um sich auf den bevorstehenden Sprung vorzubereiten.

»Wünsch mir Glück«, murmelte sie. Die Knie durchdrückend und die Füße fest ins Gras pressend, sprang sie hoch. Ihre Finger streiften die obere Kante der Mauer, ehe sie zurückfiel und rücklinks über das Gras stolperte. Gray machte einen Schritt nach vorn, bis ihr Rücken mit einigem Schwung gegen ihn prallte.

Es war genug, um ihm den Atem zu rauben.

»Uff.« Sie lehnte sich an ihn und ihre Wärme schwappte wie eine Welle durch ihn hindurch. Er musste die Hände zu Fäusten ballen, um sich davon abzuhalten, die Arme um sie zu schlingen und seine Finger in ihre Haut zu drücken.

Cora Jean lehnte den Kopf nach hinten an seine Brust, bis sie seinen Blick auffangen konnte. Er war heiß und intensiv, als könnte sie seine Gedanken lesen. Die Reaktion seines Körpers auf den ihren brachte ihn kurz ins Straucheln. Hätten sie sich zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort befunden, dann ...

»Wer ist da?«, rief eine Stimme aus dem Haus am Ende des Gartens.

Er schaute hoch und entdeckte eine Silhouette auf der Terrasse, die ihre Hände in die Hüften stützte.

»Das ist Della Thorsen«, murmelte Cora Jean.

Gray hob winkend die Hand. »Wollen wir abhauen?«, fragte er leise.

»Geh du. Ich werfe mich Della zu Füßen und flehe um Gnade.«

»Spar dir das Flehen für einen besseren Zeitpunkt.« Seine Stimme klang bei diesen Worten seltsam belegt. »Ich helfe dir über die Mauer.«

»Und wie willst du das bewerkstelligen?«

»So.« Er drehte die Innenflächen seiner verwobenen Hände nach oben und hockte sich vor die Mauer.

Sie seufzte. »Ich bin zu schwer. Ich breche dir noch die Finger.«

»Kein Problem, sie sind versichert.«

Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.

Er grinste. »Hey, ich gehe davon aus, dass du mittlerweile weißt, wer ich bin. Diese Finger sind mein Werkzeug. Wenn ich sie verliere, ist auch ein Haufen Geld weg.«

»Ein guter Grund für mich, nicht auf sie zu treten«, befand Cora Jean. »Und fürs Protokoll: Ich habe immer gewusst, wer du bist. Du hattest eine Mütze auf, keine Maske.«

»Na dann danke, dass du mir keine Sonderbehandlung hast zukommen lassen.«

»Ich habe dich vor den Eiern gewarnt«, zeigte sie auf. »Das finde ich schon besonders.«

»Ich verständige die Polizei!«, drohte Della von der Terrasse aus. »Das hier ist Privatbesitz!«

»Komm schon«, drängte Gray. »Verschwinden wir.«

Mit skeptischer Miene schob sie den Fuß in die Stufe, die er mit seinen Handflächen geformt hatte, und streckte die Arme hoch. Sich aufrichtend, drückte Gray Cora Jean hoch, bis sie die Oberkante der Mauer greifen konnte.

»Was jetzt?«, fragte sie. »Ich glaube nicht, dass ich mich rüberschwingen kann.«

»Halte dich einfach fest. Ich schiebe dich noch mal an.« Diesmal umfing er ihre Hüften. »Gleich«, warnte er sie vor. »Versuch, das Momentum zu nutzen.«

»Ich lasse die Hunde raus«, rief Della Thompson. »Fass, Dodger!«

»Dodger ist siebzehn Jahre alt und inkontinent«, murmelte Cora ihm zu. »Ignorier sie.«

Gray schob die Hände hoch, bis sie direkt unter der Wölbung ihres Hinterns lagen und gab ihr einen weiteren Schubs. Sobald sie durch den Schwung die Beine auf die andere Seite der Mauer bekommen hatte, ließ er los. Im letzten Moment wich er einen Schritt zurück, um einer Kollision mit ihrem Fuß zu entgehen. Dann hatte sie es über die Mauer geschafft. Anlauf nehmend, fasste er nach dem oberen Rand der Steine und zog sich mühelos hinauf, bevor er auf der anderen Seite landete.

»Bei dir sieht das so einfach aus«, murmelte Cora Jean. »Das ist nicht fair.«

Diesmal blieben sie nicht lange genug, um dem Hausbesitzer die Gelegenheit zu geben, ihnen die Hunde auf den Hals zu hetzen. Gray schnappte sich Coras Hand und sie rannten zum Tor auf der anderen Seite des Gartens. Ein Riegel war vorgeschoben und das Schloss rostig, aber mit einem Rütteln bekam er das alte Ding auf und überließ der Dame den Vortritt.

Sobald sie auf der anderen Seite waren, fing Gray an, zu lachen. Nicht nur, weil sich der ganze Morgen völlig absurd gestaltet hatte, sondern auch, weil das Adrenalin, das durch seine Adern pumpte, ihn sich ein wenig high fühlen ließ. Gegen den Zaun lehnend, richtete er den Blick gen Himmel, während die Belustigung in Form von lautem Gelächter aus seiner Brust drang.

»Das ist nicht komisch«, meinte Cora Jean, die so heftig lachte, dass sie ein paar Tränen vergoss. »Stell dir die Schlagzeilen vor: Gray Hartson bei Flucht aus Kirche von Höllenhunden zerfleischt. Das würde man dir nie vergessen.«

»Meinem Pressesprecher gefiele das«, bemerkte er. »Die Platten würden sich wie von selbst verkaufen.«

Eine weitere Träne rollte über ihre Wange. Ohne nachzudenken, streckte er die Hand aus, um sie wegzuwischen. Ihre Wangen leuchteten rosa, und der Anblick stellte irgendetwas mit ihm an.

Irgendetwas verdammt Gutes.

»Du bist wirklich hübsch«, sagte er mit sanfter Stimme und nahm ihren Anblick in sich auf. Hohe Wangenknochen, weiche Lippen, eine Nase, die so gerade war, dass er damit eine Linie hätte ziehen können ... Und diese verdammten Augen, die nicht mehr belustigt wirkten. Stattdessen starrten sie in seine.

Sie stand bloß einen Meter von ihm entfernt, aber die Distanz fühlte sich zu groß an. Mit einem Schritt überbrückte er den Abstand und strich mit dem Finger über ihre Wange zu ihren Lippen hinab, wo er den Bogen ihrer Oberlippe nachzeichnete, während ihr warmer Atem ihn traf.

Gott, sie war so süß und weich. Er legte eine Hand in ihren Nacken und neigte ihren Kopf zu ihm hoch. Dabei sagte sie kein Wort. Ihr Blick war abwägend, als wartete sie darauf, dass er den nächsten Schritt machte. Er beugte sich vor und ihr Atem stockte. Die andere Hand um ihre Taille gelegt, zog Gray ihren Körper an sich. Das Verlangen nach ihr pulsierte wie wild durch ihn hindurch. Begierde ersetzte das Adrenalin in seinem Blutstrom.

Cora blinzelte und er schwor, ihre Wimpern an seiner Haut zu spüren. Ihre Lippen waren bloß einen Atemzug von seinen entfernt, so nah, er konnte die Vorfreude schon auf seiner Zungenspitze schmecken. »Cora«, flüsterte er und senkte den Mund näher an ihren. »Was stellst du nur mit mir an?«

Es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Sie zuckte zurück und kappte die Verbindung zwischen ihnen. Kopfschüttelnd leckte sie sich über die Unterlippe und machte einen Schritt von ihm weg. »Es tut mir leid. Du solltest ab jetzt alleine klarkommen. Ich muss los ...« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.

Nun war Gray an der Reihe zu blinzeln. Was zum Teufel war gerade passiert? In der einen Minute schien es unausweichlich, sie zu küssen. Und in der nächsten? Es war, als hätte ihn jemand mit einem Eimer voll kaltem Wasser übergossen.

Um ihr für ihre Hilfe zu danken, öffnete er den Mund, aber sie rannte bereits ohne einen Blick zurück auf den Stadtplatz zu. Gray beobachtete sie mit einem Seufzen. Diese Frau war höllisch faszinierend. Und falls sie dachte, ihm entkommen zu können, wusste er es besser.

Frühstück im Diner hatte er eben zu seinem neusten Lieblingszeitvertreib erkoren.

7. Kapitel

»Nie im Leben bist du durch fremde Gärten gerannt und über Zäune geklettert«, meinte Tanner kopfschüttelnd, nachdem Gray von seiner Flucht aus der Kirche berichtet hatte.

Gray war seit zwei Stunden zu Hause und Tante Gina hatte ihnen Lunch vorgesetzt. Er und Tanner waren dabei, die Küche sauberzumachen, während sie und Becca seinem Dad Gesellschaft leisteten. »Das erfindest du doch alles.«

»Tu ich nicht. Frag Cora Jean im Diner. Sie ist diejenige, die mir geholfen hat.«

»Cora Jean?« Tanner hob eine dunkle Augenbraue. »Du willst mir weismachen, Cora Jean wäre über eine zwei Meter hohe Wand gesprungen?« Er grinste. »Jetzt weiß ich, dass du lügst.«

»Warum sollte ich lügen?«, wollte Gray verwirrt wissen.

»Weil Cora Jean vierundsiebzig ist. Du erinnerst dich sicher noch an sie. Sie hat uns immer kleine Rabauken geschimpft, wenn wir als Kinder einen Saustall angerichtet haben.« Tanner zog die Stirn kraus. »Komm schon, du musst dich erinnern.«

Gray versuchte, sein Gehirn in Fahrt zu bringen. »Warte ... Meinst du etwa die Streitaxt?«

»Jepp.« Tanner nickte. »Winzige, alte Frau. Trägt ihr weißes Haar zu einem Knoten gebunden.« Er holte Luft. »Und scheinbar talentiert darin, sich über Mauern zu schwingen.«

Gray strich sich mit dem Daumen über die Unterlippe. »Sie war nicht alt«, erklärte er Tanner, dem ein selbstgefälliges Grinsen auf dem Gesicht stand. »Sie kann nicht älter als fünfundzwanzig gewesen sein.« Und ja, sie war jung und hübsch und brachte ihn auf eine Art zum Lachen, die er schon lange nicht mehr verspürt hatte. Er wollte sie so lange küssen, bis es ihnen beiden den Atem geraubt hätte.

»Sie meinte, ihr Name sei Cora Jean?«

»Jepp. Sie arbeitet im Diner.«

»Was soll ich dazu sagen?« Tanner zuckte die Achseln. »Die einzige Person unter fünfzig, die im Diner arbeitet, ist Maddie. Ich bin mir ziemlich sicher, du würdest sie erkennen, immerhin warst du drei Jahre lang mit ihrer Schwester zusammen.«

Grays Mund wurde staubtrocken. »Maddie Clark? Ashs Schwester?«

Tanner lachte. »Die habe ich gemeint.«

Maddie Clark war damals vierzehn Jahre alt gewesen und hatte eine Zahnspange getragen. Um seine Gedanken zu ordnen, schüttelte Gray den Kopf.

»Was ist mit Maddie Clark?«, wollte Becca wissen, als sie mit einem leeren Teller in die Küche kam.

»Gray verwechselt Cora Jean Masters mit Maddie Clark.« Tanners Augen funkelten amüsiert. »Ist ja auch schwer, die beiden auseinanderzuhalten.«

»All der Ruhm scheint ihm zu Gemüte gestiegen zu sein.« Becca verdrehte die Augen. »Tante Gina hat mir erzählt, dass dir Maddie heute den Arsch gerettet hat. Diese Teenager-Gören wollten dich wohl zum Frühstück verspeisen.«

Gray war immer noch dabei, mit diesen neuen Informationen klarzukommen. »Maddie Clark«, wiederholte er. »Ich wusste nicht, dass sie immer noch in der Stadt lebt.«

Becca griff sich ein frisches Küchentuch aus der Lade und half Tanner beim Abtrocknen des Geschirrs, das Gray zum Abtropfen auf die Ablage gestellt hatte. »Sie war eine Weile weg. Ist auf die Ansell gegangen, um Musik zu studieren«, erzählte ihm seine Schwester. »Aber irgendetwas ist passiert und sie ist wieder nach Hause gekommen.«

»Etwas ist passiert?«, wiederholte Gray. Neugier stieg in ihm auf. »Was denn?« Nur die besten wurden in der Ansell aufgenommen. Das Performing Arts College in New York hatte eines der renommiertesten Studienangebote im Land. Niemand würde sich diese Chance einfach so entgehen lassen.

»Ich nehme an, sie ist zurückgekehrt, um sich um ihre Mom zu kümmern.« Becca zuckte mit den Schultern. »Es ist eine Schande. Ich dachte bereits, wir hätten es mit noch einem Star zu tun.« Seine Schwester grinste ihn an. »Hätte deinen großen Kopf vielleicht ein bisschen schrumpfen lassen.«

»Maddie ist aufgetreten?«

»Sie hat Klavier gespielt. Tut sie immer noch.«

»Davon wusste ich. Ich kann mich erinnern, dass sie mit ihrer Mom geübt hat, als ich mit Ash zusammen war.« Sich an diese Zeiten zurückerinnernd, runzelte er die Stirn. Ash in ihrem Cheerleaderoutfit, Gray immer mit ein oder zwei blauen Flecken vom Football gespickt. Die kleine Maddie, wie sie am Klavier saß, ihre Mom über sie gebeugt, mit einem Finger auf die Notenblätter vor sich deutend. Er konnte beinahe das Aroma von geröstetem Kaffee riechen, das damals aus der Küche strömte.

»Jetzt arbeitet sie im Diner?«

»Und unterrichtet Klavier.« Becca zuckte erneut mit den Schultern. »Macht sie seit Jahren.«

Er wollte mehr wissen, aber Becca würde bestimmt bald wissen wollen, warum er neugierig war. Er wollte mehr wissen, doch eine weitere Frage von ihm und Becca finge vielleicht an, selbst welche zu stellen. Und es war der denkbar schlechteste Zeitpunkt für ein Kreuzverhör.

Vor zwei Stunden hatte er beinahe die kleine Schwester seiner Exfreundin geküsst. Welchen Shitstorm hätte das wohl losgetreten?

Gray wusch den letzten Teller ab und stellte ihn auf den Ständer. Stirnrunzelnd ließ er das Wasser ab, das ewig brauchte, bis es in der Leitung verschwand. »Funktioniert in diesem Haus eigentlich irgendetwas so, wie es soll?«, fragte er.

»Nope.« Becca grinste. Das war vermutlich die Wahrheit. Nach dem Morgen, den er hinter sich hatte, würde er am liebsten den Kopf gegen eine Mauer schlagen.

»Ich gehe in mein Zimmer und spiele ein bisschen Gitarre«, informierte er seine Geschwister, als das Geschirr weggeräumt war. »Wir sehen uns später.« Seine Seele brauchte ein wenig Herumgeklimper. Irgendetwas, um seine Gedanken von diesem Haus und dieser Stadt und ihren verdammten Einwohnern abzulenken, die ihn allesamt in den Wahnsinn trieben.

Besonders diese eine Bewohnerin, die ihn zum Lachen brachte, und dazu, sie küssen zu wollen, und die ihm wegen ihres Namens ins Gesicht gelogen hatte.

Ja, ganz besonders Maddie Clark.

K

»Kommt rein«, rief Maddie ihrer Nichte und ihrem Neffen zu, nachdem sie die Tür mit einem breiten Grinsen für die beiden aufgerissen hatte. Grace stürzte sich Maddie sofort entgegen. Sie schaffte es gerade so, die Kleine aufzufangen, ohne außer Atem zu kommen. Carter hielt sich mit einem schüchternen Lächeln zurück, während er am Kragen seines Hemds zog. »Hey, Kumpel«, grüßte Maddie ihn und zerzauste sein hellbraunes Haar. »Siehst schmucke aus.«

»Was ist schmucke?«, fragte er.

»Es bedeutet schick. Aber auf eine altmodische Art. So wie sich die Männer früher angezogen haben, als sie noch wussten, wie man eine Lady umwirbt.«

»Was ist umwirbt?«, wollte Grace wissen, während sie aus Maddies Armen kletterte. »Hat das was mit Wirbelstürmen zu tun?«

»Verwirrst du schon wieder meine Kinder?«, erkundigte sich Ashleigh, als sie die Stufen zu Maddie hochkam.

»Mom, was ist umwirbt?«, fragte Grace bei ihrer Mutter nach und kratzte sich über den blonden Schopf.

Ashleigh wirkte sichtlich verwirrt.

»Ich habe ihnen etwas übers Umwerben erzählt«, erklärte Maddie. »Wie es in alten Zeiten war.«

»Umwerben ist, wenn sich ein Mann entschließt, eine Frau glücklich zu machen«, definierte Ashleigh, während sie in Maddies Richtung die Augen verdrehte. »Aber das ist kein Wort, das ihr beide in nächster Zeit brauchen werdet. Geht jetzt rein und seht nach eurer Grandma. Ich will kurz mit Tante Maddie reden.«

Maddie wich zur Seite, damit sich Grace und Carter an ihr vorbeischieben konnten. Ihre Schuhe polterten auf dem Holzboden, während die beiden in die Küche rannten. Sie konnte den tiefen Klang der Stimme ihrer Mutter hören, als diese ihre Enkel begrüßte. Darauf folgte die höhere Tonlage der antwortenden Kinder.

»Ist alles okay?«, fragte Maddie ihre Schwester.

Wie immer sah Ashleigh wunderschön aus. Ihr blassblondes Haar war zu einem Chignon in ihrem Nacken gebunden und die einfachen Linien ihres marineblauen Kleids schmeichelten ihrer schlanken Figur. Neben ihr fühlte sich Maddie in ihrem Tanktop und ihren Jeans wie eine Magd, aber das war nichts Neues.

Sie hatte schon immer in Ashleighs Schatten gestanden und das mit der Zeit akzeptiert. Inzwischen konnte sie sogar darüber lachen. Auch wenn sich Maddie manchmal wünschte, dass die Leute sie beide nicht immer miteinander verglichen.

Ashleigh drückte vorsichtig hinten auf ihre Frisur. »Gibt es etwas Neues in der Stadt?«, erkundigte sie sich mit aufgesetzter Unschuldsmiene. »Irgendetwas, das ich wissen sollte?«

Maddie zuckte die Achseln. »Was zum Beispiel?«

»Ich habe gehört, dass Gray heute in der Kirche war und einen Aufstand ausgelöst hat. Ich habe mich gefragt, ob du vom Diner aus etwas davon beobachten konntest.«

Einen Moment lang erstarrte Maddie. Wusste Ashleigh von ihrer gemeinsamen Flucht? Oder noch schlimmer, von dem Beinahekuss? »Was hätte ich sehen sollen?«, wollte sie wissen und hielt ihre Stimme dabei so gelassen, wie es ging.

»Ich weiß nicht. Ich dachte einfach, ich frage mal.« Ashleigh wirkte nachdenklich. »Meinst du, ich sollte ihn besuchen?«

Maddie blinzelte. »Warum würdest du das tun wollen?« Ihr Magen fühlte sich komisch an. Als befände sich darin eine Flüssigkeit, die sich stetig erhitzte.

Ashleigh hob eine Schulter. »Er war früher mal die Liebe meines Lebens. Wir sind drei Jahre zusammen gewesen. Es kommt mir seltsam vor, einander nicht zumindest hallo zu sagen.« Sie senkte die Stimme. »Außer, du denkst, es könnte einen falschen Eindruck hinterlassen?«

Maddie ballte die Finger zu Fäusten. »Würde es Michael nicht aufregen?«, gab sie zu bedenken.

Einerseits wirkte Ashleighs Ehemann nicht wie der eifersüchtige Typ, andererseits hatte Maddie keinen Schimmer, welcher Typ er wirklich war. Wann immer sie ihn traf, verhielt er sich so still, als wollte er bei keiner der Veranstaltungen anwesend sein, die sie besuchten. Er war zehn Jahre älter als Ashleigh – was ihn sechzehn Jahre älter machte als Maddie – und ihr fiel keine einzige Sache ein, die sie abgesehen von Ashleigh und den Kindern gemein hatten.

»Warum sollte es ihn aufregen?« Ashleigh lachte. »Es ist ja nicht so, als hinge ich Gray nach all den Jahren immer noch nach. Schließlich bin ich verheiratet. Und ich hoffe, dass er auch über mich hinweg ist. Immerhin sind seither mehr als zehn Jahre vergangen.«

»Ich weiß nicht«, antwortete Maddie. Irgendwie kam sie sich wie im falschen Film vor. »Die ganze Sache fühlt sich einfach merkwürdig an, weißt du?«

»Warum fühlt sie sich merkwürdig an? Du kanntest ihn kaum. Du warst noch ein Kind, als er die Stadt verlassen hat.« Ashleigh schüttelte ihren hübschen Kopf. »Ehrlich, Maddie, du musst dich nicht um mich sorgen. Ich will nur das Richtige tun. Ich will nicht, dass alle über mich reden, weil sie denken, ich würde mich ihm gegenüber unhöflich verhalten. Aber ich will auch nicht, dass sie sagen, ich hätte ihn unbedingt sehen wollen.« Sie seufzte.

Der äußere Schein war Ashleigh schon immer wichtig gewesen. Sogar als Kind. Sie war das hübscheste Mädchen in der Schule, Cheerleaderkapitänin und natürlich war ihr Freund der Junge gewesen, dem all die anderen Mädchen hinterherschmachteten.

Manchmal fühlte es sich an, als würde es Ashleigh so viel leichter im Leben haben als Maddie. Meistens fand sie das amüsant, gelegentlich tat es weh. Als würde jemand in einer alten Wunde herumstochern. Der Gedanke daran, dass ihre Schwester Gray Hartson besuchen könnte, fühlte sich ähnlich an.

»Ich muss los«, meinte Ashleigh und beugte sich vor, um Maddie zu umarmen. »Danke, dass du auf die Äffchen aufpasst. Wir sollten um acht zurück sein. Könntest du sie dazu bringen, ihre Pyjamas anzuziehen? Das würde es uns so viel einfacher machen, sie ins Bett zu bekommen.«

»Klar. Ich lasse sie duschen und mache sie bettfertig.« Maddie küsste Ashleigh auf die Wange. »Viel Spaß.«

»Danke dir. Wir sehen uns später.« Ashleigh lehnte sich durch die Eingangstür ins Haus. »Grace, Carter, ich gehe. Seid lieb zu eurer Tante und Grandma«, rief sie hinein.

»Tschüss, Mom!«, brüllten Grace und Carter zurück, die wohl keine Lust dazu hatten, aus der Küche zu rennen.

Als Ashleigh die Eingangstreppe hinablief, klapperten ihre Absätze auf dem Stein. Maddies Blick hing an dem Knoten in Ashleighs Nacken, und sie tastete nach dem geflochtenen Zopf. Sie zuckte beinahe zusammen, als sie spürte, wie viele Haare ihm bereits entkommen waren. Schnell zog sie die Hand weg und seufzte.

Es machte keinen Sinn, zu versuchen, mit ihrer schönen Schwester zu wetteifern. Diese Lehre hatte sie schon vor Langem gezogen.

K

Nach dem Abendessen mit seiner Familie und weiteren Seitenhieben von Tanner wegen des Zaunkletterns machte sich Gray zurück auf den Weg in sein Zimmer. Er hatte Jetlag als Grund vorgeschoben, aber in Wahrheit wollte er bloß allein sein.

Er kam immer noch nicht über die Tatsache hinweg, dass ihm Maddie Clark bei der Flucht aus der Kirche geholfen hatte. Wann zum Teufel war sie erwachsen geworden? Und, was noch wichtiger war, warum hatte sie wegen ihrer Identität gelogen?

Sie wusste, wer er war. So viel hatte sie zugegeben, als sie über diese verdammte Mauer klettern wollte.

Er versuchte, sich mit Gitarrespielen abzulenken. Ein ganzes Album wartete darauf, geschrieben zu werden; in vier Monaten sollten die Songs studioreif sein. Dennoch schienen seine Finger nicht zu funktionieren. Es war, als hätte er vergessen, wie man Musik schrieb; eine Note neben die andere legte, bis sie eine Melodie formten. Stattdessen klang jedes Streichen über die Saiten falsch.

So falsch.

Er stellte die Gitarre beiseite und ging duschen. Danach legte er sich aufs Bett und tat sein Bestes, sich an die Gründe für seine Rückkehr zu erinnern. Warum?

Weil du es deiner Schwester versprochen hast. Und dein Vater krank ist.

Oh ja, und natürlich war da noch die Tatsache, dass er sich seit einer Ewigkeit nicht mehr in Hartson’s Creek hatte blicken lassen. Schlussendlich schien ihm eine Mütze voll Schlaf sinnvoller, als sich das alles zu sehr durch den Kopf gehen zu lassen. Doch wie alles andere in seinem Leben verhielt sich auch die Nachtruhe ihm gegenüber stur.

Wenige Stunden später spürte Gray den ersten Tropfen. In seinem Schlummer registrierte er ihn kaum. Der zweite verwandelte sich in seinem Traum in Regen. Beim dritten riss er die Augen auf.

Kein Tropfen, sondern eine Flut ergoss sich von der Decke und durchnässte alles in ihrer Umgebung – Gray und sein Bett eingeschlossen.

Wasser aus seinem Mund spuckend, setzte er sich auf und blinzelte die Feuchtigkeit aus seinen Augen. Was zum Teufel ...? Mit zusammengezogenen Brauen starrte er in die Kuhle seines Kissens – wo eben noch sein Kopf gelegen hatte, sammelte sich Wasser zu einem See. Er folgte dem Nass mit seinem Blick hoch zur Quelle. Ein Loch klaffte in der Decke und offenbarte halb verrottete Balken und ein rostiges Rohr.

Ein rostiges Rohr mit einem Leck darin.

Gray sprang aus dem Bett und suchte nach einem Eimer, einer Schüssel, irgendetwas, das er unter der Sintflut platzieren konnte. »Tanner!«, rief er. »Da ist ein Riss in der Leitung. Hilf mir mal!«

»Hm?«, fragte Tanner, der nur mit einer Pyjamahose bekleidet ins Schlafzimmer kam. Das war immer noch besser als Gray, der bloß Boxershorts trug und auf der Suche nach einer gottverdammten Schüssel durchs Zimmer jagte.

»Wo ist es?« Becca war mit einem Eimer aufgetaucht. Gott sei Dank.

Er und Tanner schleiften das Bett durch den Raum und stellten den Eimer unter den Wasserschwall.

»Wo ist der Absperrhahn?«, erkundigte sich Gray. Er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern.

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