Kitabı oku: «Mit Amor auf der Walze oder „Meine Handwerksburschenzeit“ 1805–1810», sayfa 6

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Beim nächstes Stillstand knüpfte ich die Unterhaltung sachte wieder an und sprach von meinem Landsmann Gottlob Thaler. „Ah, den kenne ich, der Wagemeister, Herr Thaler hier, ist sein Onkel.“ Sie hatte halblinks gemacht und ich sah ihre vollen Augen wieder. Es ergab sich, daß ihre Mutter eine Jugendfreundin von der ältesten Jungfer Thalern war und Hannchen manchmal dort mit hingenommen hatte. Die Musik hörte auf; es ging auseinander. Ich setzte mich wieder zu meinen Schneidern, versank aber ganz in Träumerei; Hannchen erschien mir immer lieblicher.

Auf einmal wurde ich bei der Schulter gepackt. „Guten Abend, Monsieur Langensalzer; nun, gefällt’s Ihnen nicht hier?“ – Es war mein Hausgenosse, der Obermeister. „Hier ist Freitabak, allons! gestopft. Dort auf dem Tisch in der Ecke gibt’s Weißbier, allons! getrunken. Sapperment! nichts geschont, ’s ist alles frei!“ – Er roch nach Schnaps. Ich bemerkte: „Gleich zu Anfang habe ich mit Ihrer Tochter getanzt, sie seitdem aber nicht mehr gesehen. Wo steckt sie denn?“ – „Sagen Sie lieber, wo hat sie der Teufel“, fuhr er heraus, daß ich erschrak, aber sogleich legte er einen Arm um meinen Hals, „es tut mir leid, mein Lieber, aber die kriegen Sie heute abend nicht. Ihr Schatz ist heute hier, wird wohl eine Verlobung werden, ist auch Zeit, daß sie unter die Haube kommt.“ – „Ja, sie wird eine sehr gute Hausfrau werden. Prosit, lieber Vater Obermeister!“

Jetzt kamen drei junge Mädchen, die sich angefaßt hatten und strichen an uns vorbei. Ich fixierte die mittlere, das Hannchen, stark und erwischte einen recht freundlichen Nicker. „Hören Sie, Vaterchen, kennen Sie die mittelste?“

„Andersrum kehrt!“ grölte er, daß mir angst und bange wurde. „Ah, mein Guter, schmeckt Ihnen die? Da müssen Sie zuvor mal ein paar Jährchen hierbleiben, daß man weiß, wer Sie sind. Aber, mein Bester, die Mutter erst! Die hätten Sie mal vor zwanzig Jahren sehen sollen. Alle Kreuzdonnerstag und Freitag, da lief einem das Maul voll Wasser. Na, sie war in einem vornehmen Hause erzogen worden; ihre Madame starb, da nahm sie den Schneider Mühlmeier. Vor zwei Jahren ist der gestorben. Aber, ach! eine ehrbare Frau, nährt sich brav und das Töchterchen, die Blaue dort, die wirft sich nicht weg, was? In den Augen fängt sich doch einmal ein nutziger Kerl, was?“ Mir gab’s einen Stich ins Herz, ich ging hinunter ins Freie. Was machst du, dachte ich, willst nach Dresden und bleibst hier hängen? Geh nach Haus und leg dich ins Bett.

Aber mein Hut war noch oben und eh ich mich versah, war ich selbst wieder oben und eh ich mich wieder versah, stand ich vor Hannchen und bat um den nächsten Tanz. Das war ein Walzer und den hatte sie ihrem Vetter versprochen, aber – wenn ich danach den Schottischen gern tanzen wolle? – „Oh, ganz gewiß! Ich bitte um die Ehre auf den Schottischen.“ – „Sehr wohl!“ sagte sie ein bißchen ernsthaft, schwatzte nach links und rechts und erst nach einigen Minuten bekam ich wieder einen schnellen Blick. Ein hübscher Kerl trat an sie heran; sie war freundlich mit ihm. O weh! Ich spürte schon eine unbehagliche Eifersucht. Da war’s doch mit Lenchen anders, da war kein Dritter dabei; oder mit ... Nein, daran wollte ich nicht denken.

Ich ging in die Nebenstube, brannte meine Pfeife an, suchte Unterhaltung, schwatzte mit einigen, aber wenn ich an eine Wand guckte – stand mit goldenen Buchstaben daran: „Johanna Mühlmeier.“ Alle Donnerwetter, das könnt’ ja wohl so eine Ernst-Nentz-Geschichte werden! Ich stürzte ein Glas Bier hinunter, blies den Dampf umher wie ein Stadtsoldat und schüttelte den Kopf, als ob damit die Gedanken auch herausfielen.

Der Walzer ging zu Ende – Pfeife weg! Ich stand verstohlen vor einem Spiegel und zupfte ein bißchen an mir herum, schob in den Saal und strammte meine Augen, daß sie ein bißchen feurig umhersuchten; jetzt blitzten zwei dunkelblaue mir zu und ein alabastern Händchen winkte mir die Seele aus dem Leibe.

„Schottisch“, sagte sie, „also tanzen Sie gern Schottisch?“ – „Ach und mit Ihnen! Darf ich sagen, Hannchen?“ – „Um Gottes willen, nein, nein!“ fuhr sie mich an, doch ein göttlicher Schelm blinzte aus ihren Augen, vor dem ich mich gar nicht fürchtete. Jetzt ging der Schottische los – ti tra ri ta, ti tra ri ta, ti tri tritel littel a ri ta. Mir fiel der Text ein, den wir in Langensalz dazu sangen und als wir wieder stillstanden, sagte ich: „Bei uns singt man zu diesem Schottischen ,der Kaffee kocht, der Kaffee kocht, Mädchen, tu die Möhren zu!‘“ – „Ei, das ist hübsch, aber glauben Sie, daß wir nicht auch dazu singen hier? Höre, Luise, wie singt man zu diesem Tanz?“ fragte sie ihre Nachbarin. „Er hüpft und springt, er hüpft und springt, das Herz ihm in die Schuhe sinkt“, intonierte Nachbarin Luise. „Ach, das ist gerade wie für Sie gemacht“, lachte Hannchen mich an, „denn wenn Ihr Herz mal herunter muß, da ist’s doch besser, es fällt in die Schuhe als vor die Füße!“

„Oh, du lieber Racker!“ dachte ich. „Sie gehen schrecklich mit mir um, liebes Fräulein“, sagte ich laut. „Aber gut, ich setz den Fall, mein Herz wäre in Ihre Schuhe gefallen, könnten Sie so unbarmherzig sein, darauf zu treten?“ – „Ach, daß Gott erbarm! da zög ich die Schuhe aus und lief barfuß davon; machen Sie mir nicht Angst!“ antwortete sie mit komischem Ernst. „Und ich nähme die Schuhe und liefe hinter Ihnen her bis an der Welt Ende.“ Dabei hatte ich unwillkürlich ihre Hand wieder gedrückt und sie zog sie nicht weg.

„Ach, was sie schwatzen können“, sagte sie. „Meiner Welt Ende geht bis zu meiner Mutter, weiter hätten Sie nicht zu laufen. Aber nehmen Sie Ihr Herz wieder fest an sich, dann wollen wir Frieden machen.“ Der Tanz ging wieder los, noch ein paarmal herum, dann war’s aus. Nun hätte ich mich müssen zurückziehen, da hörte ich eine andere sagen: „Hannchen, deine Mutter ist da, du wirst wohl mit nach Hause sollen.“ – „Ach, das wäre zu bald“, sagte ich. „Es ist ja kaum Elf durch“, bemerkte ein anderer. Aber ohne ein Wort zu antworten, bereitete sie sich zum Fortgehen, gab dem andern die Hand – „Gute Nacht, Vetter, machen Sie sich noch recht lustig“ und dann zu mir: „Gute Nacht, leben Sie wohl, wünsche noch recht viel Vergnügen!“

Ich holte tief Atem und sagte: „Ich möchte gerne Ihre Mutter kennenlernen.“ Da blickte sie mich köstlich an. „Dann kommen Sie mit.“ – Ich ging hinter ihr her, als wenn mich ein Engel an den Haaren hätte.

An der Treppe stand eine schöne Dame. „Mutterchen, hast du etwa Lust, noch ein bißchen dazubleiben?“ – Herrgott! ich wußte nicht, was ich sagen sollte. – „Nein, Hannchen“, antwortete die Dame, „wenn du zurecht bist, dann komm.“ – Aber nun war’s Zeit!

Ich trat näher an die Dame heran, entschuldigte meine Freiheit damit, daß ich zweimal mit dem Fräulein Tochter getanzt hätte, daß Gottlob Thaler mein Landsmann wäre und ich erfahren habe, sie sei auch in Thalers Hause bekannt. „Ach, Sie sind das; ich habe gestern von Ihnen gehört“, sagte sie recht freundlich. „Sie heißen Bechstedt, nicht wahr? Sie haben auch keinen Vater mehr, wohl aber zwei Schwestern, ist’s nicht so?“ – „Jawohl, Madame Mühlmeier, so ist es!“ – Hannchen glänzte übers ganze Gesichtchen, das gab mir Courage. „Madame, darf ich mir die Ehre ausbitten, neben Fräulein Hannchen bis zu Ihrer Wohnung mitzugehn?“ – „Ja, mein Gott, das kann ich Ihnen wohl nicht verwehren.“ – „Und ich auch nicht“, lachte Hannchen und lief die Treppe hinunter. Wie alle Teufel war ich vor der Haustüre und wollte mit Hannchen wie mit Lenchen verfahren. „Sie haben nur die Erlaubnis, neben mir zu gehen, nicht wahr, Mutter?“

Aber ich kannte nun meine Pappenheimer – oh, du himmlischer Schelm! Ich verfügte mich an ihre Seite: „Hochgeehrtes Fräulein, darf ich mir die Gnade ausbitten, Ihren Arm in den meinigen zu legen?“ – „Na, Mutter, wenn er so kommt, da muß ich es doch wohl annehmen?“ Aber die Mutter mochte ihre eigenen Gedanken haben; sie blieb stumm. Den Arm hatte ich aber schon und die Dunkelheit benutzend, zog ich ihre Hand an meinen Mund. Sie zuckte heftig zurück, aber ich hielt fest. Auf der Straße kamen noch viele Leute und so wurden zwischen uns nur wenige Worte gewechselt. Indes die Mutter die Haustüre aufschloß, wollte ich mir schnell einen Gutenachtkuß stehlen, aber Hannchen wehrte mit beiden Händen. „Gute Nacht, Herr Bechstedt, lassen Sie sich’s gut bekommen“, sagte Madame Mühlmeier. „Ach, Madame, darf ich Sie denn auch einmal besuchen?“ (Hannchen kicherte.) „Oh, Sie sollen mir stets willkommen sein.“ – „Nun will ich Ihr Fräulein Tochter auch darum bitten, aber die hat ein steinernes Herz. – “ Die Mutter lachte und ging ins Haus. „Liebes Hannchen und sollte ich gleich des Todes sterben, ich kann Sie nicht eher loslassen ...“ – „Mein Gott“, lispelte sie, „Sie sind ein wahrer Straßenräuber. Sie fallen ja den Leuten zur Last.“ – „Ach, Hannchen“, sagte ich, „ich wollte, Sie fielen mir zur Last.“ Sie lachte und vergaß das Wehren und, schnapp! hatte sie einen Kuß weg.

Sie knurrte: „Räuber!“ und ich „Engel!“ Ich preßte sie noch einmal an mich. „Schlaf wohl, du liebes Leben, schlaf wohl!“ – „Spitzbube“, hauchte Hannchen und lief fort.

Wie von Götterwein berauscht, stürmte ich nach dem Schützenhause zurück, wo ich Hut und Stock gelassen hatte. Zu Hause im Bette übersetzte ich mir „Räuber“ in „lieber Schatz“ und „Spitzbube“ – na, das brauchte man nicht zu übersetzen. Da wurde es nicht viel mit dem Schlafen. Um drei Uhr mußte ich wieder in die Backstube und ging einige Mal, um mich munter zu machen, in den Hof und rieb mir die Augen mit kaltem Wasser.

Als später die Obermeisterstochter herunterkam, tat sie ganz aparte. „Ich gratuliere zur Verlobung“, sagte ich möglichst freundlich. „Na“, brummte sie. „Das geht bei mir nicht so schnell wie bei Ihnen, liebe Seele. Wem machen Sie denn eigentlich die Cour, der Alten oder der Jungen?“ – „Bleiben Sie mir mit solchen Reden vom Halse; ich bin kein Courmacher.“ – „Das ist recht, liebe Seele, entweder eine oder gar keine.“

Wo sie nur konnte, suchte sie meine Herzensflamme mit bösen Anspielungen auszulöschen. Nun begann ich, mit mir selbst abzurechnen. Es stritten sich zwei Stimmen in mir. Die eine sagte: „Ach, Hannchen, Hannchen, mein süßer Herzenswurm, von dir komme ich nicht eher wieder los, bis ich sterbe.“ – Die andere: „Dummkopf, bist achtzehn Jahre alt. Warte bis achtundzwanzig, dann such dir in Langensalza eine nach deinem Geschmack aus.“ – Die erste: „Aber so ein liebes kluges Mädchen finde ich im Leben nicht wieder.“ – Die andere: „Na, wie war’s denn, als du durch ganz Quedlinburg geheult hast? und in Neuhaldensleben? Hast du nicht dem Ernst Nentz die besten Lehren gegeben, wie er seine dicklippige Jeannette vergessen soll, he? – Nichts da, es wird abgebrochen und nächsten Sonntag geht es fort nach Dresden zum Vetter Kind im „Engel.“

Nun putzte ich mich an und eine halbe Stunde vor Dunkelwerden stand ich in einem gewissen Hausflur und fragte, ob hier Madame Mühlmeier wohne. „Jawohl, eine Treppe hoch, zweite Türe!“ – Als ich auf dem Vorsaal stand, bummerte mein Herz wie ein Hammer. Ich überdachte, wie ich meine Abschiedsworte anbringen sollte und klopfte an. – „Herein!“

Ich kam in eine große schöne Stube. Rechts saß Hannchen – und es kam mir vor, als ob sie rot anliefe, links die Mutter, die indes schon aufgestanden und mir ein paar Schritte entgegengegangen war. Sie war sehr redegewandt, so daß ich gut aufpassen mußte, um richtig zu antworten. In der Mitte saßen drei Mädchen von zwölf bis dreizehn Jahren, wohl aus vornehmen Häusern, denn sie waren fein angezogen.

Hannchen fing nun an, munter mitzusprechen; ja, sie wurde witzig, fast mutwillig wie auf dem Balle. Die Mutter verwies es ihr und blickte auf die Kinder. Nun dachte ich über meine Abreise zu sprechen, aber brachte ich es dann heraus – kein Wort! Madame ging hinaus, um Licht zu holen; ich griff nach Hannchens Hand. Sie stach mit der Nähnadel; ich zuckte heftig zurück und machte ein finsteres Gesicht. Da stand sie schnell auf und brachte ihr Gesicht dem meinen nah – nun zuckte ich freilich nicht zurück, sondern avancirte und da es bereits dämmrig war, kamen unsere Gesichter hinter dem Rücken der Mädchen so dicht zusammen, daß kein Pferdehaar dazwischen konnte. Als aber die Türe aufging, waren wir wieder drei Schritte voneinander. Nun wagte ich doch eine Andeutung, daß ich wohl bald fort müsse zu Verwandten in Dresden, die mich gern dorthin haben wollten und da Frau Mühlmeier und Hannchen noch mit den Schülerinnen zu verhandeln hatten, empfahl ich mich für heute. Das liebe Mädchen gab mir zum Abschied die Hand; Frau Mühlmeier hielt schon das Licht und leuchtete mir hinunter – Hannchen blieb sitzen.

Nach einigen Tagen hatte die Stimme Numero Zwei die volle Herrschaft erhalten und Sonntagmittags nahm ich Abschied bei meinem Meister, der zwar ein wenig ungehalten war, weil ich so bald und ohne triftigen Grund ging, mir aber doch meine zwei Wochen und fünf Tage voll ausbezahlte – freilich nur zehn Gutegroschen für die Woche. Wir schieden in aller Freund-lichkeit. Den folgenden Montag schnürte ich mein Bündel, empfahl mich beim Schneider und seiner Tochter und sagte Thalern Adieu, der sich über meine schnelle Abreise sehr verwunderte. Als ich an die Gasse kam, wo Hannchen wohnte, wurde mir der Atem schwer, stieg aber frisch die Treppe hinauf. Himmel!, Hannchen war im Vorsaal. Sie machte große Augen, ging einige Schritte rückwärts nach der Stubentür und sagte: „Wollen Sie zu meiner Mutter?“ Eh sie aber die Türe aufmachen konnte, hatte ich sie schon bei der Hand. „Ja, liebes Hannchen, zur Mutter und zu Ihnen. Ich muß Abschied nehmen; mein Vetter in Dresden erwartet mich. Mein Bündel liegt schon am Spremberger Tore; in dieser Stunde noch gehe ich von Kottbus fort. Es wird mir sehr schwer, Hannchen und ich komme auch wohl bald wieder.“

Ich hatte dies wohl mit bewegter Stimme und stückweis herausgebracht und mein artesischer Brunnen drang schon durch die Augen. Hannchen sah mich merkwürdig an und sagte mit zagender Stimme: „Nun, lieber Freund, zum Abschiednehmen mag die Mutter immer dazukommen.“ Unwillkürlich umhalsten wir uns und ließen nicht eher voneinander, bis die Mutter, deren Kommen wir nicht gehört hatten, mahnte: „Mein Gott, Hannchen! was ist denn das?“

Ich ließ los. „Liebe Madame Mühlmeier, es nehmen ihrer Zwei Abschied, die lieber zusammenblieben – das ist es, nicht wahr, Hannchen?“ Hannchen lachte mit nassen Augen. „Ei, lieber gar! was Sie gleich denken –“ Es wollte ihr aber kein Witz mehr einfallen. So setzte ich es der Madame kurz auseinander. Sie war sehr ernsthaft. Ich bat um ihre fernere Freundschaft und empfahl mich. Hannchen reichte ich die Hand. „Adieu, liebes Hannchen, behalten Sie mich in gutem Andenken.“ Sie hatte schon wieder Courage gewonnen und sagte mit schöner Stimme: „Adieu, lieber Freund! Und wenn die Schneider wieder Ball haben, so schreibt es Ihnen die Jungfer Obermeistern und Sie eilen mit festerhaltenem Herzen zu ihr, mich aber engagieren Sie zu einem Schottischen. Leben Sie wohl und reisen Sie glücklich!“

Und fort ging’s wie im Taumel zum Hause hinaus. Auf der andern Seite der Straße wandte ich mich um und hatte das Entzücken, Hannchen im Brustbild noch einmal am Fenster zu sehen. Ihre Handbewegung und ihr freundliches Kopfnicken haben sich so stark in mein weiches Herz gedrückt, daß das Bild erst nach einem halben Jahre allmählich schwand.

Über Spremberg, Hoyerswerda, Kamenz,
Pulsnitz und Radeberg nach Dresden –
Die Jahne – Meißen – Oschatz – Wurzen –
Leipzig – Als Statist im „Tell“ –
Über Lützen, Weißenfels, Naumburg, Weimar,
Gotha, Eisenach, Vacha, Fulda, Gelnhausen,
Hanau nach Frankfurt a. Main –
Über Limburg, Dietz, Holzapfel nach Nassau –


Vier Tage nach meinem Abgang von Kottbus stand ich vor Dresden. Von der kurzen Reise nach dort weiß ich wenig zu berichten. Ich war über Spremberg, Hoyerswerda, Kamenz, Pulsnitz und Radeberg nach Dresden-Neustadt gekommen, wo ich erfuhr, daß die Bäckerherberge in der Altstadt, ganz auf der entgegengesetzten Seite, sei. Ich passierte die Hauptwache und die kolossale, vergoldete Reiterstatue Augusts des Starken, Königs von Polen, die schöne Elbbrücke, die katholische Kirche und die ganze Altstadt bis zum Seelhorn hinaus. Weit rechts herum, beim Trompeterschlößchen, fand ich die Herberge bei einem Bäcker im Nebenhause.

Nachdem ich aufgewandert war und abgelegt hatte, sagte ein fünfzigjähriger, sehr reinlich gekleideter Mann zu mir: „Willkommen, junger Bruder, du kannst bald ums Bruderbette bitten; das kostet ein Licht auf heute abend für einen Gutegroschen.“ – „Mit Gunst, ihr Brüder, ich bitte für diese erste Nacht um das Bruderbette.“ – „Es sei dir gewährt, Bruder“, sagten mehrere Stimmen. Der Alte war ein Geselle, der immerfort auf der Herberge wohnte, hieß Mönß und hatte den Titel „Wortführer“. Er hatte seine Einkünfte von der Brüderschaft und den Gesellen, die er in Arbeit brachte. Da ich zehn Tage hierblieb, lernte ich ihn genau kennen. Er ließ nie einen schlechtgekleideten Stromer ums Bruderbett bitten. Wenn an einem Tage kein reinlicher zuwanderte, so kam ich ins Bruderbette, manchmal umsonst.

Die Pfefferküchler hatten in Dresden ihre eigenen Innungen und obgleich in meiner Kundschaft Weiß- und Pfefferkuchenbäcker stand, verweigerten manche mir zuerst das Geschenk, das aus vier Gutegroschen und Essen bestand. Wenn ich aber sagte: „Falls ich hier Arbeit bei einem Küchler bekomme, so glaube ich doch beweisen zu können, daß ich schon etwas Küchelei geleistet habe“, so bekam ich meist doch mein Geschenk.

Den Tag nach meiner Ankunft putzte ich mich an, so gut es ging und erkundigte mich nach dem „Goldenen Engel“ auf der Wilsdrufergasse. Ich kam in einen großen schönen Gasthof und fragte einen Kellner nach dem Herrn Kind. Der Kerl sah mich über die Schulter an. „Was wollen Sie von ihm?“ – „Ei nun, ich hab ihm was zu sagen.“ – „Müssen warten.“ – Schon ging er davon. Nach zehn Minuten, die ich im Hausflur zubrachte, fragte ich einen anderen, der auch eine Serviette in der Hand trug: „Ist Herr Kind zu Hause?“ – „Jawohl, warum?“ – „Ich wünsche ihn zu sprechen.“ – „Er wird jetzt ausgehn, da kömmt er hier vorüber –“ Dort lief der Kerl hin.

Wohl noch fünf Minuten stand ich da, als ein sehr dicker, sehr fein gekleideter Vierziger aus einer Türe quoll, mit herrischem Gesicht nach links und rechts kommandierte und an mir vorüber wollte.

„Mein Herr“, fing ich etwas zaghaft an, denn mich fror, „sind Sie Herr Kind?“ – „So heiß ich!“ und dabei glotzte er mich groß an. „Ich bin aus Langensalza und heiße Bechstedt, ich wollte Ihnen von ...“ – „Ah, ah, richtig, aus Langensalza“, lachte er, „ein Vetter ha, ha, so, so, nun ja, wenn Sie aus Langensalza sind, da kennen Sie ja wohl auch die Familie Rah-h-rahhts?“ Ich konnte mich darauf nicht besinnen und sagte recht derb und ärgerlich: „Nein, die kenne ich nicht.“

Er stutzte ein wenig, sah mich starr an. „Gut, gut! aber ich habe jetzt keinen Augenblick Zeit, kommen Sie morgen wieder, da wollen wir die Sache näher untersuchen“ und er ging zur Türe hinaus. Einige der Umstehenden lächelten hämisch. Ich machte, daß ich fortkam und dachte wie Goldschmieds Junge [Redensart, die etwa bedeuten soll: Du kannst mir den Buckel hinunterrutschen]. Hinfüro verzichtete ich auf den „Goldenen Engel“.

Nach einigen Tagen traf ich einen Schulkameraden, Christel Lucke, der Barbierbursche war und der mich mit verschiedenen Langensalzern, auch Barbierburschen ihres Zeichens, zusammenbrachte. Die Barbierburschen hatten frei Hören in den Collegia über Chirurgie in der Charité und nahmen mich manchmal mit hin. Der Lehrer, Hedenius, war auch aus Langensalza. Er hielt Schädellehre; mehrere Totenköpfe lagen auf dem Tisch. Auch in den Krankenstationen der Charité erhielt ich auf diese Weise Zutritt und habe hier zum ersten Mal die entsetzlichen und abscheulichen Folgen eines liederlichen Lebenswandels vor Augen gesehen und ein Grausen davor bekommen, daß mir in der Folge schon angst wurde, wenn ich die übelberufene Fischergasse nur passieren mußte.

Alte Clemenser Soldaten redeten mich zuweilen auf der Straße an, auch ein Hoboist namens Lindner, dessen Frau eine geborene Zufehrn war (die uns in Langensalza gegenüber wohnten, im jetzigen Wachsmuthschen Hause). Als ich eines Tages mit ihm spazieren ging, begegneten wir einem Leutnant, den ich zu Hause als schönen, schlanken jungen Mann gekannt hatte; er ging am Stock, langsam, breitbeinig, sah graugelb aus. Nachher erzählte mir Lindner, daß der Leutnant mit einer schönen Fischergassengöttin gelebt und getobt und Geld und Gesundheit vergeudet habe.

In einer Allee begegnete uns auch eine hübsche rotbäckige Mamsell, die mich stark ansah und mir bekannt vorkam. Als sie vorüber war, drehte ich mich um und, siehe da!, sie tat desgleichen und sagte: „’s ist er doch, Christel Bechstedt!“ Sie hieß Jahne Thielen, ihr Vater war Kupferschmied bei der Treischmühle, aber ein liederlicher Mann und ganz verarmt. Jahne konnte hübsch singen und übte es an ihrer Haustüre oft stark aus, weswegen sie den Spitznamen „Donauweibchen“ erhalten hatte. Sie war so alt wie meine älteste Schwester und gut mit ihr bekannt. Vor einem Jahre war sie nach Dresden in Dienst gegangen. Sie fragte nun nach meinem Logis; ich sagte es ihr ehrlich und jedes ging seines Weges.

Einige Tage darauf war ich eben in der Kammer an der Feierstube, hatte meine Stiefel gewichst und bürstete meinen Rock aus, als ein Görlitzer hereintrat und sagte: „Höre, Bruder Langensalzer, draußen fragt eine schöne Mamsell nach dir; die kannst du mir ablassen, bist noch zu jung für die.“ – „Kannst sie kriegen mit Haut und Haar, Bruder Görlitzer, ich brauch gar keine.“ – Als ich hinauskam, war es richtig Jahne Thielen, die mich zum Spazierengehn abholen wollte. Es war drei Uhr nachmittags und schönes Wetter. Sie schien um und in der Stadt sehr bekannt zu sein und meinte, ich müsse heute Abend da und da mit ihr ins Konzert gehen, da lernte ich viele junge Mädchen und Burschen kennen, lauter fidele Leute. Vor einem Hause machte sie halt. „Da wohnt der frühere Langensalzer Briefträger Robock drin“, sagte sie, „der ist jetzo hier bei der Post in einer besseren Stelle und steht sich sehr gut. Wir wollen ihn mit ein paar Tassen Kaffee abstrafen. Ich führe Sie ein.“

Das geschah und ich wurde freundlich empfangen. Robock hatte meinen Vater gut gekannt und lobte ihn sehr. Frau Robock schenkte fleißig Kaffee ein und da ich nicht sogleich zulangen wollte, versicherte er mir, es sei ihm eine wahre Freude, ein Kind von Meister Bechstedt aus Langensalza bei sich zu sehen. Auf dem Tisch lag ein Komödienzettel: ‚Romeo und Julie, heute abend im Lehmannschen Bade.‘ Nachdem Jahne Thielen zwei Tassen Kaffee und ein Stück Kuchen im Leibe hatte, ging sie hinaus; Robock fragte, wie ich zu diesem Mädchen käme und wo ich mit ihr hin wolle. Als ich ihm alles auseinandergesetzt hatte, riet er: „Mosje Bechstedt, gehen Sie nicht mit ihr dorthin, wo sie gern möchte. Das ist ein Ort, den zwar angesehene und reiche Mannspersonen besuchen, aber keine ehrbaren Mädchen, denn die Herren suchen dort keine Heiratspartien, sondern Lustpartien.“ Seine Frau lächelte und nickte dazu.

„Gut“, sagte ich, „wenn sie hereinkömmt, werde ich ihr sagen, daß ich Romeo und Julie sehen müsse.“ – „Das paßt herrlich“, erwiderte Robock, „wir gehen auch hin.“

Jahne Thielen wollte des Teufels werden, als sie meinen Entschluß vernahm, tat beleidigt und wurde auf die Letzt noch ein bißchen maliziös. Aber alles half nichts. Sie ging, wie sie sagte, um ihren Bräutigam zu treffen, der ein wohlhabender Jäger bei Meißen sei und mit dem sie um Weihnachten Hochzeit habe; ich blieb bei Robocks. Um sechs Uhr wurde das Haus abgeschlossen; die beiden Kinder, ein Junge von zehn und ein Mädchen von acht Jahren, zogen mit. Wir saßen im Theater zusammen und weinten zusammen in den rührendsten Formen. Frau Robock schien so eine leichtflüssige Tränenquelle hinter den Augen zu haben wie ich, aber auch die Nachbarn links und rechts schneuzten sich stark und wischten sich die Augen aus. Die Schauspieler machten ihre Sache gut. Frau Robock seufzte zum Schluß: „Ach, ich seh doch lieber ein Lustspiel; dies greift einen zu sehr an.“ – „Nun“, meinte er, „wir gehen ja auch in Lustspiele“ und gab mir zu erkennen, daß es sein höchstes Vergnügen und seine einzige depense wäre, wöchentlich ein paarmal mit Frau und Kind ins Theater zu gehen.

Als wir nach Hause eilten, war es Kaltwetter geworden; wir schrieben Oktober. – Ich war nun acht Tage in Dresden; gute Arbeit gab es nicht und in schlechte wollte ich nicht. Überdies war ich nach dem Mißraten der ‚Kinds‘-Verwandtschaft zu dem Entschluß gekommen, noch diesen Herbst nach Nassau zu gehen. Vater Mönß sagte: „Langensalzer, du brauchst nicht eher zu bezahlen, bis du fortgehst oder in Arbeit kömmst“, aber ich fing an, mein Geld zu zählen und verlangte die Rechnung für Kaffee, Mittagessen und Kuchen. Sie war nicht unbillig, aber doch größer, als ich gedacht und meine Kasse bekam einen solchen Stoß, daß sie aufhörte, nach Talern zu zählen; mein ganzes Vermögen bestand aus neunzehn Gutegroschen und sieben Pfennig. Abends ging ich noch mit zu einem Bäckerburschenball, was mich vierzehn Gutegroschen kostete. Es fehlte nicht an hübschen Mädchengesichtern, aber solch ein bis ins tiefste Herz dringendes Augenpaar, so schöner Verstand und edler Witz – kurz, ein Hannchen Mühlmeier – war nicht da.

Tags darauf begab ich mich mit fünf Gutegroschen, sieben Pfennig und einem Kameraden aus Bautzen aufs Meißner Marktschiff, bezahlte vier Gutegroschen Fahrgeld und schwamm mit neunzehn Pfennig in der Tasche lustig nach Meißen. Es war schon dunkel, als wir ankamen, alles zog in den Gasthof „Zum Anker“. Mein Kamerad ging auf Herberge. Ich hatte in Dresden von der hiesigen schlechten Herberge gehört und daß man hier in einer Nacht zu ungeheurer Einquartierung zwischen Haut und Hemde käme und zog deswegen trotz meiner neunzehn Pfennig mit in den „Anker“.

In der Gaststube roch es nach Braten. Ein langer Tisch war gedeckt und mit Tellern belegt; viele setzten sich daran. „Ei“, dachte ich, „es wird den Kopf nicht kosten“ und saß auch nieder. Es kam schöner Schweinebraten und Kartoffelsalat – das schmeckte! Einige tranken Landwein. Ich fragte einen Nachbar, wieviel die Bouteille hier koste. „Drei Gutegroschen“, sagte er. Nun, dachte ich, mag draus werden, was will, wenn du nicht trinkst, so hast du den ganzen Abend weder Mut noch Blut. Ich ließ mir auch eine Flasche geben und da sie halb aus war, ging schon das Schwatzen besser. Ich kam mit meinem Nachbarn ins Gespräch, fragte ihn, ob er hierbleibe oder weiterreise und erfuhr, daß er hier mehrere Tage in Geschäften zu tun habe. Dann fragte er auch mich aus und wir stießen an. „Auf gute Geschäfte“, sagte ich und er: „Auf gute Reise nach Leipzig.“

Jetzt ging ein Mann um die Tafel mit einem Teller und mein Nachbar erwiderte auf mein Befragen, es sei hier Sitte, daß man noch beim Sitzen Kuvert und Wein bezahle. „Das ist fatal“, sagte ich, „ich habe kein Geld bei mir und hätte lieber erst morgen bezahlt; wollten Sie die Güte haben, die Kleinigkeit für mich auszulegen. Morgen früh sollen Sie es mit schönstem Dank wiederhaben.“ Der Mann mit dem Teller war ganz nah. Mein Nachbar zog seinen Beutel, legte sein Geld auf und brummte: „Hm, hm, warum das nicht!“ – „Hören Sie“, sagte er zu dem Tellermann, „hier mein Monsieur Nachbar wird erst morgen früh bezahlen.“

„Donnerhagelwetter!“ fuhr ich ärgerlich in die Höh, daß mein Nachbar vor Schreck fast vom Stuhle fiel, holte mein schönes Felleisen her und sagte: „Das Ding ist zu schwer, um es auf den Teller zu legen, tun Sie es woandershin, Herr Oberkellner; ich kann nicht in die Westentasche kommen, morgen früh wird’s schon besser gehn.“ – „Gut, gut“, sagte er, lachte und ging weiter. Gegen meinen Nachbarn tat ich nun dicke; der Wein machte mich lustig, aber auch ärgerlich und bald nach dem Essen war der Herr verschwunden.

Ich schlief bei Fuhrleuten auf der Streu, trank auf der Herberge Kaffee zu vier Pfennig, ging mit meinem Bautzener zusprechen, was mir drei Gutegroschen eintrug und verkaufte mein schönes Taschenmesser, woran mehrere Klingen, Feuerstahl und Korkzieher saßen und das zu Hause zwanzig Gutegroschen gekostet hat, mit genauer Not zu zwölf Gutegroschen. Dann gingen wir hinauf zur Albrechtsburg und zur Porzellanfabrik, da wir aber nicht auf Trinkgelder eingerichtet waren, blieben wir draußen. Die Aussicht hatte Ähnlichkeit mit der vom Borsberge, wo wir acht Tage zuvor mit sämtlichen Feierburschen, Vater Mönß an der Spitze, gewesen waren. Da hatten wir unter anderem im Schlosse Pillnitz von einer Galerie herab die kurfürstliche Mittagstafel mit angesehen, woran die Prinzessin Auguste, damals zwanzigjährig, mit schönen roten Backen prangte.

Als ich mein Bündel im Anker eingelöst hatte, gingen wir nach Oschatz und tags darauf nach Wurzen, wo mein Bautzener Arbeit annahm. Folgenden Tages wanderte ich in Leipzig auf der Bäckerherberge auf und brachte einen Gruß vom Dresdener Wortführer, Hannibal Mönß, wie sie ihn scherzando nannten. Einer sagte: „Nun, da du von Dresden kommst, mußt du doch von dem allgemeinen Aufstand wissen am Montag früh?“ – „Jawohl, jawohl, Bruderherz“, antwortete ich schnell, „und es war gut, daß sie alle aufstanden, sonst lägen sie noch in Betten.“ – „Aha, aha!“ lachte ein anderer, „der ist gewaschen!“

Ich bekam ein Zeichen zum Zusprechen vom Herbergsgesellen, der auch eine Art von Wortführer, doch nicht so alt als der Dresdner war. „Aber du mußt dich sputen“, sagte er, in zwei Stunden mußt du wieder hier sein!“ – Nach ungefähr einer Stunde hatte ich beide Taschen voll Semmeln und einige Groschen Geld. Ich ging nun zu einem Tor hinaus, um in den Vorstädten auch nach Bäckern zu suchen. Drei Handwerksburschen mit Bündel marschierten vor mir her. In einem erkannte ich den Färbergesellen Löber, der vor zwei Jahren mit mir im Rautenkranz zum Ritter geschlagen worden; die beiden anderen waren Hutmacher. Ich ging mit Löbern in die Stadt. In einer Färberei, wo er zusprach, luden ihn drei Gesellen zum Vesperbrot ein, nahmen ihm das Bündel ab und zogen mich, als seinen Landsmann, bei Rock und Hand mit in die Arbeitsstube; ich mußte Butterbrot und Schnaps mit genießen ohne Gnade. – Löber lud mich auf den Abend in den Gasthof zur Stadt Frankfurt a. Main ein, da logierte er.

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