Kitabı oku: «Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?», sayfa 19
Anmerkungen
[1]
Beck Gegengifte: Die organisierte Unverantwortlichkeit.
[2]
König in: Verbandsstrafe, S. 39 (46).
[3]
Beck Gegengifte: Die organisierte Unverantwortlichkeit, S. 100.
[4]
Vgl. zu diesem Verständnis organisierter Unverantwortlichkeit Schünemann Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 34; Schünemann wistra 1982, 41 (42); Dannecker GA 2001, 101 (103 f.); Rotberg in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, FS zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860–1960, S. 193 (207 f.); Kohlhoff Kartellstrafrecht und Kollektivstrafe, S. 196; Volk JZ 1993, 429 (433).
[5]
Eine vielschichtige Darstellung des ermittlungstaktischen Problems im Bereich der Wirtschaftskriminalität liefert Theile Wirtschaftskriminalität und Strafverfahren, S. 170 f.
[6]
Bierce The collected works of Ambrose Bierce, S. 57.
[7]
Alexander Verantwortlichkeit für die Wahrung der Verkehrssicherungspflichten, S. 41.
[8]
Volk JZ 1993, 429 (433).
[9]
Dies führen beispielsweise Napp Unternehmensstrafbarkeit und Unternehmenskuratel, S. 95 und Schünemann Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 47 f. ins Feld.
[10]
Terstegen/Zirpins Wirtschaftskriminalität, S. 39.
[11]
Im schweren Chemie-Störfall der Hoechst AG waren ca. zehn Tonnen der chemischen Substanz Nitroanisol ausgetreten und hatten sich als gelber Regen auf dem Betriebsgelände und benachbarten Wohngebieten niedergeschlagen. Drei erfahrene Chemiearbeiter machten während der Nachtschicht drei voneinander unabhängige Fehler bei der Bedienung einer nicht sehr komplizierten Anlage zur Herstellung von O-Nitroanisol. Das Überdruckventil öffnete sich – die Anlage explodierte also nicht – und eine Chemiewolke führte zu Niederschlag in einem Wohngebiet. Der Störfall wurde im Werk erst verspätet bekannt, die Warnung an die Bevölkerung wurde erst am nächsten Morgen gegeben. Die Staatsanwaltschaft stellte die meisten Ermittlungsverfahren ein; lediglich der Bedienungsmann wurde wegen umweltgefährdender Luftverunreinigung und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Vgl. zum Sachverhalt Preis des Versagens in: Die ZEIT vom 5.3.1993; vgl. aus der Perspektive der Versicherungswirtschaft Schilling, Haftungsrisiken und Haftpflichtversicherung Entwicklung und Perspektiven in: VW 1993, S. 1438.
[12]
Siehe unten Rn. 354.
[13]
Alexander Verantwortlichkeit für die Wahrung der Verkehrssicherungspflichten, S. 53; Heine Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 44; Schroth Unternehmen als Normadressaten, S. 22.
[14]
Heine Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, 37 f., 47.
[15]
Luhmann Funktionen und Folgen formaler Organisationen, S. 185.
[16]
Die Auswirkungen arbeitsteiliger Prozesse auf strafrechtliche Zuschreibungsprozesse sind vielfältig und sollen an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden, weil sie für die an dieser Stelle eingenommene Beobachterperspektive wenig Relevanz aufweisen. Im dogmatischen Teil wird auf die rechtlichen Konsequenzen der Einbindung in eine arbeitsteilige Organisation zurückgekommen, die womöglich zu einer Verdünnung strafrechtlicher Verantwortlichkeiten führt oder aber auch – durch Überlappungen von Verantwortungsbereichen – zu einer Verantwortungsvervielfältigung. Vgl. die Ausführungen ab Rn. 315.
[17]
Dieser Begriff ist maßgeblich von Schünemann geprägt, vgl. beispielsweise Schünemann wistra 1982, 41 (43); Schünemann in: Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts, S. 263 (271) m. w. N.
[18]
Schünemann in: GS f. Meurer, S. 37 (55).
[19]
Ausführlich hierzu Coleman American Journal of Sociology 1987, 406 (409 ff.).
[20]
Vgl. zu diesen Zusammenhängen auch Schneider NStZ 2007, 555; Schneider/John/Hoffmann Der Wirtschaftsstraftäter in seinen sozialen Bezügen.
[21]
So jedenfalls die Ausführungen in KPMG Studie 2006 zur Wirtschaftskriminalität in Deutschland, S. 23, die Gelegenheit mit dem Fehlen oder auch der Ineffektivität von Kontrollen innerhalb des Unternehmens gleichsetzen.
[22]
Vgl. zur Bezeichnung von Wirtschaftsstraftaten als „special opprtunity crimes“ Heinz in: Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht in einem Europa auf dem Weg zu Demokratie und Privatisierung, S. 13 (27); Schwind Kriminologie, § 21 Rn. 22.
[23]
Schwind Kriminologie, § 7 Rn. 30.
[24]
Cloward/Ohlin Delinquency and opportunity, S. 320.
[25]
Vgl. oben Rn. 56 ff.
[26]
Terstegen bezeichnete infolgedessen daher nur solche Personen als wirtschaftskriminell, die eine über die jedermann zugänglichen Einflußmöglichkeiten hinausgehende Machtposition innehaben; vgl. Kaiser in: FS f. Miyazawa, S. 159 (160).
[27]
Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2007 – Sicherheitslage der deutschen Wirtschaft, S. 5, 52 f.
[28]
Vgl. BGHSt 50, 331-346 mit Anmerkung Rönnau NStZ 2006, 218 ff.; Ransiek NJW 2006, 814 ff.; Hohn wistra 2006, 161 ff.
[29]
Darunter versteht man sog. Anerkennungsprämien, die einem Vorstandsmitglied wegen besonders guter Leistungen zu einem Zeitpunkt gewährt werden, indem es die relevanten Leistungen bereits erbracht hat. Diese Zahlungen sind nur dann zulässig, wenn eine Grundlage dafür im Anstellungsvertrag des Begünstigten vorliegt. Vgl. GK-AktG-Hopt 1. Aufl. § 93 Rn. 176 ff.
[30]
Im Fall Mannesmann stand die Rechtmäßigkeit der Zahlung von „Appreciation Awards“ in Höhe von insgesamt rund 112 Millionen DM, an deren Ausschüttung Josef Ackermann (Vorstandssprecher der Deutschen Bank), Klaus Zwickel (Ehemaliger IG Metall-Vorsitzender), Joachim Funk (damaliger Aufsichtsrats- und früherer Vorstandschef von Mannesmann) und Klaus Esser (damaliger Vorstandsvorsitzender von Mannesmann) im Frühjahr 2000 beteiligt waren. Das LG Düsseldorf hat die Angeklagten freigesprochen (LG Düsseldorf NJW 2004, S. 3275); der BGH hat die Freisprüche am 21.12.2005 aufgehoben und die Sache zurückverwiesen (BGHSt 50, 331–346). Im zweiten Prozess vor dem LG Düsseldorf wurde das Verfahren am 29.11.2006 gegen eine Geldauflage (§ 153a Abs. 2 StPO) in Höhe von 5,8 Millionen Euro vorläufig eingestellt. Im Einzelnen verfielen hierbei auf Ackermann 3,2 Millionen Euro, auf Esser 1,5 Millionen Euro, Funk sollte 1 Million Euro und Zwickel 60.000 Euro zahlen. Für Betriebsratschef Jürgen Ladberg legte das Gericht eine Geldauflage in Höhe von 12.500 Euro und für den Manager Dietmar Droste 30.000 Euro fest. Nach Erfüllung der Auflagen wurde das Verfahren durch die Strafkammer mit Beschluss vom 5.2.2007 endgültig gemäß § 153a StPO eingestellt.
[31]
Anfang 2000 mit etwa 10% an Mannesmann beteiligt.
[32]
Die Vorwürfe knüpften an sieben Beschlüsse des für Vorstandsangelegenheiten zuständigen Aufsichtsrates an, aufgrund derer an ehemalige Manager der Mannesmann AG erhebliche Geldsummen aus dem Vermögen der Gesellschaft als sog. „Appreciation Awards“ und „Alternativpensionen“ gezahlt wurden. Fest steht dabei, dass für diese Zahlungen zunächst keine anstellungsvertragliche Rechtsgrundlage bestand, sondern dass sie als eine – die vertraglichen Ansprüche übersteigende – Belohnung für geleistete Dienste gegenüber der Gesellschaft und den Aktionären beschlossen und ausgezahlt wurden. Zum Sachverhalt siehe Hüffer Betriebsberater 2003, 1 (S. 1 ff.) oder LG Düsseldorf, Urt. v. 22.7.2004 – XIV 5/03. Zur Bewertung auch Lange Arbeit und Recht 2004, 83 (84).
[33]
Vgl. die Darstellungen bei Schünemann Organuntreue, S. 47; Hüffer Betriebsberater 2003, 1 (4) m. w. N.
[34]
Vgl. zu dem Zusammenspiel zwischen Gesellschafts- und Strafrecht den Beitrag von Lüderssen in: FS f. Lampe S. 727.
[35]
Zu diesem Merkmal von white collar-Kriminalität siehe Rn. 104.
[36]
Jakobs NStZ 2005, 276 (276).
[37]
Zu den Bezügen von white collar-Kriminalität zur Sozialstruktur vgl. Aubert in: Kriminalsoziologie, S. 201 (203 ff.).
[38]
Vgl. die Darstellungen von Dombois in: Der Korruptionsfall-Siemens S. 131 und Graeff in: Der Korruptionsfall-Siemens S. 151; sowie die Handlungs-Struktur-Analyse von Grieger in: Der Korruptionsfall-Siemens S. 103 jeweils m. w. N.
[39]
Vgl. LG Darmstadt vom 14.5.2007 – AZ 712 Js 5213/04 – 9 KLs, S. 64, 65; Wolf in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 9 (10 ff.); http://www.siemens.com/press/pool/de/events/ahrespk2007/legal-proceedings-q4-2007-d.pdf; sowie den Geschäftsbericht 2007, abrufbar unter http://www.siemens.com/annual/07/pool/download/pdf/d07_00_gb2007.pdf.
[40]
Leyendecker Die große Gier, passim.
[41]
Dombois in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 131 (135).
[42]
Hierzu Vgl. Ashforth/Anand Research in Organizational Behavior 2003, 1 (3, 15, 35).
[43]
Vgl. Grieger in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 103 (107) m. w. N.
[44]
Das sogenannte „Grundsatzpapier“ war ein Formular, auf dem neben Projekt und Projektwert, auch der „Provisionsbetrag“ – mithin die Höhe des Schmiergeldes – und der Zahlungszeitraum verzeichnet wurden. Vgl. die detaillierte Darstellung in Dombois in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 131 (136) m. w. N.
[45]
Vgl. das Interview mit Siekaczek Eine Million in der Aktentasche in: Süddeutschen Zeitung vom 1.8.2008.
[46]
Dombois in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 131 (144).
[47]
Vgl. Die Firma in Der Spiegel 16/2008, S. 82.
[48]
Vgl. Dombois in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 131 (143 ff.) m. w. N.
[49]
Dombois in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 131 (143).
[50]
So auch die Aussagen Beteilgter in: Die Firma in Der Spiegel 16/2008, S. 79. „Ich hatte nur die Wahl, entweder mitzumachen oder meinen Job zu riskieren.“ Oder: „In diesen Bereichen werden keine Fragen gestellt, sie würden auch nicht beantwortet werden.“
[51]
Vgl. schon die Beobachtung Sutherlands in Rn. 52.
[52]
Rotsch Individuelle Haftung in Großunternehmen, S. 36.
[53]
Rotsch Individuelle Haftung in Großunternehmen, S. 37, 41 m. w. N.
[54]
Fassauer/Schirmer Soziale Welt 2006, 351 (364).
[55]
Vgl. Dombois in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 131 (146). Hierauf zielt auch Rotsch mit der erwähnten mittelbaren Neutralisation ab: In Kollektive eingebundene Individuen beziehen den Normappell nicht auf sich, sondern auf die übergeordnete Instanz. Die Folge ist, dass strafrechtlich relevante Handlungen und Erfolge als Ergebnis zufällig wirkender Faktoren aufgefasst werden und der Einzelne aufgrund seiner subjektiven Empfindung der Austauschbarkeit, den Bezug zu sich und seinem eigenen Verantwortungsanteil nicht herstellt. Rotsch führt diesen Umstand jedoch nicht auf das Kollektiv zurück, sondern hier stelle das Kollektiv zufällig ein günstiges Umfeld für die Entwicklung dieser, dem Individuum innewohnenden Merkmale dar; vgl. Rotsch Individuelle Haftung in Großunternehmen, S. 40.
[56]
Im Fall Siemens spricht gegen diese These, dass die Korruption über die Bereichsgrenzen hinweg praktiziert wurde, obwohl im Übrigen die Sparten wie eigene Unternehmen geführt wurden. Vgl. Dombois in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 131 (138).
[57]
Vgl. hierzu auch Grieger in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 103 (117).
[58]
„Once a social cocoon has formed, corruption may be facilitated through the following steps: (1) veterans model the corrupt behavior and easy acceptance of it, (2) newcomers are encouraged to affiliate and bond with veterans and develop desires to identify with, emulate, and please the veterans, (3) newcomers are subjected to strong and consistent information and ideological statements such that they view corrupt acts in a positive light, and (4) newcomers are encouraged to attribute any misgivings they may have to their own shortcomings (particularly naivete) rather than to what is being asked of them.“ Anand/Ashforth/Joshi Academy of Management Executive 2005, 9 (16).
[59]
Lampe ZStW 1994, 683 (733).
[60]
Schünemann wistra 1982, 41 (44).
[61]
Schünemann in: GS f. Meurer, S. 37 (55).
c) Schlussfolgerungen
182
Das Unternehmen konnte als geeigneter Kriminalitätskontext bestätigt werden, was den empirischen Ergebnissen der Studien zur Wirtschaftskriminalität entspricht.Special opportunity crimes[1] – wie insbesondere Wirtschaftsstraftaten – werden favorisiert, wenn die unmittelbare Umgebung das nötige know how, faktische Gelegenheiten und/oder die Neutralisierung psychischer Hemmungen bietet. Ebenjene Aspekte finden sich im Unternehmen abgebildet und führen zu folgenden Schlüssen:
183
(1) Die ergänzend herangezogenen sozialpsychologischen Überlegungen lassen plausibel erscheinen, dass durch die Eingliederung in ein Unternehmen beim einzelnen Unternehmensmitglied, infolge einer Überbewertung der Gewinnerzielung, Hemmschwellen abgebaut werden, die die gleiche Tat – begangen als Individualdelikt – verhindert hätten.[2] Die „kollektive Neutralisierung“ scheint gerade bei an sich sozial angepassten Bürgern der wichtigste Mechanismus für die Verursachung abweichenden Verhaltens zu sein und es wird durch verschiedene Untersuchungen belegt, dass nichts in dem Maße „Zweifel zu lindern und moralische Rückversicherung gegen ein nagendes Über-Ich zu verschaffen vermag wie die wiederholte emphatische und ausdrückliche Billigung durch andere Personen.“[3] Diese Annahme wird von Organisationssoziologen geteilt, die demonstrieren konnten, wie in formalisierten Systemen beliebige Informationen durch die ihnen innewohnende „eigentümliche Motivationslage“ autoritativ werden können. Nach ihren Erkenntnissen ist es dem Vorgesetzten möglich mit Hilfe einer „konditionalen Programmierung“ seine Autorität in Informationen zu investieren, welche er später nicht selbst geben muss, deren Reihenfolge er nicht bestimmen muss, kurz: die er im Einzelfall nicht mehr kontrollieren muss. Folglich können in Organisationen außerordentlich komplexe Vorgänge und Verhaltensweisen „programmiert werden“, ohne dass der Vorgesetzte den Ablauf im Einzelnen verantworten muss.[4] Diese Annahme ist auch im Hinblick auf die untersuchte Motivationslage des Individuums innerhalb eines Kollektivs plausibel: In formalisierten Systemen können Signale – selbst wenn es sich nicht um ausdrückliche Anweisungen der Vorgesetzten handelt – leicht autoritativ wirken. Dies hat zum einen mit einer sehr viel ausgeprägteren Neutralisierungstendenz des Individuums innerhalb der Organisation zu tun und andererseits mit der Abhängigkeit des Arbeitnehmers von seinem Arbeitsplatz, die ihn tendenziell zu Verhaltensweisen animieren wird, die von ihm als dem Unternehmensziel dienend erlebt (und bestätigt) wurden.[5] Es kann also nicht von einer Struktur ausgegangen werden, die den Leitungswillen – ohne jeglichen intellektuellen Widerstand – durch alle Unternehmensschichten autoritär durchsetzen kann, allerdings ist eine gewisse Unterordnungsbereitschaft unter das Unternehmensziel nicht zu verkennen. Eine „kriminelle Verbandsattitüde“ ist also plausibel. Deutlich intensivere „Attitüden“ sind jedoch in Sekten oder gar terroristische Organisationen festzustellen.[6] Unternehmen dagegen sind legale und auf Legalität ausgerichtete Institutionen,[7], von denen sich die meisten rechtstreu und legal verhalten. Insofern ist die Verstärkung der für die Wirtschaftskriminalität typischen Faktoren in einem permissiven Unternehmensklima möglich; allerdings ist der Eindruck, dass sich Unternehmen „vornehmlich in der Veranlassung oder Duldung von Straftaten betätigen“[8] unplausibel.
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(2) Das Unternehmen ist ein ideales Werkzeug im Zusammenhang mit der Kriminalität der „Mächtigen“ bzw. der „white collar-Täter“; dies wurde am Beispiel Mannesmann deutlich. Besonders anschaulich wird es im historischen Fall I.G. Farben:[9] Das Unternehmen I.G. Farben errichtete während des Dritten Reiches ein Chemiewerk in Auschwitz sowie Lager für KZ-Häftlinge auf dem Firmengelände, das zu einem Außenlager des KZ Auschwitz wurde. Das Unternehmen stellte weiterhin Produkte her, die für die Kriegswirtschaft von entscheidender Bedeutung waren. Der später stattfindende Prozess vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal wurde gegen 23 leitende Angestellte der I.G. Farbenindustrie AG 1947 geführt und hatte die Anklagepunkte „Planung, Vorbereitung, Beginn und Führung von Angriffskriegen und Einfällen in andere Länder“, „Plünderung und Raub“, „Versklavung und Massenmord“, „Mitgliedschaft der SS“, „Gemeinsamer Plan oder Verschwörung“ zum Gegenstand. Das Unternehmen wurde hier durch den Gerichtshof als „Werkzeug in den Händen der Angeklagten“ bezeichnet.[10] Dies ist eine treffende Beobachtung, denn das Unternehmen als Funktionseinheit bietet in der Tat die Möglichkeit, die individuellen Handlungskreise zu vergrößern – den „Einsatz“ zu erhöhen. Die arbeitsteilige Struktur des Unternehmens und das ihm innewohnende Informations- oder Machtpotential können durch die Führungsebene auch dazu genutzt werden, eine egoistisch motivierte Tat zu ermöglichen oder zu verschleiern. „Egoistisch motiviert“ deshalb, weil sie nicht im Unternehmensinteresse liegen muss. Sie kann dem Unternehmen in irgendeiner Form zuträglich sein, wie es im Fall Mannesmann im Hinblick auf die Aktionärsinteressen der Fall war. Sie kann als Handlung auch neutral sein, wie im Fall I.G. Farben, wo die Produktion erhalten blieb und das Unternehmen insofern am Markt überlebte. Sie kann aber auch zum Nachteil des Unternehmens gereichen, wie beispielsweise im Fall des Mitarbeiters, der regelmäßig einen bestimmten Lieferanten bei der Auftragsvergabe bevorzugt, weil dieser Lieferant ihm dafür hin und wieder einen Privaturlaub gewährt. Die Möglichkeit des Privaturlaubs ist zwingend mit der Position verbunden, einen – lukrativen – Auftrag vergeben zu können. Die Position wiederum ist durch einen Vertrauensvorschuss – nämlich einen Entscheidungsspielraum und ein gewisses Maß an Selbstständigkeit – ausgezeichnet, der sich beispielsweise in der üblichen „Unterschriftengrenze“ von 5000 Euro manifestieren kann. Der Schaden durch die Summierung solcher ungerechtfertigten Bevorzugungen geht über einen Individualschaden hinaus, denn er bedeutet eine Benachteiligung aller anderen Konkurrenten und eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs. Ein solcher Umstand ist also trotz seiner scheinbaren Bagatellhaftigkeit mit in den Blick zu nehmen und eine Folge der Unternehmensorganisation, die eine solche „Unterschriftengrenze“ zu ihrer organisatorischen Entlastung eingeführt hat.[11]
185
(3) Die inkriminierte Handlung kann derart in das allgemein übliche Geschäftsgebaren eingebunden sein, dass die Entdeckung an sich problematisch ist und dadurch eine Gelegenheit entsteht. Es wurde gezeigt, dass derartige kriminogene Situationen mit Routineaktivitäten zusammenhängen, in denen sicherheitsrelevante Tätigkeiten ohne Kontrolle durch Dritte von immer denselben Mitarbeitern durchgeführt werden.[12] Da arbeitsteilige Prozesse zudem dadurch charakterisiert sind, dass überwiegend eine Trennung von Planung und Ausführung erfolgt und unterschiedliche Informationsstände auf den verschiedenen Ausführungsebenen unausweichlich sind, schafft die Durchmischung legaler wie illegaler Möglichkeiten eine Struktur von Tatgelegenheiten, die kriminogen auf das Individuum wirken kann.[13]
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Hinsichtlich all dieser Aspekte ist das Unternehmen conditio sine qua non für die Herausbildung von Wirtschaftskriminalität, doch was folgt hieraus für eine zweckmäßige Definition der Unternehmenskriminalität, die Basis weiterer normativer Überlegung sein könnte? Letztlich ist bisher nicht mehr als eine Subkultur beschrieben, ein soziales Verhaltens- und Wertesystem also, das getrennt von der übergeordneten Kultur besteht, gleichwohl aber Teil derselben ist.[14] Bei genauerer Betrachtung ist das Unternehmen sogar noch nicht einmal das, da es auf eine legale Unternehmenstätigkeit ausgerichtet ist. Es wurde bisher nicht mehr festgestellt als, dass das Unternehmen ein idealer Lern-, Neutralisierungs- und Gelegenheitskontext ist. Gelegenheiten, die sich durch Kontrolldefizite auszeichnen und ein Lern- und Neutralisierungskontext, der Ausdruck einer nämlichen Unternehmenskultur sein kann. Die näher untersuchten Beispiele könnten auch schillernde Ausnahmen sein und nichts über eine grundsätzlich zu vermutende organisierte Unverantwortlichkeit oder gar über eine Täterqualität des Unternehmens aussagen.
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Nun könnte an den Umstand angeknüpft werden, dass der für Unternehmensspitzen gesuchte „Managertyp“ ebenjener risikobereite und entscheidungsfreudige Typ Mensch ist, der keine konformistischen Züge aufweist.[15] Im Bereich der Führungskräfte spielt zudem in besonderem Maße die erwähnte Durchdringung des Privatbereichs durch Unternehmensbelange und die dadurch vermengten sozialen Bindungen, die Hemmschwellen der Entscheidung für die Kriminalität senken[16] eine Rolle. Der Marktmensch der kompetitiven Gesellschaft, der seinen Lebensentwurf am Ideal der Gewinnmaximierung gestaltet, findet im Unternehmen die Bestätigung seiner utilitaristischen Motivation und ein optimales Umfeld.[17] Dies kann aber ebenso der Ausdruck von „Labeling in neuem Gewand“[18] sein, da die Übergänge zwischen bloßer Abweichung und Kriminalität, zwischen Geschäftstüchtigkeit und Devianz – wie gesehen – fließend sind.[19] Insofern können die betrachteten kriminologischen Besonderheiten schlicht ein Ausdruck der Wirtschaftsparameter sein, die im Unternehmen verstärkt werden. Dann wären Wirtschafts- und Unternehmenskriminalität zweckmäßiger Weise synonym zu verwenden, da im Unternehmen lediglich (häufiger) zu Tage träte, was in jeglichem Wirtschaftskontext an typischer Kriminalität auftritt; jedoch wäre die Frage nach einem Unternehmensstrafrecht auf einer anderen Tatsachenbasis zu stellen. Vereinfacht dargestellt: Auch innerhalb eines Spiels[20], das wie das Unternehmen über Interaktionsmuster und Regeln verfügt, mittels derer bestimmt werden kann, welche Handlungen als Beiträge zur Interaktion gewertet werden können, ist eine Unterscheidung zwischen „privaten Handlungen“ und „Spielhandlungen“ möglich. Stellte man fest, dass ein Spiel auf der Basis von Regeln konzipiert ist, die Spielkonstellationen entstehen lassen, die kein Mitspieler intendierte und dennoch unfair sind, schließt man daraus nicht auf eine unfaire Handlung des Spiels. Eine unfaire Situation kann für ein bestimmtes Spiel typisch sein und anhand der Häufung bestimmter Spielkonstellationen kann auch ein Urteil darüber gefällt werden, ob ein Spiel fairen Regeln unterworfen ist. Jedoch kann dies nicht als intentionaler Ausdruck des Spiels gewertet werden, für das man ebenjenes verantwortlich machen könnte. Es wäre zwar ein wenig ansprechendes Spiel, aber letztlich ginge die unfaire Geste von einem Mitspieler aus. Nimmt man die Spieler – respektive die Unternehmensmitglieder – heraus, bliebe nur ein Netz von abstrakten Interaktionsbeziehungen, welche nicht als „Kriminelle“ oder „Verantwortungsträger“ taugten. Ähnlich liegt es auch hier: Verstärkt das Unternehmen nur Aspekte der Wirtschaftskriminalität, folgt hieraus nicht zwangsläufig, dass das Unternehmen kriminell ist.[21]
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Die beschriebenen Besonderheiten der Unternehmenskriminalität könnten auch schlicht ein hinzunehmendes Risiko darstellen. Es ist eine Banalität festzustellen, dass Fortschritt auch Risiken mit sich bringt und das Unternehmen als Akkumulation technischer Besonderheiten und beschleunigter Produktion neben gesellschaftlich nützlichen auch riskante Effekte hat. Das Unternehmen ist ein besonders auffälliger Aspekt der Risikogesellschaft, welche im Strafrecht ausführlich rezipiert und kritisch diskutiert wurde.[22] Der Umgang mit diesem Risiko steht jedoch nicht vorab fest und ist in Bezug auf die Unternehmenskriminalität keineswegs evident. Denkbar ist es, dass Unternehmen für die so produzierte Kriminalität „verantwortlich“, sie gar Täter sind. Strafrechtlich hinge die Beurteilung dieser Frage davon ab, ob das Unternehmen im Sinne des § 25 StGB als Täter angesehen werden kann oder ein vergleichbares Zurechnungssystem in das deutsche Strafrecht implementiert werden kann, kurz: ob es anhand strafrechtlich relevanter Kriterien für den Rechtsbruch zuständig[23] sein kann. Für die phänomenologische Betrachtung des Unternehmens und der damit im Zusammenhang stehenden Kriminalität sind hingegen andere Aspekte relevant: zum einen, ob es nicht das bisher proklamierte[24]Opfer ist. Zum zweiten, ob es mehr ist als ein „Dach“, unter dem sich Wirtschaftskriminelle besonders häufig aufhalten. Zum dritten, ob es als Akteur bezeichnet werden kann, der Kriminalität produziert oder gar als Krimineller zu bezeichnen ist. Hierauf soll im Folgenden eingegangen werden.
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