Kitabı oku: «Eigenständig im Alltag unterwegs (E-Book)», sayfa 4

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5. Was Sie in diesem Buch finden

Dieses Praxishandbuch ist in drei Bereiche gegliedert, die sich jeweils mit einem Thema befassen, mit dem Sie im Alltag von stationären und teilstationären Einrichtungen garantiert konfrontiert sind: Im ersten Themenbereich geht es um Fragen zu «Konsum und Geld», im zweiten um das «Kochen und Wohnen», also um Haushalt, Kochen und Putzen, im dritten Themenbereich «Smart mit Phone» beleuchten wir Fragen zum Umgang mit digitalen Medien. Im Kapitel «Selbstbestimmt und entspannt» werden die Themen zusammengeführt.

 Beim Thema «Konsum und Geld» geht es um Finanzmanagement, das Verstehen der Wirkungsweise von Werbung, das Entwickeln eines Verständnisses für die komplexe globale Wirtschaftsweise und einer ethischen Grundhaltung dazu sowie um das Treffen von möglichst bewussten Konsumentscheiden. Sie finden Anregungen in den drei Unterkapiteln «Cash und Credit: Mein Umgang mit Geld und Finanzen», «Schein und Sein: Wie Werbung mich und meine Konsumentscheide beeinflusst» und «Klipp und klar: Ich weiss, warum ich was will».

 Beim Thema «Kochen und wohnen» nähern wir uns der Frage, wie der Wohnalltag angenehm und möglichst selbstwirksam gestaltet werden kann. Es geht dabei um die Erweiterung der Planungs- und Sozialkompetenzen und der positiv besetzten Eigenständigkeit. Wir zeigen hier ausserdem, wie Nachhaltigkeitsfragen im Zusammenhang mit Haushalt thematisiert werden können. Das Thema wird durch die drei Unterkapitel «Effizient und organisiert: Ohne Anstrengung durch den Alltag», «Genussvoll und kreativ: Kochen mit Köpfchen» und «Gemeinsam und relaxt: Gute Stimmung am Tisch» strukturiert.

 Beim Thema «Smart mit Phone» schliesslich stellen wir digitale Medien unter einem medienpädagogischen Gesichtspunkt ins Zentrum und zeigen auf, wie das Handy sinnvoll für die Bearbeitung der ersten beiden Themenfelder «Konsum und Geld» und «Kochen und wohnen» eingesetzt werden kann. Sie finden das Wichtigste kurz und knapp zusammengefasst in den beiden Unterkapiteln «Praktisch und Handy: Mit digitaler Unterstützung durch den Alltag» sowie «Risiken und Grauzonen: Wenn das Handy zur Gefahr wird».

 Abschliessend führt das Thema «Selbstbestimmt und entspannt» die vorherigen Inhalte zusammen. Wir beleuchten hier ausführlich die Selbststeuerungskompetenz, die im Alltag als Querschnittsthema hineinspielt. Eine ausgereifte Selbststeuerungskompetenz ist die Voraussetzung für eine hohe Eigenständigkeit im Alltag, wir widmen dem Thema deshalb ein eigenes Unterkapitel.

Uns war wichtig, dass Sie dieses Praxishandbuch sowohl von A bis Z lesen, als auch als Nachschlagewerk und somit punktuell zu den für Sie relevanten Themen nutzen können. Daher ist jedes Kapitel gleich strukturiert: Zuerst finden Sie ein didaktisierendes Intro, in dem wir kontextualisieren, weshalb das Thema für stationäre und teilstationäre Einrichtungen besonders relevant ist. Danach erklären wir anhand unseres Modells SALSA, wie Sie das Thema bearbeiten können, um gewinnbringende Lernsituationen in Ihren Berufsalltag einzubauen.

Schliesslich beschreiben wir in Teil 3 des Buches konkrete Beispiele, wie Sie für unterschiedliche Zielgruppen Lernsituationen gestalten können. Wir haben dafür die folgenden sechs Zielgruppen gewählt: 5- bis 10-jährige Kinder mit/ohne Lernschwierigkeiten, 11- bis 19-jährige Jugendliche mit/ohne Lernschwierigkeiten und Erwachsene mit/ohne Lernschwierigkeiten.

Wir möchten an dieser Stelle nochmals betonen, dass jede Lernsituation spezifisch angepasst werden muss, sowohl an das institutionelle Umfeld wie auch an die Lernvoraussetzungen der Person oder Personengruppe, die Sie während des Lernprozesses begleiten. Unsere beispielhaften Lernsituationen sind auf der Ebene der Richtziele ausgearbeitet und lassen sich individuell spezifizieren. Orientieren Sie sich daher zwar am hier aufgeführten Modell und dem Planungsablauf, seien Sie aber gleichzeitig inhaltlich kreativ und nutzen Sie die sich bietenden Lerngegenstände und Lernchancen in Ihrem Berufsumfeld.

Teil 2: Themenbereiche mitten aus dem Praxisalltag

Die Themenbereiche in den folgenden Kapiteln wurden im Austausch mit Praktiker*innen festgelegt. Der Alltag ist das Lernfeld; wir alle lernen im Alltag durch unsere Erfahrungen und lernen aus unseren Erfahrungen für den Alltag. Möglichst kompetent im Alltag unterwegs sein ist unser aller Ziel. Teil 2 dieses Buchs handelt davon, gemeinsam mit den Klient*innen diesen Weg zu gehen, entlang verschiedener Themenbereiche.

A | Konsum und Geld


Cash und Credit: Mein Umgang mit Geld und Finanzen
1. Warum das Thema «Finanzkompetenz» didaktisch wichtig ist
Ausgangslage

Finanzielle Handlungen sind etwas Alltägliches: Wir wählen Nahrungsmittel aus und kaufen diese ein, zahlen die Handyrechnung und die Wohnungsmiete oder sparen auf eine grössere Anschaffung hin. Doch auch wenn wir die Finanzfertigkeiten täglich üben, bleibt es für viele Menschen schwierig, sich finanzkompetent zu verhalten. Dass sich Finanzkompetenz nicht mal eben so nebenbei ergibt, zeigt sich unter anderem auch an der grossen Anzahl an von Verschuldung betroffenen Erwachsenen – denken Sie nur einmal daran, wie viele Menschen Sie in Ihrem Umfeld kennen, die ihre Steuerrechnung nicht fristgerecht begleichen können. Der Verein Schuldensanierung Bern präzisiert: «Verschuldet zu sein ist an sich kein Problem. Erst wenn diese Schulden aus dem laufenden Einkommen oder den flüssigen Mitteln des Haushaltes nicht beglichen werden können, stellt sich die Überschuldung ein. Von Überschuldung sprechen wir, wenn der Teil des Einkommens, der nach der Deckung des Existenzminimums übrigbleibt, nicht ausreicht, um sämtliche darüber hinaus bestehenden Verpflichtungen in einem überschaubaren Zeitraum zu erfüllen und wenn auch sonst keine Ressourcen zur Verfügung stehen. Überschuldung setzt Verschuldung voraus.»[27]

Verschuldung und Überschuldung beginnt oft früh, vielfach im Jugendalter, und hat langwierige und weitreichende Konsequenzen für die Betroffenen. Sie kann zudem massive sozio-ökonomische Folgen haben, beispielsweise müssen überschuldete Menschen häufig bezüglich der Wohn- oder Arbeitssituation, aber auch im Sozialleben gravierende Einbussen in Kauf nehmen, oder jugendliche Familienmitglieder müssen bereits für das gemeinsame Haushaltseinkommen mitverdienen. Verschuldung und insbesondere Überschuldung limitiert daher die Gestaltung des eigenen Lebens. Für Betroffene wird der Schuldenberg zur psychischen Belastung und führt vielfach auch zu Einsamkeitsgefühlen, da die Situation schambehaftet ist. Es ist daher wichtig, dass insbesondere Jugendliche vor dem Erlangen der Volljährigkeit und im Hinblick auf ein möglichst eigenständiges Leben in ihrer Finanzkompetenz gefördert werden.[28] Auch erwachsene Klient*innen müssen ihre Finanzkompetenz erweitern können. Es zeigen sich hier aber meist multidimensionale Gründe für eine Verschuldungssituation. So können beispielsweise psychische Erkrankungen wie eine Depression oder psychotische Episoden dazu führen, dass der Alltag inklusive Post öffnen und Rechnungen bezahlen nicht mehr bewältigt werden kann. Auch Suchtproblematiken führen oft zu Überschuldung oder zumindest in eine finanzielle Schieflage. Daneben gibt es aber auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Überschuldung begünstigen. So sind beispielsweise Einelternfamilien stärker von Armut und Verschuldung betroffen als Mehrelternhaushalte. Auch ein Jobverlust oder Krankheit führen in vielen Fällen zu einer Abwärtsspirale mit Geldsorgen. In einem stationären oder teilstationären Kontext werden Sie durch Ihre Arbeit mit Klient*innen sowie mit deren Umfeld daher garantiert mit finanziellen Fragen konfrontiert sein.

Exkurs: Verschuldungssituation Schweiz

«1 von 10 Personen lebt in einem Haushalt, der in den letzten 12 Monaten Steuerschulden hatte.»

«Nahezu 20 Prozent der Bevölkerung leben in einem Haushalt mit mindestens einem auf Kredit gekauften Fahrzeug.»

«Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung leben in einem Haushalt mit mindestens einer Art von Schulden.» [29]

Diese Schlagzeilen der letzten Erhebung des Bundesamtes für Statistik (BFS) aus dem Jahr 2017 zur Verschuldung in der Schweiz lassen aufhorchen. Insgesamt haben Haushalte in der Schweiz auch im Vergleich mit dem Ausland eine sehr hohe Verschuldungsquote.[30] Haushalte mit Kindern, insbesondere Einelternhaushalte, waren gemäss BFS-Erhebung[31] stärker von Verschuldung betroffen, Haushalte in der französischen und der italienischen Schweiz und Personen ausländischer Nationalität haben sich zudem eher verschuldet. Weiter waren Personen mit materieller Entbehrung signifikant stärker von Verschuldung betroffen als Personen ohne materielle Entbehrung. Materielle Entbehrung misst im Unterschied zu relativen Armutserhebungen in absoluten Zahlen die soziale Ausgrenzung mittels dem Nichtbesitz von grundlegenden Gebrauchsgütern. Wenn mindestens drei von neun erhobenen Indikatoren aufgrund von mangelnden finanziellen Ressourcen fehlen, gilt die Person als von materieller Entbehrung betroffen.[32]

Fast jede fünfte Person tauchte in der Verschuldungsstatistik auf, weil Rechnungen zu spät bezahlt wurden, aber auch fast eine von zehn in der Statistik erfassten Personen lebte in einem Haushalt mit Verschuldung wegen Klein- oder Konsumkredit.[33]

Jugendliche und junge Erwachsene sind stark von Verschuldung betroffen, jede zweite Person unter 24 Jahren war laut BSF-Statistik auf mindestens eine Art verschuldet. Zu den erfassten Schuldenarten gehörten Fahrzeug-Leasings, Klein- oder Konsumkredite, Ratenzahlungen, Verschuldungen bei der Familie oder Freunden, Hypotheken auf den Zweitwohnsitz, Zahlungsrückstände sowie Kontoüberziehungen und unbezahlte Kreditkartenrechnungen. Die Basler Schuldenfachstelle Plusminus[34] stellt mehrere Faktoren fest, die bei Jugendlichen zu Verschuldung führen. Dazu gehören fehlende Finanzkompetenz, Konsum als Freizeitbeschäftigung, Gruppendruck, kompensatorischer Konsum oder Suchtprobleme.

Digitale Medien verschärfen die Verschuldungs-Thematik zweifellos, weil neben der permanenten Verfügbarkeit und den tiefen Hürden zum Shoppen auch eine Dauerberieselung mit zielgruppenspezifischer Werbung stattfindet und mit nur wenigen Klicks fatal hohe Kaufverträge abgeschlossen sind.

2. So verstehen wir «Finanzkompetenz»

Finanzkompetenz beinhaltet nicht nur den Umgang mit Geld in engeren Sinn, sondern auch das Erkennen und Priorisieren des eigenen Bedarfs und der Bedürfnisse, sowie die kurz-, mittel- und langfristige Planung des Ressourceneinsatzes. Es handelt sich also um eine komplexe und vielschichtige Kompetenz, die entwickelt und gelernt werden muss. Als Voraussetzung für den Kompetenzerwerb braucht es sowohl rechnerische Kenntnisse als auch mit Blick auf den zunehmend bargeldlosen Einkauf und den Onlinehandel eine hohe Abstraktionsfähigkeit. Kinderspielkassen für das «Verkäuferli-Spiel» haben heute beispielsweise oft einen Scanner und eine Karten-Zahlstation eingebaut, bei neueren Ausgaben des Monopolyspiels lässt sich nicht nur mit Bargeld, sondern auch mit Karte bezahlen. Kinder lernen so spielerisch, dass es neben dem handfesten Papiergeld und den Münzen zusätzlich nicht physisch sichtbares Geld gibt via Kartenzahlung. Das weitere Abstraktionslernen besteht dann darin, zu verstehen, dass auch Kartengeld nicht unendlich verfügbar ist – eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, da viele Karten bereits integrierte Verschuldungsfunktionen (Option zum Kontoüberzug) haben. Daneben geht es aber auch um Fragen der Frustrationstoleranz oder um die Fähigkeit, Konsequenzen zu antizipieren, die aus kurzfristigen Entscheiden resultieren. Mit zunehmender zielgruppenspezifischer Werbepräsenz auf den diversen Social-Media-Kanälen sind der Umgang mit der täglichen Verführung und das Management der eigenen Finanzen noch anspruchsvoller geworden: Ein paar Klicks genügen und der Einkauf ist getätigt, die Ware wird bequem angeliefert. Auch Klient*innen im institutionellen Rahmen sind solchen Verlockungen ausgesetzt. Allerdings leben sie vielfach auch in einem engen Setting mit wenig bis gar keinem finanziellen Entscheidungsspielraum. Das Erlangen einer ausreichenden Finanzkompetenz ist aus professioneller Sicht wichtig, denn ohne solche ist die gesellschaftliche Teilhabe und Autonomie der Klient*innen massiv eingeschränkt. Es geht dabei zudem um das Normalisierungsprinzip: In unserer westlichen Gesellschaft gilt es als normal, über gewisse individuelle finanzielle Ressourcen zu verfügen und eigene Entscheide zu fällen. In der Arbeit mit Personen aus anderen Kulturkreisen, die Entscheide eher in Gruppen fällen, kann das indes bereits eine erste Herausforderung sein. Auch Personen, die eine Beistandschaft haben, werden vielfach im Alltag nur limitiert in Finanzentscheide einbezogen. Wir sind der Meinung, dass gelingende Finanzkompetenz für jede Zielgruppe notwendig ist und Erfolgserlebnisse ermöglichen kann. Es braucht dazu jedoch spezifische Lernsituationen, die sich eng an der Lebenswelt der betroffenen Person orientieren.

3. Förderung und Kompetenzerweiterung im Alltag

Die Aufgabe aus professioneller Sicht besteht also vor allem darin, einen den Kenntnissen und Fertigkeiten der Klient*innen angepassten Rahmen zu finden, der sie befähigt, ihre eigenen Finanzkompetenzen stetig zu erweitern. Nicht zuletzt geht es dabei auch um Fragen der Partizipation, also darum, dass Klient*innen zugetraut, aber auch zugemutet wird, für sich selbst finanzielle Entscheidungen zu treffen oder in der Gruppe mitzuentscheiden und die daraus entstehenden Konsequenzen mitzutragen. Wenn sich eine Klientin beispielsweise dafür entscheidet, ihr Taschengeld jeweils direkt in Süssigkeiten und Zeitschriften zu investieren, muss sie damit leben, dass sie kein Geld hat, um sich die neue Lieblingsjeans zu kaufen. Wenn sie diese Hose dennoch möchte, muss sie sich kurzfristig einschränken, um mittelfristig die Finanzressourcen für eine grössere Anschaffung zu schaffen.

Ein wichtiger Faktor dabei ist das Modelllernen im familiären Umfeld. Wenn also Kinder lernen, dass Verschuldung vermieden und die Finanzressourcen eingeteilt werden sollen, beispielsweise indem im Folgemonat auf einen teuren Ausflug verzichtet wird, weil sich die Familie soeben ein neues Sofa angeschafft hat, werden sie diese Erfahrung als Grundwert mitnehmen und im Idealfall auch selbst danach leben. Wenn hingegen das Familienbudget chaotisch ist und oftmals kaum Geld für Lebensmittel bleibt, weil beispielsweise alles für Zigaretten und Alkohol ausgegeben wurde, wird auch diese Erfahrung das Kind entsprechend prägen und im ungünstigen Fall zu einer Wiederholung des vorgelebten Umgangs mit Geld führen.


Aus professioneller Sicht lassen sich aus diesen Beobachtungen wichtige Schlussfolgerungen ableiten:

 Finanzkompetenz ist eine Grundvoraussetzung für die gesellschaftliche Teilhabe und Partizipation.

 Menschen, die in stationären und teilstationären Einrichtungen leben, sind darauf angewiesen, dass sie von Fachleuten bewusst, aktiv und stetig in ihrer Finanzkompetenz gefördert werden.

 Der Einbezug der Elternarbeit respektive die Arbeit mit dem Klient*innensystem ist unabdingbar

 Die individuellen Finanzbiografien und die Erfahrungen der Klient*innen müssen miteinbezogen werden, um geeignete und lebensweltorientierte Lernsituationen zu finden und zu bearbeiten.

 Da sich aus Geldangelegenheiten oftmals juristische Fragen ergeben (z.B. Vertragsabschlüsse, Verschuldung), müssen Fachleute über ein entsprechendes rechtliches Grundlagenwissen sowie über Adressen von Fachstellen verfügen, um ihre Klient*innen gut zu beraten und zu begleiten.

Aus der Praxis

Im Wohnheim für Kinder herrschte Ratlosigkeit, als es eines Morgens an der Tür klingelte und der Pizzakurier eine Calzone abgeben wollte. Auf Nachfrage der Sozialpädagogin bestätigte der Kurier, dass er für die Lieferung definitiv an der richtigen Adresse sei. Was war passiert? Wie sich herausstellte, hatten zwei sechsjährige Mädchen gespielt, dass sie für ihre Puppen das Mittagessen vorbereiten, und zwar Pizza. Also hatten sie heimlich das Gruppen-Natel stibitzt und kurzerhand den Pizzakurier angerufen, der dann auch prompt vor der Tür stand …

Komplizierter war die Situation im Wohnheim für Erwachsene. Ein Bewohner, Herr M., leidet an Demenz. Er ist aber gleichzeitig noch recht selbstständig und informiert sich auch immer im Internet über die neusten Aktionen. Da sah er bei einer ihm bekannten Firma, dass es eine Waschmaschine zu einem Schnäppchenpreis gab – und bestellte sie sofort, denn ihm ist wichtig, dass die Wäsche immer sauber ist. Erst bei der Anlieferung wurde der Kauf bekannt. Der Sozialpädagoge sah sich plötzlich mit einem Waschmaschinen-Lieferanten konfrontiert, der darauf bestand, dass es einen gültigen Verkaufsvertrag gebe, und die Waschmaschine nicht wieder mitnehmen wollte …

Das Internet stellt demnach für Klient*innen, aber auch für deren Betreuungspersonen, eine grosse Herausforderung dar. So auch im Wohnheim für Erwachsene mit kognitiver Beeinträchtigung. Bewohner U. machte im Internet Bekanntschaft mit einer Dame, und er wollte diese nette Frau unbedingt persönlich kennenlernen. Also verabredete er sich für den Abend mit ihr. Um 22 Uhr fuhr auf dem ländlichen Gelände des Wohnheims plötzlich ein teures Auto vor, und eine schick gekleidete Dame stieg aus. Der Bewohner mit kognitiver Beeinträchtigung war sich nicht bewusst gewesen, worauf er sich eingelassen hatte, und die arbeitende Sozialpädagogin musste spätabends mit einer erbosten Escort-Dame verhandeln, die für ihre Anreise und Dienste Entschädigung wollte …

Nicht immer ist die rechtliche Situation in solchen Situationen glasklar. Das bekam auch Bewohnerin L. vom Wohnheim für Jugendliche zu spüren. Sie verwaltet ihr eigenes Taschengeld und bestellt sich immer mal wieder Produkte aus dem Internet. Das darf sie auch, wenn der finanzielle Umfang pro Kauf verhältnismässig ist. Doch an einem verhängnisvollen Abend sah sie ein unwiderstehliches Angebot für einen Marken-Lippenstift für 19.90 Franken, zu bestellen gegen Rechnung. Nach dem Kauf surfte sie weiter und sah auf einer anderen Kosmetik-Website einen noch besseren Lippenstift, auf einer dritten eine Wimperntusche, auf einer vierten ein Parfüm. Letztendlich kaufte Sie in acht verschiedenen Shops gegen Rechnung ein, fast 200 Franken kostete sie das alles – viel mehr als ihr monatliches Taschengeld. Als sie das gemeinsam mit der Sozialpädagogin erkannte, wollte sie die Einkäufe rückgängig machen, doch das ist kompliziert, bei acht verschiedenen Anbietern …

Nicht immer ist zu wenig Geld das Problem, manchmal wird es auch schwierig, wenn ein plötzlicher Geldsegen eintrifft. So geschehen in einem Wohnheim für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Klientin S. erhielt eine Erbschaft, und das sprach sich schnell im Wohnheim herum. Immer wieder pumpten Mitbewohner*innen S. an, einige überredeten sie auch zu grosszügigen Geschenken. Einem Mitbewohner schenkte S. gar ein neues Mofa – die überraschten Sozialpädagog*innen merken das erst nach dem Kauf. Kurz darauf meldete sich die Schwester von S. und warf den Betreuungspersonen vor, sie hätten ihre Schutzpflicht verletzt, weil sie zu wenig auf die Ausgaben der psychisch labilen Klientin geachtet hätten. Die Schwester drohte ihnen mit einer Klage …

Exkurs: Rechtliche Grundlagen

Im Berufsalltag stellen sich eine ganze Reihe praktischer Fragen rund um den Umgang mit Finanzen. Hier finden Sie eine Übersicht von wichtigen Hinweisen, die auch in den oben genannten Praxisbeispielen nützlich gewesen wären. Die Antworten kommen von der Berner Schuldenberatung (schuldeninfo.ch).

1. Unter welchen Voraussetzungen kommt im Internet ein Kaufvertrag zustande?

BS: Erste Voraussetzung, die wie bei allen Kaufverträgen erfüllt sein muss, ist die Urteilsfähigkeit. Wer nicht urteilsfähig ist, kann keine Verträge abschliessen. Sodann sind die Voraussetzungen für das Zustandekommen von Verträgen, die im Internet geschlossen werden, grundsätzlich dieselben, die auch für sämtliche andere Verträge gelten. Wenn Formvorschriften bestehen, müssen diese erfüllt sein: Ist Schriftlichkeit vorgeschrieben, kann der Vertrag nicht im Internet abgeschlossen werden, der Vertragstext muss ausgedruckt und von beiden Parteien unterschrieben werden. Eine Alternative wäre die elektronische Unterschrift, die auf einem Zertifikat beruht. Im Alltag treffen wir diese Art von Unterschrift bisher kaum an. Schliesslich braucht es noch eine übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der Vertragsparteien zu sämtlichen wesentlichen Vertragspunkten. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, muss der Onlinevertrag eingehalten werden, sofern er nicht gesetzes- oder sittenwidrig und damit nichtig ist.

2. Wer ist in welchem Rahmen vertragsfähig?

BS: Urteilsfähige Minderjährige und urteilsfähige Personen mit umfassender Beistandschaft sind nur beschränkt handlungsfähig. Sie können ohne die Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertretung (z.B. der Eltern oder des Beistandes) keinen Vertrag abschliessen (vgl. Art. 19 ZGB). Die gesetzliche Vertretung kann ihre Zustimmung vor oder nach dem Vertragsschluss abgeben, wobei die Zustimmung ausdrücklich oder stillschweigend beziehungsweise durch entsprechendes Verhalten erteilt werden kann. Verweigert die gesetzliche Vertretung die Zustimmung, fällt der Vertrag rückwirkend dahin (vgl. Art. 19a ZGB). Wird die Zustimmung erteilt, gilt der Vertrag. Vertraglich verpflichtet ist aber nur der*die Minderjährige beziehungsweise die Person mit Beistandschaft. Die gesetzliche Vertretung haftet nicht. Es sei denn, sie hat sich im Vertrag ausdrücklich zur solidarischen Haftung verpflichtet.

Ohne die Zustimmung der gesetzlichen Vertretung können urteilsfähige, aber handlungsunfähige Personen alltägliche Besorgungen tätigen, soweit sie geringfügig sind. Alltagsbesorgungen sind zum Beispiel der Kauf von Zahnpasta, Hygieneartikeln, Kleidern, Eintrittskarten zu Sportveranstaltungen oder Kinovorstellungen oder auch der Erwerb von Lebensmitteln, Trambilletten sowie die Konsumation von Getränken und Essen in Restaurants. Ob eine Alltagsbesorgung geringfügig ist, beurteilt sich unter anderem auch nach den finanziellen Verhältnissen des*der Handlungsunfähigen. Die Höhe des Taschengeldes oder des selbstverdienten Lohns dient als Richtwert und soll zur freien Verfügung stehen. Weiter können urteilsfähige, aber handlungsunfähige Personen ohne die Zustimmung der gesetzlichen Vertretung auch unentgeltliche Vorteile erlangen (z.B. Geschenke, Abschluss eines Schulderlassvertrags). Ist eine Person kognitiv oder psychisch beeinträchtigt, muss geklärt werden, ob sie urteilsunfähig ist. Fehlt die Urteilsfähigkeit, ist die betroffene Person rechtlich gesehen nicht handlungsfähig. Sie kann deshalb mit ihrem Verhalten grundsätzlich keine rechtlichen Wirkungen herbeiführen und folglich auch keine Verträge abschliessen (vgl. Art. 16 und Art. 18 ZGB). Tut sie es trotzdem, sind die Verträge nichtig.

3. Gibt es Unterschiede bei Verträgen für Güter und Verträgen für Dienstleistungen?

BS: Nein. Solange es sich um geringfügige Angelegenheiten des täglichen Lebens handelt, können urteilsfähige, aber handlungsunfähige Personen (z.B. Minderjährige und urteilsfähige Personen mit umfassender Beistandschaft) sämtliche Rechtsgeschäfte abschliessen. Dazu gehören der Kauf und Verkauf von Waren (z.B. auf dem Kinder-Flohmi), Tausch (z.B. von Panini-Bildchen), Schenkung, Leihe und das Anbieten von Dienstleistungen wie beispielsweise Hunde ausführen oder Rasen mähen gegen Entgelt.

4. Was passiert bei Mehrfachbestellungen im Umfang des Kindervermögens?

BS: Minderjährige oder umfassend verbeiständete Personen haben die Fähigkeit, vernunftgemäss und ihrem Willen entsprechend zu handeln, weshalb sie auch die Verantwortung für ihr Verhalten im vertraglichen und ausservertraglichen Bereich haben und folglich schuldfähig sind (vgl. Antwort zu Frage 3). Wenn Minderjährige oder umfassend verbeiständete Personen Mehrfachbestellungen tätigen, die allesamt zu den Alltagsbesorgungen gezählt werden können, dann haben sie sich für jeden einzelnen Vertrag verpflichtet und haften entsprechend. Ist nicht genügend Geld vorhanden, um sämtliche Verpflichtungen zu erfüllen, droht unter Umständen die Betreibung.

5. Wie weit geht die Aufsichtspflicht der Berufsfachpersonen für Kinder und Jugendliche im Hinblick auf Schuldenprävention? Und wie weit geht der Schutzauftrag der Berufsfachpersonen bei Erwachsenen?

BS: Diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden. Wir raten den Berufsfachpersonen zur Auftragsklärung: Wie weit die Aufsichtspflicht geht, ist unter Berücksichtigung des Auftrags der jeweiligen Institution und des Berufskodexes zu klären.

6. Wie ist die rechtliche Ausgangslage, wenn Klient*innen untereinander Schenkungen vornehmen oder Kredite gewähren?

BS: Man muss die Situation genau analysieren. Wie hoch war die Schenkung oder der Kredit? Wer hat wem die Schenkung gemacht oder den Kredit gewährt? Waren die betroffenen Personen urteils- und handlungsfähig? Bei der Beantwortung dieser Fragen gelten die unter Frage 2 besprochenen Grundsätze.

Türler ve etiketler

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402 s. 55 illüstrasyon
ISBN:
9783035519921
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