Kitabı oku: «Auf getrennten Wegen», sayfa 5
1 - 13 Nichts -
Brackiges Wasser.
Einen Moment war das alles, dann ein stechender Schmerz in der Brust. Jemand schrie und würgte gleichzeitig.
Ein verzweifeltes Keuchen, eine Million Nadelstiche in der Brust, den Seiten.
Ein Titan, der seinen Fuß auf die Rippen stellte und langsam das Leben aus dem Körper presste, der immer tiefer im Schlamm versank.
Dann das hässlichste Gesicht der Welt und – nichts mehr.
1 - 14 Liebesdinge -
Anaya erwachte als Erste. Sie war sich nicht sicher, wie lange ihre Bewusstlosigkeit gedauert hatte. Sie lag auf schlammigem Untergrund. Ein Gewitter war aufgezogen, das noch immer andauerte. Es hatte das Feuer gelöscht und den Boden aufgeweicht.
Zum Glück hatte sie Kmarr auf eine Plane aus grobem, geöltem Zeltleinen gebettet, so dass er weitgehend trocken geblieben war.
Das erkannte sie aber erst, nachdem sie das Feuer neu entfacht hatte. Im flackernden Schein konnte sie sich auch ein Bild der Wunden machen. Die Verbände waren jeweils an einer Stelle von der Größe ihrer Hand durchgeblutet.
Wäre Kmarr kein Leonide gewesen, hätte sie sich Sorgen gemacht. So beschloss sie, sich erst um Trinkwasser und ein dichteres Dach zu kümmern, bevor sie die Verbände wechselte.
Dabei lauschte sie auf die Kreischlaute der Blutbäume und das Donnergrollen des Gewitters. Sie machte sich Sorgen um die Anderen. Die Gewalt der Flut ließ es als reinen Zufall erscheinen, dass Kmarr und sie und wohl auch Phyria überlebt hatten. Sie hoffte inständig darauf, dass es weitere Überlebende gab.
Jiang war wie eine Schwester für sie und Droin war ein unerschütterlicher Fels, an dem sie sich alle orientieren konnten.
Und dann war da noch Drakkan.
In vielerlei Hinsicht versuchte sie noch immer, sein Wesen zu enträtseln. Er schien so stur und grob, immer mit dem Kopf durch die Wand, ständig mit mehr Problemen, als ein Tempelhändler aus Ho‘teh Münzen besaß. – Und alle Welt wusste, dass niemand reicher war.
Kopfschüttelnd fragte sie sich, wieso sie sich die Schwierigkeiten aufbürdete. Im Grunde kannte sie die Antwort schon: Es war aufregend.
Das Spiel mit dem Feuer. Die Abwechslung, die Ungewissheit. Kein langweiliges Dasein als Eheweib des Bäckers von Rotlehm oder Waldwinkel oder wie die winzigen Siedlungen mit ihrer winzigen Bedeutung allenthalben hießen.
Als Aliana und Druidin war es ohnehin wenig wahrscheinlich, so zu enden, doch einen heiligen Hain zu beschützen, war in ihren Augen kein ungleich bedeutsameres Schicksal. Immerhin war sie genau wegen dieser Aussicht aus Galladorn fort gegangen.
Ob sie allerdings bereit war, Drakkan mit Jiang zu teilen, wusste sie nicht genau. Vor allem hätte sie die Bitte um Erlaubnis der kleinen Shâi nicht gebraucht. Das machte die Sache so offiziell. Als hätte man sie um den Segen zu einer Heirat gebeten.
„Hätte sie sich nicht einfach nehmen können, was sie will?“, schimpfte Anaya leise vor sich hin: „Weshalb soll ich das entscheiden?“
„Weil die Shâi ein seltsames Gefühl von Ehre haben. Du hast die älteren Rechte“, erwiderte Kmarr kaum hörbar: „Danke, dass Du mein Leben gerettet hast. Selbst wenn es sich gerade nicht so anfühlt“, fügte er nach einer Pause hinzu.
Anaya sah ihn verblüfft an. Dann begann sie zu lachen. Teils aus Erleichterung, teils weil er Recht hatte.
„An Dir ist ein großer Denker verloren gegangen.“
„Um zu wissen, was in Dir vorgeht, brauche ich meinen Kopf nicht.“
Anaya ließ sich neben dem Feuer nieder: „Sag das mal Drakk. Manchmal glaube ich, sein Helm übernimmt bei ihm das Denken.“
„Wenn Du auf sein Feingefühl anspielst, da kannst Du lange warten. Er hat keins“, entgegnete Kmarr noch immer, ohne die Augen zu öffnen: „Kannst Du mir etwas Wasser reichen? Dann verwest meine letzte Mahlzeit wieder dort, wo sie hingehört“, bat er sie, während sie ihm schon einen Wasserschlauch reichte.
„Das war nötig. Danke. Jetzt schmeckt es nur noch scheußlich. Drakk hat für Gefühle anderer ungefähr so viel Verständnis, wie ein Zaunpfosten für eine Weide. Und Jiang macht es ihm nicht gerade leicht.“
„Aber sie hat es ihm doch gesagt.“
Nun öffnete Kmarr doch träge ein Auge: „Jetzt sag mir nicht, Du hast auch nichts davon gewusst.“
Beinahe hätte er den Fehler gemacht und den Kopf geschüttelt: „Ich glaube es nicht. Du bist ebenso blind, wie er. Droin und ich haben sogar gewettet, ob er es merkt, bevor sie es ihm sagt. Jetzt bin ich einen Platinwürfel reicher.“
„Wann habt ihr gewettet?“
„Letzten Winter – nein, vorletzten, als wir die Laternenfischer gejagt haben.“
Die schleimigen Kreaturen hatten Ähnlichkeit mit großen Schnecken, die ihre Körper zum Leuchten bringen konnten. Sie lebten in den Höhlen unter dem Immerscheingebirge, die noch tiefer reichten als die Behausungen der Naurim. Das Licht lockte Beute an, die sie mit langen, klebrigen Fühlern ertasteten. Außerdem verspuckten sie lähmendes Gift.
Anaya schüttelte den Kopf: „So lange schon? Ich war tatsächlich blind. Und sie hat mich noch gefragt, ob er gut beim Bettsport sei.“
Kmarr hustete, als er sich am Wasser verschluckte.
Anaya war sich nicht sicher, ob er sie gerade auslachte.
„Wenn Du schon alles weißt, kannst Du mir auch sagen, was Jiang jetzt von mir erwartet.“
Kmarr ließ sich mit der Antwort so lange Zeit, dass Anaya schon glaubte, er wäre wieder eingeschlafen: „Die Alian leben mehr wie Tiere, was nicht heißen soll, dass ihr keine Kultur hättet, sondern dass ihr mehr nach dem Recht des Stärkeren oder Schnelleren handelt. Für die Shâi steht die Harmonie über allem. Die Ehre der Beteiligten ist wichtiger als alles andere. Sie nähern sich einander nur, wenn der andere offensichtlich Interesse hat oder sie glauben, sein Interesse wecken zu können.
Du warst schneller und könntest daher die älteren Rechte geltend machen, obwohl sie ihn länger kennt als Du.
Da ihr aber offensichtlich kein festes Paar seid, hat sie beschlossen, sein Interesse zu wecken. Und sie hat sich Mühe gegeben. Weil Drakk aber nun mal feinfühlig ist, wie eine Axt, hat er ihre Anstrengungen glatt übersehen.“
Während er erklärte, hatte Anaya einen Kessel über das Feuer gehängt, um zunächst Tee und später eine Suppe zu kochen.
„Womit hat sie angefangen?“
Ihre Gedanken kreisten um die kleine Shâi, die sie als Freundin betrachtete. Eigentlich sollte sie keine Eifersucht verspüren, doch das funktionierte erheblich schlechter als bislang. Sie fragte sich warum, während Kmarr anscheinend überlegte, wie er die Frage beantworten sollte.
Sie empfand auch sein Verhalten als ungewöhnlich. Sonst hatte er selten Mühe damit, sich gewählt auszudrücken. Das Thema berührte anscheinend auch die Anderen.
„Sie hat sich angemalt. Lippen, Wangen, Augen.“
„Was?“
„Angemalt.“
„Diese alberne Verkleidung?“, fragte sie ungläubig, als sie sich daran erinnerte, in welche unmöglichen Gewänder sich Jiang eine Zeitlang gekleidet hatte.
Zu lange Ärmel, weiße Farbe im Gesicht, sogar falsche Fingernägel und verrückte Haartürme.
„Genau, und Drakk hat genauso reagiert, wie Du.“
„Vielleicht war es nicht klug, ihm nach einer Nacht mit Droin im Zenethak ihre Aufwartung zu machen.“
Sie erinnerte sich daran, wie Droin und Drakk sturzbetrunken nach einer wüsten Schlägerei inmitten einer Horde bewusstloser Naurim am einzig heil gebliebenen Tisch in der Bar gesessen hatten, als Jiang in einer rot-grünen Seidenrobe erschienen war.
Das Gelächter ihrer beiden Freunde hatte ihr die ganze Nacht im Schädel gedröhnt, als sie auf dem Boden der Kneipe aufgewacht war.
„Er hatte auch völlig Recht. Sie sah wirklich blöd aus. Sie hat es gar nicht nötig, sich wie eine Hure zurecht zu machen und…“
Sie unterbrach sich selbst: „Götter, das hat er ihr auch gesagt, oder?“
„Genau. In einem Satz hat er ihr erst gesagt, ihre Mühe wäre vergeblich, um dann zu sagen, dass sie ihm gefällt.“
„Kein Wunder, dass sie das verwirrt hat. Aber jetzt ich weiß noch immer nicht, was ich ihr sagen soll.“
„Was sagt Dir Dein Herz? Und was Dein Verstand?“
Jetzt war es an ihr, eine lange Pause zu machen.
Kmarr konnte es hinter ihrer Stirn arbeiten sehen. Fast wäre er wieder eingeschlafen, so lange brauchte sie für eine Antwort. Die Unterhaltung hatte ihn erschöpft.
„Ich…ich…ach verdammt, ich weiß es nicht!“
„Da hast Du Deine Antwort.“
„Danke. Nur hilft mir das nicht.“
„Natürlich nicht. Ich will die Antwort auch nicht für Dich finden. Das ist Deine oder eure Sache. Aber am Ende weißt Du schon, was passieren wird.“
„Ja“, antwortete sie so leise, dass er sie beinahe nicht verstanden hätte.
Er beneidete sie nicht. Drakkan war ein freier Geist, der sich nicht binden lassen würde.
Auch nicht von Anaya oder Jiang. Vielleicht von beiden zusammen, doch er würde sich hüten, diesen Gedanken laut auszusprechen. Ein Harem war bei den Leoniden normal, daher fand er nichts bei der Vorstellung, mehrere Frauen zu haben.
Drakkan natürlich auch nicht. Nur ob es ausgerechnet diese beiden sein mussten, darüber war er sich nicht so ganz im Klaren.
Jetzt stand jedoch vor allem die Frage ihres Überlebens im Raum. Und dazu war die Suppe genau richtig, deren Duft so verführerisch in seine Nase stieg.
Mit Ausnahme von Drakkan, dessen Kochkünste sogar ein Schwein verschmähte, konnten alle ein schmackhaftes Mahl aus den einfachsten Zutaten herstellen.
Anaya rührte gedankenverloren im Topf herum. Sie war wütend auf sich selbst und gleichzeitig ratlos. Bis Jiang sie gefragt hatte, ob es ihr etwas ausmachen würde, Drakkan zu teilen, hatte sie nie Probleme damit gehabt.
Jetzt empfand sie eine gewisse Eifersucht. Ein Gefühl, das ihr überhaupt nicht gefiel. Sie genoss ihre Freiheit und hatte auch nicht vor, sie für den großen Kerl aufzugeben.
Und Jiang? Sie war eine gute und treue Freundin, die lange Jahre zugesehen und vermutlich auch zugehört hatte, was sie mit Drakkan trieb. Ein wenig Toleranz von ihr, war das Mindeste, was sie ihrer Freundin schuldig war.
„Was ist eigentlich mit unseren Nachbarn? Meinst Du, wir werden sie irgendwie los?“, unterbrach Kmarr ihre Gedankengänge.
Dankbar für die Ablenkung überlegte sie nicht lange: „Solange sie Blut riechen, werden sie bestimmt nicht verschwinden. Deshalb werden wir unseren Geruch hier zurücklassen. Sobald Deine Wunden nicht mehr bluten, brechen wir auf. Sonst kommt am Ende noch der Hexer mit seiner Flut zurück, wenn er merkt, dass wir nicht so leicht umzubringen sind.“
„Danke, einmal hat mir gereicht.“
„Mir auch. Das ist ein Gegner, dem wir nicht gewachsen sind.“
„Wohl war. Also was ist jetzt mit der Suppe? Willst Du sie noch länger rühren oder füllst Du meine Schale?“
1 - 15 Schilf -
Bislang hatte Shadarr sich immer für unglaublich aufmerksam gehalten. Seinen Sinnen entging nichts. Er war schnell, zugleich aber stark und leise. Hier im hohen Schilfgras in Narfahel musste er erkennen, dass es andere gab, die darin ebenso gut waren, sich verborgen zu halten.
Seine Angreifer fielen ihm erst auf, als die winzigen Blasrohrpfeile von seiner harten Haut abprallten, ohne ihn zu verletzen.
Die Wesen waren schlank, kaum dicker als ein kleines Bündel Schilf, hatten längliche Köpfe wie ein Rohrkolben und ebenso dunkel. Sonst waren sie von der Farbe trockenen Grases. Sie hatten vier Arme, die wohl nicht kräftiger wirkten, als ein einzelner Halm und in zarten Blütentrieben endeten, mit denen sie die Schilfblasrohre hielten.
Ihre Münder waren schmale, senkrechte Schlitze, wie bei den Blutbäumen. Ihre Augen, von denen sie vier besaßen, waren dunkle Löcher. Fast jeder hielt ein oder zwei Dolche in den freien Händen, die von Form und Material an lange Blätter erinnerten, offensichtlich aber härter und schärfer waren.
Zu hören war nur das Rascheln von Schilf im Wind, in dem das trockene Husten der Blasrohre kaum auszumachen war.
Einen Geruch hatten sie ebenso wenig.
Alles, was Shadarr roch, waren die Pflanzen und der schlammige Untergrund. Er überlegte kurz, ob es sich lohnte, ein paar von ihnen zu erlegen, doch dazu hätte er Jiang ablegen müssen.
Es war nicht so, dass er Angst verspürte, doch auch er konnte bei all seiner Stärke und Schnelligkeit nicht an mehreren Orten gleichzeitig sein. Also schwenkte er sein mächtiges Haupt nur einmal hin und her, dann preschte er geradewegs auf die größte Gruppe zu. Die kleinen Viecher verschwanden raschelnd im Schilfmeer, ohne Spuren zu hinterlassen.
Obwohl er versuchte, einige unter seinen Klauen zu zermalmen, war er sich fast sicher, dass er nur ein paar Halme geknickt hatte.
Hierher musste er unbedingt zurückkehren. Die Jagd versprach, interessant zu werden.
Jetzt war Eile wichtiger. Besonders, weil er fühlte, wie Jiang sich regte. Irgendwie hatte sie ein kleines Fläschchen von ihrem Gürtel gelöst, und schluckte gerade die beißend riechende Flüssigkeit daraus hinunter.
Der Bambuswald war endlos. Seltsamerweise waren die Stämme kleiner als sie und stachelig. Kleine Dämonen mit langen Nasen spuckten sie an, während sie an ihnen vorbei glitt, ohne einen Schritt zu tun. Sie schwebte auf einer stacheligen Sänfte vorbei.
Blicke aus tausend Augen begleiteten sie, sich stachen wie Nadeln nach ihr, gleichzeitig brannten sie wie Feuer unter der Haut. Was als leichtes Kribbeln begonnen hatte, wurde unerträglich, als die Krämpfe einsetzten.
Dunkel erinnerte Sie sich an eine grünhäutige Dämonin mit Hörnern und Hufen, die etwas über einen Trank gesagt hatte, der alle Schmerzen fraß. – Wenn man ihn überlebte.
Kaum einen Lidschlag, nachdem der letzte Tropfen ihre Kehle passiert hatte, setzten die Krämpfe ein. Es war als würden alle Muskeln gleichzeitig angespannt. Sie biss sich beinahe die Zunge ab, während sich ihr Rücken durchbog, als wolle ihr Rückgrat brechen.
Ihr war so, als versuche jemand ihr den Magen durch die Nase zu ziehen. Ihr Körper zitterte und schüttelte sich. Ihre Haut begann zu bluten, ihre Augen, ihre Nase, sogar ihre Oren und ihre Brustwarzen. Das Blut, welches austrat, war ölig und schwarz.
Shadarr schmeckte Aas und andere Dinge, die sich noch weniger zum Essen eignete.
Er spuckte Jiang kurzerhand aus.
Sie landete steif wie ein Brett im Schilf, den Rücken angespannt wie ein Bogen, Arme und Beine weit gespreizt. Sogar die Finger und Zehen.
Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihre Haut zitterte in Wellen, Schaum hatte sich vor Mund und Nase gebildet.
Die Bläschen blubberten mit der Atmung. Nicht nur der Geschmack war widerlich, auch der Gestank war kaum auszuhalten.
Shadarr wurde zwei Schritte zurückgetrieben.
Er blickte sich um, sicher dass die kleinen Kreaturen noch in der Nähe waren, doch obwohl er sich gründlich umblickte, konnte er keine mehr entdecken.
So, wie sie aufgetaucht waren, so waren sie auch wieder verschwunden. Er war sich sicher, dass er sie nicht zum letzten Mal gesehen hatte.
Unterdessen hatten Jiangs Krämpfe und das Zittern aufgehört, dafür erbrach sie sich nun, während sich ihr Körper gleichzeitig auch auf andere Weise entleerte.
Sie schaffte es irgendwie, sich auf die Seite zu rollen, um nicht in ihren Exkrementen liegen zu bleiben.
Interessiert beobachtete Shadarr, wie um sie herum das Schilf verwelkte. Alles an Jiang war also giftig. Schlecht zu fressen.
Er hielt sich auf der Windabgewandten Seite, denn der Geruch, den sie verströmte, war sogar für Ihn fürchterlich abstoßend.
Eine Mischung aus süßlicher Fäule, Blut, saurer Milch und Tod.
Immerhin schien es so, als hätte sie bis hierhin überlebt, doch es war noch ein weiter Weg aus dem Schilf. Es war eisig kalt und der Untergrund nicht besonders trocken.
Was das Gift nicht vermocht hatte, konnte der einbrechende Winter noch erreichen.
Da ihm Warten nicht sinnvoll und zudem langweilig erschien, beschloss er stattdessen einige von den Grasmännchen zu fangen, die immerhin versucht hatten, ihn zu verletzen.
Beinahe lautlos verschwand er im Schilf, ohne sich nochmal umzusehen.
Hätte er es getan, hätte er bemerkt, wie sich Jiang schwach zu regen begann. Sie fühlte sich entsetzlich. Ihre Muskeln brannten wie nach einem langen Tag voller harter Feldarbeit.
Ihre Haut hatte überall kleine rote Punkte wie Mückenstiche, die schmerzten, als hätte jemand sie mit Nadeln gefoltert, wie sie feststellte, als sie endlich mühsam ihre Augen aufgezwungen hatte. Ihre Eingeweide quälten sie mit Krämpfen, während sie sich zugleich leer anfühlten.
Blut verklebte ihre Augen und Ohren, doch das schlimmste war der Geruch.
Obwohl sie nicht über Shadarrs Nase verfügte, so war das, was sie da riechen konnte, dennoch unerträglich widerlich.
Zu allem Überfluss war ihr auch noch kalt. So kalt, dass sie ohne Feuer sterben würde. Das einzig Gute war, dass das Fieber und die Träume verschwunden und ihr Kopf wieder frei waren.
Wie ein altersschwacher Greis wälzte sie sich auf die Stelle zu, an der Shadarr ihren Rucksack fallengelassen hatte. Ihre Hände zu gichtigen Klauen gekrümmt, zog sie sich Fingerbreite um Fingerbreite voran.
Die Schnallen ihres Rucksacks waren zum Glück so geformt, dass sie sich mit einer Hand öffnen ließen. Trotzdem brauchte sie mehrere Versuche, bei denen ihr zwei Fingernägel abbrachen, als wären sie aus trockenem Reisig. Hätte sie Kraft zum Fluchen gehabt, sogar Drakkan wäre beeindruckt gewesen.
So mühte sie sich einfach weiter, bis sie schließlich eine Phiole mit Höllenfeuer befreit hatte. Satt es sorgfältig auszupacken, zog sie den Korken mit den Zähnen heraus. Sie begrüßte den sauren Geschmack, weil er um vieles besser war als der von Erbrochenem.
Sie schüttete das Pulver auf eine Handvoll Kohle, die sie ungeschickt auf dem Boden ausgebreitet hatte.
Ein kleiner Funke hätte genügt, um es zu entzünden, doch so elend, wie sie sich fühlte, konnte sie die nötige Konzentration einfach nicht aufbringen. Daher musste sie es auf herkömmliche Weise versuchen. – Mit Feuerstein und Stahl.
Sie benötigte mehr Anläufe, als sie Finger und Zehen hatte, mehrfach fiel ihr sogar der Feuerstein aus den zitternden Fingern.
Als sie schließlich Glück hatte, und der ersehnte Funke gelang, seufzte sie erleichtert auf.
Das Pulver fing fauchend Feuer.
Eine gleißende Stichflamme schoss daraus hervor.
Jiang wusste, dass das Feuer heiß genug wurde, um sogar Stahl zu schmelzen. Das Schilf darunter löste sich deshalb einfach auf, ohne die Umgebung in Brand zu setzen.
Der Boden wurde trocken, rissig und begann schließlich zu qualmen. Jiang quälte sich unterdessen aus dem verdreckten Kimono, ihrem Seidengewand, das sie kurzerhand ins Feuer warf.
Mit dem eisigen Rest Wasser aus ihrem Wasserschlauch und einem abgerissenen Ärmel säuberte sie sich so gut es ging, bevor sie sich zitternd in eines ihrer älteren Gewänder und eine Felldecke hüllte, die sie ebenfalls in Kaltarra erworben hatte. Anschließend sank sie völlig erschöpft mit brennenden Muskeln, Krämpfen und wie von tausend Nadelstichen schmerzender Haut neben dem Feuer zusammen. Von den kleinen Schilfwesen, die aus allen Richtungen auf sie zu schlichen, bemerkte sie nichts.
1 - 16 Der Schöpferstab -
Die Suppe war hervorragend, schlicht, doch kräftig gewürzt – und vor allem heiß.
Das Fleisch darin verfehlte seine Wirkung ebenfalls nicht. Während sie aßen, beobachtete Kmarr Anayas nachdenkliches Gesicht. Er konnte sich gut vorstellen, was ihr durch den Kopf ging. Helfen wollte er ihr allerdings nicht. Er bedauerte Drakkan dagegen jetzt schon, wenn er wirklich zwischen Anaya und Jiang geriet.
Ernsthaft besorgt war er nicht. Tödlich würde die Auseinandersetzung wohl nicht enden. Die ein oder andere Tracht Prügel für den sturen Kaltländer fand Kmarr dagegen durchaus angebracht. Wenn er nur einen Hauch weniger stur und uneinsichtig wäre, würden sich die meisten Schwierigkeiten von ganz alleine lösten. – Falls sie überhaupt entstehen würden.
„Denk nicht für mich. Mach Dir lieber Gedanken über Phyria und ihre Geschichte.“
„Glaubst Du ihr nicht? Hältst Du sie für eine Lügnerin?“
„Nicht direkt. Sie hat uns aber wichtige Teile verschwiegen.“
„Natürlich.“
Kmarr hielt Anaya die Schale hin, für eine zweite Portion: „An ihrer Stelle hättest Du noch weniger gesagt.“
„Vermutlich“, erwiderte sie und reichte ihm die gefüllte Schale zurück: „Trotzdem sollten wir versuchen, mehr herauszufinden. Da gibt es bestimmt Möglichkeiten, die ein oder andere Münze zu verdienen. Zwischen die Fronten möchte ich dabei nur ungern geraten.“
„Da besteht wohl keine Gefahr. Moraks Truppen werden uns wohl kaum anheuern. Und nach dem Massaker, das ich gesehen habe, bin ich geneigt, sie auf der Stelle zu erschlagen, anstatt ihr Gold zu nehmen.“
Schaudernd erinnerte er sich an den Leichenberg, den er erst vor ein paar Tagen entdeckt hatte. Die Toten waren grausam verstümmelt und wie Vieh geschlachtet worden, bevor Teile von ihnen gefressen worden waren.
Anaya winkte ab: „Ich habe nicht vor für jemanden zu arbeiten der versucht, mich umzubringen. Ich dachte auch eher an reiche Kaufleute, Händler, Geldwechsler und Adlige, die ihr Hab und Gut vor einer anrückenden Armee in Sicherheit bringen wollen.“
„Klingt nach einem brauchbaren Vorschlag. Aber was ist mit diesen Siegeln? Willst Du wirklich riskieren, eine Armee Dämonen zurück in die Welt zu entlassen?“
„Wenn es sie wirklich gibt: natürlich nicht. Aber was, wenn die Geschichte gar nicht stimmt? Es ist hunderte von Wintern her, seit sie verbannt worden sein sollen. Woher wissen wir, dass es wirklich eine Armee gibt? Vielleicht ist alles nur ein Märchen. Eine alte Geschichte, um Kinder zu erschrecken. Bei allem, was wir wirklich wissen ist es sogar möglich, dass dieser obskuren Orden in Wahrheit nach der Herrschaft über die Welt strebt, und dazu nur noch die sieben Siegel benötigt.“
„Hältst Du das wirklich für möglich?“
„Nicht direkt. Aber vielleicht wissen sie selbst nicht mehr, was die Siegel eigentlich genau bewirken. Es ist lange her.“
Kmarr neigte vorsichtig sein mächtiges Haupt: „Vielleicht bringt Attravals Kompass Klarheit. Irgendwie glaube ich nicht, das Droin den verloren hat.“
Anaya wirkte nicht überzeugt: „Meinst Du wirklich, der reicht so weit zurück?“
„Keine Ahnung. Einen Versuch ist es wert. Blind umher zu stolpern ist sonst auch nicht unsere Art.“
Kmarr hatte inzwischen die Schale erneut geleert und schielte nach einer weiteren Portion.
Lächelnd erfüllte Anaya ihm seinen unausgesprochenen Wunsch.
Dankbar fuhr er zwischen den Löffeln fort: „Ich bin auch froh, wenn wir wieder zu Hause sind, auch wenn ich mich manchmal wie ein Lastesel fühle.“
Die Naurimkinder des Klans ritten gerne auf seinem Rücken. Ein Gefallen, den er ihnen oft und gerne tat.
„Knurr einfach mehr.“
„Bist Du verrückt? Dann werden es nur noch mehr. Ich hoffe, ich kann die Zeit nutzen, ein paar Sachen aus dem Buch zu konstruieren und den Bolzenwerfer der Mechanikusgilde vorzulegen.“
„Deine Belohnung scheint Dir wirklich zu gefallen.“
Kmarr nickte: „Und wie. Das Buch ist unbezahlbar. Was ist denn mit Deinem? Was hast Du damit gemacht?“
Anaya deutete auf die Hülle, in der sie ihren Bogen aufbewahrte: „Nichts.“
Dem aufmerksamen Kmarr entging nicht, wie unbehaglich sie sich zu fühlen schien. Er wunderte sich, gleichzeitig seufzte er merklich auf. Heute war einer der Tage, wo er großes Talent darin bewies, die falschen Fragen zu stellen.
„Warum nicht?“
‚Was soll‘s‘, dachte er: ‚ich kann ebenso gut beenden, was ich angefangen habe.‘
„Ehrlich gesagt, mir ist der Stab unheimlich.“
„Dir? Seit wann bist Du denn abergläubisch?“
„Du hast keine Vorstellung davon was der Zirkel getan haben muss, um diese Strafe zu verdienen. Ich fürchte, etwas ist noch in dem Stab gefangen.“
Ein Schauder fuhr ihr über den Rücken.
„Bist Du sicher?“
„Ja.“
„Wie das?“
„Es ist der Stab selbst. Hast Du gesehen, woraus er ist?“
„Nein, warum? Sind es Knochen?“
„Nicht direkt. Es ist eine Dryade.“
Kmarr starrt sie an: „Du meinst er ist lebendig?“
„Ich weiß es nicht genau.“
Sie dachte einen Augenblick darüber nach: „Nein, ich glaube nicht. Ich denke, es ist der Körper eines Baumgeistes. Eben einer Dryade.“
„Willst Du damit sagen, Du trägst eine Leiche mit Dir herum?“
Er musste einmal mehr feststellen, dass es noch immer Dinge gab, die ihn überraschen konnten.
„So wie Du das sagst, klingt das besonders abscheulich. Vor allem, weil Du vermutlich damit Recht hast und auch wieder nicht.“
Sie hob frustriert die Arme: „Es ist kompliziert.“
„Warum? Sind Baumgeister denn nicht lebendig?“
Er hatte schon von ihnen gehört, allerdings waren sie sehr verstohlen und nur selten bekam sie jemand zu Gesicht. Zumeist waren es Fallensteller oder Holzfäller, die sich ihren Zorn zuzogen.
„Und wieso ist sie so klein? Ich dachte immer, Dryaden wären groß wie ich und schlank wie Du.“
Anaya nickte: „Stimmt auch. Dryaden sind das lebendige Kernholz sehr alter Bäume. – Das ist zumindest das, was die Alian über sie wissen. Es heißt, ein Druide oder Arkanist großer Macht könne sie aus dem Baum locken oder erwecken.“
„Dann sind es magische Kreaturen? Das wusste ich gar nicht.“
„Mit solchem Wissen gehen wir vorsichtig um. Wäre es nicht ohnehin in der Bibliothek von Llûn zu finden, hätte ich es Dir nicht erzählt.“
„Was ist nun mit dem Stab? Für eine Dryade ist er doch viel zu klein.“
„Irgendwie schon. Dennoch hat er ihre Form. So als hätte sie jemand ganz fest zusammengedrückt, bis sie klein und dünn geworden ist.“
Wieder schüttelte sie sich.
„Was kann der Stab denn nun? Ist er nicht eigentlich nur ein Symbol der Macht, die der mächtigste Druide eines Zirkels hält.“
Anaya sah ihn lange an, bevor sie antworte. Kmarr hatte das Gefühl, einen Test bestanden zu haben: „Ich will die Frage so beantworten, dass ich Dir hinterher nicht töten muss.“
Sie sagte das ruhig und freundlich und trotzdem spürte Kmarr plötzlich eine Bedrohung. Sie meinte jedes Wort genauso, wie sie es sagte.
„Und das, wo Du Dir so viel Mühe gegeben hast, mein Leben zu retten“, witzelte er schwach.
„Eben.“, erwiderte sie ernst.
„Also, jeder Stab ist anders. Wie jedes Schwert von einem Schmied zum anderen unterschiedlich ist.“
„Du meinst, wie er es macht und für wen?“
„Unter anderem. Außerdem woraus, wie lang, eine Schneide oder zwei, Parier, Knauf, eben alles. Jetzt stell Dir Unterschiede zwischen Axt, Schwert, Speer, Keule und auch Pflug, Rechen, Harke, Schaufel und Bogen vor.“
Er überlegte einige Herzschläge: „Alles Werkzeuge, nur jedes zu einem anderen Zweck?“
„Genau. Manche zum Bauen, andere zum Pflanzen und manche, um zu zerstören.“
„Verstehe. Und der da“, er deutete auf den Stab: „gehört zur letzten Gruppe.“
„Nein, das wäre einfach.“
Sie holte tief Luft: „Ich glaube, es ist ein Schöpfer.“
Er musste sie verständnislos angesehen haben, denn sie seufzte: „Manchmal glaube ich, mein Volk macht sich zu viel aus Geheimnissen.“
„War das nicht der Grund, warum Du gegangen bist?“
Sie streckte ihm die Zunge raus.
„Ein Schöpfer tut eben genau das.“
„Wasser schöpfen?“
„Leben erschaffen.“
„Was? Getreide? Gurken?“
Sie verdrehte die Augen: „Auch das wäre möglich. Was ich meinte ist: neues Leben.“
„Wie ein Gott“, fügte sie nach einer langen Pause hinzu.