Kitabı oku: «Theorien der Sozialen Arbeit», sayfa 9

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4.7 Literaturempfehlungen

Zur Einführung in Leben und Werk von Adam Smith bietet sich eine Auswahl an Biografien an. Aus der Fülle der Literatur nennen wir die Biografien von Horst Claus Recktenwald (Recktenwald 1993) und Gerhard Streminger (Streminger 1999). Die beiden Hauptwerke von Smith liegen in deutscher Sprache vor: „Die Theorie der ethischen Gefühle“ mit einer Einleitung von Walter Eckstein und einer Bibliografie von Günter Gawlick (Smith 2010) und „Der Wohlstand der Nationen“ mit einer Würdigung von Recktenwald (Smith 1993).

5 Für ein Leben in Armut erziehen Johann Heinrich Pestalozzi (1746 – 1827)


Pestalozzi „hat im 19. Jahrhundert den Sinn und die Methodik unserer Volksschule bestimmt und im 20. Jahrhundert unsere Sozialpädagogik beseelt wie niemand sonst, und er ist so tief in die deutsche Geistigkeit eingedrungen, dass das Wesen des Pädagogischen seit ihm bei uns nicht mehr an Socrates gefunden wird wie im 18. Jahrhundert, sondern an dem Symbol seiner leidvollen Gestalt mit dem starken Herzen“ (Herman Nohl 1983, 283).

5.1 Historischer Kontext

Mit den Ideen der Aufklärung wird im Frankreich des 18. Jahrhunderts die Revolution vorbereitet. Die privilegierte Oberschicht aus Adel und Klerus hält zwar an den Feudalrechten (ihren eigenen Privilegien) fest, fordert aber zugleich die Beschränkung der absoluten Monarchie. Die Bourgeoisie (Bankdirektoren, Fabrikanten, Kaufleute, Juristen, Ärzte) gewinnt zunehmend an Macht und fordert als dritter Stand soziale Gleichberechtigung und politische Mitbestimmung. Die Pariser Arbeiter revoltieren gegen zu hohe Brotpreise. Ludwig XVI. (1774–1792) entschließt sich zwar zu Reformen; diese werden aber durch das Parlament und andere Interessierte verhindert. Mit Spanien als Verbündetem greift Frankreich gegen Großbritannien in den nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg ein. Die Kosten dieser Intervention belasten die ohnehin schon zerrütteten französischen Staatsfinanzen noch mehr. Großbritannien erkennt 1783 im Frieden von Versailles die amerikanische Unabhängigkeit an. Der amerikanische Freiheitserfolg ermutigt die Regimekritiker in Europa zum Sturz der feudalen Ordnung. Im Mai 1789 beginnt die Französische Revolution. Die Bastille (als Gefängnis für politische Gefangene Symbol für den Despotismus) wird gestürmt, das Heer löst sich auf. Das Volk siegt über den Absolutismus, die Revolutionäre schaffen die Feudalordnung ab und befreien die Bauern aus ihrer Abhängigkeit. Der Ständestaat wird ein Klassenstaat mit Ämter- und Gewerbefreiheit. Die Menschenrechte „liberté, égalité, fraternité“ werden deklariert. In die neue französische Verfassung von 1791 werden die Menschenrechte, die Rechtsgleichheit und das Recht auf Privateigentum aufgenommen. Doch Hungersnot und Furcht vor Gegenrevolutionen führen zu weitflächigen Unruhen und zahlreichen Gewalttaten. Statt Frieden und Zufriedenheit eskalieren Terror und Schreckensherrschaft. Das Fallbeil (Guillotine) wird eingeführt, um die zahllosen Hinrichtungen zu „humanisieren“. Der Kult der Vernunft soll den christlichen Glauben ablösen. 1799 greift sich Napoleon Bonaparte (1769–1821) die Macht; 1804 wird er Kaiser der Franzosen. Der „Code civil“ garantiert persönliche Freiheit, Rechtsgleichheit, privates Eigentum, Zivilehe und Ehescheidung.

Zürich – die Geburtsstadt Pestalozzis – ist seit 1351 Mitglied der Schweizer Eidgenossenschaft, und die 1336 in Zürich eingeführte Zunftverfassung besteht bis 1798. Alle Gewalt, die gesetzgebende, die ausführende und die richterliche Gewalt, liegt bei den Bürgern der 10.000 Einwohner zählenden Stadt, die ein umliegendes Landgebiet mit 200.000 Einwohnern beherrscht. Landleute können nur untergeordnete Ämter einnehmen, ihre Bürgerrechte sind stark eingeschränkt, sie dürfen keinen eigenen Handel treiben und keine eigene Industrie errichten. Die systematische Unterdrückung der verarmten Landbevölkerung führt zu Unruhen und Aufständen (1794). Unter dem Einfluss der Französischen Revolution wird 1798 das feudalistische Gesellschaftssystem in einen bürgerlichen Staat, die Helvetische Republik, umgewandelt. Französische Truppen besetzen die Schweiz. Auf dem Wiener Kongress, der die europäischen Staaten nach den Napoleonischen Kriegen neu ordnet, wird dem Staatenbund Schweiz 1814/15 immerwährende Neutralität garantiert. Zürich besitzt im 18. Jahrhundert Elementarschulen, in denen die Kinder der Bürger die ersten Kenntnisse in Schreiben, Lesen, Rechnen und im Katechismus erhalten. Wie in allen anderen Schulen der Zeit müssen sich die Kinder alle Kenntnisse weitgehend ohne Erläuterungen des Lehrers durch bloßes Auswendiglernen der vorgeschriebenen Lektionen aneignen. Die Schüler lernen auswendig, indem sie die Texte laut lesen, ebenso wiederholen, ohne sich dabei von den ebenfalls laut lernenden Mitschülern stören lassen zu dürfen (vgl. Liedtke 1989, 13 f.).

Die Reformation geht in der Schweiz im 16. Jahrhundert von Zürich aus, und das 18. Jahrhundert ist wieder eine Zeit der kulturellen Blüte (Johann Jakob Bodmer, Johann Caspar Lavater u. a.). Der Barock (1600–1750) ist die Kunst der Gegenreformation und des Absolutismus. Mit der Aufklärung und Revolution macht sich ein neuer Klassizismus (Empirestil) breit. In der Wissenschaft gewinnen auf der Suche nach vernünftigen Erkenntnismethoden, die sich nicht auf religiöse und kirchliche Lehren stützen, die Erfahrungswissenschaften zunehmend Gestalt. Im Empirismus geht man von beobachteten Erfahrungen aus. Der Rationalismus postuliert, die Wahrheit allein durch Denken und allgemeine Prinzipien zu finden. Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts basiert auf Humanismus; Vernunft, Mut zur Kritik, geistige Freiheit und religiöse Toleranz sollen die religiöse Dogmatik und die kirchliche und staatliche Autorität überwinden. Religiöse Bewegungen wie der Pietismus wollen die Kirche durch frommes Leben zu einer Liebesgemeinschaft reformieren und betonen das subjektiv-persönliche Verhältnis des Menschen zu Gott.

5.2 Biografischer Kontext

Johann Heinrich Pestalozzi wird 1746 in Zürich geboren (vgl. Schumann 1899; Nohl 1983; Liedtke 1989; Hebenstreit 1996; Osterwalder 2006; Niemeyer 2010, 19–51 u. a.). Sein Vater ist Arzt und stirbt, als Pestalozzi fünf Jahre alt ist. Pestalozzi wird zusammen mit seinen Geschwistern von seiner Mutter und der Magd „Babeli“ als „Mutterkind“ aufgezogen. Ständige wirtschaftliche Sorgen bestimmen den Alltag. Pestalozzi besucht zunächst die Elementar- und danach die Lateinschule. Die Schulkameraden hänseln und verspotten ihn wegen seiner langen Nase und seiner Träumereien.

Mit 17 Jahren geht er auf eine Züricher Akademie, um Pfarrer zu werden. Im Kreis einer kleinen politischen Vereinigung (den Patrioten) studiert Pestalozzi intensiv die Werke Rousseaus. Nach zwei Jahren bricht er seine Ausbildung ab. Unter dem Einfluss der Schriften Rousseaus entscheidet er sich zunächst, Landwirt zu werden, verlässt die Stadt und geht aufs Land. 1769 übernimmt er das Gut Neuhof bei Brugg als Versuchswirtschaft und heiratet Anna Schultheß. 1770 wird ihr gemeinsamer Sohn Hans Jakob (Jacqueli) geboren. Ihr einziges Kind erhält den eingedeutschten Vornamen von Pestalozzis großem Vorbild Jean-Jacques Rousseau und soll im Geiste des „Émile“ erzogen werden. Eine Erkrankung (vermutlich Epilepsie) verhindert aber die vom Vater erwartete Entwicklung des Sohnes. Pestalozzi scheitert nach eigenem Urteil mit der Erziehung. Zeitlebens wirft er sich dieses Versagen vor. Hans Jakob stirbt bereits mit 31 Jahren.

Wegen Misserfolgen in der Landwirtschaft macht Pestalozzi hohe Schulden. Deshalb weitet er den Neuhof 1774 zu einer Armenerziehungsanstalt aus, in die er arme Kinder aus der Umgebung aufnimmt. Die Kinder müssen zum einen in der Landwirtschaft arbeiten und werden zum anderen unterrichtet. Doch auch dieses Projekt scheitert 1780 aus finanziellen Gründen.

Vor allem um sich Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen, beginnt Pestalozzi zu schreiben. In der 1780 entstandenen „Abendstunde eines Einsiedlers“, seinem ersten größeren Werk, skizziert er bereits das Gedankengebäude, das er in seinen späteren Schriften ausweitet. Berühmt wird Pestalozzi über die Eidgenossenschaft hinaus durch seinen pädagogischen Volksroman „Lienhard und Gertrud“ aus dem Jahre 1781, mit dem er das Volk belehren will.

Obgleich Pestalozzi 1792 französischer Ehrenbürger wird, ernüchtern ihn die negativen Folgen der Französischen Revolution so stark, dass er von Rousseaus Ideen abrückt. Nach dem Zusammenbruch und Neuaufbau der Schweizer Eidgenossenschaft 1798 wendet sich Pestalozzi neben dem Schreiben auch wieder praktisch-pädagogischen Aufgaben zu. Nach kurzen Aufenthalten in Stans und Burgdorf wirkt er von 1805 bis 1825 in Iferten (Yverdon). Hier gründet er eine Erziehungsanstalt mit einem Lehrerseminar, das bald ein pädagogisches Zentrum in Europa wird und den weltweiten Ruhm Pestalozzis begründet. Die preußische Universität Breslau anerkennt 1817 seine Leistungen mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde. Streit innerhalb der Lehrerschaft und Streit einzelner Mitarbeiter mit Pestalozzi verursachen den Niedergang des Institutes.

Pestalozzi kommt über die Streitereien und die ihm zugefügten Verletzungen nicht hinweg und versucht bis zu seinem Tod, sich für sein Verhalten zu rechtfertigen. Ein Jahr vor seinem Tod verfasst Pestalozzi seinen „Schwanengesang“, eine systematische Darstellung seiner Pädagogik ohne die ihm sonst eigenen Übertreibungen. Im Jahre 1827 stirbt Pestalozzi – von Geburt an schwächlich, ständig an Atembeschwerden leidend und während seines ganzen Lebens seinen baldigen Tod erwartend – im Alter von 81 Jahren in Brugg.

5.3 Forschungsgegenstand und -interesse

Vielfältige Fragen und Interessen bestimmen das Lebenswerk Pestalozzis. Da ist einerseits die philosophische Frage nach dem Wesen des Menschen und der menschlichen Gemeinschaft: Was bin ich, und was ist das Menschengeschlecht? Mit Pestalozzis eigenen Worten:

„Befriedigung unseres Wesens in seinem Innersten, reine Kraft unserer Natur, der Segen unseres Daseins, du bist kein Traum. Dich zu suchen und nach dir zu forschen ist Ziel und Bestimmung der Menschheit, und auch mein Bedürfnis bist du und Drang meines Innersten, dich zu suchen, Ziel und Bestimmung der Menschheit. Auf welcher Bahn werde ich dich finden, Wahrheit, … ? Der Mensch, von seinen Bedürfnissen angetrieben, findet die Bahn zu dieser Wahrheit im Innersten seiner Natur“ (Pestalozzi, zit. nach Schumann 1899, 220).

Da sind andererseits die politischen und pädagogischen Aspekte, die alle um die Frage nach der Bildung des Menschen kreisen. Die Erforschung von Lösungen für die Frage „Wie kann die Auferziehung der Armen erleichtert und durch einfache Anstalten erzielt werden?“ hat Pestalozzi sich nach eigenen Angaben allerdings zum „einzigen Geschäft seines Lebens bestimmt“. Weitere eng damit zusammenhängende Forschungsfragen Pestalozzis sind: Durch welche Ursachen sinkt das Volk in das Verderben? Welche Mittel liegen im Volke selbst zu seiner geistigen, sittlichen und bürgerlichen Wiedergeburt? Was muss getan werden, um das Volksleben in allen Ständen zu veredeln? Wie können Erziehung und Unterricht planmäßig aufgebaut und diesem Ziel angepasst werden? Die genaue Kenntnis der Menschennatur und der menschlichen Bedürfnisse ist für Pestalozzi die Voraussetzung, um diese Fragen beantworten zu können.

Pestalozzi will eine durchgreifende innere Reform des ganzen Lebens. Ihn bewegen politisch-soziale, ökonomische, religiöse und pädagogische Motive. Allen Menschen soll durch Bildung und Entwicklung ihrer „Grundkräfte“ (Volkserziehungswunsch) ein erfülltes Leben ermöglicht werden, denn zu leben, in seinem Stande glücklich zu sein und in seinem Kreise nützlich zu werden, ist für ihn die Bestimmung der Menschen und das Ziel der Auferziehung der Kinder.

5.4 Wissenschaftsverständnis

In der philosophischen Literatur seiner Zeit findet das Werk Pestalozzis zunächst keinen Niederschlag (vgl. Nohl 1983, 291). Pestalozzi teilt Rousseaus Skepsis gegenüber den etablierten Wissenschaften und ihrem Selbstverständnis. Alle Menschenweisheit beruht nach Pestalozzi auf der Kraft eines guten, der Wahrheit folgsamen Herzens und aller Menschensegen auf Einfalt und Unschuld. Oberflächliche Vielwisserei taugt in seinen Augen nichts, nur gründliches Wissen befriedigt und gibt festen Halt. Die Methode der wahren Menschenbildung ist die „Bahn der Natur“. Sie nimmt alle Kräfte in Übung und Gebrauch und entwickelt sie. Jede Abweichung von der Natur stört. Darum stehen keine Worte und Meinungen, sondern Anschauungen und damit Realkenntnis wirklicher Gegenstände am Anfang der Erkenntnis und der Bildung. Die naturgemäße Methode entwickelt die Geisteskräfte ungezwungen, allseitig, stetig und lückenlos. Wahrheit ist für Pestalozzi die Erkenntnis davon, was der Mensch für seinen Standpunkt und sein Leben braucht. Menschenweisheit beruht auf den Kenntnissen der „nächsten Verhältnisse des Menschen“ (Pestalozzi 1945, 143–164).

Pestalozzis Theorien erscheinen häufig als konstruiert und spekulativ. Dennoch ist er so weit Empiriker, dass er sich niemals scheut, seine Ansichten unter dem Druck der Erfahrungen zu verändern. Ihm geht es um eine möglichst sorgfältige Nachahmung der Natur, deswegen führt er „Erfahrungsversuche“ durch (vgl. Liedtke 1995, 81). Ab 1800

„reift auch seine Methode, mit der dieser irrationale Mensch sich nun doch in den großen Zug des Rationalismus einstellte. Immerfort mit den Kindern experimentierend und dabei die Anfangsgründe immer weiter vereinfachend, kommt er schließlich auf die Frage: Wie macht es der Mensch, wenn er die verworrene Anschauung klären will?“ (Nohl 1983, 294).

5.5 Theorie

Pestalozzis Pädagogik basiert einerseits auf anthropologischen und soziologischen Setzungen, die durch Polarisierungen und Widersprüchlichkeiten gekennzeichnet sind und von ihm im Laufe seines Lebens immer wieder verändert werden, andererseits finden sich bei ihm auch weithin konstante Grundaussagen. So besteht der Mensch nach Pestalozzi aus den beiden Substanzen „Natur“ und „Geist“ und das „Individuum“ steht der „Gesellschaft“ gegenüber, für die Erziehung eines Kindes betont er sein Leben lang die herausragende Bedeutung der Mutter (Muttertrieb).

(1) Anthropologische Grundannahmen: Das Wesen des Menschen ist nach Meinung Pestalozzis der Ordnung der Natur zu entnehmen; und der einzelne Mensch ist individual bestimmt. Der Mensch ist zum einen das Werk der Natur, zum anderen der Gesellschaft und dann schließlich seiner selbst. Die Individualbestimmung des Menschen folgt aus dem Zusammenspiel von Natur, Gesellschaft und dem jeweiligen Menschen selbst.

Pestalozzi erkennt – wie er in seinem Werk: „Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts“ von 1797 darlegt – sowohl bei der Entwicklung der gesamten Gesellschaft als auch bei der Entwicklung der einzelnen Individuen drei Entwicklungsstufen: den Naturzustand, den gesellschaftlichen Zustand und den sittlichen Zustand (vgl. Pestalozzi 1946a, 377–564). Die Entwicklungsstufen lassen sich zwar voneinander unterscheiden, sind aber nicht voneinander unabhängig und können beim einzelnen Menschen und bei der Gesellschaft ineinander übergehen. Daraus folgt für Pestalozzi, dass man den Menschen nur als Ergebnis eines Zusammenspiels von Natur (Naturzustand), Gesellschaft (gesellschaftlichem Zustand) und seiner selbst (sittlichem Zustand) ansehen kann.

(a) Der Naturzustand des Menschen (Pestalozzi nennt diesen Zustand auch „tierisch“) ist zu unterscheiden in einen unverdorbenen und in einen verdorbenen Zustand. Der unverdorbene Naturzustand ist gekennzeichnet durch einen völligen Ausgleich zwischen den Bedürfnissen des Menschen und ihrer Befriedigung sowie zwischen dem Individuum und der Gesellschaft. Der Mensch ist ein mit viel Liebe und Wohlwollen versehenes Wesen, das zwar völlig ungebildet ist, damit aber unwissend gut und in völliger Unschuld harmonisch mit der Natur lebt. Der verdorbene Naturzustand beginnt dann, wenn beim Menschen die Bedürfnisse ins Unendliche wachsen und die Kräfte, die dieses verhindern können, fehlen. Der Mensch wird so zum Barbaren, egoistisch, selbstsüchtig. Die Menschen konkurrieren miteinander, und dadurch schlägt der unverdorbene Naturzustand in einen verdorbenen um. Die Menschen verhalten sich zunehmend egozentrisch und überlassen sich ihren Begierden und ihren (Macht- und Besitz-)Trieben.

(b) Aus Sorge um das eigene Selbst und um die egozentrischen Interessen abzusichern, vereinigen sich die Menschen und sprechen Verträge miteinander ab, denn – so Pestalozzi – erst aus der Verdorbenheit entsteht der Wunsch nach Recht und Vertrag. So entsteht der gesellschaftliche Zustand, in dem zwar Freiraum und Schutz gewährt, aber viele Freiheiten weggenommen werden. Es bleibt jedoch beim Krieg aller gegen alle, der gegenüber dem verdorbenen Naturzustand lediglich seine Form geändert hat. Der gesellschaftliche Zustand kann für den Menschen niemals das sein, was er erhofft hat.

(c) Erst im sittlichen Zustand wird es dem Menschen möglich, sich von egozentrischen Beweggründen zu lösen, sittliche Verhaltensnormen zu entwickeln und sich auch danach in seinem Verhalten zu richten. Der sittliche Zustand ist deshalb erreichbar, weil jeder Mensch eine Kraft in sich selbst besitzt, alle Dinge dieser Welt sich selbst, unabhängig von seiner tierischen Begierlichkeit und von seinen gesellschaftlichen Verhältnissen, gänzlich nur unter dem Gesichtspunkt, was sie zu seiner inneren Veredelung beitragen, vorzustellen, und dieselbe nur in diesem Gesichtspunkte zu erlangen oder zu verwerfen (vgl. a. a. O., 449–511). Gott ist für Pestalozzi die „nächste Beziehung der Menschheit“, denn alle innere Kraft der Sittlichkeit, der Erleuchtung und Weltweisheit ruht auf dem Glauben der Menschheit an Gott. Gottes Erleuchtung ist Liebe, Weisheit und Vatersinn. Und „Gottesvergessenheit, Verkenntnis der Kinderverhältnisse der Menschheit gegen die Gottheit, ist die Quelle, die alle Segenskraft der Sitten, der Erleuchtung und der Weisheit in aller Menschheit auflöst“. Der Glaube an Gott ist für Pestalozzi die „Stimmung des Menschengefühls in dem obersten Verhältnis seiner Natur“. Der Glaube ist vertrauender Kindersinn der Menschheit auf den Vatersinn der Gottheit. Glaube an Gott ist die Quelle aller Weisheit und daher das erste Ziel des Menschen (vgl. Pestalozzi 1945, 153–159).

Der Verlauf der Französischen Revolution veranlasst Pestalozzi, seine Auffassungen zu ändern. Er sieht nun eine tiefe Zwiespältigkeit in der menschlichen Natur und geht davon aus, dass die Macht und alles Politische das Sittliche bedrohen. Pestalozzi ist davon überzeugt, dass Macht immer wesensmäßig gefährdet ist, zur Despotie zu werden, und dass im Menschen ein unausrottbarer und verhängnisvoller Trieb zum Herrschen liegt. Ebenso verderblich wie der Machttrieb ist für ihn aber auch der Sklaventrieb; damit meint Pestalozzi die Neigung, sich despotisch beherrschen zu lassen, wenn man dabei nur halbwegs „glücklich“, das heißt versorgt ist. Je größer eine Gesellschaft ist, desto deutlicher zeigen sich für Pestalozzi im Zusammenleben der Menschen beide Triebe.

(2) Grundzüge der Pädagogik: Erziehung ist für Pestalozzi die Entfaltung der in der menschlichen Natur liegenden Kräfte mit ihnen gemäßen Bildungsmitteln. Die Erziehung sollte von der Anschauung des Kindes als dem inneren Sinn des Menschen für die Ordnung der Welt sowie von Liebe und Glauben ausgehen. Zugleich betont Pestalozzi in seinem Buch „Abendstunde eines Einsiedlers“ (1780), das schon die Grundzüge seiner Pädagogik enthält, die bildende Kraft der Arbeit und des Gemeinschaftslebens. Vorbild aller Erziehung ist ihm das Leben in der Familie. Hauserziehung (Wohnstuben-Pädagogik), Unterweisung und sittliche Selbstveredelung sollen einander ergänzen. Die allgemeine Menschenbildung ist die Grundlage aller Berufsbildung. Da Pestalozzi in den Kindern die unverdorbenen Repräsentanten der Menschheit sieht, führt die Erziehung immer auch zu kritischer Distanz gegenüber der verdorbenen gesellschaftlichen Realität.

Pestalozzi baut seine Erziehungsmethoden auf einem psychologischen Fundament auf und unterscheidet drei Seiten der Menschenbildung:

(a) Die Ausbildung des „Kopfes“ als intellektuelle Bildung entspricht dem „Wissen“;

(b) die Ausbildung des „Herzens“ als sittliche Bildung entspricht dem „Wollen“;

(c) die Ausbildung der „Hand“ als körperliche und handwerkliche Bildung entspricht dem „Können“.

Die sittliche Bildung als Bildung des Herzens ist für Pestalozzi zwar die wahre Mitte aller Bildung, aber keine der beiden anderen Bildungsseiten darf ihr gegenüber vernachlässigt werden. Die allgemeinsten Prinzipien für alle drei Bildungsformen sind die Selbsttätigkeit, der Zusammenhang und das Prinzip, dass alles Geistige aus dem Sinnlich-Natürlichen herauswachsen und daran „angekettet“ werden soll. So wurzeln alle Körperkultur und Handfertigkeit in der natürlichen Bewegung der Körperglieder, alle sittlich-religiöse Bildung in der innigen Fürsorge- und Vertrauensbeziehung zwischen Mutter und Kind, alle Weltdeutung und -erkenntnis schließlich in der „Anschauung“, das heißt dem unmittelbaren Angesprochensein des Kindes durch die Welt (vgl. Reble 1981, 220 f.).

Von Rousseau beeinflusst, lehnt Pestalozzi zunächst sowohl die Schule seiner Zeit als auch überhaupt jede Methode des Unterrichtens ab, sofern sie nicht von Natur aus gegeben ist. Später fordert Pestalozzi allerdings, dass die rousseausche Freiheit in der Erziehung unter dem Aspekt der gesellschaftlichen Erfordernisse durch planvolle und Zucht fordernde Einübung der notwendigen Fertigkeiten ergänzt wird. Das Individuum muss mit seinen individuellen, naturgegebenen Anlagen und besonderen Umständen zwar als die erste und grundlegende Aussage des „Buches der Natur“ über Richtung und Art der Bildung des Menschen gelten, „aber du lebst nicht für dich allein auf Erden. Darum bildet dich die Natur auch für äußere Verhältnisse und durch sie“ (Pestalozzi 1945, 152). Ausgangspunkt aller Erziehung bleibt für Pestalozzi – wie bei Rousseau – stets die unverdorbene Natur des Kindes.

Die zeitlich, örtlich und emotional „nächsten äußeren Verhältnisse“ eines jeden Menschen sind die häuslichen, familiären Verhältnisse. Die häuslichen Verhältnisse der Menschheit sind für Pestalozzi die ersten und vorzüglichsten Verhältnisse der Natur. Jede menschliche Entwicklung geht für ihn aus der Familie hervor und muss auch immer an diese Grundlage gebunden sein, wenn das menschliche Leben erfüllt sein soll. Die Wohnstube ist nach Pestalozzi der Mittelpunkt für das Volk, in dem und durch den sich alle Kräfte seines Lebens bewegen und ruhen. Wegen dieser zentralen Funktion ist die „Wohnstube“ die erste und wesentlichste Schule aller Erziehung und allen Unterrichts. Der Unterricht der Schule baut darauf auf und ist in enger Verbindung mit der Familie durchzuführen.

Die Erfahrungen in den familiären Beziehungen sind nach Pestalozzi prägend für das ganze weitere Leben: „Die ausgebildete Kraft einer näheren Beziehung ist die Quelle der Weisheit und Kraft des Menschen für entferntere Beziehungen.“ „Vatersinn bildet Regenten, Brudersinn Bürger. Beide erzeugen Ordnung im Hause und im Staate“ (a. a. O.). Aus der Vatererfahrung erwächst nach Pestalozzi der Glaube an Gott, wie umgekehrt dieser Glaube den Glauben an den Vater sichert. Pestalozzi spricht zwar regelmäßig über die Bedeutung des Vaters in der Erziehung, die entscheidende Bedeutung weist er aber der Mutter zu, die für ihn in einer „naturgegebenen Urbeziehung“ zum Kind steht (Mutterpädagogik).

Die Erkenntnis, dass alle gesellschaftlichen Beziehungen des Menschen bei seinen familiären Beziehungen anknüpfen und die Familie der ursprüngliche Ort jeder Erziehung ist, führt Pestalozzi dazu, von einer vollständigen Pädagogisierung des Lebens zu sprechen. Die lebenslange Erziehung in allen Lebensbereichen hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass nach Pestalozzi jeder Fürst oder Herrscher die Rolle eines Landesvaters innehat (vgl. Liedtke 1989, 67). Pestalozzi ergänzt seine Idee der Volksbildung – im Unterschied zu einer vorherrschenden Gelehrtenbildung in seiner Zeit – mit einer großen Fülle von Überlegungen und Vorschlägen für die Methode des Erziehens, zum Beispiel: Versichere dich des Herzens deines Kindes; das Leben selbst ist das Fundament des Unterrichts; die Menschensprache muss der Büchersprache vorausgehen; die Lernmittel sollen einfach sein; Erziehung muss ohne Härten und Demütigungen erfolgen; die Unterrichtsmethoden sollen spielerisch und kindgerecht sein; je mehr Sinne eine Sache erforschen, desto richtiger wird die Erkenntnis (vgl. Pestalozzi 1946, 241 ff.).

(3) Zum pädagogischen Umgang mit Armen, Verfolgten und Gestrauchelten: Den Begriff „Sozialpädagogik“ kennt und benutzt Pestalozzi nicht, dennoch können seine Ausführungen zum pädagogischen Umgang mit Armen, Verfolgten und Gestrauchelten in einem weiten Sinne als „sozialpädagogisch“ bezeichnet werden. Er plädiert dafür, dass die Pädagogen Anwälte für die Benachteiligten und Randständigen der Gesellschaft sein, emanzipatorisch bilden und von wirtschaftlicher Abhängigkeit befreien, arme Kinder schützen und für diejenigen Partei nehmen sollen, die unter dem Druck der gesellschaftlichen Verhältnisse in Konflikt mit den bestehenden Gesetzen geraten sind. Die Grundzüge seiner „Sozialpädagogik“ hat er vor allem in seinen vielen Briefen (u. a. über seinen Aufenthalt in Stans im Jahre 1799) skizziert:

(a) Den Armen kann nicht geholfen werden, wenn man sie zeitweilig in eine karitative Armenanstalt aufnimmt und sie dann wieder in eine Umwelt entlässt, die völlig anderen Gesetzen unterliegt als der geschützte Raum der Anstalten. So lange zu erwarten ist, dass die Armen nach dem Anstaltsaufenthalt wieder in eine Umwelt zurückkehren müssen, die durch Armut gekennzeichnet ist, kann es nach Auffassung Pestalozzis nur ein taugliches Prinzip für die Armenerziehung geben: „Der Arme muss zu Armut auferzogen werden“ (Pestalozzi 1945, 39 ff.). Damit will Pestalozzi keinesfalls die Situation der Armen festschreiben. Er ist stark an Verbesserungen interessiert (vgl. a. a. O., 39–93). Dauerhafte Verbesserungen der menschlichen Situation sind aber nur zu erwarten, wenn mit der Verbesserung der äußeren Lebensbedingungen auch eine Verbesserung des Wissensstandes und der Einstellung der Menschen einhergeht. Für Pestalozzi ist es wichtig, dass die jungen Menschen solche Fertigkeiten und Kenntnisse erwerben, die sie in ihrem zukünftigen Leben brauchen, um ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften und diesen abzusichern. Die Armenanstalt soll daher ein möglichst getreues Abbild der künftigen Umwelt der Kinder sein. Selbst der ständige Druck aus der Abhängigkeit von ihren Herren soll den Kindern so früh wie möglich bewusst sein. Sie müssen lernen, sich nach dem Willen anderer zu verhalten. Und die Kinder sollen arbeiten, um dadurch zu ihrem Lebensunterhalt beizutragen. Der Arme müsse lernen, sich selbst zu helfen, da ihm sonst niemand helfen werde. Pestalozzi bedauert die Härte, die seine Theorie mit sich bringt. Aber die „wohltätige“ Erziehung armer Kinder in begüterten Armenanstalten hält er für nachteiliger, weil diese „unglücklichen“ Kinder durch „unweise Wohltätigkeit“ nicht gelernt haben, mit ihrer Armut, der sie ausgesetzt sein werden, zurechtzukommen (a. a. O.).

(b) Pestalozzi greift in seiner Schrift „Über Gesetzgebung und Kindermord“ von 1783 (vgl. a. a. O., 353–558) auch brisante sozialpolitische Probleme, die das Strafrecht, die Strafvollstreckung und die Verbrechensvorbeugung betreffen, auf und ergreift Partei für die ledigen Mütter, die ihr Kind getötet haben. Er verurteilt zwar einerseits die Tötung unehelich geborener Kinder, setzt sich aber andererseits vehement für die ledigen Mütter ein, die ihr unehelich geborenes Kind töten, und nimmt sie vor einseitigen Schuldzuweisungen aus der Gesellschaft in Schutz. Pestalozzi klagt sogar die Obrigkeiten und die Gesetzgebung an und weist ihnen Mitschuld zu. Den Muttertrieb, das eigene Kind zu schützen und es aufzuziehen, hält er für so stark, dass seiner Meinung nach nur erhebliche äußere Einflüsse eine Mutter dazu bringen können, ihr Kind zu töten. Das könne nur aus größter Verzweiflung geschehen. Die bestehenden Gesetze und die Sitten der Gesellschaft – Heuchelei, entehrende und furchterregende Strafen (auf Kindermord steht die Todesstrafe), fehlendes Verständnis für die ledigen Mütter, doppelte Moral, Prüderie, gesellschaftliche Ächtung statt Rat und mangelnde Unterstützung für nichteheliche Mütter – seien, so klagt Pestalozzi, an der Verzweiflung der Frauen mit schuldig. Die Gesellschaft, die sich so unerbittlich als Richter aufführe, sei in Wahrheit selbst angeklagt, zumindest aber mit angeklagt.

Wenn man etwas verbessern wolle, könne man nur bei der allgemeinen gesellschaftlichen Verderbnis ansetzen. Die Bedeutung der Familie müsse anerkannt und das reine Hausglück gefördert werden. Die „Wohnstube“ müsse „Heiligtum“ sein, und dafür solle der Staat sorgen. Vor allem aber müsse sich die Erziehung auf die Familie und die Liebe stützen.

(4) Die Bedeutung prophylaktischen Handelns: Prophylaktische Maßnahmen sind für Pestalozzi unabdingbar, um Elend und Aufruhr der Armen gegen die Obrigkeit zu verhindern. Die zunehmende Verarmung der ländlichen Tagelöhnerschaft und der Industriearbeiter muss nach seiner Einschätzung zu schweren gesellschaftlichen Konflikten führen.

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