Kitabı oku: «Parlamentsrecht», sayfa 5

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a) Staatsorgane nach der Bismarck-Verfassung

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Der Kaiser war personenidentisch mit dem preußischen König (Art. 11 RV) und verdankte sein Amt der Erbfolge (Art. 53 PrVerf). Ein Verfassungsorgan namens „Reichsregierung“ gab es nicht. Vielmehr wurde die Regierungsgewalt – unbeschadet der Befugnisse des Bundesrates und des Reichstages – vom Kaiser und vom Reichskanzler ausgeübt. Der Kaiser ernannte den Reichskanzler (Art. 15 Abs. 1 RV). Der Reichstag oder der Bundesrat waren nicht zu beteiligen. Somit hing der Reichskanzler allein vom kaiserlichen Vertrauen ab. Der Reichskanzler war der einzige Reichsminister.[25] Ihm unterstanden die Staatssekretäre als Leiter der Reichsämter. Sie bildeten mit ihm die sog. Reichsleitung. Im Gegensatz zum parlamentarischen Regierungssystem blieb es also bei einer (spät)konstitutionellen[26] Monarchie. Der Reichskanzler war (mit zeitweiliger Ausnahmen) in Personalunion preußischer Ministerpräsident.

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Das Reich war ein Bundesstaat (Art. 1 RV). Der Bundesrat wurde von Bismarck als höchstes Reichsorgan konzipiert.[27] Er setzte sich zusammen aus Vertretern der 25 Mitgliedstaaten des Deutschen Reiches mit nach der Größe abgestufter Stimmenzahl (Art. 6 RV). Er war – ähnlich dem Bundestag des Deutschen Bundes – die Versammlung der Vertreter der „Bundesfürsten“. Der Bundesrat besaß eine Fülle an Kompetenzen. Er wirkte u.a. an der Reichsgesetzgebung (Art. 7) und beim Beschluss über eine Reichstagsauflösung mit (Art. 24 S. 2 RV). Den Vorsitz im Bundesrat führte der Reichskanzler (Art. 15 S. 1 RV). Der Bundesrat und die Reichsleitung waren vom Parlament organisatorisch und personell streng getrennt: Die Mitgliedschaft im Bundesrat war mit der Mitgliedschaft im Reichstag unvereinbar (Art. 9 S. 2 RV). Aber die Bundesratsmitglieder hatten das Recht, im Reichstag zu erscheinen und jederzeit gehört zu werden (Art. 9 S. 1 RV). Der Bundesrat erreichte in der politischen Praxis nicht die Bedeutung, die intendiert war und die ihm die Verfassung zuschrieb.[28] Tonangebend waren der Kaiser und sein Reichskanzler. Der Reichstag erlangte erst in der Spätphase des Kaiserreichs steigende Bedeutung.

b) Reichstag

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Der Reichstag war das erste gesamtdeutsche Parlament nach der Paulskirchenversammlung. Die Wahlen hatten allgemein, direkt und geheim zu erfolgen (Art. 20 Abs. 1 RV). Vorbild für das Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes (sog. Bundeswahlgesetz) vom 31. Mai 1869[29], das um das Reglement zur Ausführung des Wahlgesetzes vom 28. Mai 1870[30] ergänzt wurde und bis 1918 galt, war das Frankfurter Reichswahlgesetz von 1849. Hinsichtlich der Allgemeinheit der Wahl bestand – im Vergleich zu heute – eine gewichtige Einschränkung: Das Wahlrecht stand nur Männern ab dem vollendeten („zurückgelegten“) 25. Lebensjahr zu (§§ 1, 4 des Bundeswahlgesetzes). Die Gleichheit der Wahl wurde in der Verfassung und im Wahlgesetz nicht erwähnt. Sie bestand nur hinsichtlich des Zählwerts, keineswegs aber hinsichtlich des Erfolgswerts: In jedem Wahlkreis errang der Bewerber mit den meisten Stimmen das Mandat (Ein-Mann-Wahlkreise).

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Wegen des Zuschnitts und der ungleichen Bevölkerungszahl in den Wahlkreisen benötigten die Parteien äußerst unterschiedliche durchschnittliche Stimmenmengen pro Reichstagsmandat. So genügten im Jahr 1871 den Konservativen durchschnittlich 9.600 und den Nationalliberalen 9.300 Stimmen; die SPD benötigte im Schnitt hingegen 62.000 Stimmen. Im Jahr 1907 benötigten die Konservativen pro Mandat 17.700, das Zentrum 20.800 und die SPD 75.800 Stimmen.[31] Eine Wahlrechtsreform vom 24.8.1918[32] beseitigte gröbere Ungleichheiten. Die Mitgliederzahl des Reichstages wurde von 397 auf 441 angehoben. Die neuen Sitze wurden bis dahin verhältnismäßig zu schwach vertretenen Orten mit hoher Bevölkerungsdichte und damit vor allem den größten Städten und einigen Industriebezirken, zugeteilt. Die größten Städte, z.B. Berlin, Frankfurt a.M., München und Hamburg, bildeten jeweils einen Wahlkreis (§ 2 des Gesetzes). In weiteren großen Städten, z.B. Köln und Düsseldorf, wurden Wahlkreise zusammengelegt (§ 3 des Gesetzes). Die Abgeordneten dieser Wahlkreise waren nach dem Verhältniswahlrecht (und nicht mehr nach dem Mehrheitswahlrecht) zu wählen (§§ 4-6 des Gesetzes). Bedeutung konnte diese Reform nicht mehr gewinnen.

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Im Gegensatz zum Reichstagswahlrecht waren die Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus, der Zweiten Kammer des preußischen Parlaments, nicht unmittelbar und nicht geheim. Die Abgeordneten wurden durch Wahlmänner gewählt. Die Wahl der Wahlmänner durch das Wahlvolk und die Wahl der Abgeordneten durch die Wahlmänner erfolgten öffentlich und mündlich. Eine eklatante Ungleichheit ergab sich aus der Abstufung des Stimmengewichts nach der Höhe der gezahlten direkten Steuern (Dreiklassenwahlrecht). Das anachronistische Wahlrecht, das auf einer Verordnung vom 30. Mai 1849 beruhte, blieb bis zur Revolution im November 1918 in Kraft.

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Der Reichstag besaß folgende Kompetenzen: Er wirkte an der Gesetzgebung mit (Art. 5 RV) und hatte ein Gesetzesinitiativrecht (Art. 23 RV). In der Praxis wurde die Initiative allerdings in der Regel der Reichsleitung (der Bürokratie, den „Fachleuten“ – im Gegensatz zum Abgeordneten als „Parteipolitiker“) überlassen. Denn Regieren galt personell wie sachlich als gesteigerte Form des überparteilichen Verwaltens.[33] Der Reichstag verabschiedete den Reichshaushalt in Form eines Gesetzes (Art. 69 RV). Er genehmigte auswärtige Verträge, welche Gegenstände der Reichsgesetzgebung betrafen (Art. 11 Abs. 3 RV). Das Parlament hatte keinen Einfluss auf die personelle Zusammensetzung und politische Gesamtrichtung der Reichsleitung. Die parlamentsrechtlichen Artikel der Verfassung des Norddeutschen Bundes und der Reichsverfassung waren, z.T. wörtlich, der Preußischen Verfassung von 1850 nachgebildet.[34]

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Die Einberufung, Vertagung und „Schließung“ des Parlaments stand allein dem Kaiser zu (Art. 12 RV). Der Reichstag durfte sich nicht aus eigenem Antrieb versammeln. Der Kaiser durfte den Reichstag jederzeit auflösen, sofern der ihm in aller Regel gewogene Bundesrat zustimmte. Der Reichstag nahm die Mandats- und Wahlprüfung autonom vor (Art. 27 S. 1 RV, §§ 3 ff. GO-RT). Seine Mitglieder hatten ein freies Mandat inne (Art. 29). Sie genossen Indemnität (Art. 30) und Immunität (Art. 31 RV). Diäten, d.h. ein Abgeordnetengehalt, durften Reichstagsabgeordnete (anders als die Mitglieder mitgliedstaatlicher Parlamente) zunächst nicht erhalten (Art. 32 RV). Erst 1906 wurde das Diätenverbot durch eine Verfassungsänderung aufgehoben. Damit sollte das Problem gelöst werden, dass wegen des Diätenverbots viele Abgeordnete an den Sitzungen nicht teilnahmen und der Reichstag dauernd beschlussunfähig war.[35] Der Reichstag bestimmte allein über den Geschäftsgang und die Disziplin in seinen Sitzungen (Art. 27 S. 2 RV, Geschäftsordnungsautonomie). Als Geschäftsordnung (GO-RT) übernahm er am 21. März 1871 die Geschäftsordnung des Reichstages des Norddeutschen Bundes vom 12. Juni 1868. Sie baute auf der Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 6. Juni 1862 auf. Der Reichstag besaß eine Parlamentsverwaltung, die in den Anfangsjahren beim Kanzleramt und ab 1878 beim Reichsamt des Innern angesiedelt war. Die Parlamentsmitarbeiter waren also Ministerialbeamte. Gleichwohl legte § 14 GO-RT (wie auch § 12 GO-NRT) fest, dass der Reichstagspräsident über die Annahme und Entlassung des für den Reichstag erforderlichen Verwaltungs- und Dienstpersonals sowie über die Ausgaben zur Deckung der Bedürfnisse des Reichstags innerhalb des Haushaltsvoranschlags bestimmte. Hierin lag ein wichtiger Schritt in Richtung einer vollständigen Parlamentsautonomie[36] (s. Rn. 89, Rn. 312 ff.).

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Das politische Gewicht des Reichstages im Verhältnis zur Reichsleitung war zunächst eher gering. Zwar änderte der Reichstag mehrere Gesetzentwürfe ab. Stärkere Einflüsse des Parlaments bzw. der Parteien auf die Regierungsarbeit waren aber erst seit 1890, wenngleich auch nicht ununterbrochen, spürbar.[37] So stützte sich Reichskanzler Bernhard von Bülow zeitweise auf bestimmte Fraktionen („Bülow-Block“). Er trat 1909 zurück, als seine parlamentarischen Unterstützer ihn verließen. Sein Nachfolger Theobald von Bethmann Hollweg suchte sich wechselnde Reichstagsmehrheiten. Er musste ab der Reichstagswahl 1912 mit der deutlich erstarkten SPD rechnen. Die Sozialdemokraten besaßen 110, das katholische Zentrum 91 und die freisinnige Volkspartei 42 der insges. 397 Mandate. Der Reichstag verstärkte 1912 seine Kontrollbemühungen gegenüber der Reichsleitung durch die Einführung erweiterter Fragerechte und eines (rechtlich folgenlosen) Misstrauensvotums. Zu Beginn des Krieges unterstützte der Reichstag mehrheitlich noch den Kurs der Reichsleitung, v.a. bei der Bewilligung der Kriegskredite („Burgfrieden“). In der zweiten Hälfte des Ersten Weltkriegs, insb. seit Juli 1917, verstärkte sich der Einfluss des Parlaments erneut. Die Fraktionen der SPD, des katholischen Zentrums und der liberalen Fortschrittlichen Volkspartei (FVP), die im Reichstag über die Mehrheit der Sitze verfügten, bildeten den Interfraktionellen Ausschuss als informelles Abspracheforum. Sie nahmen Einfluss auf die Regierungsbildung im Oktober 1917 (Reichskanzler Georg von Hertling) und im Oktober 1918 (Reichskanzler Prinz Max von Baden). Einige Staatssekretäre des letzten Jahres des Kaiserreichs entstammten den Reichstagsfraktionen. Sie mussten aber wegen Art. 21 Abs. 2 RV mit dem Amtsantritt ihr Mandat aufgeben. Friedrich von Payer (FVP) wurde im November 1917 Vizekanzler; Max von Baden nahm Philipp Scheidemann und Gustav Bauer (beide SPD) im Oktober 1918 als Staatssekretäre ohne Geschäftsbereich in sein Kabinett auf.

c) Oktoberreform 1918

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Kurz vor dem Ende des Kaiserreichs wurde das parlamentarische Regierungssystem eingeführt. Die führenden Parteien des Reichstages hatten das schon länger verlangt. Doch erst auf Initiative der 3. Obersten Heeresleitung unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff kam es zu der Reform. Die Generäle hofften, die Parlamentarisierung würde günstigere Friedensbedingungen ermöglichen. Zugleich sollte die politische Verantwortung für die nun sichere Kriegsniederlage auf die Parteien und den Reichstag abgewälzt werden. Zwei Reichsgesetze vom 28. Oktober 1918 änderten die Reichsverfassung.

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Das erste Gesetz[38] modifizierte unter anderem die Stellung und die politische Abhängigkeit des Reichskanzlers. Der Reichskanzler war nun vom Vertrauen des Reichstages abhängig (Art. 15 Abs. 3 RV). Der Kaiser war verpflichtet, den Reichskanzler zu entlassen, wenn der Reichstag dem Kanzler das Misstrauen ausgesprochen hatte. Somit wurde das Ernennungsrecht des Kaisers faktisch beschränkt, denn der Monarch hätte nur noch mit dem Vertrauen der Reichstagsmehrheit versehene Kanzler ernennen können. Andernfalls hätte er riskiert, dass er den Kanzler wegen eines Misstrauensvotums gleich wieder hätte entlassen müssen. Der Schwerpunkt der Regierungskontrolle wurde somit vom Kaiser auf den Reichstag verlagert.[39] Die Gegenzeichnung durch den Kanzler erstreckte sich nunmehr auf „alle Handlungen von politischer Bedeutung“ (Art. 15 Abs. 4 RV) – und damit auch auf die bisher vom Kaiser allein verantworteten Akte der militärischen Kommandogewalt[40] – sowie durch Änderung der Art. 53 Abs. 1, 64 Abs. 2 und 66 RV auch auf alle Ernennungen durch den Kaiser. Damit war das gesamte Kriegswesen der Verantwortung des Reichskanzlers und somit dem Einfluss des Reichstages unterstellt.[41] Für eine Kriegserklärung sowie die Zustimmung zu einem Friedensvertrag war nach einer Änderung des Art. 11 Abs. 2, 3 RV auch der Reichstag zuständig. Der Reichstag verdrängte, da er den Kanzlerrücktritt erzwingen konnte, nun auch formell den Bundesrat vom ersten Platz in der Hierarchie der Reichsorgane.[42]

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Das zweite verfassungsändernde Gesetz vom gleichen Tag[43] hob die Unvereinbarkeit zwischen Abgeordnetenmandat und Staatsamt (Art. 21 Abs. 2 RV) auf. Abgeordnete konnten somit als Staatssekretär in die Reichsleitung eintreten, ohne ihr Mandat zu verlieren. Zugleich wurde einfachgesetzlich geregelt, dass auch die Stellvertreter des Reichskanzlers im Reichstag jederzeit zu hören seien. Sie mussten also nicht mehr Mitglieder des Bundesrates sein, um das Rederecht des Art. 9 RV in Anspruch nehmen zu können.

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Die Oktoberreform wirkte sich politisch nicht mehr aus: Sie vermochte die Monarchie in Deutschland nicht zu retten. Auch trug sie nicht dazu bei, die harten Bedingungen zu mildern, unter denen der Waffenstillstand und der Friedensvertrag von Versailles geschlossen wurden.

§ 2 Geschichte der Parlamente und des Parlamentsrechts › III. Parlamentarische Demokratie

III. Parlamentarische Demokratie
1. Weimarer Republik

a) Novemberrevolution

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Im November 1918 begann die Revolution in Norddeutschland. Sie erfasste innerhalb weniger Tage das ganze Reich. Die Monarchien im Reich und in den Ländern brach zusammen. Max von Baden übergab das Amt des Reichskanzlers am 9. November 1918 an Friedrich Ebert (SPD). Philipp Scheidemann (SPD) rief am Nachmittag desselben Tages von einem Balkon des Reichstages die Republik aus. Der von SPD und USPD gebildete sechsköpfige „Rat der Volksbeauftragten“ übernahm am 10. November 1918 provisorisch die Regierungsgewalt. Er ordnete in seinem „Aufruf an das deutsche Volk“ vom 12. November 1918[44] an, dass Wahlen zu allen gesetzgebenden Körperschaften fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten und allgemeinen Wahlrecht für alle mindestens 20 Jahre alten Männer und Frauen stattzufinden hätten. Diese Wahlrechtsgrundsätze wurden in §§ 1, 2 der Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung (Reichswahlgesetz) vom 30. November 1918[45] wiederholt. Trotz vieler Widerstände und Schwierigkeiten setzte der Rat der Volksbeauftragten, dem ab Ende Dezember 1918 nur noch SPD-Mitglieder angehörten, durch, dass so bald wie möglich eine verfassungsgebende deutsche Nationalversammlung gewählt wurde. Auf diese Weise wurde Deutschland zur parlamentarischen Republik. Zur Einführung eines antiparlamentarischen Rätesystems nach sowjetischem Vorbild, wie es der kommunistische „Spartakusbund“ (unter Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sowie die aus diesem hervorgehende KPD) forderten, kam es nicht.

b) Nationalversammlung und Weimarer Reichsverfassung

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Die am 19. Januar 1919 gewählte Deutsche Nationalversammlung trat am 6. Februar 1919 in Weimar zusammen. Ihr gehörten 37 Frauen an. SPD, Zentrum und DDP waren die Wahlsieger. Sie hatten 331 von 423 Sitzen erreicht und waren von Beginn an die staatstragenden Parteien der Weimarer Republik (sog. Weimarer Koalition).

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Die Nationalversammlung war nicht nur eine verfassunggebende Versammlung, sondern eine mit allen Vollmachten ausgestattete Volksvertretung. Sie war das erste vollends demokratische, da auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruhende, deutsche Parlament. Die Nationalversammlung erließ Gesetze, kontrollierte die Regierung und entschied über die Annahme des Versailler Vertrages. Sie verabschiedete zunächst das Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt vom 10. Februar 1919[46] als Übergangsverfassung.[47] Die Parlamentsrechtsvorschriften der Reichsverfassung blieben nach § 5 des Gesetzes mit Ausnahme des Art. 25 RV in Kraft. Die Reichsregierung („Reichsministerium“) wurde vom Reichspräsidenten berufen und bedurfte des Vertrauens der Nationalversammlung (§§ 8, 9 Abs. 2 des Gesetzes). Die Nationalversammlung wählte Ebert am 11. Februar 1919 zum vorläufigen Reichspräsidenten. Er berief Scheidemann zum Ministerpräsidenten einer aus Mitgliedern von SPD, Zentrum und DDP gebildeten Regierung (Weimarer Koalition). Die Nationalversammlung beriet und beschloss am 31. Juli 1919 die Weimarer Reichsverfassung. Sie trat am 11. August 1919 in Kraft. Die Nationalversammlung tagte ab September 1919 im Reichstagsgebäude in Berlin. Der Bau hatte zuvor erst instandgesetzt werden müssen. Er war infolge der militärischen Belegung 1918/19 deutlich in Mitleidenschaft gezogen worden.[48] Die Nationalversammlung war während der Berliner Phase ihrer Amtszeit umfangreich als Gesetzgeber tätig.[49] Der 1. Reichstag der Weimarer Republik wurde am 6. Juni 1920 gewählt. Er löste die Nationalversammlung am 24. Juni 1920 ab. Die Mehrheitsverhältnisse hatten sich entscheidend verändert: Die Weimarer Koalition hatte ihre Mehrheit bereits wieder eingebüßt und sollte sie bis zum Ende der Weimarer Epoche auch nicht wiedererlangen.

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Die Weimarer Verfassung richtete ein parlamentarisches System mit starken präsidialen Elementen auf. Sie knüpfte inhaltlich an die Oktoberreform der Schlussphase des Kaiserreiches an (s. Rn. 49 ff.). Der Reichstag war, soweit nicht besondere Befugnisse dem Reichspräsidenten übertragen waren, das oberste Verfassungsorgan.[50] Das Parlament konnte den Reichskanzler zwar nicht wählen, jedoch stürzen (Art. 54 WRV, sog. Parlamentarismusartikel). Die Ernennung und Entlassung des Reichskanzlers und der Reichsminister oblag dem direkt gewählten Reichspräsidenten (Art. 53 WRV). Die Reichstagswahl erfolgte ausschließlich nach dem Verhältniswahlrecht (Art. 22 S. 1 WRV). Die Wahlperiode betrug – wie schon seit 1888 – vier Jahre (Art. 23 Abs. 1 S. 1 WRV), sofern der Reichstag nicht vom Reichspräsidenten aufgelöst wurde (Art. 25 WRV). Die Wahlperiode begann mit dem Wahltag.[51] Sie endete mit dem Ablauf von vier Jahren oder mit dem Zeitpunkt der Auflösung. Zwischen den Wahlperioden bestand eine „parlamentslose“ Zeit (vgl. auch Art. 27 WRV).

c) Parlamentsrecht der Weimarer Republik

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Das Parlamentsrecht der Weimarer Republik verteilte sich – wie schon in der Kaiserzeit (s. Rn. 46 f.) – auf die Verfassung und auf die Geschäftsordnung. Im Vergleich zur alten Reichsverfassung waren einige Änderungen zu verzeichnen. Sie spiegelten die gewachsene Bedeutung des Reichstages wieder. Zusätzlich zur weiterhin bestehenden Geschäftsordnungsautonomie und dem Recht, das Präsidium zu wählen und Gesetze zu initiieren, wurden dem Parlament weitere Befugnisse zuerkannt: Der Reichstag erhielt erstmals das Selbstversammlungsrecht (Art. 24 Abs. 2) und der Reichstagspräsident die Polizeigewalt im Reichstagsgebäude (Art. 28 S. 1 WRV). Der Immunitätsschutz wurde erweitert: Art. 31 RV hatte die Abgeordneten nur vor Untersuchungs- oder Zivilhaft geschützt. Art. 37 WRV erstreckte die Immunität auf jede andere Haft und Beschränkung der persönlichen Freiheit. Die Abgeordneten besaßen erstmals ein Zeugnisverweigerungsrecht für ihnen anvertraute Geheimnisse, flankiert von einem akzessorischen Beschlagnahmeverbot für Schriftstücke (Art. 38 Abs. 1 WRV). Der Reichstag und seine Ausschüsse erhielten – als „Folge der parlamentarischen Ministerverantwortlichkeit“[52] – das Recht, Regierungsmitglieder herbeizuzitieren (Art. 33 Abs. 1 WRV). Auf Anregung Max Webers[53] garantierte Art. 34 WRV außerdem das Recht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen.

Dies war auf Reichsebene ein Novum. In einigen Einzelstaaten war das Enquêterecht bereits vor 1918 verankert (vgl. z.B. Art. 82 PrVerf 1850). Die Minderheitsenquête war gemäß Art. 34 Abs. 1 S. 1 WRV möglich, konnte aber – anders als nach Art. 44 GG – nicht gerichtlich erzwungen werden.[54]

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Das Parlamentsrecht der Länder entsprach im Wesentlichen dem Reichsrecht. Das Auflösungsrecht und die Länge der Wahlperiode variierten. Das Geschäftsordnungsrecht der Länder knüpfte an die Regelungen an, die vor 1918/19 bestanden hatten, passte diese aber in gewissem Maße an die stärkere Rolle des Parlaments an.[55] Bestimmte Statusrechte der Reichstagsabgeordneten normierte die Weimarer Verfassung zugleich für die Landesebene (Art. 36-40 WRV). Nur einzelne Landesverfassungen nahmen auf die politischen Parteien (über Proporzregelungen) Bezug.

In manchen Landesparlamenten stellten sich die radikalen antidemokratischen Parteien KPD und NSDAP – zum Teil schon früher als auf Reichsebene – als Problem dar. Hierauf wurde verschiedentlich versucht, durch Geschäftsordnungsänderungen zu reagieren. So verlängerten einige Landtage die Dauer von Sitzungsausschlüssen und schufen die Möglichkeit, von der Beratung solcher Vorlagen abzusehen, die offenkundig nicht in die Zuständigkeit des Landesparlaments fielen.[56] Bekannt ist die Änderung der Geschäftsordnung des Preußischen Landtages vom 12. April 1932 – zwölf Tage vor einer Landtagswahl. Für die Wahl zum Ministerpräsidenten war danach auch im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit nötig (statt wie zuvor die relative Mehrheit). Damit konnte die NSDAP, welche bei der Landtagswahl stärkste Partei wurde, vom Amt des Ministerpräsidenten ferngehalten werden. Die bisherige SPD-geführte Regierung amtierte weiter. Das verfassungsrechtlich zweifelhafte Geschäftsordnungsmanöver[57] konnte die Demokratiefeinde aber nicht lange von Regierungsämtern fernhalten. Die obrigkeitsstaatlich gesinnte Reichsregierung von Papen entmachtete die Landesregierung mit dem „Preußenschlag“ am 20. Juli 1932. Wenige Monate später wurde der Nationalsozialist (und Reichstagspräsident) Hermann Göring zum kommissarischen preußischen Innenminister und im April 1933 zum Ministerpräsidenten ernannt.

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Von den erwähnten Änderungen abgesehen, war das Parlaments- bzw. Geschäftsordnungsrecht der Zwischenkriegszeit an vielen Stellen von inhaltlicher und teilweise sogar textlich-formaler Kontinuität zum Recht des kaiserzeitlichen Reichstages und der fortschrittlicheren Einzelstaaten geprägt:[58] Die Nationalversammlung (1919/20) und der 1. Reichstag der Weimarer Zeit übernahmen zunächst im Wesentlichen die kaiserzeitliche Geschäftsordnung. Aber eine gewisse Überarbeitung der bisherigen Rechtslage war geboten. Daher erließ der Reichstag am 22. Dezember 1922 eine neue Geschäftsordnung (GO-RT). Sie trat zum 1. Januar 1923 in Kraft[59] und galt mit kleineren Ergänzungen (u.a. vom 9. Februar 1931) bis zum Ende der Weimarer Republik. Die Geschäftsordnung zeichnete endlich die Parlamentswirklichkeit nach, indem sie die Fraktionen an mehreren Stellen, z.B. in § 7 (bei der Fraktionsbildung) und § 9 (bei den Stellenanteilen der Fraktionen), erwähnte. Der bisherige Seniorenkonvent wurde in „Ältestenrat“ umbenannt. Änderungen im Februar 1931 dienten einer Verschärfung der Ordnungsmittel, um Störungen der NSDAP und der KPD entgegenzuwirken, was letztlich erfolglos blieb. Störungen blieben an der Tagesordnung. Die Sitzung am 12. Mai 1932 musste sogar abgebrochen werden. Am 8. Dezember 1932 eskalierte ein Konflikt zu einer regelrechten Saalschlacht.

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Abgesehen von den beschriebenen Änderungen führte der Weimarer Reichstag die Organisation und die Arbeitsweise des kaiserlichen Parlaments im Wesentlichen fort: Weiterhin bestanden Proporzregeln für die Binnenorganisation. Die Sitzungszahl lag weiterhin bei über 100 pro Jahr.[60] Allerdings nahm die Ausschussarbeit „in einem exorbitanten Maß zu, wobei das Schwergewicht bei der Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik lag.“[61] Die Regierungen wurden weiterhin eher als Gegenspieler des Parlaments verstanden, obwohl sie sich bis 1930 weitgehend auf Parlamentsmehrheiten stützten und ihre Mitglieder überwiegend Parteivertreter und Abgeordnete waren. Die inhaltliche Ausarbeitung der Gesetze wurde weiterhin der Regierung überlassen; Entwürfe aus der Mitte des Reichstages waren oftmals handwerklich mangelhaft, auch weil die Abgeordneten keine Mitarbeiterstäbe besaßen, die ihnen hätten zuarbeiten können.[62]

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