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d) Zurückdrängung des Reichstages ab 1930[63]

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Reichskanzler Hermann Müller (SPD), der eine lagerübergreifende Koalition angeführt hatte, trat am 27. März 1930 aus vergleichsweise nichtigem Anlass zurück. Die Anhänger eines autoritären Staates im Umfeld des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg nutzten die Uneinigkeit der Parteien und begannen ihre politischen Vorstellungen zu verwirklichen. Der Reichspräsident suchte nun die Reichskanzler weitgehend ohne Fühlungsnahme mit den Reichstagsfraktionen aus. Die Zeit der sog. Präsidialkabinette begann. Sie war „die Auflösungsphase der ersten deutschen Demokratie“[64]. Die Reichsregierung Brüning (1930-32) wurde ab der verheerenden Reichstagswahl vom 14. September 1930 noch von der Parlamentsmehrheit aus SPD, Zentrum und kleineren Parteien unterstützt bzw. toleriert. Eine Regierungsbeteiligung der NSDAP sollte auf diese Weise verhindert werden. Die Kabinette von Papen (1932) und von Schleicher (1932/33) sowie das erste Kabinett Hitler (1933) stützten sich allein auf das Vertrauen des Reichspräsidenten. Recht wurde von 1930-33 in einer denkbar weiten Auslegung des Art. 48 Abs. 2 WRV häufig durch Notverordnungen gesetzt. Die Zahl der vom Parlament verabschiedeten Gesetze nahm gleichzeitig ab, dem korrespondierend die Zahl der Reichstagsdrucksachen.[65] Die von der Forschung ermittelten Zahlen für Notverordnungen und Parlamentsgesetze schwanken je nach Autor leicht.[66] Die Tendenz ist aber in allen Veröffentlichungen dieselbe: Standen 1930 einer Handvoll Notverordnungen noch 98 Parlamentsgesetze gegenüber, wurden 1931 schon etwas mehr Notverordnungen als Parlamentsgesetze erlassen. Im Jahr 1932 erließ der Reichstag nur noch fünf Parlamentsgesetze, der Reichspräsident hingegen rund 60 Notverordnungen.

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Der Reichstag und die demokratischen Parteien wurden, durch drei Neuwahlen in drei Jahren (davon zwei im Jahr 1932) und die Notverordnungspraxis, als politische Entscheidungsträger bis zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler (30. Januar 1933) im Wesentlichen ausgeschaltet. Reichstagssitzungen fanden kaum mehr statt. Im Jahr 1932 trat der Reichstag nur dreizehnmal zusammen. Auch die Ausschüsse und die Fraktionen tagten nur noch selten. Die innenpolitische Machtbalance verschob sich von der Legislative zur Exekutive. Ein Verfassungswandel[67] von der parlamentarischen zur präsidialen Republik war zu beobachten.

e) Selbstentmachtung durch das Ermächtigungsgesetz[68]

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Am 27. Februar 1933 brannte der Reichstag. Der Plenarsaal wurde vollständig zerstört. Ein Fanal für die Zukunft der Republik. Wer auch immer den Brand gelegt oder dazu angestiftet hatte: die Regierung Hitler nutzte ihn umgehend aus. Die einen Tag nach dem Brand, am 28. Februar 1933, erlassene „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ (sog. Reichstagsbrandverordnung) setzte „bis auf Weiteres“ die meisten Grundrechte außer Kraft. Sie galt bis zum Ende des NS-Regimes im Mai 1945. Bei der Reichstagswahl vom 5. März 1933 erreichte die NSDAP nur gemeinsam mit der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ (unter anderem DNVP, Stahlhelm und parteilose Rechtskonservative) die absolute Mehrheit der Sitze, obwohl der Wahlkampf anderer Parteien zum Teil massiv behindert worden war. Viele Zeitungen und Demonstrationen der linken Parteien waren mithilfe einer Notverordnung vom 4. Februar 1933 (sog. Schubladenverordnung) verboten worden. Die Organisation der KPD war zerschlagen worden. Viele ihrer Funktionäre befanden sich in „Schutzhaft“ oder auf der Flucht. Auch viele SPD-Funktionäre wurden verhaftet oder waren zur Emigration gezwungen. Hitler wollte Gesetze ohne Befassung des Reichstages (des Reichsrates und des Reichspräsidenten) erlassen können. Sein Ziel war die Verfassungsänderung durch ein Ermächtigungsgesetz, das die Gesetzgebung der Reichsregierung übertrug. Dafür war nach Art. 76 Abs. 1 S. 2 WRV eine doppelte Zweidrittelmehrheit erforderlich: Bei der Abstimmung mussten zwei Drittel der gesetzlichen Mitglieder anwesend sein und zwei Drittel der Anwesenden dem Gesetz zustimmen. Durch Versprechungen an das Zentrum gelang es den Nationalsozialisten, dieses zur Zustimmung zu bewegen. Auch die Abgeordneten der BVP und der anderen bürgerlichen (Splitter-)Parteien stimmten dem Gesetz zu. Das Gesetz erhielt 444 von 538 abgegebenen Stimmen. Damit wurde die erforderliche Zweidrittelmehrheit der Mitglieder und der Anwesenden erreicht. Der Reichstag entmachtete sich, den Reichsrat und auch den Reichspräsidenten durch das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom 24. März 1933[69], das Ermächtigungsgesetz, endgültig selbst. Nur die anwesenden 94 Abgeordneten der SPD stimmten mit „Nein“. Die 81 KPD-Mandate, deren Inhaber ohnehin schon verhaftet, untergetaucht oder ins Ausland geflohen waren, wurden „als nicht existent behandelt“[70]. Über die Verfassungsmäßigkeit des Ermächtigungsgesetzes ist viel gestritten worden. Auch wenn eine verfassungs- oder parlamentshistorische Darstellung nicht in der Lösung vergangener Rechtsfälle ihren Sinn findet: Richtiger Auffassung nach ist es nicht verfassungsgemäß zustandegekommen. Die einschüchternde SA- und SS-Präsenz im und vor dem Plenarsaal[71] war geeignet, die freie Willensentschließung und Abstimmung der Abgeordneten (Art. 21 WRV) einzuschränken. Die bedrohliche Atmosphäre im Sitzungssaal, die noch dadurch verstärkt wurde, dass der Raum mit Hakenkreuzflaggen dekoriert war und der Reichstagspräsident Göring sowie die übrigen NSDAP-Abgeordneten in Uniform erschienen, vermittelte den (nicht unbegründeten) Eindruck, Nein-Stimmen würden Leib und Leben gefährden. Die äußeren Umstände der Sitzung führten zur Unwirksamkeit der Abstimmung.[72]

2. Bundesrepublik Deutschland

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Nach dem Ende des NS-Regimes und des Zweiten Weltkrieges begann das parlamentarische Leben unter Aufsicht der Westalliierten zunächst wieder in den Ländern. 1948 beauftragten die drei Westalliierten die elf Ministerpräsidenten aus den drei westlichen Besatzungszonen, eine Verfassung für die Westzonen zu entwerfen. Die Landesparlamente wählten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates. Dieser erarbeitete den Entwurf des Grundgesetzes. Das Bonner Grundgesetz wurde von den Landtagen mehrheitlich angenommen, von Konrad Adenauer am 12. Mai verkündet und trat am 23. Mai 1949 in Kraft.

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Das Grundgesetz stellt den Bundestag in das Zentrum des parlamentarischen Regierungssystems. Der Bundestag wählt den Bundeskanzler (Art. 63, 67 GG). Er darf sich nicht selbst auflösen. Allein der Bundespräsident kann den Bundestag auflösen – und dies nur in den in Art. 63 Abs. 4 S. 3 und Art. 68 Abs. 1 GG genannten beiden Fällen. Dazu ist es bislang dreimal gekommen (1972, 1982 und 2005).

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Die Kabinettsmitglieder sind üblicherweise auch Parlamentsmitglieder (wenn nicht von Anfang an, dann sobald wie möglich). „Neutrale Fachminister“ spielen, anders als in der Weimarer Zeit oder in anderen europäischen Staaten, keine Rolle. Das ist eine logische Folge des parlamentarischen Regierungssystems. Die Bundeskanzler spielen eine starke Rolle (Kanzlerdemokratie). Die Bundesregierungen waren bislang sehr stabil, insb. wenn man sie mit ihren Weimarer Vorgängern oder den Regierungen mancher europäischer Staaten vergleicht. Ihre durchschnittliche Amtszeit wurde in der Weimarer Republik nicht einmal ansatzweise erreicht. Der Bundestag gehört im internationalen Vergleich zu den starken Parlamenten.[73] Er ist das „wahrscheinlich zweitstärkste Parlament der Welt“[74] nach dem US-Kongress. Der Bundestag hat entscheidenden Anteil an der positiven Entwicklung, welche die Bundesrepublik seit 1949 genommen hat.[75] Bundesrat und Bundesverfassungsgericht[76] bilden Gegengewichte zum Bundestag. Die Bundesregierung ist nicht Gegenspieler, sondern Produkt des Parlaments.

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Nicht nur die Verfassung und die gute wirtschaftliche Lage, sondern auch die Struktur des Parteiensystems war für die politische Entwicklung und Stabilität der Bundesrepublik zentral. Dazu seien einige Eckpunkte der Entwicklung der politischen Parteien unter dem Grundgesetz in Erinnerung gerufen.[77] Das Wahlrechtssystem wie auch das sich ausbildende parlamentarische Regierungssystem haben spätestens ab der dritten Bundestagswahl 1957 die Anzahl der Parteien zunächst deutlich verringert. Prägend für die Bundesrepublik war bei Rückgang der weltanschaulichen und ideologischen Ausrichtung die Ausbildung des Typus der schichten-, konfessions- und milieuübergreifenden, möglichst alle Politikfelder abdeckenden Volkspartei.[78] Die Unionsparteien CDU und CSU stellen – teilweise anknüpfend an die schichtenübergreifende, freilich konfessionell gebundene Zentrumspartei der Weimarer Republik – die Prototypen dar.[79] Die SPD folgte nach dem Godesberger Programm 1959.[80] Das sich in den 1950er Jahren ausbildende Dreiparteiensystem (CDU/CSU, SPD, FDP) erweiterte sich seit den 1980er Jahren zum Vierparteiensystem mit dem Aufkommen der „Grünen“, um sich nach der Wiedervereinigung weiter auszudifferenzieren.[81] Die Volksparteien, die durch innerparteilichen Interessenausgleich die parlamentarische Kompromissfindung erleichtern und über die föderalen und gewaltenteiligen Brüche hinweg einheitlich Personal zur Verfügung stellen, haben die beispiellose Stabilität der Bundesrepublik in den ersten 60 Jahren ihres Bestehens ermöglicht. In der Gegenwart sind hier jedoch durch die Schwäche sozialmoralischer Milieus und ihre Ersetzung durch stärker individualistisch-fragmentierte Öffentlichkeiten Auflösungserscheinungen festzustellen.[82] Traurige Konstante der öffentlichen Wahrnehmung des Wirkens der politischen Parteien in Deutschland ist eine tief verwurzelte, durch Wahrheits- und Einheitssehnsüchte genährte Parteienkritik als Teil antiparlamentarischer Grundstimmungen über die Epochen der Parteiengeschichte und der rechtlichen Institutionalisierung der Parteien hinweg.[83] Interdisziplinäre Aufgabe muss es demgegenüber sein, Parteien nicht als pathologische Erscheinungen, sondern als für die pluralistische Auseinandersetzung notwendige Einrichtungen, die aus erkenntnistheoretischer, partizipatorischer und integrativer Sicht unverzichtbar sind, erneut bewusst zu machen.[84]

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Parlamentsrechtlich besteht eine nicht zu übersehende Kontinuität, die vom Preußischen Abgeordnetenhaus, dem Reichstag und einigen Landesparlamenten der Kaiserzeit und der Weimarer Republik bis zum Bundestag und den Landesparlamenten der Bundesrepublik reicht[85] (s. Rn. 36, 47, 59). Das Parlamentsrecht ist das Paradigma für normative Kontinuität:[86] Die Volksvertretungen der Nachkriegszeit knüpften wie ihre Vorgänger in der Zwischenkriegszeit an den jeweils „letzten Stand“ des Geschäftsordnungsrechts an. Bspw. übernahm der 1. Bundestag vorläufig die Geschäftsordnung des Reichstages vom 12. Dezember 1922, die im Wesentlichen auf der Geschäftsordnung des kaiserzeitlichen Reichstages basierte, die wiederum in Vielem auf der Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses aufbaute. Während das Anknüpfen des Bundestages an das Geschäftsordnungsrecht des Reichstags der Weimarer Republik plausibel sein mag, war der Rückbezug Weimars auf das Kaiserreich angesichts der anders gearteten parlamentarischen Struktur unreflektiert und problembehaftet.

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Die Kontinuität gilt zum einen für die Regelungsform des autonomen Parlamentsrechts: Obwohl deren maßgebliche Triebfeder aus dem Konstitutionalismus (die Umgehung des Mitwirkung des Monarchen bei der förmlichen Gesetzgebung) weggefallen ist, wird die Geschäftsordnung bis heute als Rechtssatz eigener Art oder – wie die h.M. meint – „autonome Satzung“ erlassen. Die Kontinuität ist zum anderen bei den Regelungsinhalten zu beobachten: Ein Kanon an parlamentarischen Institutionen und Rechtsinstituten steht im Kern seit der Paulskirchenversammlung, spätestens aber seit der Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses fest. Er wird stetig ergänzt, aber kaum mehr substanziell gekürzt.

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Vieles im Bundestag gemahnt an den Reichstag: die Anordnung der Regierungs- und der Bundesratsbank, die Sitzordnung im Plenum, die Beachtung des Fraktionsproporzes (unter anderem bei den Redezeiten), das jederzeitige Zutritts- und Rederecht der Mitglieder und Beauftragten von Bundesregierung und Bundesrat (Art. 43 Abs. 2 GG), der vergleichsweise sachorientierte und wenig lebendige Debattenstil und das Selbstverständnis als „Arbeitsparlament“ (mit hoher Bedeutung der Ausschüsse und interfraktionellen Absprachen) sowie die betonte Eigenständigkeit des Bundestages im Verhältnis zur Bundesregierung (z.B. beim Hinweis auf das „Struckʼsche Gesetz“, wonach das beschlossene Gesetz nahezu immer vom Gesetzentwurf abweicht).

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Allerdings wurden in der Bundesrepublik sehr viele Neuerungen eingeführt. Bereits am 6. Dezember 1951 (mit Wirkung ab dem 1. Januar 1952) erließ der Bundestag eine neue Geschäftsordnung (GO-BT). Sie enthielt ca. 30 Änderungen im Vergleich zur früheren Geschäftsordnung des Reichstages und sah z.B. öffentliche Anhörungen vor.[87] Die GO-BT ist seitdem immer wieder geändert und ergänzt worden. Der Bundestag führte die Fragestunde (1960), eine Geheimschutzordnung (1964), die Aktuelle Stunde (1965), die Möglichkeit zur Einsetzung einer Enquêtekommission (1969) und das Format der Befragung der Bundesregierung im Plenum (1988) ein. Er lässt seit 1969 strafrechtliche Ermittlungsverfahren, jeweils bis zum Ende einer Wahlperiode, pauschal zu. Auch bei den Leitungsorganen gab es Änderungen. Der Vorstand wurde mit dem Ältestenrat „zu einem neuen kräftigen Lenkungsgremium zusammengefasst“[88] – mit der Bezeichnung „Ältestenrat“. Der Bundestag führte im Jahr 1972 erstmals Verhaltensregeln ein, die seitdem mehrfach verschärft wurden, zuletzt grundlegend im Jahr 2005. Seitdem sind die Einkünfte aus Tätigkeiten neben dem Mandat dem Bundestagspräsidenten anzuzeigen und von diesem in (mittlerweile zehn) Stufen zu veröffentlichen. Eine größere Geschäftsordnungsreform (unter anderem mit einer Änderung der Paragraphenfolge) datiert vom 25. Juni 1980. Diese Version der GO-BT gilt – mit weiteren Änderungen und Ergänzungen – noch heute.

§ 2 Geschichte der Parlamente und des Parlamentsrechts › IV. Scheinparlamente

IV. Scheinparlamente

1. Reichstag unter nationalsozialistischer Herrschaft[89]

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Am 17. Mai 1933 tagte der Reichstag zum letzten Mal als Mehrparteienparlament.

Während der Regierungszeit Hitlers tagte der Reichstag übrigens nie im Reichstagsgebäude. Stattdessen trat er überwiegend und passenderweise in der „Kroll-Oper“, einem Veranstaltungskomplex gegenüber vom Reichstagsgebäude, zusammen. Hitler sprach auch nie im Reichstagsgebäude.

Zum letzten Mal waren auch weibliche und jüdische Abgeordnete anwesend. Parteien, die sich nicht freiwillig auflösten, wurden durch das „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“ vom 14. Juli 1933[90] verboten. Die NSDAP wurde zur Staatspartei. Der Reichstag war ein Scheinparlament, da er nicht demokratisch gewählt wurde und die Aufgaben eines Parlaments nicht mehr wahrnahm. Er tagte selten (vom Mai 1933 bis zum Mai 1945 nur noch neunzehnmal), kontrollierte die Regierung nicht (auch weil es keine anderen Parteien als die NSDAP mehr gab) und erließ gerade einmal sieben Gesetze ohne jede Plenar- oder Ausschussberatung. Die Ausschüsse tagten nicht und wurden ab 1936 auch gar nicht mehr eingesetzt. Der Reichstag verkam zum reinen „Akklamationsorgan“[91], zum „teuersten Gesangsverein Deutschlands“ oder „bestbezahlten Männerchor der Welt“[92] – eine Anspielung auf den Umstand, dass die Abgeordneten monatliche Diäten erhielten, dafür aber kaum tagten und sich auf das Bejubeln der Reden Hitlers (etwa zum „Anschluss“ Österreichs und zum Beginn des Zweiten Weltkriegs[93]) und das Singen der Hymne beschränkten. Die Bedeutungslosigkeit des Reichstages zeigte sich auch daran, dass die Abgeordneten zu den Reichstagssitzungen im Zweiten Weltkrieg erst kurz vor der jeweiligen Tagung eingeladen wurden. Trotz der Bedeutungslosigkeit des „Parlaments“, blieb die Reichstagsverwaltung unter Reichstagspräsident Göring bis Kriegsende bestehen. Der Reichstag setzte sich fast ausnahmslos aus der „Ober- und Mittelschicht der nationalsozialistischen Parteiführerschaft“ zusammen.[94] Nur wenige Abgeordnete gehörten nicht der NSDAP an. Doch auch sie kandidierten auf der allein zur Wahl stehenden Einheitsliste der NSDAP und waren als „Gäste“ der NSDAP-Fraktion in den NS-Staat fest eingebunden. Die „Reichstagswahlen“ der Jahre 1933, 1936 und 1938 waren eine bloße Farce. Zum letzten Mal trat der Reichstag am 26. April 1942 zusammen, danach bis zum Zusammenbruch des Dritten Reiches nicht mehr. Die kriegsbedingte Verlängerung der laufenden „Wahlperiode“ des Reichstages durch Gesetze bis zum 30. Januar 1943 und dann bis zum 30. Januar 1947 hatte keine Bedeutung mehr.

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Die Landesparlamente wurden gleich zu Beginn des NS-Regimes durch das „Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ vom 31. März 1933[95] und das „Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ vom 7. April 1933[96] politisch ausgeschaltet. Durch das „Gesetz über den Neuaufbau des Reichs“ vom 30. Januar 1934[97] wurde die Eigenstaatlichkeit der Länder mitsamt den Landesparlamenten abgeschafft. Der Reichsrat als Vertretung der Länder wurde durch Gesetz vom 14. Februar 1934[98] aufgelöst.

2. Volkskammer der DDR

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In der DDR gab es nur einen „‚Minimal‘- oder ‚Scheinparlamentarismus‘ [in Gestalt der Volkskammer], der unter der Dominanz der Sozialistischen Einheitspartei (SED) stand“.[99] Die Volkskammer war ein Akklamationsorgan.[100] Sie besaß politisch nur eine geringe Bedeutung, wofür die marginale Zahl ihrer Plenarsitzungen ein Indiz ist.[101] Die Volkskammer tagte gerade in den 1970er und 1980er Jahren nur wenige Tage im Jahr. Die Vorgabe in Art. 54 der DDR-Verfassung vom 6. April 1968 (in der Fassung vom 7. Oktober 1974), wonach die Abgeordneten der Volkskammer in freier, allgemeiner, gleicher und geheimer Wahl zu wählen seien, stand nur auf dem Papier. In Wirklichkeit waren die Wahlen eine „erzwungene Akklamation“.[102] Zur Wahl stand lediglich eine von der SED dominierte Einheitsliste. Wahlverweigerung und Nein-Stimmen waren möglich, ließen aber staatliche Sanktionen befürchten. Auch wurden die Wahlen manipuliert, um die gewünschten Ergebnisse von in der Regel mehr als 99 % für die Einheitsliste zu erreichen. Der Demokratiebegriff der SED und der DDR-Verfassung stand mit dem empirisch fassbaren Volkswillen der DDR-Bürger offenkundig im Widerspruch.[103]

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Die 10. Volkskammer wurde nach der Wende im Herbst 1989 am 18. März 1990 gewählt. Sie war das erste und einzige demokratische Parlament der DDR. Sie bestand vom 5. April bis zum 2. Oktober 1990. Ihr wichtigster Beschluss war die Zustimmung zum Einigungsvertrag, der das Ende der deutschen Teilung besiegelte.

§ 2 Geschichte der Parlamente und des Parlamentsrechts › V. Parlamentarische Selbstdarstellung und Antiparlamentarismus

V. Parlamentarische Selbstdarstellung und Antiparlamentarismus

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Während die äußere Gestaltung der Parlamentsgebäude Spiegel ihrer Zeit sind,[104] korrespondiert die innere Architektur, insb. die Sitzordnung der Kammern dem jeweiligen Parlaments- und Regierungssystem.[105] Für den deutschen Parlamentarismus könnte dies an der Architektur des ursprünglichen Reichstagsgebäudes, der Bonner Unterkünfte des Deutschen Bundestages und das nach der Wiedervereinigung umgebauten Reichstagsgebäudes verdeutlicht werden. Die Anordnung der Regierungsbank ist im parlamentarischen regelmäßig anders als in einem präsidentiellen System. Der Unterschied zwischen Rede- und Arbeitsparlament wird auf den ersten Blick in das Regierungs- und Oppositionsfraktion einander gegenüberstellenden House of Commons bzw. in den kreisförmig angeordneten Plenarsaal des Deutschen Bundestages augenfällig. Ein derartiger kulturwissenschaftlicher Zugriff, der die symbolische Dimension des Parlaments betont,[106] verspricht, ohne daraus rechtsdogmatische Schlussfolgerungen zu ziehen, Erkenntnisse für ein besseres politisches wie rechtliches Verständnis.

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Parlamentarische Selbstdarstellung zeigt sich auch in der Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Bundestages, die – sobald sie redaktionelle Komponenten erhält – in eine rechtliche Grauzone gerät.[107] Ein Parlamentsfernsehen, das die Berichterstattung redaktionell formt, müsste sich nicht nur an den rundfunkrechtlichen Vorgaben ausrichten,[108] sondern würde auch schnell in einen Konflikt mit der prinzipiellen Trennung von Volks- und Staatswillensbildung geraten. Es kann daher Defizite in der medialen parlamentarischen Berichterstattung kaum kompensieren.

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Ähnlich wie die Parteienverdrossenheit kann eine deutsche Tradition von Parlamentspessimismus und Parlamentsverdrossenheit, übersteigerter Parlamentskritik ausgemacht werden. Diese sollte nicht herbeigeredet werden,[109] kann jedoch auch nicht ignoriert werden. Sie beruht auf dem Zusammentreffen teilweise spezifisch deutscher Prädispositionen, wie Resten obrigkeitsstaatlicher Denkschemata, der tendenziellen Überschätzung von Sachzwängen und Expertokratie sowie allgemein einem Unbehagen an Politik und dem damit verbundenen Streit. Bewusst konstruierte Idealbilder eines historischen Parlamentarismus, vor dem die Gegenwart als Verfallsgeschichte erscheint, verstärken diese Tendenz.[110]

Literatur zu § 2:

von Beyme, Die parlamentarische Demokratie. Entstehung und Funktionsweise 1789-1999, 3. Aufl. 1999; Kluxen (Hrsg.), Parlamentarismus, 5. Aufl. 1980; Ritter (Hrsg.), Gesellschaft, Parlament und Regierung. Zur Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland, 1974; C. Schönberger, Das Parlament: Geschichte einer europäischen Erfindung, in: MSW, § 1; Wittreck, Genese und Entwicklung des deutschen Parlamentsrechts, in: MSW, § 2; zu I. und II.: Kühne, Volksvertretungen im monarchischen Konstitutionalismus (1814-1918), in: SZ, § 2; C. Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat; zu III.: Austermann, Der Weimarer Reichstag. Die schleichende Ausschaltung, Entmachtung und Zerstörung eines Parlaments, 2020; Bickenbach, Vor 75 Jahren: Die Entmächtigung der Weimarer Reichsverfassung durch das Ermächtigungsgesetz, JuS 2008, 199; Cancik, Parlamentarismus vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Redezeiturteil und die Erfassung der Verfassungswirklichkeit, in: Meinel (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bonner Republik, 2019, S. 199; Domarus, Der Reichstag und die Macht, 1968; Gusy, Die Weimarer Verfassung zwischen Überforderung und Herausforderung, Der Staat 55 (2016), 291; Hahn, Die Reichstagsbibliothek zu Berlin – ein Spiegel deutscher Geschichte, 1997; Hoffmann, Die Änderung parlamentarischer Geschäftsordnungen im Vorgriff auf politische Konflikte, 2018; Lübbe-Wolff, Das Demokratiekonzept der Weimarer Reichsverfassung, in: Dreier/Waldhoff (Hrsg.), Das Wagnis der Demokratie, 2. Aufl. 2018, S. 111; Mergel, Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik, 3. Aufl. 2012; Morsey, Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, 2010; Wadle, Das Ermächtigungsgesetz, JuS 1983, 170; zu IV.: Hubert, Uniformierter Reichstag. Die Geschichte der Pseudo-Volksvertretung 1933-1945, 1992; Jesse, Die Volkskammer der DDR, in: SZ, § 68; Mampel, Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, 2. Aufl. 1982; zu V.: Manow, Im Schatten des Königs. Die politische Anatomie demokratischer Repräsentation, 2008.

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