Kitabı oku: «Mädchen und Frauen in der deutschen Jugendbewegung im Spiegel der historischen Forschung», sayfa 4
3.1 Männerbündischer Antifeminismus und die darauf folgenden Reaktionen
Wie schon gesagt, stammt die erste und auch weitverbreitetste Untersuchung der deutschen Jugendbewegung, die auf die weiblichen Mitglieder eingeht, von Hans Blüher. Dabei befaßt er sich in seiner Geschichte des Wandervogels und der Jugendbewegung erst im vorletzten Kapitel des zweiten Teils (vgl. Blüher, 1922a, S. 222) mit den Mädchen und Frauen. Dort schreibt er, daß die weibliche Jugend durchaus gute Gründe hatte, den bedrückenden Verhältnissen in Elternhaus und Schule zu entfliehen:
Gewiß ist das Mitwandern der Mädchen eine Erscheinung, die gar nicht zu umgehen war, es stammt, seiner inneren Begründung nach, aus einer ähnlichen Romantik des Protestes (wie das Wandern der männlichen Jugend, C.K.). Die Mädchen waren nicht weniger unterdrückt als die jungen Männer. Ihre Natur war ebenso mißachtet von der Schule und vom Elternhaus, ihr Gemütsleben ebenso verkrüppelt wie das ihrer Brüder. (…) Das Mädchenwandern war eine Bereicherung und Vervollkommnung zum Allgemeinen-Menschlichen hin. (ebd., S. 229)
Interveniert aber nur einige Zeilen später:
Wie aber, wenn es Ideen, Tendenzen, Einrichtungen gibt, die, zuerst einseitig gebildet, von dem Augenblick an, wo sie sich zum Allgemein-Menschlichen erheben, auch auf dem Wege zu ihrem Untergang sind? (…) Unter dieser Voraussetzung wäre das Mädchenwandern einerseits ein Fortschritt zum Allgemein-Menschlichen hin gewesen und doch keiner für die Wandervogelsache. (ebd.)
Dabei geht der Widerspruch zwischen Männerbund und weiblicher Emanzipation, wie er sich in jenem Zitat ausdrückt, auf Blühers Idee vom Wandervogel als einer „männlichen Gesellschaft“ zurück, die dem „absoluten Geist“ verpflichtet sei (vgl. Klönne, 1996, S. 256). Schwerpunkt, wie in zahlreichen späteren Studien Blühers46, bildet besonders im dritten Teil seiner Wandervogelgeschichte „Die deutsche Wandervogelbewegung als erotisches Phänomen“ (1918), die Idee eines männerbündischen Eros. Darin glaubt er, von seinen Beobachtung ausgehend, nach denen den Wandervogel-Führern „allen der Zug zum Weibe zu fehlen“ (Blüher, 1922b, S. 32) schien, in den Jungenbünden ein dominierendes homoerotisches „Liebesleben“ und eine ausgeprägte „Freundeserotik“ zu erkennen. Diese machte den „organischen und innerlich treibenden Vorgang im Leben der Wandervogelbewegung“ (ebd., S. 38 f) aus und sei darüber hinaus auch entscheidend für die Herausbildung des Staates, denn der homoerotische Jungen- und Männerbund sei von Natur aus „stets sozialisierend“ (ebd., S. 70) und staatsbildend. Das ist für ihn die männliche Teilhabe an Gesellschaft und Geschichte gewesen. Wo Mädchen in die Gruppen des Wandervogels kamen – er spricht gar von „Mädcheninvasion“ (ebd., S. 15) – sah er die männerbündischen Gemeinschaften verflachen, „da trat schneller Verfall ein“ (ebd., S. 79).
Begründet liegen mag diese Haltung Blühers in den zu seiner Zeit bestehenden Diskussionen über die Geschlechter, vor allem über das weibliche Geschlecht, die bis hin zu antifeministischen Gedanken verliefen, die mit biologistischen Argumenten (biologischen Determinismus) gegen weibliche Emanzipation kämpften (vgl. Helduser, 2002, S. 17). Anknüpfend an die im zweiten Kapitel angedeutete Vorstellung des zu jener Zeit populären Konzepts der Polarität der Geschlechter bzw. der polaren Unterschiedlichkeit zwischen der weiblichen und männlichen Seinsweise (vgl. Blüher, 1916, Quelle: http:// www.symbolon.de/downtxt/bl_fem.htm) und den Ideen Otto Weiningers von der geistigen Minderwertigkeit der Frau (geistiger Antifeminismus), sei nach Blüher der Mann zum Logos („Geistigkeit“) geschaffen und die Frau zum Eros, weshalb sie diesem ihrem Wesen nach „ungeistig“ sei.
Daß die Frau ungeistig sei, soll natürlich nicht heißen, daß sie dem Geiste gegenüber Indifferenz zeige. (…) Das Ernstnehmen des Geistes bei Frauen ist immer nur das Ernstnehmen des Mannes, der ihn vertritt. (ebd.)
In diesem Sinne konnte sich nach Blüher die weibliche Teilhabe an Gesellschaft und Geschichte ausschließlich im Prinzip der „Hörigkeit“ vermitteln, über das die Frau an den Mann gebunden sei (vgl. Klönne, 1996, S. 256). Dagegen verwirklichte sich die „Geistigkeit“ des Mannes nach Blüher innerhalb der männlichen Gemeinschaft über das homoerotisch geprägte Beziehungsverhältnis der „Gefolgschaft“ (1916), was in der heutigen Geschlechterforschung auch als männerbündischer Antifeminismus bezeichnet wird (vgl. Helduser, 2002, S. 17, Schade, 1996, Klönne, 2000). Aufgrund der Hörigkeit und Ungeistigkeit der Frauen beschränkten sich ihre Fähigkeiten auf den familiären Bereich. Sie eigneten sich nur als „Gattungswesen“, als Ehefrau und Mutter. Jedoch würde die Frau innerhalb der Familie mit ihrem zugehörigen „Gattungsstreben“ den Anspruch der männlichen Kulturgemeinschaft des Wandervogels hemmen und somit einen Sieg des Familientums „über den Männerbund“ (Blüher, 1922b, S. 74) bewirken. Mit dieser Argumentation verfolgte Blüher eine direkte Verteidigung gegen die Mädchen und Frauen in der Jugendbewegung.
Es ist freilich schwer, der Freundlichkeit jener Zerstörerinnen zu widerstehen, denn sie sind wirklich ein ausgezeichnetes Geschlecht von Mädchen. Und das Herz muß bluten – muß! – bei dem Gedanken, sie wieder in die würdelose Verlogenheit ihrer bisherigen Erziehung zurückzustoßen: aber alle Lösungen sind flach, die nicht tragisch sind. Und hat man von uns überhaupt eine andere erwartet? – Der Männerbund ist wichtiger. Die Familie ist selbstverständlich; er aber braucht die Bejahung. (1919 in Klönne, 1990, S. 9)
Demzufolge lehnt Blüher die Beteiligung von Mädchen an der Jugendbewegung strikt ab und verurteilt sie als existentielle Gefahr (vgl. 1922b, S. 70) und damit als Problem.
Wo auch immer die Stellung der Mädchen und Frauen in der Jugendbewegung zum Thema gemacht wurde, lassen sich eindeutige Hinweise finden, daß auf Blüher Bezug genommen wurde (vgl. Frobenius, 1927, S. 40, Klönne, 1990, S. 12). So zum Beispiel in der Untersuchung von Viktor Engelhardt „Die deutsche Jugendbewegung als kulturhistorisches Phänomen“ (1923), in dem er sich auch zur „Mädelfrage“ äußert. Dort kritisiert er zwar die Blüher’sche „frauenfeindliche Ideologie“ als „persönliche Erlebnisform“, versucht aber dennoch, die damalige allgemein herrschende Unterlegenheit der Frauen, die er in Anlehnung an Blüher als „Hörigkeit“ bezeichnet, als Folge von sozialen-wirtschaftlichen-geschichtlichen Veränderungen darzustellen (1923, S. 17):
Die Entwicklung der Menschheit ist eine Entwicklung zu immer größerer Arbeitsteilung. Auf unterster Stufe gab es, bis auf die natürlichen Unterschiede, nur gleichartige menschliche Wesen. Auf einer zweiten, welche wohl fast mit dem Beginn der Menschwerdung zusammenhängt, begann eine arbeitsteilige Trennung der Geschlechter – im wesentlichen die Trennung von Haushalt und Jagd. Diese erste Trennung wirkte sich aus und brachte auf dritter Stufe die Spezialisierung und die daraus folgende individuelle Höherentwicklung des Mannes. Die Frau blieb im Haushalt und war damit an die Reste primitiver Wirtschaftsformen gebunden. Die ‚Hörigkeit‘ hat soziale-wirtschaftliche-geschichtliche Gründe keine, die in der Natur irgendwelcher erotischer Beziehungen liegen – und deswegen ‚ewig‘ sind.
Die hier dargelegte Argumentationskette, daß sich mit der geschlechtsspezifischen Teilung der Arbeit ein hierarchisches Ordnungsverhältnis zwischen den Geschlechtern durchsetzte (vgl. 2.1), ist zwar richtig (vgl. Hartmann-Tews, 2002, S. 211); jedoch gilt diese Einsicht bei Engelhardt nur im Hinblick auf die Erwerbsarbeit, nicht aber auf andere gesellschaftlichen Bereiche, wie u. a. die deutsche Jugendbewegung, worauf er auch in seiner Studie nicht weiter eingeht (vgl. Klönne, 1990, S. 16). Auch bei Curt Bondy findet sich ein Beitrag zur von ihm als „Geschlechterfrage“ bezeichneten Diskussion über die Mädchen und Frauen in der deutschen Jugendbewegung. Für ihn ist das Zusammensein der Geschlechter in der (eher proletarischen) Jugendbewegung – auch wieder nur unter männlichen und sexuellen Gesichtspunkten betrachtet – eine Notwendigkeit, d. h. „eine richtigere Auslösung der (sexuellen, C.K.) Spannung, als wenn sie so gesteigert werden, daß nur noch der geschlechtliche Verkehr, meist durch Bordellbesuch, ihnen eine Auslösung geben kann“, da es für ihn keine „sexualfreie Beziehung zwischen den Geschlechtern“ (Bondy, 1922, S. 56) geben kann. Obwohl er nur wenige Zeilen zuvor Zeugnisse der Arbeiterjugendbewegung vorlegt, die ein Bekenntnis zur Gleichberechtigung beweisen47 (vgl. ebd., S. 55), nehmen seine weiteren Ausführungen zur Geschlechterfrage eine deutliche „zeitgemäße“ antifeministische Form an. Denn er findet, daß man es sich zu einfach gemacht hätte, die „Unterlegenheit der Frau in Bezug auf logisches Denken“, auf die „jahrhundertelange Unterdrückung zurückzuführen“ (ebd., S. 57), so wie auch beispielsweise Busse-Wilson argumentierte (vgl. 1920, S. 70). Als Beweis führt er an, daß, seinen Beobachtungen folgend, die Mädchen und Frauen in den jugendbewegten Gruppen keine organisatorische und Diskussionsarbeit leisteten, sondern immer nur die Jungen (vgl. Bondy, 1922, S. 58).
Neben diesen Übernahmen der Blüher’schen Theorien gab es auch einige Forscher und Forscherinnen, die nicht mit jenen übereinstimmten. Zum einen wäre hier der Sexualforscher Max Hodann zu nennen, der in seinen Schriften auch die Jugendbewegung mit einbezieht. Er ist der Ansicht, Blühers Meinung, daß die Aufnahme von Mädchen in die deutsche Jugendbewegung „eine Verfälschung ihres ursprünglichen Charakters“ begünstigt hätte, sei zu „einseitig“ (Hodann, 1929, S. 123). Für ihn gestaltet sich die These des Wandervogels als erotisches bzw. homosexuelles, männliches Phänomen eher im gesellschaftlichen Kontext. Wenn die Gesellschaft schon beim Umgang mit dem Geschlechtlichen einen „verantwortungslosen Verständnismangel“ (ebd., S. 124) gezeigt habe, wie sollte die Stellung zum Geschlechtlichen in der Jugendbewegung, die Hans Blüher in seiner Theorien beschreibt, von diesem Verständnismangel abweichen?
Energischer bzw. scharfsinniger ist die Entgegnung auf die antifeministischen Schriften Blühers von einer jugendbewegten Frau Elisabeth Busse-Wilson und ihrer Veröffentlichung „Die Frau und die Jugendbewegung“ (1920). Diese war direkt als eine Antwort auf dessen Untersuchungen konzipiert48, auch wenn jene Schrift kaum Eingang in die jugendbewegten Diskussionen gefunden hat (vgl. Klönne, 1996, S. 260). Zwar bestätigt sie in ihrer Studie Blühers Beschreibung weiblicher Verhaltensweisen, insbesondere die Orientierung auf den Mann hin (vgl. Busse-Wilson, 1920, S. 45) – sie nennt es „geistige Jüngerschaft“ (ebd.), die auch von den männlichen Jugendbewegten als Beweis gegen die Mädchen und Frauen und deren Ungeistigkeit genutzt wurde (vgl. 1920, S. 41). Trotzdem widerlegt sie mit ihrer Untersuchung des geschichtlichen Machtverhältnisses der Geschlechter seine Theorie der polaren Unterschiedlichkeit der Geschlechter und des Wandervogels als erotisches, männliches Phänomen. Im Gegensatz zu Blüher analysiert sie die gesellschaftlich gegebenen Geschlechterverhältnisse und die dazugehörigen „Sittengesetze“ (ebd., S. 42). Für sie war die Geschlechterpolarität und damit die „Tragik der Frau (…) allein von der Zwangsläufigkeit sozialer Verhältnisse verschuldet“ (ebd., S. 48), weil im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung die Frau durch ihre Fähigkeit zur Mutterschaft „dem Mann hörig und infolge der Brechung ihres eigenen Sexualwillens (dem Keuschheitsgebot, C.K.) gezwungen (wurde, C.K.), sich den Bedürfnissen des Mannes anzupassen“ (ebd., S. 71).
Eine Besserung dieser Situation oder, wie sie es bezeichnet, die „Revolution der Jugend“, trat ihrer Meinung nach mit dem auch für die männliche Jugend in der Jugendbewegung geltenden Keuschheitsgebot ein. Mit jenem „menschlich-befreiten herzlichen Verhältnis zwischen den Geschlechtern (…) dem man den Namen der Kameradschaft gab“ (Busse-Wilson, 1919 in Frobenius, 1927, S. 73) hätten die Jugendlichen nicht nur „den Ausweg aus dem Sumpf des bürgerlichen Liebeslebens und des unjugendlichen Geschlechterverhältnisses (…)“ (Busse-Wilson, 1920, S. 79 f) gefunden, sondern auch zum ersten Male die Möglichkeit zur „Gleichberechtigung“ für die Mädchen und Frauen in der Jugendbewegung geboten bekommen. Denn hier wurde die junge Frau oder das Mädchen entgegen der „bürgerlichen Sexualmoral“ nicht mehr als „Gattungswesen“ (Busse-Wilson, 1919, S. 328) betrachtet und habe sogar nach Franzen-Hellersberg einen Beitrag zum „Selbstgefühl“ und zur „Selbstsicherheit“ (1927, S. 135) der Mädchen geleistet. Deshalb versteht Busse-Wilson logischerweise das Kameradschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern als die entscheidende „schöpferische Leistung“ der Jugendbewegung und sah darin eine „Veränderung der Formen menschlicher Vergesellschaftung“ (1920, S. 72) angelegt, die tiefer gehe als der Emanzipationskampf der zu jener Zeit tätigen Frauenbewegung in Deutschland. Für sie war das historisch gesehen eine Erlösung für die Frau (vgl. ebd., S. 81). Natürlich habe die Frauenbewegung ihren Ausführungen folgend „Freiheiten rechtlicher, wirtschaftlicher und geistiger Art“ (u. a. 1918 das Frauenwahlrecht) für die Mädchen und Frauen errungen, jedoch dürften nicht „die Taten jener Vorgängerinnen (der Jugendbewegung, C.K.) der Emanzipation unterschätzt werden“ (ebd., S. 72). Sie betont aber auch, daß die weibliche Jugend des Bürgertums weiterhin zwischen der „Dressur auf den Mann oder Ertüchtigung zum Kampf ums Dasein“ (Busse-Wilson, 1919, S. 331) zu wählen hatte.
Die hier angedeutete Kritik an dem frauenbewegten Emanzipationsverständnis von Busse-Wilson bringt auf den Punkt, was zu einer kontroversen Beziehung der Anhängerinnen beider Bewegungen führte und sich in einigen Artikeln bzw. Diskussionsbeiträgen aus der Frauenbewegung dieser Zeit widerspiegelte. So u. a. bei Stefanie Behm-Cierpka, die, wie Busse-Wilson, auf die unterschiedlichen Bestrebungen hindeutet: Während die Frauenbewegung Veränderungen im gesellschaftlichen Bereich wollte, strebte die Jugendbewegung nach Veränderungen im persönlichen Bereich und hält einen gemeinsamen Umgang in speziellen Jugendgruppen für ein „krampfhaftes Unternehmen“ (Behm-Cierpka, 1925, S. 147). Ansonsten werden die weiblich Jugendbewegten in diesen Artikeln mit ihren spezifischen Problemen und dem Ausleben ihrer Jugendlichkeit am Rande thematisiert (vgl. Andresen, 2003, S. 116).
Auch Lisbeth Franzen-Hellersberg greift in ihrer Studie „Die Frau und die Jugendbewegung“ von 1927 die von Busse-Wilson angedeutete Kritik des frauenbewegten Emanzipationskonzeptes auf:
Die Frauenbewegung nimmt für sich in Anspruch, an (dem, C.K.) (…) Versuch der Selbstbefreiung wesentlich beteiligt gewesen zu sein. (…) (Aber, C.K.) (n)icht die geöffneten Wege zur Bildung haben diese Generation befreit, sondern die elementare Erkenntnis, dass ihr Leben in den alten Formen unwürdig sei. Hätte es keinen Weg zur Hochschule gegeben, dieses Geschlecht wäre Dienstmädchen in Amerika geworden oder noch anderes, sicher aber nicht höhere Tochter, gefesselt in dem Zwang des Bürgerlichen. (1927, S. 133)
Demzufolge waren sich beide Forscherinnen darin einig, daß es der Jugendbewegung mehr als der Frauenbewegung um die Gestaltung ihrer persönlichprivaten Lebenssphäre ging (vgl. Klönne, 1996, S. 259). Dennoch richtete sich das Erkenntnisinteresse der beiden Wissenschaftlerinnen auf verschiedene Aspekte. Im Zentrum des Aufsatzes von Franzen-Hellersberg stehen die subjektiven Emanzipationsbedürfnisse der weiblichen Jugendbewegten, wobei sie hier gezielt die Zwiespältigkeit der „Emanzipation“ der Mädchen und Frauen innerhalb der Jugendbewegung anspricht:
Doch Freiheit von der sonntäglichen Familienbindung, Schwärmerei von besseren Zeiten, Lockerung durch Spiel, Gesang und Tanz, dabei ein Gefühl der Kühnheit und Besonderheit in dem ersten kameradschaftlichen Umgang mit den Jungen bedeutete auch für die Schwächeren immerhin eine Stütze ihres Eigenwillens. Daß sie nur beschauliche Teilhaber wurden, bei Festen liebreiche Hand boten, bei Fahrten hausfrauliche Verantwortung übernahmen, den Kameraden eventuell auch Kleider in Ordnung hielten, war allerdings mehr rührend als kühn, mehr eingefühlt als selbstgestaltet, mehr nachgebend als stolz. Aber dafür wurden sie überall geduldet, wo nicht zu hohe Ansprüche an gleichmäßige geistige Aktivität gestellt wurden, wo gerade die Abgerundetheit des Gemeinschaftslebens möglichst verschiedene Rollen und abgestufte Verpflichtungen verlangte. (1927, S. 134 f)
Indessen ging es Busse-Wilson in ihren Schriften um ein neues Geschlechterverhältnis in der Jugendbewegung. Dabei gilt ihr Interesse weniger den vorgestellten damaligen Weiblichkeitsbildern wie der Kameradin oder Mutter (vgl. 2), sondern der „Typologie“ der weiblichen Jugendbewegten. Hier betrachtete sie besonders dasjenige der etwas älteren, ledigen Frauengeneration in der Freideutschen Jugend, der auch sie selbst angehörte (vgl. Klönne, 1996, S. 259). Jene „geschlechtslosen Arbeitsbienen der bürgerlichen Gesellschaft“, „die Lehrerinnen, Sozialbeamtinnen, Säuglings- und Krankenschwestern“ – „gezwungen, auf die Liebe von vornherein zu verzichten“ –, die „verbraucht durch den schweren Existenzkampf (nach dem Ersten Weltkrieg, C.K.), sich in völlig unjugendlicher Weise der harten Verzichtsforderung anpassen und sich dadurch mit ihrer Lage abfinden, daß sie sie geradezu bejahen“ (Busse-Wilson, 1919, S. 331). Damit sei eine „sterile Atmosphäre der Harmlosigkeitsverlogenheit“ in das Geschlechter-/Kameradschaftsverhältnis und in die Jugendbewegung gebracht worden, die sie im folgenden schildert:
Nichts bezeichnet so restlos die erotische Ungeformtheit dieser Gemeinschaft, als die im Verein am Feuer verbrachten Sommernächte, bei denen man jene unverhüllt anschaulichen Liebeslieder singt, die auf einem andern Stern Wirklichkeit sein mögen. (Busse-Wilson, 1920, S. 88)
Wie schon im zweiten Kapitel deutlich geworden sein durfte, ergab sich zur Zeit der Freideutschen Jugend eine Neugestaltung der Geschlechterbeziehungen, die sich auch Busse-Wilson in den „sich häufenden Debatten“ über die „Geschlechterfrage“ auf den „Mädchentagungen“ (ebd.) erhoffte. Dagegen meint Franzen-Hellersberg eine Neugestaltung während dieser Zeit schon deutlich zu erkennen, indem sie betont, daß der Erfolg der „Freideutschen“ die „Selbstverständlichkeit der Anerkennung höchster Aufgaben und Pflichten für die Frau“ (1927, S. 141 f) gewesen sei, u. a. Begründungen der Mädchengruppen und -bünde sowie Siedlungen, durch das die „jugendbewegte“ Frau (Mädchen) „als Weib die Pflicht“ gefühlt habe, „Individuum zu sein“ (ebd., S. 143). Diese Erwartungen und Vorstellungen einer Neugestaltung der Geschlechterbeziehungen konnten sich nach heutigen Erkenntnissen bedingt durch die schon in Abschnitt 2.2 beschriebenen Tendenzen (ein neues Männlichkeitsbild und das sich etablierende nationale Ideengut) leider nicht weiter in der Bündischen Phase der Jugendbewegung erfüllen (vgl. Klönne, 1996, S. 260).
3.2 Untersuchungen zu den Mädchen und Frauen in der Jugendbewegung bündischer Prägung
Und ganz im Zeichen der eben angesprochenen Ideen stehen die im nachfolgenden zu beleuchtenden Studien aus der Bündischen Zeit. Unter anderem soll die Studie von Charlotte Lütkens, die in der heutigen Forschung eine besondere Stellung einnimmt (vgl. Klönne, 1990, S. 18 f), hier repräsentativ für jenen Abschnitt der Jugendbewegung stehen. Lütkens 1925 verfaßte Studie, „Die deutsche Jugendbewegung: Ein soziologischer Versuch“, in der sie den Versuch einer soziologischen Deutung der deutschen Jugendbewegung unternimmt, versteht das Phänomen der deutschen Jugendbewegung als „Prozeß der Politisierung“ (1925, S. 48) – zu Beginn noch unbewußt, zu ihrer Zeit (1925) aber schon eine deutlich politische Richtung aufweisend. Es ließen sich nach ihren Ausführungen überall gewisse Züge finden, „die Ausdruck der im Wachsen begriffenen politischen Erfassung unserer Jugendbewegung“ gewesen seien:
Sinn für echte Form, Haltung und Gebärde (…) das menschliche Distanzbedürfnis (…) nicht sogleich mit Du, sondern zunächst mit Ihr (den Kameraden, C.K.) anzureden, bis hin zu den kulthaft durchgeformten Festen etwa der Jungen vom Weißen Ritter … die verstanden werden können als Ringen um einen neuen Lebensstil, auf dem dann ein allein lebendiger Staat aufwachsen kann (ebd., S. 171 ff)
Auch die Geschichte der weiblichen Jugendbewegung ordnet sie in diesen Kontext ein. Dabei beachtet sie nicht weiter deren Anfänge, sondern befaßt sich erst ab 1920 mit jener auf etwa 3 - 4 ihrer 189 Seiten umfassenden Studie. Das mit diesem Datum verbundene Ereignis, das „Zurücktreten der Mädchen“ aus der Jugendbewegung (Trennung in Mädchen- und Jungengruppen ab 1920, vgl. 2.2), begründet sie mit der in der Bündischen Jugend zunehmenden „Vermännlichung“, die einherging mit mehr „Sachlichkeit und zielbestimmter Aktivität“ (Lütkens, 1925, S. 174). Mit dieser Entwicklung sah Lütkens „das mehr Sentimentale, Bunte und Ziellose“, durch das sich die weibliche Jugendbewegung und der frühe Wandervogel ausgezeichnet hätten, verdrängt. In ihrer kurzen Betrachtung der weiblichen Jugendbewegung kommt sie zu folgendem Resümee:
(…) schließlich ziehen sich die Mädchen wohl noch immer leicht von selber aus Verbänden zurück, die ‚politische Arbeit‘, den Staat auf ihre Fahne geschrieben haben. Das hängt einmal im Besonderen mit dem geringeren Interesse und einer spärlichen Tradition an politischer Betätigung von Frauen zusammen; sodann aber mit der aus der Verfassung des Wilhelminischen Staates begreiflichen Vorstellung von der Politik, die den Charakter verderbe. Die Mädchen, darin gleichzeitig aber auch ihre Seite in der Aufgabe der Schaffung einer gesunden Lebensgrundlage erfüllend, widmen sich daher, abseits vom Streit der Knaben und Jünglinge, der Wiederauffindung ihrer weiblichen Art und Berufung, die unter der entseelten Herrschaft der gleich machenden Maschine immer mehr zu versinken drohte. (ebd.)
Das von ihr hier dargestellte Verhältnis von Frauen und Mädchen zur Politik mag auf die damaligen Umstände zutreffend gewesen sein, trotzdem sind ihre Rechtfertigungen des sich darin ausdrückenden Verhältnisses der Geschlechter zur Macht recht problematisch (vgl. Klönne, 1990, S. 18). Auch muß im Vergleich mit den in Absatz 2.2 gelieferten Informationen zur Trennung in Mädchen- und Jungengruppen der von ihr als „Zurücktreten“ der Mädchen beschriebene Vorgang als vollkommen falsche Interpretation der Tatsachen betrachtet werden. Sie unterstellt nämlich diesem eine gewisse Freiwilligkeit, doch für viele Mädchengruppen war es ein faktischer Rausschmiß aus ihren Bünden. Ursachen für diese Entwicklung sind zwar durchaus in der Rückbesinnung der Jugend auf den „Staat“ zu sehen, welchen sie sich „auf ihre Fahne geschrieben“ hatten, und die damit verbundene „Bereitschaft zu einer Staatsgesinnung“ (Lütkens, 1925, S. 172 ff) oder zur „Volksgemeinschaft“ (Frobenius, 1927, S. 280) – die sich in den in der Bündischen Zeit weit verbreiteten mädchenfreien Jungenbünden verkörperten, welche sich am germanischen Stammesleben (vgl. ebd., S. 279) oder dem mittelalterlichen Rittertum orientierten (vgl. 2.2) –, nicht aber, wie Lütkens argumentiert, in der zunehmenden Auseinandersetzung der Jugend mit den damaligen politischen Problemen (vgl. Klönne, 1990, S. 19). Die in jenen Bünden von Lütkens hervorgehobene „Betonung der Zielgerichtetheit, der Einstellung auf das Kämpferische, auf Zucht, Formung und innere Distanz“ (1925, S. 175) war gebunden an eine Vorstellungswelt, in der es zu mindestens in jener Phase der Jugendbewegung scheinbar keinen Ort für Mädchen und Frauen geben mußte, da sie sich in dieser Zeit mit ihrer weiblichen Art und Berufung befassen sollten (vgl. 2.2). Zudem hatte in dieser Welt die überragende Rolle nach Frobenius der „Führer“ – der leuchtende Held – inne, dem „die Knaben und Jünglinge, ihm geeint durch Liebe und Treue“ (Frobenius, 1927, S. 279) Gefolgschaft leisteten. Daneben standen ritualisierte Kampfspiele und Gralsmythen im Mittelpunkt des jungenschaftlichen Sehnens nach dem „Neuen Reich“ (Staat, Volk).
Aufgrund dieser weitgehend männlich dominierten (männerbündischen), d. h. geschlechterhierarchischen Denkweise jener Forscherinnen ist es nicht verwunderlich, daß es für die männlich Jugendbewegten in der Bündischen Jugend Vor- und Selbstbilder sowie „politische Konzepte“ gab, wie sie u. a. Frobenius beschreibt, nach denen die Jungen sich als vom „Gral entsendet zum Bruderdienst an der Welt“ (ebd.) fühlten, aber für die jugendbewegten Mädchen und Frauen sich keine Verweise auf solche Konzepte bzw. Konstruktionen in der Literatur dieser Zeit finden lassen.
Für jene gab es zu diesem Zeitpunkt andere Rollenkonzepte bzw. Weiblichkeitsbilder, die auch in den zeitlich darauffolgenden Untersuchungen zur weiblichen Jugendbewegung eine zentrale Rolle einnehmen werden (vgl. 4, 5, 6). Josepha Fischer beschreibt sie explizit als eine der ersten Forscherinnen in ihrer Analyse der Mädchen in den deutschen Jugendverbänden von 1933: Einerseits die Frau, „die dem Mann Kameradin ist und an seiner Seite das Leben zu meistern sucht“, andererseits die „mütterliche Frau, deren Erfüllung in der Ehe“ (1933, S. 238) lag. Diese wurzelten in der paradoxen Situation, daß die weibliche Jugend zwar aus den Bünden rausgeworfen wurde, aber nach Lütkens nicht zurück „in die eben gesprengten Gefängnisse der bürgerlichen Schicklichkeit und guten Sitte“ (1925, S. 175) konnten und sollten. Damit ging eine „Gegensätzlichkeit der Meinung“ über „die Stellung der Frau im Volksganzen“ und in „ihrem Verhältnis zum männlichen Ideal“ (Fischer, 1933, S. 238) einher, die zu den eben beschriebenen Weiblichkeitsbildern führte. Jedoch verdeutlichen die anderen zu jener Zeit entstandenen Untersuchungen, daß vor allem die Weiblichkeitsvorstellungen bzw. Geschlechterrolle der jugendbewegten Frauen als Hausfrau und Mutter für jene Rezeptionsphase entscheidend gewesen sind. Man sah die weiblich Jugendbewegte als Hüterin des Herdfeuers, versunken in die „Wiederauffindung ihrer weiblichen Art und Berufung“ (Lütkens, 1925, S. 175), in der heimischen Küche stehend, wo sie sich sicher sein konnte, irgendwann den „Ritter des Geistes und der Liebe“, der unter der Losung, „der neue Mensch und das neue Reich in die Welt gezogen“ (Frobenius, 1927, S. 280) war, empfangen zu dürfen. In diesem Sinne spiegelt sich auch in der historischen Forschung zur weiblichen Jugendbewegung die bereits angesprochene Ideologie einer „Volksgemeinschaft“ und Rückbesinnung auf die alte („germanische“) Welt wider, wie es sich bei Frobenius’ Schilderung der Bedeutung dieser „Mädel im Bunde“ zeigt. Jene jungdeutsche Frau, mütterliche Schlüsselträgerin des Heims (vgl. ebd.), die:
(…) schon durch ihr Dasein und Sein, ihren Einfluß wirken, daß einfach zum Bund, der sich als ‚Keimzelle eines kommenden Volkes und als Weg zur Gemeinde der vom Geist Erfaßten‘ betrachtet, Mädel und Frauen gehören. Denn kein Volk und keine Gemeinde ohne sie. (ebd., S. 299)
Dieses von Frobenius in jenem Zitat gelieferte Bild von Weiblichkeit, das sie als „Neueinstellung zum Weibe“ (1927, S. 280) proklamiert, zeichnet sich durch eine eindeutig männerbündische bzw. männlich dominierte Sichtweise aus. Es beschränkt das Leben der Frauen und Mädchen in der deutschen Jugendbewegung nur auf ihre natürlichen und nicht ihre individuellen Merkmale und wird von daher von Irmgard Klönne aus heutiger Sicht nicht zu unrecht als Beraubung ihrer Subjektivität bewertet (vgl. 1990, S. 22). Dem noch nicht genug bezeichnet Frobenius die von den nationalen und politisch rechts gerichteten Bünden (u. a. Jungnationalen Bund) ausgehende „Erziehung zu bewußt deutschem Frauentum“ bzw. zu jenem Frauenideal, die solche Aufgaben wie „Kranken- und Säuglingspflege, Hauswirtschaft, Sportanleitung und soziale Arbeit“ umfaßte49, als „Ausdruck des neuen nationalen Frauenwollens“, ohne auch nur eine kritische Anmerkung zu machen (1927, S. 214 f). Ähnlich nationale Gedanken finden sich bei Josepha Fischer, die Sinn und Zweck der gerade erörterten geschlechtsspezifischen Erziehung in dem von den Bünden angestrebten Ziel des Neuen Reichs/Staates oder der „Erneuerung des Volkes“ sah. Diese Erneuerung wäre nur durch das „Zusammenwirken beider Kräfte (Geschlechter, C.K.) möglich“ gewesen, durch eine „Entwicklung der Gegensätze und einer beiderseitigen selbständigen Haltung“ in den getrennten Jungen- und Mädchengruppen, die nach Aussagen Fischers den Frauen und Mädchen in der Jugendbewegung „neue Sicherheit“ gegeben und „eine freiere Entfaltung ihres weiblichen Menschen“ (1933, S. 238) ermöglicht hätten.
Der Gedanke der Rückkehr zur Theorie der Polarität der Geschlechter (vgl. 2., 3.1) wird in der historischen Forschung während der Bündischen Jugend deutlich. Er trägt zwar in den hier untersuchten Studien nicht die gleichen antifeministischen Züge wie bei Blüher, zeichnet sich dafür aber um so mehr durch eine männlich dominierte (männerbündische) Sichtweise aus. Des weiteren zeigt die Betonung der enormen Bedeutung der Trennung der Mädchen- und Jungenarbeit in jenen Untersuchungen einen Wandel im Verständnis des Kameradschafts- bzw. Geschlechterverhältnisses: Von dem von Busse-Wilson dargestellten geschlechtsneutralen und von Gleichberechtigung gezeichneten Ideal der Kameradschaft – „jenem menschlich-befreiten herzlichen Verhältnis zwischen den Geschlechtern“ (1919, S. 328 f) – hin zu einem mehr sachlich orientierten Miteinander der gleichgeschlechtlichen Gruppen, wie in Abschnitt 2.2 beschrieben. In diesem Sinne bleiben die ForscherInnen aus der jugendbewegten Zeit besonders während der Bündischen Phase wie erwartet den damaligen Vorstellungen von Weiblichkeit, Geschlechterpolarität und dem gängigen männlich dominierten Geschlechterverhältnis verhaftet. Sie orientieren sich damit offensichtlich auch an den Ideen und Vorstellungen der Jugendbewegung, was auch mit der zeitlichen Nähe dieser Untersuchungen zu jener Bewegung zusammenhängen mag.
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