Kitabı oku: «Geheimdienste, Agenten, Spione», sayfa 3
Deckname „Puzzi“
Im Archiv der tschechoslowakischen Staatssicherheit StB in der Na Struze 3 in Prag findet sich unter Hunderttausenden von Dossiers auch ein schmaler Akt, in dem ein Kapitel Südtiroler Zeitgeschichte gestreift wird, das eigentlich so nicht an die Öffentlichkeit kommen sollte. In dem Akt liegt die Kopie eines Schreibens eines StB-Führungsoffiziers mit dem Decknamen „Venceslao“, der um die dringende Kontaktaufnahme eines seiner Agenten ersucht. Die Anschrift auf dem Briefumschlag: „Museumstraße 42, Bozen“26
An dieser Adresse befinden zu diesem Zeitpunkt die Redaktion und die Druckerei der Tageszeitung „Dolomiten“ sowie die Direktion des Athesia-Verlages. Der Adressat, an den der Brief geht, gehört zur Familie von Kanonikus Michael Gamper. Franz Flies wird am 19. Mai 1928 in Bozen geboren und muss 1944 als 16-Jähriger einrücken. Er dient rund zehn Monate in Deutschland als Dolmetscher. Anfang der 1950er-Jahre arbeitet er als Vertriebsmitarbeiter im Athesia-Verlag. Flies ist der Neffe von Michael Gamper und damit der Bruder von Martha Flies, in der Südtiroler Öffentlichkeit besser bekannt unter ihrem verheirateten Namen: Martha Ebner. Im StB-Personalakt von Franz Flies heißt es dazu:
Der Informant hat 3 Schwestern. Eine studiert als Lehrerin in Bozen, die andere ist mit einem Abgeordneten verheiratet und lebt in der Nähe von Bozen. Die dritte ist in London verheiratet, wo ihr Ehemann ein Geschäft hat.27
Martha Ebner heiratet 1944 Toni Ebner, der 1948 für die SVP als jüngster Abgeordneter in die italienische Abgeordnetenkammer gewählt wird und dort für drei Legislaturen sitzen wird. Toni Ebner (1918–1981) wird im Jänner 1951 erstmals SVP-Obmann. Zudem übernimmt Toni Ebner ab 1956 die Leitung des Athesia-Verlages und die Chefredaktion der Tageszeitung „Dolomiten“. Doch davon ist im Prager Akt von Franz Flies kaum etwas zu lesen, denn der Informant, der in der StB-Registratur mit dem Decknamen „Puzzi“ läuft, ist für ein anderes Einsatzgebiet vorgesehen. Franz Flies gehört ab 1951 zum Netz von Hans Morandell. Man kann davon ausgehen, dass Morandell den um nur drei Jahre jüngeren Flies während seiner Arbeit für Friedl Volgger und die SVP kennengelernt hat. Morandell und sein Vetter Edgar Meininger werben Flies gemeinsam für den tschechoslowakischen Nachrichtendienst an. Als Morandell Franz Flies das erste Mal nach Brünn bringt, notiert der StB-Offizier ins Protokoll:
StB-Akt von Franz Flies (alias „Puzzi“): Neffe von Kanonikus Michael Gamper arbeitet für den Ostblock.
Der Informant spricht mehrere Sprachen, hat eine ausgezeichnete Ausbildung und er verfügt über einen gültigen Reisepass. Man kann davon ausgehen, dass er die ihm gestellten Aufgaben bestens ausführen dürfte.28
Heute kann man darüber nur spekulieren, warum Franz Flies diese Arbeit für einen östlichen Nachrichtendienst übernommen hat. Abenteuerlust? Oder aus finanziellen Gründen? Tatsache ist, dass sich im StB-Akt mehrere von Flies unterzeichnete Erklärungen finden, mit denen er Zahlungen quittiert, die er über Hans Morandell alias „Korsičan“ ausbezahlt bekommt.
Empfangsbestätigung von Franz Flies: Geld vom StB für Jugoslawienreise.
„Ich hören diese Geschichte von Ihnen heute zum ersten Mal“, sagt Martha Ebner fast 70 Jahre später im Gespräch mit dem Autor. Die heute 98-Jährige wundert sich aber nicht wirklich über diese ihr bis dahin unbekannte Seite ihres Bruders: „Franz wurde als junger Mensch durch den Krieg aus der Schule gerissen, er war ein Freigeist und immer etwas unruhig.“ Martha Ebner erklärt auch den Decknamen „Puzzi“: „Das war seit seiner Kindheit sein Spitzname in der Familie, aber auch unter seinen Freunden.“29
Im Herbst 1951 macht Franz Flies eine Reise mit dem Auto nach Jugoslawien. Seine Aufgabe ist es, Flughäfen, Militäranlagen und Industrieanlagen vor allem im heutigen Slowenien und Kroatien auszukundschaften. Am 11. November 1951 liefert Agent „Puzzi“ dem StB einen detaillierten Bericht ab. Er beschreibt darin das große Stahlwerk in Štore, die Industrieanlagen und den Flughafen von Celje, die Flugplätze von Laibach und Zagreb sowie noch eine ganze Reihe weiterer Städte und Flughäfen. Dabei gibt er die Flugzeugtypen genauso wieder wie die Stärke der militärischen Wachmannschaften. Zudem liefert er ein halbes Dutzend Namen und Anschriften, die ihm bei der Informationsbeschaffung behilflich waren und auch in Zukunft zur Verfügung stehen würden.30 Auch hier gibt es einen familiären Hintergrund. Der Vater von Franz und Martha Flies stammt aus einem Dorf in der Nähe von Celje in Slowenien. Er erhielt erst 1937 die italienische Staatsbürgerschaft.31
Am 15. Oktober 1951 bestätigt Franz Flies per Unterschrift in Wien gegenüber Hans Morandell und dem StB den Erhalt von 50.000 Lire, 20.000 Dinar und 700 Schilling. Es dürfte sich um das Geld zur Finanzierung der Jugoslawienreise handeln.32 Eine der Aufgaben, die der StB Franz Flies gibt, ist auch die Beschaffung eines Impfstoffes, der damals in Italien eingeführt wird. Mehrmals hakt der StB-Führungsoffizier bei Agent „Puzzi“ nach, bis er Mitte September 1952 über Hans Morandell eine Charge in die ČSR schickt. „Durch die Bereitstellung und den Versand von 300 Kubikzentimetern Impfstoff wurde unsere Anforderung vollständig erfüllt, es muss kein weiterer Impfstoff mehr angeschafft werden“, notiert der StB in seinem Dienstbericht.33
Anfang 1953 tritt „Puzzi“ eine zweite Auslandreise im Auftrag des kommunistischen Nachrichtendienstes an, diesmal nach Griechenland. Franz Flies hält sich einige Zeit in Kavala und Thessaloniki auf, wo er ebenfalls Militäranlagen ausspioniert und Zuträger anzuwerben versucht. In seinem Bericht an den StB-Verbindungsoffizier heißt es:
Ganz nach den Befehlen habe ich versucht, die Bekanntschaft einiger junger Burschen zu machen. Darunter sind zwei oder drei, die mir in der Zukunft sehr hilfreich sein könnten.34
Flies gelingt es auch, einen namentlich genannten Mechaniker, der während des Kriegs in Wien war und deshalb Deutsch spricht, als Informanten anzuwerben. Vor dieser Reise war Agent „Puzzi“ von seinem Führungsoffizier in die Arbeit des Geheimdienstes eingewiesen worden. Im Akt finden sich ein „Besprechungsplan mit Flies“, mit dem die Griechenlandreise genau vorbereitet wird, und auch klare Anweisungen und Sicherheitsmaßnahmen, an die sich der „Puzzi“ halten soll. So muss er sich die Deckung für seine Reise und auch Erklärungen für seine finanziellen Mittel zurechtlegen:
Er muss sein Arbeitsverhältnis beenden und braucht eine Begründung für die Verwandten. Zudem braucht er auch ein Cover für den Kontakt mit den Personen, an denen er ein Nachrichteninteresse hat.35
Dazu kommen die Standard-Anweisungen, die jeder neue Agent erhält: sich unauffällig zu benehmen, Zuträger erst nach einer gründlichen Prüfung anzuwerben und keine kompromittierenden Materialien oder Notizen bei sich zu haben, vor allem aber auf keinen Fall preiszugeben, für wen man arbeitet. Diese Anleitungen erhält Franz Flies persönlich in der Tschechoslowakei, als Hans Morandell nach monatelangem Drängen vonseiten des StB den jungen Flies am 13. November 1952 nach Brünn bringt. Auf der Rückreise passiert aber etwas, was die gesamte StB-Aktion ernsthaft in Gefahr bringt. Morandell und Flies treffen sich in einer StB-Wohnung mit ihren Führungsoffizieren. Die beiden Südtiroler StB-Agenten übergeben dabei Dokumente und Berichte, gleichzeitig erhalten sie neue Aufträge. In der Nacht des 14. November 1952 überqueren Hans Morandell und Franz Flies in der Gegend von Šatov über einen Schmugglerpfad die grüne Grenze zurück nach Österreich. Im oberösterreichischen Retz nehmen sie den ersten Zug in Richtung Wien. Doch als der Zug gegen 6.23 Uhr in Hollabrunn einfährt, werden sie von der österreichischen Polizei kontrolliert. Weil das Duo sich schlafend stellt und auch vom Aussehen her verdächtig scheint, werden die beiden von den Gendarmen festgesetzt. In einem vertraulichen Bericht der österreichischen Staatspolizei, der Ende 1952 an das römische Innenministerium und an die Quästur Bozen geht, wird die Verhaftung der beiden Bozner detailliert beschrieben. Dort heißt es:
Als man die beiden einer Kontrollvisite unterzog, stellte sich heraus, dass der eine mit einem österreichischen Personalausweis Nr. 441/49, ausgestellt am 28.4.1949 auf den Namen Hans Waldner, Handelsangestellter, geboren in Linz am 25.2.1925, ledig, wohnhaft in Wien 7, Neubaugasse Nr. 72, und der andere mit einem italienischen Reisepass, ausgestellt auf Francesco Flies, geboren in Bozen am 19.6.1928, Nr. 4107299 P., Registernummer 6878, ausgestattet war. […] Bei einer Leibesvisitation und der Durchsuchung des Gepäcks wurden 662.105 italienische Lire, 500 amerikanische Dollar, 1.000 tschechische Kronen, 2.145 österreichische Schilling sowie ein Aktenbündel gefunden, geschrieben mit einer Schreibmaschine und in italienischer Sprache, das ausschließlich militärische Nachrichten zum Inhalt hatte.36
Als die Grenzpolizei die beiden in ihr Büro begleitet, versucht Hans Morandell zu flüchten und in das Gebäude der dortigen sowjetischen Grenztruppen zu gelangen. Der österreichischen Polizei gelingt es aber, diesen Versuch zu vereiteln. Daraufhin legt man Morandell und Flies Handschellen an. Die Haft des Duos dauert aber nur knapp eine Stunde, denn bereits um 8 Uhr desselben Tages muss die österreichische Polizei die beiden Inhaftierten auf Anforderung dem sowjetischen Kommando in Hollabrunn übergeben. Es dürfte sich um einen sogenannten „Bruderdienst“ gehandelt haben, den der sowjetische KGB (Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR) für den StB hier leistet. Unmittelbar danach werden Hans Morandell und Franz Flies freigelassen und kehren nach Wien zurück.
Der Vorfall macht deutlich, wie sehr Hans Morandell längst in der Geheimdienstwelt angekommen ist, denn der damals noch italienische Staatsbürger Giovanni Sostero ist laut Polizeibericht im Besitz einer für die Behörden nicht erkennbaren österreichischen Deckidentität und eines gefälschten österreichischen Personalausweises, der auf jenen Namen lautet, den er für seine StB-Arbeit als Alias benutzt: Hans Waldner. Noch bemerkenswerter ist aber etwas anderes: Sowohl das italienische Innenministerium als auch die Bozner Quästur und der SIFAR sind spätestens Ende 1952 nicht nur über die kurzzeitige Verhaftung des Bozner Duos in Hollabrunn informiert, sondern auch über die Tatsache, dass Morandell und Flies für den StB arbeiten. So heißt es über Hans Morandell in einem der vertraulichen Spitzelberichte, die an das „Ufficio Affari Riservati“ (UAR) im römischen Innenministerium gehen: „Aus einem Hinweis geht hervor, dass der Genannte ein tschechoslowakischer Agent ist.“37
Dass die italienischen Behörden dieser wichtigen Information keinerlei Aufmerksamkeit schenken und Morandell & Co unbekümmert weiterarbeiten lassen, hat einen konkreten Grund, der in diesem Kapitel noch beleuchtet wird. Tatsache ist, dass die Verhaftung in Hollabrunn vor allem für Franz Flies eine klare Mahnung ist. Der Elan des jungen Bozners, für den StB zu arbeiten, nimmt deutlich ab. Flies unternimmt wenig später zwar seine Reise nach Griechenland, auf der er detaillierte Berichte für den StB verfasst, aus seinem Personalakt geht aber hervor, dass das Verhältnis nachhaltig getrübt ist. So sollte Agent „Puzzi“ am 19. Februar 1953 zu einem weiteren Treffen nach Brünn kommen, doch das Pflaster dürfte Franz Flies zu heiß geworden sein. Er erscheint zum Treffen nicht und schickt auch keine Absage. Am 26. Februar 1953 schreibt sein Führungsoffiziers mit dem Decknamen „Venceslao“:
Lieber Freund,
ich habe auf eine Nachricht von dir gewartet, habe aber nichts erhalten. Ich weiß nicht, ob du gesund bist. Du hast mir versprochen, dass du mich am 19. Februar besuchst, bist dann aber nicht gekommen. Sei so freundlich und schreibe mir ein paar Zeilen. […] Meine Eltern laden dich höflich ein und ich erwarte dich voller Ungeduld.38
Der StB-Mann schlägt im Schreiben auch einen neuen Termin für ein Treffen in der Tschechoslowakei vor: den 24. April 1953. Franz Flies meldet sich aber weder brieflich noch erscheint er zum Treffen. Deshalb wird der Agent „Puzzi“ wenig später vom StB formal „abgeschaltet“. Das heißt: Die Zusammenarbeit wird beendet.
Der Informant hat seine Arbeit nicht mit der entsprechenden Verantwortung getragen, seine Berichte haben kaum wirklich interessante Nachrichten enthalten. Die Zusammenarbeit ist für diesen Dienst kaum rentabel. Deshalb ist es besser, wenn die Zusammenarbeit unterbrochen wird.39
Damit endet die Karriere von Franz Flies als StB-Agent Ende Mai 1953.
Bozner SS-Seilschaft
Am 27. Februar 2004 stirbt im Wipptal ein unscheinbarer 77-jähriger Rentner: Erich Bertol. Dabei verlief sein Leben alles anderes als unscheinbar, doch dürften nur die Wenigsten die Geschichte und die Vergangenheit dieses Mannes gekannt haben: Erich Bertol hat seit seiner Jugend als Agent und Zuträger gleich für mehrere Nachrichtendienste gearbeitet. Und er zahlt dafür einen hohen Preis: Er sitzt wegen Spionage acht Jahre lang in einem Gefängnis in Prag. Erich Bertol wird am 22. August 1927 in Bozen geboren. Er besucht in Bozen die Grund- und Mittelschule und dann eine Berufsschule, in der er zum Radiotechniker ausgebildet wird. 1944 arbeitet er kurzeitig bei der Firma Telefunken in Bozen, bevor er im Februar 1945 zur SS eingezogen und in Nienburg an der Weser stationiert wird.40 Nach dem Krieg kehrt er nach Südtirol zurück, wo er sich anfänglich mit verschiedensten Gelegenheitsarbeiten z. B. als Elektriker oder Kinovorführer durchschlägt. Im Februar 1948 erlangt er mit der sogenannten Rückoption wieder die italienische Staatsbürgerschaft. Noch im selben Jahr wird er zum italienischen Militärdienst einberufen. 1949 stirbt Bertols Mutter Maria Maier.41
Doch wie kommt es zur Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Geheimdienst? Es ist eine der Hauptaufgaben von Hans Morandell alias „Korsičan“, für den StB Informanten anzuwerben, und er scheint dafür keine Gelegenheit auszulassen. Auf einer Zugfahrt im Spätsommer 1949 trifft „Korsičan“ Erich Bertol, der in Rom gerade seinen Militärdienst ableistet, und die beiden kommen sich schnell näher. Als Bertol wenig später in Bozen auf Heimaturlaub weilt, wirbt Morandell ihn an. Er soll militärische Nachrichten und Dokumente sammeln und diese „Korsičan“ gegen Bezahlung übergeben. Bertol, der immer wieder in Geldnöten steckt, sagt umgehend zu. Jahre später wird Erich Bertol aussagen, dass ihm Morandell gleich zu Beginn gesagt habe, „dass sie für einen fremden Staat arbeiten“, ihm aber anfänglich nicht klar gewesen sei, für welchen Staat.42 Bereits Anfang Oktober 1949 übergibt Erich Bertol an „Korsičan“ ein Schreiben eines vielversprechenden Informanten. Es handelt sich um Giovanni Pernisco, der im Amt für Verkehr (Ufficio Trasporti) des Generalstabes des Heeres (Stato Maggiore dell’Esercito) im römischen Verteidigungsministerium tätig ist. Pernisco berichtet über drei Truppenverlegungen und erklärt, dass er die Originalberichte nicht übermitteln könne, weil sie in zwei Registern protokolliert und anschließend im Panzerschrank verschlossen würden. Deshalb habe er die Befehle abgeschrieben.43
Spätestens Anfang 1950 wird auch für Erich Bertol deutlich, für wen er seine Berichte schreibt und auch Dokumente fotografiert. Denn Ende Jänner 1950 bringt „Korsičan“ Erich Bertol zu seinen Auftraggebern nach Brünn. Die beiden Bozner überschreiten wie üblich bei Retz illegal die Grenze und werden von ihren StB-Führungsoffizieren empfangen. Am 31. Jänner 1950 unterzeichnet Erich Bertol in einem Jagdhaus nahe Brünn eine schriftliche Verpflichtungserklärung. Er erhält in der StB-Registratur den Decknamen „Sizunk“ – eine durchaus aussagekräftige Wahl, denn das Wort kommt aus der tschechischen Umgangssprache und steht für „Schwindler“. Es wird sich noch zeigen, dass dieser Deckname mehr als passend ist.44 Agent „Sizunk“ wächst schnell in seine Aufgabe hinein. Sechseinhalb Jahre später beschreibt Erich Bertol den Beginn seiner Arbeit für den StB so:
Nach dieser Zeit habe ich dann noch einige Wochen mit Morandell gearbeitet und dann später, aber noch im Jahr 1950, arbeitete ich schon allein. […] Ich arbeitete damals nur in Italien. Meine Aufgaben lagen im militärischen Bereich, Truppenverlegungen und Flughäfen. Ich brauchte und sollte auch neue Mitarbeiter gewinnen.45
Tatsächlich liefert „Sizunk“ anfänglich ausschließlich Berichte aus Italien, doch bereits 1951 reist er für den StB mehrmals nach Spanien, wo er Mitarbeiter anwirbt. 1952 erfüllt er Aufträge in Dänemark und Holland, 1953 dann in Norwegen und auch in Österreich. Besondern engagiert zeigt sich Bertol beim Anwerben von Mitarbeitern. So führt er noch 1950 zwei Bozner Bekannte dem tschechoslowakischen Geheimdienst zu, die danach beide jahrzehntelang im Nachrichtengeschäft tätig sein werden. Als Agent „Sizunk“ am 5. September 1950 zum vorher ausgemachten Treffen mit seinen StB-Führungsoffizieren nach Brünn kommt, ist ein alter Bozner Freund Bertols dabei: Friedrich „Fritz“ Stefaner (1927–1991). Friedrich Stefaner wird am 19. Juni 1927 in Bozen geboren, doch weil der Vater ein Jahr später stirbt, wächst er zuerst bei der Mutter in Bozen und später bei einem älteren Bruder in Suetschach im Rosental in Kärnten auf. Nach einem kurzen schulischen Zwischenstopp auf dem Gymnasium in Innsbruck kommt Friedrich Stefaner 1941 – wie Hunderte Südtiroler Optantenkinder – in die „Nationalpolitische Erziehungsanstalt“ (Napola) nach Rufach im Elsass. 1943/44 kehrt Stefaner nach Bozen zurück und wird schließlich zur Waffen-SS einberufen. In Nienburg an der Weser wird er zum SS-Unterscharführer ausgebildet, 1945 zur SS-Panzerdivision „Wiking“ eingezogen und in Ungarn eingesetzt. Nach dem Krieg kehrt er nach Bozen zurück und leistet 1947/48 den italienischen Militärdienst ab. In Nienburg hatte er den gleichaltrigen Erich Bertol kennengelernt und sich mit ihm angefreundet, Anfang der 1950er-Jahre wird das Verhältnis enger. Vier Jahre nach seiner Anwerbung unterzieht der StB am 17. September 1954 Friedrich Stefaner in Znojmo einem strengen Verhör. Dabei schildert der Agent auch, wie es zur Anwerbung kam:
Fritz Stefaner alias „Horalsky“ (Foto aus seinem StB-Akt): Wirbt Südtirolerin an, die für die Amerikaner in Triest arbeitet.
In den frühen 1950er-Jahren entdeckte ich, dass mein guter Freund Erich Bertol immer viel Geld hatte. Im Juni 1950 nahm er mich mit nach Rom, dann nach Livorno, nach La Spezia und zurück nach Bozen. Auf der Reise beobachtete ich, dass er überall militärische Informationen erhielt. Ich fragte ihn, für wen er diese Informationen sammle. Seine Antwort: für die Deutschen. Ich fragte ihn dann, ob ich nicht auch hier mitmachen und Geld verdienen könnte. Er meinte, dazu müsse er erst nachfragen.46
Als der StB grünes Licht gibt, bringt Agent „Sizunk“ die Neuanwerbung nach Znojmo und Brno. Dort unterzeichnet Stefaner am 5. September 1950 seine Verpflichtungserklärung und erhält einen Decknamen, nämlich „Horalsky“, was man frei als „Bergmensch“ übersetzen könnte. Bei seiner Anwerbung muss sich jeder StB-Agent zudem einen Arbeitsnamen zulegen, mit dem er Briefe und Telegramme nach Brünn unterzeichnet. Damit soll eine allzu leichte Identifizierung der Zuträger durch fremde Dienste verhindert werden. Hans Morandell, alias „Korsičan“ firmiert anfänglich als „Anton“ und später als „Jenda“, Edgar Meininger, Agent „Pedel“, als „Eduard“ und Erich Bertol alias „Sizunk“ unterzeichnet seine Depeschen als „Arnold“. Friedrich Stefaner hingegen entscheidet sich für einen bekannten Nachnamen, er korrespondiert mit dem StB unter dem Decknamen „Franz Trenker“.
Friedrich Stefaner oder „Horalsky“ ist danach rund vier Jahre lang für den StB als Zuträger und Agent tätig. Dass das Agentenleben nicht nur Geld einbringt, sondern auch Gefahren birgt, erfährt er im Sommer 1951, als es zu einem Schreckensmoment kommt. Bei einem seiner illegalen Grenzübertritte aus der ČSR zurück nach Österreich wird er – wie es Ende 1952 auch Hans Morandell und Franz Flies ergehen wird – bei Hollabrunn kurzeitig verhaftet. Die Anklage: „Der Beschuldigte hat am 4. August 1951 anlässlich seines unbefugten Grenzübertrittes den Betrag von 150.000 ital. Lire ohne Bewilligung nach Österreich eingeführt.“ Stefaner wird zu sieben Tagen Haft und 1.000 Schilling Geldstrafe verurteilt.47 Das Geld dürfte ihm der StB zurückerstattet haben, denn auch „Horalsky“ verdient wie alle seine Mitstreiter äußerst gut. In allen Personalakten des StB sind schön säuberlich alle finanziellen Zuwendungen an die Zuträger aufgelistet. Demnach bekommt Friedrich Stefaner für seine Dienste bis Ende 1953 insgesamt 42.273 Kronen, 155 Dollar, 400 Schweizer Franken, 3.930.000 italienische Lire und 46.000 jugoslawische Dinar.48
Dass der Bozner Agent jugoslawische Dinar erhält, erklärt sich damit, dass er – wie seine anderen Südtiroler StB-Kollegen – in Jugoslawien eingesetzt wird. „Horalsky“ wird anfänglich vor allem dort tätig, weil er direkte Kontakte in Kärnten hat. Sein Bruder lebt in Suetschach und sein Onkel ist Gendarmerie-Inspektor in Feistritz im Rosental – beide Orte liegen unmittelbar an der Grenze zum heutigen Slowenien.
Doch schon bald ändert sich sein Betätigungsfeld. Der Grund: Der Bozner Agent zieht einen Fisch an Land, der in den Augen seiner Auftraggeber von ganz besonderem Interesse ist, und zwar wegen der Verbindung zum amerikanischen Geheimdienst. Friedrich Stefaner ist persönlich mit Frieda Marmsoler aus Seis-Kastelruth befreundet, die 1949 den US-amerikanischen Marinesoldaten Charles Whiting heiratet. Die junge Frau arbeitet als Verwaltungsangestellte im „Counter Intelligence Corps“ (CIC) für die US-amerikanischen Besatzungsbehörden. Den damals in Europa äußerst aktiven amerikanischen Militärnachrichtendienst CIC zählt der StB zu seinen gefährlichsten Gegnern. „Horalsky“ gelingt es, Frieda Marmsoler als Zuträgerin anzuwerben. 1951/52 treffen sich die Südtiroler CIC-Sekretärin und der StB-Agent periodisch in Triest, Udine und Bozen. Dabei überreicht Marmsoler handgeschriebene Berichte über die Struktur der US-Streitkräfte in Italien, aber auch Dutzende als geheim klassifizierte Dokumente, zudem Fotos oder Kopien von Fernschreiben, Anordnungen und internem Schriftverkehr. So findet man heute im Prager Personalakt des Agenten „Horalsky“ Dutzende vergilbte Fotos dieser US-Dokumente. Weil der Nachschub für die US-Streitkräfte in Österreich und Süddeutschland über den Hafen Triest läuft, sind die Dokumente für den StB von großem Interesse.
Allein durch diese Quelle gewinnt „Horalsky“ bei seinen Auftraggebern an Ansehen. Stefaner bezahlt Frieda Marmsoler Whiting für jede Lieferung, und diese finanziellen Zuwendungen dürften auch der Grund für die Mitarbeit der damals 28-jährigen Frau gewesen sein. Doch im Frühjahr 1953 wird die vielversprechende Geschäftsverbindung jäh unterbrochen. Charles Whiting war bereits 1951 in die USA versetzt worden. Ende 1952 folgt Frieda ihrem Ehemann nach Washington, doch zwischen den beiden Eheleuten kriselt es. Weil Whiting mehrmals gewalttätig wird, flieht Frieda Marmsoler schließlich zu einer befreundeten Familie. Dort tötet Charles Whiting am 13. Februar 1953 seine Frau mit einem Kopfschuss, bevor er selbst vom Sohn des Hauses erschossen wird.49 Damit ist Friedrich Stefaners wichtigste Quelle für immer versiegt. Doch „Horalsky“ hat bereits eine ganze Reihe von anderen Zuträgern angeworben, die ihm vor allem Nachrichten aus dem italienischen Heer liefern. Unter ihnen ist der Bozner Eduard Kutin, der 1951/52 seinen Militärdienst in Meran absolviert. Fortsetzung