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Bezahlter Standpunkt

Das UZC finanziert eine Südtiroler Zeitung und mehrere Redakteure arbeiten auch für den SIFAR.

Am 29. August 1947 erscheint erstmals eine neue Zeitung in Südtirol. „Der Standpunkt“ ist eine Wochenzeitschrift, die sich zehn Jahre lang halten wird, bekannte Journalisten, Literaten und Denker vereint und eine Verbreitung im gesamten deutschsprachigen Sprachraum anstrebt. Gegründet wird die Zeitung von Hans Fuchs, Erbe der Besitzerfamilie der Bierbrauerei Forst bei Meran. Der Südtiroler Historiker Philipp Trafojer hat bereits vor über 20 Jahren die Geschichte dieses Medienprojekts detailliert nachgezeichnet.45 Seine Untersuchung trägt den Titel „Der Standpunkt. Politisch-historische Analyse über Funktion, Form und Wirkungsweise eines Propagandamediums“. Denn die Wochenzeitschrift wird in Wirklichkeit vom „Ufficio per le Zone di Confine“ (UZC) finanziert und gefördert. Es ist vor allem Silvio Innocenti, der dieses Projekt vorantreibt. Der ehemalige Präfekt von Taranto wird am 9. Jänner 1946 als neuer Präfekt nach Bozen geschickt. Innocenti erkennt von Anfang an die Bedeutung propagandistischer Maßnahmen in der Auseinandersetzung um Südtirol. Er beginnt bereits in seiner Rolle als Präfekt, durch die Gründung italienfreundlicher Parteien, Organisationen und Medien einen Gegenpol zur SVP und zum Athesia-Verlag zu schaffen. Als erster Leiter des UZC verstärkt er diese Anstrengungen noch deutlich. „Der Standpunkt“ wird in der Druckerei SETA gedruckt, der auch die Bozner Tageszeitung „Alto Adige“ gehört. Über diese Schiene läuft dann auch ein Teil der direkten Geldzuwendungen an die Zeitschrift.

Einer der Köpfe des „Standpunkt“ ist von Beginn an Alfred Boensch. Boensch war vom Deutsch-Akademischen Austauschdienst noch vor dem Krieg als Lektor für deutsche Sprache nach Italien geschickt worden. 1940 ist er als Professor für Deutsch an der Universität Cagliari tätig. Während des Krieges dient er in der deutschen Mittelmeermarine als Übersetzer. Bei Kriegsende befindet er sich am Levico-See im Trentino – dem letzten Hauptquartier der deutschen Marine. Boensch versteckt sich in der darauffolgenden Zeit am Trentiner Landgut Fontanasanta der Neumarkter Familie von Lutterotti.46

Alfred Boensch steigt in der Hierarchie der „Standpunkt“-Redaktion schnell auf. Als verantwortlicher Redakteur ist er am Ende der Chefpropagandist des Blattes. Als die Wochenzeitung 1957 eingestellt wird, übernimmt die Tageszeitung „Dolomiten“ den deutschen Journalisten. Alfred Boensch schreibt Dutzende Bücher über Südtirol, Festschriften für den Alpenverein Bozen und Meran und ist als Übersetzer tätig. Der Mann wird als Journalist bis zu seinem Tod in Südtirol überaus geschätzt.

Meraner Wochenzeitung „Der Standpunkt“: Alfredo Bitti und „Krasnoff “ als Informanten.

Maria von Lutterotti erzählt dem Historiker Philipp Trafojer, dass Boensch sich schon in Fontanasanta immer sehr bedeckt hielt. So trat er ausschließlich unter dem Namen Bitti auf. Auf diesen Namen war auch ein Personalausweis ausgestellt. Auch seine Artikel im „Standpunkt“ zeichnet Alfred Boensch anfänglich als Alfred Bitti. Allgemein ging man davon aus, dass seine nationalsozialistische Vergangenheit der Grund für diese Tarnung sei.47 Dass man damit durchaus richtig liegt, zeigt sich in den Akten des italienischen Nachrichtendienstes SIFAR. Dort heißt es:

Weil er Angst vor einer Inhaftierung durch die Alliierten hat und deshalb nicht mehr nach Deutschland zurückkehren will, nahm er die falschen Personaldaten von Alfredo Bitti an.48

Diesen Aliasnamen entlehnt Alfred Boensch von seiner Frau Maria Domenica Bitti, die er 1947 heiratet. Als Alfredo Bitti arbeitet der deutsche Journalist ab 1948 auch als Zuträger für das SIFAR-Büro Verona. „Eine sehr gebildete Person, die auf sehr breite Bekanntschaften in Rom und in anderen Orten Italiens zählen kann“, beschreibt der SIFAR seinen Zuträger. Boensch ist nicht der einzige SIFAR-Informant in den Reihen der „Standpunkt“-Redaktion. Jahrelang schreibt auch ein Autor unter dem Pseudonym „Krasnoff“ für die Meraner Wochenzeitung. Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich Walter W. Krause, ein deutscher Journalist, der 1948 in Triest als Übersetzer für die US-Army arbeitet. 1953 geht er dann in den Fernen Osten, zuerst nach Teheran und dann nach Afghanistan und Pakistan. Walter W. Krause, der auch für die deutschen Magazine „Der Spiegel“ und „Stern“ arbeitet, schreibt mehrere Bücher über Afghanistan und den Iran. Und auch Krause arbeitet als Informant und Zuträger für das SIFAR-Büro Verona.49

Ich kann dir aber versichern, dass nichts unversucht gelassen wird, um wenigstens eine der genannten Personen anzuwerben.50

Dabei ist das UAR beileibe nicht die einzige Behörde, die die SVP in diesen Jahren überwacht.

SVP-Sitz auf Landeskosten

Das „Ufficio per le Zone di Confine“ (UZC) wird 1946 von Regierungschef Alcide Degasperi gegründet. Das direkt beim Ministerrat angesiedelte Büro für Grenzzonen kümmert sich vorwiegend um zwei Gebiete: die Regionen Julisch Venetien und Trentino-Südtirol. Erster Leiter des UZC wird Silvio Innocenti, der 1946 Präfekt in Bozen war und somit die Südtiroler Situation bestens kennt. Das UZC ist nicht nur das technische Amt, das maßgeblich an der Ausarbeitung des Ersten Autonomiestatutes für die Region Trentino-Südtirol beteiligt ist, sondern das UZC – später in „Ufficio Regioni“ umbenannt – entwickelt sich bis zu seiner Auflösung im Jahr 1967 zu einer Art Schaltzentrale einer verdeckten Politik in den Regionen mit ethnischen Minderheiten. Vor allem in den 1950er-Jahren pumpt die Regierung über das UZC sehr viel Geld nach Istrien und Südtirol. Verdeckt werden Vereine, Institutionen und Programme gefördert, um die „Italianità“ dieser Gebiete zu stärken. In Südtirol werden nicht nur Dutzende italienische Pfarreien finanziert, es fließen auch Gelder für die Restaurierung des Siegesdenkmals (1948) oder in die Presseförderung – etwa an die italienische Tageszeitung „Alto Adige“ oder die deutschsprachige Wochenzeitung „Der Standpunkt“.51

Ein Blick in das UZC-Archiv, das erst in den vergangenen Jahren durch die Südtiroler Historiker Andrea Di Michele und Giorgio Mezzalira vorbildlich erschlossen wurde, erlaubt auch Rückschlüsse auf den wirklichen Kenntnisstand der italienischen Sicherheitsbehörden in diesen Jahren. Denn im UZC laufen in diesen Jahren alle vertraulichen und geheimen Informationen zu und um Südtirol zusammen.

Wie gut man dabei über Interna aus der Südtiroler Volkspartei informiert ist, wird am Bericht mit dem Titel „Besondere Situation in Südtirol – Kommentar der SVP zur Ernennung des neuen US-Botschafters in Italien“ vom 8. Dezember 1956 klar.52 Zum Jahreswechsel 1956/57 wird nämlich bereits bekannt, dass der US-Botschafter in Rom ausgetauscht wird. Auf die Botschafterin Claire Boothe Luce folgt James David Zellerbach. Obwohl Zellerbach seinen Posten als US-Botschafter in Rom erst Anfang Februar 1957 antritt, ist seine Ernennung bereits Thema auf einer Parteileitungssitzung der SVP. Im Bericht vom Dezember 1956 heißt es dazu:

Eine sehr glaubwürdige Quelle teilt mit, dass im Laufe einer kürzlich in Bozen abgehaltenen Sitzung, die der Parteiführung vorbehalten war, die SVP-Vertreter neben lokalen Fragen auch die Auswirkungen erörtert haben, die die Ernennung des neuen Botschafters der USA auf die Südtirolfrage haben könnte.

Man hat dabei mit Wohlwollen kommentiert, dass die Wahl des neuen Botschafters auf Zellerbach gefallen ist, weil:

er ist deutscher Abstammung, deshalb geht man davon aus, dass er gefühlsmäßig den Problemen der deutschen Volksgruppe in Südtirol positiv gegenübersteht;

er im Mai 1949 als Mitglied der E. C. A.-Mission [Economic Cooperation Administration, ein Teil des sogenannten Marshall-Planes – Anm. d. Autors] Südtirol besucht hat und dabei persönlich einige der aktuellen SVP-Vertreter kennengelernt hat.

Zusatz: Man sagt, dass damals der Regionalratsabgeordnete Dr. Alfons Benedikter über gemeinsame amerikanische Freunde deutscher Herkunft freundschaftliche Kontakte mit Herrn Zellerbach aufgenommen habe, um die Genehmigung eines wirtschaftlichen Wiederaufbauplanes für die Provinz Bozen anzuregen, der diesem auch gleich vorgestellt wurde. Es geht aber nirgends hervor, dass nach diesem Plan die Südtiroler Wirtschaft durch einen direkten amerikanischen Eingriff gestärkt worden ist.

Bisher gibt es keine Nachrichten über konkrete Initiativen vonseiten der SVP-Vertreter, die direkte Bekanntschaft mit Herrn Zellerbach auszunutzen.53

Wie genau das Innenleben der SVP beobachtet wird und man auch auf Informanten aus Österreich zurückgreift, zeigt ein Bericht über eine vertrauliche Versammlung des „Bergisel-Bundes“ (BIB) am 8. Juni 1959 in Salzburg. An der Sitzung nehmen rund 20 Personen teil, unter diesen auch der Landessekretär der SVP Hans Stanek. Ihm gilt die besondere Aufmerksamkeit des Informanten. Im Bericht – der wie die meisten dieser Informationen auch dem italienischen Außenminister Giuseppe Pella zur Kenntnis zugeht – werden die Aussagen wiedergegeben, die der SVP-Landessekretär während der Besprechung macht. Unter anderem stellt Stanek in Salzburg auch die schwierige finanzielle Situation seiner Partei dar.

Als Dr. Stanek auf die finanzielle Situation seiner Partei zu sprechen kam, hat er diese als durchaus kritisch bezeichnet, obwohl man 30.000 Mitglieder habe. Die politische Kampagne, die die Partei gestartet hat, auch auf internationaler Ebene, erfordert große finanzielle Anstrengungen; deshalb müssten auch in Österreich Hilfsgelder dafür gesammelt werden. Die Geldmittel, die aus Deutschland kommen, dürfen nur für kulturelle und nicht für politische Zwecke verwendet werden.54

Die Gelder, die aus dem deutschsprachigen Ausland nach Südtirol fließen, und die Finanzen der SVP sind ein immer wiederkehrendes Thema in den vertraulichen Berichten. So auch, als es um den neuen Parteisitz geht, der auf Kosten des Landes errichtet werden soll. Ende der 1950er-Jahre steht nämlich eines der größten Hotels von Bozen zum Verkauf. Das Hotel Bristol, mitten im Zentrum von Bozen, in der Nähe zum Palais Widmann, dem damaligen Sitz der Quästur (Dienststelle der Staatspolizei) und heutigem Sitz der Landesregierung gelegen, erregt nicht nur die Aufmerksamkeit der Baulöwen. Das Hotel wird 1961 abgerissen. In mehreren geheimen Berichten geht es bereits zwei Jahre zuvor um die geplante Immobilienoperation. Am 29. September 1959 schickt der Generalkommandant der Carabinieri Luigi Lombardi zwei vertrauliche Informantenberichte an den Staatssekretär im Ministerratspräsidium Carlo Russo. In einem dieser Berichte heißt es:

Quästur Bozen (im Palais Widmann): Verdeckter Kanal ins UAR.

Die Südtiroler Landesregierung hat soeben die Verhandlungen zum Kauf des Hotels „Bristol“ in Bozen um die Summe von 100 Millionen Lire abgeschlossen. Das Hotel soll dem deutschen Kulturverein „Kulturheim“ als Sitz zugewiesen werden, dessen Präsident der SVP-Abgeordnete Karl Mitterdorfer ist. Der endgültige Kaufvertrag wird in den nächsten Tagen unterzeichnet werden.

Da die Leitung der SVP aus dem derzeitigen Sitz in der „Villa Brigl“ ausziehen muss, wird es als sicher angenommen, dass das Haus von ihr besetzt wird – auch aufgrund der Abmachungen, die bereits mit dem Verein „Kulturheim“ getroffen wurden. Die neue Ansiedelung der SVP würde damit auf Kosten des Landes gehen, mit vorhersehbaren negativen Reaktionen der öffentlichen Meinung.55

Für das Innenleben der SVP interessiert sich auch der Bozner Quästor, der periodisch Berichte an das Innenministerium nach Rom schickt. Der Polizeichef leitet diese Berichte mit dem Titel „Notizie dell’Alto Adige“ auch an den italienischen Außenminister und das UZC weiter. Die Berichte basieren auf Meldungen der Informanten der Bozner Quästur und drehen sich vor allem im Jubiläumsjahr 1959 um eine Art Radikalisierung der Volkspartei:

Schreiben von Quästor Giuseppe Testa alias „Schatten“: „Natürlich weiß keiner der beiden vom Annäherungsmanöver an den anderen.“

Die Situation in Südtirol wird immer verzwickter […] Die Propaganda wird vor allem unter den Jungen immer stärker und führt bei diesen zu einem aufgepeitschten Geisteszustand. Das merken jetzt auch die Spitzen der SVP. Manche von ihnen fürchten die Folgen ihrer Handlungen, auch weil sie um ihre Stellung und ihr Ansehen zittern und Angst haben, von diesen Jungen überrannt zu werden.

Sicherlich auf Nadeln sitzt deshalb Dr. Silvius Magnago, weil seine Technik – die man am besten mit dem Spruch aus dem Volksmund „Es allen recht machen zu wollen“ [Original: colpo alla botte e quello al cerchio] zusammenfassen kann – seit einiger Zeit von diesen aufbrausenden Jungen durchschaut wurde, die jetzt drohen, ihn als SVP-Obmann zu stürzen und auch als Landeshauptmann, was für ihn noch mehr zählt.56

Dass der Informant mit dieser Einschätzung eindeutig daneben liegt und Silvius Magnago noch drei Jahrzehnte lang Landeshauptmann bleiben wird, kann man zu diesem Zeitpunkt nicht wissen.

Operation „Los Angeles“


Ehemaliger SD-Mann Karl Hass: Kriegsverbrecher im Sold mehrerer Nachrichtendienste

Das amerikanische „Counter Intelligence Corps“ (CIC) setzt im Kampf gegen den Kommunismus auf ehemalige Nazis und Faschisten. Special Agent Joseph Peter Luongo leitet in Italien eine Geheimdienstoperation, an deren Spitze der SS-Mann und gesuchte Kriegsverbrecher Karl Hass steht. Luongo und Hass leben zeitweise in Bozen und sie haben hier auch wichtige Bezugspersonen, darunter einen Bozner Geschäftsmann und einen stadtbekannten Franziskanerpater.

Am 12. Juni 1996 wird es dem Mann im wahrsten Sinne des Wortes zu heiß. Joseph Peter Luongo packt die Koffer und verlässt unauffällig die Wohnung im Haus Nummer 49c in der Südtirolerstraße in Bozen. Der Mann, der einen Monat zuvor seinen 80. Geburtstag gefeiert hat, fliegt noch am selben Tag in die USA.1 Obwohl es Luongo später anders darstellt, ist die plötzliche Abreise alles andere als ein Zufall. Der Amerikaner, der seit März 1984 seinen offiziellen Wohnsitz in Bozen hat, will eigentlich seinen Lebensabend in der Südtiroler Landeshauptstadt verbringen, doch dann holt ihn seine Vergangenheit ein. 1994 wird nämlich im argentinischen Bariloche der ehemalige SS-Hauptsturmführer Erich Priebke verhaftet. Wegen verschiedener Kriegsverbrechen wird Priebke ein Jahr später nach Italien ausgeliefert. 1996 beginnt in Rom der Prozess gegen ihn, in dem schon bald ein anderer ehemaliger deutscher SS-Sturmbannführer eine zentrale Rolle spielt: Karl Hass. Spätestens mit dem Auftauchen von Hass weiß der in Bozen lebende Luongo, dass damit auch seine Vergangenheit öffentlich zu Sprache kommen wird und dass dann einige unbequeme Fragen auf ihn zukommen werden.

Zudem ist Luongo zu diesem Zeitpunkt bereits in eine gerichtliche Untersuchung verwickelt. Der venezianische Untersuchungsrichter Giovanni Mastelloni sowie sein Mailänder Kollege Guido Salvini ermitteln seit Jahren zu den Blutbädern und Terroranschlägen Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre in Norditalien. Dabei gerät auch der zu diesem Zeitpunkt in Südtirol zurückgezogen lebende amerikanische Pensionist ins Visier der Ermittler. Joseph Peter Luongo zieht es deshalb vor, im Frühsommer 1996 Südtirol und Italien zu verlassen. Er wird das Land nicht mehr wiedersehen. Luongo stirbt knapp drei Jahre später am 31. Mai 1999 in den USA.

Dass sich an der Lebensgeschichte und Biografie des diskreten Amerikaners einige der wichtigsten Operationen der amerikanischen Nachrichtendienste zwischen 1945 und 1985 festmachen lassen, stellt sich erst durch die gerichtlichen Ermittlungen Ende der 1990er-Jahre heraus. An der Person Luongo kann man die unorthodoxe Beziehung zwischen den italienischen und den amerikanischen Nachrichtendiensten ebenso nachzeichnen wie die Differenzen und Konflikte zwischen den verschiedenen US-Geheimdiensten im Nachkriegseuropa. Dabei war und ist Joseph Peter Luongos Geschichte eng mit Bozen und Südtirol verbunden. Auch aus persönlich-privaten Gründen hat der Nachrichtenoffizier immer wieder von hier aus operiert. Der Hauptgrund aber ist die Tatsache, dass Südtirol in der Nachkriegszeit einer der Hotspots für die zentrale Operation der amerikanischen Nachrichtendienste ist: Die Anwerbung und Führung von ehemaligen Nazis mit Erfahrung im Nachrichtenwesen.

Joseph Peter Luongo wird am 3. Mai 1916 in New Haven in den USA als Kind von italienischen Einwanderern aus Salerno geboren. Zu Hause redet man breitesten salernitanischen Dialekt und in der Schule lernt Luongo natürlich Englisch, aber auch Italienisch.2 Mit der Landung der Alliierten kommt er im Herbst 1943 nach Italien. Fast 55 Jahre später erinnert sich Luongo im Interview mit der italienischen Tageszeitung „Il Mondo“:

Ich war ein einfacher Soldat der 88. Infanteriedivison des 5. Armeekorps der amerikanischen Armee und war in Piedimonte d’Alife in der Provinz Caserta stationiert, als ich von einem Leutnant gerufen wurde, der mir einen Stift zum Schreiben zeigte und mich fragte, wie der auf Italienisch heißt. […] Etwas verwundert über diese Frage antwortete ich „Lapis“. „Sehr gut“, sagte der Leutnant, „du kannst gehen.“ Ein paar Tage später kamen sie mich mit einem Jeep abholen, brachten mich in die Büros des 88. Counter Intelligence Corps, der Spionageabwehr der 88. Division, und mir wurde gesagt, dass ich jetzt dieser Einheit angehöre.3

Das „Counter Intelligence Corps“ (CIC) wird am 1. Januar 1942 ins Leben gerufen und ist der militärische Nachrichtendienst der USA. Die Aufgaben des CIC sind von Anfang sehr vielfältig. In den USA ist das CIC zusammen mit der Militärpolizei und dem „Federal Bureau of Investigation“ (FBI) für die Sicherheitsüberprüfung von Militärpersonal und die Abwehr von Sabotageaktionen zuständig. In Europa und im Pazifik operiert das CIC auf den Kriegsschauplätzen als klassischer Militärnachrichtendienst. Hunderte von sogenannten „Agents“ oder „Special Agents“ sammeln über Zuträger, Dokumente und abgefangene Funksprüche, aber auch durch die Befragung von Kriegsgefangenen Informationen über die gegnerische Seite. Zudem unterstützen CIC-Agenten hinter den feindlichen Linien den Widerstand und organisieren Sabotageaktionen und Aufklärungsmissionen.

Die Hauptaufgabe des CIC in der Nachkriegszeit ist anfänglich die Fahndung nach Kriegsverbrechern und deren Verhaftung. Gleichzeitig versucht das CIC den Schwarzhandel in Europa einzudämmen. Spätestens ab 1947 ändern sich diese ursprünglichen Zielsetzungen grundlegend. Im ausbrechenden Kalten Krieg gilt es plötzlich, den kommunistischen Feind mit allen Mitteln zu bekämpfen. Das CIC beginnt überall in Europa Agenten, Zuträger und Spitzel anzuwerben, um sie gegen die „rote Gefahr“ einzusetzen. Gleichzeitig werden diese Agenten auch gebraucht, um die aufstrebenden Nachkriegsdemokratien zu überwachen.4

CIC-Karteikarte von Karl Hass: „Methodisch und analytisch in seiner Arbeit“.

Diese Entwicklung lässt sich exemplarisch auch an der Person von Joseph Peter Luongo nachzeichnen. Nach der Landung der Alliierten nimmt der Italo-Amerikaner an mehreren CIC-Operationen in Süditalien teil. Im Juni 1944 ist er unter den ersten amerikanischen Soldaten, die nach Rom einmarschieren. Wenig später stoßen Luongo und das CIC nach Florenz vor, wo der Soldat formell dem CIC überstellt wird. Luongo bekommt den Rang eines „Special Agent“, den er bis zu seiner Pensionierung beibehalten wird. Im Mai 1945 wird Luongo nach Bozen versetzt, wo er zum Chef des dortigen CIC ernannt wird.5

Dass ausgerechnet Südtirol jahrzehntelang zum Spielfeld des CIC-Agenten aus New Haven wird, liegt vor allem in der Organisationsstruktur und den operativen Schwerpunkten, die der US-Militärnachrichtendienst in der Nachkriegszeit setzt. Während die US-Streitkräfte in diesen Jahren in Deutschland und Österreich als Besatzungsmacht präsent sind, ist die Situation in Italien deutlich anders. Dort ziehen sich die US-Streitkräfte ab 1946 weitgehend zurück und mit dem Heer muss auch das CIC mit wenigen Ausnahmen abrücken. Weil Italien in diesen Jahren mit dem Partito Comunista Italiano (PCI) in ganz Westeuropa die einzig wirklich effiziente und auch mächtige kommunistische Partei aufweist, ist die Gefahr einer kommunistischen Machtübernahme gerade auf der Halbinsel am realistischsten. Das CIC will hier gegensteuern. Man tut das vor allem von einem Nachbarland aus: Österreich. Ab 1946 baut das CIC in der Alpenrepublik eine Geheimdiensteinheit auf, die das besetzte Österreich und dort vor allem die Sowjetzone bearbeitet, aber auch Deutschland, Jugoslawien, Ungarn, die ČSSR und Italien. Die zwei wichtigsten CIC-Zentren liegen in der amerikanisch besetzten Zone in Oberösterreich, nämlich in Gmunden im Salzkammergut und in Linz. In Gmunden ist das „430th Army Counterintelligence Corps (CIC) Detachment“ stationiert und in Linz wird das „CIC Detachment 35“ eingerichtet. Joseph Peter Luongo wird 1946 aus Italien zuerst nach Gmunden und wenig später dann nach Linz versetzt.

Wie zentral diese beiden oberösterreichischen CIC-Stellen für die amerikanischen Nachrichtendienste in diesen Jahren sind, zeigt ein Aktenstück aus den National Archives in Washington. Es handelt sich um einen Zufallsfund: In einer Personalakte findet sich völlig zusammenhangslos eine Informantenliste des „CIC Detachment 35“ vom August 1951. Auf insgesamt 18 Seiten werden die Informanten und Spitzel des österreichischen CIC schön sauber mit Dienstnummer und vollem Namen angeführt. Es sind über 800 Männer und Frauen. Darunter findet sich zudem mindestens ein Dutzend zum Großteil honorige italienische Staatsbürger und ebenso viele Agenten, die in den 1940er- und 50er-Jahren in Italien für das CIC arbeiten.6 Es sind jene Informanten und Agenten, die für Joseph Peter Luongo tätig sind. Der CIC-Special Agent steuert von Gmunden und Linz aus in diesen Jahren Dutzende Spionageaktionen in Italien.

Die eindeutig wichtigste Operation trägt den Codenamen „Netzwerk Los Angeles“. In einem internen CIC-Papier wird die Mission in wenigen Sätzen skizziert:

Dem Netzwerk Los Angeles wurden die Aufgaben übertragen, Informationen über die Persönlichkeiten und Aktivitäten der Kommunistischen Partei Italiens zusammenzutragen, die Erstellung von Listen der gefährlichsten kommunistischen Elemente Italiens, taktische Studien zu Südtirol und eine Untersuchung aller Partisanenformationen zu machen.

In der Kurzbeschreibung heißt es dann weiter:

Das Netzwerk Los Angeles wurde am 20. Dezember 1947 aktiviert. Die Hauptquelle des Netzwerks Los Angeles ist der ehemalige SD-Major Karl Hass. Beim Sammeln von Informationen für Los Angeles nutzt die Hauptquelle die Dienste ehemaliger Abwehrkollegen (einschließlich eines in Bozen ansässigen Agenten), von Würdenträgern des Vatikans und der neofaschistischen Untergrundbewegung „Fasci di azione rivoluzionaria“ (FAR).7

Die Operation „Los Angeles“ macht dabei deutlich, wie sehr sich die Koordinaten in der Welt der Nachrichtendienste längst verschoben haben. Zwei Jahre nach Kriegsende arbeiten plötzlich ehemalige Feinde eng zusammen. Wie viele andere Dienste greift auch das CIC im anbrechenden Kalten Krieg ohne Bedenken auf gesuchte ehemalige NS-Funktionäre zurück, selbst dann, wenn sie sich eindeutig schuldig gemacht haben. Der Kopf des „Netzwerks Los Angeles“ ist ein Musterbeispiel dafür.

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