Kitabı oku: «Segretissimo, streng geheim!», sayfa 2
Der Mann im Vatikan
Der BND hat einen hochkarätigen Kleriker aus dem Vatikan in seinen Diensten. Es handelt sich um einen Südtiroler Latinisten, dessen tiefgründige Analysen bestechend sind.
Der „Lagebericht über Südtirol“ trägt das Datum 3. Mai 1961. In dem Schreiben heißt es:
Es ist keine große Genugtuung für den Berichterstatter, wenn er melden muss, dass die früher gemachten Voraussagen über eine Zunahme der Terrorakte durch die Ereignisse in den letzten Wochen bestätigt wurden.
Trotz fieberhafter und systematischer Tätigkeit der italienischen Behörden gelang es noch nicht, einen der Sprengstofftäter zu finden. Das bestätigt die frühere Vermutung, dass eine verhältnismäßig kleine, aber gut organisierte Gruppe am Werke ist. Es dürfte heute auch kaum mehr ein Zweifel daran bestehen, dass die Terroristengruppe nach einem genau überlegten Plan arbeitet. Es wird nur Sachschaden zugefügt, es geht den Terroristen um die psychologische Wirkung. Ohne es zu wollen, unterstützen die italienischen Behörden mit ihren Maßnahmen diese Zielsetzungen: Sie richten sich vornehmlich auf die lokalen Spitzen der SVP und der Südtiroler Schützen; diese werden beinahe in ganz Südtirol systematisch verhört und verhaftet, um dann nach einigen Tagen wieder freigelassen zu werden, weil man nichts Belastendes feststellen konnte. […] Die dadurch hervorgerufene Unruhe in Südtirol und die zunehmende Verbitterung der Bevölkerung über die willkürlichen Verhaftungen waren wohl ein Ziel der Terroristen. Für die weitere Entwicklung scheint die Feststellung nicht unerheblich zu sein, dass die Südtiroler Bevölkerung über die Sprengstoffanschläge in ihrer Mehrheit keineswegs entrüstet ist, sondern sie mit einer gewissen Schadenfreude verfolgt, mit Ausnahme natürlich jener Kreise, die am Fremdenverkehr interessiert sind.
Für die Terroristen ist diese Haltung der Südtiroler eine gute Ausgangsstellung, um ihre Aktionen zu intensivieren. Ob sie damit einen von der Bevölkerung aktiv mitgetragenen Aufstand vorbereiten wollen, kann nicht festgestellt werden.8
Dies ist nur einer von Dutzenden solcher Lageberichte, die heute im Archiv des BND ruhen. Gezeichnet sind sie mit einer Datumsangabe in römischen Ziffern und dem Kürzel „SV EGG.“ Die Abkürzung SV steht dabei für „Sonderverbindung“. Die Sonderverbindungen im BND sind eine ganz eigene Kategorie von Mitarbeitern. Der langjährige Chef-Historiker des BND Bodo Hechelhammer beschreibt sie als „hochgestellte Persönlichkeiten mit größten Einblicks- und Einwirkungsmöglichkeiten, die zur Unterstützung begrenzter ND-Vorhaben [ND = Nachrichtendienst – Anm. d. Autors] herangezogen werden.“9
In einem internen BND-Papier werden die Sonderverbindungen wie folgt charakterisiert:
Personen, die, ohne selbst Mitglied des BND zu sein, ständig oder fallweise zur Gewinnung von Erkenntnissen oder sonstigen nachrichtendienstlichen Hilfestellungen zur Verfügung stehen und, zumindest fallweise, in die nachrichtendienstlichen Zusammenhänge eingeweiht sind. Sie können für ihre Tätigkeit eine materielle oder ideelle Hilfe erhalten.10
„SV EGG“ ist eine dieser Sonderverbindungen, die zwischen 1960 und 1965 Analysen über Südtirol und die dortige Situation abliefern. Es sind historische Dokumente, die auch heute noch ihren Wert haben. „SV EGG“ ist ein Intellektueller, der über beste Kontakte zur hohen Politik, aber auch zur Kirche verfügt. Das geht aus all seinen Berichten hervor. So verfasst „EGG“ etwa im Oktober 1961 einen 35-Seiten-Bericht zu Südtirol, der nicht nur von einer beeindruckenden Detailgenauigkeit ist, sondern vor allem mit großem Insiderwissen und einer bestechenden Analysefähigkeit alle wichtigen Bereiche der damaligen Krisensituation rund um Südtirol beschreibt. „Erstaunlich ist der Erkenntnisstand und das Eindringen in die Hintergründe“, urteilt man in Pullach über die Arbeit dieses Südtirol-Fachmanns.11
„SV EGG“ wird deshalb vom BND auch vermehrt als Gutachter eingesetzt. Das heißt: Dem Mitarbeiter werden die Berichte anderer Informanten und Agenten über Südtirol zugestellt. Er verfasst dann Gutachten über die Meldungen, die in Pullach eintreffen. Sehr oft geht „SV EGG“ dabei mit den BND-Informanten hart ins Gericht und deckt Fehler, falsche Einschätzungen und Ungenauigkeiten in den Meldungen auf.
Aus den Akten geht auch hervor, dass die Sonderverbindung „EGG“ von General Wolfgang Langkau (DN „Langendorf“) angeworben und geführt wird und dass diese Sonderverbindung ursprünglich in einem anderen Bereich als Südtirol tätig ist. So schreibt Wolfgang Langkau im Herbst 1960 an die Sekretärin und Vertraute von BND-Chef Reinhard Gehlen Annelore Krüger (DN „Kunze“)12:
Lagebericht von Sonderverbindung „EGG“: Inhaltsangabe eines 35 Seiten langen Berichtes über Südtirol.
Meine SV EGG, die in diesem Zusammenhang vermehrt herangezogen wird und auch einen Gesprächspartner für ST [gemeint ist Südtirol – Anm. des Autors] abgeben könnte.13
Dass die Berichterstattung über Südtirol nur eine Art Nebenprodukt ist, wird klar, wenn man weiß, in welchem Bereich „SV EGG“ seine Haupttätigkeit für den BND entfaltet. Sein Spezialgebiet ist die Kirche. Das geht aus einem „Verteiler von Ausarbeitungen über Angelegenheiten im Kirchlichen Bereich“ hervor, in dem der BND jene Fachleute auflistet, die in Sachen Vatikan und Kirche mit geheimen Informationen versorgt werden. In der Anweisung heißt es:
„Geheim“- und „Vertraulich“-Stempel auf den Informationen müssen weggeschnitten werden, dafür Stempel „Meldedienstliche Verschlusssache“; grundsätzlich ohne Vorblätter und lediglich mit Datum versehen.14
Es ist ein hoch exklusiver Empfängerkreis, der in dem Verteiler angeführt ist: elf Personen, die vorwiegend mit ihren Decknamen gekennzeichnet sind. So steht der Deckname „Zepter“ für den CDU-Politiker und Bundesminister für besondere Aufgaben Heinrich Krone (1895–1989), der Deckname „Globus“ für Konrad Adenauers Staatssekretär und Vertrauensmann Hans Globke (1898–1973). Hinter dem Decknamen „Du“ verbirgt sich der Leiter der Katholischen Akademie Bayerns Karl Forster (1928–1981). „Eigenheim“ steht für den Erzbischof von München und Freising Kardinal Julius Döpfner (1913–1976), „Künstler“ für den evangelischen Militärbischof Hermann Kunst (1907–1999) und „Ob“ für den Journalisten und Herausgeber des „Rheinischen Merkur“ Otto Bernhard Roegele (1920–2005).
Es werden aber auch einige Empfänger mit Klarnamen angeführt. Es sind der Berliner Generalvikar Walter Adolph (1902–1972), der Regensburger Bischof Rudolf Graber (1903–1992), dessen Bruder Siegfried Graber (DN „Gay“) hauptberuflich für den BND tätig ist, und der damalige Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Rainer Barzel (1924–2006). Auf der Liste finden sich aber auch zwei Personen mit einem direkten Bezug zu Südtirol.
Einer der Empfänger der kirchlichen Nachrichten ist ein „Dr. Spaten“. Es ist der Deckname für Johannes Schauff (1902–1990). Schauff wird 1932 als jüngster Abgeordneter der Zentrumspartei in den Reichstag gewählt. Ab 1934 steht er mit Widerstandskreisen in Verbindung. 1934 reist er erstmals nach Brasilien, wo er wenig später einer der Gründer von „Rolândia“ wird, einer Kolonie für deutsche Auswanderer. 1937 zieht Johannes Schauff mit seiner Familie nach Rom, ein Jahr später wandern sie nach Brasilien in die „Rolândia“ aus, wo Schauff eine Farm erwirbt.
Streng geheime BND-Verteilerliste: Südtirol-Fachmann „EGG“ an erster Stelle.
Zwei Jahre nach Kriegsende kehrt Schauff nach Rom zurück. Der Jurist, der enge Beziehungen zu Bundespräsident Heinrich Lübke (1894−1972) hat, arbeitet nun für die deutsche Politik als Vermittler und Emissär. Zudem hat Schauff beste Kontakte zum Vatikan. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils finden wichtige Verhandlungen in seiner Wohnung in Rom statt.
Einer der Fixpunkte des Kosmopoliten ist zeit seines Lebens aber Südtirol. Karin und Johannes Schauff haben in Bozen eine Wohnung, jahrzehntelang lebt die gesamte Familie in Sterzing. Nach ihrer Rückkehr aus Brasilien zieht die Familie Schauff in den Ansitz „Löwenegg“ in Thuins bei Sterzing ein. Bereits in den 1930er-Jahren hatte der deutsche Theologe Ludwig Kaas (1881–1952) den Ansitz erworben. Kaas war Vorsitzender der Zentrumspartei und einer der Mentoren von Schauff, 1934 wird er Sekretär des Kardinalskollegiums im Vatikan und Domherr des Petersdoms. 1952, nach dem Tod von Ludwig Kaas, kaufen Karin und Johannes Schauff das herrschaftliche Anwesen.
Johannes Schauff wird einer der renommiertesten Südtirol-Experten der deutschen Nachkriegsregierungen. Bei der sogenannten Rückoption und den Kriegsentschädigungen wird Schauff zum wichtigsten Verhandler zwischen Bozen und Rom. So ist er der Kopf des „Beratungsausschusses für Umsiedlungsgeschädigte“ und arbeitet dabei eng mit SVP-Politikern wie Karl Mitterdorfer zusammen.15 Schauff ist auch eng mit Kanonikus Michael Gamper befreundet. Weniger bekannt ist, dass Johannes Schauff unter dem Decknamen „Dr. Spaten“ als Sonderverbindung für den BND tätig ist. Schauff gehört dabei von Anfang an zum engeren Kreis um BND-Präsident Reinhard Gehlen.
Besonders interessant aber ist der erste Name, der auf der Empfängerliste des erwähnten „Verteilers von Ausarbeitungen über Angelegenheiten im Kirchlichen Bereich“ steht, nämlich „EGG“. Wer ist nun dieser Mann, der in der BND-Hierarchie noch über Bundesministern und deutschen Bischöfen zu stehen scheint? Klar ist: „EGG“ muss auch in der Kirche eine besondere Rolle einnehmen. Und er muss ein Südtiroler sein. Auch das geht aus dem internen BND-Schriftverkehr hervor. So fragt der „Strategische Dienst“ im BND im Jänner 1962 bei Wolfgang Langkau zu einem Lagebericht von „SV EGG“ zu Südtirol nach: „Da der Verfasser in der Materie lebt, hat er neue Erkenntnisse?“16
Hinter „SV EGG“ verbirgt sich ein kaum bekannter Südtiroler Theologe, der im Vatikan jahrzehntelang eine Spitzenposition einnimmt: Karl „Carolus“ Egger (1914–2003). Karl Egger, der sich auch Carlo oder Carolus Egger nennt, wird am 10. Februar 1914 in Silz bei Innsbruck geboren und wächst in Sterzing auf, von wo seine Familie stammt. Nach dem Besuch des Vinzentinums in Brixen tritt er 1933 einem Konvent der lateranensischen Chorherren in Gubbio bei und wird 1937 zum Priester geweiht. Er promoviert am päpstlichen Institut Angelicum in Theologie und an der römischen Universität La Sapienza in alter Literatur und Philosophie. Seit seinen Oberschuljahren widmet sich Karl Egger der lateinischen Sprache. 1942 wird er zum privaten Hauslehrer der Neffen von Papst Pius XII. 1949 beruft ihn Papst Pius XII. zum Mitarbeiter des „Ufficio Latino“ im Vatikanischen Staatssekretariat. Schon bald steigt der Südtiroler Priester dort zum Chef-Latinisten des Vatikans auf. Egger dient unter fünf verschiedenen Päpsten als Leiter des lateinischen Büros. Unter Paul VI. gründet der Vatikan die Stiftung „Latinitas“, der er bis zu seinem Tod als Präsident und Ehrenpräsident vorstehen wird.17
Abt und Chef-Latinist Karl Egger: Jahrelang Spitzenquelle des BND im Vatikan.
Carolus Egger hat als Abtprimas − darunter versteht man den obersten Leiter einer Ordensgemeinschaft − der Augustiner Chorherren 1961 die Windesheimer Kongregation der lateranensischen Chorherren wiederbelebt und 1963 in Tor Lupara bei Rom ein erstes Kloster errichtet. 1974 folgt dann eine weitere Klostergründung in Paring bei Regensburg. Dort verstirbt Karl Egger am 1. September 2003.
Während des Zweiten Weltkriegs wird Karl Egger von Papst Pius XII. beauftragt, in Rom als eine Art Vermittler zu den deutschen Besatzern zu fungieren. Da Egger deutscher Muttersprache ist, gelingt es ihm, in direkten Kontakt mit deutschen Generälen zu kommen. Egger kann so vielen Flüchtlingen helfen − vor allem Juden. Unmittelbar nach Kriegsende ist er auch als Seelsorger in den Gefangenenlagern tätig, in denen die Alliierten deutsche Nazis und Soldaten in Italien internieren.
Aus dieser Zeit dürften auch die Kontakte stammen, die in den 1950er-Jahren den Lateinexperten aus dem Vatikan schließlich zur Sonderverbindung des BND machen. Der hohe Status, den „SV EGG“ beim deutschen Nachrichtendienst einnimmt, hat einen einfachen Grund. Im Vatikan ist Latein die Amtssprache, alle Dokumente werden auf Latein verfasst und dann erst in die verschiedenen Sprachen übersetzt. Das heißt: Mit dem Chef-Latinisten hatte der BND einen Mann im Vatikan, der jede öffentliche Stellungnahme des Papstes oder des Staatssekretariats, jede Enzyklika und sämtliche Dokumente der römischen Kurie zu sehen bekommt, lange bevor diese an die Öffentlichkeit gehen. Karl Egger nimmt in diesem Sinne auch beim Zweiten Vatikanischen Konzil und bei der anschließenden Reform der katholischen Liturgie eine führende Rolle ein. Eine solche Spitzenquelle ist für jeden Nachrichtendienst unbezahlbar.
Sonderverbindung „EGG“ dürfte bei mehreren Operationen des BND aktiv mitgewirkt haben, so etwa bei der Operation „Pomeranze“, die der Autor aus den ihm vorliegenden Akten leider nicht rekonstruieren kann. Sicher ist jedoch, dass General Wolfgang Langkau alias „Langendorf“ „seine Sonderverbindung EGG“ ab 1960 vermehrt in Südtirol-Angelegenheiten einsetzt. Eggers Lageberichte und Stellungnahmen zeugen von beeindruckendem Detailwissen. So ist etwa die Darstellung der SVP-internen Kämpfe zwischen der Gruppe um Silvius Magnago und der Gruppe „Aufbau“, die „EGG“ im Herbst 1961 nach Pullach schickt, eine politische Analyse, die sich wie ein Krimi liest. Hier ist ein Gelehrter am Werk, der schreiben kann. Der Mann hat direkte Verbindungen zu Südtiroler Geistlichen und zu Politikern, die dem Chef-Latinisten immer wieder vertrauliche Informationen aus erster Hand liefern. Einer davon ist der SVP-Gründer und Parlamentsabgeordnete Friedl Volgger. So heißt es in einer Stellungnahme von „EGG“ zur „kommunistischen Taktik in Südtirol“:
Dr. Fr. Volgger hat dem Berichterstatter persönlich über seine Kontaktaufnahme mit jugoslawischen Stellen berichtet. Der Berichterstatter hat Dr. Volgger in keiner Weise kommunistische Gesinnung unterstellt, da er ihn ja kennt.18
Dass sich Friedl Volgger und Karl Egger bestens kennen, hat einen einfachen Hintergrund. Beide stammen aus dem Sterzinger Raum und sind 1914 geboren. Volgger und Egger haben auch gemeinsam das Gymnasium Vinzentinum in Brixen besucht.
Viktoria Stadlmayer alias „Stasi“
Anfang Mai 1963 wird der Innsbrucker Universitätsassistent und BAS-Mann Norbert Burger von der deutschen Polizei verhaftet. Bei der Durchsuchung einer konspirativen Wohnung in München am 7. Mai 1963 stellen die Beamten des Bayerischen Landeskriminalamtes auch ein Buchmanuskript sicher. Das Schriftstück mit dem Titel „Die Nachfolger des Judas von Tirol“ ist über 100 Seiten lang. Norbert Burger gibt im Verhör vor der Polizei zu, der Verfasser des Werkes zu sein.19 Im Manuskript geht Burger auch auf die Rolle von Viktoria Stadlmayer, der Leiterin des Südtirol-Referates in der Tiroler Landesregierung, im sogenannten Südtiroler Freiheitskampf ein. Burger erinnert an eine Aussprache mit Stadlmayer, die über Vermittlung des Innsbrucker BAS-Mannes Helmuth Heuberger im Juli 1961 im Haus des damaligen Chefs der Innsbrucker BAS-Gruppe Heinrich Klier stattgefunden haben soll. Dann schreibt Norbert Burger:
Immer wieder taucht die Vermutung auf, dass der Bundesdeutsche Nachrichtendienst, die Organisation Gehlen, ihre Hand bei der Aufdeckung der Südtiroler Freiheitskämpfer im Spiel haben könnte. Die mannigfaltigsten Spekulationen und Kombinationen wurden angestellt. Warum aber in die Ferne schweifen, wenn das Gute (oder hier das Böse) liegt so nah?
Schließlich wissen es nicht nur die Nachrichtenoffiziere in München, dass Frau Doktor Stadlmayer zum Chef dieses Nachrichtendienstes, General Gehlen, intime Beziehungen pflegt.20
Ein harter und absurder Vorwurf? Eine Verleumdung? Könnte sein, denn das Verhältnis zwischen Viktoria Stadlmayer und Norbert Burger gleicht jenem zwischen Hund und Katze. Die Nordtiroler Leiterin des Südtirol-Referates hat alles nur Mögliche unternommen, um den Einfluss des Rechtsradikalen und späteren Gründers der österreichischen Nationaldemokratischen Partei (NDP) Norbert Burger in und um Südtirol zu schmälern. Andererseits hatte Norbert Burger durchaus Kontakte zu BND-Mitarbeitern, demnach könnte einer dieser BND-Leute, die mit den rechten Kreisen um Burger sympathisiert haben, diese Geschichte durchgestochen haben. Tatsache ist, dass der Kontakt Gehlen-Stadlmayer nicht aus der Luft gegriffen ist. Das belegen die Akten aus dem BND-Archiv.
Fast alle Berichte aus und über Südtirol gehen direkt zum Leiter des Nachrichtendienstes Reinhard Gehlen. Der Chef der Org. und des BND hat ein besonderes Interesse an Südtirol, er selbst und sein engstes Umfeld sind in den 1950er- und 1960er-Jahren in Sachen Südtirol nachrichtendienstlich aktiv tätig. Das zeigt neben vielen anderen Dokumenten auch eine unscheinbare Notiz in den Pullacher Akten zu Südtirol. Anfang 1965 verfasst der Leiter der Abteilung „Gegenspionage“, Hans Georg Langemann alias „Lückrath“, einen Übersichtsbericht über den „Kommunistischen Einfluss in der Südtirol-Frage“, der für Reinhard Gehlen persönlich bestimmt ist. „Nach Abflauen der Hauptattentatswellen war der BND in der Südtirol-Frage nur mehr rezeptiv tätig, ohne aktive Aufklärungsoperationen zu betreiben“, schreibt Lückrath einleitend. Der Bericht geht wenig später an den Verfasser zurück, versehen mit einer handschriftlichen Anmerkung seines Vorgesetzten Wolfgang Langkau genau an dieser Stelle. Langkau schreibt: „Laut 106 nicht zutreffend, da eigene Quellen bzw. Operationen bei 106 laufen.“21 Hinter der Tarnziffer „106“ verbirgt sich Reinhard Gehlen, der Gründer und erste Präsident des BND. Gehlen ist tatsächlich jahrelang persönlich in die Nachrichtenbeschaffung rund um Südtirol involviert und er kann dabei auf eine ganz besondere Quelle zurückgreifen.
Gehlen-Notiz zu Norbert Burger: Das geschwungene G des BND-Präsidenten als Signatur.
Viktoria Stadlmayer (1917–2004) wird bis heute als die Grande Dame der Südtirol-Politik bezeichnet. In Brixen als Tochter des österreichischen Offiziers Rüdiger Stadlmayer und der Gräfin Elisabeth von Wolkenstein-Trostburg geboren, wächst sie im Netz des europäischen Hochadels auf. Ihre Kindheit und Jugend sind durch häufige Ortswechsel geprägt. So lebt sie in Korneuburg, Bad Reichenhall, Aigen bei Salzburg, Eisenerz, Wien, Wallsee, Dortmund, Kramsach, Berlin und Ostpommern. Die Sommerwochen verbringt sie dabei immer wieder auf der Trostburg in Waidbruck.22
Bereits als junges Mädchen sympathisiert Viktoria Stadlmayer mit dem NS-Regime. Noch als Schülerin am Innsbrucker Mädchengymnasium wird sie 1934 Mädelschaftsführerin im „Bund Deutscher Mädchen“ (BDM) und im Juni 1935 wegen ihrer illegalen NS-Aktivitäten aus der Schule ausgeschlossen. Stadlmayer legt deshalb 1936 ihre Reifeprüfung in Berlin ab und beginnt dort an der Deutschen Hochschule für Politik ein Studium der Politikwissenschaft. Nach dem Anschluss Österreichs wechselt sie an die Uni Wien, wo sie Geschichte und Volkskunde studiert. Nebenbei fungiert sie als Blockwart der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt. 1938 tritt sie der NSDAP bei. Ihren Mitgliedsantrag stellt sie als „alte Kämpferin“23.
Nach der Promotion in Wien 1941 wechselt sie in die Gauverwaltung nach Innsbruck, wo sie im „Institut für Landes- und Volksforschung“ tätig wird. Ihre Hauptaufgabe ist dort vor allem die Presseauswertung und die politische Analyse zu Südtirol. Genau das wird dann das Thema sein, das Viktoria Stadlmayer zeit ihres Lebens begleiten wird.
Als „NS minderbelastet“ eingestuft, arbeitet Stadlmayer ab Sommer 1945 in der bei der Tiroler Landesregierung neu eingerichteten „Landesstelle für Südtirol“. Später wird daraus das „Referat S“ werden. Die resolute Frau knüpft somit wieder dort an, wo sie zu Kriegsende aufgehört hat. Schon bald geht in der österreichischen Südtirol-Politik nichts mehr ohne „die Stadlmayer“. Sie wird nicht nur der Kopf des Südtirol-Referats, sondern auch Mitglied der österreichischen Expertenkommission, die mit Italien über Südtirol verhandeln soll. Eine sechswöchige Haft im Mai/Juni 1961 in Bozen macht Viktoria Stadlmayer international bekannt und zu einer Galionsfigur des Südtirol-Konflikts. Die Hofrätin (zu der sie 1969 ernannt wird) und ihr Amt werden so jahrzehntelang zu einer der wichtigsten Anlaufstellen für Journalisten, Wissenschaftler und Politiker, die sich mit Südtirol beschäftigen.
Schon sehr bald entwickelt aber auch der deutsche Nachrichtendienst Interesse an Viktoria Stadlmayer und ihrem Wissen um Südtirol. Das geht aus den Akten hervor, die 55 Jahre später vom BND freigegeben werden. Offiziell ist der Name der Quelle zwar geschwärzt, doch bei genauerer Recherche wird schnell klar, dass Stadlmayer jahrzehntelang den bundesdeutschen Nachrichtendienst mit Informationen versorgt hat. Die Innsbrucker Hofrätin wird in Pullach mit einem Decknamen bedacht, der sich an ihren Schreibnamen anlehnt, aber einen ganz besonderen Beigeschmack hat. Stadlmayer wird spätestens ab 1962 vom BND als Sonderverbindung „Stasi“ geführt.24
Viktoria Stadlmayer (nach ihrer Freilassung im Juni 1961 am Brenner): Jahrelang Informationen zu Südtirol nach Pullach geliefert.
Die Zusammenarbeit mit Viktoria Stadlmayer dürfte aber bereits in den 1950er-Jahren unter der Org. begonnen haben. Die Innsbrucker Südtirol-Expertin wird dabei von Beginn an in der obersten Leitungsebene des deutschen Nachrichtendienstes angesiedelt. Ihre Informationen werden anfänglich vom engen Intimus von Reinhard Gehlen Hans Walter Julius Winter (1915–1985), Deckname „Wilden“, ausgewertet. Nach der Umwandlung der Org. in den BND wird Stadlmayer 1957 dann als „Quelle 70“ in Pullach registriert. Auch das macht deutlich, dass Burgers Manuskript nicht aus der Luft gegriffen ist. Denn hinter der Tarnziffer „70“ verbirgt sich zu diesem Zeitpunkt BND-Präsident Reinhard Gehlen.
Nachrichtendienstlich geführt wird Viktoria Stadlmayer von einer Frau, die innerhalb des BND den eindeutig größten Einfluss auf Reinhard Gehlen hat und deren Biografie einige Parallelen zum Lebensweg der Innsbrucker Hofrätin aufweist. Annelore Krüger (1922–2012) wird als Tochter eines Arztes in der pommerischen Kleinstadt Köslin im heutigen Polen geboren. 1940 legt sie die Reifeprüfung ab, besucht zuerst eine Fremdsprachenschule (Englisch/Spanisch), um dann ein Studium aufzunehmen. Doch sie wird kriegsdienstverpflichtet und landet schließlich bei Gehlens Abteilung „Fremde Heere Ost“ (FHO). Dort baut die 20-jährige Schreibkraft zuerst eine „Bandenkartei“ auf und wird dann als Sekretärin in das Vorzimmer Reinhard Gehlens versetzt. Auf eigenen Wunsch wird sie schließlich im Referat „Feindpropaganda“ tätig, wo sie vor allem die ausländische Presse auswertet. Als Reinhard Gehlen nach der Kapitulation mit seinen engsten Getreuen und den wichtigsten Akten aus dem FHO-Archiv in eine Berghütte nach Bayern flieht, ist auch Krüger mit dabei.25
Todesanzeige für Gehlens rechte Hand und Geliebte Annelore Krüger: Unter ihrem Alias „Kunze“ führte sie auch die Sonderverbindung „Stasi“.
Auch im Nachkriegsdeutschland bleibt Annelore Krüger ihrem Chef treu. Mit 1. Mai 1947 wird die junge Frau formal von der Org. übernommen. Sie wird nicht nur zur Vorzimmerdame und wichtigsten Mitarbeiterin von Reinhard Gehlen, sondern sie ist bis zu seinem Tod auch die Geliebte des Leiters des deutschen Nachrichtendienstes. Annelore Krüger tritt schließlich in den BND ein, wird zuerst Beamtin, und Gehlen schafft es über Staatssekretär Hans Globke, dass seine Büroleiterin 1961 mit 39 Jahren zur Regierungsrätin und drei Jahre später zur Oberregierungsrätin befördert wird. Für Reinhard Gehlen ist Annelore Krüger eine absolute Vertrauensperson, deshalb bindet er sie von Beginn an auch in seine nachrichtendienstliche Arbeit voll ein. Gehlen übergibt seiner Geliebten dabei besonders sensible Aufgaben. So ist Annelore Krüger jahrzehntelang unter dem Decknamen „Kunze“ und der Tarnziffer „106/II“ (unter dieser firmieren auch andere Mitarbeiter) Teil der operativen Arbeit des BND und seines Chefs. Das heißt: Sie leitet Operationen und sie führt auch selbst Quellen, die zumeist von Gehlen persönlich angeworben werden.
Annelore Krüger alias „Kunze“ führt so auch die Sonderverbindung „Stasi“. Dabei dürften sich die beiden Frauen durchaus gut verstanden haben. Fast gleich alt (Krüger ist fünf Jahre jünger), mit ähnlichem Lebensweg, beide mit Bezug zu Pommern: Viktoria Stadlmayer hat dort familiäre Beziehungen und in ihrer Kindheit und Jugend immer wieder Zeit dort verbracht, Krüger kommt aus Pommern. In den BND-Akten finden sich Dutzende Protokolle von Besprechungen zwischen „Kunze“ und „Stasi“ aus den Jahren 1956 bis 1968. Aus den Akten geht dabei auch hervor, dass Viktoria Stadlmayer bewusst immer wieder die Hilfe von Reinhard Gehlen und des BND in Sachen Südtirol eingefordert hat. Anfänglich geht es in den Berichten vor allem um die politischen Entwicklungen in Südtirol und um eine mögliche Unterstützung durch deutsche Stellen. Stadlmayer berichtet dabei mehrmals auch über die Haltung und Initiativen von Otto von Habsburg in Sachen Südtirol. So beschreibt sie auch ein Treffen, das Ende 1956 zwischen dem Sohn des letzten österreichischen Kaisers und dem Südtiroler Nachrichtenoffizier Christoph Alexander von Hartungen (auch „Cristofero De Hartungen“) stattgefunden hat. Von Hartungen war Agent des faschistischen Nachrichtendienstes „Servizio Informazioni Militare“ (SIM) gewesen, hatte in den letzten Kriegsjahren mit dem US-amerikanischen „Office of Strategic Service“ (OSS) und dem italienischen Widerstand zusammengearbeitet und war auch nach dem Krieg für den italienischen Militärnachrichtendienst tätig. Hartungen nahm sich 1959 unter mysteriösen Umständen in Südtirol das Leben.26 Im BND-Bericht von „Kunze“ heißt es: „Der Onkel von Major Hartungen ist Hausarzt von [Name geschwärzt – Anm. d. Autors] in Innsbruck.“27. Gemeint ist hier der bekannte österreichisch-italienische Kurarzt Erhard Hartung von Hartungen (1880–1962), der als Pensionist in Innsbruck noch eine Reihe von Privatpatientinnen betreute. Unter ihnen war auch Viktoria Stadlmayer.28 Dass Stadlmayer Details über die Haltung Ottos von Habsburg zu Südtirol und dessen politische Überzeugung nach Pullach übermitteln kann, liegt daran, dass beim besagten Treffen auch ihr Cousin Dietrich von Wolkenstein-Trostburg mit von der Partie ist. Der gebildete Adelige, Anhänger der Weltföderalisten, der 1961 für den deutschen Zweig dieser Bewegung auch ein Buch veröffentlicht,29 ist ein Freund von Christoph Alexander von Hartungen. Von ihm dürfte Stadlmayer die Details erfahren haben.