Kitabı oku: «Segretissimo, streng geheim!», sayfa 5
Der Vertrauensjournalist
Der Bericht von Kurt Weiß macht deutlich, dass der BND bereits in der Organisationsphase des „Befreiungsausschusses Südtirol“ über detaillierte Informationen aus dem Innenleben der illegalen Untergrundbewegung verfügt. „Winterstein“ beschließt das Schreiben an seinen Chef Reinhard Gehlen mit dem vielsagenden Satz:
Über die bestehende Untergrundbewegung in Südtirol liegen noch zahlreiche Einzelerkenntnisse (über Ausbildung, Absichten usw.) vor, die zusammengestellt und nachgemeldet werden können.10
Der Leiter der „Politischen Beschaffung“ kann nämlich auf ein ganzes Netz von Informanten, Agenten und Zuträgern zurückgreifen, die periodisch Berichte aus und über Südtirol liefern. Allein zwischen 1956 und 1969 lassen sich über 50 verschiedene Personen ausmachen, die als V-Leute beim BND registriert sind und zumeist für Geld jahrelang Informationen über Südtirol liefern. Das inhaltliche Spektrum reicht dabei von detaillierten Beschreibungen der Personen, die sich im BAS engagieren, über Meldungen zu geplanten Anschlägen bis zu rein politischen Berichten über die Südtiroler Volkspartei (SVP) und ihre verschiedenen parteiinternen Grabenkämpfe.
In den Akten finden sich auch Berichte von sogenannten Sonderverbindungen (SV). Es sind BND-Mitarbeiter mit einem besonderen Status, zu deren Aufgabe es auch gehört, Stellungnahmen zu Berichten anderer Informanten zu verfassen. So finden wir Berichte, die über 30 Seiten lang sind und etwa die politische und gesellschaftliche Situation in Südtirol rund um Sprengungen in der sogenannten Feuernacht im Juni 1961 detailgenau beschreiben und analysieren. Anhand der Pullacher Akten lassen sich aber auch bisher unbekannte einzelne Operationen nachzeichnen, die der BND zum Südtirol-Komplex geplant und durchgeführt hat.
Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, auf die Vielzahl der Informanten detailliert einzugehen. Anhand einiger Fallbeispiele von V-Leuten, die im Südtirol-Komplex eine besonders wichtige Rolle spielen, soll die Spitzelarbeit des BND rund um Südtirol anschaulich gemacht werden. So etwa stammt die Information über die BAS-Ausbildung in Nord- und Südtirol aus einem Bericht des Informanten „V-21 503“. Der BND-Zuträger meldet am 24. November 1960:
Die illegale Bewegung in Südtirol erfährt weitgehende Unterstützung von Nordtirol. Im Kreis der deutschen Politiker in Südtirol wird erklärt, dass diese Unterstützung von Innsbruck her die eigentliche Hauptgefahr sei; ohne diese Unterstützung wäre die Entwicklung in Südtirol gar nicht so sehr forciert worden. Vor einigen Wochen fand in einem Gebirgstal in Nordtirol ein mehrtägiges Manöver für Angehörige der illegalen Bewegung statt, dessen Teilnehmer in Handgranatenwerfen und am MG ausgebildet wurden. Auch in Südtirol fanden in letzter Zeit Übungen statt, so in einem Ausbildungslager in Mühlwald. Eine weitere Gefechtsübung wurde im Tauferertal und eine dritte in Passeier durchgeführt.11
Der BND-Informant führt im Bericht zudem aus, dass die Nordtiroler Polizei kurzzeitig zwei junge Burschen verhaftet habe, die Sprengstoff nach Südtirol schmuggeln wollten, und dass die Sache in Österreich bewusst vertuscht wird.
Hinter „V-21 503“ verbirgt sich der deutsche Journalist und Schriftsteller Ernst Christoph Schepky (1897–1970).12 Auch er ist einer derjenigen ehemaligen Nazis, die im Nachkriegsdeutschland im BND eine zweite berufliche Heimat finden. Der in Kieslingswalde in Schlesien (heute das polnische Sławnikowice) geborene Schepky meldet sich im Ersten Weltkrieg als Kriegsfreiwilliger und gerät in der Türkei in englische Kriegsgefangenschaft. Danach arbeitet er als Schriftleiter und als Korrespondent verschiedener Zeitungen. Ab 1930 lebt er in Wien und engagiert sich dabei offen für die NSDAP. Im August 1933 wird er aus Österreich ausgewiesen, weil er „vertrauliche Lageberichte“ veröffentlicht hatte. Nach seiner Ausweisung geht er nach Budapest, wo er ab Mai 1937 Pressereferent und Kulturreferent der Landeskreisleitung der NSDAP in Ungarn wird. Mit dem Anschluss Österreichs an Deutschland kehrt Ernst Christoph Schepky nach Wien zurück und arbeitet als „Südostberichterstatter“ für eine Reihe reichsdeutscher Zeitungen, wie der „Essener National-Zeitung“ oder dem NS-Kampfblatt „Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter“. Auch nach 1945 ist er offiziell weiterhin als Journalist tätig. Zwischen 1954 und 1960 betreibt er in Stuttgart ein „Büro für Presseauswertung“ und fungiert ab 1966 als Herausgeber und Chefredakteur einer „Internationalen Presseschau“.13
In Wirklichkeit aber sind diese offiziellen Tätigkeiten nur eine Legende für seine Arbeit für den BND. Ernst Christoph Schepky arbeitet jahrelang als Informant und Mitarbeiter des deutschen Nachrichtendienstes. So ist er dauerhaft etwa für den BND in jener Abteilung tätig, die Spionage gegen die Tschechoslowakei betreibt. Dort arbeitet er eng mit dem BND-Abteilungsleiter Ernst Worm („V-3597“) zusammen. Aber auch Südtirol ist ein bevorzugtes Einsatzgebiet von Ernst Christoph Schepky. „V-21 503“ ist dabei äußerst vielseitig einsetzbar. Mit besten Kontakten in Wien – wo der ehemalige Nazi als Vertrauensjournalist der Sozialdemokratischen Partei Österreichs SPÖ gilt – gelingt es ihm, genauso eine Analyse über die Wiener Südtirol-Politik für Pullach anzufertigen wie über BAS-Interna zu berichten. Immer wieder taucht Schepky zwischen 1960 und 1967 für Recherchen auch in Südtirol auf. Schon bald wird er zum gefragten Ansprechpartner für viele SVP-Politiker und gewinnt deren Vertrauen.
Artikel von Ernst Christoph Schepky in NS-Blatt (rechts): Nach dem Krieg jahrelang für den BND als Südtirol-Informant tätig.
In einem Begleitbericht schreibt Schepkys Vorgesetzter Ernst Worm im November 1967:
Quelle weist darauf hin, dass sie Anfang Dezember Gelegenheit haben wird mit [Name geschwärzt – Anm. d. Autors] zusammenzutreffen und sich auch hinsichtlich dieser „neuen Aspekte“ des Südtirol-Problems eingehend zu informieren. Anschließend wird Quelle mit ihr persönlich nahestehenden führenden Persönlichkeiten der Südtiroler Volkspartei (SVP) beziehungsweise der Südtiroler Landesregierung – anlässlich der Tagung des Landesvorstandes der SVP – zusammentreffen.14
„V-21 503“ meldet alles, was er erfährt, nach Pullach. Manchmal sind es ein halbes Dutzend Berichte, die er in einer Woche aus Bozen oder Wien dem BND übermittelt. In einer seiner ersten Meldungen denunziert er den in Südtirol verheiratete deutschen Schriftsteller und Rundfunkautor Otto Heinrich Klingele (1917−1995) als einen Unterstützer des BAS.15 Im November 1960 fertigt Schepky eine längere Analyse der Ergebnisse der Südtiroler Landtagswahlen vom 6. November 1960 an und informiert Pullach mehrmals über die Tätigkeit und Funktion von Wolfgang Pfaundler im BAS. Bereits im Mai 1960, also ein Jahr vor den Bombenanschlägen der Feuernacht, schreibt Ernst Christoph Schepky in einem BND-Bericht über den BAS:
Nach wie vor besteht eine Untergrundbewegung in Südtirol. Ihre zahlenmäßige Stärke und ihre faktische Stoßkraft sind jedoch nicht festzustellen. Zur Beurteilung dieser Frage ist ferner die Feststellung wichtig, dass häufig eine radikale Auffassung, besonders bei jüngeren Angehörigen der Volksgruppe, herrscht, dass diese radikale Auffassung aber nicht gleichgesetzt werden kann mit einer bestimmten militärischen oder auch nur aktivistischen Potenz. […] Die Untergrundbewegung verfolgt im Wesentlichen folgende Ziele: Es ist falsch und zu verurteilen, Sprengstoffanschläge gegen Eisenbahnen oder Kasernen der Italiener zu unternehmen. Es ist zu vermeiden, dass durch derartige Aktionen Menschen zu Schaden kommen. Vielmehr erscheint es zweckmäßig, Hochspannungsleitungen auf größere Strecken hin zu zerstören, um dadurch wirtschaftliche Verluste herbeizuführen: Verluste, die in erster Linie italienische Betriebe treffen, die auf diesen Strom angewiesen sind. […] Es scheint bereits ein entsprechender Plan ausgearbeitet zu sein. Es steht aber nicht fest, ob eine einheitliche Leitung derartiger Aktionen gesichert ist. In der Untergrundbewegung wird betont, dass Österreich und die BRD die moralische Verpflichtung hätten, in einem solchen Fall die Stimme zu erheben. Die großen weltpolitischen Probleme werden überhaupt nicht berücksichtigt: die Südtiroler können nicht warten, bis eine Änderung der internationalen Konstellation eingetreten sei.16
„V-21 503“ beschreibt Ende 1960 die Situation und die Gangart im BAS äußerst realistisch und er informiert seinen Dienstgeber auch darüber, dass man innerhalb der Attentätergruppe bereits jetzt konkret über eine finanzielle Unterstützung der Familien aus Österreich und Deutschland nach möglichen Verhaftungswellen diskutiere. Fortsetzung
Diener zweier Herren
Der deutsche Journalist Herbert Lucht ist eine der Spitzenquellen des BND in Sachen Südtirol. Gleichzeitig arbeitet Lucht aber auch für die tschechoslowakische Staatssicherheit StB.
Das Schreiben geht an Bruno Kreisky (1911–1990) persönlich. Der Absender: Herbert Lucht. Der Journalist übermittelt dem österreichischen Außenminister die Abschrift eines Interviews, das er kurz vorher mit ihm geführt hat, und einen weiteren Artikel über einen Vortrag von Kreisky in Budapest. Dass Lucht einen besonderen Draht zu Kreisky hat, geht aus dem Begleitschreiben hervor. Dort schreibt der Journalist:
Inzwischen hatte ich durch einen Zufall mit dem übergeschnappten Dr. Burger Berührung (in der Bundesrepublik allerdings), der mir großzügig sogar ein „Interview“ gewährte. Vielleicht haben Sie in den Zeitungen darüber gelesen. In Südtirol – doch das, bitte, nur zu Ihrer persönlichen Information – lagern 2.000 kg Sprengstoff („Für weiteren Nachschub ist gesorgt …“), die durchwegs aus Österreich stammen sollen. In einem persönlichen Gespräch bin ich gerne bereit, Ihnen nähere Angaben zu machen. Interessant mag vielleicht noch sein, dass Mittelsmänner der sowjetischen Botschaft in Wien 1960, bereits vor der ersten „Terrorwelle“ also, an die „Bumser“ herangetreten seien und ihnen finanzielle und auch materielle Unterstützung unter der Bedingung zugesagt haben sollen, dass sie ihre „Aktionen“ auch auf die in Südtirol befindlichen Nato-Basen ausdehnten. Sie hätten diese Forderung abgelehnt und seither die Feindschaft der Kommunisten gegen sich.17
Bruno Kreisky nimmt das Schreiben so ernst, dass er den Brief mit einem großen P versieht, was so viel wie „Panzerschrank“ bedeutet.
Herbert Lucht ist ein Vollblutjournalist. Der 1925 in Danzig geborene Lucht lebt seit Mitte der 1950er-Jahre in Wien und arbeitet dort als Korrespondent für ein Dutzend deutscher Zeitungen. Seine Artikel erscheinen im „General Anzeiger“ (Bonn), im „Wiesbadner Kurier“, in der „Passauer Neuen Presse“, im „Echo der Zeit“ aber auch in der „Züricher Woche“, der Münchner Wochenzeitung „Aktuelle“ oder der Wiener „Wochenpresse“. Lucht schreibt über österreichische Innenpolitik, beginnt sich ab 1960 aber auch brennend für Südtirol zu interessieren. Immer wieder hält sich der Wiener Journalist in Südtirol auf. Im Frühjahr 1962 kommt es zu einem Zwischenfall, der internationales Aufsehen erregt. Herbert Lucht schreibt für die „Wochenpresse“ unter dem Titel „Schmutzige Hände“ einen Artikel über die Misshandlungen der Südtiroler BAS-Leute in den Carabinieri-Kasernen. Der Artikel erscheint am 17. Februar 1962 und wird in den Wochen darauf von unzähligen Zeitungen im deutschsprachigen Raum übernommen.
Unmittelbar nach Erscheinen des Artikels leitet die Staatsanwaltschaft Bozen Ermittlungen gegen Herbert Lucht wegen Schmähung der Carabinieri und der italienischen Gerichtsbarkeit ein. Als sich der deutsche Journalist im April 1962 wieder in der Südtiroler Landeshauptstadt aufhält, wird er in die Quästur gebracht und dort vom Leiter der politischen Polizei Giovanni Peternel (*1915) verhört. Die Staatsanwaltschaft erhebt später auch Anklage gegen Herbert Lucht. Als prominente in- und ausländische Journalisten eine Solidaritätskampagne für ihren Kollegen lostreten und der Fall international zum Thema gemacht wird, schlägt man das Verfahren still und leise nieder.18
Was niemand zu diesem Zeitpunkt ahnt: Der deutsche Auslandnachrichtendienst wirbt Herbert Lucht 1960 als „V-3020“ an.19 Der Wiener Journalist führt Aufklärungsaufträge für den BND durch, so recherchiert er 1962 in Bozen zum „Bert Brecht Verein“ (Verein und Bücherei) oder zum neu gegründeten „Südtiroler Wirtschafts- und Sozialinstitut“. Im BND-Bericht heißt es:
Das „Südtiroler Wirtschafts- und Sozialinstitut“, gegründet etwa 1960, befasst sich mit wissenschaftlichen Analysen und Gutachten und hat nach Ansicht der Tiroler Landesregierung keinerlei Verbindung mit politischen und semipolitischen Organisationen. Es wird als „einwandfrei und harmlos“ bezeichnet. Der Geschäftsführer, Dr. Christoph Pan, ist, ebenso wie der Präsident, Dr. Otto Pattis, und der Vizepräsident, Direktor Fuchs, gläubiger und kirchentreuer Katholik.20
1962 nimmt Herbert Lucht Kontakt zu Norbert Burger auf. Der österreichische BAS-Mann vertraut dem Wiener Journalisten und gewährt ihm mehrere Interviews. „V-3020“ berichtet darüber pflichtbewusst nicht nur an Bruno Kreisky, sondern auch an seinen Dienstgeber nach Pullach. So heißt es in einem seiner Berichte für den BND im Sommer 1962:
Die Angaben Dr. Burgers über die bezeichneten Vorgänge scheinen nicht übertrieben zu sein. Bei Zusammenkünften mit Quelle im Café „Landmann“ und Café „Eiles“ waren jeweils an Nachbartischen Studenten, die immer wieder zu Dr. Burger kamen, ihm Fragen stellten und Weisungen erbaten. Quelle entnimmt daraus, dass Dr. Burger noch weiterhin sehr aktiv konspirativ tätig ist. Dr. Burger versprach Quelle, ihr 12 Stunden vor der geplanten Flugzettelaktion in Österreich ein Exemplar zuzustellen.21
Journalist und Doppelagent Herbert Lucht: Bewusste Annäherung an Norbert Burger.
StB-Agent Otakar Svěrčina: Wirbt Herbert Lucht für die tschechoslowakische Staatssicherheit an.
Im August 1963 organisiert Norbert Burger eine Art Exklusiv-Gespräch. In einer Wohnung in Garmisch-Partenkirchen sollen drei Südtiroler BAS-Männer und ein Innsbrucker Helfer ausgewählten Journalisten Rede und Antwort stehen. Doch die vier Männer erscheinen an diesem 18. August nicht. So gibt Norbert Burger Herbert Lucht ein Interview – und vier Tage später liegt die Abschrift des Gesprächs in Pullach. Im Begleitschreiben heißt es:
In der Anlage wird der Entwurf eines Interviews zwischen dem Wiener Journalisten Herbert Lucht und Dr. Norbert Burger überreicht. Lucht will versuchen, dass dieses Interview publiziert wird. Falls Aufklärungswünsche bestehen, wird um eilige Mitteilung gebeten.22
Die Annäherung von Herbert Lucht an Norbert Burger entspringt nicht eigenem Interesse, sondern ist ein Dienstauftrag. Doch es ist kein Auftrag des deutschen Nachrichtendienstes an seinen „V-3020“, sondern eines anderen geheimen Arbeitgebers. Herbert Lucht beschäftigt sich journalistisch zeit seines Lebens mit dem Osten. Er schreibt mehrere Bücher und längere Beiträge über Ungarn, die Tschechoslowakei und Bulgarien. Jahrelang versucht er als Korrespondent nach Prag zu gehen, erhält aber keine Aufenthaltsgenehmigung.
Bereits 1956 freundet sich Lucht mit dem Prager Journalisten Otakar Svěrčina (* 1925) an. Dieser arbeitet von 1948 bis 1989 für die tschechische Nachrichtenagentur ČTK, von 1964 bis 1969 als Korrespondent in Bonn und danach als ČTK-Generaldirektor. Der Prager Journalist ist auch Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei und sitzt von 1971 bis zur „Samtenen Revolution“ 1990 in der tschechischen Abgeordnetenkammer. Otakar Svěrčina arbeitet aber auch gut 40 Jahre lang für den tschechoslowakischen Nachrichtendienst „Státní bezpečnost“ (StB). Unter den Decknamen „Othmar“ und „Veverka“ liefert der Journalist Informationen und wirbt Informanten für den StB an.
Vier Jahre lang treffen sich Svěrčina und Lucht immer wieder in Wien und Prag. Im StB-Akt von Herbert Lucht findet sich ein ausgedehnter privater Briefwechsel zwischen den beiden. Otakar Svěrčina dürfte dabei von Anfang an die Aufgabe gehabt haben, den deutschen Journalisten als Auslandsagenten für den StB anzuwerben.23 Im Jänner 1960 ist es soweit: Herbert Lucht unterzeichnet in Wien eine Verpflichtungserklärung. Ursprünglich soll Agent „Lukas“ für den StB nach Deutschland gehen und von dort für die tschechoslowakische Staatssicherheit spionieren. Herbert Lucht ist aber skeptisch. In einem Brief an Otakar Svěrčina („Lieber Otik“) vom September 1960 schreibt er:
Ungeachtet dessen, dass ich mich einfach nicht mit dem Gefühl befreunden kann, eine so verantwortungsvolle und für mich befremdliche Aufgabe von heute auf morgen zu übernehmen, sind mir auch Bedenken gegen die praktischen Möglichkeiten gekommen. Seid ihr da nicht etwas zu optimistisch? […] Ich bin Journalist, genauso wie du; ein Mann also, der von Haus aus skeptisch ist und immer nur Konkreta gelten lässt. Die sehe ich hier für mich nicht, noch nicht.24
Tatsache ist, dass sich Herbert Lucht 1960 gleich an zwei Nachrichtendienste bindet. Zum einen wird er für den BND tätig, zum anderen für den StB. Agent „Lukas“ arbeitet sechs Jahre lang für die tschechoslowakische Staatssicherheit und liefert dabei Berichte über die deutsch-österreichischen Beziehungen, die österreichische und die deutsche Innenpolitik sowie über das deutsch-italienische Verhältnis. Mit der Zeit übernimmt er auch Aufklärungsaufträge des StB zur „Sudetendeutschen Landmannschaft“, zum BAS und vor allem zu Norbert Burger.
Im Laufe der Zeit merkt die tschechoslowakische Staatssicherheit aber, dass mit ihrem Agenten „Lukas“ etwas nicht stimmt. Im StB-Akt heißt es:
Während der Zusammenarbeit entstand der begründete Verdacht, dass Lukas ein Agent des Westdeutschen Geheimdienstes BND ist. Daher wurde die Zusammenarbeit unterbrochen.25
Formal abgeschaltet wird der Agent Herbert Lucht vom StB erst 1967. Aber auch dem BND bleibt die Zusammenarbeit seines „V-3020“ mit der tschechoslowakischen Staatssicherheit nicht verborgen. Im Sommer 1963 schickt der Sachbearbeiter im Bereich „Sicherheit/Gegenspionage“ im „Strategischen Dienst“, Dietrich Praun (DN „Pranner“ und Tarnziffer „348a/II“), einen Bericht von Herbert Lucht über Norbert Burger an den persönlichen Mitarbeiter von BND-Präsident Reinhard Gehlen Eberhard Blum (1919−2003). Blum (DN „Hartig“ und Tarnziffer „106/I“) wird zwischen 1983 und 1985 selbst Präsident des BND werden. Praun schreibt über „V-3020“:
Im Nachgang zur Bezugsmeldung wird bezüglich der Beschaffungsumstände mitgeteilt, dass Dr. Burger die darin wiedergegebenen Äußerungen am 17.8.63 gegenüber einer hier GS-mäßig geführten Verbindung vertraulich angab. Hiesige GS-Quellen brachten im Laufe der nunmehr ca. 3-jährigen Verbindung wiederholt interessante und bestätigte Meldungen. Wegen erkannter Kontakte mit einem Ost-ND liegt die Führung im GS-Bereich. Trotz gegebener Vorbehalte gegen diese Quelle wird die Bezugsinformation für glaubwürdig gehalten.26
Unter dem Kürzel GS versteht man im BND den Bereich Gegenspionage. Eine GS-Quelle ist demnach eine Person, die sowohl mit dem eigenen Dienst als auch mit einem gegnerischen Nachrichtendienst (ND) in Verbindung steht. Während der Agent dem eigenen Dienst diese Verbindung offenlegt, weiß der feindliche Dienst aber nichts von der Zusammenarbeit.27
Aus den BND-Akten geht eindeutig hervor, dass „V-3020“ in Pullach zwar nicht von Beginn an, aber spätestens ab 1963 mit offenen Karten spielt. Der BND duldet die Verbindung von Herbert Lucht zum StB aus eigennützigen Motiven. Denn über die Aufträge und Interessensbekundungen, die Lucht vom StB erhält, kann der deutsche Nachrichtendienst erfahren, was die Tschechoslowaken interessiert. Zudem hofft man, über „V-3020“ auch StB-Agenten und -Informanten in Deutschland auf die Spur zu kommen. Was auch fast gelingt. 1967 aber wird Herbert Lucht alias „Lukas“ vom StB abgeschaltet. Ein Jahr später bekommt der Mann, der ihn für die tschechoslowakische Staatssicherheit angeworben hat, ernsthafte Schwierigkeiten. Otakar Svěrčina, der seit 1965 als ČTK-Korrespondent in Bonn tätig ist, wird im Oktober 1968 von der „Sicherungsgruppe Bonn“, einer Spezialeinheit des Bundeskriminalamtes, die für die Sicherung der höchsten deutschen Institutionen verantwortlich ist, wegen Spionage verhaftet. Sein Haus und sein Büro werden durchsucht. Die Bundesanwaltschaft leitet ein Ermittlungsverfahren gegen Otakar Svěrčina ein, das nach einigen Monaten aber eingestellt wird. Wenig später kehrt Svěrčina nach Prag zurück.
Es spricht vieles dafür, dass der Tipp, der zur Verhaftung führte, aus Pullach kam.
Lucht-Brief an Svěrčina: Gegenspionage-Aktion des BND.