Kitabı oku: «Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen», sayfa 6
Lösung zu Aufgabe 3
Im Sachverhalt wurden die Betroffenen in Gewahrsam genommen. Als Ermächtigung fungiert § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW (Unterbindungsgewahrsam). Hiernach ist eine Gewahrsamnahme zulässig, wenn das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Das VG Schleswig bejahte die Voraussetzungen der Eingriffsnorm in einem entsprechenden Fall (entsprechend § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW).44 Die Betroffenen haben eine Ordnungswidrigkeit begangen, die auch von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit – verkörpert durch die betroffenen Nachbarn – gewesen ist. Angesichts des uneinsichtigen Verhaltens der Ruhestörer ist das Mittel der Ingewahrsamnahme auch „unerlässlich“ zur Beseitigung der Gefahr weiterer Störungen. Wird die Nachtruhe durch laute Musik oder auf sonstige Weise empfindlich gestört, so dürfen die Verursacher in Gewahrsam genommen werden, wenn andere mildere Maßnahmen nicht möglich sind. Vorliegend hätte auch eine Sicherstellung der Anlage in Erwägung gezogen werden können (§ 43 Nr. 1 PolG NRW). Indes mussten die Polizeibeamten damit rechnen, dass die Kläger auch nach Entfernung der Anlage andere Wege – wie das bereits begonnene „Trommeln“ – finden würden, um sich lautstark bemerkbar zu machen. Die Ingewahrsamnahme zwecks Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten ist aus rechtlichen Gründen nicht unproblematisch. Strittig ist hier, ob eine Ingewahrsamnahme zur Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit überhaupt zulässig ist. Diesbezüglich wird ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2c EMRK angenommen, wonach die Freiheit der Person nur zur Verhinderung einer strafbaren Handlung entzogen werden darf. Die Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit wird nicht erwähnt. Aufgrund Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG steht die EMRK im Rang eines Bundesgesetzes. Bei Interpretation nationalen Rechts ist die Konvention zu beachten. Das bedeutet grundsätzlich auch, dass die Konvention als Bundesgesetz dem Landesrecht vorgeht und dass die in Art. 2 ff. EMRK verbürgten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu beachten sind.45 Die Regelung des polizeilichen Unterbindungsgewahrsams ist mit Art 5 Abs. 1 EMRK vereinbar.46 Nach dem BayVerfGH lässt sich nicht feststellen, dass nur die mit Kriminalstrafe bedrohten Handlungen von Art. 5 Abs. 1 Satz 2c EMRK erfasst werden.47 Art. 5 Abs. 1 Satz 2c EMRK lässt auch eine Freiheitsentziehung zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten zu, wenn diese mit erheblichen Gefahren für ein geschütztes Rechtsgut verbunden sind.48 Nach der Rechtsprechung sind die entsprechenden Vorschriften der Polizeigesetze mithin mit Art. 5 EMRK vereinbar.49 Wird also die Nachtruhe durch laute Musik oder auf sonstige Weise empfindlich gestört, so dürfen die Verursacher in Gewahrsam genommen werden, wenn andere mildere Maßnahmen nicht möglich sind. Ob eine Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit vorliegt, kann auch nicht abstrakt, sondern nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden.50
1 Der Sachverhalt ist angelehnt dem Urteil des VG Schleswig v. 15. 6. 1999 – 3 A 209/97, NJW 2000, 970. Mit entsprechenden Fallbearbeitungen auch P-TRE PolR Sachsen, S. 146. — 2 Das Klingeln an der Wohnungstür und die Aufforderung diese zu öffnen, ist nicht notwendigerweise mit einem Betreten (Durchsuchen) verbunden. Insofern liegt ein eigenständiger Grundrechtseingriff in Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) vor. Das Klingeln an der Wohnungstür („Öffnen Sie die Tür“) ist – ebenso wie die „Ermahnung zur Ruhe“ – als selbstständige Verfügung zu qualifizieren. Problematisch ist in derartigen Fällen mitunter die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes. § 43 VwVfG NRW stellt den Zeitpunkt der Wirksamkeit mit der Bekanntgabe gleich. Bekanntgabe bedeutet, dass der Empfänger über den Verwaltungsakt informiert wird. Zuweilen könnte die Bekanntgabe zweifelhaft sein, da nicht unbedingt davon ausgegangen werden kann, dass das Klingeln (Aufforderung) auch wahrgenommen wird. — 3 Hierbei geht es nicht um die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit, sondern um die Verhinderung der Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit. Das aber ist Teil der Gefahrenabwehr. — 4 Vertiefend: Voßkuhle JuS 2007, 908; Schoch JURA 2003, 472. — 5 Grundlegend Britz NVwZ 2019, 672 ff.: Freie Entfaltung der Persönlichkeit – Verfassungsversprechen zwischen Naivität und Hybris? — 6 OLG Düsseldorf NJW 1990, 1676. — 7 Das Öffnen einer Tür wird auch als „Teilhandlung“ zum Betreten und Durchsuchen einer Wohnung angesehen, die vom Adressaten erduldet werden muss; so das VG Düsseldorf, Beschl. v. 28. 9. 1983 – 18 K 1051/82. — 8 Vgl. auch mit einer Fallbearbeitung Springer PIR 1/2009, 46 ff. — 9 Grundlegend zum Wohnungsgrundrecht Braun StaatsR, S. 166 ff. — 10 Puttler JA 2001, 669 (672). — 11 WHM POR NRW, Rn. 196: Die Öffnungsverfügung selbst kann nur auf der Generalklausel (§ 8 Abs. 1 PolG NRW) beruhen, da sich aus § 41 PolG NRW im Hinblick auf den Wortsinn nicht die Befugnis ergibt, den Wohnungsinhaber aufzufordern, die Wohnung aktiv zugänglich zu machen. — 12 Schenke POR, Rn. 115. — 13 Schenke POR, Rn. 152. — 14 Götz/Geis POR, § 12, Rn. 5; Schenke POR, Rn. 115. A.A.Gusy PolR, Rn. 256 („Die Durchsuchung ist als Realakt, nicht hingegen als Verwaltungsakt zu qualifizieren“). — 15 Schenke POR, Rn. 115: Die Anordnung einer Durchsuchung, mit welcher der Betroffene zur Duldung der Durchführungshandlung verpflichtet wird, stellt sich als VA dar, die Durchführung der Durchsuchung dagegen als Realakt. — 16 Kritisch Schmitt/Kammler NWVBl. 1995, 166 (167). — 17 Fehling JA 1997, 482 (483). — 18 Die Prämisse „auch ohne Einwilligung“ wird auch als „eigentlich überflüssig“ betrachtet. Sie darf nicht dahin verstanden werden, es müsste immer erst die Nicht-Einwilligung eingeholt werden, bevor gem. dieser Vorschrift (§ 41 PolG NRW) gehandelt werden könne. Vielmehr will § 41 PolG NRW zum Ausdruck bringen, eine Wohnung dürfe betreten werden, ohne dass es auf das Vorliegen einer Einwilligung ankäme. Wenn eine Einwilligung vorliegt, geht der Wohnungsbetretung der Eingriffs-Charakter ab und es stellen sich keine rechtlichen Probleme, jedenfalls solange die Polizei nur überhaupt im Rahmen polizeilicher Aufgaben handelt, Schmitt-Kammler NWVBl. 1995, 166 (dort. Fn. 11). — 19 Vertiefend: Robrecht apf 2006, 199 ff. — 20 BVerfG NJW 2001, 1121 (1123). — 21 Tegtmeyer/Vahle PolG NRW, § 42, Rn. 1. — 22 Knemeyer POR, Rn. 218; nach a. A. ist die Adressateneigenschaft nach den Inanspruchnahmenormen zu prüfen. Den Adressaten aus der Ermächtigung zu nehmen mit dem Hinweis, er sei Wohnungsinhaber, ist nicht sachgerecht, da es seine Rechtsposition unzulässigerweise verkürzt, wenn die Gefahr weder von der Wohnung ausgeht oder noch der Wohnungsinhaber sie verursacht hat, vgl. Tetsch ER Bd. 2, S. 108. — 23 Nimtz/Thiel ER, Rn. 905. — 24 Nach anderer Auffassung ist für diese Maßnahme § 8 PolG NRW zu prüfen. Allerdings ergibt sich dann die Situation, dass nach dem Türöffnen zusätzlich § 41 PolG NRW zu prüfen ist. Daher wird hier dem ersten Lösungsweg der Vorzug gegeben, vgl. auch Springer PIR 1/2009, S. 46 (47). — 25 Tegtmeyer/Vahle PolG NRW, § 41 Rn. 3. — 26 P-TRE PolR Sachsen, S. 57. — 27 BVerwG NJW 1975, 130. — 28 Götz/Geis POR, § 8, Rn. 50. — 29 Die Nachtzeit umfasst vom 1. April bis zum 30. September die Stunden von 21.00 Uhr bis 4.00 Uhr und vom 1. Oktober bis zum 31. März die Stunden von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr; vgl. nun BVerfG, Beschl. v. 12. 3. 2019 – 2 BvR 675/14, NJW 2019, 1428: Der Begriff Nachtzeit ist in § 104 Abs. 3 StPO abschließend definiert, der indes aus der Zeit gefallen ist und für eine bäuerlich geprägte Lebenswelt konzipiert war, in der der Arbeitstag im Sommer morgens um 4 Uhr begann. Weil aber nach den heutigen Lebensgewohnheiten zumindest die Zeit zwischen 21 Uhr und 6 Uhr ganzjährig als Nachtzeit anzusehen ist, erstreckt sich nach der Entscheidung des BVerfG v. 12. 3. 2019 der Schutz vor nächtlichen Wohnungsdurchsuchungen auch in den Monaten April bis September auf die Zeit von 4 Uhr bis 6 Uhr morgens. Dies folge unmittelbar aus Art. 13 Abs. 1 GG; hierzu Kühlewein NStZ 2019, 501 ff.; Jahn JuS 2019, 822 ff.; Sachs JuS 2019, 1039 ff.; Muckel JA 2019, 471 ff.; Klein Kriminalistik 2019, 526 ff.; Vahle Kriminalistik, 383 ff. — 30 Kritisch zu „Nachtzeitregelung“ bereits Rachor/Graulich, in: Lisken/Denninger HdbPolR, Kap. E Rn. 632. — 31 Gegen die Ansicht, das zwangsweise Öffnen von Wohnungstüren sei als unselbstständiger Bestandteil des Betretens und Durchsuchens von der polizeirechtlichen Ermächtigungsgrundlage mit umfasst, spricht schon die Tatsache, dass das Betreten und Durchsuchen von Wohnungen ohne Einwilligung des Wohnungsinhabers nicht notwendigerweise mit Zwang verbunden ist. — 32 Auf die Überlegung, dass es sich ggf. beim Öffnen der Tür nur um eine Duldungs- und nicht um eine Handlungspflicht und damit konsequenterweise um unmittelbaren Zwang handelt, sei hingewiesen, vgl. Roos Kriminalistik 1993, 319 (323); VG Düsseldorf , Beschl. v. 28. 9. 1983 – 18 K 1051/82: Öffnen der Tür als Teilhandlung zum Betreten und Durchsuchen der Wohnung, die vom Adressaten erduldet werden muss. Aufgrund eines Einsatzes der Polizei wegen befürchteter Lebensgefahr bei einer älteren Dame, die jedoch in Urlaub verweilte, wurde mit Schlüsseldienst die Wohnungstür geöffnet. Das VG stellte mithin fest, dass in diesem Rahmen keine Handlungspflichten, sondern vielmehr nur Duldungspflichten des Betroffenen bestehen, die als nicht vertretbare Handlung nicht im Wege der Ersatzvornahme durchgesetzt werden können. — 33 Schenke POR, Rn. 553. — 34 Götz/Geis POR, § 13, Rn. 23. — 35 BVerwG NJW 1992, 1908: Verfassungsmäßigkeit der Kostentragungspflicht; VGH Mannheim NJW 2007, 2058: Ersatzvornahme zur Durchsetzung eines Wanderschilds. — 36 Gusy PolR, Rn. 442. — 37 Puttler JA 2001, 669 (676). — 38 Bei der Fremdvornahme beauftragt die Polizei einen Dritten. Hierbei wird zwischen der Behörde und dem Unternehmer ein zivilrechtlicher Vertrag geschlossen (Werkvertrag, §§ 631 ff. BGB). — 39 Grundlegend Cordes/Pannenborg NJW 2019, 2973 ff. — 40 Tetsch ER Bd. 2, S. 169. — 41 LG Berlin NStZ 2004, 571. — 42 Bruns, in: KK-StPO § 108 Rn. 8 — 43 Gercke, in: HK-StPO § 108 Rn. 13; Cordes/Pannenborg NJW 2019, 2973 (2974). — 44 VG Schleswig NJW 2000, 970, Anm. Vahle Kriminalistik 2000, 394. — 45 Vgl. auch Kingreen/Poscher POR, § 16 Rn. 18; grundlegend zu EMRK Nußberger JZ 2019, 421 ff. — 46 Tegtmeyer/Vahle PolG NRW, § 35 Rn. 7; VG Hannover NVwZ-RR 2012, 925; auch EGMR NVwZ 2014, 43, der allerdings die Variante des Art. 5 Abs. 1b („Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung“) für einschlägig erachtet. — 47 BayVerfGH BayVBl. 1990, 658. — 48 VGH Mannheim NVwZ-RR 2005, 540. — 49 VG Schleswig NJW 2000, 970, Anm. Vahle Kriminalistik 2000, Otto Deutsche Polizei 11/2000, 40. — 50 BayObLG NVwZ 1999, 106, Anm. Vahle Kriminalistik 1999, 248.
Fall 3: Verfolgungsfahrt
Schwerpunkte: Allgemeine Verkehrskontrolle, Verfolgungsfahrt, Datenabgleich, Schusswaffengebrauch
Sachverhalt:
Die Polizeibeamten PK A und PK B befinden sich in den Abendstunden des 17. 7. 2010 auf Streifenfahrt in A-Stadt. Es herrscht reger Fahrzeugverkehr. Gegen 18.30 Uhr bemerken sie einen roten Opel Astra, der ohne erkennbaren Grund mehrfach abgebremst wird. Fahrzeugführer ist eine dem Aussehen nach jugendliche männliche Person (Roman F). Im Fahrzeug befindet sich als Beifahrerin eine junge Frau (R). Die Beamten entschließen sich, das Fahrzeug anzuhalten. Zu diesem Zweck überholen sie den Pkw an einer geeigneten Stelle und geben mit einem Anhaltestab vorschriftsmäßig das Zeichen zum Anhalten. Die Anhaltezeichen werden durch F jedoch ignoriert. Eine durch PK A veranlasste Überprüfung des Kennzeichens im INPOL-System ergibt, dass der Opel vor 2 Tagen in A-Stadt gestohlen wurde. Es beginnt eine wilde Verfolgungsjagd unter ständiger Verletzung von Vorfahrtsregeln. Die Fahrweise des F lässt erhebliche Unsicherheiten in der Führung des Fahrzeugs erkennen. So streift F während der Verfolgung einen parkenden Pkw, dessen Längsseite erheblich beschädigt wird. Zum Teil müssen Fußgänger zur Seite springen. Weitere Anhaltezeichen werden missachtet. Während der Verfolgungsfahrt versucht F sogar, die Beamten abzudrängen. Der Abstand zwischen den Fahrzeugen vergrößert sich. Als die Beamten den Pkw erneut eingeholt haben, bremst F das Fahrzeug abrupt ab. Nur durch eine Vollbremsung kann PK B einen Verkehrsunfall vermeiden. Als sich der Abstand zum Opel Astra daraufhin wieder vergrößert, versucht PK A nach Abgabe eines Warnschusses durch gezielte Schüsse auf die Hinterreifen das Fluchtfahrzeug zu stoppen. Dieses Vorhaben misslingt allerdings. Letztendlich versuchen die Beamten unter Einsatz mehrerer Funkstreifenwagen den Opel Astra durch Schneiden und Ausbremsen zum Anhalten zu bringen. F versteuert sich, verliert die Kontrolle über den Opel Astra und kann letztendlich gestellt und festgenommen werden.
Aufgabe:
Beurteilen Sie die Maßnahmen der Polizeibeamten.
– Anhalten des Pkw vor der Verfolgungsfahrt
– Überprüfung des Kennzeichens im INPOL-System
– Weitere Versuche, den Pkw anzuhalten
– Abgabe eines Warnschusses und gezielte Schüsse auf die Hinterreifen
– Schneiden und Ausbremsen des Opel Astra durch mehrere Funkstreifenwagen
Hinweis:
Die örtliche Zuständigkeit als formelles Erfordernis kann unterstellt werden.
Die Festnahme des F ist nicht zu begründen.
Lösung:
A. Anhalten des Pkw vor der Verfolgungsfahrt
I. Ermächtigungsgrundlage
Nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes bedarf es bei einem Grundrechtseingriff einer Ermächtigungsgrundlage, welche auf ein verfassungsmäßiges Gesetz zurückzuführen ist. Mit dem Anhalten von Fahrzeugen wird in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG eingegriffen, d. h. der Eingriffscharakter der Maßnahme ist zu bejahen.1 Zielrichtung ist die Gefahrenabwehr. Die Fahrweise des F (mehrfaches Abbremsen ohne erkennbaren Grund) könnte auf mangelnde persönliche Eignung des Fahrzeugführers hindeuten. Demnach dürfte es um die Abwehr von Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer gehen (Gefahrenabwehr). Zudem dürfte eine strafverfolgende Zielsetzung zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht in Betracht kommen. Die Überprüfung des Kennzeichens im INPOL- System (Pkw wurde gestohlen) fand erst während der Verfolgungsfahrt statt. Dass in Verbindung mit der Fahrweise des F möglicherweise andere Straftaten zu vermuten waren (§ 316 StGB?), spielt hier nur eine untergeordnete Rolle, da ein entsprechender Verdacht nur wenig begründet war. Es handelte sich vielmehr um eine (allgemeine) Verkehrskontrolle. Eine solche (Verkehrs-)Kontrolle liegt vor, wenn Maßnahmen in erster Linie aus dem Gesichtspunkt der allgemeinen Vorbeugung vorgenommen werden. Davon ist vorliegend auszugehen, d. h. der Gefahrenabwehraspekt dürfte im Vordergrund gestanden haben.
II. Formelle Rechtmäßigkeit
Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 1 Abs. 4 PolG NRW i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 POG NRW i. V. m. § 36 Abs. 5 StVO (sog. Schluss von der Ermächtigung auf die Zuständigkeit).2
III. Materielle Rechtmäßigkeit
Eingriffsnorm für das Anhalten von Fahrzeugführern zum Zweck der Verkehrskontrolle ist § 36 Abs. 5 StVO.3 Nach Satz 1 dieser Befugnisnorm dürfen Polizeibeamte Verkehrsteilnehmer zur Verkehrskontrolle einschließlich der Kontrolle der Verkehrstüchtigkeit (und zu Verkehrserhebungen) anhalten, und zwar ohne Rücksicht auf das Vorliegen konkreter Verdachtsmomente wegen einer Verkehrsstraftat oder einer entsprechenden Ordnungswidrigkeit.4 Die Maßnahme darf ausschließlich zur Überprüfung der Verkehrssicherheit vorgenommen werden.5 Hierfür muss kein augenblickliches Bedürfnis zur Regelung des Straßenverkehrs vorliegen oder eine Veranlassung zum repressiven Einschreiten zur Verfolgung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit bestehen.6 Derartige (allgemeine) Verkehrskontrollen sind ohne konkreten Anlass oder Gefahr zulässig, aber im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf Stichproben zu begrenzen. Die Überprüfung erstreckt sich auf die Fahrtüchtigkeit des Fahrers und die von ihm mitzuführenden Papiere, insbesondere Führerschein und Fahrzeugschein, sowie Zustand und Beladung des Fahrzeugs. Dient aber das Anhalten ausschließlich der Ahndung eines zuvor begangenen Verkehrsverstoßes, so handelt es sich nicht um ein Anhalten zur (allgemeinen) Verkehrskontrolle.7
Für eine allgemeine Verkehrskontrolle auf der Grundlage von § 36 Abs. 5 StVO ist kein Raum, wenn das Anhalten eines Verkehrsteilnehmers wegen des konkreten Verdachts einer Verkehrsstraftat oder Verkehrsordnungswidrigkeit erfolgt.8 Bei Vorliegen einer konkreten Verdachtslage stützt sich ein (repressives) Einschreiten von Polizeibeamten nicht auf die Vorschrift in § 36 Abs. 5 StVO, sondern auf die besonderen Regelungen der StPO und des Polizeirechts, z. B. auf §§ 163b i. V. m. § 163a Abs. 4 Satz 1 StPO, 53 OWiG.9
Gem. § 36 Abs. 5 Satz 4 StVO haben Verkehrsteilnehmer die Anweisungen der Polizeibeamten zu befolgen. Die Ermächtigung enthält neben der Ermächtigung der Polizei auch eine Verpflichtung der Verkehrsteilnehmer zum Anhalten zu den in Satz 1 genannten Zwecken. Zu befolgen sind aber auch weitere, mit der Verkehrskontrolle verbundene und deren Durchführung dienende Anweisungen.10 Da hinsichtlich sonstiger Anforderungen (Adressatenregelung, Verhältnismäßigkeit i. w. S.) keinerlei Probleme zu erkennen sind, ist die Maßnahme rechtmäßig. Polizeiliche Anhaltezeichen bei Verkehrskontrollen sind individuell zu vollstreckende Verfügungen, ihre Durchsetzung ist eine Vollstreckungshandlung. Hinsichtlich sonstiger Formalia sind Probleme nicht ersichtlich. Die Verkehrskontrolle entspricht insbesondere dem Übermaßverbot.
B. Überprüfung des Kennzeichens im INPOL-System
I. Ermächtigungsgrundlage
Fraglich ist, ob eine (schlichte) Kennzeichenabfrage bereits als grundrechtsrelevante Maßnahme und damit als Eingriffsakt zu bewerten ist. Nur wenn der Eingriffscharakter der Maßnahme zu bejahen ist, stellt sich die Frage nach einer formell-gesetzlichen Ermächtigung. Spätestens jedoch nach dem Urteil des BVerfG zum Volkszählungsgesetz v. 15. 12. 1983 ist jeder Umgang mit personenbezogenen Daten kritisch zu beleuchten. Mit diesem Urteil ist das aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung höchstrichterlich „inthronisiert“ worden.11 Dieses Recht umschreibt die Befugnis jedes Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Offenbarung personenbezogener Daten und ihre Verwendung zu entscheiden. Bei strenger Interpretation des o. g. Urteils ist damit jeder Umgang mit einem personenbezogenen Datum ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Da auch Kfz-Kennzeichen als personenbezogene Daten zu bewerten sind (§ 45 Satz 2 StVG12), ist vorliegend von einem Grundrechtseingriff auszugehen.13 Es bleibt somit festzustellen, dass die Überprüfung des Kennzeichens im INPOL-System14 ein hoheitlicher Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt und somit einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf.15 Mit der Überprüfung des Kennzeichens war möglicherweise die Absicht verbunden, festzustellen, ob das Fahrzeug als gestohlen gemeldet war. Dient der Abgleich aber strafverfolgenden Zwecken, so muss vorher ein Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO) bestehen. Andererseits könnte die Kennzeichenüberprüfung auch eine gefahrenabwehrende Komponente einschließen.16 Dient der Abgleich der Gefahrenabwehr, ist der Handlungsraum nur eröffnet, wenn eine Gefahr, mindestens aber ein Gefahrenverdacht besteht. Dieser ist aber nicht generell und vor allem dann nicht mehr anzunehmen, wenn die Grundmaßnahme, in der Regel die Kontrolle mit Identitätsfeststellung, bereits beendet ist.17 Vorliegend sollte die Kontrolle erst noch erfolgen. In derartigen Fallkonstellationen ist auch an die Eigensicherung der Beamten zu denken.18 Es ist hinlänglich bekannt, dass (gerade) der Polizeidienst jederzeit unvorhersehbare Gefahren in sich birgt.19 Solche Gefahren können durch entsprechendes Einschreiten – je nach Ergebnis der Überprüfung – entschärft werden. Mithin wird auch kommentiert, dass die Fahndung eine Gefahrenabwehraufgabe insoweit ist, als sie die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Organe garantiert, da die Ausschreibung zur Fahndung erst dann in Betracht kommt, wenn andere Mittel versagt haben.20 Die Abfrage für Zwecke der Fahndung dient im weitesten Sinne mithin auch der Gefahrenabwehr in Form der Funktionssicherung, „denn das Auffinden gesuchter Personen und Sachen ist umfassende Aufgabe der Polizei, die sie ohne Fahndungsabfragen nur schwerlich erfüllen könnte“21.