Kitabı oku: «Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh», sayfa 3

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KAPITEL 3:
EIN GUTER SPIELER IST NICHT ZU VERHINDERN – ODER EIN TAG MIT ANDI
ADMIRA WACKER 1974–1983

„Hallo, Claus, Andi spricht“, ließ es mich der Messengerdienst des Smartphones am späten Vormittag und kurz vor Ostern wissen. „Ich bin dann am Weg zu meinem Vater und zu meiner Mutter raus. Der Vater ist aus dem Krankenhaus heimgekommen“, so die angenehme Stimme mit bekannt charmanter Wiener Klangfärbung via Sprachnachricht weiter. Dann sollte es wieder nach Hause gehen, um gegen 15.45 Uhr die Kinder in die Südstadt zu bringen, auf dem Parkplatz vor den Stadiontoren ein Interview für Servus-TV zu geben, mich zwischenzeitlich am Hotel in Perchtoldsdorf abzuholen und wieder in die Südstadt zu fahren. Was für ein Programm!

Überhaupt pendelte das Leben des Andi Herzog in diesen Tagen auf einer geraden Linie zwischen seinem südwestlich von Wien gelegenen Wohnort, dem großzügigen Trainingsareal rund um das Admira Wacker-Stadion in der Südstadt sowie dem südwestlich von Laxenburg gelegenen Wohnort seiner Eltern, irgendwo in Niederösterreich – ein ständiges Hin und Her. Mittendrin auf dieser Route hatte ich mein Lager aufgeschlagen, in einem kleinen, aber feinen Stadthotel im noch feineren Perchtoldsdorf, eigentlich beliebt und bekannt durch seine so typischen Heurigenlokale und ebenfalls vor den Toren Wiens.

Doch in diesen Tagen war vieles anders. Die Pandemie hatte auch Österreich voll im Griff, und alles, was auch nur ansatzweise hätte Freude machen können, war geschlossen oder verboten. Und so spielte sich auch das Leben der Familie Herzog in erster Linie draußen ab. Denn während sein zehn Jahre alter Sohn Louis und der 13 Jahre alte Sohn Luca fleißig auf den Plätzen in der Südstadt trainierten, hielt Papa Herzog beharrlich und mit einer – zumindest äußeren – stoischen Gelassenheit stundenlang die Stellung. Mal plauderte er mit den anderen Vätern, die ebenfalls auf ihre Söhne warteten, mal kam ein Fernsehteam vorbei, um mit ihm ein Interview zu führen. Langeweile kam jedenfalls nicht auf, trotz Abstandhalten und Co., obwohl die Lokalität am Rande der Trainingsplätze geschlossen war und man auch am Training selbst nur aus großer Entfernung teilnehmen durfte.

Gegen 16 Uhr leuchtete das Smartphone erneut auf. Diesmal die Nachricht von Andi: „Bin zwischenzeitlich wieder zu Hause gewesen, habe die Jungs zum Platz gebracht, das Servus-TV-Team verspätet sich wegen dichten Verkehrs. Warte im Hotel auf mich.“

Und dann noch sein Wunsch, ob wir noch kurz in der Shopping City vorbeischauen könnten – schließlich stand ja Ostern vor der Tür. Na klar, ich war bei allem dabei – mitten im Alltag des Rekordnationalspielers.

Gesagt, getan: Nachdem sich sein Auto durch die engen Perchtoldsdorfer Gassen und vorbei am beeindruckenden 500 Jahre alten Wehrturm der Marktgemeinde geschlängelt hatte, wurde der weitere Plan für den Nachmittag konkretisiert: Rein in den Sport-Megastore in der Shopping City, Ostergeschenke für die Jungs und Frau Kathi kaufen und wieder raus auf den Platz.

Sofort leuchteten uns die zahlreichen Fußballschuhe in ihrer ganzen Vielfalt wie bunte Ostereier entgegen – irgendwie passend zum Fest. Ein Gespräch über Farben, Form und Vorzüge eben dieser entstand, und dann die brennende Frage, in welchen Fußballschuhen er heute farblich spielen würde: „Für mich war immer wichtiger, dass der Schuh die perfekte Passform hat und das i ned, wenn der Boden ned ganz weich ist, mit Stollenschuh, sondern mit Nockenschuh spielen kann oder einer Mischung aus Nocken- und Stollenschuh. Das heißt auf Wienerisch Gummler.“

Herzog gerät ins Schwärmen: „A Lederschuh, und wenn es dann geregnet hat und du bist rausgestiegen, und das nächste Mal bist du reingestiegen in den Schuh und die Passform hat genau gepasst und dann war er wieder mit Lederfett eingeschmiert und die Streifen wieder weiß nachgemalt, das war extrem edel. A schwarz-weißer Kultschuh wie der Copa Mundial war für mich viel wichtiger wie jetzt die ganzen bunten Schuh, die da rumrennen.“

So kann man sich täuschen, wäre ich doch davon ausgegangen, dass sich Herzog heute für einen weißen Schuh entscheiden würde. Aber wie immer macht es wohl die Mischung. Schwarz für harte Arbeit, Weiß für die Kunst.

Es ist eine Gabe, wenn man mit einem außergewöhnlichen Talent gesegnet ist wie Andreas Herzog, so individuell wie ein Fingerabdruck, etwas Einmaliges, das einem in die Wiege gelegt wurde. Und es ist eine Kunst, dieses ganz spezielle Talent möglichst schnell für sich zu entdecken und auch abzurufen, es zu entwickeln, zu formen und zu verfeinern. Wirkliche Meister wissen, was sie können und wofür sie stehen. Sie reflektieren und regulieren sich selbst und üben zielgerichtet.

Ich hab mir mit meiner Schwester das Kinderzimmer geteilt, und zwischen den zwei Nachtkastln war ein 15 Zentimeter großer Spalt. Mit dem Tennisball bin ich dann durch die ganze Wohnung gedribbelt, vom Wohnzimmer durchs Vorzimmer, schlussendlich ins Kinderzimmer, und dann war des das Tor, der 15-Zentimeter-Spalt. Und dann hab ich immer gestoppt, wie schnell ich vom Balkon weg durchs Wohnzimmer im Spalt war – Hunderte Male. Und meine Schwester hat sich immer beschwert, weil sie hat immer viel gelernt, und es hat immer „bum, bum, bum“gemacht. (Andreas Herzog)

Talent hatte der junge wie auch kreativ spielende Andreas Herzog jedenfalls von klein auf. Sein Drang war die Offensive, seine Leidenschaft der Chip über die gegnerischen Abwehrreihen hinweg. Er holte sich die Grundlagen zu Hause in der engen Wohnung in Meidling und mit einem Plastikball – beim an die Wand Spielen im Hinterhof, beim Parkoder Käfigfußball, eins gegen eins, drei gegen drei, zwei gegen zwei, mit Kindern aus der Nachbarschaft und einfach bei allem, was man mit dem Ball gerne macht. Herzog liebte vor allem die Freiheiten, die er hatte, wenn man nicht auf das Ergebnis schauen musste. Einfach spielen eben. Dann noch die Trainingseinheiten in der Südstadt, und natürlich sein Vater als Unterstützer.

Mein Vater war von klein auf sehr wichtig für mich. Er war der, der mich das Fußballspielen gelehrt hat und mich auch als Trainer begleitet hat. Es waren oft Kleinigkeiten, Kernaussagen und andere Wichtigkeiten, die er mir mit auf den Weggegeben hat. (Andreas Herzog)

Mittlerweile waren wir am Trainingsgelände angekommen. Die Sonne strahlte in den frühen Abendstunden, und das Ende März. Es fühlte sich fast wie Sommer an – wenn da nicht die Pandemie gewesen wäre. Hier und da einige Eltern, die das Spiel der U15 der Südstädter gegen Sturm Graz verfolgten. Wir standen ebenfalls weit abseits des Platzes, und ich, mehr als kurzsichtig, konnte nur wenig bis gar keine Aktionen erkennen. Was für ein Glück, dass ich mit Andreas Herzog einen mehr als kompetenten Seher an meiner Seite hatte. In der Tat war ich von seiner Wahrnehmung beeindruckt, jede kleinste Kleinigkeit schien er zu sehen, zu fühlen oder zu riechen. Das Wichtigste war für ihn die Bewegung nach vorne. „Der bleibt schon wieder stehen“, echauffierte er sich dann. Alle sollten immer in Bewegung sein, offensiv und nach vorne, und Sohn Luca am besten beteiligt an Toren. Ganz so wie es sein Vater früher wohl bei ihm gemacht hatte.

Bei Werder Bremen waren wir im ersten Jahr gleich Meister, da habe ich sehr, sehr gut gespielt. Im zweiten Jahr lief es nicht so gut. Da ist einmal mein Vater zum Training gekommen, hat zugeschaut und hat gesagt: „Ich kann dir schon sagen, warum es momentan nicht so gut lauft. Deine Stärke war immer, wenn du den Ball bekommst, dass du ihn gleich mit dem Tempo mitnimmst, dass du gleich den offenen Raum attackierst, auch im Mittelfeld, und jetzt machst du fast alles aus dem Stehen, jetzt wartest du ab. Und so ist es einfacher für den Gegenspieler, die Situation zu lösen.“ Und mit diesem einen kleinen Hinweis von meinem Vater konnte ich das in den nächsten zwei, drei Trainingseinheiten wieder besser lösen. Aber noch einmal: Solche Kleinigkeiten oder Kernaussagen von meinem Vater waren wichtiger, als wenn es dir Otto Rehhagel sagt, oder der beste Trainer der Welt. (Andreas Herzog)

Gut, wenn man neben dem Talent noch einen Unterstützer an seiner Seite hat – und das von Kindheit an. Eine Erkenntnis, auf die auch ein anderer Österreicher hinweist, der in Sachen „Erfolgreich sein“ national über den Tellerrand geschaut hat. So meinte Arnold Schwarzenegger zum 70. Geburtstag über seine außergewöhnliche Karriere: „Ich hatte immer Unterstützer und Ja-Sager um mich herum. Hätte ich nur auf die Zweifler und Nein-Sager gehört, würde ich heute noch in den Alpen jodeln.“ Und dennoch: Ein richtig guter Spieler setzt sich anscheinend auch allein durch – trotz mancher Widrigkeiten.

Ein richtig guter Spieler, der macht sich eh selber, den kann der Trainer ein bisserl begleiten, a bisserl Hilfestellung geben, aber der gute Spieler, der weiß, was er zu tun hat, der setzt sich auf Dauer durch. Es kann nur sein, dass der eine oder andere Trainer ihn verhindert. Dann musst du allerdings wissen: „Ich bin gut“, und wenn der Trainer das nicht so sieht, dann geh ich halt zu einem anderen Verein und setz mich dort durch, zeig dort meine Qualitäten. Aber wenn es dann bei vier, fünf Vereinen gleich ist, und es ist immer der Trainer schuld, dann muss sich schon der Spieler hinterfragen, ob er zunächst einmal bei sich anfangen soll und nicht nur alles von sich wegschiebt. (Andreas Herzog)

Plötzlich und aus dem Nichts kam ein Querschläger des Admira-Wacker- gegen Sturm-Graz-Spiels auf uns zugeflogen. Andi fischte ihn mit dem linken Fuß aus der Luft – der Ball blieb förmlich an seinem Fuß kleben –, um ihn dann wieder mit einer unglaublichen Leichtigkeit auf das Spielfeld zu kicken.

„Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, aber wie gesagt: Ich bin der Meinung: Ein guter Spieler ist nicht zu verhindern. Selbst der dümmste Trainer kann einen guten Spieler nicht verhindern. Das waren gute Aussagen, oder? Wir müssen a bissl Würze in das Buch bringen.“ Er lacht schelmisch.

Aber auch der heutige Rekordnationalspieler musste immer wieder mal mit dem einen oder anderen Trainer kämpfen – und jeder Coach hat halt auch seine eigenen Ansichten, Werte und Glaubenssätze, und die gilt es zu akzeptieren.

So kickte der hochtalentierte Andreas Herzog 1984/85 in einem Qualifikationsspiel für die U16 Österreichs. Ziel war die Teilnahme an der Europameisterschaft 1986 in Griechenland. Doch dazu sollte es nicht kommen, denn der junge Herzerl wurde in diesem Spiel von seinem Trainer schon nach zehn Minuten ausgewechselt. Der Grund: An beiden Toren soll er schuld gewesen sein. „Konnte aber gar nicht sein“, meinte Herzog. „Denn beim zweiten Tor für die DDR-Auswahl war ich gar nicht mehr auf dem Platz.“ Am Boden zerstört fühlte er sich mit all seiner spielerischen Klasse, „aber auch da war es mein Vater, der mir geholfen hat“, denn schon am nächsten Tag klingelte das Telefon in der Wohnung im 12. Bezirk.

„Ach so, du bist das“, sagte mein Vater. „Geh, weißt was, schleich di! Ruf nie wieder an, und eins sag ich dir: Beruf den Andi ja nicht mehr ein. Weil das verbiete ich hier. Ich verbiete meinem Sohn, dass er noch einmal zur Nationalmannschaft kommt, zur U16!“ Und legte energisch auf.

Ich fragte irritiert: „Papa, wer war denn das?“

„Na, der Verhinderer.“

„Welcher Verhinderer?“

„Na, der Gludovatz.“

„Papa, bist du wahnsinnig? Du kannst doch nicht so mit dem Nationaltrainer sprechen.“

„Na, bleib ruhig, Andi“, sagte er. „Der würde dich mehr verhindern und dir schaden, als dass du in der U16-Nationalmannschaft spielst.“ (Andreas Herzog)

Drei Monate später stieg Andi Herzog in die U18-Nationalmannschaft auf – und bekam einen anderen Trainer. Doch zur Ehrenrettung von Paul Gludovatz, der später verschiedene Profiteams wie auch bei U20-Weltmeisterschaften mit dem ÖFB-Team sehr erfolgreich war: Es muss halt passen.

Rückblickend meint Herzog, dass ihm wohl sein Spielstil nicht gefallen hatte. Er sollte laut Trainer reinhauen, dass die Funken sprühen, sonst würde er nach zehn Minuten ausgewechselt werden – und so zog es der U16-Trainer auch durch. Für Edeltechniker mit anderen Qualitäten war da kein Platz.

Beim nächsten Trainer war es wieder anders. Der hat halt wieder eine andere Idee vom Fußball gehabt. Aber wie ich gesagt habe: Der dümmste Trainer kann einen Riesenspieler nicht aufhalten, wenn der Riesenspieler entweder ein gutes Umfeld hat, also von seinen Eltern, von Menschen, die es wirklich gut meinen, unterstützt wird oder seine eigene Persönlichkeit schon so stark ist – aber das ist in jungen Jahren relativ selten. Bei mir war halt der Vater der Ruhepol und die Hilfe. Und mein Wille, zu spielen. (Andreas Herzog)

Neben allem Talent ist also laut Herzog das Umfeld entscheidend für die Entwicklung der Persönlichkeit – Familie, Freunde, Beziehungen. Und er sagt, wie sehr es ihn ärgert, wenn hochtalentierte Spieler nicht den letzten Schritt machen, sich selbst falsch wahrnehmen oder es an der richtigen Einstellung mangelt – auf oder neben dem Platz.

Und so fachsimpelten wir weiter, wie viele Menschen im Leben ihre Talente gar nicht erst entdecken oder sie nur unzureichend abrufen. Über spezielle Talente verfügen viele, doch diese zu formen, mit Freude dranzubleiben und sich auch durchzusetzen – dazu bedarf es anscheinend außergewöhnlicher Willensstärke. So zumindest meine Wahrnehmung. „Passt eh“, meinte Andi. „Darüber müssen wir uns als Nächstes Gedanken machen, also die Sache mit dem Biss.“ Kathi und er wollten schließlich zu Hause auch brave „Buam“ – doch auf dem Platz sollen sie sich plötzlich nichts gefallen lassen. „Das ist gar nicht so einfach!“ Mittlerweile war die Sonne untergegangen, die Märzluft kühlte schnell ab. Wir stiegen wieder ins Auto, die Jungs auf dem Rücksitz, und es ging nach Hause. Kathi rief an und verkündete über die Freisprechanlage, dass es Schinkenfleckerl geben würde. Allgemeiner Jubel im Auto.

Mich dagegen zog es ins Hotel, und ich machte mir noch ein paar Gedanken über Talente, Biss und Co. Vielleicht lag es an den geschlossenen Heurigen und an der Tatsache, dass das nächste Schnellrestaurant fußläufig weit entfernt lag, ich dies also nur mit einer gewissen Entschlossenheit erreichen würde. Jedenfalls kam mir folgende Sätze von Ray Kroc, dem Gründer des McDonald’s-Imperiums, dazu in den Sinn: „Nichts in der Welt kann Beharrlichkeit ersetzen. Talent allein genügt nicht; nichts ist häufiger als erfolglose Menschen mit großen Talenten. Ebenso wenig Genie; verkannte Genies sind geradezu sprichwörtlich. Ebenso wenig kann es Bildung sein; die Welt ist voll von gebildeten Versagern. Beharrlichkeit und Entschlossenheit allein vermögen alles.“

Es gab noch viel zu diskutieren und zu tun. Doch eins war klar: Wenn man das große Glück hat, mit dem entsprechenden Talent zur Welt zu kommen, und dies auch noch für sich in jungen Jahren zu entdecken, ist eine große Karriere mit den nötigen Unterstützern möglich. Mit Kreativität und Durchsetzungskraft – und in diesem Fall am liebsten mit frisch eingefetteten, glänzenden, edlen Fußballschuhen in Schwarz mit weißen Streifen.

KAPITEL 4:
LINKES PRATZERL, DURCHSCHNITT UND EIN DYNAMISCHES SELBSTBILD
ADMIRA WACKER 1974–1983

Jeder Mensch verfügt über Talente – und manche sogar über eine ganz besondere, einmalige Veranlagung, einem Alleinstellungsmerkmal. Stellen Sie sich vor, Sie hätten genau so ein Talent. Und einen Förderer und Forderer in Ihrer Nähe, der genau das in Ihnen sehr schnell erkennt. An anderer Stelle haben wir schon darauf verwiesen, dass es eine Gnade sein kann, seine ganz besondere Stärke möglichst früh wahrzunehmen, genauso wie die Möglichkeiten und den Freiraum, eben dieses ständig weiterzuentwickeln.

Bei Andi Herzog war es das „linke Pratzerl“, wie er es im Wiener Dialekt gerne nennt, im ursprünglichen Sinne eigentlich die linke „Pfote“, im Ruhrgebietsfußball auch die linke „Klebe“ genannt. Auf den Punkt gebracht: sein linker Fuß. Dazu der Vater, ebenfalls Fußballprofi, für damalige Verhältnisse gut vernetzt und vor allem mit reichlich Fußball-Know-how ausgestattet: Er hatte das Spiel nicht nur verstanden, sondern vor allem in allen Facetten gelebt. Zudem war da noch Andis riesiger Spielplatz, der seinesgleichen suchte.

Die Südstadt ist ja ein wunderschönes Trainingszentrum. Und ich bin auf allen Plätzen und in der ganzen Umgebung herumgelaufen. So bin ich schon als kleiner Bub mit Fußball infiziert worden. (Andreas Herzog)

Optimale Bedingungen also, um eine einzigartige Karriere zu starten. Hier hatte er alle Freiräume und konnte die Grundlagen – neudeutsch Basics („I red schon wie der Kleine.“) – trainieren. Eben Außenrist, Innenrist, Ballannahme, mit dem nächsten Kontakt gleich weiterspielen, Tempo gehen, Dribbling, am Gegenspieler vorbei – den Ball aus allen Positionen spielen, automatisieren, üben, üben, üben. Und vor allem: eigene Wege und Lösungen finden.

Und beste Voraussetzungen, um das erwähnte linke Pratzerl zu entwickeln. Überhaupt ist es ja so eine Sache mit den Linksfüßern. So sind sie einerseits im Fußball rar gesät. Hätten Sie beispielsweise gedacht, dass in Andi Herzogs Bundesligazeit nur 72 der 400 Bundesligaspieler den linken Fuß zum Schießen nutzten? Und Werder Bremen gleich als Abstiegskandidat galt, als Herzog einmal am Fuß operiert werden musste? Andererseits gelten Linksfüßer häufig als die Regisseure des Platzes, denn sie fallen in der Regel aus der Norm – durch besonderes Ballgefühl, Intuition und Erfahrungswissen.

„Sie sind extravagant und machen extravagante Dinge“, meinte einst Felix Magath, übrigens ebenfalls einer von ihnen und Schütze des legendären 1:0-Endergebnisses im Landesmeisterfinale des HSV (Trainer Ernst Happel) gegen Juventus Turin im Jahr 1983 – ebenfalls mit links. Technik, Bewegungsablauf, Wahrnehmung – geniale Linksfüßer haben einfach ein unbeschreibliches Timing und Gefühl für den rechten Moment und für ihr Gegenüber, meist Rechtsfüßer, sind einfach schwer zu durchschauen.

Natürlich profitieren heute Spieler, die von Geburt an einen starken, linken Fuß haben, weil es nur wenige von ihnen gibt. Es wurde ihnen sozusagen in die Wiege gelegt …

Doch so einmalig es ist, wie Herzogs linkes Pratzerl ihm zu einer internationalen Karriere weit über Österreichs Grenzen hinaus verholfen hat, so sensibel reagiert er auch, wenn es um das Thema „Beidfüßigkeit“ oder „Allroundkönner“ geht – und schon sind wir mittendrin in einer Diskussion um neuzeitliche Trainingsmethoden, Talentförderung und Gleichmacherei.

Ich hatte immer einen starken linken Fuß. Das war meine Waffe. Hätte ich als Jugendlicher meinen rechten Fuß trainiert und den linken vernachlässigt, wäre ich beidseitig Durchschnitt geworden – und hätte mich meiner größten Waffe beraubt. (Andreas Herzog)

Gerne zitiert Herzog hier Toni Schumacher in Sachen „Rundum-Könner“ („Bravo, Toni“ – O-Ton Herzog), der unlängst im „Kicker“ davor warnte, dass Deutschland, einstmals Land der Torhüter, nur noch Allroundkönner ausbildet: „Irgendwann wird so viel Wert auf Fußarbeit und Spielaufbau gelegt, dass man auch einen Feldspieler ins Tors stellen kann, der ein bisschen Talent dazu hat. Aber wo bleiben Dominanz, Mut, Reflexe, das Eins-gegen-eins? Wo die Fähigkeit, seine Vorderleute zu dirigieren?“

„Zu viel Durchschnitt durch zu viel Gleichmacherei“, so Herzog. Dabei beweisen die Großen ihres Faches genauso wie alle anderen Ausnahmekönner auf dem Platz, wie wichtig es ist, über eine einzigartige „Waffe“, eine ganz besondere, individuelle Stärke zu verfügen, um sich damit von der Masse abheben zu können – und diese ständig zu schärfen. In der Pädagogik spricht man von „Stärken stärken“. Doch auf dem Platz wie auch in der Schule wird selten differenziert und noch seltener individuell gearbeitet. Wie auch, bei großen Trainingsgruppen und noch größeren Schulklassen. „Normalerweise brauchst du mindestens zwei Trainer pro Team, einen für die Defensive und einen für die Offensive. Doch das ist in der Realität meist nicht machbar – oder den Traditionalisten des Fußballsports zu modern“, meint Herzog.

Zudem soll man in der Regel das lernen, was man nicht kann, um das ein bisschen besser zu können. Also eher „Schwächen schwächen“ statt „Stärken stärken“. Doch das wiederum geht auf Kosten der individuellen Marke, des eigentlichen Talents. Da ist sich Andreas Herzog zu 100 Prozent mit einem anderen Linksfuß und Ausnahmetalent, nämlich Arjen Robben, einig – und der augenscheinlichen Tatsache, dass ein Superfuß zur Weltklasse reicht.

Ich bin damit nicht so einverstanden, dass die Jungs zur Beidfüßigkeit gedrillt werden; man kann den schwachen Fuß doch nur ein bisschen verbessern. Wenn du dauernd beide Füße schulst und damit auf einer Skala von eins bis zehn eine Sieben oder Acht hast – oder auf dem einen Fuß eine Zehn und auf dem anderen eine Fünf, ist mir das zweite Modell lieber. (Andreas Herzog)

Um bei Arjen Robbens Bild zu bleiben: Die Realität findet sich meist im ersten Modell wieder – der täglichen Auseinandersetzung mit den eigenen Schwächen. Und ob gewollt oder nicht, man orientiert sich auf diese Weise am Durchschnitt. Denn wird man täglich dazu angehalten, sich mit seinen Defiziten auseinanderzusetzen, statt die kostbaren Zeit mit den Stärken zu verbringen, reiht man sich automatisch ins Mittelmaß ein. Eben Durchschnitt, statt besondere Leistungen.

Wie gut, dass Herzog in seiner Kindheit und Jugend auf ein offeneres Umfeld gestoßen ist, eines, in dem er sich ausprobieren konnte. Sich einfach entwickelte, wie es ihm guttat. Eben einfach spielen und eigene Wege der Ballannahme finden, ohne ständige Vorgaben von Trainern oder Vertretern von Akademien, die häufig viel zu früh Systeme einpauken, statt den Freiraum zur Selbstentwicklung zu bieten.

Vielleicht lag es auch daran, dass die Konkurrenz und der damit verbundene Druck ein anderer war. Wunderbar spiegeln kann sich Herzog jedenfalls täglich im Tun seiner Kinder. Während der jüngere Sohn Louis ein Rechtsfuß ist und zudem in erster Linie über Leidenschaft und Biss kommt, erkennt er sich in Luca und dessen Spielweise häufig wieder: „Der Große ist eins zu eins ich, nur waren die Zeiten damals anders. Ich war mit Abstand der Beste im Nachwuchs, da hast du dir mehr erlauben können.“

„Stark, ihm habe ich immer gerne zugesehen“, meldete sich ein bekannter Sportjournalist von „Zeit-Online“ via Textmessenger, nachdem ich ihm ein Foto von Andi Herzog und mir als kleinen Gruß gesandt hatte. Und weiter: „Pässe, Tore, Linksfuß. Konnte mit einem Kaugummi jonglieren.“ Was für ein wunderbares Bild. So ein Talent entwickelt sich nur durch Luft und Freiraum und Hilfe zur Selbsthilfe. Eben durch ausprobieren dürfen, und nicht durch in ein enges System-Korsett pressen.

Doch wieder zurück zur chronologischen Herzogschen Fußballhistorie: Von 1974 bis 1983 kickte Andreas Herzog für den FC Admira Wacker, legte hier den Grundstein für seine außergewöhnliche Karriere und konnte vor allem eins: Seine Stärken stärken – eben das linke Pratzerl. Oder frei nach Bruce Lee: „Ich fürchte nicht den Mann, der zehntausend Tritte einmal geübt hat, sondern den, der einen Tritt zehntausend Mal geübt hat.“ So oder ähnlich dachte wohl auch Anton „Burli“ Herzog, der die einzigartige Waffe im Spiel seines Sohnes erkannte, schärfte und zur Entwicklung beitrug – indem er ihn in den ersten Jahren intensiv begleitete.

Von klein auf war mein Vater mein Trainer bei Admira Wacker, dann habe ich wieder einen anderen Trainer gehabt, dann in der A-Schüler war er wieder mein Trainer, dann noch einmal im U15-Leistungszentrum, bis ich zu Rapid gewechselt bin. (Andreas Herzog)

Anton Herzog, den übrigens alle deswegen „Burli“ riefen, weil er schon mit 16 für die Kampfmannschaft des SC Wacker Wien in Obermeidling auflief, muss seiner Zeit voraus gewesen sein. Er nahm das Talent seines Sohnes wahr und wusste, dass das spielerische Element gefördert und gefordert werden musste. Eben nicht dem Ball hinterherlaufen und in Defensive denken, sondern offensiv nach vorne, sich einfach frei entfalten. Individualität fördern, statt Einheitsbrei fordern.

Es waren andere Zeiten, das klingt jetzt brutal, aber er hat genau gewusst, dass ich als kreativer Spieler, als sensibler Spieler eine andere Pflege, eine andere Behandlung wie jeder andere Spieler brauchte.

Ich war halt der spielerische Typ, der jetzt nicht unbedingt nach hinten viel gelaufen ist, auch im Nachwuchs schon, und da waren oft Phasen, wenn ich Trainer gehabt habe, die das total negativ gefunden haben, die mich auf das Defensive drillen wollten, dann ist er dazwischengegangen. (Andreas Herzog)

Der frühere Nationalspieler fand die richtige Mischung für seinen Sohn: Intuitiv gab er seinem Jungen genügend Freiraum, um so die Kreativität zu fördern, damit er sich spielerisch entwickeln konnte – andererseits stellte er ihn immer vor neue Herausforderungen.

Ich war häufig der jüngste Spieler, mein Vater hat mich immer dazugenommen. So war er mein Trainer bei den A-Schülern, obwohl ich noch zwei Jahre jünger war. Aber so habe ich gelernt, mich durchzusetzen. Weißt eh, ich war schon extrem talentiert, aber der Kleinste von allen, war feig, bin in keinen Zweikampf gegangen, aber wenn ich den Ball gehabt habe, obwohl ich der Kleinste war, war ich schon richtig gut. Und das hätte sich wahrscheinlich kein Trainer zugetraut. Mein Vater hat das aber immer durchgeboxt. (Andreas Herzog)

Ob nun bewusst oder unbewusst: Anton Herzog sorgte auf diese Weise für ein dynamisches Selbstbild bei seinem Sohn – im Gegensatz zum statischen Selbstbild. Bei letzterem nimmt man eine neue Aufgabe nur an, wenn man sie denn auch auf jeden Fall meistern wird – in Sachen „Fußball“ also das nächste Spiel gewinnt. Oder es erst gar nicht spielt. Entwicklung ist so allerdings nicht möglich.

Dynamische Selbstbilder stellen sich dagegen immer neuen Herausforderungen, wollen dazulernen und denken in Prozessen, statt in Ergebnissen. Übrigens eine Einstellung, die seinesgleichen anzieht. So traf Andreas Herzog Jahre später und als Trainer eben auf Jürgen Klinsmann – und beschloss mit ihm zusammen, dass sich das US-Team mit den Besten der Besten messen müsse, um den nächsten Schritt machen zu können. Befremdlich für den US-Verband, denn das bedeutete auf den ersten Blick Niederlagen – und auf Dauer weniger Einschaltquoten. Das Gegenteil war der Fall. Siege gegen europäische Topteams wie gegen die Niederlande oder gegen Deutschland. Es ist eben alles eine Sache der Einstellung – und im besten Fall Wachstum.

Doch wenn Siege zur Normalität werden, ist es an der Zeit, etwas zu verändern. In diesem Sinne handelte Burli Herzog schon vor 40 Jahren – eben modifizieren, um den nächsten Schritt zu machen. Zumindest dann, wenn man wachsen möchte. Und das mit aller Voraussicht und auch Konsequenz.

Denn als die Obersten der Admira entschieden, dass die Vereinsjugend sich fortan mit den Klubs in Niederösterreich messen sollte – bisher gehörte der Admira-Nachwuchs dem Wiener Verband an und kickte durchaus auf Augenhöhe mit Rapid und Austria –, war Burli Herzog klar, handeln zu müssen.

Mein Vater hat gemeint, dass es für meine Entwicklung nicht gut wäre, wenn ich jedes Spiel mit 8:0 oder 9:0 gewinne. Da ist einfach der Widerstand der Gegner zu schwach. Ich sollte also zu einem starken Verein. (Andreas Herzog)

Solange die Jugend der Admiraner auf hohem Niveau spielte, waren Dynamik und Weiterentwicklung gegeben, doch unter diesem neuen Aspekt war für Vater Herzog die Aussicht auf Wachstum und Herausforderung nicht mehr existent.

Und dann wollten sie wieder zurück in den niederösterreichischen Verband und dann hätten wir nur gegen kleine Dorfvereine gespielt wie Brunn am Gebirge oder Perchtoldsdorf. Dagegen hat sich mein Vater gewehrt. Da haben’s gesagt: „Tschüss, dann bist du nicht mehr Trainer, und deinen Sohn kannst gleich mitnehmen.“ Durch das bin ich von der Admira weg und zu Rapid. (Andreas Herzog)

Da ist er wieder, der rote Faden im Leben des Andi Herzog: der berühmte Stoß ins kalte Wasser – wieder durch die Eltern, wieder hin zum nächsten Schritt. Oder, um in der Schwimmersprache zu bleiben: vom Seepferdchen zum Freischwimmer. In anderen Worten: Auf zu Rapid Wien!

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