Kitabı oku: «16.7.41», sayfa 2

Yazı tipi:

Diese leere Wolkenlandschaft wurde von Himmelsvögeln bevölkert. Aus der Perspektive der anderen Vögel kreiste ich hier in einem dieser Vögel. Ich schaute auf die paradiesische Landschaft und fand es selbstverständlich, innerhalb dieses sphärischen Panoramas Engel, Fabelwesen und allegorische Vorstellungen zu erblicken. Die Wolken segelten weiterhin in ihren seltsamen Formationen an mir vorbei, nahezu naturwidrig in ihrer Ausprägung. Alles war in ständiger Bewegung, auch meine Gedanken und Vorstellungen, und auch die Sonne bewegte sich in westliche Richtung und würde alsbald ziemlich tief stehen und ein grelles gleißendes Licht in diesen Himmel schicken, in dem wir uns befanden. Die Vorstellung des Ewigen als ein Ort absoluter Unbeweglichkeit war für mich dahin, obwohl sie damals, als ich noch innerhalb solcher Vorstellungen lebte, als Kind, zu den zentralen Vorstellungen des Himmelreichs gehört hatte, und sie hatte mir viele Probleme bereitet, wenngleich von kindlicher Art. Unter mir und um mich herum schwebten die seltsamen Wolken auf einem blauen Himmelsmeer vorbei. Ich fand es höchst natürlich, den Löwen und das Lamm auf eine ziemlich flache Wolke zu setzen. Auf den kleinen himmlischen Wolken konnte ich mühelos Engel mit Posaunen in den Händen und oft mit herabhängenden Flügeln sehen, was ihnen einen nachdenklichen Ausdruck verlieh, den ich nicht anders als wunderschön bezeichnen kann. Und selbstverständlich gab es hier geflügelte Rosse, Zentauren und Flügelhirsche, die jeder für sich auf einer Wolke standen, mit gespitzten Ohren, als lauschten sie sphärischen Klängen. Aber was machten der Löwe und das Lamm? Sie weideten friedlich nebeneinander, labten sich an dem gleichen weißen schaumartigen Stoff, aus dem paradiesische Wolken gemacht zu sein scheinen. Der Löwe und das Lamm grasten nicht, sondern weideten Seite an Seite, hier in all dem Blau, mit Wolkenschaum an ihren Mäulern, den der Löwe vom Maul des Lamms abschleckte und das Lamm anschließend vom Maul des Löwen, eine Handlung, die sie in regelmäßigen Abständen bis in alle Ewigkeit wiederholen würden. Unter mir schwebten die Engel vorbei, manche saßen allein auf ihrer Wolke, auf anderen Wolken saßen zwei Engel zusammen, jeweils mit einer Posaune in den Händen, während auf wieder anderen Wolken, die größer waren und kleinere Wolken anzogen, oder Wolken, die sich losgerissen hatten und wie Schleier durch den Raum waberten, ganze Engelsscharen versammelt waren. Manche bliesen in ihre Posaunen, andere schlugen mit den Flügeln und rannten über die Wolken, bevor sie sich in den blauen Himmel stürzten, ihre Posaune zum Mund führten und einen himmlischen Ton ausstießen. Einige dieser fliegenden Engel kamen mir ziemlich nah, wie ich dort saß, und wurden von einem kühlen Lüftchen immer höher getragen, viel höher, als mein Blick reichte. Dann plötzlich erblickte ich etwas unter mir. Ich sah das Gesicht eines Engels, der mit seiner Posaune in den Händen auf einer Wolke saß, die Flügel nachdenklich herabgesenkt. Es war mein Vater, und als ich sah, dass es mein Vater war, durchzuckte es mich, und ich hob vorsichtig die Hand, um ihm zu winken, während er allein auf einer Wolke etwas unterhalb von mir davonsegelte. Jetzt war ich ganz gebannt. Es war so seltsam, nach all den Jahren den eigenen Vater wiederzusehen. So friedlich. Ich war erst elf gewesen, als er starb, und hatte nicht damit gerechnet, ihn je wiederzusehen.

Allerdings widerstand ich der Versuchung, ihm zu winken. Ebenso zögerlich, wie ich die Hand gehoben hatte, ließ ich sie wieder sinken. Die himmlische Wiedervereinigung hatte bei den Himmelsvorstellungen, die ich als Kind und angehender Jugendlicher damals hatte, wenn auch sehr vage, keine große Rolle gespielt. Als mein Vater starb, war er tot, und ich würde ihn nie mehr wiedersehen, auch nicht im Jenseits, alles andere entzog sich meiner Vorstellungskraft, obwohl ich damals als Kind, elfjährig, eine vage Vorstellung vom Himmelreich hatte, die mich in den Folgejahren begleitete, bis sie im Alter von sechzehn Jahren fast wie von selbst endete, als ich mich für immer aus den Reihen der Gläubigen verabschiedete. Mein Vater erschien in meinem Bewusstsein daher nie in der Erwartung einer himmlischen Wiedervereinigung. Hingegen erschien er in meinen Träumen. Ja, er erschien in meinen Träumen, Jahr für Jahr, zumindest bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr, vielleicht auch länger, ja, ich könnte annähernd vierzig gewesen sein, bevor die Träume von meinem längst verstorbenen Vater ein Ende fanden. Soweit ich mich erinnere, hatten alle diese Träume eine gemeinsame Grundstimmung. Sie hatten auch, immer noch soweit ich mich beim Schreiben dieser Zeilen erinnere, in den allermeisten Fällen eine gemeinsame Eröffnungssequenz. Sie begannen im Hinterhof des Mietshauses, in dem Familie Sørlie wohnte, bei der ich die Nacht verbracht hatte, in der mein Vater im Zentralkrankenhaus von Tønsberg starb. Dorthin war er mit dem Krankenwagen von Sandefjord aus gebracht worden, es war passiert, während ich draußen war, und als ich heimkam, war Frau Sørlie da und sagte, ich solle mit zu ihr kommen. Es war nicht das erste Mal, dass mein Vater ins Krankenhaus eingeliefert wurde, das war in den letzten Jahren zwei- oder dreimal vorgekommen, ich war daran gewöhnt und befürchtete nicht, dass er nicht mehr nach Hause käme, alle Erfahrung deutete darauf hin, dass er wiederkäme. Aber dieses Mal kam er nicht wieder. Im Traum begegne ich meinem Vater, meist überraschend, in einem Verschlag im ehemaligen Stall des Mietshauses, in dem Familie Sørlie wohnte. Er sitzt auf einem Hackklotz, atmet schwer und presst die Hände auf sein Herz. Ich freue mich, denn obwohl ich erkenne, dass er schwerkrank ist, ist er zurückgekommen. Warum, ist im Traum nicht zu erkennen, er ist einfach zurückgekommen, er ist also doch nicht tot, wie ich geglaubt hatte, und das freut mich, obwohl er so krank ist. Er ist schwer wie Blei. Im Traum ist oft derjenige, der träumt, bleischwer, kann die Füße nicht bewegen, sosehr er es auch versucht, der Träumer hat das Gefühl, sich im Traum zu überanstrengen, wenn er versucht, die Füße zu bewegen, um einen Schritt zu machen, schafft es nicht, doch in diesem Traum war mein Vater schwer wie Blei, nicht ich, der Träumer, und er drohte sich zu überanstrengen beim Versuch, sich der Bleischwere zu entledigen, nicht der in seinen Füßen, sondern der in seinem Leben. Ich, der Träumer, kann leichtfüßig davonlaufen, z.B. um Hilfe für meinen kranken Vater zu holen, oder ich helfe ihm aus dem Verschlag, häufig zusammen mit einem anderen, den ich nicht zu identifizieren vermag, hinaus in den Innenhof, wo er in die Sonne blinzelt und etwas sagt; oder der andere, der Unidentifizierte, sagt es für ihn, z.B. dass er sich nicht so gut fühlt, wie er es sich wünscht, jetzt, wo er wieder hier ist. Und ich weiß, dass er uns noch einmal wegsterben wird, und doch freue ich mich, ja, ich bin glücklich darüber, dass er trotz allem hier ist. Wie alt ist derjenige im Traum, zum Zeitpunkt, als ich, sagen wir, vierzig war und das hier träumte? Elf oder vierzig? Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, jedenfalls nicht jetzt, im Moment des Schreibens, vermutlich auch nicht im Moment des Träumens. Ist der Traum unsagbar traurig? Es ist ein Traum, der einen schrecklichen Verlust zum Ausdruck bringt, aber es ist auch ein Traum, in dem ich unabhängig von meinem Alter renne, meine Beine bewegen sich wie Trommelstöcke, wie man so sagt, auf der Suche nach einer aufbauenden Nachricht, nach einem Arzt, der heilen kann, oder einer Stimme, die sagt: Er wird es schaffen. Im Traum zu hören, dass es die Hoffnung gibt, dass er es dieses Mal schafft, mit seinem schweren Atem, dem bleischweren Atem, dem schwachen, aber bleischweren Herzen und den von der Krankheit geschwollenen, aber vom Traum bleischweren Füßen, ist eine unsagbare Erleichterung. Es ist lange her, dass ich diese Träume hatte, ja, schon an jenem Oktobertag vor etwas mehr als zehn Jahren, als ich in der SAS-Maschine saß, über der Wolkendecke von Frankfurt am Main kreiste und mir vorstellte, ich befände mich im Paradies, während wir auf die Landeerlaubnis an einem der verkehrsreichsten Flughäfen Europas warteten, war es lange her, dass ich sie hatte. Doch ich weiß, dass ich solche Träume hatte, mit wenigen Variationen, in denen ich vor allem in der exakt gleichen Stimmung erwachte, egal ob ich zwölf, siebzehn, fünfundzwanzig, zweiunddreißig oder vierzig war, ja, vielleicht sogar noch älter, ein Mann mittleren Alters. Der Verlust hatte mich nicht losgelassen, er tauchte wieder und wieder im exakt selben Zustand auf, bis ich ein Mann mittleren Alters war. Doch dann hörte dieser Traum von selbst auf. Wann und weshalb, weiß ich nicht. Auch hatte ich mich nicht darüber gewundert, warum dieser Traum aus meinem Leben verschwunden war, ja, ich hatte kaum registriert, dass ich nicht länger von ihm heimgesucht wurde. Doch was ich mit als Erstes tat, als ich in der Wolkendecke über Frankfurt am Main erstmals diese Himmelsvorstellungen hatte, war, in einem dieser Engel, die meinen Himmel bevölkerten und die ich ohne Weiteres in der Anonymität hätte belassen können, die Gestalt meines Vaters zu erblicken, ich hätte mich mit den Himmelsvorstellungen von vorbeischwebenden Engeln und Posaunen auf diesen wundersamen Wolkenformationen unter mir und um mich herum begnügen können. Ich hatte sogar die Hand gehoben, zögerlich, um ihm zu winken, wie ich dort im Flugzeugrumpf saß, mich aber ebenso zögerlich umentschieden und die Hand wieder sinken lassen. Ich wurde nämlich ganz verlegen, nicht verschämt, aber ich wollte meinen inneren Frieden nicht von einer äußeren Geste entlarvt wissen, ich wollte nicht aus einem Flugzeugfenster winken für den Fall, dass es jemand sah, denn ich fand, dass es sich nicht gezieme. Aber vor meinem inneren Auge machte ich den Schritt. Ich fand es an der Zeit, selbst auszusteigen und mich auf einer Wolke nicht weit von jener, auf der mein Vater dahinsegelte, niederzulassen. Ich wage nicht, mich mit Flügeln auszustatten, bin also kein Engel, sondern nach wie vor ein irdischer Mann, aber ich befinde mich jetzt für einen kurzen Augenblick dort draußen in Gestalt des Menschen, der ich bin, einfach nur ich, sonst nichts, ohne weitere Kennzeichen, und ich bin auch nicht so taktlos, dass ich zu schildern wage, wie es sich anfühlt, die Füße auf eine Wolke zu setzen. Ich beschränke mich darauf, meine überirdische Freude zum Ausdruck zu bringen, darüber, dass ich meinen Vater nicht weit weg auf einer Wolke sitzen sehe, in Gedanken versunken, und ich schwebte auf meiner Wolke an ihm vorbei und winkte ihm aus großer Entfernung, und ich sehe, wie er kurz stutzt, als wäre er nicht sicher, was dort auf dieser Wolke vor sich geht oder wer sich darauf befindet, doch dann begreift er es, als ich in ziemlich großer Entfernung an ihm vorbeischwebe, zu groß, als dass wir uns hätten unterhalten können, vielleicht hätten wir schreien können, aber das hier war kein Ort zum Schreien, und er hob die Hand und winkte von seiner Wolke zurück, als wir aneinander vorbeiglitten.

Weiter konnten meine Himmelsvorstellungen nicht gehen. Näher werde ich meinem verstorbenen Vater niemals mehr kommen, wenn ich ihn mir in Gestalt eines Engels denke. Eigentlich bin ich schon zu weit gegangen. Ich habe eine Lücke in meinem Bewusstsein gefunden und sie genutzt oder ausgenutzt, um mir Zugang zur Ewigkeit zu verschaffen, für einen kurzen Augenblick, weil ich meinen Vater auf diese Weise wiedersehen wollte. Ohne ein Wort zu wechseln, ich wollte ihn nur dort auf seiner Wolke sehen und selbst auf einer anderen Wolke in großer Entfernung an ihm vorbeischweben. Ich hätte mich jedoch mit dem ersten und einzigen Anblick vor meinem Fenster zufriedengeben können, während ich dort im Flugzeugrumpf saß. Ich hätte nicht hinausgehen sollen, in die Ewigkeit, nicht einmal in meiner Vorstellung. Ich gebe zu, dass es mir hinterher Angst eingejagt hat, es ist mehr als zehn Jahre her, aber ich wache nachts oft auf, weil ich im Traum dem Tod einen Besuch abgestattet habe, was zweifellos daran liegt, dass ich seinerzeit eine Lücke in meinem Bewusstsein ausnutzen konnte, um einen kurzen Sprung in die Ewigkeit zu wagen. Doch als es geschah, hatte ich keine Alternativvorstellungen. Ich war so ergriffen von meinen eigenen Himmelsvorstellungen, dass ich diese Ergriffenheit mit einem Unschuldszustand verwechselt haben musste, denn alles, was ich mir vorstellte, machte mich überirdisch glücklich. Nicht allein, dass ich meinen Vater in einem Engel mit herabhängenden Flügeln und einer Posaune in den Händen, der auf einer kleinen Wolke tief unter mir saß, erkannt hatte. Es dauerte trotz allem nur eine winzige Sekunde, bevor neue Traumgesichte vor mir auftauchten und ich mich von ihnen in den Bann schlagen ließ, ohne weitere Versuche zu unternehmen, meinen Vater wiederzufinden. Doch ständig tauchten neue Wolkenformationen auf und appellierten an meine Vorstellungskraft. Alles, was ich sah, erschien mir wie ein Kirchenlied. Ich sah die geheimsten Hoffnungen der Menschheit. Ich sah Zeichen der Gnade und deutliche Bilder der Erlösung. Ich sah Engel, die ganze Zeit über sah ich Engel, Scharen von Engeln. Erneut sah ich den Löwen und das Lamm, jetzt in rosa Licht getaucht. Ich sah Fabelwesen. Den Thron und den Himmelswagen, alles, was besungen worden ist, und alles, was zu Bildern verarbeitet worden war, ich sah große allegorische Prozessionen, die sich über die luftigen Federbetten der großen Wolken bewegten, ich erkannte den Wolkenschleier, der sich in Nichts auflöste, und ich erdreistete mich, nach Gottes Thron Ausschau zu halten. Sah ich Gottes Thron? Ja, ich denke schon, ich konnte Gottes Thron und die Scharen, die drum herum versammelt waren, gut erkennen. Doch Gott selbst sah ich nicht, er war für mich nicht anwesend. Ja, ich sah Gottes Thron, obwohl er nicht leicht zu finden war, er stand ein wenig verdeckt in einem Wolkenberg, und ich hätte ihn durchaus für etwas anderes halten können, z.B. für einen Himmelswagen, Glied einer der unzähligen Prozessionen, von denen der Himmel so voll sein soll und die ich oft auf Glasmalereien und Tafeln in Kathedralen uralter europäischer Städte abgebildet gesehen hatte. Ich sah alle gemalten Bilder und alles, was gesagt war, und ich war sehr dankbar für all die Bilder, die ich gesehen hatte, und alles, was ich gelesen hatte und was unvergessen ist, wie ich weiß, obwohl ich ebenfalls weiß, dass ich keine Chance habe, Gott in meinen Himmelsvorstellungen zu entdecken, aus Gründen, die für jedermann offensichtlich sind.3 Ich befand mich in einem Flugzeug, in einer Art himmlischem Vogelkörper, und schaute hinaus. Wie lange kreisten wir schon über der Wolkendecke oberhalb von Frankfurts Flughafen? Ich weiß es nicht, ich hatte längst den Kontakt zur Zeit verloren, wie ich in Gedanken versunken dasaß und hinausschaute. Ich war so absorbiert von meinen Himmelsvorstellungen, dass mir nicht einmal aufgefallen war, dass es dunkel wurde, noch dazu in jenem Raum, der Schauplatz meiner überirdischen Vorstellungen war. Doch auf einmal durchflogen wir die kompakte Wolkendecke und waren kurz darauf auf der anderen Seite und konnten die nackte Erde erblicken. Mit Gebrüll stürzten wir uns durch die Wolkendecke in Richtung der dampfenden Felder, Wälder, Häuschen und des Straßennetzes unter uns. Eine Stimme im Lautsprecher verkündete, dass wir nun zur Landung ansetzten. Unter den Flügeln wurden die Räder ausgefahren, wir flogen ziemlich dicht über den Boden und kamen im diffusen Licht der Dämmerung in eine große Stadt. Ich erblickte einen riesigen blinkenden Betonturm, der links von mir in die Luft ragte, und direkt unter mir befand sich ein großer Park, der aussah, als würde er sich über große Gebiete mitten in der Stadt erstrecken, eine breite Avenue führte durch ihn hindurch, in der alle Straßenlaternen brannten, aber mit einem bemerkenswert gedämpften, ja, schwachen Licht. Mitten auf dieser Avenue befand sich ein offener Platz mit einer angestrahlten vergoldeten Säule. Der Flughafen lag quasi im Zentrum, wie es schien, denn kurz darauf setzten wir mit einem schweren Dröhnen auf, und das Flugzeug drosselte nach und nach das Tempo, bis es schließlich zum Stehen kam. Eine Stimme im Lautsprecher bedauerte den Vorfall, hieß uns aber dennoch in Berlin willkommen. Wir sollten das Flugzeug verlassen und in der Eingangshalle auf weitere Anweisungen warten. In dem Moment begriff ich, dass das Flugzeug aus irgendeinem Grund nicht auf dem Frankfurter Flughafen landen konnte, sondern weiter nach Osten geflogen war, nach Berlin, doch hatte ich, der ich von dem, was ich schon jetzt meine Himmelsvorstellungen nannte, absorbiert gewesen war, nicht mitbekommen, was sicherlich längst bekanntgegeben worden war. In der Eingangshalle warteten wir zwei Stunden, und da der Frankfurter Flughafen weiterhin geschlossen war, bekamen diejenigen von uns, die es wünschten, eine Hotelübernachtung in Berlin angeboten oder eine Weiterreise nach Frankfurt mit dem Zug. Da sich das Ziel meiner Reise, die Teilnahme an einer Literaturveranstaltung auf der internationalen Frankfurter Buchmesse, die heute Abend stattfinden sollte, nicht mehr realisieren ließ, beschloss ich, in Berlin ins Hotel zu gehen. Es war mein erster Besuch in Berlin.

Fußnoten Kapitel 1

Fußnote 1.

»Wie immer bin ich derjenige, der das hier schreibt. Doch wer ist derjenige, der sich in der internationalen Abflughalle des Flughafens Fornebu befindet, um mit einem SAS-Flug nach Frankfurt am Main zu reisen? Ich bin derjenige, der schreibt. Ich, der das hier schreibt, sage, der Mann am Flughafen ist derjenige, der schreibt. Also ich. Mein ›nacktes‹ Ich. Ich denke zurück an mich in Fornebu an einem Oktobertag 1990 und schreibe diesen Text. Das liegt jetzt mehr als zehn Jahre zurück.«

So lautete der ursprüngliche Einstieg ins Buch, der aber nicht zum eigentlichen Einstieg wurde, sondern zum verworfenen Versuch eines Einstiegs, wenngleich dem ersten in einer ganzen Reihe. Was ich damit erreichen wollte, war eine deutliche zeitliche Kluft zwischen mir, dem Schreibenden, und mir, dem Ich im Text. Das schreibende Ich ist nicht identisch mit dem handelnden Ich, obwohl beide Schriftsteller sind und auch Dag Solstad heißen, es ist derselbe Name, der als Autor auf dem Titelblatt dieser Erzählung stehen wird. Dieser Einstieg ermöglichte es mir, Dinge wie diese zu schreiben:

Fußnote 1b.

»Ich war damals wie heute ein gewöhnlicher Reisender, ausgestattet mit der selbstbewussten Achtsamkeit des Reisenden und ohne Bewusstsein dafür, dass eine Reihe ereignisreicher Jahre vor mir lagen, was dem jetzt schreibenden Ich hingegen vollkommen bewusst ist. Zu diesen Jahren gehören beispielsweise eine Reihe bemerkenswerter Ereignisse im privaten Bereich, aber auch die Tatsache, dass ich in der vor mir liegenden Zeit, von jenem Zeitpunkt an, als ich in Fornebu stand, bis zu dem Augenblick, in dem das hier geschrieben wird, vier neue Romane schreiben sollte, die noch nicht ausgebrütet waren, nicht einmal als vage Idee, ja nicht einmal als Ahnung, sie befanden sich damals völlig außerhalb meiner Vorstellungskraft, sie waren nicht einmal zu denken, wohingegen sie jetzt geschrieben sind und ein wichtiger Teil meiner Identität. Wenn ich damals Vorstellungen von meiner Zukunft hatte, waren sie wohl eher darauf gerichtet, dass ich in ein paar Jahren meinen fünfzigsten Geburtstag feiern sollte und was das für mein Leben bedeuten würde. Jetzt ist derjenige, der schreibt, sechzig.«

Oder er ermöglichte mir, Dinge wie diese zu schreiben: »Derjenige, der das hier schreibt, weiß, dass ich vor mehr als zehn Jahren mit diesem Flugzeug geflogen bin, und ich weiß im Moment des Schreibens, wie die Reise verlief. Doch derjenige, der vor der Departure-Anzeigetafel des längst stillgelegten Flughafens Fornebu steht und nichts weniger ist als ›ich‹, ist auf seiner Reise noch nicht weitergekommen als bis zu dieser Tafel, vor der er steht, um die Flugnummer, das Gate und die Boardingzeit herauszusuchen, und er hat viel Zeit vor sich, die noch nicht gefüllt ist und über die er noch nichts weiß, obgleich wir beide ›ich‹ sind, das schreibende Ich wie auch das Ich, über das ich schreibe. Wir sind beide ich und nennen uns ich und können jedes Mal, wenn einer von uns etwas denkt, ›dachte ich‹ oder ›sagte ich‹ oder ›fragte ich mich‹ sagen, und doch trennen uns gut zehn Jahre, und ich, der das hier schreibt, weiß viel mehr über ihn, der beschrieben wird, als er selbst, und auch viel mehr über ihn als über mich selbst und meine Zukunft, über die ich gar nichts weiß, weil sie vor mir liegt und nicht geschaut werden kann, und doch sind wir beide, sowohl ich mit einer Zukunft, die ich mir nicht vorstellen kann, als auch er, über den ich schreibe, ausgestattet mit dem Wort ›ich‹, dem einzigen existierenden Wort, das ausschließlich mir vorbehalten ist. Das Wort ist Ur. Die verrinnende Zeit.«

Wie man sieht, habe ich versucht, einen Einstieg hinzubekommen, der die Auflösung der Identität in der Begegnung mit der Zeit einbezieht. Es ist also eine Art düsteres Spiel, mit dem ich meinen neuen Roman ursprünglich beginnen wollte. Dass es sich eindeutig um meine eigene Identität gehandelt hat, hat mich vermutlich ebenfalls angespornt. »Wie immer bin ich derjenige, der das hier schreibt.« Wie immer war ich derjenige, der das hier schrieb: »Zu Beginn dieser Geschichte ist Bjørn Hansen gerade fünfzig geworden und steht am Bahnhof von Kongsberg«, wie es zu Beginn von Elfter Roman, achtzehntes Buch heißt, dem nächsten Buch, das der Ich-Erzähler aus der Eröffnungsszene dieser Geschichte schreiben wird und von dem er noch nichts ahnt, das jedoch von mir geschrieben wurde, so wie stets ich derjenige bin, der das hier schreibt, und darauf verweise ich mit dem zunehmenden Verdacht, dass dieses »Ich« kein Ich ist, sondern etwas anderes, etwas, das sich auflöst, wenn man anfängt, es näher zu untersuchen, z.B. in einer Art Spiel mit Wort und Zeit, doch auch in dieser Auflösung bin immer ich derjenige, der das hier schreibt. Das scheint mich sehr zu beschäftigen, da ich darauf poche, meinen neuen Roman mit diesem Spiel zu beginnen, während ich nun also fliegen will.

Dennoch habe ich diesen Beginn verworfen. Warum habe ich ihn verworfen? Es war ein langer Prozess, der erst endgültig abgeschlossen war, als ich mich beiseitenahm und mich eindringlich mit Du ansprach, um etwas Distanz in die Sache zu bringen. Jetzt schreibst Du schon, sagte ich zu mir selbst, seit mehr als fünfunddreißig Jahren Bücher, warum hast Du das hier nicht zu einem früheren Zeitpunkt aufgegriffen? Dafür hättest Du jahrelang Zeit gehabt und auch die Gelegenheit, es zu machen, aber das hast Du nicht getan. Du magst sagen, es ist ein Versäumnis, und es bedauern, aber das nützt mir nichts. Ich will jetzt fliegen und mich nicht mit Deinen Versäumnissen in einem Zeitraum von fünfunddreißig Jahren gelebten Lebens beschäftigen. Es ist jetzt zu spät, um mit einem »Wie immer bin ich derjenige, der das hier schreibt« anzukommen. Die Zeit ist Dir davongelaufen. Dass man begreift, in welcher Phase des eigenen Lebens man sich befindet, ist unabdingbare Voraussetzung für das beanspruchte Privileg, sich in fiktiver Form an die Öffentlichkeit zu wenden. Ich befinde mich in einer Phase, in der es zu spät ist, um dieses düstere Spiel mit Wort und Zeit mit mir selbst als Objekt oder Opfer anzustellen. Mich beschäftigt die Zeit, aber nicht in dieser aufgelösten Form. Meine Auflösung ist eine andere, ihr muss ich mich zuwenden. Dass mich dieses Spiel noch immer fasziniert, muss man als etwas Bedauernswertes hinnehmen, das keinerlei Legitimität verleiht, es in einen Romananfang zu pressen, wenn ich gerade fliegen will.

Darum verwarf ich diesen Einstieg. Hoffentlich war es der glückliche Ausgang eines schwierigen Prozesses. Endlich davon befreit, kam mir jedoch eine Idee. Wie wäre es, wenn ich diesen Roman mit Fußnoten ausstatten würde? Dann könnte ich derlei Betrachtungen mit einbeziehen, die ich dem Leser soeben präsentiert habe. Gesagt, getan. Ich beschloss, diesen Roman mit Fußnoten auszustatten, wo immer es mir in den Sinn kommen sollte.

Fußnote 2.

Ursprünglich hatte ich hier einen langen Vortrag stehen, in dem ich mich an diesem Oktobertag vor mehr als zehn Jahren von außen schildere. Unter anderem meine Kleidung, und ich hielt mich besonders lange bei der Frage auf, ob ich einen Anzug trug oder nicht, und wenn ja, welchen Anzug: »Trug ich einen Anzug? Ich nehme es an, da ich nur Handgepäck dabeihatte, weshalb ich den Anzug am Leib trug, damit er nicht im Koffer zerknittert wurde. Und ich wäre kaum ohne Anzug verreist, da ich an einer Literaturveranstaltung in Frankfurt teilnehmen wollte. Daher hatte ich ihn sicherlich an. Ich besaß damals zwei Anzüge, einen beigefarbenen Anzug von Pierre Cardin und einen koksgrauen von Dior, beide in der Ciudad de Mexico erstanden, den ersten 1983, den zweiten in derselben Stadt 1986. Der Pierre-Cardin-Anzug dürfte ein wenig in die Jahre gekommen sein, etwas abgetragen und ganz sicher unmodern hinsichtlich Schnitt und dergleichen, aber das störte mich vermutlich kaum, weshalb ich ihn gut und gern getragen haben könnte, falls er keine Flecken hatte. Ja, ich glaube schon, dass ich ihn dem Dior-Anzug vorgezogen hatte, denn der Dior-Anzug hatte einen Makel. Er war zu eng, ich hatte ihn leider zu eng gekauft. Das hatte zur Folge, dass er nicht sehr angenehm zu tragen war, und außerdem war er an den Armen zu kurz, sodass die weißen Hemdsärmel mehr zu sehen waren, als es sich schickte. Ich könnte ihn trotzdem getragen haben, denn ich trug ihn oft bei großen Anlässen, wie die Mitwirkung an einer Literaturveranstaltung auf der Frankfurter Buchmesse einer war. Aber ich glaube, ich hatte den Pierre-Cardin-Anzug dabei, so groß war die Veranstaltung nun auch wieder nicht.« Kurz zuvor hatte ich mich übrigens gefragt, ob ich einen Mantel trug, und angenommen, dass ich einen Frühlingsmantel übergezogen hatte, obwohl auch dieser nicht ohne Fehler war, die Gürtelschlaufe war abgerissen und nicht mehr angenäht worden. Desgleichen die Schuhe, es waren ziemlich ungeputzte schwarze Schuhe, hinten plattgetreten. Kurzum, ich konfrontiere die Leser mit einem reichlich schäbig aussehenden Mann. Mit teuren, aber abgetragenen und ziemlich unordentlichen Kleidern am Leib. Und ich selbst schildere mich vor zehn Jahren. Ich schreibe also über mich und wie ich vor zehn Jahren aussah. Ich, der ich bisher nie Wert darauf gelegt habe, die Kleider und das Aussehen meiner Romanfiguren zu beschreiben. Warum sollte ich es jetzt tun? Das habe ich zu beantworten versucht, wie ich sehe: »Warum ich dies jetzt tue, erschließt sich mir nicht ganz, vielleicht weil es eine besondere Begebenheit ist, dass ich in einem Roman mitwirken soll, als Hauptfigur, ich kann nicht sagen, dass ich davon geträumt habe oder mich besonders darüber freue. Aber es muss sein, es lässt sich nicht vermeiden.« Dann geschah jedoch Folgendes: Je mehr ich mich damit amüsierte, mich an diese alten Klamotten zu erinnern, und ich die Hauptfigur des Romans, also mich, darin kleidete, umso größer wurde mein Unbehagen. Dass ich mich, denselben und doch nicht denselben, von außen so detailliert beschrieb, fühlte sich mit der Zeit literarisch unerträglich an. Es wurde auch nicht besser, als ich dazu überging, Gegenstände zu beschreiben, die ich bei mir oder an mir trug, indem ich beispielsweise fragte, ob ich etwas am Handgelenk hatte, und darauf antwortete, ich trüge »eine billige Armbanduhr« am Handgelenk, um anschließend zu erzählen, dass ich eine unvorteilhafte Brille auf der Nase hatte, »eine sogenannte Hornbrille«, bevor ich mich zuletzt daran erinnerte, dass ich auch damals schon einen Bart trug. Doch jetzt reichte es mir. Jetzt war mein Unbehagen so angewachsen, dass mich allein der Gedanke daran, dass ich damals im Gegensatz zu heute einen Bart trug und ich mich wieder mit einem Bart ausstatten müsste, einem Bart, den ich mir bekanntlich irgendwann im Jahr 1991 abrasiert hatte und nie mehr wachsen ließ, mit einem Gefühl von Übelkeit erfüllte, weshalb ich mich weigerte fortzufahren, und ich löschte die Seiten, die ich bereits verfasst hatte. Es war mir schlicht und einfach unerträglich, so zu schreiben.

Fußnote 3.

Andere können das ganz anders sehen. Völlig andere Vorstellungen haben, obwohl wir uns auf dieselben Choräle und Bilder berufen. Für die Schwester meines Vaters, Tante Elise, waren die Straßen im Himmel aus Gold. Der Himmel war in meinem Elternhaus ein Gesprächsthema, z.B. sonntags beim Essen. Ich weiß noch, dass Tante Elise sagte, im Himmel seien die Straßen aus Gold. Tante Elise war halbblind, sie nahm die Umgebung nur als vage Schatten wahr, das war seit ihrer Kindheit so. Sie arbeitete nicht, blieb ein Leben lang zu Hause, zunächst bei ihren Eltern, später wohnte sie bei ihrem jüngeren unverheirateten Bruder. Sie kam im Alltag gut zurecht, bei der Hausarbeit, beim Kochen etc., mit fest einstudierten Routinen, aber sie war halbblind und konnte nichts sehen. Ich weiß noch, dass sie sagte, im Himmel seien die Straßen aus Gold. Bei einem Sonntagsessen, ich war ein kleiner Junge von sechs oder sieben Jahren und hörte, wie Tante Elise verkündete, im Himmel seien die Straßen aus purem Gold. Das klang toll, und sie wirkte stolz dabei, aber mein Vater widersprach ihr. Mit welcher Begründung er ihr widersprach, weiß ich nicht mehr, oder ich habe nicht darauf geachtet, aber er widersprach ihr, und Tante Elise war gekränkt. Sehr gekränkt, so gekränkt, dass ich mich heute noch, mehr als fünfzig Jahre später, daran erinnere. Rechthaberisch und zutiefst verletzt wiederholte sie, im Himmel seien die Straßen aus Gold. Es entspann sich eine Diskussion, an die ich keine Erinnerung mehr habe und an der ich selbst natürlich nicht beteiligt war. Vielleicht saß ich nicht einmal mit am Tisch, sondern darunter, wo ich so tat, als sei ich ein kleiner Hund, das machte ich gern, wenn es zum Essen Koteletts gab, und das war sonntags oft der Fall, dann saß ich unter dem Tisch und nagte an einem Knochen und tat so, als wäre ich ein kleiner Hund, doch sollte ich heute das Wort ergreifen, dann um Tante Elise beizuspringen. Die Straßen im Himmel sind aus purem Gold. Vieles spricht dafür, dass Tante Elise sich mehr mit dem Himmelreich und dem ewigen Leben beschäftigt hat als andere. Denn dort würde sie etwas sehen können. Hier war sie halbblind, dort würde sie sehen können. Es gibt viele Erzählungen, wonach die Straßen im Himmel aus Gold seien, sie kann in unautorisierten Kirchenliedern davon gehört haben oder in den euphorischen Predigten der Prediger über die himmlische Pracht, und sie hat die Worte in sich aufgesogen. Vor ihrem inneren Auge konnte sie den Himmel sehen. Die Straßen dort oben seien aus Gold, wusste sie zu berichten, und sie konnte nicht verstehen, wie ihr jemand in diesem Punkt widersprechen konnte.

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