Kitabı oku: «Und dann kam das Wasser», sayfa 4
Dicht aneinandergedrängt standen die beiden Kommissare kurz darauf unter einem verwitterten Plastikvordach und warteten darauf, dass jemand auf ihr Klingeln reagierte. Rechtsanwalt Mooslechners Haus lag in der alten Villengegend rund um das Klinikum, jedoch weit genug vom Inn entfernt, um nicht wie die Häuser der Altstadt, wo im Übrigen auch seine Kanzlei lag, baden zu gehen. Neben dem Haus gab es eine Doppelgarage, deren Tore geschlossen waren, und dahinter erstreckte sich vermutlich ein weitläufiger Garten.
„Immerhin kommt der Regen hier nur von oben“, versuchte Franziska die Situation mit einem Scherz aufzulockern und drückte erneut und auch etwas länger auf den in die Hauswand eingelassenen Klingelknopf.
Die Fassade des Hauses war so grau wie das Wetter, Fenster und Türen hätten dringend einen neuen Anstrich vertragen, obwohl der Gesamteindruck nicht ungepflegt wirkte, sondern einfach nur altmodisch. Vor den Fenstern hingen dichte Spitzengardinen, die keinen Blick ins Innere des Hauses gestatteten.
Endlich öffnete eine dunkelhaarige Frau Mitte dreißig mit einer figurbetonenden Schürze um die Mitte und Resten von Mehl im Gesicht. „Ja?“
„Guten Tag, mein Name ist Steinbacher, und das ist mein Kollege Hollermann. Wir sind von der Kripo Passau.“
Die Frau verzog das Gesicht und wedelte mit den mit Teigresten verschmierten Händen, die sie wie ein Chirurg in die Höhe hielt. „Das jetzt ganz schlecht“, sagte sie mit starkem osteuropäischem Akzent.
„Wir sind vom Morddezernat“, setzte Franziska nach. „Wir würden gerne mit Herrn Mooslechner sprechen.“
„Nix möglich.“
„Aha. Nun …“ Franziska atmete tief durch und sagte dann: „Wie ist bitte Ihr Name?“
Die Frau sah sie skeptisch an und sagte dann: „Macarescu.“
„Frau Macarescu, dürfen wir vielleicht kurz reinkommen?“ Die Kommissarin zeigte mit einer unbestimmten Handbewegung in Richtung des Regens, dass es hier draußen ein bisschen ungemütlich war. Dann zog sie ihren Dienstausweis aus der Tasche und hielt ihn der Frau unter die Nase. Mit einem Seitenblick gab sie Hannes zu verstehen dasselbe zu tun.
Ohne auf Franziskas Bitte einzugehen, studierte Frau Macarescu mit zusammengekniffenen Augen beide Ausweise und fragte dann schroff: „Was Sie wollen?“
„Wir müssen mit Herrn Mooslechner sprechen“, erklärte Hannes. „Es ist dringend.“
„Tut mir leid, Herr Viktor nix zu Hause.“ Abweisend stellte sie sich in die Haustür.
„Aber dann können Sie uns doch bestimmt sagen, wo wir ihn finden können?“, hakte Franziska munter nach. Sie hatte nicht vor, sich so ohne Weiteres abservieren zu lassen.
„Ich nix wissen, ich nur Putzfrau.“
„Hat er denn nicht gesagt, wohin er geht?“
„Nein. Nix sagen.“
„Hören Sie, Frau Macarescu, es ist wirklich sehr dringend“, versuchte es Hannes noch einmal.
„Tut mir leid, aber ich nix helfen können“, antwortete die Putzfrau bestimmt, und als im gleichen Moment eine krächzende Stimme aus den Tiefen des Hauses nach ihr rief, ergänzte sie hastig: „Ich jetzt kümmern um alte Herrn Mooslechner. Auf Wiedersehen.“
Danach drückte sie die Tür unsanft ins Schloss und ließ die abgewiesenen Besucher verdutzt im Regen stehen.
„Was war das denn?“ Hannes fasste sich als Erster.
„Ihr gutes Recht“, erklärte Franziska und holte aus ihrem Notizbuch einen Vordruck für eine Vorladung, die sie mit den persönlichen Angaben des Anwalts ergänzte und in den Briefkasten warf. „Na komm, mehr können wir nicht tun.“
Nachdem sie im trockenen Auto Zuflucht gefunden hatten, fragte Hannes: „Und jetzt? In die Kanzlei? Vielleicht finden wir diesen Mooslechner ja da.“
„Nein. Das Büro ist in der Altstadt, da ist alles überflutet. Ich glaube, ich habe erst mal genug vom Wasser.“ Sie grinste.
„Wollen wir dann einfach mal bei einem von den Beinhubers vorbeifahren?“
Ganz in Gedanken vertieft, schrieb Franziska einige Stichwörter in ihr grünes Notizbuch, bevor sie es in die Tasche zurückschob. Dann schaltete sie den Scheibenwischer ein und sah ihm schweigend bei der monotonen Arbeit zu.
„Ja, gute Idee“, stellte sie auf einmal fest und blickte zu Hannes hinüber. „Aber zuerst muss ich mit Mona sprechen. Ich will wissen, ob meine Fotos was geworden sind.“ Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Hannes die Augen verdrehte, aber da hatte sie den Motor schon angelassen und die Handbremse gelöst.
Erst als sie eine Viertelstunde später auf dem Parkplatz der Inspektion anhielten, schob Franziska eine Erklärung nach. „Wie sollen wir denn eine vernünftige Befragung durchführen, wenn wir noch immer nicht wissen, wer der Tote ist und wann er getötet wurde?“
„Und wie willst du das ohne Leiche herausfinden?“
„Ich hoffe, Mona hat was rausgekriegt. Sonst wäre mein Tauchgang am Tatort ja vollkommen umsonst gewesen“, erklärte Franziska bemüht fröhlich und nahm die wenigen Meter bis zur Eingangstür der Inspektion im Laufschritt.
Hannes folgte ihr mit eingezogenem Kopf und rief ihr durch den immer noch strömenden Regen zu: „Ich glaube übrigens, dass er schon vor dem Hochwasser dort lag.“
Kaum im Trockenen, blieb die Kommissarin stehen und wartete voller Interesse, bis Hannes sie erreicht hatte. „Wie kommst du darauf?“
„Er war angezogen wie jemand, der mal eben Zigaretten holen geht, und nicht wie jemand, der sich auf so ein Wetter eingestellt hat.“ Hannes blickte an sich hinunter, und Franziska wusste sofort, was er meinte.
„Stimmt. Dann liegt er aber mindestens seit Donnerstag letzter Woche in dem Haus, vielleicht auch viel länger. Bei den Temperaturen, die wir in den letzten Wochen hatten, muss der Laden ein Kühlschrank gewesen sein.“
„Donnerstag?“, erkundigte sich Hannes.
„Ja, Donnerstag war es relativ trocken.“
Hannes guckte sie zweifelnd an. „Und das weiß du so genau?“
„Ich war da … ach egal. Auf jeden Fall brauchte man sich am Donnerstag nicht so regenfest anzuziehen.“ Franziska warf einen Blick auf die Armbanduhr und begann hektisch in ihrer Tasche zu wühlen, bis sie einen etwas mit genommenen Müsliriegel herausfischte. Ungeduldig riss sie die Verpackung auf und biss hinein.
„Wir müssen noch einmal mit der Feuerwehr sprechen“, sagte sie mit vollem Mund. „Ich muss wissen, wie lange die Sandsäcke dort schon liegen, und den Wetterbericht brauchen wir auch.“ Kauend blickte sie Hannes an. „Seltsam, es ist wie bei der Uhr. Man schaut drauf, aber wenn man kurz darauf gefragt wird, wie spät es ist, kann man sich nicht mehr dran erinnern. Mit dem Wetterbericht ist es ähnlich – am Abend vorher ist er wichtig, aber dann vergisst man ihn. Und dabei sollten wir Passauer es doch besser wissen.“
„Ach, du stammst aus Passau?“
„Nicht direkt, und bei Hochwasser hab ich immer einen großen Bogen um die Altstadt gemacht. Ich hab noch nie zu denen gehört, die zusehen, wie andere ihr Hab und Gut an die Fluten verlieren“, erklärte sie und steckte sich das letzte Stückchen des Riegels in den Mund.
„Na, immerhin weißt du jetzt, was es heißt, baden zu gehen.“ Hannes konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
„Haha.“ Die Kommissarin zerknüllte die Verpackung des Riegels, steckte das Papier in ihre Tasche und wandte sich zur Tür um. „Komm, vielleicht sehen wir ja was auf den Fotos, was wir am Tatort übersehen haben.“
„Gut, dass du dein Geld nicht als Fotografin verdienen musst“, begrüßte Mona die Kollegin, lächelte sie dabei aber freundlich an.
„Ich will ja nicht undankbar sein, immerhin hast du mir deine Sportsachen geliehen, aber selbst du hättest in dem überschwemmten Ladenlokal ziemlich schnell den Überblick verloren“, revanchierte sich Franziska und lachte ebenfalls.
„Ich hätte tatsächlich nicht mit dir tauschen wollen“, erwiderte Mona, als sich Hannes ins Gespräch einmischte.
„Was ist denn jetzt mit den Fotos?“, drängelte er.
Die Kriminaltechnikerin stellte den Beamer an und klickte im Computerprogramm auf das erste Bild, das prompt auf der gegenüberliegenden Wand erschien. „Hier sehen wir die noch verpackte Leiche, wobei weder der Müllsack noch das Klebeband besondere Hinweise liefern.“
Mona klickte schon auf das nächste Foto, als Hannes einwarf: „Seltsam, dass die Leiche überhaupt eingepackt wurde.“
„Stimmt. Zuerst dachte ich, der Mann sei lebend mit dem Klebeband gefesselt worden, aber seit ich dieses Foto gesehen habe“, sie zeigte das Bild, das entstanden war, nachdem Franziska den Sack aufgeschnitten hatte, „gehe ich davon aus, dass die Verpackung erst postmortal angebracht wurde.“ Sie klickte das nächste Foto an. „Nach einem so tiefen Halsschnitt spritzt das Blut, und da sein Hemd nicht besonders stark vom Blut getränkt wurde, gehe ich davon aus, dass er stehend verletzt wurde. Und zwar“, sie klickte erneut weiter, „hier.“ Das neue Foto zeigte den Tresen von vorn mit einer großen Menge heruntergelaufenen Blutes.
„Wahnsinn, auf dem Foto ist mehr zu sehen, als mir am Tatort aufgefallen ist“, wunderte sich Franziska, woraufhin sie von Mona belehrt wurde: „Na ja, ein bisschen nachhelfen musste ich mit der Bildbearbeitung schon, aber dann …“
„Der Blutspur zufolge hat der Täter den Ermordeten vor dem Verkaufstresen getötet, dann nach hinten geschleift und verpackt“, fasste Franziska zusammen.
„Also ein Täter, der überlegt und planmäßig vorgeht“, fügte Hannes hinzu.
„Ob planmäßig, weiß ich jetzt nicht.“ Mona klickte ein Foto weiter. „Die Müllsäcke lagen zumindest, wie hier schön zu sehen ist, im Regal auf der Rückseite des Tresens.“
Hannes folgte Monas Blick auf einen vergrößerten Ausschnitt auf den hinteren Bereich des Lagerraums und schüttelte den Kopf. „Das ist mir nicht aufgefallen.“ Anerkennend sah er Mona an.
„Mir auch nicht“, gab Franziska zu, „deshalb hab ich ja wie verrückt fotografiert. Ich dachte, es wird schon was Brauchbares dabei sein.“
Mona nickte. „Seltsam finde ich auch diese Punkte auf der Wange des Toten. Eine merkwürdige Anordnung von Hautmalen, findet ihr nicht?“
Hannes ging näher an die Wand heran, um die vermeintlichen Hautmale besser betrachten zu können. „Könnte aber auch nur Dreck sein“, sagte er schließlich.
„Und wofür hältst du die Verletzung an der Hand?“, fragte Mona an Hannes gerichtet.
„Tja“, er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht wurde er ja gefoltert.“
„Ich weiß nicht.“ Mona schien unschlüssig. „Für mich sieht das mehr nach einer postmortalen Verletzung aus. Wie wenn jemand eine große Gewebeprobe genommen hat.“
„Wofür?“
„Keine Ahnung, das ist euer Job.“
Als das nächste Bild kam, lachte Mona plötzlich herzlich: „Keine Ahnung, was der Künstler uns damit sagen wollte, aber hier hast du eindeutig den Boden fotografiert.“ Mona schüttelte den Kopf. „Eine lose Fliese. Soll wohl abstrakte Kunst sein.“
„Das war, als mich das eindringende Wasser umgerissen hat“, verteidigte sich die Kommissarin und fügte dann mit einem Lächeln hinzu: „Ich hätte aber gerne mal gesehen, wie du unter diesen Bedingungen professionelle Fotos gemacht hättest.“
„Der Mann wurde also vor dem Tresen angegriffen und tödlich verletzt. Danach wurde er nach hinten geschleift und verpackt“, überlegte Hannes laut und beendete damit das Geplänkel. „Dafür muss es einen Grund gegeben haben. Niemand verpackt eine Leiche so aufwendig, wenn er damit nicht ein Ziel verfolgt.“
„Was vor allem für einen Mann als Täter spricht.“ Franziska blickte von einem zum anderen. „Wie groß schätzt du den Toten?“ Sie sah Hannes an.
„Eins achtzig, eins neunzig, keine Ahnung. Aber ich weiß, was du meinst. Er wog mindestens achtzig Kilo, die verpackt man nicht so einfach, und damit eben auch nicht ohne Grund.“
„Ganz genau. Und damit wissen wir, dass es sich wohl um einen männlichen kräftigen Täter handelt. Eventuell sogar um zwei. Und die haben die Leiche verpackt, weil sie sie mitnehmen wollten.“ Franziska zuckte mit den Schultern. „Was nicht ging, weil …“
„Sie von irgendjemand gestört wurden“, schlug Hannes vor. „Weil jemand zum Beispiel vor der Ladentür Sandsäcke aufgeschichtet hat.“
„Wäre logisch. Sie lassen die Leiche zurück und verschwinden durchs Fenster – müssen sie, das war der einzige Weg nach draußen. Und sie hoffen, dass am Ende das Wasser alle Spuren verwischt.“
„Ich werde mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr telefonieren“, kündigte Hannes an, aber Franziska verfolgte bereits einen anderen Gedanken.
„Der oder die Täter geben sich also viel Mühe, die Leiche zu verpacken. Und dann steigen sie aus dem kleinen Fenster und lassen es einladend offenstehen, damit die Feuerwehr unweigerlich darauf aufmerksam werden muss. Blöd, oder?“
„Ja, stimmt“, bemerkte Hannes. „Die beiden Feuerwehrmänner gaben an, sie seien nur hingegangen, weil das Fenster offenstand. Schneidlinger hat sie danach gefragt.“
Die Kommissarin nickte nachdenklich.
„Wirklich seltsam. Genauso wie die Sache mit der Gewebeprobe an der Hand.“
„Ja, denn wofür braucht man die Gewebeprobe einer Leiche?“, mischte sich Mona in die Spekulationen ein.
„Um zu beweisen, dass man den Richtigen getötet hat“, überlegte Hannes.
„Ein Auftragsmord? Aber hätte der Täter dann nicht zum Beispiel einen Finger abgeschnitten? Oder ein Ohr? Ich meine, so eine Gewebeprobe bringt doch nichts.“ Franziska hielt sich mit beiden Händen den Kopf, der ihr immer noch ein bisschen wehtat, seit der Deckenbalken auf sie gefallen war. Zu allem Überfluss wurde ihr von dem ganzen Stochern im Nebel auch noch schwindelig. „Also wissen wir jetzt, dass wir nichts wissen, außer dass es ein Mann war.“
„Sag das nicht. Wenn wir davon ausgehen, dass es auch mehrere gewesen sein könnten, dann kämen doch auch vier Frauen infrage“, gab Hannes zu bedenken.
„Du meinst, weil die Täter zu blöd waren, das Fenster zu schließen, müssen es Frauen gewesen sein?“, spottete Mona. „Wie nett.“
Josch saß auf einer alten umgedrehten Holzkiste, die Beine fest in den Boden gestemmt, den trainierten Oberkörper nach vorn gebeugt. Er war mit einer Markenjeans und einem T-Shirt bekleidet, wie man sie im Westen kaufen konnte. An den Füßen trug er Turnschuhe, die nicht sauber, aber teuer waren. Zu Beginn eines jeden Tages lief er mehrere Runden und machte anschließend einige Klimmzüge in der kühlen Morgenluft. Es war ein gutes Gefühl. Sein Körper war stark, und er fühlte sich, als könnte er alles schaffen.
An diesem Morgen hatte er sich richtig ausgeschlafen und war nach seinem Fitnessprogramm erst einmal zum Imbiss gefahren, um sich ein anständiges Frühstück zu gönnen. Jetzt hielt er den ersten Burger in den Händen und stopfte ihn in sich hinein. Er schmeckte nichts. Erst als er den zweiten aus der Schachtel nahm, reagierten seine Geschmacksknospen und signalisierten, dass das Essen gut war. Echtes Rindfleisch, saftig und zart. Auch wenn er sich diese Köstlichkeit inzwischen öfter leisten konnte, war es jedes Mal etwas ganz Besonderes. Es war wie ein Ritual. Das Verschlingen der Burger war für ihn das Zeichen dafür, dass er es geschafft hatte.
Allerdings machte sich Josch über solche Dinge nie Gedanken. Seine Welt war einfach. Wenn er beim Essen war, dann wollte er seine Ruhe haben und nicht ständig denken müssen. Das musste dann warten. Es sei denn, er hatte einen Auftrag. Der ging zu jeder Zeit vor. Überhaupt war der Job für ihn das Wichtigste, denn nur durch ihn hatte er eine Chance, irgendwann einmal aus diesem Loch herauszukommen. Er grinste zufrieden, denn er wusste, dass er in dem, was er tat, gut war, sonst würde er ja gar keine Aufträge bekommen.
Als auch der zweite Burger verspeist war, leckte er sich der Reihe nach den Fleischsaft von den Fingern. Dann erst stand er auf, warf die Burgerschachtel in eine Ecke der Halle, die ihm als Unterschlupf diente, und lief ein paar Schritte, um sein Lager zu inspizieren. Bis zum Abend wollte er aufräumen und sauber machen − Aufgaben, die zu seinem Job gehörten, auch wenn sie ihn langweilten. In der vergangenen Woche war er viel unterwegs gewesen, um neue Ware zu ordern. Er war jetzt Einkäufer. Beim Gedanken daran, wie wichtig er dadurch geworden war, huschte ein entwaffnendes Lächeln über sein gebräuntes Gesicht. Es war sein Markenzeichen, etwas, das ihm Türen öffnete und half, wenn er unterwegs war.
Am Anfang hatte er sich und seine Fähigkeiten noch nicht richtig einschätzen können, und da war ihm auch mal ein Geschäft durch die Lappen gegangen, aber jetzt – er lachte selbstgefällig – war er richtig gut geworden. Heute konnte er problemlos gute und sehr gute Ware voneinander unterscheiden. Und schlechte Ware kam ihm schon gar nicht mehr ins Lager. Schlechte Ware bedeutete nur Ärger, und wer ständig Ärger hatte, gehörte zu den Verlierern. Das hatte er früh lernen müssen.
Über sein Leben hatte er sich noch nie beschwert, brachte ja doch nichts. Man kriegt, was man verdient, hatten sie ihm früher immer gesagt, und er hatte als Konsequenz daraus gezogen, dass man sich dann einfach nehmen musste, was man haben wollte.
Franziska fuhr die Spitalhofstraße entlang und reihte sich schließlich auf der Linksabbiegerspur vor der roten Ampel ein. Straßen, Häuser und Menschen, die hastig bis zum nächsten schützenden Dach eilten, waren tropfnass. Der Regen fiel ununterbrochen vom Himmel herab, Fußgänger wie Autofahrer schauten missmutig drein. Dieses Wetter machte niemandem Freude.
Als die Ampel auf Grün sprang, folgte die Kommissarin dem Berufsverkehr die Danziger Straße hinauf. Die Häuser, die hier standen, waren in den Siebzigerjahren aus viel Beton und dunklem Holz gebaut worden. Doch was damals schick gewesen war, sah heute, vor allem bei Regen, eher trostlos aus.
Da Franziska und Hannes immer noch darauf warteten, dass sich Rechtsanwalt Viktor Mooslechner, der Verwalter der Erbengemeinschaft, bei ihnen melden würde, waren sie im Internet selbst auf über das Haus der Familie Beinhuber gegangen.
Sie hatten herausgefunden, dass es vier Beinhuber-Brüder gab, von denen drei allem Anschein nach gut situiert waren. Bernhard Beinhuber war Internist am Klinikum, Josef Oberstudienrat am Adalbert-Stifter-Gymnasium und Franz Maschinenbauingenieur in der Zahnradfabrik. Diese drei, so hatte die Kollegin Hoffmann Hannes erzählt, wollten Haus und Laden verkaufen, das Geld aufteilen und ihre Ruhe haben. Anders sah es bei Christian, dem jüngsten Beinhuber aus, der, laut der Erzählung der Kollegin, noch zu Hause wohnte, irgendetwas Alternatives machte und das Haus nicht veräußern wollte. Aus diesem Grund hatten ihn die Kommissare für eine erste Befragung ausgewählt, wenn sie den Rechtsanwalt schon nicht erreichen konnten. Sie rechneten damit, dass der, der das Haus behalten mochte, auch am ehesten wusste, was dort vor sich ging.
Die Wohnungstür öffnete ihnen eine blond gesträhnte Frau in kariertem Wollrock und unifarbenem Rollkragenpullover. An den Füßen trug sie Ballerinas, die ihrer zierlichen Statur etwas Mädchenhaftes verliehen. Den Recherchen nach musste Martha Beinhuber Ende sechzig sein, doch so wie sie jetzt vor ihnen stand, erschien sie viel jünger. Während Hannes die Vorstellung übernahm, musterte Franziska Mutter Beinhuber interessiert.
„Der Christian ist nicht zu Hause“, erklärte sie freundlich und bat die beiden Kommissare, ihr ins Wohnzimmer zu folgen. Nachdem alle Platz genommen hatten, veränderte sich auf einmal der Gesichtsausdruck der alten Dame, und wie von einer düsteren Ahnung überkommen, fragte sie: „Ist dem Bub was passiert?“
„Nein, nein, wir möchten mit ihm nur einen Sachverhalt abklären“, beeilte sich Franziska zu versichern.
Sie saßen am oberen Ende des großen Esstisches. Gleich daneben führte eine Tür auf die Dachterrasse, die jedoch, still und grau und ohne Blumenschmuck, wenig Beachtung fand.
„Ach so.“ Die Mutter schien beruhigt.
„Sagen Sie, können wir Ihren Sohn irgendwie erreichen?“, wollte Hannes wissen.
„Ja, also, ich weiß auch nicht. Er ist ja bei diesem Seminar, aber anrufen kann man ihn dort nicht, hat er gesagt.“
„Wo findet das Seminar denn statt?“ Hannes blickte Mutter Beinhuber freundlich interessiert an.
„Also, das hat er nicht gesagt, nur dass er Ende der Woche wiederkommt.“ Franziska gab sich zufrieden. „Sagen Sie, Frau Beinhuber, was macht der Christian eigentlich beruflich?“
„Ja, also, der Christian, der hat eine Gabe. Er kann Menschen heilen, indem er ihnen die Hand auflegt.“ Frau Beinhubers Gesicht erstrahlte, als sie das sagte.
„Ein Geistheiler?“, hakte Hannes nach.
„Ja, ein Geistheiler!“, rief sie lebhaft aus.
„Äh“, Franziska stutzte.
„Was bitte ist ein Geistheiler?“
„Geistheiler nennt man diejenigen, die mithilfe esoterischer, religiöser oder magischer Behandlungsmethoden heilen“, erklärte Hannes beflissen.
Also Spinner, dachte Franziska, hielt aber den Mund und nickte stattdessen verständnisvoll.
„Wissen Sie, als der Christian klein war, da hatte er schon diese besonderen Hände“, fuhr Mutter Beinhuber aufgeregt fort. „Ich sagte dann immer zu ihm: „Christian, gib mir deine Hand, das tut mir so gut!“
„Und davon kann man leben?“ Franziska war skeptisch.
„Ja. Naja, er lebt ja noch bei mir, aber er hat Pläne, und er sagt oft: „Wenn das klappt, dann werde ich reich.“
Nachdenklich nickte Franziska vor sich hin. Was ihr nicht klar werden wollte, war, wie ein Mann mit heilenden Händen in dem alten Haus an der Donau Geld verdienen wollte. Aber vielleicht hatte er ja auch ganz andere Pläne, und an dem Gerücht von den vier zerstrittenen Brüdern, das Hannes aufgetischt bekommen hatte, war gar nichts dran.
„Das Haus gehörte der Schwester Ihres Mannes, Ihrer Schwägerin Emmi, die vor drei Jahren gestorben ist?“, fragte Hannes gerade in ihre Überlegung hinein.
„Ja, das stimmt. Es kam fast ein bisschen plötzlich für uns. Wobei sie wohl schon länger Bescheid wusste, uns aber nichts gesagt hat. Sie wollte uns nicht beunruhigen. Sie dachte bis zuletzt, dass sie wieder gesund wird. Christian hat sie damals sehr oft besucht, aber er konnte ihr leider auch nicht helfen.“
„Trotz Christians Besuchen und seinem offensichtlichen Interesse an der Immobilie hat sie es aber an alle Neffen vererbt“, stellte Hannes klar.
Ein Schatten legte sich auf das Gesicht der Mutter, und zum ersten Mal konnte man ihr wahres Alter erahnen. „Ach, dieses leidige Thema. Ich kann es schon nicht mehr hören. Glauben Sie mir, ich mochte meine Schwägerin sehr, aber ihre Hoffnung, dass sie durch diese Entscheidung die Brüder enger zusammenschweißen könnte, kann ich einfach nicht nachvollziehen. Wenn es nach mir ginge, würde Christian das Haus bekommen, und es wäre wieder Ruhe in der Familie. Aber nach dem Tod meines Mannes gehörte das Haus Emmi, und sie konnte damit machen, was sie wollte. Vielleicht hat sie es ja sogar gut gemeint. Aber wie sagt man so schön: Gut gemeint, ist nicht gut gemacht!“
„Die drei anderen sind dagegen, dass Christian das Haus übernimmt?“, ließ sich Hannes die Erzählung der Kollegin Hoffmann bestätigen.
„Ja, das stimmt. Das heißt, sie würden ihm ihre Anteile verkaufen, aber der Christian hat ja kein Geld.“
„Und warum will der Christian unbedingt dieses Haus haben? Hat das etwas mit seiner Geschäftsidee zu tun?“
Mit jedem weiteren Vordringen in die Familie fürchtete die Kommissarin, Frau Beinhuber werde sie jetzt gleich fragen, warum sie das alles wissen wolle.
„Na ja.“ Mutter Beinhuber lächelte, und Franziska meinte, einen Hauch von Stolz in den Augen aufglimmen zu sehen. „In dem alten Haus gibt es eine Stelle mit besonders positiver Energie. Genau dort will er seinen Behandlungsplatz einrichten. Zusammen mit seiner Gabe wäre das für seine Klienten wie ein Jungbrunnen.“
„Positive Energie auf einer Stelle gebündelt?“, fragte Franziska ungläubig nach.
„Ja. Glauben Sie mir, die Kraft ist so stark, dass sich sogar eine Bodenfliese gelöst hat. Direkt vor dem alten Verkaufstresen.“
Vor dem Tresen … Franziska überlegte. Sie hatte die lockere Fliese gesehen, bevor das Wasser kam und sie von den Füßen riss. Sie hatte sie aus Versehen sogar fotografiert, als sie umgefallen war. Mona hatte sie noch damit aufgezogen. Vielleicht …
Mama Beinhuber riss sie energisch aus ihren Spekulationen. „Jetzt sagen Sie schon, was mit dem Christian passiert ist.“
„Wie kommen Sie darauf, dass ihm etwas passiert sein könnte?“, wich Franziska aus.
„Weil ich mir sicher bin, dass Sie nicht ohne Grund nach all dem fragen.“
Franziska fühlte sich ertappt. Sie hatte tatsächlich gehofft, mit ihrer Geschichte durchzukommen. „Solange wir Ihren Sohn nicht gesprochen haben, darf ich Ihnen leider keine Auskunft über unsere Ermittlungen geben“, erklärte sie und hoffte, dass diese Auskunft Frau Beinhuber beruhigen würde.