Kitabı oku: «Liebste Mama», sayfa 2
Mariaschein, 30. November 1897
Geliebte Mama!
Vor 6 Tagen wurde unser Püppchen ein ganzes Jahr alt und Papa und Du würdet das Wickelkind, das Ihr bei Euerem Besuch am Arm trugt, gar nicht mehr erkennen. Truderl läuft schon fleißig herum, und gestern Abend, während wir Kammermusik machten, fand ich sie unterm Flügel versteckt, eifrig lauschend. Bernhards erster Weg, wenn er nach Hause kommt, ist ins Kinderzimmer, wo er mit Jauchzen empfangen wird. Er wird es nie müde, sich mit unserem Töchterchen zu beschäftigen und Pläne für ihre Zukunft zu schmieden. Vielleicht, weil sie die Einzige bleiben wird und ich kein Kind mehr bekommen darf. Mir scheint oft, sie hänge mehr an ihm als an mir. Alfred schickte mir eine Fotografie von Klein-Ditti, die mit ihrem blonden Lockenkopf ein reizendes Kind sein muss, und aus Lyon kam ein Konterfei von Maxens Sohn Gabriel, der Baby Simone im Schoß hält und sich dabei sehr wichtig vorzukommen scheint. Nur Jenny lässt sich Zeit! Es kam auch ein Brief von Bertha, der mich traurig stimmte; sie ist nicht glücklich mit ihrem Mann.
Ich lege auch eine Photographie von Truderl bei, damit Ihr sie gleich erkennt, wenn Ihr wiederkommt.
Euere treue Tochter Grethe
Mariaschein, 5. Dezember 1897
Liebes Berterl!
Dein lieber Brief hat mich sehr traurig gemacht! Der Gedanke, dass meine kleine Schwester so unglücklich ist, bedrückt mich sehr, und ich bin besorgt um Deine Gesundheit, die unter der lieblosen Behandlung von Seiten Deines Mannes bestimmt leiden wird. Vielleicht wird alles besser, wenn Du ein Kind bekommen wirst, da wird er Dich doch mit Respekt behandeln müssen.
Ich wäre so gern bei Dir in Wien, mit allen Geschwistern. Wie glücklich wir noch vor so wenigen Jahren dort gelebt haben! Mariaschein ist eintönig, dass ich schreien möchte. Stets dieselben Gesichter, und Bernhard in seine Arbeit vertieft, immer wieder neue Pläne für die Fabrik schmiedend, von welchen ich nichts verstehe. Mein Mann ist Respekt einflößend wie ein Lehrer. Es ist ja wahr, dass er alles besser weiß als ich, und mir kommt er vor, als wäre er ein Jahrhundert älter und klüger und nicht nur 10 Jahre. Er wird wohl Truderl ganz nach seinem Willen formen – mit mir gelingt es ihm nicht. Ich bin und war schon immer eine Individualistin.
Schreib bald wieder Deiner Dich liebenden Schwester Grethe
Mariaschein, 8. Oktober 1902
Liebste Mama!
Du und Papa müsstet Truderl mit ihrem neuen Schulranzen sehen! Sie trägt ihn stolz am Rücken, obwohl sie ja nur wenige Schritte in die Schule hat und den Ranzen ruhig in der Hand tragen könnte. Die Schiefertafel mit dem Schwamm baumelt lustig daran. Ob wir wohl richtig getan haben, sie in die Dorfschule zu schicken? Aber Bernhard meinte, dass sie ja auch bis jetzt mit den Kindern im Dorf aufgewachsen ist, und außerdem sind die Nonnen in der Schule besonders nett zu ihr. Als sie unlängst einen ihrer schweren Bronchialkatharre hatte, kam Schwester Johanna sie besuchen und ließ ein Heiligenbildchen am Nachtkasten5 zurück. Wird der heilige Joseph auch unserem kleinen jüdischen Töchterchen helfen, gesund zu werden? Bernhard erhofft sich viel von den Turngeräten, die er im Garten angebracht hat und auf welchen Truderl fleißig übt – in Gesellschaft der Dorfkinder natürlich. Unser Kind ist auch eine tüchtige Schwimmerin, denn Bernhard bestand darauf, sie Schwimmen zu lehren. Wann immer er sich frei machen kann, wandern die beiden zum Teich. Jetzt, wo wir vor dem Winter stehen, wird dies wohl aufhören müssen. Truderl wird ihre Sommerspiele im Garten vermissen. Wenn ich zum Fenster hinausschaute, sah ich sie stets inmitten eines Rudels Kinder, sie als Anführerin. Ihre größte Sorge ist es jetzt, wo und wie ihre Blindschleiche überwintern wird. Mir schaudert noch, wenn ich daran denke, wie oft sie das Tier als Halsschmuck getragen hat!
Ich freue mich, dass Bertha mit Olga, Kurt und Hans bei Euch auf Besuch war, so war unser schönes Zuhause in Wien wieder voller Kinder, wie einst. Nur traurig, dass sie kam, um ihrem tristen Leben auf einige Zeit zu entrinnen. Wie kann man nur zu unserer Bertl und drei kleinen Kindern so schlecht sein wie ihr Mann es ist?
Schreibt bald wieder Euerer treuen Tochter Grethe
Mariaschein, 1. November 1902
Lieber Ernstl!
Sei vernünftig, überleg Dir tausendmal, wen Du heiratest. Jenny und Alfred haben Glück gehabt. Moritz ist gut zu Jenny, und Uli ist eine richtige Dannhauser geworden, wie eine Tochter von Mama und Papa. Auch mein Bernhard ist ja ein guter Ehemann, wenn ich mich auch oft aus seinen Gedanken ausgeschlossen fühle und wir so manche Meinungsverschiedenheiten haben. Du wirst jemandem ein liebevoller Gatte werden und darfst Deine Zuneigung nicht an eine Frau verschwenden, die ihrer nicht würdig ist, so wie Elise nicht die Richtige für Max ist und ihn tief unglücklich macht. Adele sandte mir den Brief, den sie von Max bekam, in welchem er sich sein Herz ausschüttet. Elises Hass geht so weit, dass sie ihre eigene kleine Simone verabscheut, weil sie wie Max blond und blauäugig ist. Warum musste er eine Französin heiraten und ihretwegen auch noch Katholik werden? Und warum konnte unsere Bertl nicht einen Mann finden, der so ist wie Du? Mir tut das Herz weh, wenn ich daran denke, was sie mitzumachen hat, muss sie doch die kleinen Kinder vor den Wutausbrüchen ihres Mannes schützen. Auch sie hat sich ja seinetwegen taufen lassen – evangelisch. Wozu das wohl gut war?
Lieber kleiner Bruder, lass Dir Zeit, bis Du sicher bist, die Richtige gefunden zu haben. Ich will, dass Du glücklich wirst!
Deine Dich liebende Schwester Grethe
Mariaschein, 10. Mai 1905
Geliebte Mama!
Ich bin in Gedanken ständig bei Dir und kann es noch immer nicht fassen, dass mein guter Papa nicht mehr ist. Hat doch sogar die Natur geweint, als wir ihn alle bei strömendem Regen zu Grabe trugen! Das war ein trauriges Wiedersehen nach so vielen Jahren, wo wir Geschwister doch immer so fröhlich miteinander waren.
So leid es mir tut, dass Du Bernhards Wunsch, Dich mit Adele bei uns niederzulassen, nicht nachkommen willst, verstehe ich, dass es Dich nach Berlin zurückzieht. Hast Du doch Deine liebe Schwester dort und andere liebe Verwandte, und das Schönste ist, dass unser Ernstl mit seiner Clara auch dort leben wird. Wir alle haben Clara schon in unser Herz geschlossen – man kann gar nicht anders, so lieb ist sie.
Alfred und Uli werden Dir und Adele, wie Du schreibst, bei der Übersiedlung helfen, und ich werde die trauten Räume nie mehr wiedersehen. Wie viele fröhliche Stunden habe ich in ihnen verbracht, und wie freudig denke ich an die Jahre meiner Jugend zurück, die dank der lieben Eltern so glücklich waren.
Mögest Du in Deinem neuen Heim in Berlin noch viele schöne Jahre verbringen, und möge uns unser gutes Mutterl noch lange, lange erhalten bleiben.
In Liebe,
Deine treue Tochter Grethe
Mariaschein, 30. November 1905
Geliebte Mama!
Es kann ja nicht wahr sein! Ich kann es nicht glauben, dass uns Jenny, unsere geliebte Jenny, für immer verlassen hat. Sie war noch so jung und glücklich und heiter und stets zu Späßen aufgelegt, die Schönste und Beste von uns allen. Wie wirst Du sie vermissen, Deine älteste Tochter! Welch eine Leere wird sie hinterlassen! Warum, warum musste sie gehen?
Ihr letzter Brief liegt vor mir: „Professor Hochmann will mein Myom nicht operativ entfernen. Er meint, es sei zu klein, um eine Operation zu rechtfertigen.“ Und so fiel sie einem ärztlichen Irrtum zum Opfer. Meine Tränen mischen sich in Gedanken mit den Deinen.
Grethe
Teplitz-Schönau, 14. April 1907
Liebste Mama!
Ich wäre so gern zu Dir nach Berlin gekommen, weil mir mein Besuch dort vor einem Jahr noch in so angenehmer Erinnerung ist. Eine Großstadt bietet ja doch ein anderes Leben mit ihrer Fülle von Theatervorstellungen und Symphoniekonzerten; ganz abgesehen davon, wie vergnüglich ich die Zeit in Deiner und Adeles Gesellschaft verbrachte und wie schön es war, sich von Ernstl und Clara ausführen zu lassen.
Du wirst verstehen, dass ich jetzt nicht von Teplitz abkommen kann. Es war bestimmt der richtige Entschluss, hierher zu übersiedeln, denn obwohl Truderl bereits voriges Jahr sehr selbstständig täglich mit der Bahn in die Schule und wieder nach Haus nach Mariaschein fuhr, ist es für sie doch besser, wenn wir hier wohnen.
Ich bin noch immer mit dem Einrichten der Wohnung beschäftigt und auch damit, unser neues Faktotum, die Resi, anzulehren. Wie schade, dass Mali nicht mitkommen wollte, und wie groß war unsere Überraschung, als sie uns mitteilte, sie wolle Nonne werden. Aber die Resi scheint auch sehr tüchtig zu sein.
Wir hatten großes Glück, eine so schöne Wohnung zu finden. Sie liegt in einem Villenviertel, im Stadtteil Schönhaus, nicht weit von Hermines Villa entfernt, so dass Truderl mit Leichtigkeit wenigstens eine ihrer geliebten Großmütter besuchen kann. Für Bernhards Schwester Hermine hat sie dagegen wenig übrig. Wir bewohnen den ersten Stock einer zweistöckigen Villa in der Waagestrasse Nr. 11; über uns wohnt der Hausherr, ein Rechtsanwalt. Das Vorzimmer ist sehr geräumig und wird vom Stiegenhaus aus durch eine mit bunten Blumen und Vögeln eingelegte Glastüre betreten. Linker Hand führt eine Tür in den Salon mit seinem Erker, in dem die schöne Glasampel hängt, und vom Salon führt eine weitere Tür ins Musikzimmer, wo unser Flügel seinen Platz gefunden hat. Truderl nennt es das blaue Zimmer, und wahrlich, die blauen Samtmöbel geben dem Raum seine Prägung. Zwei weitere Türen führen vom Vorzimmer ab ins Herrenzimmer, welches Bernhard als Kontor benutzen wird, und ins Schlafzimmer, an welches das Badezimmer anschließt. Die Mahlzeiten nehmen wir oft auf dem Balkon ein. Sonst dient uns der Salon mit seinem großen runden Tisch auch als Speisezimmer. Die Tür schließlich, die rechts vom Vorzimmer abgeht, führt in die große Küche, in welcher Resi schaltet und waltet und in der ihr Tafelbett6 steht. Truderls Zimmer liegt daneben.
Berlin ist Berlin, aber Teplitz hat auch ein reges Kulturleben. Wir gehen oft ins Theater und in Konzerte. Sonntags treffen wir uns mit guten Freunden im Café beim Kurkonzert.
So wäre alles schön und gut, wenn ich mir nicht große Sorgen um Bernhard machen würde. Es war ja sein eigener Entschluss, die Fabrik in Mariaschein zu verpachten, das Haus zu vermieten und nach Teplitz zu ziehen. Ich verstehe nichts von seinen Geschäften, weiß nur, dass er Geld bei verschiedenen Unternehmen angelegt hat. Trotzdem ist er stets deprimiert, und nicht einmal Truderl gelingt es ihn aufzuheitern. Wann wird er wieder der Alte sein?
In inniger Liebe,
Deine treue Tochter Grethe
Teplitz, 3. Dezember 1907
Mein liebes, gutes Berterl!
Innigen Dank für Deinen Brief, den ich gestern empfing. Wie wohl taten mir Deine tröstenden Worte! Ich schätze sie doppelt, weil ich doch weiß, mit welch schwerem Schicksal Du selbst zu kämpfen hast. Ein Glück, dass Olga mit ihren 9 Jahren so vernünftig ist und geschickt ihre kleinen Brüder in Sicherheit bringt, wenn ihr Vater schlechter Laune ist. Aber dass so etwas notwendig sein soll! Magda ist ja noch ein Wickelkind. Möge ihr Weinen Heinrich nur nicht in Wut versetzen, so wie es bei den drei andern der Fall war, was Du dann auszubaden hattest. Ich bin stets in Gedanken bei Dir.
Bernhard fühlt sich in letzter Zeit etwas wohler, doch wird er das Sanatorium auch zu Weihnachten nicht verlassen dürfen, was für uns eine große Enttäuschung ist. Die Ärzte machen mir Hoffnung, sie meinen, dass diese schwere Depression nur vorübergehend sei.
Es war gewiss vernünftig von ihm, sich ins Sanatorium zu begeben, und wenn ich die Wahrheit gestehen soll: Das war nur Truderls Überredungskunst zu verdanken. Die beiden waren schon immer ein Herz und eine Seele. Das arme Kind erschrak natürlich furchtbar, als wir wie durch ein Wunder Bernhards Selbstmordabsichten noch rechtzeitig entdeckten. Sie ist sehr reif für ihr Alter, verstand sofort, dass nur ein Sanatoriumaufenthalt helfen könnte, und fand rasch den richtigen Weg, ihren Vater davon zu überzeugen. Mögen wir ihn bald wieder bei uns zu Hause haben!
In Liebe,
Deine Schwester Grethe
Teplitz, 8. Jänner7 1908
Geliebte Mama!
Gestern erreichte uns ein Schreiben vom Chefarzt des Sanatoriums, in welchem er uns mitteilt, dass alle Patienten, Ärzte und Schwestern, die sich am Heiligen Abend dort befanden, Bernhard ihr Leben zu verdanken hätten.
Man saß im großen Speisesaal beim festlichen Mahl, als die schweren Brokatvorhänge plötzlich Feuer fingen; der Weihnachtsbaum mit seinen brennenden Kerzen stand zu nahe am Fenster. Professor Weiner schreibt: „Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich im ersten Moment den Kopf verlor. Auch das Personal stand ratlos herum, die Patienten schrien und das Feuer verbreitete sich blitzartig. Da griff Ihr Gemahl, gnädige Frau, mit größter Ruhe und Geistesgegenwart ein. Im Nu hatte er die Patienten aus dem Raum geführt und uns allen zugerufen, was zu tun sei. Wir rissen die brennenden Vorhänge herunter und es gelang uns, die Flammen mit Hilfe schwerer Decken fast ganz zu ersticken; einige Kübel Wasser besorgten den Rest. Als die von Herrn Back verständigte Feuerwehr erschien, hatten die Männer schon nichts mehr zu tun. Es war unser Glück, dass sich dieser mutige Mensch an jenem Abend in unserer Mitte befand.“
Nach Erhalt dieses Briefes, liebste Mama, hadere ich schon nicht mehr mit dem Schicksal, welches uns Gemahl und Vater am Weihnachtsabend vorenthielt. Er muss ja bald wieder sein altes Selbst werden!
Deine Dich liebende Tochter Grethe
Teplitz, 13. Juni 1908
Liebste Mama!
Deine liebevollen Briefe sind mir eine große Stütze, wie gern möchte ich Deiner Einladung Folge leisten und mit Trude einige Sommerwochen bei Dir und Adele in Berlin verbringen. Ich kann aber nicht weg von hier, muss doch in Bernhards Nähe sein, wenn ich ihn auch nicht zu oft besuchen darf. Ich wäre sogar bereit, das Kind allein zu Euch zu schicken, nur will sie auf keinen Fall so weit weg von ihrem geliebten Vater sein. Sie hätte die Ablenkung dringend nötig, ist letzthin sehr niedergeschlagen, hat Angstträume und weint viel, was sie doch sonst nie tut. Sie ist immer die Starke, nicht ich.
So kann ich Dich nur in Gedanken umarmen!
Deine treue Tochter Grethe
Teplitz, 20. Juni 1908
Meine geliebte Großmama!
Mein Vater ist nicht mehr! Er starb gestern ganz plötzlich und völlig unerwartet, sein Tod ist den Ärzten ein Rätsel. Bitte kommt, um ihn mit uns zu Grabe zu tragen. Es wird auch alles leichter, wenn Ihr bei uns seid, Du, Tante Adele und Onkel Ernst. Ich bin ganz allein. Mama hat sich in ihr Zimmer gesperrt.
Deine Dich innig liebende Enkelin Trude
Lyon, 6. März 1910
Lieber Alfred!
Gestern erreichte mich Dein Brief und verwandelte den Tag in einen Festtag. Das Bewusstsein, dass nicht nur Uli und Du, sondern auch die anderen Geschwister so liebevoll an mich denken, gibt mir die Kraft, mein Leben weiter zu führen. Ich durste nach einem guten Wort, denn zu Hause habe ich schon Jahr und Tag keines gehört. Nichts kann ich Elise recht machen, und traurigerweise habe ich keine Ahnung, warum sie so geworden ist und was sie gegen mich hat.
Die Kinder sind mein Trost. Gabriel ist ein ernster Junge und mit seinen 15 Jahren schon erwachsen; wenn Nesthäkchen Fredy auf meinen Schoß klettert und um ein Märchen bettelt, vergesse ich alle Sorgen; Simone dagegen, jetzt 13, schnürt mir das Herz ab! Das arme Kind leidet ebenso unter den Launen ihrer Mutter wie ich. Auch sie macht in deren Augen alles falsch, auch sie hört nie ein liebes Wort und versteht nicht, warum. Deshalb hängen wir besonders aneinander, und das wiederum ärgert Elise. Es ist wie ein Teufelskreis, den wir nicht durchbrechen können. Simone geht neuerdings oft in die Kirche; sie sagt, dort ist ihr wohl. Für mich ist das keine Lösung. Sei mir gegrüßt, Bruderherz, und küsse die Deinen in meinem Namen.
Max
Teplitz, 19. Oktober 1911
Lieber, lieber Ernstl!
Ich danke Dir tausendmal für Deinen Brief! Du weißt ja gar nicht, wie glücklich ich bin, wenn Post von Dir kommt, und welche Stütze ich an Deinen Zeilen finde, denn nur Dir kann ich schreiben, wie mir zumute ist. Warum ist es Mama nicht gegeben, ihre Tochter zu verstehen? Manchmal erscheint es mir, als lebten zwei Menschen hier in der Waagestrasse, die einander wildfremd sind; ich komme und gehe, als wohnte ich zur Untermiete. Will ich ihr aus meinem Leben erzählen, erscheint sie so uninteressiert, dass ich schnell gelernt habe, dies zu unterlassen. Ich vermisse Papa so sehr! Er hatte immer Zeit für mich, verfolgte stets mit Interesse alles, was ich tat, und speiste mich nie mit nichtssagenden Worten ab. Komisch – wenn man niemanden hat, dem man seine Erlebnisse erzählen kann, verlieren diese ganz an Bedeutung; das Lyzeum und die andern Schülerinnen dort sind mir völlig gleichgültig, ebenso wie die Lehrer. Doch hat Mama mir jetzt erlaubt, die Tanzstunde zu besuchen. Wer weiß, vielleicht wird dies Freude in mein Leben bringen. Grüße Tante Clara innigst von mir.
Deine Dich liebende Nichte
Trude
Teplitz, 26. Jänner 1912
Geliebte Großmama!
Wie schön war es zu Weihnachten in Berlin bei Dir und Adele und wie herrlich, sich so verwöhnen zu lassen. Ich schwelge noch in der Erinnerung an die Theater- und Konzertbesuche und die gemütlichen Abende mit meinem lieben Ernstl und seiner Clara, welche mir eher wie Bruder und Schwester und nicht wie Onkel und Tante sind. Wie gut geht es mir doch, dass ich Euch habe!
Es ist ja wirklich komisch, dass wir als Juden Weihnachten feiern, aber an Religion denke ich dabei gar nicht. Für mich ist es das Lichterfest, das den langen, dunklen Winter erhellt, welches schon von den Heiden gefeiert wurde, lang bevor es Christen gab. Nichts ist schöner als die Atmosphäre um die Weihnachtszeit! Mama hat das Fest ebenso angenehm mit Tante Hermines Familie verbracht; Hermines Schwager war auch dort und besucht uns jetzt öfters. Mir gefällt er gut, er heißt Albert Roubitschek.
Die Tanzstunde macht mir weiter Freude, besonders da Mama eingesehen hat, dass ich dazu ein neues Kleid brauche und mir ein entzückendes hellgelbes Organdykleid8 nähen ließ. Die meisten der jungen Herren wissen nicht, dass ich erst 15 bin, und es fehlt mir nie an Tanzpartnern. Einer von ihnen, er heißt Viktor Bermeiser, spielt herrlich Klavier, und wenn die Tanzstunde aus ist, spielt er mir und meiner Freundin noch aus seinem Repertoire vor. Stell Dir vor, er komponiert sogar selbst! Natürlich musste ich mich Großmutterl Back in meinem schönen Kleid zeigen. Wie macht sie das nur, dass sie so auf Gott vertrauen kann? Ich werde wohl nie den Moment vergessen, als Mama nach Papas Tod weinend in ihrer Gegenwart zusammenbrach. Sie sagte: „Warum weinst Du, Grethe? Gott hat gegeben und Gott hat genommen, und wir dürfen nicht hadern.“ Solch ein Glaube macht stark, aber er ist leider nicht jedem gegeben.
Dir und Adelchen in inniger Liebe,
Euere Enkelin und Nichte Trude
Teplitz, 15. August 1912
Mein liebes, gutes Berterl!
Gestern hielt Albert Roubitschek um meine Hand an, und ich weiß nicht, was ich ihm antworten soll! Was sagst Du dazu? Er ist ein sehr liebevoller und gütiger Mensch, etwas älter als ich, der mir über viele schwere Stunden hinweggeholfen hat, auch Truderl hat ihn gern. Er hat Vermögen, ist der Besitzer einer Mühle, welche ihm ein gutes Einkommen sichert. Doch bin ich schon 38 – ob ich mich wirklich noch einmal binden soll?
Verzeih, dass ich Dir mit meinen Sorgen daherkomme, wo Du doch mehr als genug eigene hast. Aber Mama will ich nicht aufregen, Adelchen kann ich deshalb auch nicht schreiben und die Brüder, so sehr ich sie liebe, sind eben Brüder und keine Schwestern, und niemand steht mir näher als Du.
Deine alte Grethe