Kitabı oku: «Liebste Mama», sayfa 3

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Teplitz, 5. März 1913

Liebste Großmama, Adelchen, Ernstl und Clara!

Wie schön war es, Euch alle zu Mamas Hochzeit hier zu haben! Dass auch Onkel Alfred, Tante Uli und Bertl kommen konnten, machte alles doppelt so festlich.

Ich freue mich, dass Mama Albert geheiratet hat. Ihr werdet es kaum glauben, aber er weiß schon mehr über mein Leben, meine Interessen und Freunde als Mama und ist sehr lieb zu mir.

Euere Trude

Berlin, 29. Juni 1913

Innigst geliebstes Schwesterlein!

Ich beeile mich Dir, Albert und Truderl mitzuteilen, dass gestern unsere Senta zur Welt kam. Alles ging gut, und Du kannst Dir die Freude im Hause Dannhauser wohl vorstellen. Mama und Adelchen sind auch glücklich, jetzt eine Enkelin und Nichte in Berlin und nicht in weiter Ferne zu haben, und werden unser Töchterchen wohl nach allen Regeln der Kunst verwöhnen. Clara zuliebe habe ich eingewilligt, das Kind evangelisch taufen zu lassen, damit sie die Religion ihrer Mutter teilt. Nicht, dass das bei uns eine Rolle spielt – meine lutheranische Clara fügt sich vortrefflich in unsere jüdische Familie ein!

Da ich noch an Alfred, Max und Berterl zu schreiben habe, muss das für heute alles sein.

Dein überglücklicher Bruder Ernst

Feldpostbrief, 19. November 1914

Mein allerliebstes Truderl!

Kann es denn wahr sein, dass Du in wenigen Tagen 18 Jahre alt wirst? Wohin sind die Jahre verflogen, in welchen ich meine kleine Nichte auf den Schultern trug? Wo sind die Jahre, in denen ich zu meinem Stolz zum Tröster und Berater erkoren war und Dir hilfreich zur Seite stehen durfte? Nun höre ich mit Staunen, dass mein Truderl nach abgelegter Matura9 nicht ihre Jugend und Freiheit genießt, sondern die ehrenswerte Uniform der Roten Kreuzschwester angelegt hat und ihr Schärflein dazu beiträgt, unserem Vaterland zum Siege zu verhelfen. Ich bin stolz auf Dich, mein Liebling, und wünsche Dir, dass Du Deine so schwere Arbeit leichten Herzens verrichten sollst, um den armen Verwundeten ebenso viel Freude spenden zu können, wie Du mir immer gespendet hast. So dienen wir beide, jeder auf seine Art, dem Vaterland.

Wenn Ihr alle zu Deinem Geburtstag ein Gläschen auf Dein Wohl trinkt, gedenkt auch meiner, so wie ich in Gedanken bei Euch sein werde.

In alter Liebe,

Dein Ernst

Teplitz, 9. Mai 1915

Liebste Mama!

Wir sind glücklich, dass Clara doch endlich wieder Nachricht von Ernst bekommen hat, denn wie Du Dir vorstellen kannst, waren wir in größter Besorgnis. Möge der liebe Herrgott ihn weiter beschützen! Wie gut, dass Clara Dich und Adelchen in ihrer Nähe hat. Fällt es Adele nicht zu schwer, Senterl zu versorgen, während Clara im Geschäft ist? So fordert der Krieg Opfer von jedem, nicht nur von den tapferen Soldaten.

Truderl hat großen Erfolg bei ihrer schweren Arbeit. Ich war ja sehr dagegen, sie Schwester werden zu lassen, aber sie ließ nicht locker. Zum Glück ist sie hier in Teplitz stationiert, denn unser Kurhaus wurde zum Spital, hauptsächlich für orthopädische Fälle. Seit Neuestem arbeitet sie im Operationssaal und hat gestern zum ersten Mal dem Professor selbstständig assistiert. Wir hatten in ihrem Alter andere Gedanken im Kopf! Doch hätte sie ohnehin keine Gelegenheit, mit Altersgenossen fröhlich zu sein – alle, alle sind eingerückt! Auch ich selbst stehe manchmal am Bahnhof und verteile Essen an durchfahrende Truppen, bin froh, auch etwas beitragen zu können!

Es grüßt und küsst Dich und Adelchen innigst,

Euere Grethe

Feldpostkorrespondenzkarte, 17. August 1915

Liebste Gretl!

Dank Dir für Deine liebe Karte vom 3. Juli. Es ist wirklich rührend, dass Ihr Euch so um mich kümmert. Ich bin seit ein paar Wochen schon urlaubsbereit – soweit es von mir abhängt – und kaum noch geduldig genug, um meine Korrespondenz in Ordnung zu halten. Ich bitte deshalb um Nachsicht.

Ich hoffe, doch noch diesen Monat kommen zu können, und freue mich über Deinen Vorschlag, Clara mit Senterl nach Teplitz einzuladen. Hoffentlich kommen Mama und Adele auch mit, da sähe ich Euch alle! Es wird Clara gut tun, für einige Zeit aus ihren vier Wänden herauszukommen, denn auch im Geschäft sieht sie wahrscheinlich immer dieselben Gesichter.

In freudigster Erwartung eines baldigen Wiedersehens,

Dein treuer Bruder Ernst

Teplitz, 20. August 1915

Lieber Viktor!

Gestern traf ich Deine liebe Mutter auf der Straße, und sie klagte sehr darüber, schon lange nichts von Dir gehört zu haben. Ich versuchte ihr zu erklären, dass Feldpostkarten nicht immer rasch befördert werden, und tat alles, um ihr Mut zuzusprechen, bin aber nicht sicher, dass es mir gelang. Du schreibst ihr doch, wenn Du Gelegenheit dazu hast?

Dabei hab ich im Moment selbst Aufmunterung nötig! Ich kann mir nicht erklären, warum ich so deprimiert bin, kaum lächeln kann und am liebsten laut losheulen möchte, wo ich doch sonst immer den Kopf hoch halte. Es ist, als nähere sich ein drohendes Unheil, und das Gefühl beängstigt mich sehr, da mich schon einmal im Leben solch furchtbare Traurigkeit überkam – bevor mein Vater starb. Jedoch will ich Dich nicht mit meinen Ängsten belasten, Dein Leben ist momentan unerfreulich genug. Es wäre alles leichter, wenn Du bei mir wärest!

Gib acht auf Dich,

Deine Trude

Teplitz, 2. September 1915

Liebster Onkel Alfred!

Ich habe die traurige Pflicht Dir mitzuteilen, dass Onkel Ernst gefallen ist, und bitte Dich, dies Tante Bertha so schonend wie möglich zu sagen und auch Onkel Max zu informieren, falls Du ihn erreichen kannst.

Ich schreibe Dir, weil sonst niemand dazu imstande ist. Mama liegt mit schwerer Migräne in ihrem verdunkelten Zimmer, Großmama ist um Clara bemüht, und Adele kümmert sich um Senta. Der brave Albert übernimmt das Zepter, wenn ich zur Arbeit muss, ohne ihn wäre alles noch schwerer.

Es wird lange dauern, bis wir uns von dem furchtbaren Schock erholen. Wir erwarteten ja täglich das Läuten an der Tür, das unseren geliebten Ernst auf Urlaub bringen sollte und auf das wir uns so unendlich freuten. Großmama, Adele, Clara und Senta kamen vor einer Woche aus Berlin, damit wir alle zusammen sein konnten, und gestern saßen wir gerade bei Tisch, als es wirklich läutete. Ich stürzte zur Tür und riss sie auf; da stand der brave Schindler, Ernstens Leibbursch. Er hatte dessen Mantel über dem Arm und den Degen in der Hand und sein Gesicht sagte alles. Ich kann es gar nicht fassen!

Deine tieftraurige Nichte Trude

Feldpostkorrespondenzkarte, 7. Februar 1916

Wehrte Schwester Trude!

Fühle mich gezwungen, mich bei Ihnen, wehrtes Fräulein, nochmals zu bedanken für alles Gute, was Sie mir im Spital getan. Bin jetzt in der Garnison, so schön ist es nicht wie in Teplitz. Hoffentlich hat das Theater bald ein Ende.

Mit bestem Gruß,

Lt. Gobler aus Zimmer 219

Teplitz, 23. Mai 1916

Liebster Viktor!

Schon lange wieder keine Nachricht von Dir und ich kann nur hoffen, dass Du gesund und halbwegs munter bist. Ich besuche Deine Eltern, so oft ich kann, hauptsächlich um zu erfahren, ob sie vielleicht Post von Dir erhalten haben. Da dies sehr selten der Fall ist, versuchen wir dann immer, uns gegenseitig aufzuheitern. Du fehlst mir so sehr!

Ich bin froh, meine Arbeit zu haben. Wenn sie mich auch von dem furchtbaren Geschehen nicht ablenken kann, da ich doch die armen Verwundeten ständig vor Augen habe, ermüdet sie mich meist so sehr, dass ich, wenn ich Gelegenheit dazu habe, sofort einschlafe. Bin ich einmal weniger erschöpft, verfolgt mich das Bild von meinem so sehr geliebten Ernst, verwundet und verlassen, bis in meine Träume. Dabei kann ich nicht einmal auf ein paar Tage zu Großmama, Adele und Clara fahren, obwohl ich Urlaub bekäme und es mich so sehr zu ihnen zieht. Kein Zivilist darf ohne Sondererlaubnis Züge benutzen, da jeder Platz für Soldaten gebraucht wird.

Seit Neuestem arbeite ich zusätzlich zu meiner normalen Arbeit im Operationssaal als Assistentin von Prof. Dr. Paul Glessner. Er ist ein bekannter Orthopäde und kam vor einigen Wochen aus Berlin, um an unseren Patienten seine Methode der Heilmassage und -gymnastik auszuprobieren. Er sagt, ich hätte ein natürliches Talent fürs Massieren, und will sich nur von mir assistieren lassen. Er erzielt erstaunliche Erfolge, und wenn ich sehe, dass ein Lahmer, der an den Rollstuhl gebunden war, plötzlich doch wieder zu gehen anfängt, macht mich die Rolle, die ich bei seiner Genesung spielen durfte, sehr glücklich, und darum ist mir keine Anstrengung zu viel. Prof. Glessner lehrt mich richtig an, und manchmal arbeite ich schon ganz selbstständig.

Wir alle hoffen, dass Du doch bald auf Urlaub kommen kannst. Wie gerne möchte ich wieder einmal mit Dir vierhändig spielen oder Deinem Spiel lauschen.

Alles trägt sich leichter, wenn Du da bist!

In treuer Liebe,

Deine Trude

Feldpostkorrespondenzkarte, 12. November 1916

Liebste, liebste Trude!

Wieder einmal nichts mit dem Urlaub, muss noch mindestens eineinhalb Monate warten. Dir darüber zu schreiben, wie sehr mich das wurmt, unterlasse ich, und aus diesem Grund für heute nur innige Küsse in der Hoffnung, dass es wenigstens dieses Mal wahr ist, dass ich in anderthalb Monaten fahren kann.

Dein Viktor

Feldpostkorrespondenzkarte, 3. Jänner 1917

Meine allerliebste Trude!

Wie Du aus der Adresse ersehen kannst, bin ich Kdt. Asp.10 geworden. Aber mit dem Urlaub ist dafür nichts!

Ich danke Dir für Deine lieben Karten. Du weißt gar nicht, was sie mir bedeuten, zeigen sie mir doch, dass Du stets in Gedanken bei mir bist. Jetzt heißt es für mich wieder warten, warten, warten. Wie oft habe ich nicht schon gewartet? Werden wir halt später eine Freude haben.

Innigst,

Dein Viktor

Wien, 10. März 1917

Liebste Grethe!

Stell Dir vor, gestern läutete es plötzlich zu später Stunde, und als ich öffnete, stand Max vor der Tür. Die Freude war riesig, denn nie hätten wir erwartet, dass unser „Franzose“ mitten im brennenden Krieg hier erscheinen könnte, war doch jeglicher Kontakt mit ihm schon seit Ausbruch des Krieges abgebrochen. Die Freude hielt nicht an, als wir sahen, wie elend der arme Max aussah. Er ist nur noch ein Schatten seiner selbst.

Während er uns erzählte, was sich im Lauf der Jahre abgespielt hatte, ließ ihn sogar sein sonst unverwüstlicher Humor im Stich, und das besagt alles. Als ich ihm dann noch sagen musste, dass unser Ernst gefallen ist, brach er ganz zusammen und schläft jetzt schon seit vielen Stunden den Schlaf des Erschöpften, während wir alle auf Zehenspitzen durch die Wohnung schleichen. Hoffentlich wird es uns gelingen, ihn wieder gesund zu pflegen, auch ohne die Hilfe von Ulis bekannt guter Küche; es gibt ja kaum Lebensmittel zu kaufen. Aber an Liebe soll es nicht fehlen.

Langer Rede kurzer Sinn: Seit Anfang des Krieges wurden Max und Simone vom Hass Elisens buchstäblich verfolgt. „Salle boche11“ war die harmloseste Bezeichnung, die sie für ihren Gatten fand, und am liebsten hätte sie ihn aus dem Haus gewiesen. Da aber die Fabrik ohne ihn nicht weiter funktionieren konnte, wurde er gnädigst geduldet. Vor einer Woche jedoch erfuhr er von einem guten Freund, dass Elise ihn bei den Behörden als Spion angezeigt hatte und dass seine Verhaftung bevorstünde. Selbiger Freund bot ihm seine Hilfe an, und so kam Max bei Nacht und Nebel über die Grenze nach Deutschland und von dort zu uns. Simone zog schon vor einem Jahr die Konsequenzen aus dem Benehmen ihrer Mutter: Sie ging ins Kloster. Einstweilen noch Novize, wird sie bald Nonne werden und dann mit ihren Eltern nicht mehr sprechen dürfen, da die Nonnen dieses Ordens der Schweigepflicht unterworfen sind. So verliert Max auch noch seine geliebte Tochter.

Wir haben selbst ein schweres Los zu tragen, denn die Ärzte machen uns keinerlei Hoffnung, dass unsere Susi nach dem schweren Scharlach im Winter jemals wieder hören können wird. So ist unser kleines Mädel, das doch erst 9 Jahre alt und schon so sprachbegabt und musikalisch ist, zu einem Leben der Lautlosigkeit verurteilt und wie weh uns das tut, brauche ich Dir wohl kaum zu sagen.

Ditti kann zu ihrem Leidwesen ihrer Kurzsichtigkeit wegen keinerlei Dienst beim Roten Kreuz verrichten, doch arbeitet sie am Bahnhof, um dort Truppen auf der Durchfahrt zu betreuen. Sie hat dabei einen netten jungen Mann kennen gelernt, der auch zu kurzsichtig ist, um einberufen zu werden, und statt dessen am Bahnhof Dienst macht. So hat Ditti wenigstens Gesellschaft, denn durch Susis Leiden geht es bei uns zu Haus nicht immer fröhlich zu. Wir hatten eine schönere Jugend als unsere Kinder!

In treuer Liebe, Dein alter Bruder Alfred

Feldpostkorrespondenzkarte, 26. November 1917

Liebe, liebe Trude!

Schreibe wieder im Nachtdienst meine rückständige Post. Du bist an erster Stelle. Kann Dir gar nicht schildern, in welcher Stimmung ich von Teplitz fortging. So, glaub ich, hab ich’s noch nie gespürt. Und an dem Ganzen war das Klavierspielen schuld. Die wirkliche Schwere meiner Situation wurde mir so recht klar, als ich am Klavier saß, meine Finger wie von selbst über die Tasten liefen und die Sehnsucht nach gediegener, geruhsamer Arbeit, welcher Begriff in letzter Zeit aus meinem Tagesprogramm gelöscht wurde, mein Inneres durchdrang. Doch bin ich schon wieder ganz vernünftig. Es tut mir leid, dass ich so wenig dazu beitrug, Dir und den Eltern den Sonntag vergolden zu helfen. Wie ich Euch kenne, freut Ihr Euch schon immer auf den Sonntag, und dann kommt so ein Raunzer und macht den Sonnen- zum Alltag. Für Nächstens verspreche ich sanft wie ein Lamm und lustig wie ein junger Hund zu sein.

Die Buchteln12 sind fabelhaft und das Verführungsmoment so groß, dass ich schon heute 6 Stück verschlungen habe, also mit dem Bis-Samstag-Auskommen ist nichts. Für den heutigen Nachtdienst schenkte mir mein Schlafkumpan einen ganzen Laib Brot, da ich keines mehr hatte. Dafür bekam er eine große Buchtel. Das nenn ich Kameradschaft!

Lass Dir wegen des Alleinseins keine grauen Haare wachsen und freu Dich auf kommende glückliche Zeiten, was ich hier auch tue; man fährt so doch am besten.

Dein Dich innig liebender Viktor

Teplitz, 18. Februar 1918

Liebe, liebe Großmama, liebstes Adelchen!

Wie gerne hätte ich Euch gestern mit dabei gehabt, als mir der Oberstabsarzt und Chefarzt unseres Spitals die silberne Medaille des Roten Kreuzes mit dem Ehrenzeichen feierlichst überreichte. Mama sagt, ich hätte sie mir wohl verdient, doch ist mir, als gäbe mir der Dienst im Spital mehr, als ich ihm gebe. Es ist wunderbar, das Gefühl zu haben, etwas Richtiges zu leisten!

Ich habe unendliche Sehnsucht nach Euch und warte ungeduldig auf den Moment, wenn ich endlich wieder normal in einen Zug steigen und zu Euch fahren kann. Wann wird es wohl so weit sein? Noch dröhnen die Kanonen!

In inniger Liebe,

Euere Trude

Teplitz, 23. Oktober 1918

Liebste Mama, liebes Adelchen!

Ich mache mir die größten Sorgen, da ich schon so lange nichts von Euch gehört habe. Ich bete und hoffe, dass Ihr beide, sowie Clara und Senterl, von der furchtbaren Spanischen Grippe verschont geblieben seid, so wie wir, gottlob.

Hier hört man jeden Tag von neuen Fällen, und rund um uns sind alle krank. Die Ansteckungsgefahr ist riesig und keiner weiß zu sagen, wie man sich schützen soll. Seit gestern komme ich überhaupt nicht aus der Aufregung heraus, da Trude aus dem Spital nach Hause kam, einfach einen kleinen Koffer packte und zum Bruder eines Freundes zog, um dessen grippekranke Frau zu pflegen. Was ich auch sagte, nichts half, sie war nicht bereit, Vernunft anzunehmen. Ich zittere um sie, obwohl Albert alles tut, um mich zu beruhigen. Als wäre der schreckliche Krieg nicht genug, musste auch noch diese schreckliche Krankheit über uns hereinbrechen!

Von Bertl hatte ich Nachricht. Es geht ihnen leidlich, da Alfred und Uli helfen, wo sie können. In Wien scheint es kaum noch Lebensmittel zu geben und Berterl sorgt sich hauptsächlich um Kurt und Hans, die für heranwachsende Jungen einfach unterernährt sind. Heinrich kümmert sich weiter um nichts, im Gegenteil, er muss auch noch gefüttert werden, statt dass er sich um seine Frau und Kinder kümmert. Olga hat, soweit ich aus Berthas Brief entnehmen konnte, die Erhaltung von Mutter und Geschwistern übernommen. Das ist ein großartiges Mädel, so begabt und musikalisch! Trotzdem hat Heinrich sie nicht weiter lernen lassen. Sie scheint einen guten Posten bei einer Bank zu haben, und ihr Verdienst hält die Familie über Wasser. Max lebt weiter bei Alfred und Uli.

Bitte schreibt sofort, damit ich die Sorge um Euch loswerde. Ich bin in Gedanken ständig bei Euch!

In Liebe,

Euere Grethe

Teplitz, 15. November 1918

Liebster Viktor!

Du kannst beruhigt sein, Deine Schwägerin Liesl ist schon auf dem Wege der Besserung, wenn sie auch noch sehr schwach ist. Es war mir unmöglich, Deinem Bruder eine abschlägige Antwort zu erteilen, als er mich bat seine Frau zu pflegen, denn der Arme stand ganz allein da. Deiner Mutter war die schwere Pflege natürlich nicht zuzumuten, sie hätte auch gar nicht die nötige Kraft dazu.

Ich muss Dir ehrlich sagen, dass das auch für mich die beste Medizin war. Es herrscht hier eine panische Angst vor dieser Krankheit, was ja zu verstehen ist, denn die Menschen sterben wie die Fliegen. Vor einem Monat erst war ich beim Begräbnis einer meiner besten Freundinnen, mit der ich drei Tage vorher noch einen gemütlichen Abend verbracht hatte. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass auch ich schon von Panik ergriffen wurde und direkt Angst hatte, unter Menschen zu gehen. Es war mir klar, dass ich den Stier bei den Hörnern zu fassen hatte, und Oskars Bitte kam mir gerade recht. Seit ich angefangen habe Liesl zu pflegen, ist meine Angst verschwunden.

Nun, da dieser grässliche Krieg zu Ende ist, wirst Du hoffentlich bald nach Hause kommen. Gib nur acht auf Dich, damit Dir nicht noch im letzten Moment etwas passiert.

Deine Trude

Wien, 6. Februar 1919

Liebe Gretl!

Gestern wurde ich Zeuge einer Szene, die ich nicht für möglich gehalten hätte, wäre ich nicht selbst dabei gewesen.

Ich war in der Nähe der Währingerstraße, und da ich schon lange nichts von Bertha gehört hatte, machte ich einen Sprung zu ihr. Sie schien fast zu erschrecken, als sie mich sah, und die Ursache dafür wurde mir bald klar: Heinrich kam knapp nach mir die Stiegen hinauf, und wir betraten die Wohnung fast gleichzeitig. Die Begrüßung war frostig; kaum, dass er mir Platz anbot. Bertha benahm sich, als wäre sie ein Dienstbote und hätte nichts zu sagen.

Und dann geschah’s! Heinrich erblickte Stephan Zweigs „Jeremias“, das auf einem Tischchen lag: Wer das Buch gekauft hätte? – Olga! – Hatte er nicht schon x-mal gesagt, dass dieses Luder ihr Geld für Nützlicheres als für blöde Bücher ausgeben sollte? Direkt zu Bertha gewandt, brüllte er: „Ich werde das Mistvieh hinausschmeißen! Euch alle werd ich hinausschmeißen, Ihr Schmarotzer!“ Er riss das Fenster auf, ergriff das Buch und warf es in weitem Bogen hinaus; meine Anwesenheit hatte er total vergessen. Als Bertha einzulenken versuchte, drehte er sich um und hob die Hand gegen sie, schien sich aber plötzlich meiner Gegenwart zu entsinnen und rannte aus dem Zimmer. Wir hörten die Wohnungstür hinter ihm zuschlagen.

Wir alle haben ja gewusst, dass Berthas Ehe unglücklich ist; dass sie aber in solch einer Hölle lebt, hatte ich mir nicht vorgestellt. Es ist mir ein Rätsel, warum sie nicht schon längst die Scheidung eingereicht hat, denn quälen lassen muss sich keiner. Das arme Ding schämte sich dieser Szene so sehr, dass sie mir kaum in die Augen schauen konnte, und ich es für das Barmherzigste hielt, mich so schnell wie möglich zu verabschieden. Wie konnten unsere guten Eltern nur zulassen, dass ihre Tochter solch einen Sadisten heiratet? Es bedrückt mich furchtbar, dass ich so machtlos bin. Als ihr ältester Bruder sollte ich ihr doch helfen können!

Dein treuer Bruder Alfred

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