Kitabı oku: «Liebste Mama», sayfa 4

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Berlin, 3. März 1919

Liebe Mama, lieber Albert!

Ich beeile mich Euch mitzuteilen, dass ich heil in Berlin angekommen bin und von Großmama und Adele mit offenen Armen empfangen wurde. Auch Clara war zu meiner Begrüßung da und brachte Senterl mit, die enorm gewachsen und sehr herzig ist. Ich bin glücklich, endlich wieder hier zu sein!

Allerdings muss ich gestehen, dass Ihr mit Eueren Befürchtungen ganz recht hattet und die Reise wirklich nicht so reibungslos vor sich ging, wie ich mir vorgestellt hatte. Ich erlebte ein richtiges Abenteuer, von dem ich noch einmal meinen Enkelkindern erzählen werde.

Von Teplitz bis Aussig ging alles gut. Dort hielt der Zug, wie wir glaubten, um Kohle nachzufüllen und gleich danach weiterzufahren. Die Kohle wurde nachgefüllt, doch sonst geschah nichts. Wir warteten und warteten und warteten. Nach ungefähr zwei Stunden wurde verlautbart, dass der Zug nicht weiterfahren würde, Lokomotivführer und Schaffner wären auf Streik. Ihr kennt mich doch, ich wollte nach Berlin. Was tun?

Schon vorher war mir ein Mann aufgefallen, der mit einem Geigenkasten unter dem Arm wie besessen am Bahnsteig auf und ab lief. Jetzt schrie er den Stationsvorsteher an, dass er unbedingt nach Berlin müsse, er hätte dort noch am selben Abend ein Konzert zu geben. Der Mann war Bronislav Hubermann! Ich ging auf ihn zu, stellte mich vor und machte ihm den Vorschlag, gemeinsam den Weg bis zur Grenzstation Schandau zurückzulegen. Noch einige Passagiere gesellten sich zu uns, doch hatten sie Angst, ihr Gepäck im Zug zurückzulassen. Aber Trude wusste Rat. Es gelang mir, einige tschechische Soldaten, die dort herumstanden, dazu zu überreden, unsere Koffer zu tragen.

So zogen wir denn los, elf Mann hoch und die Soldaten. Ich trug Hubermanns Geige, die er niemandem anvertrauen wollte, aber die er auch nicht selbst durch das schwierige Terrain tragen konnte. Es stellte sich nämlich heraus, dass die Landstrasse gesperrt war und wir einen Bergpfad benützen mussten. Es ging über Stock und Stein immer höher hinauf und oft durch dickes Gestrüpp. Hier und da lag noch Schnee, aber meistens versanken wir bis zu den Knöcheln im Morast. Felsblöcke verstellten den Weg, Steine rollten uns vor die Füße und Bäche rieselten über den Weg. Jede paar Minuten schrie Hubermann: „Meine Geige! Passen Sie auf meine Geige auf!“ Der Aufstieg war zwar schwer, aber nichts gegen den Abstieg ins Tal. Wir waren alle schon todmüde und rutschten bei Schritt und Tritt bergab. Ich musste mir die größte Mühe geben, nicht wirklich mit Hubermanns kostbarer Geige zu fallen und sie zu ruinieren.

Am halben Weg, noch mitten im Wald, machten unsere Träger Halt: Nicht weit von dort sei die deutsche Grenze, sie hätten Angst und wären nicht bereit weiterzugehen. Nun war guter Rat teuer! Aber wer A sagt, muss auch B sagen, und dieses Abenteuer war schließlich meine Idee gewesen. So übergab ich Hubermann seine Geige und machte mich allein auf den Weg zur Grenzstation, die ich auch glücklich erreichte. Dort gelang es mir, deutsche Träger zu überreden, mich zurückzubegleiten und unsere Koffer über die Grenze bis nach Schandau zu tragen. Wir hatten großes Glück, denn von dort fuhr wirklich nach kurzer Zeit ein Zug nach Berlin, in dem wir alle Platz fanden, obwohl er recht überfüllt war.

Adelchen ist gerade damit beschäftigt, mein neues hellgraues Kleid und meine hellen Knopfstiefel zu reinigen, die ich mir extra zur Feier des Wiedersehens mit ihr und Großmama angezogen hatte und die leider bei der abenteuerlichen Fahrt recht gelitten haben. Aber heute Abend müssen wir alle vier, Clara auch, elegant sein, denn Hubermann verehrte mir vier Karten zu seinem Konzert!

Alles Liebe, Euere müde Trude

Teplitz, 10. Juni 1919

Mein liebstes Berterl!

Ich bin ganz außer mir! Stell Dir vor, Trude sagte uns gestern aus heiterem Himmel, sie hätte vor, diesen Viktor Bermeiser zu heiraten. Wo hab ich nur meine Augen gehabt, dass ich das nicht habe kommen sehen! Er ist nichts, er kann nichts und hat sie wahrscheinlich mit seinem Klavierspiel berauscht. Wie immer war Trude allen Argumenten gegenüber taub. Sie ist finanziell selbstständig, sowohl Bernhard wie auch seine beiden Schwestern haben sie reichlich in ihren Testamenten bedacht, und so kann sie leider tun, was sie will, wir können sie nicht hindern. Viktor gefällt weder Albert noch mir; er ist ein ganz oberflächlicher Mensch, und ich halte es für absolut möglich, dass es Trudes Vermögen ist, welches ihn attrahiert. Ich bin sehr unglücklich, sehe ich sie doch nur in ihr Verderben rennen.

Verzeih, dass ich Dich wieder mit meinen Sorgen behellige, wo Du doch gewiss genug eigene Sorgen hast. Wir freuen uns mit Dir, dass Magda sich in Uppsala so wohlfühlt. Die Schweden sind ein braves Volk, dass sie sich dieser armen Kriegskinder so liebevoll annehmen. Wir hoffen, dass Magda richtig erholt, mit roten Backen und einige Kilo schwerer nach Wien zurückkehrt. Wir machen uns Sorgen um Deinen Kurt! Dem könnte so ein Aufenthalt in Schweden auch nicht schaden, wo er doch nur 40 Kilo wiegt. Aber leider ist er kein Kind mehr mit seinen 19 Jahren und die Schweden nehmen wohl nur Kinder. Und Hans will Schauspieler werden? Ich glaube fest, dass er das Zeug dazu hat, und bildhübsch ist er außerdem, also „Glück auf!“ Du wirst noch viel Freude an Deinen Kindern haben, und das verdienst Du auch.

Vorige Woche starb meine Schwiegermutter, und der Tod ihrer geliebten Großmutter Back ist ein schwerer Schlag für Truderl. Sie verstand sich wunderbar mit der alten Dame, die bis zuletzt ganz rüstig war und immer das größte Verständnis für ihre Enkelin hatte. Vielleicht hätte sie ihr die verrückte Idee dieser Heirat ausreden können!

Innigste Küsse von Deiner treuen Schwester Grethe

Wien, 27. Juni 1919

Liebe Gretl!

Bertha erzählte uns, dass Trude heiraten wird, und von Deiner Verzweiflung darüber. Ich kann Dich wohl verstehen, doch kann man die Sache auch anders betrachten.

Mag sein, dass es der junge Mann wirklich auf Truderls Geld abgesehen hat, aber die beiden sind jung, haben ihr Leben noch vor sich und die Chance, etwas daraus zu machen. Sie sind doch verliebt ineinander und so besteht die Möglichkeit, dass sich das Verliebtsein einmal in echte Liebe verwandeln wird. Vielleicht wird es Trude gelingen, den Luftikus zu ernster Arbeit anzuhalten. Andererseits sind Künstler ja wirklich aus feinerem Stoff gemacht als andere Sterbliche, und dem muss man Rechnung tragen. Wer weiß, Dein zukünftiger Schwiegersohn mag noch ein berühmter Komponist werden! Mach gute Miene zum bösen Spiel, Schwesterlein, wirst sehen, zum Schluss wird das Spiel gar nicht so böse sein.

Unsere Ditti will ja auch bald heiraten und wir wären mit ihrer Wahl von Paul sehr zufrieden, wenn nur eines nicht wäre: Er ist ebenso kurzsichtig wie sie. Es macht uns tief traurig, dass die beiden schon beschlossen haben, keine Kinder in die Welt zu setzen, denn sie fürchten wohl mit Recht, ein blindes Kind zu bekommen. So wird uns die Freude, ein Enkelkind zu haben, versagt bleiben, denn ob Suserl mit ihrem Gebrechen je heiraten wird, ist höchst zweifelhaft. Dabei ist sie hoch begabt, kann an jedem Gespräch mühelos teilnehmen, da sie den Sprechenden von den Lippen abliest und selber so spricht, dass man sie verstehen kann. Sie hat jetzt sogar angefangen, Französisch zu lernen, und ihre Ambition, enorm für ein 11-jähriges Kind, wird sie noch weit bringen. Trotzdem bricht uns fast das Herz, wenn wir an ihre Zukunft denken! So hat ein jeder sein Kreuz zu tragen.

Max hat beschlossen, nach Lyon und zu seiner Familie zurückzukehren. Der Wunsch, in der Nähe seiner Kinder zu sein, und wohl auch die Tatsache, dass er katholisch ist, dürften zu dem Entschluss geführt haben. Auch bedarf die Fabrik seiner und wird ihm in diesen schweren Zeiten eine sichere Existenz bieten. Es ist uns jedoch unverständlich, dass es ihm möglich scheint, nach allem, was gewesen ist, wieder mit seiner Frau unter einem Dach zu leben. Max sagt, Katholiken sei die Scheidung eben verboten. Zum Glück ist Bertha evangelisch und nicht katholisch! Wir hoffen aus ganzem Herzen, dass sie endlich die seelische Kraft dazu aufbringen wird, Heinrich den Laufpass zu geben. Die Arme lebt in einer wahren Hölle und kommt nur zur Ruhe, wenn er von Hause abwesend ist. Auch die Kinder wagen sich nicht ins Haus, wenn er da ist. Olga ist großartig und bemuttert sowohl ihre Mutter als auch die Geschwister, ohne sie wäre Bertha verloren. Hans ist ausgezogen und wohnt jetzt in einem möblierten Zimmer im selben Haus, denn Heinrich warf ihn hinaus, als er erfuhr, Hans wolle Schauspieler werden. Wovon der Junge lebt, weiß ich nicht, wahrscheinlich unterstützt ihn Olga. Kurt ist entsetzlich abgemagert, hustet auch ständig; er soll nur nicht Tuberkulose bekommen! Leider können wir sehr wenig helfen, obwohl wir tun, was uns nur möglich ist.

Grüße Albert herzlich von mir und Uli, die Dich in Gedanken umarmt, so wie ich es tue.

Dein treuer Bruder Alfred

Teplitz, 23. November 1919

Geliebte Großmama, liebstes Adelchen!

Ich war bitter enttäuscht, dass Ihr nicht zu meiner Hochzeit kommen konntet, denn obwohl sie in aller Stille am Standesamt stattfand, hätte ich Euch doch für mein Leben gern mit dabei gehabt. Aber natürlich verstehe ich, dass die Reise zu anstrengend gewesen wäre. Macht nichts, bei erster Gelegenheit komme ich nach Berlin, und dann erzähle ich Euch alles ganz ausführlich.

Ich werde genug Zeit haben, denn Viktor hat in Prag auf der medizinischen Fakultät inskribiert und ist schon hingefahren. Ich wohne weiter in der Waagestraße, denn wozu hätte ich für mich allein eine andere Wohnung nehmen sollen. Sehr gerne möchte auch ich in Prag Medizin studieren, was Viktor das Studium bestimmt erleichtern würde, doch ist Mama ganz außer sich bei dem Gedanken, und so ließ ich ihn wohl oder übel fallen. Sogar Albert, der mich doch meist unterstützt, ist dagegen. Papa wäre dafür gewesen, davon bin ich überzeugt.

Bitte dankt Clara einstweilen in meinem Namen für ihren liebevollen Brief zu meiner Hochzeit und für das schöne Geschenk. Sehr freut mich auch die Fotografie von Senta, die mit ihrer Schultüte in der Hand und dem Ranzen am Rücken so ernst in die Welt blickt. Wie stolz Ernst auf seine Tochter gewesen wäre!

Habt Ihr genug zu essen in Berlin? Wenn Ihr etwas braucht, dann schreibt mir, und ich werde versuchen es mitzubringen, wenn ich komme. Gebt acht auf Euch!

In inniger Liebe,

Euere Trude

Teplitz, 5. Mai 1920

Liebste Tante Uli, lieber Onkel Alfred!

Könntet Ihr mir vielleicht behilflich sein, in Wien eine Wohnung zu finden? Viktor hat das Medizinstudium doch nicht zugesagt. Erst glaubte ich, er hätte die Prüfungen des ersten Semesters bestanden, jedoch stellte sich heraus, dass ich ihn missverstanden habe. Er möchte jetzt Zahntechnik erlernen, und das lieber in Wien als in Prag. Diesmal lasse ich ihn nicht wieder allein weg. Wenn er ein geordnetes Zuhause hat, wird ihm das Studium bestimmt leichter fallen. Er hat eben hauptsächlich Musik im Kopf, nur ist das leider momentan eine brotlose Kunst, und es gereicht ihm zur Ehre, dass er nicht von meinem Geld leben will.

Ich freue mich darauf, in Euerer und Berterls Nähe zu sein, zumal es mich schon immer nach Wien gezogen hat.

In Liebe,

Euere Trude

Wien, 9. September 1920

Liebste Mama, lieber Albert!

Die Fahrt hierher ging ganz glatt. Gegen 10 Uhr abends kam ich bei Alfred und Uli an und wurde mit Hallo empfangen. Gleich am nächsten Tag in der Früh gingen wir die Wohnung besichtigen, und ich nahm sie an Ort und Stelle. Uli sagt, sie hätte die größte Mühe gehabt, den Hausherrn zu überreden, auf mich zu warten, denn es gibt so gut wie keine leer stehenden Wohnungen in Wien.

Ich glaube, wir haben Glück gehabt! Unser neues Domizil ist im 3. Bezirk, nicht weit vom Stadtpark, die Adresse: Mattheusgasse 12. Wir haben ein Zimmer, eine Küche und ein Kabinett13; ein Badezimmer ist nicht da, aber die Küche ist geräumig, so dass mit Leichtigkeit eine Zinkwanne Platz findet, die man, wenn sie nicht in Gebrauch ist, in einer Ecke unterbringen kann. Uli sagt, in Wien wären Wohnungen mit Bad eine Seltenheit.

Die Biedermeiermöbel, die mir Tante Regine vermacht hat, werden sehr gut ins Kabinett passen; fürs Schlafzimmer muss ich mich erst nach etwas Schönem umschauen. Ich werde noch genug Rennereien haben, bis alles zum Einziehen bereit sein wird, aber Viktor kommt ja sowieso erst nächsten Monat, so dass ich mich nicht besonders beeilen muss. Ich wohne inzwischen weiter bei Alfred und Uli, die mich sehr herzlich eingeladen haben. Morgen besuche ich Berterl und hoffe auch Olga, Kurt und Hans anzutreffen. Magda ist noch in Schweden und Heinrich zum Glück verreist. Ditti und Paul habe ich noch nicht gesehen, aber sie kommen heute Abend zum Nachtmahl.

Alles Liebe,

Euere Trude

Wien, 15. Oktober 1920

Liebste Mama, lieber Albert!

Die Wohnung ist fertig und wartet nur auf den Hausherrn, meinen Mann, der morgen Abend kommt. Sie ist sehr schön geworden und ich danke Euch nochmals für das prompte Schicken der Möbel, Teppiche und Wäsche. Das Kabinett ist ein richtiges Biedermeierzimmer, sogar der Sekretär und die Vitrine fanden Platz. Berterl stöberte in einer Kiste am Boden cremefarbige Vorhänge mit gestickten rosa Blümchen und hellgrünen Blättchen auf, die genau zum grünen Möbelstoff mit den rosa und gelben Streifen des Sofas und der Stühle passen; in den Stoffgeschäften hatte ich gar nichts Richtiges gefunden. Ich kaufte ein Schlafzimmer in Weiß, Betten, Schränke und Psyche14, außerdem einen kleinen Tisch mit runden, gepolsterten Sesseln. Da das Zimmer sehr geräumig ist und auch das Klavier darin stehen wird, werden wir uns bestimmt viel dort aufhalten. Danke, Mama, dass Du an die weißen Vorhänge mit der Filetspitze gedacht hast; sie sind wie für diesen Raum geschaffen.

Wien ist eine graue Stadt geworden; alles erscheint schäbig, auch die Menschen. Vom klingenden, singenden, tanzenden Wien ist nichts zu merken, aber so wie Du mir Deine Vaterstadt geschildert hast, Mama, sind die Wiener ja nie unterzukriegen und werden sich bestimmt wieder aus der Misere herauswursteln. Wann immer ich kann, fahre ich mit der Straßenbahn nach Grinzing oder Hütteldorf und wandere oft stundenlang durch den Wienerwald, dessen Herrlichkeit sogar der grässliche Krieg nicht zerstören konnte. Von solchen Ausflügen kehre ich immer erfrischt und mit neuen Kräften zurück.

Mit Ditti und Paul bin ich häufig zusammen, ebenso mit Olga und Kurt. Hans sehe ich selten, Berterl dagegen umso mehr. Sie kommt oft zu mir und ich habe es mir zum Ziel gesetzt, sie von der Notwendigkeit einer Scheidung zu überzeugen. Sie schaut elend aus und kränkt sich, dass sich Olga so für die Familie abrackern muss, dass Hans sie nur im Geheimen besuchen kann, wenn nämlich Heinrich nicht in der Nähe ist, und dass Kurts Gesundheitszustand sehr viel zu wünschen übrig lässt. Ein Glück, dass Magda in Uppsala ist!

Ich freue mich unendlich auf Viktors Ankunft und darauf, jetzt ein richtiges Eheleben anzufangen. Ich habe alles für ihn auf der zahnärztlichen Hochschule erledigt und er kann sofort die Vorlesungen besuchen. Hoffentlich bleibt ihm dann noch genug Zeit zum Klavierspielen.

In Liebe,

Euere Trude

Wien, 16. März 1921

Liebste Mama!

Ich schreibe in Eile, nur um Dir mitzuteilen, dass Kurt seit gestern im Allgemeinen Krankenhaus liegt. Er bekam plötzlich eine Lungenblutung und die Ärzte machen uns wenig Hoffnung. Sie sagen, dass er zu sehr heruntergekommen sei, um der Tuberkulose Herr zu werden. Ich bin fast ständig mit Berterl im Spital, will sie dort nicht allein lassen, während Olga bei der Arbeit ist. Uli oder Ditti lösen mich manchmal ab, auch Alfred, wenn er sich freimachen kann. Leider ist Magda gerade jetzt aus Schweden zurückgekommen; länger ließ man sie nicht bleiben.

Ich werde Dich auf dem Laufenden halten.

Trude

Wien, 9. November 1921

Liebste Mama, lieber Albert!

Ich glaube, jetzt ist Kurt über dem Berg! Die Ärzte selbst können kaum begreifen, dass er es geschafft hat, und warnen uns noch immer vor einem Rückfall. Ihr wisst ja, wie es die ganzen Monate erst bergab, wieder bergauf und dann wieder bergab gegangen ist. Also haltet Daumen, dass diesmal nicht wieder eine Verschlechterung eintritt; wir sind alle so glücklich über diese ersten Anzeichen einer wirklichen Besserung.

Viktor besucht fleißig alle Vorlesungen, scheint sich aber doch noch nicht im Klaren darüber zu sein, ob Zahntechnik wirklich der Beruf ist, welcher ihm zusagt. Klavier spielt er, wann er nur kann, häufig spielen wir auch vierhändig, und ich versuche stets, Berterl ans Klavier zu locken, wenn sie bei uns ist; das ist das Einzige, was sie von ihren trüben Gedanken ablenkt. Magda geht in die Schule, sehnt sich aber nach Schweden zurück, wo es ihr auch bestimmt besser gegangen ist. Zu ihr ist Heinrich nett, wenigstens schlägt er sie nicht wie seine anderen Kinder. Sie aber hasst ihn, denn sie sieht ja, wie er ihre Mutter und Geschwister behandelt; Hans wagt sich trotz seiner 19 Jahre nie ins Haus, wenn sein Vater in der Nähe ist, und Kurt wäre nicht so krank geworden, wenn Heinrich zur Versorgung der Familie beigetragen und sich um die Beschaffung von Lebensmitteln gekümmert hätte. Es ist kaum auszudenken, was geschähe, wenn Olga nicht wäre!

In inniger Liebe,

Euere Trude

Wien, 27. April 1922

Liebste Clara!

Ich danke Dir innigst für Deinen lieben Brief mit der hübschen Fotografie von Senta. Welch großes Mädel sie schon ist mit ihren 9 Jahren! Wie gerne möchte ich Euch alle wieder einmal umarmen und richtig abküssen!

Ich sehne mich nach Euch und Berlin und sogar nach Teplitz, obwohl ich Wien liebe. Die Erklärung zu diesem Paradox ist nicht schwer zu finden, und Dir kann ich es ja sagen: Ich weiß nicht, wohin meine Ehe führen wird. Viktor nimmt sein Studium gar nicht ernst, spricht schon davon, es aufzugeben, um etwas anderes zu versuchen. Das wäre das Wenigste, doch scheint er zu glauben, dass mein Geldbeutel keinen Boden hat, meine Mittel unbegrenzt sind und dass ich ständig neue Pläne finanzieren kann. Dem ist nicht so! Mein Bankkonto ist schon sehr zusammengeschmolzen, und ich mache mir oft Sorgen um das tägliche Brot. Dabei muss ich sehr vorsichtig sein, denn ich will ihn nie daran erinnern, dass ich das Geld mit in die Ehe gebracht habe. Ich werde mich jetzt nach einem Posten umschauen, was im heutigen Wien gar nicht leicht ist, aber ich will keinesfalls Mama um Hilfe bitten.

In Gesellschaft dagegen hat mein Herr Gemahl großen Erfolg. Mit seinem guten Aussehen und herrlichen Klavierspiel ist er der reinste Salonlöwe, der Rattenfänger von Hameln oder wie Du es nennen willst, und die Studentinnen umschwirren ihn wie die Bienen. Seine schlechte Laune wegen nicht bestandener Prüfungen koste dann zu Hause ich allein aus. Das ist die Ironie des Schicksals: Nach zweieinhalbjähriger Ehe, wo ich größeren Abstand zu unserem Verhältnis halten kann, flüstert eine Stimme mir zu, dass auch ich hauptsächlich in sein Klavierspiel verliebt war. Ich bin es ja jetzt noch, nur zweifle ich immer häufiger daran, ob das eine gesunde Grundlage für eine glückliche Ehe sein kann.

Liebste, liebste Clara, Du weißt gar nicht, was Deine liebevollen Briefe für mich bedeuten. Ich habe doch sonst keinen Menschen, dem ich mich anvertrauen könnte, und muss nach außen stets ein freudiges Gesicht zeigen, trotzdem mir das Herz so schwer ist.

Gib Senta einen Kuss von mir!

In treuer Liebe,

Deine Trude

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