Kitabı oku: «Warum ich mich nicht als schwul bezeichne», sayfa 4
Teil 1
Am Anfang
»Start! Wir heben 42 Minuten nach der vollen Stunde ab. Start der Apollo 11!«1
Um 10.32 Uhr am Morgen des 16. Juli 1969 sah die ganze Welt zu, wie Neil Armstrong, Michael Collins und Buzz Aldrin die Erde verließen, um eine Aufgabe auszuführen, die die Welt für immer verändern sollte.
Walter Cronkite, Amerikas zuverlässigster Journalist, verkündete den Countdown. »Guten Morgen. In weniger als einer Stunde, in 29 Minuten und 53 Sekunden ist es so weit. In ungefähr einer halben Stunde – wenn alles gut geht – sollen die Astronauten von Apollo 11, Armstrong, Aldrin und Collins, von der Abschussrampe 39A abheben und sich auf eine Reise begeben, von der die Menschheit schon immer geträumt hat. Ihre nächste Station: der Mond.«
Meine Familie – Vater, Mutter und drei ältere Brüder – schauten gemeinsam mit dem restlichen Amerika zu. Es wurde Geschichte geschrieben. Meine Familie ahnte jedoch nicht, wie sehr sich ihr Leben ab der Woche, als Apollo 11 zum Mond startete, für immer verändern sollte.
»Rakete bebt«, sagte Cronkite, als sich Kerosin mit flüssigem Sauerstoff vermischte und die 36-geschossige, 6,5 Millionen Pfund schwere Saturn-Rakete in die Luft hochschoss. Cronkite zählte die Leistungsstärke auf, die sich im Bauch der Saturn-5-Rakete befand. »Die Triebwerke, die diesen Schub verursachen, haben eine gemeinsame PS-Leistung, die 543 Kampfjets entspricht. Sie verbrennen 5 662 000 Millionen Pfund Treibstoff, was gleichbedeutend ist mit der Kapazität von 98 Eisenbahnwaggons sowie des Wasserspeichers einer Kleinstadt. Beim Start erreicht der Lärm 120 Dezibel. Dies ist mit dem Lärm von acht Millionen Hi-Fi-Anlagen verglichen worden, die gleichzeitig spielen.«
Der Lärm dröhnte und die Rakete bebte. »Wir haben uns an diese Erschütterungen gewöhnt …«, sagte er, als die Rakete das Schwerkraftfeld der Erde verließ und sich im All bewegte.
»Was für ein Moment! Der Mensch … auf dem Weg … zum Mond!«
Als die Rakete auf dem Weg in das tiefe Blau der oberen Atmosphäre vorwärtstrieb, sagte Cronkite: »Jetzt haben wir eine weitere sehr schöne Zündung einer Saturn-Rakete erlebt – dies ist in der Geschichte einmalig – und wir konnten den Abschuss einer weiteren Saturn-5-Rakete beobachten. Voraussetzung ist, dass weiterhin alles klappt.«
Mitten im Satz legte er seine Brille ab: »Denn dies ist der Flug, durch welchen der Mensch zum ersten Mal seinen Fuß auf den Mond setzen wird.« Er machte eine Pause, erstaunt über das, was er gerade gesagt hatte. »Wir überschreiten die Grenzlinie leichthin: ›Der Mensch auf dem Mond‹. Aber meine Güte, überlegen wir nur mal, was das heißt!«
Mein Vater war immer an Weltraumforschung interessiert. Er hat Astronomie an der Cornell Universität studiert und lehrte Astronomie am Lansing Community College in Lansing, der Hauptstadt von Michigan. Dort war er auch für das Planetarium der Schule verantwortlich. Er hat das Weltraumprogramm von Anfang an verfolgt und seine Begeisterung an seine junge Familie weitergegeben.
Vater war dreißig, meine Mutter neunundzwanzig und sie waren seit mehr als zehn Jahren verheiratet. Meine zwei älteren Brüder, Dave und Steve, waren genauso wie mein Vater gespannt auf die Mondlandung, die in einigen Tagen stattfinden sollte. Mein vier Jahre alter Bruder Jim war begeistert, weil alle anderen es auch waren. Aber der Abschuss der Rakete war nur die Einleitung, die richtige Show fand vier Tage später statt, als ein Mensch im Begriff war, zum ersten Mal in der Geschichte seine Füße auf den Mond zu setzen.
Die Familie saß wieder dicht gedrängt vor dem Fernseher, als Cronkite sagte: »Apollo 11: Alles läuft gut für die Landung auf dem Mond, von jetzt an in drei Stunden, einundzwanzig Minuten, vierzehn Sekunden.«2
Aber es gab keine Garantie dafür, dass es gelingen würde, bis die Worte von Astronaut Charles Duke von der Kommandozentrale in Houston zu hören waren: »Adler, Houston. Bereitet euch auf die Landung vor. Ende.«
»Verstanden. Bereit zur Landung«, antwortete Buzz Aldrin.
Um 16.17 Uhr berichtete Buzz Aldrin: »Leichter Kontakt«, einer der drei Landefüße der Mondlandefähre berührte die Oberfläche.
Armstrong gab einen Befehl an Aldrin: »Herunterfahren.«
»Okay. Triebwerk stopp«, sagte Aldrin, »Befehl Triebwerk abschalten ausgeführt. Ausleger ausgeführt. Ende«.
»Der Mensch ist auf dem Mond!«, rief Cronkite aus.
Die Kommandozentrale in Houston antwortete: »Wir übertragen die Bilder nach hier unten, Adler.«
»Houston, hier ist Tranquility Base«, sagte Armstrong. »Der ›Adler‹ ist gelandet.«
Sechs Stunden später waren sie bereit, mit ihren Füßen den Mond zu betreten. Armstrong öffnete die Luke des »Adlers«.
Millionen auf der Erde sahen zu, wie ein Fuß auf eine Leiter gesetzt wurde. »Dort ist er, dort sind Füße, die sich auf der Leiter nach unten bewegen. Armstrong bewegt sich!«, sagte Cronkite, »Neil Armstrong, ein 38 Jahre alter Amerikaner, steht an diesem 20. Juli 1969 auf der Mondoberfläche.«
Um 22.56 Uhr sagte Armstrong folgende Worte, die für immer zur Menschheitsgeschichte gehören: »Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Sprung für die Menschheit.«
Die junge Familie Mattson beobachtete, wie Armstrong und Aldrin sich auf der Mondoberfläche bewegten. Aber es war spät und bald brachte mein Vater uns Jungs zu Bett.
Er deckte uns zu, schaltete das Licht aus und ging danach in das Schlafzimmer. Dort schloss er die Tür hinter sich zu und legte sich neben unsere Mutter ins Bett.
»Wie könnte der gigantische Sprung der Menschheit besser gefeiert werden, als jetzt ein Baby zu zeugen«, flüsterte er in ihr Ohr, als seine Hände ihren Körper berührten.
Ende April 1970, neun Monate später, wurde ich geboren.
Christopher Street
Es geschah in den frühen Morgenstunden des 28. Juni. Eine andere Art von Geburtswehen setzte bei der Bewegung Christopher Street ein, fünfhundert Meilen östlich von dem Haus, in dem ich empfangen wurde. Mitten in Greenwich Village, einem Stadtteil von New York, ist in einer Bar namens Stonewall Inn die Schwulenbewegung entstanden.
Polizisten machten eine Razzia im Stonewall Inn, einer Bar, in der der Pöbel verkehrte und die auf die homosexuelle Gemeinschaft ausgerichtet war. Dies war einer der wenigen Plätze, wo sie sich relativ friedlich versammeln konnten. Zumindest so lange, bis die Polizei kam. Die Sittenpolizei wurde in den 1960er-Jahren in New York City gebildet, um die noch rechtskräftigen »Anti-Sodomie-Gesetze« durchzusetzen. Zu ihren häufigen Zielen gehörten Bars wie Stonewall Inn. Bis 1966 wurden jede Woche mehr als hundert Leute durch verdeckte Operationen, bei denen oft Lockvögel eingesetzt waren, durch die sie überführt wurden, verhaftet. In einem Dokumentarfilm über den Stone-wall-Aufstand schrieb Professor William Eskridge von der juristischen Fakultät von Yale: »Es war ein Albtraum für die Lesben und Schwulen, gefangen genommen und mit Gewalt festgehalten zu werden, aber es war auch ein Albtraum für jene Lesben und Schwulen, die sich verstecken mussten. Diese Situation schuf ein enormes Potenzial an Zorn und Wut bei den Lesben und Schwulen in New York. Schließlich musste es zur Explosion kommen.«1 Der »Dampfkochtopf« explodierte in jener Nacht im Juni 1969, als die Besucher es leid waren und sich zum ersten Mal der Verhaftung widersetzten und den Spieß umdrehten. Die Polizei war in der Bar Stonewall Inn eingeschlossen und draußen vor dem Lokal befanden sich die wütenden Demonstranten.
Die Nachricht von dieser Gegenwehr verbreitete sich rasch und in den nächsten Nächten eskalierten Gewalt und Widerstand. Die Männer und Frauen der Christopher Street waren wütend und forderten mehr als nur Akzeptanz. Sie forderten eine Revolution.
Drei Jahre nach dem Aufstand schrieb John Murphy in seinem Buch Homosexual Liberation:
»Viele Leute sind unglücklich über diese Art der Unterdrückung. Sie möchten etwas Neues und sie sind entschlossen, es durchzusetzen. Sie stellen eine potenziell gewaltige revolutionäre Kraft dar. Denn wir – und jetzt zähle ich mich zu diesen Männern und Frauen – sind nicht nur daran interessiert, akzeptiert zu werden. Wir benötigen keine neue Bürokratie, damit eine Regierung zugänglicher für unsere ›Bedürfnisse‹ wird. Auch werden wir uns nicht mit neuen politischen Gebilden, die im Namen einer sozialen Revolution geschaffen werden, zufriedengeben, wenn diese die gleiche Art der Unterdrückung vertreten. Wir beabsichtigen, die grundsätzliche Einstellung in Bezug auf die Sexualität umzustrukturieren, ebenfalls die Bedeutung des Einzelnen und die Funktion der Familie. Wir versuchen, einen totalen Systemwandel herbeizuführen.«2
Walter Cronkite sagte, indem er sich an Apollo 11 erinnerte: »Alles, was sonst noch in diesen Tagen geschah, wurde zu einer Nebensächlichkeit in den Geschichtsbüchern.«3 Aber Cronkite hat sich geirrt. Der Stonewall-Aufstand und das Aufkommen der Schwulenbewegung sind die beiden Dinge, an die man sich in Verbindung mit dem Sommer 1969 erinnert. Alles andere wird in den Geschichtsbüchern von untergeordneter Bedeutung sein, denn dies ist das Jahr, in welchem der Mensch zu vergessen begann, wer er ist. Der Stonewall-Aufstand beschleunigte die Entwicklung »der Umstrukturierung der Grundeinstellung zur menschlichen Sexualität, zur Bedeutung des Individuums und zur Funktion der Familie drastisch«.
Am 26. Juni 2015, an dem Tag, an dem der Oberste Gerichtshof der USA in der Sache Obergefell/Hodges die gleichgeschlechtliche »Ehe« für alle 50 Staaten legalisierte, schrieb der Schwulenaktivist und Blogger Andrew Sullivan im Blick auf die Revolution kurz und bündig: »Wir haben es geschafft.«4
So war die totale Revolution, welche die Schwulenbewegung gefordert hatte, endlich gelungen. Die Welt wurde nicht so sehr dadurch verändert, dass Neil Armstrong den Mond betreten hatte. Dass Neil Armstrong auf dem Mond gelandet war, ähnelt nur einer »Fußnote« im Vergleich zu dem, wie Stonewall die Welt veränderte. Die Schwulenbewegung hatte ihr Ziel erreicht: Zwei Männer können nun »heiraten« – der Oberste Gerichtshof hat sein Urteil gefällt. Die Homosexualität ist angeblich so natürlich für die Menschheit wie die Ehe zwischen Mann und Frau. Die Revolution hatte ihr Ziel erreicht. Ein Mann mit einer gleichgeschlechtlichen Neigung, wie ich einer bin, sollte nun Anlass zum Feiern haben. Aber ich tat es nicht.
Mein Leben war hin- und hergerissen zwischen zwei Polen – zwei Menschenbildern, zwei Visionen von Glück und Freiheit –, zwischen zwei konkurrierenden Weltanschauungen. Eine Seite glaubte, dass es eine absolute Moral auf der Welt gibt, dass es einen Gott gibt, der uns liebt, und dass die menschliche Sexualität ein großes Geschenk ist, das Freude und Erfüllung mit sich bringt. Diese Erfüllung stellt sich jedoch nur ein, wenn man die Realität akzeptiert, dass unsere einzige sexuelle Identität männlich oder weiblich ist und dass die Sexualität, um wirklich zufriedenstellend und erfüllend zu sein, vernünftig eingesetzt werden muss gemäß dem ihr innewohnenden Plan, offen für die kostbare Gabe des neuen menschlichen Lebens zu sein. Die andere Seite wurde durch die sexuelle Revolution beeinflusst, warb für Empfängnisverhütung, freie Liebe und die Schwulenbewegung, schuf die Gender-Ideologie, welche eine Botschaft der Befreiung von den vermeintlich veralteten Begriffen »männlich« und »weiblich« verkündete. Sie behauptete, dass Gefühle und sexuelle Neigungen verlässlichere Indikatoren für die Echtheit unserer sexuellen Identität seien als die Gestalt des menschlichen Körpers. Es ist eine Ideologie, die absolute Moralvorstellungen ablehnt. Diese Moral basiert auf beidseitiger Übereinstimmung, welche Sex in erster Linie als ein Mittel zur Lusterfüllung betrachtet. Es ist eine Ideologie, die die Schwangerschaft als eine unerwünschte Nebenwirkung der Sexualität sieht, welche normalerweise zu vermeiden ist. Kinder sollen nach dieser Ideologie das Leben eines Paares bereichern, sind jedoch nur eine Randerscheinung der menschlichen Sexualität und werden üblicherweise als Hindernis für das menschliche Glück wahrgenommen, außer wenn die Eltern der Meinung sind, dass das Kind zu ihrem Leben und ihrer Idee vom Glücklichsein etwas Sinnvolles beitragen könnte.
Ich bin in meinem Leben durch beide Lager gewandert, immer auf der Suche nach dem Glück. Zwischen diesen beiden Sichtweisen von Erfüllung und Glück habe ich gelebt – die eine wurde durch die Liebe meiner Eltern repräsentiert, welche zu einem Fleisch wurden und mir das Leben schenkten, die andere Sichtweise war die Ideologie der Schwulenbewegung.
Als ich schreiend geboren wurde mit dem Wunsch, glücklich zu werden, war mir dies noch nicht bekannt. Dieser Wunsch hat jedoch alle von mir getroffenen Entscheidungen geprägt.
Die Schule »Unbeflecktes Herz Mariens«
Alles, was ich mir wünschte, war, seine Brust zu berühren.
Von Anfang an konnte ich meine Augen nicht von ihm wenden. Er trug ein Fußball-Trikot der Pittsburgh Steelers, ein perforiertes Trikot, das als eine Art Hemd über einem T-Shirt als Teil einer Mannschaftsbekleidung getragen wird. Er trug jedoch kein T-Shirt, sondern nur das Trikot. Nie zuvor hatte ich ein Trikot gesehen, durch das man durchsehen konnte. Es faszinierte mich, ihn zu beobachten, und an jenem Tag wurde ich ganz verrückt danach, eine Gelegenheit zu bekommen, seine Brust zu berühren.
Ich war sechs Jahre alt, so alt wie er. Wir waren in der ersten Klasse der Schule »Unbeflecktes Herz Mariens« in der South Cedar Street in Lansing, Michigan, nicht weit entfernt von den Hochöfen, welche die nahe gelegenen Oldsmobile-Werke mit Stahl für ihre Autos belieferten. Unser Schulhof fühlte sich genauso industriell und auf Autos ausgerichtet an wie die Gemeinde um uns herum. Wir spielten auf dem Asphalt und rannten zwischen den Markierungslinien auf dem Parkplatz herum.
Der Junge mit dem Trikot war der beste Sportler in unserer ersten Klasse. Er beherrschte das Kickball-»Spielfeld«1 in der südöstlichen Ecke des Parkplatzes. Die meisten unserer Klasse nahmen an den Kickball-Spielen teil, und dieser Junge war normalerweise einer der Mannschaftskapitäne. Ich erinnere mich an ihn als etwas schroff, doch hatte er das Spiel mit den übrigen Jungs gut im Griff. Ihre Späße waren für mich ein Rätsel. Ich fühlte mich damals als Außenseiter. Dieses Gefühl begleitete mich mein ganzes Leben lang, wenn ich gezwungen war, mich sportlich zu betätigen.
Wenn die Mannschaften zusammengestellt wurden, wurde ich erst nach einigen Mädchen aufgerufen. Es war beschämend, aber es geschah regelmäßig auf die gleiche Weise. Ich war bekannt als ein unsicherer Spieler. Im zarten Alter von sechs Jahren war mir bereits bewusst, dass ich in den Augen des Jungen, der die stärksten und schnellsten Kinder für seine Mannschaft auswählte, nicht viel wert war. Ich wurde mit einem unsichtbaren Maß gemessen und gewogen, um festzustellen, welchen Wert ich für die Mannschaft haben konnte. Ich stand mit leeren Händen da, weil ich nicht stark genug, nicht schnell genug oder zu wenig koordiniert war, um ausgewählt zu werden. Ich beneidete den Jungen im Steeler-Trikot, weil er so war, wie ich nicht war. Er war stark, schnell und hatte Selbstvertrauen: genau das Gegenteil von dem, was ich fühlte.
Wann immer sich die Gelegenheit ergab, spielte ich mit den Mädchen. Wir übten Seilspringen und sangen dabei alberne und doofe Lieder. Wir kicherten viel und mir gefiel das.
Ich war auch beim Seilspringen nicht sehr gut, aber den Mädchen schien es nichts auszumachen. Ich brachte sie zum Lachen, wenn ich nicht schnell genug sprang. Mein Springen war nicht sehr koordiniert, aber bei den Mädchen war es kein Problem für mich. Bei ihnen fühlte ich mich sicher, ganz im Gegensatz zu den Jungen.
Ich erinnere mich an einen Jungen der sechsten Klasse in meinem Bus, der mich oft hänselte. Einmal schaute er mich an und sagte: »Weißt du, du musst Wimperntusche verwenden. Bist du ein Mädchen oder so was?«
»Nein!«, sagte ich. »Ich weiß nicht einmal, was du meinst.«
»Also, du hast so lange Wimpern. Sie sind genauso wie bei einem Mädchen. Ich wette, dass deine Mutter Wimperntusche auf deine Wimpern gibt, oder? Schau in den Spiegel, wenn du heimkommst. Du könntest wirklich ein Mädchen sein mit solch langen Wimpern!« Es war schrecklich. Er sagte oft solche Dinge zu mir.
Ich wurde auch von den Jungen in der Klasse gehänselt. Der erste Tag, an dem ich nach dem Begräbnis meiner Großmutter wieder in die Schule kam, hat sich in mein Gedächtnis eingeprägt. Die ganze Klasse hatte sich um unsere Lehrerin, Schwester Johnson, versammelt, die eine Geschichte erzählte. Sie wusste, weshalb ich in der Schule gefehlt hatte, und so erzählte sie den anderen Jungen und Mädchen vom Tod meiner Großmutter. Um mich zu trösten, bot sie mir an, mit überkreuzten Beinen, wie es bei uns üblich war, auf einem Stuhl zu sitzen anstatt auf dem Boden.
Als ich mich jedoch niedersetzen wollte, zog einer der Jungen den Stuhl unter mir weg und ich fiel auf den Boden und brach in Tränen aus.
Einige der Jungen kicherten, während Schwester Johnson sie hinter ihren blau getönten Brillengläsern wütend anblickte. Sie schimpfte mit ihnen und tröstete mich. Den anderen Mädchen tat es ebenfalls leid – also noch ein Grund mehr, den Jungen zu misstrauen und sich an die Mädchen zu halten.
In jenem Moment fühlte ich mich gefangen – ich hatte das Gefühl, dass ich ersticken müsste, und war total verwirrt. »Warum haben sie das gemacht?«, fragte ich mich. Aber in solchen Situationen ist es sinnlos, sich zu fragen, warum solche Dinge geschehen. Das Wichtigste war, mich im Leben so einzurichten, dass solche Dinge nicht mehr geschehen konnten. Ich lernte sehr schnell, dass ich bestehen konnte, wenn ich die Leute zum Lachen brachte.
Wenn ich beim Kickball dem Ball nachlief und ihn dann nicht traf, simulierte ich eine übertriebene Enttäuschung. Schließlich machte ich bereits Scherze, bevor ich daranging, den Ball zu schießen. »Also, hier bin ich wieder! Es wird wahrscheinlich auch dieses Mal nicht klappen, also Jungs, unterhaltet euch hier auf dem Feld nur weiter.« Und wenn ich den Ball nicht getroffen hatte, lachten alle, und ich lachte mit ihnen. Mir wurde klar, dass sie mich nicht auslachten, wenn ich zuerst über mich selbst lachte. Lachen wurde zu einer Maske, die ich mir aufsetzte, um zu bestehen. Herumzualbern war für mich der Weg, um durchzukommen.
Durch das Herumalbern fand ich eine Gelegenheit, seine Brust zu berühren. Nur daran konnte ich an diesem Tag denken. Es war jedoch nicht nur seine Brust. Ich konnte auch seine Muskeln durch das Netz seines Trikots genau erkennen. Wenn niemand zu mir hinsah, ließ ich meine eigenen Muskeln spielen. Dann schaute ich auf ihn. Ich fühlte mich klein. Seine Arme und seine Brust waren ganz anders als mein dicklicher Körper. Er war schlank. Er war stark. Ich wollte wissen, wie sich das anfühlte.
So alberte ich mit ihm herum und hänselte ihn, weil er kein T-Shirt anhatte. Vielleicht versuchte ich, seine Brustwarzen zu berühren, wie die anderen Jungen es miteinander taten, aber schließlich konnte ich meine beiden Hände auf seine Brust legen. Ein Schauer durchdrang mich, als ich seine Haut unter meinen Händen fühlte. Ich behielt meine Hände ein wenig zu lange dort, aber ich brachte ihn schnell zum Lachen. Es war nichts passiert.
»Er wird nicht denken, dass ich komisch bin, oder?«, fragte ich mich besorgt. Sein Lachen beruhigte mich jedoch und ich war mir sicher, dass ich meine Spuren verwischt hatte.
Ich wusste, dass es falsch und nicht normal war, dass ich seine Brust berühren wollte – sonst hätte ich es nicht geplant und mir Gedanken darüber gemacht, wie ich eine Gelegenheit finden könnte, es zu bewerkstelligen, ohne dass er auf den Gedanken käme, dass mit mir etwas nicht stimmte.
An diesem Tag war es nach meiner Erinnerung das erste Mal, dass ich mich zu einem anderen Jungen hingezogen fühlte. Ich würde nicht sagen, dass es sexuell motiviert war, aber es ist klar, dass der Keim, der zu meiner gleichgeschlechtlichen Neigung geführt hat, in meinem Leben bereits im Jahr 1976 vorhanden war.
Wenn ich an jenen Jungen aus der ersten Klasse denke und dies aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts betrachte, dann würden viele Leute sagen, dass dies der Beweis dafür sei, dass ich schwul geboren wurde.
Aber ich sehe es ganz anders. Wir leben in einer Welt, die durch Ursache und Wirkung gelenkt wird. Alles hat eine Ursache. Sogar Dinge, die man schwer erklären kann, haben letztlich einen Grund.
Mein ganzes Leben lang wollte ich wissen, woher meine gleichgeschlechtliche Neigung kam. In meinem Fall war das angeblich schwer zu Begründende gar nicht so schwer zu erklären.
Meine Mutter wollte immer vier Töchter bekommen. Nach drei Söhnen dachten sowohl meine Mutter als auch mein Vater, dass es gut wäre, noch einen Versuch zu unternehmen, um diesen Wunsch erfüllt zu bekommen. Ich war jenes Baby, das sie sich gewünscht hatten, und als die Schwangerschaft ihren Verlauf nahm, planten sie alles für ein Mädchen.
Es war eine schwere Geburt. Nach drei Kaiserschnitten war die Gebärmutterwand meiner Mutter sehr dünn. Deshalb musste bei meiner Geburt ein weiterer Kaiserschnitt gemacht werden. Sie blutete sehr stark, aber bald erblickte ich das Licht der Welt und der Doktor rief aus: »Es ist ein Junge!«
Meine Eltern nahmen den Sohn, den Gott ihnen geschenkt hatte, gerne an. Aber wegen medizinischer Komplikationen konnte meine Mutter keine Kinder mehr bekommen. Ich war ihr letztes Kind. Ihr Traum von einer Tochter war ausgeträumt.
Aber meine Mutter dachte immer noch daran, was möglich gewesen wäre. An einem Samstagnachmittag im Sommer, als ich drei oder vier Jahre alt war, hatten meine Eltern meine Tante Annie und meinen Onkel Jim zu einer Grillparty eingeladen. Ihre beiden Söhne, Jimmy und Robby, kamen mit ihnen. Jimmy war ein Jahr älter als ich, Rob ein Jahr jünger.
Meine Mutter und Tante Annie zogen mich zu sich hin. Ich trug ein Stirnband, welches mein Haar von meinen Augen fernhielt.
»Du hast seine Haare so lang wachsen lassen, Janny!«, sagte meine Tante. »Möchtest du aus ihm einen Hippie machen?«
»Natürlich nicht! Aber er hat so schönes Haar, oder nicht?«, sagte meine Mutter, als sie mit ihren Fingern durch meine Haare strich. »Weißt du, mit diesem Haar könnte man einen hübschen Pferdeschwanz machen, meinst du nicht? Lass es uns ausprobieren. Nur um zu sehen, wie er aussehen würde, wenn er doch ein Mädchen geworden wäre.«
Als sie einige Gummibänder gefunden und mein Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatten, waren sie ganz entzückt. Ich sah aus wie ein kleines Mädchen und stolzierte vor ihnen hin und her.
Meine Brüder sahen, was vor sich ging. Es gefiel ihnen nicht. »Mutter! Was machst du da? Er ist ein Junge, kein Mädchen!«
Meine Cousins schauten sich die Szene an und waren dabei etwas verwirrt. Sie waren viel zu jung, um zu verstehen, was hier vor sich ging. Ich erinnere mich an jenen Tag, einen der wenigen meiner Kindheit, an den ich mich genau erinnere. Ich weiß noch, dass ich die negative Aufmerksamkeit meiner Brüder nicht mochte. Es fühlte sich für mich irgendwie schlecht an, obwohl ich nicht wusste, warum. Ich war ja noch ziemlich jung. Sogar mein Onkel Jim erinnerte sich an diesen Tag, der so lange zurückliegt. Beim letzten Familientreffen sprach ich dieses Ereignis in seinem Beisein an und er erinnerte sich, dass er damals zu meiner Tante Annie gesagt hatte, dass sie so etwas bei einem ihrer Jungen nicht tun sollte. Er wusste, dass es falsch von einer Mutter war, einen Sohn so zu behandeln.
Wir leben in einer Welt, in der uns gesagt wird: »Schwul zu sein ist nur eine normale Variante der menschlichen Sexualität.« Im Gegensatz zu dem Bild, das uns über die Homosexualität vorgestellt wird, sehe ich eine klare Abfolge von Ereignissen in meinem Leben, die mich letzten Endes auf den Weg der gleichgeschlechtlichen Neigung geführt haben. Ich bin überzeugt, dass diese Art von Vorfällen, die das eigene Geschlecht infrage stellen, wie Hänseln, Schikanieren, Sich-schwächer-und-weniger-athletisch-Fühlen als andere Jungen zusammen mit vielen anderen Ereignissen in meinem Leben zu einer Brutstätte wurden, in der meine gleichgeschlechtliche Neigung wachsen und gedeihen konnte.
Eine Mutter, die ihrem Sohn willkürlich Zöpfe flicht, trägt nicht deshalb schon dazu bei, dass dieser Junge sich später mehr für Männer als für Frauen interessiert. Ein Junge, der beim Kickball den Anforderungen dieser Sportart nicht entspricht, wird nicht schon dadurch den Wunsch, Sex mit einem anderen Mann zu haben, verspüren. Natürlich waren dies nicht die einzigen Dinge, die sich ereigneten, als ich jung war. Da gab es noch etwas, was in der Scheune geschah.