Kitabı oku: «Warum ich mich nicht als schwul bezeichne», sayfa 5
Die Scheune
Mein Vater war durch und durch ein Junge vom Land, obwohl wir in der Stadt lebten. Als Kind verbrachte er seine Sommerferien bei seinen Onkeln und Tanten auf der Halbinsel Stonington auf einer Landzunge, die in den Michigan See hineinragt und östlich von der kleinen Bucht von Bay de Noc liegt. Er hatte ihnen geholfen, das Land zu bebauen, Heu zu machen und Holz zu schlagen in den Wäldern, die der Familie gehörten. Die Landwirtschaft lag ihm im Blut. Deshalb baute er eine Scheune im Garten hinter dem Haus.
»Die Scheune von Mort« war Gegenstand des Geredes in der Nachbarschaft. Alle Kinder beobachteten mit Staunen, wie aus dem Betonmischer flüssiger Beton für das Fundament und den Fußboden entladen wurde. Eine Woche später diente der neu gegossene Fußboden der Scheune allen in der Nachbarschaft als Rollschuhbahn und auch als Zeichenfläche für eine intensive Kreidebemalung.
Langsam nahm das Gebäude Gestalt an. Die Väter aus der Nachbarschaft halfen beim Bau mit. »Wir sind dabei, unsere eigene Scheune zu bauen!« Sie erzählten einander Witze und machten Späße, während sie den Rohbau errichteten.
Wir Kinder folgten den Arbeiten. Mit jedem neuen Element erfanden wir ein neues Spiel. Wir schlängelten uns durch die 0,65 Meter mal 1,20 Meter großen Elemente des Gerüsts, als ob wir an einem Hindernisrennen teilnehmen würden.
Das Dach nahm Form an, der First wurde eingebracht und bald war alles fertig. Schließlich wurde die letzte Schindel eingepasst. Die Scheune war fertig und dann begann der Spaß.
Unsere Fantasie bekam Flügel. Mit der ausklappbaren Bodentreppe, die vom oberen Stock heruntergezogen werden konnte, spielten wir das Fliegen im Zeppelin im Zweiten Weltkrieg. Manchmal tauchten wir bei einem waghalsigen Einsatz für die Marine im Meer tief nach unten. Manchmal befanden wir uns an Bord des Raumschiffs Enterprise und katapultierten uns mit Warp-Geschwindigkeit1 durch den Weltraum.
»Ich gehe in die Scheune hinaus« war ein Satz, den wir oft zu unseren Eltern sagten.
Der vordere Teil der Scheune war unser Spielplatz, aber der hintere Teil wurde bald mit Antiquitäten, die meine Eltern sammelten, angefüllt. Niemand ging tatsächlich nach hinten, doch für einen sieben oder acht Jahre alten Jungen wurde der winzige Hohlraum zwischen der winkligen Dachschräge und den Balken, die sich am Ende des Raumes befanden, zu Tunneln, in denen er sich vorstellen konnte, große Abenteuer zu erleben. Sie waren zu schmal für jemanden mit ungefähr zwölf Jahren, aber für die kleineren Kinder in der Nachbarschaft wurde der »Tunnel« zu einem großartigen Platz zum Spielen oder um nicht gesehen zu werden.
Ich weiß nicht, wann es begann oder wie es begann, aber ein Nachbarsjunge und ich gingen oft in den Tunnel, zogen unsere Kleider aus und erforschten gegenseitig unsere Körper. Ich kann mich glücklicherweise nicht genau daran erinnern, was wir taten, aber ich erinnere mich daran, dass es lustig und aufregend war. Nichts machte mir so viel Spaß wie das, was wir gemeinsam taten. Wir taten es jahrelang. Wie es begann, ist vor meinem Auge verschwommen. Habe ich damit begonnen? Oder er? Ich nehme an, dass solche Fragen heute keine Rolle mehr spielen.
Einige Jahre später haben wir zu einem bestimmten Zeitpunkt damit aufgehört. Ich habe oft darüber nachgedacht, welche Auswirkungen dies auf unsere Psyche gehabt haben muss, die sich gerade entwickelte, und auf unser Selbstverständnis und unsere Sexualität. Ist es wirklich nur reiner Zufall, dass er als Erwachsener als schwuler Mann auftrat und dass auch ich mit einer tief sitzenden gleichgeschlechtlichen Neigung lebe? Ich glaube nicht.
Ich glaube, dass unsere Sexualität wie ein Fluss ist, der so angelegt ist, dass er einen bestimmten Weg fließen soll. Aber wenn solche Dinge, wie ich sie mit Joey tat, in unserem Leben geschehen, ist es, als ob ein Felsbrocken in den Bach stürzt und den Weg einer gesunden und normalen sexuellen Entwicklung in gewisser Weise blockiert. Manchmal kann das Wasser des Flusses über den Felsbrocken fließen und den Weg finden, den es normalerweise genommen hätte. Es gibt sicherlich Jungen, die mit anderen Jungen ebenso experimentiert haben, die jedoch ohne gleichgeschlechtliche Neigung erwachsen wurden.
In seinem Buch Liebe und Verantwortung schreibt Papst Johannes Paul II.:
»Die durch die Zugehörigkeit zu einem der beiden Geschlechter bestimmte Ausrichtung seines Wesens bleibt nicht nur im Innern des Menschen, sondern äußert sich auch und nimmt normalerweise (wir sprechen hier nicht von krankhaften Zuständen oder Fehlnormen) die Form einer gewissen natürlichen Strebung an, einer Hinneigung zum anderen Geschlecht.«2
Ich bin jedoch überzeugt, dass solche Erfahrungen, die manche Männer und Frauen in der Jugendzeit machen, es mit sich bringen, dass ihre sexuelle Entwicklung in ihrem ursprünglichen Verlauf gestört wird. Wenn ich an diese Momente mit Joey zurückdenke, dann kommt mir ein Vers aus dem Hohelied der Liebe in den Sinn, der in diesem biblischen Buch mehrmals wiederkehrt:
»Ich beschwöre euch, Jerusalems Töchter:
Was stört ihr die Liebe auf, warum weckt ihr sie,
ehe ihr selbst es gefällt?« (Hld 8,4).
Dies ist ein Appell, die Unschuld einer Person zu achten und unanständige Redeweisen und Handlungen zu unterlassen, welche die sexuelle Begierde wecken würden außerhalb des Kontextes, für den die sexuelle Intimität geschaffen ist, nämlich die geheiligte Verbindung von Mann und Frau in der Ehe. Ich glaube, dass jene geheimen Treffen mit Joey meiner sexuellen Entwicklung schweren Schaden zugefügt haben, ebenfalls seiner Entwicklung. Wir haben zu früh und auf falschem Weg die Begierde geweckt. Indem wir uns so verhielten, legten wir gewissermaßen ein Hindernis in den Weg, welches uns vom »normalen Verlauf der Dinge« abhielt. In den Geschichten, die ich von anderen Männern und Frauen höre, die mit gleichgeschlechtlichen Neigungen leben, spielen frühe sexuelle Erfahrungen häufig eine große Rolle. Sie rühren oft von Missbrauch her. Es ist sicher nicht jedermanns Geschichte, aber es geschieht zu oft, um als Zufall gewertet zu werden. Gleichgeschlechtliche Neigungen kommen nicht nur einfach so, ganz von allein.
Die Schule »John Barnes«
Als ich in der dritten Klasse war, schickte meine Familie meine Brüder und mich auf eine überkonfessionelle christliche Schule. Meine älteren Brüder hatten die öffentliche Schule besucht. Meine Eltern hatten jedoch genug von den dortigen schlechten Einflüssen auf die Erziehung, besonders im Sexualkunde-Unterricht.
Die Umschulung war gut für mich. Glücklicherweise übertrugen sich die Hänseleien von meiner alten Schule nicht auf die neue. Die Lehrer standen über solchem Unsinn, und die Kinder waren freundlich.
Ich konnte schnell Freundschaften schließen und bald war ich gern dort. In meiner neuen Schule war ich beliebt – genug, um zum Klassensprecher der fünften Klasse gewählt zu werden. Die Lektionen, die ich damals in der ersten Klasse gelernt hatte, kamen mir nun zugute: Wenn ich sie zum Lachen bringen konnte, würde ich alles überstehen. Ich war der Klassenclown, jedoch kein Aufwiegler. Sie betrachteten mich als das perfekte Kind – wohlerzogen, das immer das Richtige tat und sagte. Ms Wright warf einen Schwamm auf mich, mit dem die Tafel gereinigt wurde, weil ich in der Klasse einige Male zu viel geredet hatte, aber außer diesen kleinen Übertretungen war ich ein folgsames Kind. Das wussten auch die anderen Jungen. Ich war in den Augen der meisten ein Streber. Sie luden mich nie ein, an etwas Fragwürdigem teilzunehmen.
Deshalb ist es keine Überraschung, was im Februar 1981 auf der Toilette geschah. Jener Moment hinterließ eine unauslöschliche Spur in meinem Gedächtnis. Ich ging zur Toilette und fand vier meiner Klassenkameraden, die eng aneinandergedrängt zusammenstanden, während sie auf etwas unter dem Fenster schauten. Sie machten auf mich einen verlegenen Eindruck und verbargen etwas, was immer es auch war, vor meinen Augen.
»Hey, was schaut ihr euch da an?«, fragte ich.
»Nichts«, sagte einer von ihnen, indem sie sich noch enger zusammendrängten und das verbargen, was ich nicht sah.
»Kommt, lasst es mich auch sehen«, drängte ich.
»Nein – es ist nichts. Wir machen gar nichts.«
Ich ging auf sie zu, blieb jedoch stehen, als sie noch enger zusammenrückten. Es war klar, dass ich nicht willkommen war.
»Was ist das?«, fragte ich nochmals. »Es sieht irgendwie aus wie eine Illustrierte.«
»Ja, das stimmt, aber du darfst sie nicht anschauen«, antwortete einer von ihnen.
»Und es wäre besser, wenn du Mr Murphy nichts davon erzählst!«, sagte ein anderer schnell.
»Warum sollte ich? Was ist es?«
»Es ist die Ausgabe der Sport-Illustrierten, in der Badeanzüge abgebildet sind.«
Ich hatte schon früher davon gehört und wollte sie auch anschauen. Ich wollte die Models betrachten – ich hatte bereits genügend Badeanzüge und Unterwäsche in den Katalogen von J. C. Penney sowie auf den Covers von Herb Alperts Schlagsahne und andere Genüsse in der Plattensammlung meiner Eltern gesehen. Und mir gefiel dies. Obwohl ich es in der Scheune mit dem Nachbarsjungen getrieben und meinen Schulkameraden im Steeler-Trikot bewundert hatte, fand ich immer noch, dass Mädchen nett und hübsch waren. Aber in jenem Moment auf der Toilette ging es nicht darum, Frauen im Badeanzug zu betrachten, sondern ich wollte nur das tun, was sie taten – mit ihnen.
So fühlte ich mich oft unter Jungen. Ich war beliebt und hatte Freunde, Mädchen und Jungen, weil ich gelernt hatte, mich wie ein Chamäleon zu benehmen. Aber unter den meisten Jungen – und in den Dingen, die Jungen gemeinsam taten – fühlte ich mich wie ein Außenseiter. An jenem Tag mit der Badeanzug-Ausgabe der Illustrierten wollte ich zu diesem Zirkel gehören – zu ihnen. Ich wollte auch darüber sprechen, wie gut die Models aussähen, wenn wir sie alle zusammen anschauen würden.
Aber sie wollten mich die Bilder nicht sehen lassen. Ich fühlte mich abgelehnt, also spielte ich die Rolle, die sie von mir erwarteten – den guten Jungen: »Ihr solltet dies wirklich nicht anschauen und ihr hättet es auf jeden Fall nicht mit in die Schule mitbringen sollen.«
Und mit diesem sittenstrengen herablassenden Hinweis verließ ich die Toilette, hatte ich mir doch von ganzem Herzen gewünscht, in ihre kleine Gruppe aufgenommen zu werden.
Diese Sehnsucht war der gleiche Schmerz, den ich auf dem Kickball-Spielfeld gespürt hatte, als ich jünger war. Ich wollte zu diesen Jungen gehören, aber ich spürte nie, dass dies so war. Wenigstens mochten mich alle in der neuen Schule – aber es schien immer eine Distanz zu geben zwischen den meisten Jungen und mir.
Jungen wollen spüren, dass die anderen Jungen sie akzeptieren und in ihren Kreis aufnehmen – und sie möchten riskante und gefährliche Dinge mit ihnen gemeinsam unternehmen. Zumindest wollte ich das. Natürlich war das Anschauen der Badeanzug-Ausgabe der Sport-Illustrierten kein guter Weg, um diesen Wunsch erfüllt zu bekommen, aber was ich in jenem Moment wollte, war, mit ihnen zusammen zu sein und das Gleiche zu tun, was sie taten. Bis an die Grenzen gehen, alles herausholen – das wollte ich. Ich ging jedoch immer auf Nummer sicher und das hasste ich.
Trotz solcher Momente waren einige Jungen meine Freunde. Dies war ebenfalls ein Fortschritt gegenüber der alten Schule.
In der vierten Klasse lud mich mein Freund Kevin zu einer Wochenend-Geburtstagsparty zu sich nach Hause ein. Das Haus lag an einem kleinen privaten See. Die anderen Jungs, die er eingeladen hatte, trieben alle Sport und so spielten wir natürlich Basketball. Wie in der ersten Klasse auf dem Kickball-Spielfeld machte ich Witze darüber, was für ein schlechter Basketballspieler ich sei. Ich spielte ein wenig, beobachtete die anderen und versuchte nachzuahmen, wie sie spielten, aber ich fühlte mich die ganze Zeit über unbehaglich. Ich drückte mich am Rand der Auffahrt zum Haus herum und spielte stattdessen mit dem Hund meines Freundes. Das konnte ich tun – ohne dass es jemand seltsam finden würde, dass ich mit dem Hund anstatt Basketball spielte.
Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, erinnere ich mich hauptsächlich daran, dass es mir überhaupt keinen Spaß gemacht hatte – es sind Erinnerungen daran, wie ich mich durch das Wochenende laviert hatte. Als wir Basketball spielten, konnte ich nur daran denken, wie ich dies überstehen würde. Es machte mir keinen Spaß. Fast mein ganzes Leben lang verfolgte mich dieses Gefühl, »diese Momente durchzustehen«.
Auf der Einladung zur Party stand »Schwimmen im See«. Auch hier musste ich eine Taktik anwenden. Absichtlich brachte ich keine Badehose mit, da ich mich vor Wasser fürchtete. Aber mein Plan, das Schwimmen zu vermeiden, wurde zunichtegemacht. Kevins Mutter fand Shorts, die ich anziehen konnte, sodass ich keine andere Wahl hatte, als zum Schwimmen in den See zu gehen.
Ich watete im Wasser, beobachtete die Jungs aus einiger Entfernung und wünschte mir, den gleichen Mut wie sie zu haben – doch fühlte ich mich wie ein lächerlicher Zwerg. Die Mutter meines Freundes begriff die Lage schnell, blickte mich voll Mitleid an und sagte: »Weißt du, wenn du willst, kannst du zur Anlegestelle gehen, wo das Sprungbrett ist. Ich hole dir eine Schwimmweste.« Sie holte sie und legte sie mir an.
Ich fühlte mich wie ein kleiner hilfloser Junge.
Während ich das schreibe, fast 35 Jahre später, schnürt sich meine Brust zusammen, wenn ich an jenen Tag denke. Ich ging zur Anlegestelle und bewegte mich im Wasser mit meiner Schwimmweste hin und her. Ich sehe noch meine Freunde, die unbekümmert um die Anlegestelle herum schwammen, sich gegenseitig anspritzten, furchtlos vom Sprungbrett sprangen – während ich neben ihnen herschwamm und vorgab, Spaß zu haben, wobei ich mir die ganze Zeit über wünschte, dass ich ihren unerschrockenen Mut hätte. Ich wollte so sein wie sie, wie auch immer ich dies erreichen könnte, aber die Angst hatte mich im Griff.
Doch ein anderer großer Felsbrocken ist auf den Weg meiner sich entwickelnden Sexualität gefallen. Ich war nicht wie die anderen Jungs – zumindest habe ich das geglaubt. Ich wollte so sein wie sie, aber ich wusste nicht, wie ich sein sollte. Das »Schwer-zu-Beschreibende« – ist im Grunde nicht so schwer zu erklären.
Das war das letzte Mal, dass ich mit einem meiner Schulkameraden geschwommen bin. Damals war ich davon überzeugt, dass ich plump und dick sei. Dies war der andere Grund, weshalb ich meine Badehose zu Hause gelassen hatte. Ich wollte nicht, dass irgendjemand meinen Körper sah. (Und doch ist die Ironie von alldem, dass mir Kevins Hose passte. Er war dünn – also weshalb dachte ich, dass ich dick sei?)
Nie wieder ging ich mit Schulfreunden zum Schwimmen. Es dauerte mehr als dreißig Jahre lang, bis ich mich in meiner eigenen Haut wohl genug fühlte, um wieder in der Öffentlichkeit zu schwimmen. Ich hatte mich wegen meines Körpers immer geschämt.
Jenes Jahr in der vierten Klasse war das Jahr, in dem ich mich schrecklich auf mich konzentrierte. Es war nicht nur wegen des Schwimmens. In jenem Jahr wurde mir bewusst, dass ich einen anderen Kiefer haben wollte.
Ein Junge in meiner Klasse hatte einen eckigen und kantigen Kiefer. Aus irgendeinem Grund schien mir ein solcher Kiefer wünschenswerter als der kleinere, den ich hatte. Ich weiß nicht mehr, wie ich darauf kam, dass mein Kiefer irgendwie anders war als sein Kiefer oder der Kiefer der anderen Jungs um mich herum, aber ich stellte es fest.
Gleichwohl bemerken Kinder solche Dinge. Vielleicht haben wir unsere Kiefer bewegt und so den Unterschied bemerkt. Ich erinnere mich, dass meine Mutter ungefähr zu dieser Zeit Scherenschnitte aus schwarzem Papier von meinen Brüdern und mir machte. Vielleicht bemerkte ich es damals, als ich meine Silhouette im Scherenschnitt begutachtete und mich fragte, warum mein Kiefer nicht wie die Kiefer einiger meiner Klassenkameraden aussah. Manchmal starrte ich in den Spiegel und bewegte den Kiefer und wünschte mir, dass es eine Möglichkeit gäbe, die Konturen meines Gesichtes zu verändern.
Dieser Gedanke beschäftigte mich jahrelang. Ich war davon so besessen, dass ich mich im College auf die Recherche nach Kinn-Implantaten machte. Offensichtlich bin ich nicht der einzige Mann mit einer Fixierung auf die Form seines Kiefers. Ich bin deswegen immer noch befangen. Aus diesem Grund habe ich mehr als zwanzig Jahre lang einen Spitzbart getragen.
Alle Männer, die ich jemals attraktiv fand, hatten einen Kiefer in der Form, wie ich ihn mir gewünscht hätte. Ich glaube nicht, dass dies ein Zufall war. Neid – ist ein weiterer Felsbrocken, der meine sexuelle Entwicklung in Richtung Männer gelenkt hat. Aber die größten Felsbrocken sollten noch kommen. Die Zeit des Erwachsenwerdens war noch nicht gekommen. Mit ihr brach die Hölle los.
Der verwünschte Sportunterricht
Der Sportunterricht war die Hölle. Es ging nicht nur darum, Sport zu treiben, obwohl auch das eine Qual für mich war. Ein Einsatz in der unteren Liga hatte sich bereits in der dritten Klasse zu einem Albtraum in der oberen Liga entwickelt: Das Schimpfen und die Wichtigtuerei der brüllenden Väter, die uns Jungs zuriefen, endlich aufzuhören, den Schläger wie ein Mädchen zu halten, brachte mich dazu, organisierten Sport sowie den damit verbundenen Ausdruck von Männlichkeit zu hassen.
Es war jedoch nicht meine Abneigung gegenüber Sport im Allgemeinen, die mich dazu brachte, den Sportunterricht zu hassen. Der wahre Schrecken des Sportunterrichts war die Nacktheit.
Ich nehme an, ich war an diesem ersten Tag des Sportunterrichts genauso nervös wie der Rest der Jungs in der Mittelstufe. Wir hatten unsere Klassenkameraden noch nie nackt gesehen und niemand wusste wirklich, wie man damit umgehen sollte. Die einzigen nackten Körper, die ich gesehen hatte, waren mein eigener und der von Joey, als wir hinten in der Scheune zusammen waren. Allerdings hatten wir damit schon einige Jahre vor der Mittelstufe aufgehört, und zwar bevor wir in die Pubertät kamen. Meine Klassenkameraden und ich waren nun kurz davor, Männer zu werden. Aber sobald wir uns auszogen, wurde klar, dass einige der Jungs bereits Männer waren und dass ich nicht dazugehörte.
Scham. Alles, was ich in der Umkleide fühlte, war Scham. Jeden einzelnen Tag. Und Angst, weil am nächsten Tag alles wieder von Neuem begann. Wir waren gezwungen zu duschen. Ich versteckte meinen Körper, so gut ich konnte, unter meinem Handtuch, schlich zur Dusche und hoffte, einen Duschplatz an der Wand zu bekommen, da ich sonst gezwungen war, mich in der Mitte des Raumes zu duschen. Dort waren an einer Säule rundum Duschköpfe angebracht, sodass man gezwungen war, in der Mitte im Kreis um die Säule zu duschen, direkt gegenüber den anderen Jungs an der Wand. Ich wollte nicht, dass sie mich sehen konnten.
Diejenigen, die schon Männer waren, wussten es sehr wohl. Einer meiner Klassenkameraden stand manchmal auf der Bank, um sich abzutrocknen. Es sah aus, als ob er auf einem Podest stünde, um seinen Körper zu zeigen – seine Brustmuskeln, die sich klar definiert abzeichneten, sowie seine abgerundeten Schultern, die in seine beiden Bizepse übergingen. Wenn es möglich war, sah ich ihn verstohlen an. Ich wünschte mir von ganzem Herzen, so zu sein, wie er es war. Wenn er ging, sahen die Muskeln in seinen Oberschenkeln und Waden wie Stahlseile unter seiner Haut aus. Wenn er sich abtrocknete, barst sein Körper vor Männlichkeit. Neben ihm und vielen anderen war ich nur ein Tollpatsch. Ich gehörte nicht zu ihnen. Ich war nicht wert, zu ihnen gezählt zu werden.
Scham. Das ist alles, was ich fühlte. Diese Männer, deren Männlichkeit sich gerade entfaltete und deren Brusthaare zu sprießen begannen, hatten das Recht zu prahlen – einige der Jungs aus der Mittelstufe hatten bereits begonnen, sich zu rasieren. Ich war traumatisiert durch das Zusammensein mit meinen nackten Klassenkameraden. Irgendwie fühlte ich mich wie eine jämmerliche Ausführung eines Mannes. Ich hatte keine Brusthaare, keine Hoffnung auf einen Bart und unter der Gürtellinie war ich noch wie ein Junge. Ich war in jeder Hinsicht ein Spätzünder. In den zwei Jahren, in denen ich gezwungen war, am Sportunterricht teilzunehmen, war jede Stunden wie ein Spießrutenlauf. Ich dachte nur daran, wie ich das Duschen überstehen konnte. »Sie werden mich sehen und mich auslachen«, dachte ich.
Wer immer auf die Idee gekommen ist, pubertierende Jugendliche in dieser chaotischen und turbulenten Zeit ihrer Entwicklung durch ihre Nacktheit, mit der sie gegenseitig konfrontiert sind, in Verwirrung zu setzen, der sollte für eine lebenslange Therapie aufkommen müssen. Und zwar für jeden, der nach dem Sportunterricht gemeinsam mit den anderen duschen musste. Mein Leben wäre mit ein bisschen Körpergeruch viel besser verlaufen, wenn da nicht die Nasen meiner Schulkameraden gewesen wären.
Ich schämte mich wegen meines Körpers, als ich lernte, wie man masturbiert. Ich habe es privat im Bad selbst entdeckt. In jugendlicher Angst zerrte ich an mir und hoffte, dass das, was ich hatte, größer sein könnte, genauso groß wie bei einigen der anderen Jungs, die sich bereits zu Männern entwickelt hatten. Dann fühlte es sich plötzlich gut an.
Scham, Neid, Selbstverachtung, Zweifel – alles gegenwärtig im ersten Moment meines sexuellen Erwachens. Meine erste Erfahrung von echter sexueller Lust hatte ich, weil ich mich für meinen Körper schämte. Das ist nicht allzu schwer zu erklären. Dieser Selbstzweifel, diese Scham wegen meines Körpers – das war kein Felsbrocken, der in den Strom meiner sexuellen Entwicklung fiel. Die Nacktheit beim Sportunterricht beschädigte meine Psyche wie ein Erdbeben und hinterließ einen Riss in meiner Seele.
Viele Jahre später erinnerte ich mich an diese Schamgefühle. In einem Brief an meinen damaligen Therapeuten schrieb ich:
»Als junger Mann wünschte ich mir, mich rasieren zu können, aber ich war so weit hinter meinen Klassenkameraden zurück. Ich hatte keine Brusthaare, von denen ich sprechen konnte, und das war mir peinlich. Ich fühlte mich nicht wie ein Mann und war neidisch auf die Mitschüler, die sich jeden Tag rasieren mussten. Sie hatten das Recht anzugeben. Ich erinnere mich, dass ich während meiner High-School-Zeit einmal bei meinem Onkel John in Florida war … Einer seiner Schüler kam in den Ferien vorbei. Er trug einen Vollbart. Onkel John lachte und erzählte, dass die Schüler während der Ferien einen Bartwuchswettbewerb vereinbart hatten. Es traf mich innerlich, da ich wusste, dass ich mich fast überhaupt nicht rasieren musste. In Gegenwart dieses Jugendlichen, der für mich ein Mann war, fühlte ich mich wie ein kleiner Junge. Ich machte Musik und war noch ein Kind, und hier war dieser aufblühende Mann im gleichen Alter wie ich, ein Athlet, und zwar ein sehr guter. Er war Fußballspieler, gut aussehend, ein Mann mit ausgeprägten Gesichtszügen. Ich fand ihn wirklich attraktiv. Es ist eine Erinnerung, die sich fest in meinem Gehirn eingeprägt hat. Ich nehme an, ich wünschte, dass ich so ausgesehen hätte wie er oder wenigstens so ähnlich wie er.«
Ich fühlte mich wie ein Stier ohne Hörner und war nur noch damit beschäftigt herauszufinden, wie ich mich mehr als Mann fühlen könnte. Als ich aufs College ging, vergrub ich mich in der Bibliothek der Michigan State University. Ich glaubte, dort die Antwort auf meine Sorgen gefunden zu haben: Ich wollte eine Diagnose wegen »verzögerter Pubertät« gestellt bekommen mit einer Verschreibung von Testosteron-Injektionen.
Somit ging ich zum Gesundheitszentrum, um mich untersuchen zu lassen. Ich empfand es als qualvoll und beschämend, meine Sorgen dem Arzt mitzuteilen, aber ich war zum Äußersten entschlossen, um mich endlich wie ein Mann zu fühlen. Ich klammerte mich an die Testosteron-Injektionen, um damit all meine Probleme und Sorgen zu lösen. Obwohl der Arzt mir sagte, dass ich normal entwickelt und gesund sei, überredete ich ihn, mir eine Überweisung zu einem Endokrinologen auszuschreiben.
Einige Wochen später war ich bei einer Endokrinologin. Sie war wie ich der Ansicht, dass ich verlangsamt in die Pubertät gekommen sei. Aus diesem Grund veranlasste sie eine umfassende Blutuntersuchung. In der folgenden Woche vereinbarten wir einen Termin, um festzulegen, welche Behandlung notwendig sei.
Eine Woche später erklärte die Ärztin mir, dass Testosteron auf einer Tausend-Punkte-Skala gemessen würde. Der Normalbereich für Männer läge zwischen 300 und 1000 Punkten. Wenn mein Testosteronspiegel unter 300 Punkten läge, würde ich Injektionen bekommen. Ich drückte mir die Daumen und hoffte inständig, unter dem normalen Niveau zu liegen.
Mein Wert lag bei 333 Punkten. 333. Ich war also normal entwickelt. Aber ich war nur 33 Punkte vom Anormalen entfernt und fast 700 Punkte von der Spitze der Männlichkeit. Das war kein Trost für mich. Es war ein direkter Schlag ins Gesicht. Es bestätigte alles, was ich immer über mich selbst empfunden hatte. Wenn ich ein Mann war, dann nur ein dürftiger. Nur 33 Punkte entfernt. Das »Schwer-zu-Beschreibende« – ist im Grunde nicht so schwer zu erklären.
Ich beneidete andere Männer und hatte sexuelle Fantasien von Männern, die so waren, wie ich gerne gewesen wäre. Dies ist eine häufige Erfahrung von Männern mit gleichgeschlechtlichen Neigungen. Ich wollte so sein, wie sie waren, und ich wollte haben, was sie hatten, einfach anders sein. Im College habe ich mich immer mit anderen Männern, denen ich begegnete, verglichen. In meinem Kopf zog ich immer den Kürzeren. »Wenn ich wie dieser Typ aussehen würde oder seinen Körper oder seine Muskeln hätte, wäre ich glücklich«, dachte ich. Nichts an mir war begehrenswert. Ich nahm es Gott übel, dass er mich so geschaffen hatte, wie ich war.
Heute weiß ich, dass tief in meinem Schmerz Stolz und Rebellion gegen Gott verborgen waren. Ihm warf ich vor, mich so gemacht zu haben. Aber ich muss behutsam gegenüber mir selbst sein. Ich war ein verletzter junger Mann, der verwirrt war und nicht wusste, an wen er sich wenden konnte, um Hilfe zu bekommen.
Damals war mir nur eines bewusst: dass ich mich hasste, so wie Gott mich geschaffen hatte. Ich linderte den Schmerz durch den Konsum von Pornografie. Ich sehnte mich leidenschaftlich nach Männern, die so waren, wie ich sein wollte. Keiner von ihnen sah aus wie ich – alle sahen anders aus.
Ich war im College nun genau an dem Punkt angekommen, an dem ich zum ersten Mal daran dachte, dass ich vielleicht homosexuell war. Aber damals in der Pubertät, zu Beginn meiner gleichgeschlechtlichen Neigung, wusste ich nicht einmal, was »homosexuell« bedeutete.