Kitabı oku: «Eine Geschichte des Krieges», sayfa 10
Unverzichtbar für den Sturz Saddam Husseins
Im Gegensatz zum Söldner des Kalten Krieges hat sich sein postmodernes Pendant von politischen Intrigen ferngehalten. Durch Mundpropaganda aus dem Umkreis der Spezialeinheiten oder Elitetruppen direkt rekrutiert, wirken sie im Schatten der Außenpolitik ihres Landes, indem sie die Sicherheit von Funktionär*innen gewährleisten, Armeen in der Dritten Welt militärisch ausbilden oder Unternehmen schützen, deren Angestellte Gefahr laufen, von kriminellen Banden, Terrorist*innen oder Milizen angegriffen oder entführt zu werden.
Die Entstehung einer neuen Form von Söldnertum war allerdings ein langwieriger Prozess. 1993 zog Executive Outcomes (EO), ein vier Jahre zuvor gegründetes privates Militärunternehmen aus Südafrika, seine ersten Kontrakte an Land, zunächst bei Ölkonzernen, was Erinnerungen an die Wandersöldner aufkommen ließ. Die Beschäftigten waren ehemalige Berufssoldaten, die daran beteiligt gewesen waren, in Angola und dann in Sierra Leone vorübergehend Frieden herzustellen, und später ihre Dienste Ruanda angeboten hatten, um den Völkermord zu beenden. Wie Kofi Annan, damals als Undersecretary General für die friedenssichernden Einsätze der Vereinten Nationen zuständig, erklärte: »Die Welt ist vielleicht nicht bereit für den privatisierten Frieden.«1 Executive Outcomes verschwand aufgrund eines Gesetzes von 1998, demzufolge Südafrikaner*innen nur mit vorheriger Genehmigung ihrer Regierung im Ausland kämpfen durften. 1997 durchbrach das private Militärunternehmen Sandline International, das Anfang der 1990er Jahre vom ehemaligen Oberstleutnant der britischen Armee Timothy Spicer gegründet worden war, ein von der UN verhängtes Embargo, indem es Waffen nach Sierra Leone importierte, um dem im guineischen Exil befindlichen früheren Präsidenten Kabbah wieder zur Macht zu verhelfen. Die Verantwortlichen bei Sandline beteuerten daraufhin, die Zustimmung des Foreign Office erhalten zu haben, was die britische Regierung aber dementierte.
Während der 11. September 2001 schon einen Aufschwung privater Sicherheitsunternehmen anstieß, wurde ihre Bedeutung für den Feldeinsatz durch die amerikanische Militärintervention im Irak 2003 nachhaltig konsolidiert. Auf dem Höhepunkt des Aufstandes befanden sich Schätzungen zufolge zwischen 25 000 und 40 000 Söldner*innen aus aller Welt im Land, viele von ihnen ehemalige Berufssoldat*innen aus Eliteeinheiten oder aus Bürgerkriegsländern. Die Unternehmen, die diese Söldner*innen beschäftigten, waren hauptsächlich aus Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Sie deckten ein ganzes Spektrum an Diensten ab, neben dem Personenschutz und der Geländesicherung auch die Absicherung von Konvois bis hin zur Ausbildung von Personal im Militär-, Polizei- und Geheimdienst, in erster Linie für das Außen- und das Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten und das britische Foreign Office, aber auch für andere Regierungen und zahlreiche mit dem Wiederaufbau betraute Unternehmen. Sobald die amerikanischen und britischen Truppen in den Irak einmarschiert waren, wurde mit der rapiden Verschlechterung der Sicherheitslage vor Ort deutlich, dass die Vereinigten Staaten ohne diese privaten Unternehmen mindestens 100 000 zusätzlich Soldat*innen hätten mobilisieren müssen, um die entsprechenden Aufgaben abdecken zu können. Die amerikanische Außenpolitik war von privaten Unternehmen abhängig geworden, ohne sie wäre die Bush-Administration nicht in der Lage gewesen, Saddam Hussein zu stürzen.
Es lässt sich kaum mit Sicherheit sagen, ob die privaten Sicherheitsunternehmen während der amerikanischen Besatzung im Allgemeinen ordnungsgemäß funktioniert haben. Ein Unternehmen jedenfalls hat sich nicht durch Effizienz, sondern durch seine desaströse Einstellung gegenüber dem irakischen Volk hervorgetan. Blackwater USA wurde 1997 von Erik Prince, einem früheren Angehörigen der SEALs, der Spezialkräfte der US-Navy, und Al Clark gegründet und trat ursprünglich als Subunternehmer für Militärausbildung auf. Am Tag nach dem Schul-Amoklauf in Columbine (Colorado) am 20. April 1999 schloss das Unternehmen Verträge über die Ausbildung von Polizist*innen für Einsätze in Schulen ab. Zwei Jahre später ging es als erstes privates Militärunternehmen nach Afghanistan und später auch in den Irak. Es wurde stark dafür kritisiert, dass sein allgemein schwer bewaffnetes Personal die Tendenz hatte, beim kleinsten Zwischenfall nach den Waffen zu greifen. Am 31. März 2014 gerieten vier seiner Söldner, die sich auf dem Weg durch Falludscha verirrt hatten, in einen Hinterhalt und wurden gelyncht. Die Männer hatten sich geweigert, ihre Fahrt mit den in diesem Sektor stationierten amerikanischen Marines abzusprechen, was jeden Rettungsversuch unmöglich machte. Der Vorfall löste viel Empörung aus, als die Bilder der von einer Euphrat-Brücke hängenden verbrannten Leichen im Internet kursierten. Kurze Zeit später startete die amerikanische Armee eine brutale Offensive (Operation Vigilant Resolve), um ihre Entschlossenheit zu demonstrieren und Falludscha von den Aufständischen zurückzuerobern.
Das Unternehmen stand erneut im Mittelpunkt einer Kontroverse, als eines seiner Kommandos am 16. September 2007 siebzehn irakische Zivilist*innen auf dem Nisour-Platz in Bagdad tötete. Das Unternehmen behauptete, dass seine Männer in einen Hinterhalt geraten seien und keine andere Wahl gehabt hätten, als den Angriff zu erwidern. Bei einer Untersuchung des FBI kam jedoch heraus, dass vierzehn der siebzehn Opfer grundlos beschossen worden waren. Der Vorfall brachte eine Reihe von Unzulänglichkeiten in der Art, wie die amerikanische Regierung ihre Beziehungen zu den privaten Sicherheitsunternehmen im Irak gestaltete, ans Licht. Häufig wusste die amerikanische Armee nicht, was die für das State Department arbeitenden Unternehmen genau taten, was unter anderem ihre Militäreinsätze potenziell gefährdete. Während die Armee versuchte, das Gewaltniveau im Land zu reduzieren, verschlechterten die Sicherheitsunternehmen durch ihr Handeln die Lage. Da beide Gruppen Uniform trugen, wurde die amerikanische Armee häufig Ziel der Vergeltungsschläge der Aufständischen. Wenn zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen notwendig wurden, waren es dennoch die privaten Unternehmen, die dafür herangezogen wurden: Die Besatzungskräfte hätten ohne ihre Mitwirkung nicht dieselben Ergebnisse erzielen können.
Ein internationaler Sicherheitsmarkt
Postmoderne Söldner*innen spielen in den heutigen Konflikten eine wichtige Rolle, doch diese Rolle befindet sich in ständiger Bewegung. Während manche vertreten, dass sie die Kampfeinsätze der nationalen Armeen übernehmen sollten, meinen andere, dass sie sich auf weniger kontroverse Aufgaben wie die Sicherung von Konfliktzonen oder Kampfeinsätze gegen Pirat*innen konzentrieren sollten. Beide Parteien sind sich dennoch einig, dass die Zahl postmoderner Söldner*innen deutlich ansteigt und so regelrecht ein internationaler Sicherheitsmarkt entsteht. Zu ihren Kunden gehören staatliche wie nichtstaatliche Akteure mit dem ganzen Spektrum politischer, ökonomischer, religiöser und ethnischer Ziele. Dieses Szenario wird manchmal als »neomedievalistische Kriege« beschrieben, in denen die Genfer Konventionen nicht mehr zur Anwendung kommen.
Häufig wird auch von Kriegen niedriger Intensität gesprochen, in denen nichtstaatliche Akteure auf transnationaler Ebene operieren, um sich mit nichtkonventionellen Mitteln über die Autorität eines Staates hinwegzusetzen, während der fragliche Staat sich bemüht, die peripheren Bedrohungen in Schach zu halten. Diese Bedrohungen werden peripher genannt, weil sie insbesondere für die westlichen Länder nicht direkt gegen die nationalen Interessen gerichtet sind, sondern vielmehr aus dem Zusammenbruch der Stabilität und Sicherheit von Entwicklungsländern resultieren. Laut Andreas Krieg berühren solche Bedrohungen nicht direkt den Gesellschaftsvertrag der westlichen Regierungen mit ihren Bevölkerungen (von Clausewitz in der »wunderlichen Dreifaltigkeit«2 beschrieben) und erschweren infolgedessen die Mobilisierung westlicher Soldat*innen. Anders gesagt hat der Westen eine Aversion dagegen entwickelt, seine Soldat*innen im Kampf sterben zu sehen, weshalb dann postmoderne Söldner*innen eingesetzt werden, die ihre Dienste im Tausch für eine finanzielle Gegenleistung bereitwillig anbieten. Zur selben Zeit fühlen sich die westlichen Staaten verpflichtet, in den zerfallenen oder geschwächten Staaten für Sicherheit zu sorgen, um ihnen die Möglichkeit für Wiederaufbau zu geben, Schiffe gegen Pirat*innen zu schützen oder humanitäre Aktionen und Entwicklungshilfe zu sichern. Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich dies in der näheren Zukunft ändern wird. Die postmodernen Söldner*innen sind zu den bevorzugten Krieger*innen der westlichen Staaten geworden, die sich in humanitären Interventionen niedriger Intensität engagieren.
Die Vergabe von Aufträgen für Militär- und Sicherheitsoperationen bildet einen viele Millionen Dollar schweren Markt. Man könnte so weit gehen zu sagen, dass die Sicherheitsunternehmen den Krieg erschwinglich gemacht haben, denn für alltägliche Aufgaben wie die Überwachung eines Militärlagers kostet die Beschäftigung einer internationalen Arbeitskraft weniger als ein Armeesoldat. Seither sind die Sicherheitsunternehmen unablässig auf der Suche nach neuen Gelegenheiten: Sobald sie wussten, dass die Vereinigten Staaten und Großbritannien ihre Truppen aus dem Irak und aus Afghanistan abziehen würden, mussten sie neue Missionen für sich auftun, zum Beispiel die Bekämpfung der zuletzt auflebenden Piraterie in Somalia oder das Vereiteln von Attentaten auf Linienflüge. Zugleich wohnen wir einer zunehmenden Tendenz zur Verwendung einheimischen Personals bei: Die Sicherheitsfirmen beschäftigen immer häufiger von westlichen Kadern ausgebildete lokale Arbeitskräfte.
Schlussendlich markiert der aktuelle Aufschwung des postmodernen Söldnerwesens keine Rückkehr zu einer früheren Periode der internationalen Beziehungen, in der Privatarmeen unter Missachtung des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung Afrika in Brand steckten. Die modernen Söldner*innen repräsentieren eine andere Figur. Natürlich sind sie immer bereit, für Geld zu kämpfen, aber meistens gilt ihre Loyalität dem Staat. Das bedeutet nicht, dass sie nicht gelegentlich bereit wären, ihre Dienste den Meistbietenden zu verkaufen. Die empirischen Daten legen das Gegenteil nahe. Doch sie sind sich bewusst, dass ihr Los an die Staaten und die Unterstützung von deren Interessen gebunden ist. Die Schädigung dieser Interessen, wie es im Kongo und in Angola passiert ist, führt schnurstracks in die Katastrophe, die die postmodernen Söldner*innen vermeiden müssen, wollen sie weiter ihren Lebensunterhalt verdienen.
Die Geschichte des modernen Söldnerwesens ist aus politischen Intrigen gestrickt. In den 1960er und 1970er Jahren wurde es von den europäischen Kolonialmächten benutzt, um mit Blick auf die natürlichen Ressourcen des Kontinents eine Kontrolle über die afrikanischen Geschäfte zu behalten, und von den USA wurde es benutzt, um den sowjetischen und chinesischen Einfluss in der Region zurückzudrängen. Aufgrund der Versuche, die afrikanischen Völker ihres Rechts auf Selbstbestimmung zu berauben, wurde der Söldner als solcher zur verachteten Figur. Es gibt einige Ausnahmen, beispielsweise die Söldner, die die jemenitischen Bergstämme unterstützten, welche die Monarchie in ihrem Land wiederherzustellen versuchten. Doch im Allgemeinen wurde der Söldner für sein verachtenswertes Verhalten, seine Habgier und Bereitwilligkeit, den alten Kolonialmächten als Lakai zu dienen, kritisiert, was in der Summe zu seiner Kennzeichnung als »Wandersöldner« führte.
Mit dem Ende des Kalten Krieges hat sich die Tätigkeit der Söldner*innen internationalisiert, kommerzialisiert und demokratisiert. In diesem Kontext suchen sie nach einer Beziehung zu den afrikanischen Machthabern, die auf Kooperation und nicht auf Intrigen gegründet ist. Sie haben sich selbst in Berufssoldat*innen verwandelt, die nicht nur durch Geld motiviert sind, sondern auch durch ein gewisses Berufsethos. Außerdem haben sie gelernt, nicht gegen die Interessen der Staaten zu agieren. Mit der Einführung der neoliberalen Marktpraktiken, die das Outsourcen der staatlichen Funktionen betonen, sind sie mit ihrer Bereitschaft, sich anstelle der nationalen Soldat*innen in Konflikten niedriger Intensität zu engagieren, zu den neuen Begleiter*innen der traditionellen Armeen geworden – weit entfernt von der Kriegsmeute, die in den 1960er und 1970er Jahren Afrika verwüstete.
Christopher Kinsey ist Reader in Business and International Security am King’s College in London und arbeitet über die neueren Transformationen des Krieges und die Formen der Privatisierung der Streitkräfte.
Literaturhinweise
Christopher Kinsey, Corporate Soldiers and International Security. The Rise of Private Military Companies (London 2006).
Andreas Krieg, »Beyond the Trinitarian Institutionalization of the Warrior Ethos. A Normative Conceptualization of Soldier and Contractor Commitment in Post-Modern Conflict«, Defence Studies 14, Nr. 1 / 2014, S. 56–75.
Sean McFate, The Modern Mercenary. Private Armies and What they Mean for World Order (Oxford 2014).
Anthony Mockler, The New Mercenaries (London 1985).
Moises Enrique Rodriguez, Under the Flags of Freedom (Plymouth 2009).
David Smiley und Peter Kemp, Arabian Assignment (London 1975).S
Querverweise
Die Zeit der Bürgersoldat*innen78
Die Freiwilligen350
1Sean McFate, The Modern Mercenary. Private Armies and What they Mean for World Order, Oxford 2014, S. 38.
2Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Bonn 1980, S. 213.
Samuel Moyn
Krieg und Recht
Die Entwicklung der Militärpraktiken im 19. Jahrhundert, insbesondere die beispiellose Brutalität der Kämpfe, offenbarte das Fehlen juristischer Normen, die die Anwendung von Gewalt regulierten. 1864 führte ein erstes internationales Abkommen das moderne Kriegsrecht ein. Bedeutet die Reglementierung des Krieges jedoch nicht zugleich seine Perpetuierung?
»Denn unter den Waffen schweigen die Gesetze« (»Inter arma enim silent leges«): Ciceros Sentenz ist fraglos der berühmteste Ausspruch über die Gesetze im Krieg. Doch auch in den biblischen Grundlagen der westlichen Kultur sowie in den ursprünglichen Kriegspraktiken wurden bestimmte Verhaltensregeln als sakrosankt erachtet, wenngleich sie nicht immer Gesetzeskraft besaßen. So stellt Moses im Deuteronomium an erste Stelle »die Ermahnungen und Gebote und Rechte« (Dtn 4,45), die fordern, den Einwohner*innen einer gegnerischen Stadt die Möglichkeit zu bieten, sich zu ergeben, bevor man sie belagert, und die dazu verpflichten, die Frauen, Kinder und das Vieh aller Nationen zu schonen, mit Ausnahme der erbittertsten Feinde Israels. Doch die meisten Beschränkungen der Kriegführung, von denen wir wissen – zum Beispiel in Afrika das Verbot, die Brunnen gegnerischer Stämme zu vergiften –, wurden dem Ermessen der kriegführenden Parteien überlassen.
Ciceros römische Weisheit musste mit ungleichen Waffen mit den moralisierenden Strömungen des Christentums konkurrieren. Diese empfahlen während des Mittelalters und darüber hinaus, nur in den Krieg zu ziehen, wenn man sich auf ein gerechtes Anliegen berufen konnte und sich während der Kämpfe an eine bestimmte Zahl an Beschränkungen hielt. Das Christentum führte in der Tat eine wichtige Unterscheidung ein, die eine gewaltige Tragweite hatte: die zwischen dem ius ad bellum (Regeln über die Bedingungen für das Führen eines Krieges) und dem ius in bello (die Regeln für die Kriegshandlungen). Die Ritter wiederum lebten – oder gaben dies jedenfalls vor – nach einem aristokratischen Ehrenkodex, der ihr Verhalten im selben, wenn nicht höheren Maße bestimmte, als es das philosophische und religiöse Denken jemals vermochte.
Mit der Rückkehr einer gewissen Amoralität, die sich mit der düsteren Weisheit Ciceros und vor allem Tacitus’ verband, kam man in den Anfängen der Moderne zu dem Schluss, dass sich das Mittelalter geirrt hatte in dem Glauben, entscheiden zu können, ob die Gründe eines Krieges gerecht waren oder nicht. Manche suchten weiterhin nach einem Konsens; doch die Reglementierung des Krieges neigte sich immer mehr der Seite des ius in bello – der Regelung dessen, was nach Ausbruch eines Krieges erlaubt war – zu als der Seite des ius ad bellum – den moralischen Regeln, die den Ausbruch der Feindseligkeiten selbst legitimierten oder untersagten. Diese Vorkehrungen betrafen natürlich lange Zeit nur die innereuropäischen Konflikte. Wie ein in Indien stationierter britischer Offizier bemerkte: Dies gilt nicht »gegen die wilden Stämme, die sich nicht an die Regeln des zivilisierten Krieges halten«.1
Ius ad bellum versus ius in bello
Zwischen der Französischen Revolution und der Mitte des 19. Jahrhunderts veränderten sich die Kriegspraktiken erheblich. Die Erfindung des »totalen Krieges«, die allgemeine Wehrpflicht, die Nationalisierung der Konflikte, die unter dem Ancien Régime noch unter Dynastien ausgetragen worden waren, sowie die technologische Entwicklung legten die Mängel der juristischen Beschränkungen, die den Gewalteinsatz regulierten, oder sogar ihr völliges Fehlen offen. Gewiss, die militärischen Gepflogenheiten hatten weiterhin ihre Geltung, selbst wenn kein anderes Völkerrecht als die alten Schriften der »Spezialisten des Internationalen Öffentlichen Rechts« der Kriegführung Beschränkungen auferlegte. Doch eine neue, insbesondere vom Denken Carl von Clausewitz’ inspirierte Auffassung des Gefechts betonte die Gewaltsamkeit der formell erklärten Militäreinsätze. Zur selben Zeit verliehen die Ausweitung der Öffentlichkeit und die Berichterstattung über teils weit entfernte Konflikte dem Krieg eine neue Sichtbarkeit, die die kriegführenden Parteien nötigte, öffentlich Rechenschaft abzulegen.
Was das ius ad bellum betraf, glaubte man vor dem 19. Jahrhundert, dass es für den Krieg genauso wenig wie für Armut und Sklaverei eine Perspektive gab, einmal verschwinden zu können – außer zur Stunde der Erlösung, wenn die Schwerter zu Pflugscharen würden2. Dennoch entstand in Reaktion auf die Napoleonischen Kriege und im Gefolge einer ersten »Globalisierung« eine pazifistische Bewegung. Ihr Ziel bestand nicht nur darin, den Krieg durch das internationale Recht humaner zu gestalten, sondern dieses auch zur Vorbeugung gegen den Krieg selbst einzusetzen. Als die lange Vorherrschaft von Ciceros und Tacitus’ Denken an ihr Ende gelangt schien, wurde ein ius ad bellum vorstellbar. Für die größten Optimisten ging es nicht mehr allein darum, unlautere Auseinandersetzungen anzuprangern, sondern endgültig aus den Angelegenheiten der Menschen zu tilgen.
Dieses Programm fand im 19. Jahrhundert ein schnelles Ende. Der Arbeit am ius in bello hingegen gelang ein Durchbruch. Nach einer Ära des Friedens flammte um die Jahrhundertmitte die Gewalt zu beiden Seiten des Atlantiks auf. Der Krimkrieg (1853–1856), der Sardinische Krieg (1859) und der Amerikanische Bürgerkrieg (1861–1865) machten den Anschein eines allgemeinen Friedens zwischen »zivilisierten« Völkern zunichte, umso mehr als diese Konflikte von einem Aufblühen der Kriegsfotografie und -berichterstattung begleitet waren. In Reaktion darauf wurde das Kriegsrecht neu kodifiziert. Manche europäische Beobachter*innen, insbesondere eine neue Generation von Reformer*innen, begannen, ein humanitäres Ansinnen in ihre Reflexionen über die Anwendung des Rechts einfließen zu lassen. Letztlich wurde die Frage nach der Reglementierung der Armeen zu einem internationalen Thema, das die nationale Politik transzendierte.
Die bis dahin geltenden Gepflogenheiten hatten die Beschränkungen, die sie der Kriegführung auferlegten, prinzipiell vom eigenen Ermessen abhängig gemacht. Die Revolution des humanitären Empfindens bewirkte eine Veränderung dieser Normen zumindest in einer gebildeten Bevölkerungsschicht, die bereit war, sich mit dem körperlichen Leid anderer zu identifizieren. Dieses Identifizieren blieb nichtsdestotrotz in engen Grenzen verhaftet. So machte sich der humanitäre Elan zunächst in den nationalen Armeen bemerkbar. Davon zeugt in Großbritannien die ungeheure Popularität von Florence Nightingale, die während des Krimkrieges mit ihren »Damen mit der Lampe« britischen Soldaten Hilfe leistete, die bei Skutari an den Ufern des Bosporus verwundet worden waren. Der Schweizer Henry Dunant trug seinen Teil zur Genese des modernen Kriegsrechts bei. Er hatte im Rahmen einer Geschäftsreise dem Blutbad der Schlacht von Solferino im Sardinischen Krieg beigewohnt und war zutiefst empört, in welcher Weise sich die europäischen Nationen um ihre Verwundeten kümmerten. Der spätere Friedensnobelpreisträger machte ein Buch daraus (Eine Erinnerung an Solferino), das sich zu einem Bestseller entwickelte, gründete dann das Rote Kreuz und war Initiator der Genfer Konvention (1864), die die Ausarbeitung eines internationalen Abkommens zum Schutz verwundeter Soldaten zum Ziel hatte.
Das moderne Kriegsrecht nimmt von diesem ersten internationalen Abkommen seinen Ausgang. Es existierte schon auf nationaler Ebene seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg und den Bemühungen eines Professors für amerikanisches Recht, dem aus Deutschland stammenden Francis Lieber, den, wie er sagte, »der Brauch, die Geschichte, die Vernunft, ein waches Bewusstsein und eine aufrichtige Liebe für Wahrheit, Gerechtigkeit und die Zivilisation«3 inspirierten. Diese erste Kodifizierung bestand, wie es Usus unter Juristen war, vor allem aus einer Zusammenfassung aller bestehenden Gesetze. Diese erste Kodifikation bestand in erster Linie aus einer Zusammenfassung aller existierenden Gesetze zum Gebrauch durch Juristen. Der Lieber Code unterstrich besonders die Tatsache, dass »Männer, die in Kriegen zwischen Staaten zu den Waffen greifen, darum nicht aufhören, moralische Wesen zu sein, die einander und Gott verantwortlich sind«.4 Doch dieser Code war nicht im Besonderen humanitär im Geiste, vor allem was die irregulären Kriege anbelangt. Tatsächlich war Lieber der Auffassung, dass der Krieg zur Manneskraft gehöre, ohne die die Zivilisation dem Untergang geweiht sei. Sein militärischer Ansatz befürwortete eher eine Verschärfung als eine Zivilisierung der Kämpfe, weil auf diese Weise spektakuläre Auseinandersetzungen mit einer schnellen Lösung begünstigt und in der Summe Leben geschont würden.
Auf beiden Seiten des Atlantiks nahm die Entwicklung des Vertragsrechts schnell eine stärker humanistische Wendung, ob es sich um die Ausweitung des Schutzes von Kriegsgefangenen, auch der Verwundeten (sowie nach dem Zweiten Weltkrieg der Zivilist*innen), handelte oder darum, bestimmte Kampfmethoden zu verbieten. (Diese Verträge erhielten den Namen der Städte, wo sie ausgehandelt worden waren, wurden somit zum Genfer Abkommen und Haager Abkommen, auch wenn im letzteren Fall die Petersburger Erklärung von 1868 bereits die Verwendung bestimmter Sprenggeschosse verbot.) Durch Beschränkung der Kampfmethoden hoffte man, unnötiges Leid zu vermeiden. So heißt es in der Haager Landkriegsordnung: »Die Kriegführenden haben kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes.«5 Die Juristen, die die Staaten (in deren Diensten sie im Allgemeinen tätig waren) dazu bewegten, sich diesen rechtlichen Beschränkungen zu unterwerfen, waren sich des Ausmaßes an Gewalt, das weiterhin erlaubt blieb, durchaus bewusst. Doch ihr Ausblick war optimistisch, wie sich in der berühmten Martens’schen Klausel der Haager Friedenskonferenz von 1899 ausdrückt (so benannt zur Würdigung Friedrich Martens’, eines russischen Völkerrechtsspezialisten), die im Blick auf die Zukunft daran erinnert, dass bis auf Weiteres die »Kriegführenden unter dem Schutze und den herrschenden Grundsätzen des Völkerrechts bleiben, wie sie sich aus den unter gesitteten Staaten geltenden Gebräuchen aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens herausgebildet haben«.6
Dennoch hatte der humanitäre Ansatz nicht die Oberhand über die militaristische Perspektive gewonnen. Die Regeln, die die Konfrontationen ziviler gestalten sollten, waren tatsächlich auf die klassischen Konfrontationen zwischen »zivilisierten« Armeen beschränkt, während sie die Praktiken des irregulären Krieges unangetastet ließen, was bedeutende Konsequenzen für die Kolonien hatte, wo sie vor allem zur Anwendung kamen. Diese Epoche einer zaghaften Zivilisierung des Krieges war zugleich weltweit eine Zeit der brutalen Aufstandsbekämpfung vonseiten der europäischen Armeen und Kolonisatoren. Außerdem hatte die Zivilisierung des Krieges häufig pazifistische Absichten. Fern der Öffentlichkeit gestand man zu, dass dieser Prozess nur durch Verschwinden des Krieges zu einem Ende geführt werden könne. Gustave Moynier, Schweizer Landsmann von Dunant und Langzeit-Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, stellte fest, dass »die [Genfer] Konvention ein Argument für die These von der Brüderlichkeit der Völker geliefert hat. Durch diese Übereinkunft haben sich die verschiedenen Fraktionen der zivilisierten Menschheit – zum ersten Mal und mit solcher Einheit – unter eine gemeinsame Regel gestellt, die allein aus Erwägungen, welche sich aus der sittlichen Ordnung ergeben, diktiert wird. […] Angesichts dieser ursprünglichen Anverwandtschaft anerkennend, dass sie derselben Familie angehören, sind die Menschen zu dem Schluss gelangt, dass sie anfangen müssen, sich bis zu einem gewissen Punkt gegenseitiges Erbarmen zu zeigen – das ist schon etwas –, in Erwartung, dass eine stärkere Überzeugung sie begreifen lässt, dass das gegenseitige Töten eine Abscheulichkeit ist.«7
Gewiss gab es Skeptiker. Unter ihnen Leo Tolstoi, der zum Ende seines Lebens über die Landesgrenzen hinaus zu einem der Gesichter des Pazifismus wurde. Für den großen russischen Romancier trugen die Anstrengungen, den Krieg zu zivilisieren, statt ihn abzuschaffen, zu seinem Fortbestehen bei. In Krieg und Frieden ließ er Prinz Andrej sagen: »Keine Gefangenen machen, sondern totschlagen und selber in den Tod gehen! […] Wenn es dieses großmütige Getue im Krieg nicht gäbe, zögen wir nur in eine Schlacht, wenn es der Mühe wert wäre, in den sicheren Tod zu gehen, wie eben jetzt.«8 Tolstois Ansichten haben sich nie durchgesetzt. Doch seine Befürchtung, dass »zivilisiertere« Konflikte eher dem Krieg als dem allgemeinen Frieden zugutekommen, bleibt aktuell.
Im Allgemeinen befanden sich die beiden Bestrebungen allerdings nicht in Konkurrenz zueinander. Beide richteten sich gegen den Militarismus, nur mit unterschiedlichen Ansätzen. Als Zar Nikolaus II. die erste internationale Friedenskonferenz in Den Haag einberief, lag die Priorität darauf, sich auf Abrüstung zu einigen; die Reglementierung der militärischen Auseinandersetzungen erschien sekundär. Die in dieser Epoche generell »isolationistisch« eingestellten Amerikaner*innen, unter denen sich paradoxerweise aber auch zahlreiche Anhänger*innen der neuen, durch das Völkerrecht entstandenen professionalisierten zwischenstaatlichen Aktivitäten fanden, setzten ihre größte Hoffnung auf eine Reform der globalen Beziehungen. Damit sollten Klagen zwischen Staaten einer Schiedsgerichtsbarkeit mit neutralen Richtern unterworfen werden. Auf diese Weise würde Europa letztendlich seine lange Vergangenheit innerer Kriege von sich abschütteln können. Doch die Staaten waren nicht bereit, sich diese Perspektive zu eigen zu machen. Daher beschränkte sich die Konferenz auf die Reglementierung des Krieges, nachdem er einmal erklärt war: Das Ziel, ihn nur zu zivilisieren, schien schon ehrgeizig genug.