Kitabı oku: «Sternenhagel», sayfa 2

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Davies saß aufrecht auf seiner Matte, seine Bauchdecke hob und senkte sich, er atmete tief und regelmäßig. Der Strom der Lebensenergie floss durch ihn, nahm ihn mit, tiefer und tiefer hinunter, zum Wesen allen Seins. Er erkannte, dass Geburt und Sterben nur äußere Erscheinungen waren und nicht wahre Wirklichkeiten. So wie sich unaufhörlich Millionen Wellen und Tropfen auf der Oberfläche des Meeres bildeten und wieder zusammenfielen, währenddem das Meer selbst über jegliches Entstehen und Vergehen erhaben war. Dann erlosch jede Wahrnehmung, jede Vorstellung und jedes Gefühl in ihm.

Freitag, 13. Dezember, 6:15 Uhr,Cappellen, Weiler Hübeli

Der Radiowecker plärrte pünktlich los und weckte Rhea und Heinrich mit:

»I’ll be home for Christmas …«

Danach kam eine Meldung der Kantonspolizei: »Seit einigen Monaten fallen im Wildschutzgebiet Schwarzer Forst immer wieder Tiere einem Wilderer zum Opfer. Signalement des Unbekannten: Männlich, ca. 185 bis 190 cm groß, braune Haare, Drei-Tage-Bart, Brillenträger und leicht untersetzt. Der Täter fährt einen älteren gelben Kombi der Marke Opel Kadett. Vorsicht, der Täter ist aggressiv und bewaffnet. Er scheut sich nicht, in Richtung von Passanten zu schießen, falls er gestört wird. Für Hinweise setzt die Polizei eine Belohnung von 2000 Schweizer Franken aus. Meldungen auf dem Polizeiposten Cappellen oder an jeder …«

»Ich wünschte, sie würden ihn endlich erwischen«, sagte Heinrich. »So ein Saukerl.«

Doch an diesem Morgen hatte Rhea andere Sorgen als den Wilderer.

»Komm bitte heute nicht zu spät nach Hause. Es soll sehr viel Schnee geben am Nachmittag und gegen Abend.« Auch Anna nahm sie das Versprechen ab, nach der Schule ohne Umwege nach Hause zu kommen.

Die Temperatur war erstaunlicherweise über Nacht auf +7 Grad geklettert. Es hatte in den frühen Morgenstunden geschneit und der matschige Schnee lag wie Schmierseife auf der alten, noch gefrorenen Schneefläche des Gehsteigs. Anna holte Anlauf und glitt wie der Silver Surfer auf seinem Sky Board. Um ein Haar wäre sie dabei an der Schulhausecke in ihre Freundin Melanie gesegelt, die gerade aus dem Auto ihrer Mutter stieg. Gemeinsam betraten sie das Gebäude. Im Schulhausgang kreuzten sie Leon aus der Parallelklasse, der mit ein paar Kumpels diskutierte. Anna schaute ihn verstohlen an. Doch wie immer schien Leon diesen Blick zu bemerken. Auch Melanie bemerkte es und flüsterte Anna kichernd zu: »Ich habe gehört, Leon sucht eine Nachhilfe. Darin bist du ja gut. Soll ich ihn fragen?« Anna packte sie am Arm und zerrte sie an Leon vorbei. »Das lässt du schön bleiben!«

An diesem Vormittag ließ sich kein Lehrer die Gelegenheit entgehen, die riesige Sternschnuppe der letzten Nacht zum Thema des Tages zu machen. In der Doppelstunde NMG (Natur, Mensch, Gesellschaft) dozierte Herr Guggisberg:

»… die Geminiden hat man erstmals im Jahre 1880 gesichtet, sie stammen wohl von dem Asteroiden 3200 Phaeton, der auf einer elliptischen Bahn um die Sonne kreist. Der Name des Asteroids wurde vom Sohn des griechischen Gottes Helios entlehnt. Auf der 5,1 Kilometer durchmessenden Kugel kommt es gelegentlich zu Ausbrüchen, bei denen kleine Partikel frei werden, die dann durchs All fliegen und mit 122 000 km/h in die Atmosphäre eintauchen …«

Normalerweise war NMG Annas Lieblingsfach, aber nach kurzer Zeit kribbelten ihre Beine und Arme derart, dass sie kaum noch stillsitzen konnte. Die junge Frau wurde oft nervös, wenn sie länger gelernt hatte und sich dann noch auf eine komplexe Aufgabe konzentrieren musste. Ebenso wurde sie unruhig, wenn ein Lehrer den Stoff trocken vermittelte oder kontextlose Fakten ans Smartboard schmierte. Ohne Bezug zum Weltgeschehen oder zum Leben im weitesten Sinne. Für sie war tote Materie ein Gräuel. Und sinnlos.

Ihre junge Klassenlehrerin Denise Weaver griff das Thema dagegen spielerisch auf. So flogen alle Schüler in Annas Klasse als Geminiden-Familie durch das zum Weltall umfunktionierte Klassenzimmer auf das Dorf Cappellen zu. Da Anna als einzige der Klasse beinahe die gesamte Flugbahn des Kometen verfolgt hatte, durfte sie – ausstaffiert mit mehreren Knicklichtern – diese nachahmen.

Am Ende der Stunde hielt Frau Weaver sie zurück:

»Anna, der Ballettkurs fällt wegen dem Sturm aus. Reichen dir die drei Proben vor der Aufführung von Schwanensee? Wir können Odettes Solo auch extra üben.«

Anna rief sich die Figuren vor Augen. Diese Grazie, diese Leichtigkeit, die Ballett bedeutete. Es war wie Meditation, wenn sie im Tanz versank.

»Danke, aber um das Solo mache ich mir keine Sorgen. Ich finde es schwieriger, mich in Odettes Widerpart Odile hineinzuversetzen. Warum trachtet jemand danach, das Leben eines anderen zu zerstören?«

Frau Weaver lächelte.

»Du gehörst glücklicherweise zu den Menschen, die das wohl nie nachvollziehen werden können.«

Die Sternschnuppe war natürlich auch DAS Thema auf dem Pausenplatz. Es wurde spekuliert, dramatisiert und übertrieben. Vor allem die Jungs prahlten mit ihrem angeblichen Mut, wie sie rausgerannt seien und die Sternschnuppe verfolgt hätten, um das glühende Loch zu finden, das es beim Aufprall gegeben hätte, wäre der Meteor nicht plötzlich am Horizont verschwunden. Doch als Anna spöttisch nachfragte, in welcher Himmelsrichtung denn die Sternschnuppe verschwunden sei, schauten einige betreten weg und der Rest verlegen aus der Wäsche, mussten ganz plötzlich auf die Toilette oder sonst noch was Dringendes vor Ende der Pause erledigen.

Nur Hagen, der die Parallelklasse besuchte und neben Anna wohnte, blieb stehen, schaute sie trotzig an und meinte gestelzt: »Mein Vater konstatiert, das sei gar keine Sternschnuppe, sondern ein Geschoss der Armee gewesen. Das Militär habe es bei einer Übung im Schwarzen Forst abgeschossen. Aus einer geheimen Militäranlage. Sowas wie die Area 51 in den USA. Für eine Sternschnuppe sei das Objekt viel zu flach geflogen. Wenn es wirklich ein Meteorit gewesen wäre, hätte die Sternschnuppe kurz hinter dem Dorf einschlagen müssen. Mein Vater weiß da genau Bescheid, sein bester Freund ist Leutnant bei der Fliegerabwehr.«

Anna prustete: »Das glaubst du ja selbst nicht, … dein Vater hat dich auf den Arm genommen.«

Hagen wurde weiß im Gesicht.

»Du hast keine Ahnung, aber gar keine, von gar nichts hast du eine Ahnung! Ich werde es dir beweisen. Heute Nachmittag um eins. Bei der alten Scheune auf dem Feld im Großen Moos. Wenn du kein Feigling bist, kommst du. Von jemandem wie dir lasse ich mich nicht einen Lügner nennen!«

Meli wartete nach Schulschluss bereits vor dem Tor auf Anna. Es schneite nur leicht, aber es war deutlich kälter geworden. Ein zügiger Wind ging. Die beiden zogen die Kapuzen ihrer Parkas über die Köpfe und liefen rasch los.

Als sie beim Hospiz zur Heimat vorbeikamen, segelte ihnen ein Blatt Papier vor die Füße. Anna hob es auf und schaute an der Schindelfassade hoch. Im ersten Stock fluchte jemand und die rauchende Silhouette eines Mannes verschwand aus dem Fensterrahmen.

Meli lugte über ihre Schulter.

»Das ist ein Fax. Wer benutzt heute denn noch so was?« Anna zuckte die Schultern und las sich das Rezept durch, das darauf stand. Ein italienisches, wie es schien. Eine E-Mail-Adresse war von Hand hinzugefügt.

»Ich gebe es eben drinnen ab«, sagte sie, faltete das Papier und sprang die drei Stufen zum Hospiz hinauf.

Ihre Augen brauchten einen Moment, um sich an das dämmrige Licht in der Gaststube zu gewöhnen.

»Ich glaube, du hast da etwas, das mir gehört.«

Ein Mann in einem noblen Anzug streckte Anna lächelnd die Hand entgegen.

»Vielen Dank, dass du es für mich gerettet hast. Darf ich dich nach deinem Namen fragen?«

Trotz des freundlichen Tons beschlich Anna ein mulmiges Gefühl und schlagartig begann ihr Kopf zu schmerzen. Sie zwang sich zu einem Lächeln.

»Anna.«

»Ein hübscher Name. Auf dem Heimweg von der Schule?« Anna nickte und wandte sich zum Gehen. An der Türe drehte sie sich noch einmal um. Der Mann sah ihr mit schmalen Augen hinterher, während er das Fax in den Händen drehte.

Auf der langen Geraden Richtung Hübeli verzichteten Anna und Melanie auf das übliche Vergnügen, mit ihren Schuhen über den neuen Schnee zu gleiten. Zu kalt war es geworden. Sie mochten deshalb ihre Hände, trotz Handschuhen, nicht aus den Manteltaschen nehmen. Anna ging der Mann aus dem Hospiz nicht aus dem Sinn. Noch nie hatte der Kontakt mit einem Menschen einen solchen Druck in ihrem Kopf ausgelöst. Dieser Italiener verkörperte etwas Unheimliches, etwas Böses, das hatte sie gespürt. Beim Verlassen der Gaststube war dann auch sofort der Kopfschmerz verschwunden. Egal, sie würde ihm nie wieder begegnen. Sie zwang sich, an etwas anderes zu denken und schaute Melanie von der Seite her an.

»Stell dir vor, Meli, Hagen glaubt, dass die Sternschnuppe eine Art Bombe oder so was vom Militär gewesen sein soll. Um eins soll ich zur Scheune kommen, dann will er mit mir in den Forst und es beweisen.«

»Du gehst doch nicht etwa hin?« Melanies Augen weiteten sich und sie warf einen Blick auf die tiefgrauen Wolken, deren Bäuche beinahe die Baumwipfel streiften. »Du weißt doch, heute Nachmittag kommt dieses Monster von Schneesturm!«

»Natürlich gehe ich nicht hin. Das mit dem Treffen hat der sowieso nicht ernst gemeint. Dafür hat der zu wenig Mumm. Der war nur beleidigt.«

Melanie atmete auf.

»Der ist eh doof. Wir sehn uns morgen auf dem Schulweg, falls wir nicht eingeschneit werden.«

Wie zur Bestätigung segelten die ersten Schneeflocken vom Himmel und Anna verschwand schnell im Haus. Rhea wartete bereits auf sie.

»Hör mal, mein Schatz, ich fahre um eins ins Einkaufszentrum. Gestern ist der ganze Christbaumschmuck zerbrochen, als der Meteor über das Haus gerast ist. Willst du mit?« »Lieber nicht, ich möchte noch etwas in meinem neuen Buch lesen. Es ist spannend.«

Ihre Mutter wuschelte ihr durchs Haar und lachte.

»Wie kann man Platon spannend finden?« Dann wurde sie ernster. »Wenn der Sturm zunimmt, dann mach bitte alle Fensterläden zu und pass auf, dass Django das Haus nicht mehr verlässt, ok?«

Freitag, 11. Dezember, 0:16 Uhr, New York, Manhattan,Hyatt Herald Square, 30 West 31st Street,15. Stock, Zimmer 1502

Sie blickte den Tower des Empire State Buildings hoch. In dieser Nacht leuchteten der Metallmast und die beiden obersten, zurückversetzten Gebäudeteile nur rot. Blutrot. Rot wie die Liebe, hätte man sagen können. Sentimentaler Quatsch, hätte sie gesagt. Gefühle seien etwas für Schwächlinge und Looser. Manche Manager, die sie hinter sich gelassen hatte, waren der Ansicht, sie würde über Leichen gehen. Auch das war ihr egal. Es gab nur einen Weg. Und der führte nach oben. So auch jetzt bei der Gazzo Valde Oil & Mining Trust Company, ein Konzern, der von der Organisation gegen den Willen des früheren Managements und der Belegschaft übernommen worden war. Zehntausende verloren danach ihren Job. Einige nahmen sich ihr Leben. Sie warf ihr blondes langes Haar in den Nacken. Sie wusste, dass sie sehr gut aussah und sie achtete sorgfältig darauf, dass das so blieb. Doch das war nicht ihre einzige Waffe, wenn es darum ging, etwas zu erreichen. Ihr war jedes Mittel recht. Wirklich jedes.

Jim Morrison forderte sie aus dem anderen Hotelzimmer auf, sich anzuschauen, was wir der Welt angetan hätten.

Rivulet hob die linke Augenbraue. Sie fand Musik etwa gleich nützlich wie Stützstrümpfe. Verächtlich atmete sie aus und drückte ihren Daumen auf den Abdrucksensor ihres Smartphones. News. Das Fenster des News Tickers der Financial Times poppte auf. Headline: 137 stocks hit fresh 52-week lows on NSE. An der New Yorker Stock Exchange, der größten Wertpapierbörse der Welt, hatte sie das meiste Geld angelegt. Sie hielt nichts von gemischten Portfolios zur Risikoabsicherung. Und diesen Knick konnte sie verkraften. Trotzdem ärgerte sie sich. Sie warf das Smartphone auf einen der Koffer, die auf dem Bett lagen. Das Zimmertelefon läutete. Unwirsch nahm sie ab. Sie hatte auf etwas anderes gewartet.

»Ja, was ist?«

»Miss Rivulet, Liv Rivulet?«

»Machen Sie es kurz, um was geht es?«

Kyle, der Night Manager, antwortete höflich:

»Ich erlaube mir nur anzufragen, ob das Zimmer zu ihrer Zufriedenheit …« Der Director kam nicht weiter. Rivulet schnauzte ein »Yes« in den Hörer und hängte auf.

Ihr primäres Geschäft waren Verhandlungen. Schwierige Verhandlungen mit schwierigen Verhandlungspartnern. Die letzten Wochen waren hart gewesen. Hart für die anderen, nicht für sie. Ihr eben erledigter Auftrag, die Geschichte in Valosio, hatte für die US Administration ein befriedigendes Ende gefunden. Kein Mensch wollte und brauchte einen geschützten Naturpark. Und wegen den paar ollen Indianerrelikten auf dem verdorrten Gelände und den wenigen dort noch lebenden Indianern machte sich auch kein Mensch einen Kopf. Und dennoch regte sich Widerstand gegen die massive Verkleinerung des Nationalparks. Widerstand einer Minderheit zwar, aber einer, die dem amerikanischen Präsidenten gefährlich werden konnte, wenn man die Nörgler nicht mundtot machte. Als Erstes hatte sie einige Public-Relations-Kampagnen lanciert: Amtsmissbrauch und Landraub durch den vormaligen Präsidenten, Statements von führenden Wirtschaftsweisen zur Nicht-Schutzwürdigkeit der Altertümer. Und zum wirtschaftlichen Potenzial, zu den Bodenschätzen des Parks, der Schaffung neuer Arbeitsplätze, dem Aufschwung der Region usw. Der Protest in gewissen Bevölkerungskreisen flaute ab. Einige Indianerstämme, Hopi, Zuñi, Navajo etc., hopsten irgendwo einen Protesttanz. Weitere Demonstranten gesellten sich zu ihnen. Rivulet organisierte Gegendemonstrationen für den Präsidenten. Dann ließ sie Fake News und manipulierte Reportagen verbreiten. Bestechung der Redaktionen, Zeitungen, Radios, TV-Stationen. Umweltverbände und die Indianerstämme drohten, das amerikanische Oberhaupt vor Gericht zu ziehen. Dem war das egal, der wollte den Millionen Quadratkilometer großen Nationalpark wirtschaftlichen Interessen zugänglich machen. Das Bureau of Land Management würde den Park zerstückeln und die einzelnen Gebiete an die Öl- und Gasförderungskonzerne verpachten. Gazzo Valde würde den Löwenanteil erhalten. Und sie, Liv Rivulet, Head of Special Services, würde auch nicht zu kurz kommen. Sie lächelte zynisch. Was scherten sie heilige Indianerländer, Petroglyphen, Steindörfer, Landdenkmäler, Biodiversität, Fossilien und so ein Scheiß? Nichts. Sie hatte das Problem gelöst, auch wenn sie dazu die Hilfe einiger Partner in Anspruch hatte nehmen müssen. Es flossen Geld und Blut. Der Präsident konnte den Erlass unterzeichnen. Klage wurde nicht eingereicht. Das Weiße Haus ließ ihr seinen persönlichen Dank ausrichten. Das erfüllte sie mit einem gewissen Stolz.

Vor kurzem wurde ihr mitgeteilt, der Präsident habe ein Problem mit jemandem, der zu viel Lärm mache. Die Angelegenheit sei delikat, da es sich um eine bekannte Persönlichkeit handle. Man werde sich melden.

Ein Ping kündigte eine E-Mail auf ihrem Smartphone an. Rivulet las die kurze Zeile mit den Zahlen:

AS1.AMN2/1408/1230/1412/47.367301/8.539358/.

Dann bestellte sie einen Bellman, der ihr Gepäck in die Lobby bringen sollte. Der Fahrer der Organisation wartete bereits auf sie.

Freitag, 13. Dezember, 14:25 Uhr,Myanmar, Yangon

32 Grad. Wolkenloser Himmel. Verkniffen betrachtete der buddhistische Abt Phuu Asara des Klosters Aadhamm das Fax in seiner Hand. Es bedeutete Stress und Aufregung. Dinge, die er hasste.

Der klimatisierte Toyota kam vor dem Eingang des Kan Taw Mingalar Garden zum Stillstand. Er bedeutete seinem Chauffeur zu warten und schlenderte am See entlang. Der Pavillon auf der künstlich angelegten Insel war leer. Er würde der Erste sein. Das war gut so.

Der Park mit seinen großen Rasenflächen, Palmen, Kasuarinen, Kautschuk- und Hibiskusbäumen und den kleinen Seen war bei der einheimischen Bevölkerung beliebt. Viele lächelten ihm im Vorbeigehen zu. Ein Junge drückte ihm Geld in die Hand. Zum Zeichen, dass er das Almosen annahm, schlug er ihm mehrmals sanft mit dem Schein auf den Kopf und intonierte einen kurzen Singsang.

Er ging über die Fußgängerbrücke und setzte sich in den offenen buddhistischen Säulen-Pavillon. Der frühere, mehrstufige asiatische Pavillon hatte ihm besser gefallen. Aber im Grunde war es egal, denn aus seiner Sicht diente Religion nur einem Zweck: Um die Naiven, die an Buddha, Jesus, Mohammed oder Vishnu glaubten, um ihr Geld zu bringen.

Als der Kopf seines Amtskollegen Ihu Moneaus, Abt des Klosters Maungdaw, über dem Brückenbogen auftauchte, stand er auf und kam ihm entgegen. Asara und er umarmten sich herzlich.

Ihu führte seit Jahren einen erbarmungslosen Krieg gegen die Minderheit der Rohingya in Rakhine. Westliche Zeitungen nannten ihn »Birmas Bin Laden«. Er nutzte nicht nur Predigten und soziale Medien, um die Bevölkerung und das Militär gegen die staaten- und rechtlosen Rohingya aufzuwiegeln. Ein Bericht von Amnesty Worldwide dokumentierte eine Vielzahl von Verbrechen gegen die Muslime, die das Militär verübt hatte und hinter denen Ihu steckte: Vertreibungen, Verschleppungen, Folter, Vergewaltigungen und sexuelle Nötigung. Moscheen wurden niedergebrannt. Seit einiger Zeit verfolgte er eine neue Strategie. »Unkrautvertilger« nannte er die Droge Yaba, mit der er Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene der Rohingya süchtig machte.

Freitag, 13. Dezember, 9:08 Uhr,Cappellen, Hospiz zur Heimat

Vicedirettore Gabriele ging in seinem Zimmer hin und her. Ein dilettantischer Fehler, dass ihm das Fax aus dem Fenster geweht war. Sein Blick fiel auf die halbvolle Zigarettenschachtel. Kopfschüttelnd zerknüllte er sie und warf sie in den Mülleimer.

Er hatte versucht, mit Partner Nr. 2 der Schweiz Kontakt aufzunehmen, aber noch keine Antwort erhalten. Als er gerade seinen Laptop ausschalten wollte, kam ein Fax von Seth, dem Boss der Bosse, an. In der Mitteilung stand:

WW1.AS1.AUS1.AMN1.AMS1.AFR1.CH1.CH2.AMN2.

AS7./BC/1230/1512/46.955691/7.337825/.

Nachdem er es decodiert hatte, schaute er verblüfft auf. Jetzt musste er erst recht in Cappellen bleiben. Er ging in die Gaststube und fragte Paul Lüthy, ob er das Zimmer zwei weitere Nächte behalten könne.

Noch an der Rezeption klingelte sein Handy. Nummer 2. Er fragte als Erstes:

»Glauben Sie wirklich, dass sich das Mädchen die E-Mail-Adresse gemerkt hat?«

»Sie wissen, wie der Umgang mit solchen Problemen aussieht«, erwiderte Alfonso Gabriele, »zudem ist da ja noch das Rezept. Wer sagt, dass sie es nicht mit ihrem Handy fotografiert hat?«

»Das erscheint mir sehr unwahrscheinlich. Und es war ja nur eine temporäre Adresse, die mittlerweile nicht mehr existiert. Ich glaube, man kann mal eine Ausnahme …«

»Nein«, unterbrach ihn Gabriele in scharfem Ton, »Policies müssen eingehalten werden. Haben Sie ein Problem damit?« Nummer 2 schluckte.

»Nein, nein, durchaus nicht. Natürlich bin ich Ihrer Meinung. Ich dachte nur, man sollte nicht zu viel Aufsehen erregen. Aber Sie haben recht. Die Geschichte wird umgehend erledigt. Ich sende eine verschlüsselte E-Mail an den Jäger.«

»Gut. Geben Sie mir Bescheid. Apropos, ist der Frachtführer schon in Berno eingetroffen?«

»Er müsste eigentlich, ist es aber nicht. Das letzte ›Fracht OK‹ kam nach Überquerung der Schweizer Grenze, vom Colle del Gran San Bernardo. Ich habe ihn schon ein paar Mal zu erreichen versucht. Ergebnislos. Vielleicht wegen der prekären Wetterverhältnisse …«

Gabriele unterbrach ihn:

»Ok, bleiben Sie dran und schaffen Sie die Probelieferung her.« Dann hängte er grußlos auf.

Kurze Zeit später hatte Gabriele die finale Analyse zum Drogenmarkt Europa fertiggestellt. Die Schweiz konnte man problemlos überschwemmen. Das Marktvolumen betrug jährlich 3 Milliarden Schweizer Franken. Mit 520 Millionen Kokain war die Organisation Marktführer. Gefolgt von MDMA, auch Molly genannt. Dann Amphetamine, hergestellt von Amateuren in kleinen Laboren in Osteuropa. Die schmale Konkurrenz würde man terminieren, die Marktpenetration ein leichtes Spiel. Weder hatte die Polizei in der Schweiz die notwendigen Kapazitäten und Ressourcen, der Welle an billigen Drogen rasch und effektiv zu begegnen, noch war die Gesetzgebung besonders hart. Es war ein bombensicheres Geschäft in der Schweiz, ein 30 Milliardengeschäft in Europa.

»Wenn das mich nicht zur Nr. 1 in Europa macht …«, murmelte er im Selbstgespräch.

Freitag, 13. Dezember, 14:45 Uhr,Myanmar, Yangon

Schon der kurze Spaziergang hatte Asara Unwohlsein verursacht. Er strich sich mit der rechten Hand über seinen feisten Wanst. Die Party der letzten Nacht hatte es in sich gehabt. Die am Tage zuvor ebenso.

Als Senior Director des Goldenen Dreiecks Myanmar, Thailand, Laos konnte er sich alles leisten und alles erlauben. Sein liebster Kumpan bei seinen Exzessen war Ihu, der Vice Director. Schade nur, dass sie sich aufgrund 600 km Entfernung nur alle paar Monate treffen konnten.

Heute musste es erst einmal ums Geschäftliche gehen. Vielleicht hatten sie danach noch kurz Zeit für ein paar minderjährige, zugedröhnte Nutten aus einem seiner Bordelle.

Von seinem Boss, Andrej Pushka, hatte er im Sommer eine verschlüsselte E-Mail erhalten. Er war alles andere als zufrieden mit dem Absatz von Yaba. Das Produkt laufe, im Unterschied zu Krokodil, überhaupt nicht. Der Umsatz in sämtlichen Ostblockstaaten sei absolut ungenügend. Das Problem sei, so hatte Ihu damals eingewandt, dass die Pillen zu bitter schmeckten und deshalb von Kindern und Jugendlichen nicht so angenommen würden. Er hatte versprochen, das Experimentallabor würde eine Lösung finden. Ihu schüttete die modifizierten Pillen auf Asaras Handfläche. Sie sahen aus wie Smarties. Nicht nur der Geschmack war verändert worden, sondern man hatte der Droge zusätzlich poppige Farben verpasst. Es gäbe sie in den Geschmacksvarianten Schokolade, Orange und Erdbeere, aber man werde sie weiter ausbauen, versprach der Mönch.

Asara lobte Ihu für den Durchbruch und fuhr fort:

»Heute habe ich Anweisung bekommen, die Yaba Produktion raufzufahren. Nach der Markteinführung in der Schweiz soll ganz Europa überschwemmt werden.«

Ihu rieb sich die Hände.

»Eine erste Einführungstranche habe ich bereits via Genua spedieren lassen.«

Ein Junge trabte über die Brücke auf sie zu und blieb unschlüssig stehen, als er sie erblickte. Asara winkte ihn heran. »Wenn das nicht der nette Bub ist, der mir eben ein Almosen gegeben hat. Hier, nimm dir als Zeichen meines Dankes ein Smartie.«

Mit einem Lächeln hielt er ihm die Handfläche entgegen.

Freitag, 13. Dezember, 13:40 Uhr,Cappellen, Weiler Hübeli

Als das Handy vibrierte, war Anna gerade in »Menon«, ein Werk über den fiktiven Dialog von Platon und Menon von Pharsalos, vertieft. Großvaters Bild lachte ihr auf dem Display entgegen. Obwohl der Gymnasiallehrer seit einigen Jahren pensioniert war, betreute er noch immer umtriebig Projekte für den Verband der Schweizer Gymnasiallehrer und so kam er auch gleich zur Sache:

»Hallo Anna, alles klar?« Ohne ihre Antwort abzuwarten, redete er weiter:

»Hör mal, der Verband will die Reihe ›Jugend ohne Maulkorb‹ nächstes Jahr fortsetzen. Der Vorstand möchte dich wieder dabeihaben, was meinst du?«

Anna lachte und erwiderte:

»Hallo Opa, mir geht es gut und dir?«, und gab ihm genauso wenig eine Gelegenheit zum Antworten:

»Ja, hat mir gefallen letztes Mal. Wie viele Podiumsdiskussionen sind geplant?«

»Neun in der gesamten Deutschschweiz.«

»Und die Themen?«

»Das Motto der Reihe heißt ›Der Mensch ohne Zukunft?‹. Dazu möchte der Vorstand drei Themen aufgreifen, nämlich 1. Psychologie der Weltanschauungen; 2. Ökologische Herausforderungen und Wirtschaftspolitik; 3. Arbeit und digitaler Wandel.«

Anna pfiff.

»Ganz schöne Herausforderung. Da werde ich mich gut vorbereiten.«

Großvater lachte. »Na, das hast du doch in fünf Minuten drauf.«

»Aber Opa, ich bin doch kein Wunderkind!«, protestierte Anna.

»Rhea hat mir gesagt, die würden dich direkt an der Uni nehmen.«

»Ja, schon. Aber die Schulpsychologen meinten, ohne Ritalin würde ich das nicht schaffen. Aber ehrlich gesagt, ich will mich nicht mit Medikamenten zudopen, nur damit ich das Gymnasium überspringen kann. Ich will auch keine Ausnahme sein. Alle machen das Gym. Warum ich nicht?«

Großvater lachte erneut. »Na, wegen deinem IQ.«

Er wurde ernst.

»Ich bin ganz deiner Meinung, Anna. Ich glaube auch, es ist gesünder so. Du hast Zeit genug. Das mit dem Sturm habt ihr mitbekommen?«

Anna grinste. »Ja, wenn Mam zurück ist, verbarrikadieren wir uns.«

»Dann muss ich mir ja nur Sorgen machen, dass euer Haus nach Oz geblasen wird. Also bis bald, ich melde mich.«

Als Anna aufhängte, knallte ein Schneeball gegen ihre Fensterscheibe und rutschte daran herunter.

Vor dem Haus stand Hagen, fuchtelte mit beiden Armen und rief etwas Unverständliches hoch. Anna öffnete das Fenster:

»Was willst du?«

»Ich habe auf dich gewartet, wir hatten um eins bei der Scheune abgemacht.«

»Ich habe nicht gesagt, dass ich komme.«

»Du bist feige! Hast Angst vor ein paar Schneeflocken.«

»Angst?«, Anna schüttelte verächtlich den Kopf. »Ich bin nicht gekommen, weil es mich null interessiert. Verstehst du? Null!«

Hagen verzog das Gesicht.

»Weißt du, mir war von Anfang an klar, dass du feige bist. Deshalb habe ich auch mit Leon um zwanzig Stutz gewettet, dass du die Hose voll hast und nicht kommen würdest.«

Das Blut wallte heiß in ihren Kopf. Ausgerechnet Leon! »Aber Leon hat gemeint: ›Die Anna steht zu ihrem Wort.‹ Der wird morgen dumm gucken, wenn ich bei ihm abkassiere.«

Annas Finger verkrampften sich im Fensterrahmen. Auf einmal war ihr schwindlig. Leon hielt etwas auf sie! Aber nur wenn sie …

Sie knallte das Fenster zu, lief die Treppe hinunter, zog sich ihren Parka über und trat in das dichte Schneetreiben.

»Dann zeig mir deine Militärbasis im Wald, du Aufschneider.«

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