Kitabı oku: «Qumran», sayfa 5
2.3 Schrift (Paläographie)
Aus der Schrift lässt sich aber oft noch viel mehr Information ableiten, als nur der Text. Diese Kunst nennt man Paläographie, die wissenschaftliche Kunde der Schrift. Es ist eine unverzichtbare, sehr komplexe und etwas technische Disziplin, die es ermöglicht, nicht nur Schriften nach ihren Stilen zeitlich und geographisch einzuordnen, sondern darüber hinaus Einblicke in Wissensvermittlung und Technologiegeschichte zu gewinnen.
Erst die Entdeckung der Qumranrollen hat es ermöglicht, die Geschichte der Schriften Judäas in der hellenistisch-römischen Zeit und damit die Entstehung der sogenannten Quadratschrift näher erforschen zu können. Vor 1947 gab es für die hellenistisch-römische Epoche in Judäa nur wenige Zeugnisse: den Nash-Papyrus |38|(s.o. S. 11), nur einige wenige meist sehr kurze Inschriften, darunter die datierbare Uzziah-Inschrift, doch nichts auf Pergament. Nun sind in der Antike nur Dokumente, also Verträge oder Briefe, explizit mit einem Datum versehen. Literarische Texte – wie in Qumran – sind fast immer undatiert. Wo präzis datierte Fixpunkte für Schriften fehlen, muss man mit einer über typologische Verwandtschaften konstruierten Entwicklungsreihe Vorlieb nehmen. In historisch „kalten“ Epochen, d.h. entwicklungsarmen Epochen, in denen sich eine Schrift nur sehr langsam entwickelt, kann dies unmöglich sein. Je schneller sich eine Schrift in der untersuchten Zeitspanne entwickelt, desto leichter wird die Erstellung einer Reihenfolge. Glücklicherweise ist die Zeit vom dritten Jahrhundert v. Chr. bis zum ersten Jahrhundert n. Chr. die „heißeste“ Epoche in der Entwicklung der Schrift in Judäa.
Zur Zeit des Ersten Tempels benutzte man im Königreich Juda eine aus dem Phönizischen entstandene Schrift. Sie wird meistens „PaläohebräischPaläohebräisch“ genannt, um sie vom regulären „Hebräischen“ zu unterscheiden (palaios = griech. alt). Mit der Eroberung Judas, erst durch die Babylonier, dann durch die Perser, wechselte das Curriculum der Schreiberschulen zur aramäischen Kanzleischrift, die im Gesamtimperium üblich war wie im Mittelalter Latein. Wir haben keine literarischen hebräischen Handschriften aus dem sechsten, fünften oder vierten Jahrhundert v. Chr., aber die meisten Forscher vermuten, dass in der Perserzeit auch hebräische literarische Texte mit aramäischer Kanzleischrift geschrieben wurden.
Bis zu den Eroberungszügen Alexanders des Großen Ende des vierten Jahrhunderts v. Chr. blieb die aramäische Sprache und die aramäische Kanzleischriftaramäische Kanzleischrift das überall im persischen Weltreich benutzte Kommunikationsmittel. Sie scheint durch das Schulungssystem der Schreiber an allen Enden des Imperiums sehr einheitlich gewesen zu sein. Schreibsystem, Erziehungssystem und Politik gehören oft eng zusammen. Z.B. unterscheiden sich im heutigen französischen und deutschen Schulsystem die Formen für bestimmte Schreibschriftbuchstaben. Mit der Zerschlagung des Imperiums drifteten die Schriften in den einzelnen Regionen auseinander und es entwickelten sich ganz allmählich Lokalschriften. Bei den Nabatäern in Petra wurden die Buchstaben immer dünner und immer länger. In Edessa bei den Syrern wurden die Buchstaben mehr und mehr miteinander verbunden, ähnlich wie heute im Arabischen. In Judäa wurden Breite und Höhe der Buchstaben immer weiter angeglichen. Diese Entwicklungstendenz führte gegen Ende der Zeit des Zweiten Tempels zur Entstehung der sogenannten Quadratschrift, wo die Grundform der meisten Buchstaben in ein Quadrat passt. Da auch diese Schrift zunächst ein auf Judäa regional |39|begrenztes Phänomen ist, nenne ich sie mit einigen anderen Paläographen „judäische Schriftjudäisch“. Andere bezeichnen sie entweder als Quadratschrift (doch trifft dies erst auf das Endstadium der Entwicklung im zweiten Jahrhundert n. Chr. zu) oder als Hebräisch, (doch führt dies zu Verwechslungsmöglichkeiten mit der sogenannten Paläohebräischen Schrift), oder als Jüdisch (doch schreiben Juden außerhalb von Judäa bis in die Spätantike zumeist mit den jeweiligen Lokalalphabeten, d.h. z.B. griechisch oder lateinisch oder punisch).
Für einen typologischer Vergleichtypologischen Vergleich gruppiert man die Zeugnisse zunächst nach 1. Schreibstoff und Beschreibstoff, 2. Sprachen (in Qumran hebräisch-aramäisch, griechisch und nabatäisch), 3. Schrifttypen (z.B. paläohebräisch, judäisch und kryptisch) und 4. Hauptschriftgattungen bzw. Schriftregister (ein Kontinuum zwischen den beiden Extremen kursive Schreibschrift und formelle Buchschrift). Man kann nämlich nicht einfach von Buchstabenformen in datierten Inschriften auf die Abfassungszeit von Pergamenten mit ähnlichen Buchstabenformen schließen. Schriften auf unterschiedlichem Material oder mit unterschiedlichem Register haben jeweils ihre eigenen Anforderungen und können sich unterschiedlich entwickeln.
Schließlich stellt man innerhalb einer Gruppe eine typologische Reihe der Buchstabenformen auf, die die Genese am besten erklären kann. Man kann sich dabei nicht auf einzelne Buchstaben stützen, sondern muss das gesamte Alphabet genau untersuchen und möglichst alle Formen als Entwicklung aus der Vorform und als Vorform für den Nachfolger erklären können.
Für die Klassifizierung judäischer Schriften benutzen quasi alle Paläographen das in den fünfziger Jahren von Frank CrossFrank Cross entwickelte paläographisches ModellModell, das von Yardeni meisterhaft auch auf die kursiven Schriften übertragen wurde. Cross unterscheidet einerseits chronologisch zwischen protojüdischen (ca. 250–150 v. Chr.), hasmonäischen (150–30 v. Chr.), heriodianischen (ca. 30 v. Chr. – 70 n. Chr.) und post-herodianischen Typen und andererseits zwischen kursiven, semikursiven, semiformellen und formellen Schriftgattungen. Die chronologischen Hauptphasen werden dann noch einmal in früh, mittel und spät unterteilt, so dass man den Eindruck gewinnt, in Zeiträume von 25–30 Jahren datieren zu können. Das ist jedoch übertrieben. Vergleiche mit den Resultaten der Radiokarbondatierung haben tatsächlich die ungefähre Übereinstimmung mit Cross allgemeiner Anordnung der Entwicklungsphasen ergeben (also dass hasmonäische Rollen durchschnittlich älter sind als Fragmente in herodianischer Schrift), allerdings mit teilweise weit auseinanderliegenden Angaben für Einzelrollen.
|40|Abb. 4:
Paläographie 1
Abb. 5:
Paläographie 2
|42|Ein Problem mit einer fast ausschließlich aus typologischen Vergleichen konstruierten Reihe ist, dass sich die einzelnen Etappen nicht (oder nur schlecht) absolut datieren lassen, sondern nur |43|relativ. Man weiß also nicht wirklich, ob der frühherodianisch genannte Schrifttyp zeitlich näher am späthasmonäischen oder am mittelherodianischen Schrifttyp liegt. Klassische Papyrologen und Mediävisten halten die für Qumranrollen vertretenen Datierungszeiträume von nur einem Vierteljahrhundert zu Recht für übertrieben optimistisch. Auch wenn es leider nicht immer geschieht, sollte man aus Vorsicht die Zeitabschnitte von 25 Jahren immer noch um ca. 25 Jahre in beide Richtungen verlängern, da ein Schreiber lange leben kann. Datierungen sind mit großer Vorsicht zu genießen. Trotzdem ist paläographische Datierung meist präziser als Radiokarbon (s. Kasten).
Schon in den ersten Jahren spielte die Physik eine große Rolle in der Qumranforschung, als die frisch entwickelte RadiokarbonRadiokarbon- oder Kohlenstoffisotopenanalyse (14C14C) an Tüchern aus Höhle 1 ausprobiert wurde (Jull u.a.). Seitdem wird diese Analyse auf zahlreiche historische Objekte mit organischen Bestandteilen angewendet. Das Prinzip beruht darauf, dass Kohlenstoff aus unterschiedlichen Isotopen besteht, von denen das sogenannte 14C radioaktiv ist und mit einer konstanten Halbwertszeit allmählich zerfällt, während 12C stabil bleibt. Alle Lebewesen nehmen über ihren Stoffwechsel, vor allem aus der Luft, Kohlenstoff auf, sowohl 12C als auch 14C. Wenn sie sterben, hört die Kohlenstoffaufnahme abrupt auf. Wenn man die Proportion des stabilen 12C zu dem noch nicht zerfallenen 14C misst und berechnet, wie viel 14C eigentlich hätte vorhanden sein müssen, kann man ungefähr den Zeitpunkt bestimmen, an dem die Kohlenstoffaufnahme abbrach. Die Proportion von 12C zu 14C in der Luft ist allerdings nicht ganz konstant. Es sind daher sogenannte Kalibrationskurven nötig, um diesen Faktor in die Berechnung mit einzubeziehen (Doudna).
Als Resultat werden meistens zwei Zeiträume angegeben, von denen der kürzere mit etwa 68 %iger Wahrscheinlichkeit σ1 („Sigma 1“) das Jahr enthält, der verlässlichere ist jedoch der wesentlich längere σ2 („Sigma 2“)-Zeitraum mit etwa 95 %iger Wahrscheinlichkeit. Die Genauigkeit nimmt mit größerem Alter ab. Für 2000 Jah re alte Objekte ist der Zeitraum für eine Präzision von σ1 etwa 100 Jahre lang, für σ2 hingegen oft 200 Jahre und mehr, also viel länger als paläographische Analyseresultate. Viele Forscher verwenden in erster Linie σ1-Zeiträume, weil die σ2-Zeiträume ihnen im Vergleich zur Paläographie zu lang vorkommen, doch sind Wahrscheinlichkeiten von 68 % für historische Analysen viel zu niedrig! Man sollte daher grundsätzlich nur σ2-Zeiträume in Betracht ziehen. Darüber hinaus ist, anders etwa als bei regulären Glockenkurven, wo die mittleren Werte häufiger vorkommen als die Randwerte, bei 14C jedes Jahr gleich wahrscheinlich.
Es ist relativ leicht, 14C-Ergebnisse durch Auftragen von sehr alten oder sehr jungen kohlenstoffhaltigen Flüssigkeiten in die eine oder andere Richtung zu verfälschen. Zum Beispiel trugen die Mitarbeiter der Scrollery in den ersten Jahren auf Stellen mit verdunkeltem Pergament Rizinusöl auf, das für eine gewisse Zeit den Kontrast erhöhte und das Fragment lesbar machte. Dies hatte allerdings den Preis, dass dieses Fragment überall dort, wo Rizinusöl aufgetragen worden war, bei einem Test zu „junge“ 14C-Proportionen aufweisen würde. Falls sie aus Erdöl produzierte Mittel verwendet hätten, würde der gegenteilige Effekt eintreten.
Der 14C-Test misst nur das Endjahr der Kohlenstoffaufnahme für das Lebewesen, aus dem das Objekt gemacht wurde, gibt uns also eigentlich nur einen terminus a quo. Theoretisch ist es möglich, dass eine Schriftrolle lange aufbewahrt wurde, bevor sie beschrieben wurde. Manchmal wurden alte Objekte aus Holz wiederverwendet. Strydonck beschreibt auf luzide Weise Vorteile und Grenzen der Kohlenstoffdatierung.
Sehr kurz zusammengefasst kann man die Entwicklung von der aramäischen Kanzleischrift zur Quadratschrift des zweiten Jahrhunderts n. Chr. mit einigen grundlegende Beobachtungengrundlegenden Beobachtungen folgendermaßen beschreiben: Die anfänglich sehr ungleich großen Buchstabenkörper werden mit der Zeit immer homogener, so dass man schließlich zusätzlich zur Linie, an der die Buchstaben hängen, auch eine Linie, auf der die meisten Buchstaben sitzen, zeichnen kann. Außerdem werden viele Buchstaben etwa gleich breit wie hoch (→ Quadratschrift). Schluss-Mems und Samekhs sind in den älteren Schriften noch offen, später geschlossen. Die durchgehende und korrekte Verwendung von diffenzierten Medialformen und Endformen einiger Buchstaben nimmt zu, desgleichen auch die Zahl der Zierhaken (keraia) an den oberen Enden bestimmter Buchstaben mit den herodianischen Schriften.
In Qumran sind außer der judäischen Schrift noch sechs andere Schriften bezeugt: Die Forscher waren überrascht, einige Texte in Paläohebräisch vorzufinden, denn eigentlich dachte man, diese Schrift wäre nur noch auf Münzen und Siegeln verwendet worden. Dazu gibt es drei verschiedene sogenannte kryptische Alphabete (Geheimschriften) für Hebräisch. Alle griechischen Texte aus Qumran wurden mit griechischen Buchstaben geschrieben. Und schließlich finden sich ausnahmsweise auch Texte in Nabatäisch. Für die Datierung des Paläohebräischen dieser Periode und für die der kryptischen Alphabete ist die Paläographie bislang unzuverlässig.
Abb. 6:
Entwicklung des Samekh
|44|paläohebräischPaläohebräisch ist für die hellenistisch-römische Zeit eigentlich eine Fehlbezeichnung, handelt es sich doch um eine Wiederbelebung eines veralteten Alphabets. Eigentlich entspricht „neo-paläohebräisch“ dem Sachverhalt besser, jedenfalls, wenn die Annahme richtig ist, dass paläohebräisch in persischer und hellenistischer Zeit nur noch für Namen auf Siegeln und für die Inschriften auf Münzen benutzt wurde. Von den Texten vom Toten Meer gibt es fünfzehn, die vollständig in paläohebräischer Schrift geschrieben sind (McLean). Fast alles sind biblische Handschriften. Dazu kommen zahlreiche Rollen in judäischer Schrift, in denen nur das Tetragramm oder die Bezeichnungen für Gott in paläohebräischen Buchstaben eingesetzt worden sind. Dies zeigt also, dass paläohebräische Schrift mit besonderer Heiligkeit verbunden war. Von griechischen Bibelpapyri aus Ägypten kennen wir ein analoges Phänomen.
Von den drei kryptischkryptisch genannten Geheimschriften (Cryptic A, B und C) ist nur die erste (Cryptic A) mehrfach bezeugt. Vor der Entdeckung der Qumranrollen war dieses Alphabet unbekannt und lange wurde es für qumranspezifisch erachtet. Vor kurzem hat man allerdings in Jerusalem eine Steintasse mit einer kryptischen Inschrift entdeckt. Seine Herkunft ist nach wie vor unklar.
Das SchriftregisterSchriftregister (Kursive vs. Buchschrift) gibt uns wichtige Auskunft über den Verwendungszweck einer Rolle. Gewöhnlich wird Kursivschrift für Dokumente (Verträge, Briefe, Listen) verwendet, von denen aber nur sehr wenige aus Qumran kommen. Die große Mehrheit der Qumranrollen ist Literatur und daher in formeller oder semiformeller Buchschrift geschrieben. Die wenigen literarischen Texte in Semikursiv- oder Kursivschrift sind wahrscheinlich Privatkopien. Auch ein Laie erkennt den Qualitätsunterschied von z.B. 4Q175 zur Tempelrolle. Manche verwenden die Bezeichnung ‚Kalligraphie‘ synonym mit ‚Buchschrift‘, doch gibt es sowohl kalligraphische, professionelle als auch laienhafte Buchschrift.
Systeme für die ausführliche Vokalisierung oder für die Intonation wurden erst im Mittelalter erfunden. Auch regelmäßige Satzzeichen gibt es in Qumran noch nicht. Immerhin werden im Gegensatz zur griechischen scriptio continua Worte durch einen Leerraum getrennt. Zur Gliederung in Abschnitte werden manchmal größere Leerräume, halbe oder ganze Leerzeilen verwendet. In seltenen Fällen werden poetische Stücke stichisch gesetzt, d.h. ähnlich einer zweispaltigen Tabelle mit einem klaren Anfang für jeden Halbvers. Alle Markierungen der Schreiber hat Emanuel Tov in seinem grundlegenden Werk gründlich studiert.
Für die KorrekturKorrektur von Schreibfehlern sehen wir unterschiedliche Systeme (Tov, Scribal Practices, 222–230): Fehler auf einem |45|Papyrus konnte man einfach mit einem Schwämmchen abwischen, während man sie vom Leder/Pergament abkratzen muss (was Spuren zurücklässt). Oft sind Buchstaben einfach überschrieben worden. Was der gleiche oder ein anderer Schreiber für falsch hielt, wurde durchgestrichen oder durch Punkte über und/oder unter den Buchstaben markiert. Zusätze wurden zumeist kleiner und etwas hochgestellt an die gewünschte Stelle zwischen die Buchstaben oder Worte gesetzt, seltener auch an den Rand oder unter die Buchstaben. Dies führt dann zu der höchst interessanten Frage, auf welcher Basis der Text korrigiert wurde (s.u. Bibel, S. 200 zu 4QJera).
|47|3 Vom Fragment zur Rolle: Konstruktion, Editionen und Hilfsmittel
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Beyer, Klaus, Die aramäischen Texte vom Toten Meer, 2 Bde., Göttingen 1984; 2004.
García-Martínez, Florentíno, Old Texts and Modern Mirages. The ‚I‘ of Two Qumran Hymns. In: ders., Qumranica Minora I, Leiden 2007, 105–125.
Lange, Armin, Computer Aided Text-Reconstruction and Transcription, Tübingen 1993.
Muraoka, Takamitsu, A Grammar of Qumran Aramaic, Leiden 2011.
Pfann, Stephen, ‚Kelei Dema‘. Tithe Jars, Scroll Jars and Cookie Jars. In: Brooke, George/Davies, Philip (Hgg.), Copper Scroll Studies, London 2002, 163–179.
Qimron, Elisha, The Hebrew of the Dead Sea Scrolls, Atlanta 1986.
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Schattner-Rieser, Ursula, L’araméen des manuscrits de la mer Morte, Prahins 2004.
Stegemann, Hartmut, Methods for the Reconstruction of Scrolls. In: Schiffman, Lawrence (Hg.), Archaeology and History in the Dead Sea Scrolls, Sheffield 1990, 189–220.
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Steudel, Annette, Der Midrasch zur Eschatologie aus der Qumrangemeinde, Leiden 1994, 5–22; 57–70.
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Tigchelaar, Eibert, To Increase Learning for the Understanding Ones. Reading and Reconstructing the Fragmentary Early Jewish Sapiential Text 4QInstruction, Leiden 2001 (Beispielhafte Anwendung).
Tov, Emanuel, Revised List of the Texts from the Judaean Desert, Leiden 2010.
|48|Tov, Emanuel (Hg.), The texts from the Judaean desert: Indices and an introduction to the ‚Discoveries in the Judaean desert‘ series, Oxford 2002 (DJD 39).
Tov, Emanuel (in Zusammenarbeit mit Pfann, Stephen), The Dead Sea Scrolls on Microfiche: Companion Volume, Leiden 1993.
Ulrich, Eugene, The Biblical Qumran Scrolls. Transcriptions and Textual Variants, Leiden 2010.
Die Leon Levy Dead Sea Scrolls Digital Library der Israel Antiquities Authority: www.deadseascrolls.org.il
Die Digital Dead Sea Scrolls des Shrine of the Book: dss.collections.imj.org.il
3.1 Vom Fragment zu Fragmentengruppen
Im vorigen Kapitel haben wir gesehen, wie man ein – gut lesbares – Einzelfragment entziffert. Wie zeitaufwendig ist es, 15000 Fragmente zu entziffern! Und erst dann (auch wenn man schon parallel daran arbeiten kann) beginnt die eigentliche Arbeit: die Puzzleteile zu Puzzles zusammenzufügen. Die Mitglieder der Scrollery haben 95 % dieser Arbeit tatsächlich vollbracht. Dies ist eine (fast?) übermenschliche Leistung.
Ein gutes Verständnis des Editionsprozesses entwickelt das Urteilsbewusstsein für die Abwägung zwischen möglichen und unmöglichen, wahrscheinlichen und sicheren Schlüssen. Nach der Ausgrabung oder dem Ankauf mussten die Fragmente zunächst gesäubert und geglättet werden. Oft waren sie im Laufe der Geschichte mit anderen Fragmenten zu Fragmenthaufen verklebt und mussten erst mühsam voneinander getrennt werden. Theoretisch hätten dabei Anordnung und Position festgehalten werden sollen, denn aus dem Fragmenthaufen kann geschlossen werden, welche Fragmente einmal zu einer Rolle gehörten und welches in der Rolle weiter innen oder weiter außen lag. Leider war das nicht immer der Fall. Alle Fragmente wurden von vorne und oft auch von hinten fotografiert. In vielen Fällen war das Pergament so nachgedunkelt, dass man nur auf Infrarotfotos sehen konnte, welche Seite beschrieben war.
Dann wurden die Fragmente nach groben Gruppen provisorisch entziffert, vorsortiert und einem der Mitglieder der Scrollery überantwortet. Bei der Gruppierung von Fragmenten zu FragmentengruppenGruppierung von Fragmenten zu Fragmentengruppen halfen unter anderem
Die materielle Beschaffenheit des Beschreibstoffes (Papyrus oder Pergament, Farbe, Dicke, Oberflächenstruktur auf recto und verso),
|49|Zerstörungshorizont (Formen der Ränder, spezifische Löcher),
Layout (Breite der Zeilen und Ränder, Zahl und Abstand der Zeilen, liniert/unliniert),
Schrift (Typ, Register, Buchstabenformen und -größe, Abstand zwischen Buchstaben, Abstand zwischen Worten, etc.),
Sprache,
Orthographie,
Textliche Überlappungen,
Inhalt.
Biblische Fragmente konnten je nach Fragmentgröße mit Hilfe einer Konkordanz relativ schnell identifiziert und zu Gruppen vorgeordnet werden. Bei Texten, von denen bislang keine hebräischen oder aramäischen Versionen bekannt waren (z.B. Jubiläenbuch und Henochbücher), war es weniger leicht. Am schwierigsten waren bislang unbekannte Texte, vor allem wenn die Fragmente klein waren.
Nach der Vorsortierung wurden die Fragmente mit der Schrift in die gleiche Richtung zwischen zwei Glasplatten gelegt (eine „plate“) und wieder fotografiert. Schließlich kamen sie in die ScrolleryScrollery im Palestine Archeological Museum: einen mit direktem Sonnenlicht reich erhellten Saal mit langen Tischen, auf welchen all diese Glasplatten präsentiert wurden, so dass jeder Mitarbeiter jederzeit eines seiner Fragmente mit irgendeinem anderen Fragment vergleichen konnte und gegebenenfalls Fragmente von einer Platte zur anderen replatzieren konnte.
Abb. 7:
Scrollery (PAM 41.212)
|50|Man muss zwischen mehreren Rekonstruktionsebenen unterscheiden, die mit zunehmender Entfernung von der einzig wirklich sicheren Grundlage, dem Einzelfragment, immer hypothetischer werden. Mit den einer Fragmentengruppe zugeordneten Fragmenten wird wie bei einem Puzzle experimentiert, ob mehrere Einzelfragmente, deren Ränder und Buchstabenhälften zusammenpassen, zu einem größeren, direkt physisch miteinander verbundenen Fragmentencluster zusammengefügt werden können. Dies nennt man material joinmaterial join. Da man sich dabei irren kann, ist eine „material join“ hypothetischer als ein Einzelfragment. Doch kommt dies in den offiziellen Editionen selten vor.
Kehren wir nun kurz zu unserem Beispiel von oben, 4Q286 Frag. 20, zurück. Auch dort gibt es einen material join. Auf der Webseite der IAA kann man zwei Fotos des Editionsprozesses vor und nach dem material join vergleichen: PAM 42.417 (1957) und PAM 43.312 (1960). Wie viel Zeit mag der ursprüngliche Editor zwischen 1957 und 1960 in das Finden dieses winzigen Puzzleteiles gesteckt haben! Es war kein geringerer als „der schnellste Mann mit einer Rolle“ (s.o. S. 17)!
Aufgrund von Inhalt, Layout oder Parallelen wird manchmal vorgeschlagen, dass Fragmente in die gleiche Spalte oder die gleiche Zeile gehören, obgleich die Ränder der Fragmente physisch nicht direkt zusammenstoßen. Dies wird distant joindistant join genannt und ist natürlich meist hypothetischer als ein material join. (Übrigens kann man auf dem Foto von 1960 [PAM 43.312] auch einen distant join von 4Q286 Frag. 20a mit dem Fragment 20b darunter erkennen. Die Gründe hierfür können Fortgeschrittene in der DJD-Edition einsehen). Am einleuchtendsten sind distant joins, wenn zwei Fragmente Teile der gleichen Bibelstelle oder eines anderen sicher etablierten Textes zitieren. Je länger dieser Text, desto sicherer der distant join.
Vielen Benutzern der Texte von Qumran ist nicht klar, dass – abgesehen von den wenigen „großen“ bzw. nur aus einem einzigen Fragment bestehenden Rollen (s.o. S. 27f) – fast alle Schriftrollen grundsätzlich eine Anreihung derartiger distant joins sind, allerdings zumeist ohne den exakten Ort jedes Fragments festzulegen. Ein Editor kommt zum Schluss, dass Fragmente Teile ein und derselben Schriftrolle waren. Dies setzt voraus, dass Material, Schrift, Layout, Orthographie und Inhalt in einer Schriftrolle gleich blieben. Das ist sicher die beste Grundannahme, jedoch ist es nicht immer richtig. Bei vielen Rollen wechselt die Spaltenbreite. Vor allem die letzte Spalte eines Blattes kann schmaler oder breiter sein. Manchmal ändert sich die Zahl der Zeilen von einer Spalte zur nächsten. Meistens vernähte der Rollenmacher möglichst ähnliche |51|Pergamente zu einer Schriftrolle, aber nicht immer. Selbst innerhalb eines Pergamentfolios kann sich die Dicke ändern. Die Farbe zweier ursprünglich zu einer Kolumne gehörenden Fragmente kann variieren. Das Genre einer Komposition kann radikal wechseln (s.u. Damaskusschrift, S. 240). Mitten in einer Erzählung können Gedichte vorkommen. Wenn wir den „großen“ Rollen trauen dürfen, scheint es aber eher selten gewesen zu sein, dass auf einer Rolle mehrere Kompositionen zusammengestellt wurden. Bei mehreren der „großen“ Schriftrollen war mehr als ein Kopist beteiligt (z.B. 1QHa). Kürzlich wurde gezeigt, dass 4Q3 und 4Q9 einmal zur gleichen Genesisrolle gehörten, obgleich sie von unterschiedlichen Schreibern kopiert wurden und kein Fragment gleichzeitig beide Hände enthält.
Wenn Rollen hypothetische Konstruktionen sind, kann ein Forscher gegen den Editor argumentieren, dass ein Fragment nicht dieser, sondern besser jener Rolle zugeordnet werden soll. In zahlreichen Fällen ist dies auch geschehen (s.u.). Ein Nachprüfen verschiedener Editionen ist also immer lohnenswert. Man sollte bei allen Unsicherheiten aber beachten, dass die meiste Sortierungsarbeit vom Team der Scrollery vollbracht worden ist, welche die Einzigen waren, die direkten physischen Zugang zu allen Fragmenten hatten. Nur sie konnten direkt vergleichen, ob bei zwei Fragmenten nicht nur die Schrift, sondern auch die materiellen Aspekte des Pergaments auf Vor- und Rückseite übereinstimmten. Spätestens seit 1960 arbeiteten fast alle Editoren nur noch mit Fotos und nur in Ausnahmefällen mit den Originalfragmenten. Die Fotos aber geben nur einen unvollkommenen Eindruck der materiellen Beschaffenheit. Daher ist bei späteren Umgruppierungsversuchen Vorsicht geboten und auf die vorgebrachten Argumente und eventuell größere Unsicherheiten in neu vorgeschlagenen Rekonstruktionen zu achten!
Mehrere hilfreiche Warnzeichen können anzeigen, wann die Zugehörigkeit eines Fragments zu einer Rolle genau geprüft werden sollte. Manchmal geben die Herausgeber eines Textes ihre Zweifel explizit an. Manchmal zeigt ein hinzugefügter Kleinbuchstabe hinter einer Rollennummer (z.B. 4Q213a), dass eine Fragmentengruppe (in diesem Fall 4Q213) von späteren Editoren auf zwei Gruppen aufgeteilt wurde, nachdem das ursprüngliche Team die Nummern bereits festgelegt hatte. Schließlich kann man bei genauem Kontrollieren der PAM-Fotos manchmal bemerken, dass im Laufe der Zeit dieses oder jenes Fragment von einer Plate zur anderen wechselt und wieder zurückkehrt.
4Q471 War Scroll-like Text B4Q471 War Scroll-like Text B ist ein Extrembeispiel für unterschiedliche Auffassungen in der Editionsarbeit. In den Vorbereitungsarbeiten |52|in der Scrollery ordnete Strugnell ursprünglich zehn Fragmente aus Höhle 4 einem Exemplar der Kriegsregel zu: 4Q471. Die Herausgeber der Fragmente in DJD und „Erben“ der Vorarbeiten Strugnells sahen dagegen mehrere Schreiber hinter den Buchstabenformen und den orthographischen Konventionen. Daher teilten sie die zehn Fragmente auf insgesamt vier unterschiedliche Handschriften auf: 3 Fragmente als 4Q471 („War Scroll-like Text B“), ein Fragment als 4Q471a („Polemical Text“), vier Fragmente als 4Q471b („Self Glorification Hymn“) und zwei Fragmente als 4Q471c („Prayer Concerning God and Israel“).
Allerdings weist 4Q471b so starke wörtliche Parallelen zu einer Hymne in anderen Hymnenrollen auf, dass man schließen muss, dass alle die gleiche Hymne enthielten (4Q427, Frag. 3–7 und 1QHa XXV–XXVI Sukenik Fragmente 7–8, 56, 46, 55). Außerdem gleichen Schrift, Pergament und Layout von 4Q471b einer Hymnenrolle, 4Q431. Die Editorin der Hymnenrollen, Eileen Schuller, hat daher die Fragmentengruppe 4Q471b als Teil von 4Q431 veröffentlicht. Dieselbe physische Fragmentengruppe findet sich also zweimal in DJD 29: zum einen als eigenständiger Text mit dem Kürzel und Namen 4Q471b Self Glorification Hymn, zum anderen als Hymne einer Hymnensammlung, 4Q431 Hodayote Frag. 1.
Doch zurück zu unserer Hierarchie des Vermutungscharakters einer Rekonstruktion, mit der wir noch nicht am Ende sind, denn es gibt noch mindestens eine höhere Ebene. Im Laufe seiner Edition muss der Herausgeber unter anderem entscheiden, welchen Namen er dem Text der Rolle gibt, welches Genre dieser hat und welchen Inhalt. Die wenigsten Rollen enthalten den Titel ihrer Komposition (z.B. 1QS, 4Q249). Wenn es Parallelen mit einem anderen Text gibt, kann der Herausgeber entscheiden, dass seine Schriftrolle eine Kopie von einer bereits auf einer anderen Schriftrolle edierten Komposition ist. Je mehr Text einer Komposition bekannt ist, und je mehr Text beider Schriftrollen noch erhalten ist, desto sicherer ist dieser Schluss.
Was aber, wenn eine (rekonstruierte) Schriftrolle nur wenig Text enthält und eventuell nur zitiert? Was, wenn eine Rolle nur Fragmente des Anfangs einer Komposition enthält, eine andere nur Fragmente vom Ende der gleichen Komposition, ohne jegliche Überschneidung (vgl. Steudel, Midrasch, zu 4Q174 und 4Q177)? Die Editoren dieser Texte werden dann nur in Ausnahmefällen argumentieren, dass beide Schriftrollen Teile einer Komposition waren, beispielsweise wenn dieser Text eine besonders ausgefallene Terminologie verwendet oder die gleiche Hauptfigur im Zentrum steht (so z.B. bei 4Q390). In solchen Fällen kann Zweifel als Grundeinstellung vor Fehlschlüssen bewahren.
|53|Das oben genannte Beispiel der Self Glorification Hymn (1QHa, 4Q427, 4Q431 = 4Q471b) ist noch weitaus komplexer. Die Hymne weist starke wörtliche Parallelen zu 4Q491 Frag. 11 auf, einem Exemplar der Kriegsrolle. 4Q491 ist von Abegg später wiederum in zwei oder drei Rollen aufgeteilt worden (4Q491a, 4Q491b, 4Q491c). Einige sehen dabei Fragment 11 als unabhängigen Text (4Q491c), die Self Glorification Hymn, doch sind die Gründe für die Trennung von 4Q491b nicht gewichtig.