Kitabı oku: «Einfach.Nur.Tom.», sayfa 2
1.
Montag
Zwei Monate später …
Dieser Tag hat ziemlich bescheiden angefangen, seitdem hat er dafür umso stärker nachgelassen.
„Hast du mal etwas davon gehört, dass man miteinander spricht, wenn man in einer Beziehung ist?“ Kelly steht wie eine Furie vor mir, ihre Arme hat sie vor der Brust verschränkt und ihre Körpersprache sagt gerade gar nichts von Reden, am allerwenigsten auf einer vernünftigen Ebene.
Ja, das habe ich. Aber immer, wenn ich mit ihr spreche, versucht sie mich zu therapieren. Was mir mächtig auf den Geist geht, aus diesem Grund habe ich es mir abgewöhnt. Warum will diese Frau nur ständig in meinen Kopf? Es ist kein guter Ort und die Gesellschaft besteht aus bösen Geistern.
„Ich habe das Gefühl, überhaupt nicht mehr Teil Deines Lebens zu sein, Mickey. Wie stellst du dir unsere Ehe eigentlich vor? Unsere Hochzeit ist in zwei Wochen, und ich kenne dich jetzt schon nicht mehr.“
Ich kenne mich selbst nicht mehr … Aber das kann ich ihr so nicht mitteilen.
„Bloß wegen heute Morgen …“ Ich versuche zumindest etwas zu diesem Gespräch beizutragen, aber sie lässt mich nicht weit kommen. War es nicht ihre Idee, dass ich rede?
„Nicht wegen HEUTE Morgen, wegen allen Morgen, seit … keine Ahnung, wann.“ Sie atmet schnaufend aus und gestikuliert mit den Armen. „Wegen den Nächten, in denen du anscheinend Albträume hast, über die du ebenso wenig redest, wie über sonst irgendetwas. Wegen deinem Rückzug aus unserer Beziehung! Möchtest du das, was wir JETZT haben, ein ganzes Leben lang?“
Nein? Nein … Aber was will ich dann? Sie loswerden? Etwas reparieren, von dem ich immer mehr das Gefühl habe, dass es noch nie funktioniert hat? Gerade weiß ich keine Antworten auf diese Fragen.
„Meine Träume bleiben in meinem Kopf, wo sie hingehören“, ist daher alles, was ich sage. Ich hatte schon immer Albträume, seit der Geschichte in Nagsville. Sie sind mir seit meiner Kindheit vertraut und ich werde sie nicht teilen, am wenigsten mit ihr. „Ich muss los, Kelly.“ Wieder einmal lasse ich sie in der Küche stehen. Ich frage mich, wie lange sie sich das noch gefallen lässt. Und ich frage mich, ob es mich stört, wenn sie es nicht mehr tut. Ich frage mich auch, ob ich nicht am besten selbst meine Sachen packen sollte. Um zu gehen, bevor es zu spät dafür ist. Aber ich habe keine blasse Idee, wohin. Ja, ich bin ein richtiger Held. Schon klar!
Seit zwei Monaten befindet sich unsere Beziehung im freien Fall. Und je länger dieser Fall dauert, desto häufiger stolpere ich über Dinge, die schon vorher nicht rund liefen. Dass es grundsätzlich sie ist, die über unsere Freizeit bestimmt, zum Beispiel. Nicht, dass sie es direkt entscheidet, aber am Ende machen wir immer das, was sie will. Nicht einmal ins Louie‘s möchte sie in der letzten Zeit, sie zieht coolere Läden vor, in denen ich das Gefühl habe, mich verkleiden zu müssen. Dabei haben wir uns in der Stammkneipe meines halben Reviers kennengelernt.
Ist es Nats Tod, der unsere Beziehung bedroht? Oder ihr Verhalten? Vielleicht sollte ich sie von ihrem nervigen Therapeutentrip abbringen. Und ihr klar machen, dass ich ein gestandener Cop bin, kein Grundschüler. Ich müsste ihr einfach klarmachen, dass sie mich wie einen Partner behandeln soll, wenn sie will, dass ich mich wie einer benehme. Wie auch immer ich diese Dinge bewerkstelligen soll, weiß ich selbst nicht. Viel entscheidender ist jedoch, ich finde nicht die Motivation dazu. Wenn dieser Zustand Normalität ist, komme ich allmählich an den Punkt, an dem ich auf Normalität pfeife. Es will mir nicht einmal wirklich gelingen, wütend auf sie zu sein. Das würde alles so viel leichter machen.
Andere Probleme sind neu. Sie und ich, wir hatten immer unterschiedliche Tagesrhythmen. Während sie abends aufdreht, bin ich früh munter. Das betraf alle Lebensbereiche, auch unsere Sexualität. Aber bislang war die Chemie zwischen uns trotzdem gut genug gewesen, dass stets der eine den anderen zu überzeugen vermochte. Nicht, dass wir das Haus dabei zum Beben gebracht hätten, aber es war in Ordnung zwischen uns. Zumindest habe ich das immer gedacht. Vielleicht wäre ein kleines Erdbeben bisweilen ganz nett. Ein neuer Gedanke, meine Vergangenheit hat mich diesbezüglich nie viel erwarten lassen, bislang. Aber neuerdings frage ich mich viele Dinge.
Jede Nacht besuchen mich meine Träume und sie werden zunehmend verstörender. Es sind, genau genommen, nicht wirklich Albträume, meistens zumindest, wenn mein Onkel sich nicht in sie einmischt. Es geht darin manchmal um Nat. Oft geht es um einen Engel mit schwarzen lockigen Haaren und grauen Augen, die zu viel sehen. Manchmal erscheint jedoch auch mein Onkel in meinen Träumen, nicht immer als das Monster, als das er sich herausgestellt hat, dann ist es nur der Bruder meiner Mutter, der in meinen Träumen erscheint. Der Engel hat ihn manchmal auch gezeichnet, er sagte dann immer das gleiche wie in der Bank. Hier ist Ihr Phantombild!
Manchmal zeichnet Tom sich selbst oder mich oder Kelly. Heute Nacht hat er mich gezeichnet, so wie ich aussah, als ich nach L.A. kam, danach hat er mich geküsst, nicht zum ersten Mal …
Dann bin ich neben Kelly aufgewacht, hart wie ein verdammter Stein, aber ihre Haare waren zu hell, ihre Augen zu blau und ihre Formen zu weich, als dass ich das Interesse gefunden hätte, etwas deswegen zu unternehmen. Dummerweise ist ihr jedoch beides nicht entgangen. Sie hat es offensichtlich nicht allzu gut aufgenommen. Ich stecke wirklich in der Scheiße, bis zum Hals!
***
Brütend an meinem Schreibtisch zu sitzen, ist ja eine inzwischen vertraute Beschäftigung geworden. Früher hat mich die alltägliche Geräuschkulisse des Reviers beruhigt und mir ein Gefühl von Zuhause gegeben, auch jetzt lausche ich meiner Umgebung. Zwei Kollegen hinter mir reden über die politischen Ambitionen des Chiefs, zu denen wir alle gemischte Gefühle haben. Er möchte Bürgermeister werden, sonderlich beliebt in der Mannschaft ist er aber nicht. Den Stimmen nach handelt es sich um Detective Peter Hodge und seinen Partner Bastien Cadeaux, genannt Frenchie.
„Simmons, was ist dir heute für eine Laus über die Leber gelaufen? Du bist noch ungenießbarer als gewöhnlich.“ Meine Partnerin lenkt meine Aufmerksamkeit auf sich und funkelt mich herausfordernd über den Schreibtisch, den wir seit zwei Wochen teilen, hinweg an.
Es ist nicht leicht, sich an einen neuen Partner zu gewöhnen. Im Grunde genommen erwarte ich immer noch Nat zu sehen, wenn mein Blick über diesen Tisch fällt.
Wenn man dazu noch einen Rookie zugeteilt bekommt, macht es das nicht leichter. Nein, das ist nicht fair. Und ja, ich war auch, zumindest beinahe, ein Rookie, als ich an diesem Schreibtisch Platz genommen habe. Das war vor fünf Jahren. Dass dieser Rookie aber auch noch so aussehen muss, wie es Samantha Caihill nun einmal tut, macht mein Leben nur gerade vollständig zur Hölle.
„Privatsache!“
Sam stöhnt. „Ernsthaft? Ich verstehe jeden Tag besser, warum die Leute nicht gerade Schlange gestanden haben, um mit dir zu arbeiten.“
Das war noch lange kein Grund mich mit Barbie persönlich zu bestrafen. Sie sieht aus wie Polizeibarbie in Zivil, die gab es doch ganz bestimmt auch schon. Gab es Barbie nicht als alles Mögliche?
„Wir arbeiten zusammen, wir müssen uns nicht anfreunden.“ Mir reichen die amüsierten Blicke der Kollegen auch so schon. Ein Polizeirevier ist immer noch eine Männerwelt, egal, ob das im 21. Jahrhundert so sein sollte oder nicht. Niemand nimmt meine Partnerin ernst, die als kurvenreiche Blondine eben nicht wie der typische knallharte Cop wirkt. Da ich mit ihr zusammenarbeite, habe ich in etwa das gleiche Ausmaß an Respekt zu erwarten. Als ich letzte Woche Catlin im Louie‘s getroffen habe, hat er mich Ken genannt. ‚Ihr zwei seid das Vorzeigepaar des LAPD, Barbie und Ken, hübsch anzusehen bei jedem Fall.‘ Catlin hält sich selbst für sehr komisch. Und anscheinend sind Sam und ich gerade die Lachnummer unter L.A.s Gesetzeshütern. Das einzig Gute daran ist, dass nicht mehr jeder mit mir über Nat sprechen will.
Und ja, ich bin pathetisch, hey, das sehe ich selbst, aber der Grund ist, dass ich tatsächlich nicht mehr weiß, wer oder was ich eigentlich bin. Geschweige denn, was ich will. Diesen Mist kann ich da oben drauf wirklich nicht auch noch gebrauchen.
„Simmons, Caihill! Ihr habt einen Fall!“ Die Stimme des Captains reißt mich aus meinen Gedanken. Das ist zumindest ein Lichtblick in diesem Chaos.
***
Die Gerichtsmedizin ist bereits vor Ort und in voller Aktion, als wir an dem Apartmentkomplex eintreffen, in dem die Leiche einer jungen Frau gefunden wurde. Überall außerhalb des Fundorts im Schlafzimmer wimmeln zudem die Forensiker in ihrer Wohnung herum. Es tut ja auch durchaus gut, wieder im Sattel zu sitzen. Funde wie dieser sind jedoch eher weniger eine Wohltat. Bei solchen Tatorten bin ich für die Schutzkleidung und den Mund/Nasenschutz dankbar, die eigentlich uns davor bewahren sollen, den Tatort zu verunreinigen. Er hält jedoch auch ein wenig von dem Verwesungsgeruch ab. Einen Hauch Tigerbalsam unter der Maske zu verteilen, hilft zusätzlich.
Die junge Frau, die wir vorfinden, muss schon ein paar Tage tot sein. Das können wir sehen und riechen, ohne dass uns der Gerichtsmediziner darüber informiert. Im frühsommerlichen Los Angeles bei nicht klimatisierter Zimmertemperatur hat sie sich bereits in ein vollständiges Ökosystem verwandelt.
„Das ist die Mieterin der Wohnung. Lilly Ann Parsons, 25 Jahre alt, sie ist vom Rettungsdienst gefunden worden, nachdem die Nachbarn den Geruch gemeldet haben.“ Der Gerichtsmediziner könnte keinen neutraleren Tonfall haben, vielleicht gehört diese Kunst der Nichtbetonung sogar ausdrücklich zur Jobbeschreibung.
Im nächsten Augenblick wächst mein Respekt vor Barbie, als sie sich mit dem Gerichtsmediziner über die Leiche beugt, die nackt und in seltsam fötaler Stellung auf ihrem Bett liegt. Ein langer, ordentlich geflochtener Zopf liegt hinter ihr auf dem Kopfkissen und ihr dunkelbraunes Haar wird dabei von einem leuchtend roten Haargummi fixiert. Abgesehen von der Delle, die ihr Körper im Bett verursacht, wirkt dieses vollkommen glatt. Natürlich hat der Tod seine Spuren auf dem Laken hinterlassen, aber sie muss hier ursprünglich wie ein Ausstellungsstück platziert worden sein.
„Sie ist post mortem so drapiert worden, oder?“ Sams Gesichtsausdruck ist konzentriert, aber beeindruckend unbeeindruckt.
Ich habe bei meiner ersten halbverwesten Leiche gekotzt, sie hingegen stellt sachliche Fragen. Mein Gehirn beginnt anscheinend aber auch, plötzlich wieder zu arbeiten und ich bin endlich bereit meinen neuen Partner mit anderen Augen zu sehen. Verwesungsgeruch ist anscheinend so etwas wie eine Aufweckdroge für mich.
Der Gerichtsmediziner nickt. „Davon ist auszugehen, ja. Vermutlich ist sie im Nachbarzimmer gestorben.“
„Im Wohnzimmer? Sie ist erdrosselt worden, nicht wahr?“ Sam zeigt auf die Verfärbungen am Hals, die noch deutlich zu erkennen sind.
„Ja, danach sieht es zumindest aus. Näheres kann ich natürlich erst nach der Autopsie sagen.“
Im Wohnzimmer stehen zwei Cocktailgläser, sie sind mit Obstscheiben dekoriert, die vermutlich einmal zu einer Kiwi gehörten. Jetzt sind sie eher von einer weißlich bis blaugrünen Farbe. Sehr appetitlich! Meine Partnerin läuft beim Anblick der Gläser zielgerichtet ins Bad. Wie jetzt? Bei den Gläsern wird ihr schlecht, aber nicht bei der Leiche? Ein wenig irritiert laufe ich ihr nach. Dort allerdings hält sie eine Flasche Schaumbad in die Luft, zwischen ihren behandschuhten Fingerspitzen. Ihr Gesichtsausdruck ist triumphierend. „Bingo!“, sagt sie leise.
„Hä?“ Also jetzt komme ich definitiv nicht mehr mit.
„Pfirsichduft! Später!“ Dann stellt sie die Flasche zurück an ihren Platz. Nun, dann bin ich ja mal auf später gespannt. Warum es so relevant ist, welches Schaumbad unser Opfer benutzt hat, leuchtet mir zumindest bislang nicht ein.
Wir beenden die Tatortbegehung nach Protokoll. Ich halte mich selbst mit Fragen zurück, und beobachte Barbie … Sam. Ihre Fragen sind mehr als auf dem Punkt, so als wäre ihr die Antwort bereits bekannt. Deswegen lasse ich sie mehr oder weniger ihr Ding machen und halte Augen und Ohren offen. Ja, ich habe mich ihr gegenüber bislang wie ein ziemliches Arschloch benommen. Aber was ich sehe, bringt zum einen meine Cop-Instinkte zum Klingeln und zum anderen sehe ich, dass sie in Ihrem Element ist, dass ich sie gewaltig unterschätzt habe. Eine schöne Lektion!
Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass unser Opfer hier schon längere Zeit gewohnt hat oder dies ernsthaft vorhatte. Ihrer Wohnung fehlt jegliche persönliche Note, dafür scheint sie aus dem Katalog einer Möbelfirma zu stammen. Vermutlich wird sie vollständig möbliert vermietet.
Als wir aus dem Wohnblock herauskommen, übergebe ich meiner Partnerin wortlos die Wagenschlüssel, weil mir gerade bewusst wird, dass ich dies bis zu diesem Zeitpunkt tunlichst vermieden habe. Macho-Modus aus, willkommen zurück im 21. Jahrhundert. Ja, ich habe mich wirklich wie ein ziemlich großer Arsch aufgeführt. Ich gebe es ja zu.
Sie schaut mich mit großen Augen skeptisch und überrascht an und nickt dann, bevor sie, ebenfalls wortlos, einsteigt. Sie fährt jedoch nur um die Ecke und biegt dann auf einen Supermarkt-Parkplatz ab.
„OK?!“ Ich sehe sie fragend an. „Ich weiß, ich schulde dir mehr als eine einfache Entschuldigung, Sam. Du hast mich gerade wirklich beeindruckt, aber das können wir genauso gut während der Fahrt besprechen, oder?“
Sie schüttelt den Kopf. „Angenommen! Ich habe schließlich bewusst nach einem Partner wie dir gefragt, einer Herausforderung. Ich wollte niemanden als Partner, der es mir zu leicht macht. Ich wusste vorher schon, dass ich dich von mir überzeugen muss. Jetzt bin ich ehrlich gesagt überrascht, dass das so einfach war. Aber das hier können wir nicht während der Fahrt besprechen.“ Sie atmet tief aus und macht eine Pause, bevor sie weiterspricht. „Was hat deine Meinung so plötzlich geändert? Nicht mehr Barbie oder Caihill?“
„Cop-Instinkt? Ich schätze, ich habe so tief in meiner Scheiße gesteckt, dass ich ihn fast vergessen habe. Es tut mir leid, dass ich sinnlos um mich gebissen habe!“ Ich sehe zu ihr hinüber, in der Hoffnung, dass sie jetzt nicht nachfragt, von welcher Scheiße ich rede. „Eigentlich bin ich kein so großes Arschloch. Du kannst schließlich nichts für meine Probleme oder die Meinung der Kollegen.“ Ich schaue sie schließlich kopfschüttelnd an. „Du willst jetzt aber nicht behaupten, dass das deine erste Leiche war, oder?“
Ihre Antwort ist ein Kichern. „Kennst du die Serie Quincy?“
„Schon was älter, aber ich glaube, das habe ich mal irgendwann gesehen, wieso?“
„Erinnerst du dich noch an den Vorspann?“
Ich überlege einen Moment. „Da war irgendwas mit einer Autopsie und umfallenden Leuten.“
„Wir hatten in Portland einen Ausbilder mit Sinn für das Makabre“, fährt sie daraufhin fort. „Der hat das echt mit uns durchgezogen.“
„Auf der Akademie? Wow …“ Als sie nickt, frage ich weiter. „Und du warst die Letzte, die stand?“
„Natürlich! Ich wollte Frank schließlich beeindrucken.“
„Deinen Ausbilder?“ Klingt sinnvoll.
„Nein, der war ein echter Scheißkerl. Den Gerichtsmediziner!“
Ich starre sie etwas ungläubig an. Warum wollte sie ausgerechnet den Gerichtsmediziner beeindrucken? Der hat doch keinen Einfluss auf ihre Ausbildung.
„Auch bekannt als mein Ehemann!“ Sie lacht wieder. „Ich fand ihn sofort heiß.“
„Jesus Christus! Du hast bei Deiner ersten Leiche mit dem Gerichtsmediziner geflirtet?“ Ich glaube nicht, dass ich über die Geschichte heute noch hinwegkomme.
Sam lacht jetzt erst richtig los. „Beim richtigen Menschen sind die Umstände egal“, stellt sie dann, wieder ernst, fest. „Außerdem, wirklich geflirtet haben wir dann später. Ohne Gesellschaft!“
Irgendwie wird mir das Thema plötzlich unangenehm. „Ok“, ich räuspere mich. „Sagst du mir jetzt, was du über diesen Fall weißt, was ich nicht weiß?“ Besonders die Frage, was es mit dem Pfirsichschaumbad auf sich hat, interessiert mich brennend.
„Deswegen habe ich hier gehalten. Wenn wir schnell arbeiten, bevor das FBI Lunte riecht, können wir einen Serientäter fangen. Dann werden wir auch die blöden Sprüche auf dem Revier ganz schnell los. Aber wir müssen uns vorher hundertprozentig einig sein, worauf wir uns hier einlassen. Wenn ich nämlich nur halbwegs richtig liege, steckt da gewaltig Zündstoff in diesem Fall.“
Ich ahne jetzt grob, wohin das Ganze geht. Sie stammt aus Portland und hat sich wegen der beruflichen Situation ihres Ehemannes kurz nach der Polizeiakademie hier auf eine Stelle beworben. Es muss ein Fall aus ihrer alten Heimat sein, der sich hier wieder aufrollt. „Dann schieß mal los! Ich bin ganz Ohr.“
„Der Täter mordet anscheinend alle acht Jahre, drei Frauen nacheinander, im Abstand von jeweils drei Wochen. Die erste Frau stirbt am elften Juni, die zweite am zweiten Juli und die dritte am dreiundzwanzigsten Juli. Er hat bislang bereits zwei Mal in Portland agiert, zuletzt eben vor acht Jahren, davor vor sechzehn. Ich habe den Fall studiert, aber natürlich nur im Unterricht an der Akademie. Das heißt, ich habe offiziell nichts damit zu tun und muss seine Vorgehensweise nicht erkennen. Das gibt uns die Gelegenheit den Feds zuvorzukommen.“
„Tut mir leid, Deinen Enthusiasmus zu bremsen, Sam. Aber das heißt auch, wir haben in zwei Wochen die nächste Leiche, wenn wir ihn bis dahin nicht finden. Und spätestens danach das FBI an der Backe.“ Wir haben den Siebzehnten Juni, zwei Wochen können verdammt schnell vorbei sein.
„Ja.“
Ich atme ein paarmal tief ein und aus, um meine Gedanken zu klären, bevor ich zögerlich nicke. „Ok, mein Vorschlag wäre, wir nehmen uns fünf Tage. Wenn wir bis Freitag keine sinnvolle Spur haben, melden wir den Zusammenhang. Ich möchte nicht den Tod seiner weiteren Opfer zu verantworten haben.“ Unsere Kollegen vom Hals zu bekommen klingt gut, aber es ist kein Menschenleben wert.
„Einverstanden! Ich auch nicht.“
„Ok, alles, was dir einfällt, kommt jetzt auf den Tisch. Wir müssen jeden kleinen Vorteil nutzen.“
Sie listet eine erstaunliche Fülle von Daten auf, anscheinend hat sie den Fall gründlich studiert.
„Der Täter betäubt seine Opfer zunächst, bevor er sie stranguliert, als wäre er nicht sehr stark oder wolle ihnen einen gnädigen Tod erweisen. Es gibt grundsätzlich keine Abwehrspuren. Die Toxikologie wird mit Sicherheit ein starkes Schlafmittel, KO-Tropfen oder Ähnliches in den Cocktailgläsern im Wohnzimmer finden. Cocktails gehören zu seiner Vorgehensweise.
Auch wenn die Opfer nackt sind, es gibt keine Anzeichen von sexueller Gewalt oder Geschlechtsverkehr vor ihrem Tod. Alle Frauen hatten langes braunes Haar, das er ihnen, vermutlich ebenfalls post mortem, zu einem Zopf geflochten hat. Außerdem wäscht und pflegt er sie nach dem Tod. Sie werden wie ein Kind in der Wanne gebadet, immer mit Pfirsichduft, auch wenn die Marke wechselt. Alle Opfer sind zwischen zwanzig und Anfang dreißig. Die roten Haargummis, die verwendet werden, sind an sich nichts Besonderes, aber er scheint sie mitzubringen. Oder sie … Es gab zuletzt in Portland den Verdacht, es könne sich um eine Täterin handeln.“
Ich stutze. „Weibliche Serienmörder sind selten, erst recht, wenn es um einen so stark ritualisierten Mord geht.“
„Richtig, aber zwei der Opfer waren definitiv lesbisch, eines bisexuell, bei den anderen Dreien war es allerdings zumindest nicht bekannt. Warum sollte sich eine lesbische Frau mit einem Mann zum privaten Cocktailtrinken treffen?“ Sie zuckt mit ihren Schultern. „Ausgeschlossen ist natürlich nichts. Es handelt sich auch vielleicht um einen Zufall, da nur die Hälfte der Frauen geoutet war, vielleicht waren die anderen heterosexuell. Er oder sie drapiert seine Opfer jedenfalls, nachdem sie stranguliert worden sind, in Embryonalstellung, immer auf ihrem eigenen Bett und nachdem sie gewaschen und sorgfältig gepflegt worden sind. Weil es eine Schutzhaltung ist? Oder weil der Tod eine Wiedergeburt darstellen soll? In letzterem Fall steht die Nacktheit möglicherweise für Unschuld.“
Einen Moment lang blickt sie durch die Windschutzscheibe, scheinbar in die Leere. „Alle Opfer wurden in ihrer eigenen Wohnung getötet. Sie haben ihrem Mörder vertraut, ihn oder sie eingelassen und gemütlich Cocktails mit der Person getrunken, die sie anschließend getötet hat.“
„Na Klasse, wenn uns dieser Fall um die Ohren fliegt, dann richtig! Das ist dir hoffentlich klar.“ Ich zweifle bereits daran, dass es eine gute Idee ist, den Fall auf eigene Faust lösen zu wollen. Dieser Fall wird Schlagzeilen machen, so oder so, und wir können nur darauf hoffen, dass sie zu unseren Gunsten ausfallen werden, wenn es so weit ist. „Was hat ihn dann von Portland nach L.A. verschlagen? Vorausgesetzt natürlich, wir haben es nicht mit einem Trittbrettfahrer zu tun.“
„Job, Langeweile … was weiß ich, vielleicht die netten Polizisten?“
„Sehr witzig!“
***
Die Recherche im Umfeld von Lilly Ann Parsons gestaltet sich als überraschend schwierig. Ihre Wohnung haben wir ja bereits gesehen, es gibt dort fast keine Dinge, die etwas über unser Opfer aussagen. Sie war darüber hinaus wohl auch im Beruf sehr zurückgezogen. Ihre Kollegen in der Anwaltskanzlei, in der sie als Sekretärin gearbeitet hat, können uns jedenfalls nur sehr wenig über Lilly Ann Parsons erzählen. Sie war höflich, sie hatte mit niemandem viel zu tun, sie machte ihre Arbeit gut. „Nachdem sie Mittwoch nicht zur Arbeit erschienen ist, haben wir uns Sorgen gemacht, sie war ja eigentlich sehr zuverlässig“, ist die einzige Aussage ihres Chefs. Nichts besonders Hilfreiches, außer, dass es Sams Vermutungen bezüglich des Todestags bestätigt. Ein paar weiterführende Infos währen aber schon wünschenswert.
„Sie hatte diesen lustigen Spleen, hat sich immer die Nägel machen lassen“, sagt eine Kollegin von Lilly, ihr Namensschild weist sie als Nadja Feldman aus. Sie strahlt mich an, und ihr Blick verrät mir, dass sie Interesse hat. Ich lächle zurück, aber ich bleibe unverbindlich. Meinerseits besteht, Kelly hin oder her, überhaupt kein Interesse. Doch vielleicht kommt etwas Nützliches dabei heraus, dass ich die Option im Raum stehen lasse. Es kann manchmal von Vorteil sein, wenn man Barbie und Ken ist.
„Was ist daran Besonderes?“
„Sie hatte immer an der rechten Hand die Nägel an zwei der Finger ganz kurz. Die anderen waren lang und spitz. Das habe ich nie verstanden.“ Während sie spricht, hält sie die rechte Hand hoch und wackelt mit den besagten Fingern. Sie lächelt verschwörerisch, als habe sie mir etwas Wichtiges verraten. Dummerweise scheint sie nicht zu wissen, dass sie das tatsächlich hat. „Ganz schön schräg, was?“
„Ganz und gar nicht Nadja, vielen Dank!“
Ich werfe Sam einen Blick zu. Wir haben die Information, die wir wollten, aber sie scheint die Information nicht verstanden zu haben. Sie folgt mir dennoch schweigend bis zum Parkplatz.
Sam schaut mich schließlich stirnrunzelnd an. „Was habe ich da drin verpasst?“
„Du kennst wohl nicht viele Lesben, oder?“
„Nein, glaube ich zumindest …“ Ihr Blick ist skeptisch.
„Hast du schon mal lange Fingernägel gehabt?“
„Eher selten, sind echt unpraktisch beim Schrauben …“, stellt sie schulterzuckend fest. „Ich habe eine alte Harley von meinem Dad sozusagen geerbt“, fügt sie hinzu. „Meine Mom besteht darauf, dass er zu alt geworden ist, um mit dem alten Seelenverkäufer, wie sie mein Baby nennt, herumzufahren.“ OK, das ist so ganz und gar nicht barbiehaft. Ich muss grinsen, aber ich frage mich, wie ich meine Information diplomatisch transportiere.
„… unpraktisch und schmerzhaft, bei gewissen intimen Tätigkeiten“, stelle ich schließlich unverblümt fest.
Ihre Augen werden groß, nachdem sie nur eine kurze Sekunde überlegt hat. „Oh fuck!“ Sie ist so überrascht, dass sie mich nicht fragt, woher ausgerechnet ich so etwas weiß. Ich spare mir die Information schmunzelnd auf.
„Ich denke, wir können also davon ausgehen, dass es sich nicht um einen Zufall handelt.“ Ich zeige die Straße hinunter. „Fahr da vorne links. Ich weiß jemanden, der uns vielleicht mehr über Lilly verraten kann.“
***
„Ok, wir können unser Glück hier versuchen, wenn sie zumindest privat out war, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie schon einmal in dem Laden war.“ Vor einer halben Minute sind wir hinter dem Rainbow Cats auf den Parkplatz gerollt. Der Laden von Selma ist sozusagen eine der ersten Adressen der Lesbenszene in L.A., außerdem liegt er unweit von Lillys Adresse und Arbeit. Sams Augen wandern augenblicklich zu den drei Motorrädern, die um diese Zeit als einzig andere Fahrzeuge auf dem Parkplatz stehen, motorisierte Zweiräder scheinen sie wohl wirklich sehr zu interessieren. Selmas Frau scheint also mit dem Lieferwagen unterwegs sein.
„Selma sollte zwar noch geschlossen haben, aber normalerweise ist sie um diese Zeit da und kümmert sich um ihre Bücher und Bestellungen und den ganzen Kram.“
Anscheinend hat Sam inzwischen die Information von vorhin verdaut und analysiert. „WARTE!“ Sie hält mich am Arm fest. „Ich gehe da nur mit hinein, wenn du mir verrätst, warum du SO ETWAS weißt! Und so etwas auch.“ Ihre Arme gestikulieren während des letzten Satzes zum Rainbow Cats.
Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Ein Mann darf doch auch seine Geheimnisse haben.“ Aber ich habe nur vor sie auf die Folter zu spannen. „Nat, mein letzter Partner, und ich waren oft genug hier, dass ich ein paar Dinge aufgeschnappt habe. Selma ist die kleine Schwester von Nat Cunningham. Ihr gehört der Laden. Ich kenne sie und ihre Frau Louise seit fünf Jahren.“
Sam stutzt, dann prustet sie lautstark los. Ihr Lachen ist, wie vieles andere an ihr auch, alles andere als barbiehaft. Es ist unmöglich nicht mitzulachen, obwohl ein Teil von mir sich, ob unserer unerwarteten Reise in die Vergangenheit, melancholisch fühlt. „Selma und Louise?“ bringt sie schließlich unter halb erstickten Grunzlauten hervor.
„Selma und Louise, genau die.“ Ich bemühe mich ernst zu werden.
„Und sie sind lesbisch?“ Sie kichert noch. „Oh Backe! Ich glaub es nicht.“
Ich habe gerade beschlossen, dass ich meinen neuen Partner mag. „Davon ist auszugehen, ich war bei ihrer Hochzeit.“ Die beiden haben zu den ersten gleichgeschlechtlichen Paaren gehört, die in der Stadt der Engel getraut wurden. Das war lange, bevor ich Kelly kennengelernt habe. „Louise sammelt Motorräder, mindestens eines hat sie immer gerade in Einzelteile zerlegt. Ich wette, ihr würdet euch prima verstehen.“
Sam schüttelt den Kopf. „Du steckst voller Überraschungen.“
Wir gehen durch die Hintertür hinein. Selma hat sie wie immer nicht abgeschlossen und ich erinnere mich, wie oft Nat ihr deswegen Vorwürfe gemacht hat. Wie oft er ihr gesagt hat, wie gefährlich das sei… Beinahe kann ich seine Stimme in meinem Kopf hören. Aber Selma lebt schließlich und ist wohlauf.
„Hey Selma, es ist ein Einbrecher!“ Ich rufe lautstark, sobald ich den Laden betrete. Um ehrlich zu sein, tue ich es vor allem, weil ich keine Lust habe in den Lauf einer Schrotflinte zu blicken … und weil dies auch Nats Begrüßung war, wenn wir herkamen.
Sam schaut mich amüsiert an, anscheinend ist sie ebenso überrascht von Ken, wie ich von Barbie.
Selma Cunningham sitzt wie erwartet über ihren Unterlagen. Sie ist eine elegante Frau Mitte dreißig. Selbst wenn sie wie jetzt in Jeans und schlichter Bluse über eine Inventurliste gebeugt ist, verliert sie nichts von der klassischen, kühlen Ausstrahlung, die sie auszeichnet. Es ist zwar nicht so, dass sie dabei tatsächlich eine kühle Persönlichkeit hätte, aber ich könnte sie mir in einer beliebigen klassischen Hollywoodrolle vorstellen. Am besten würde sie in einen Film Noir passen. Allerdings besitzt sie so viele Schichten wie eine Zwiebel. Ihren Laden führt sie mit eiserner Hand und wird zur Not zur schwerbewaffneten Wildwest Lady. Wenn es um Louise oder ihren Bruder geht, kann sie innerhalb von Sekunden zwischen Leidenschaft und Fürsorge wechseln und sie ist eine der besten Zuhörerinnen der Stadt. In L.A. bedeutet das etwas, hier gibt es schließlich eine ganze Menge Menschen. Jeder Person, die an ihrer Bar Platz nimmt, gibt sie das Gefühl ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu besitzen. Das Faszinierende daran ist, sie bekommt tatsächlich alles mit, egal ob vor ihr fünf oder fünfzehn Menschen sitzen.
Ihre dunkelblonden Haare hat sie wie immer kunstvoll hochgesteckt. Ich erinnere mich noch gut an meine Überraschung bei unserer ersten Begegnung. Nats kleine Schwester hatte so überhaupt nicht meinem Bild entsprochen, was ich zuvor von einer Lesbe gehabt hatte. Genauso wenig entspricht sie dem gängigen Bild von einer Frau, die mit einer Schrotflinte unter der Theke aufwarten kann.
Heute sehe ich die gleiche Überraschung in Sams Augen. Mir liegt es auf der Zunge ihr zu sagen, dass wir nicht alle den Klischees entsprechen. Aber mein bisheriges Verhalten ihr gegenüber verrät mir, dass ich diese Lektion wohl selbst erst einmal verinnerlichen sollte, bevor ich sie ihr vorhalte.
„Mickey!“ Selma kommt lächelnd auf mich zu und umarmt mich. „Was treibt dich denn hierher?“ Ihr Blick wandert kurz über Sam. Natürlich, Sam ist, ebenso wie ich, in Zivil und wie Kelly sieht sie überhaupt nicht aus. Ich ziehe eine Augenbraue hoch, weil ich ahne, was sie gleich sagen wird, bevor sie spricht. Es gab eine Zeit, in der Nat und ich viel Zeit mit ihr und Louise verbracht haben. Ein Teil von mir fragt sich, warum das eigentlich aufgehört hat.
„Hey, auch eine verheiratete Frau hat Augen im Kopf“, sagt sie schließlich trocken.
Sam lächelt leicht verunsichert, und ich kann es ihr nicht übel nehmen. Dass Selma nichts weiter mit ihrem Blick verfolgt, kann sie nicht wissen. Wäre das hier nicht genau der Ort, der es ist, hätte es diesen Blick nie gegeben. Er ist Teil des Begrüßungsrituals im Rainbow Cats, nicht mehr und nicht weniger. Etwas, das Sam ebenso wenig wissen kann. Meine Gedanken wandern das erste Mal seit Stunden zu einer Zeugenbefragung in der First National Bank, zu einem schwarzen Lockenkopf mit grauen unergründlichen Augen … Ich schüttele den Kopf, mehr um ihn zu klären, als um Selmas Verhalten zu kommentieren.