Kitabı oku: «Einfach.Nur.Tom.», sayfa 3
„Leider der Job“, sage ich, bevor ich mich räuspere. „Das ist mein neuer Partner, Samantha Caihill.“
„Hallo Samantha!“ Sie schaut meinen neuen Partner noch einmal sehr genau an, was Sam sichtlich noch mehr verunsichert. Ich hingegen bin mir jetzt sicher, dass es ein anderer Blick ist als zuvor. Sie scheint Sam abzuschätzen und ich wüsste nur zu gerne, was sie gerade sieht. „Pass gut auf Mickey auf, er ist so etwas wie ein kleiner Bruder für mich! Und auch wenn er manchmal so tut wie der größte Macho auf Erden, er hat ein Herz aus Gold.“
Jetzt hat sie uns beide sprachlos gemacht, ich bin es nicht gerade gewohnt, mit einem Herz aus Gold beschrieben zu werden. Das ist auch nicht das Bild, was ich von mir selbst habe. Erst recht nicht, wenn man bedenkt, wie wenig ich mich seit Monaten bei ihr blicken lassen habe, besonders in den letzten zwei davon. In mir regt sich mein schlechtes Gewissen, weil ich mich nach Nats Tod so unsichtbar gemacht habe.
Sam fängt sich ein wenig schneller als ich. Sie hält Selma ein Foto unseres Opfers unter die Nase und räuspert sich. „Ist Ihnen diese Frau bekannt?“
Überraschung und Erkennen spiegeln sich in Selmas Gesicht, wir haben einen Volltreffer gelandet. „Was ist mit Lilly?“
„Sie ist tot.“ Ich habe vor langer Zeit gelernt, dass es diesbezüglich wenig effektiv ist, um den heißen Brei herumzureden. „Wir suchen ihren Mörder.“
Es ist deutlich zu sehen, wie betroffen Selma ist.
„Hast du sie gut gekannt?“, frage ich sie daher.
„Gut?“ Selma fängt sich schnell. „Ist der falsche Begriff. Sie war früher jeden Donnerstag hier mit ihrer Freundin und noch ein paar Mädels. Sie haben immer dort drüben gesessen, ihr Stammtisch.“ Sie zeigt auf eine der wirklich bequemen Sitzecken an der Fensterfront. Insgesamt orientiert sich das Rainbow Cats optisch an den sechziger Jahren. Die Pastelltöne der Möbel folgen jedoch dem Regenbogen und bei genauerem Blick sieht man, wie modern tatsächlich alles ist. Unzählige LED-Lichter erzeugen ein angenehm indirektes Licht, wenn Selma öffnet. Aber noch leuchten die hellen Lampen des „Putzlichts“, wie Selma die Deckenbeleuchtung bezeichnet. Ich bin immer wieder überrascht, wie sehr das grelle, kaltweiße Licht den Raum verändert.
An mehr als einem Abend sind Nat und ich früher hier versackt, haben noch Stunden nach Ladenschluss mit Selma und Louise dort gesessen, geredet und gelacht.
„Aber ich habe sie seit über einem Monat nicht mehr gesehen. Sie hat sich von Nance getrennt, mehr weiß ich nicht. Außerdem, sie war komisch in der Zeit davor. Kriegt man einen Blick dafür, wenn man so einen Job hat. Sie sah aus, wie ein Veteran, der gerade aus dem Krieg zurückgekehrt ist.“ Selma untertreibt. Sie durchschaut Menschen, als seien sie frisch polierte Glasscheiben. Also nehme ich dieses Urteil ernst.
Ich nicke. „Kannst du uns die Namen von ihren Freunden geben?“
„Nicht ganz.“ Sie reißt jedoch einen Zettel von ihrem Schreibblock ab und notiert fünf Namen darauf. „Das war ihre Freundin, Nancy Reddigan. Von den anderen kenne ich nur die Vornamen.“ Selma schaut betreten. „Glaubt ihr, Nance hat etwas damit zu tun? Ich meine … Ich denke nicht, dass sie einer Fliege etwas zuleide tun könnte.“
Nein, das glauben wir nicht. Wäre es so, würde Selmas Urteil den Verdacht für mich nahezu ausräumen, weil … Glasscheiben eben. Aber ich möchte nichts sagen, das irgendetwas über den Stand unserer Ermittlungen verrät, auch wenn ich Selma vertraue, als wäre sie tatsächlich meine eigene Schwester. Zum Glück für meine nicht vorhandenen Geschwister musste jedoch niemand sonst in meiner Familie aufwachsen.
„Wir wissen noch nichts, unsere Ermittlungen stehen noch ganz am Anfang. Aber vielleicht kann sie uns wenigstens helfen zu rekonstruieren, wo Lilly ihren Mörder getroffen hat.“
„Ok“, sie runzelt die Stirn. „Kannst du mich auf dem Laufenden halten? Ich weiß, laufender Fall und so … aber die Kleine hat mir irgendwie leidgetan. Auch wenn ich nicht weiß, was ihr widerfahren ist.“
„Soweit es die Ermittlungen nicht gefährdet. Aber ich kann dir nichts versprechen.“
***
Unser nächster Weg führt uns zu Nancy Reddigan. Zum Glück gibt es den Namen nicht allzu häufig in Los Angeles. Eine der so benannten Frauen lebt in einem Seniorenheim, die zweite ist eine konservative Politikerin. Der Gedanke liegt also nahe, dass die dritte mögliche Nancy die Exfreundin unseres Opfers ist.
Der blonde Sidecut, der uns die Tür öffnet, unterscheidet sich allerdings deutlich von Lilly Ann Parsons. Nancy Reddigan strahlt Punk aus. Gegensätze ziehen sich anscheinend an. Außerdem strahlt sie über das ganze Gesicht. „Hallo?!“
Sam und ich wechseln einen Blick. Offensichtlich ist keiner von uns begeistert von der Idee, dieses Lächeln zu zerstören. „Nächstes Mal bist du an der Reihe“, murmele ich Sam schließlich, höchstens halb verständlich zu und räuspere mich, bevor ich Nancy anspreche. „Detectives Simmons und Caihill, LAPD.“ Während ich rede, zücke ich meine Marke. „Dürfen wir eintreten? Wir möchten mit ihnen über Lilly Ann Parsons sprechen.“
Ihre Augen werden groß, aber sie behält die Fassung, als sie uns die Tür frei macht. „Was ist denn los? Geht es um diese zwei Arschlöcher, die sie vergewaltigt haben? Haben sie da endlich eine neue Spur?“ Innerhalb von drei Sätzen hat der Fall eine weitere unangenehme Dimension gewonnen, großartig! Während wir die Wohnung betreten, die völlig chaotisch wirkt, und genauso wie Nance selbst das genaue Gegenteil von Lilly Ann und ihrer Wohnung zu sein scheint, fügt sie entschuldigend hinzu: „Verzeihung für dieses Chaos, ich hatte gestern Geburtstag, ich habe gehofft, Lilly kommt auch … Ich bin wohl eine Närrin, ich hoffe immer noch, dass sie uns noch eine Chance gibt.“
Oh Fuck! Ich habe wirklich keine Lust, dieses Gespräch zu führen.
***
Nancy klammert sich an eine Tasse Tee, ihre Hände zittern, aber sie scheint ansonsten gefasst zu sein. Nur ihre Augen und ihre Hände verraten den Schock, unter dem sie steht.
„Haben Sie jemanden, der nach Ihnen sehen kann? Ich denke nicht, dass Sie allein sein sollten.“ Sams Stimme klingt warm. Sie scheint genauso besorgt zu sein, wie ich es bin.
Als Nancy nickt, läuft ihr eine einzelne Träne die Wange hinunter. Wenn wir nicht von vornherein sicher gewesen wären, dass sie nichts mit Lillys Tod zu tun hat, dann wären wir es spätestens jetzt. Ihre Reaktion ist sicherlich nicht aufgesetzt. „Ich kann eine Freundin anrufen. Ich glaube, ich möchte auch nicht allein sein.“ Ihr Blick fällt auf ein Foto auf der Kommode, es zeigt sie und unser Opfer, fröhlich lachend vor einem Hintergrund aus Bäumen. Es muss beim Wandern entstanden sein, vielleicht auch in einem Park.
„Sie klang wie eine Country Sängerin.“ Nancy beginnt zu erzählen und ich habe nicht vor, sie zu unterbrechen. Vielleicht fällt dabei etwas Nützliches ab. „Ich meine nicht nur ihren Namen, sie hatte auch eine so tolle Stimme … Aber sie hat sich nie getraut, sie zu benutzen. Nur für mich …“ Sie unterdrückt ein Schluchzen. „Zumindest bis … bis zu dieser Sache.“
Diese Sache, die Typen, die sie in einem Park überfallen und vergewaltigt haben. Etwas in meinem Magen läuft nicht ganz rund.
„Die Vergewaltigung?“ Sam hakt nach.
Verdammte Scheiße! Als ob ich das erste Mal mit diesen Abgründen konfrontiert würde … Der kleine Michael Simmons ist doch auch sonst so tief in mir begraben, dass es mir nichts ausmacht. Ich konzentriere mich auf meine Atmung und bemühe mich, ruhig zu bleiben, mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Die Geister meiner Vergangenheit kann ich gerade überhaupt nicht gebrauchen.
Wenn Sam bemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmt, dann lässt sie es sich nicht anmerken. Dankbar für zumindest diese Gnade des Schicksals überlasse ich ihr wieder einmal die Regie über das Gespräch. Ich habe gerade auch so genug Probleme, meinen Körper wieder unter Kontrolle zu bringen.
„Ja, die Vergewaltigung … Wissen Sie eigentlich, wie schwierig es ist, psychologische Hilfe zu bekommen in diesem System? Wenn man nicht zu den oberen Zehntausend gehört, meine ich. Lilly ist zu einer Selbsthilfegruppe gegangen. Soweit ich weiß, hat sie noch immer keinen Therapieplatz gehabt. Und dann hat sie vor zwei Monaten gesagt, sie müsse das erst einmal mit sich selbst klären. Ich war am Boden zerstört, diese Kerle haben sie mir weggenommen, langsam, Stück für Stück … Und jetzt das!“ Sie seufzt lautstark, bevor sie an ihrem Tee nippt, den sie anscheinend bis gerade vergessen hatte. „Eigentlich wollten wir im Herbst zusammen nach Paris fliegen … Lilly und ich, wir wären dann seit fünf Jahren ein Paar. Ohne sie, da wüsste ich nicht einmal, dass ich auf Frauen stehe … verdammt! Sie … sie hat mich damals angesehen, und ich hatte das Gefühl, sie blickt mir direkt bis in die Seele. Ich konnte mich einfach nicht dagegen wehren, was zwischen uns war … Was mache ich jetzt nur?“
Aus welchem Grund auch immer, während des letzten Teils ihres Monologs hat sie mich direkt angesehen. So als wüsste ich die Antwort auf ihre Frage oder sie die Antwort auf das Chaos in meinem Inneren. Ich schlucke und senke die Augen. „Ich weiß es nicht“, sage ich schließlich hilflos. „Aber wir werden herausfinden, wer ihr das angetan hat.“ Ich hoffe nur, dass wir dieses Versprechen auch einhalten können.
Sie nickt nur stumm.
Sam lenkt die Aufmerksamkeit mit einem dezenten Räuspern auf sich. „Wir müssen das leider fragen, können Sie uns sagen, wo Sie am letzten Dienstag waren?“ Offiziell kennen wir den genauen Todestag noch nicht, Sam verzieht das Gesicht, anscheinend ist ihr auch aufgefallen, dass sie uns ein Stück weit verplappert hat. „Seitdem ist sie nicht zur Arbeit erschienen“, setzt sie nach.
„Bei meinen Eltern in San Diego, sie haben ihren Hochzeitstag groß gefeiert. Ich bin am Samstag dorthin geflogen und bin bis letzten Freitag dort geblieben, um Zeit mit meiner Familie zu verbringen.“ Praktischerweise deckt ihr Alibi einen geraumen Zeitraum ab, wir müssen also nicht erklären, woher wir das Datum kennen. „Soll das heißen … ich war nicht einmal in der Stadt, als …?“
Sam drückt ihre Hand. „Es hätte nichts geändert, da bin ich mir ganz sicher.“
„Können Sie uns sagen, wann und wo sich diese Selbsthilfegruppe trifft?“ Anscheinend führt das zu der einzigen sinnvollen Spur, die wir haben.
Nancy nickt erneut, bevor sie in einem Papierstapel unter dem Sofatisch kramt. Sie reicht mir einen Flyer. „Da steht alles drin.“
Wir bleiben bei ihr, bis die besagte Freundin erscheint. Carol steht auf Selmas Liste, sie sagt aus, dass sie Lilly seit Wochen nicht gesehen hat und hat ein Alibi, das den Rest der Clique umfasst. Wir werden es natürlich trotzdem überprüfen müssen, ebenso wie jenes von Nancy Reddigan.
„Dyke Tuesday im Mantles. Wir gehen nur noch mit der ganzen Gruppe dorthin, die Gegend ist gefährlich in der letzten Zeit.“ Sie wirft Nancy einen wissenden Blick zu und streicht ihr beruhigend über die Arme. Diese behält anscheinend nur noch mühsam die Fassung, deshalb ziehen wir uns zurück, um den beiden ihre Privatsphäre zu lassen.
***
„Puh!“ Sam atmet lautstark aus, sobald wir im Auto angekommen sind. „Das war nicht gerade angenehm.“
„Ich wünschte, ich könnte dir sagen, dass es leichter wird.“ Ich bin zumindest froh, den Aufruhr in meinen Eingeweiden wieder unter Kontrolle zu haben. „Aber das wird es nicht!“
„Armleuchter! Dafür sollte es einen Dollar ins Phrasenschwein geben …“ Ihr Gesichtsausdruck ist todernst, aber ich kann ein Grinsen in ihrer Stimme hören.
Ich zucke mit den Schultern, Phrase hin oder her, es ist die Wahrheit. „Die Selbsthilfegruppe trifft sich jeden Dienstag. Das heißt, sie ist möglicherweise dort zuletzt gesehen worden. Vielleicht hat sie dort sogar ihren Mörder getroffen.“
„Das heißt also, wir müssen morgen dort hin.“
Anscheinend, ich FREUE mich schon riesig darauf, mit einem ganzen Haufen Leute zu reden, die alle die Geister aus meiner eigenen beschissenen Vergangenheit ausgraben werden. Wir sollten den Fall möglichst schnell an die Feds abgeben. Zum Teufel mit den blöden Sprüchen! Aber Mickey Simmons kneift nicht, er bringt das Monster zur Strecke, beziehungsweise hinter Gitter. Und ich habe Nancy gesagt, wir finden dieses Monster.
***
Habe ich mich an diesem Tag auf den Feierabend gefreut? Nein, aber ich bin erleichtert, dass ich vor dem Albtraum, der mich morgen erwartet, noch eine Galgenfrist bekommen habe. Bis ich vor Kellys Wohnung stehe. Anscheinend hat mir meine Verlobte zumindest eine meiner vielen Fragen beantwortet. Sie ist mit ihrer Geduld am Ende angelangt.
Meine bescheidene persönliche Habe steht in Kisten, Taschen und Koffern vor der Tür. Auf den ersten Blick dürfte sie nichts vergessen haben. Aber ich reise schließlich auch mit leichtem Gepäck. Seit ich bei ihr wohne, ist es eher mehr geworden … Der rote Pulli, der ihrer Mutter so gut gefallen würde, ich müsse schließlich einen guten Eindruck machen … Die schwarze Lederjacke, die so modern ist, sie wolle schließlich ihren coolen Freund vorzeigen können … Ich kann ihre Stimme in meinem Kopf hören. Ich mochte die Farbe Rot noch nie und die Lederjacke war schrecklich unbequem.
Während ich den Stapel, der den Flur halb blockiert, betrachte, frage ich mich, ob ich jemals wirklich bei ihr zu Hause war, oder einfach nur aus Gewohnheit oder Bequemlichkeit geblieben bin. Obenauf steht ein Karton mit persönlichen Erinnerungsstücken, den ich niemals ausgepackt habe. Ich habe hier über ein Jahr gewohnt.
Ich sollte wütend, enttäuscht oder verletzt sein … Vielleicht sollte ich mich weigern, einfach zu gehen. Ich sollte an ihre Tür klopfen oder meinen Schlüssel benutzen, zum Teufel! Eine Erklärung sollte ich verlangen, irgendetwas tun jedenfalls. Aber ich grüble nur darüber, wo ich kurzfristig und mitten in einem Fall unterkommen soll.
Als ich schließlich seufze und mit dem oberen Ende der Pyramide beginne, meine Klamotten in meinen Kofferraum zu verfrachten, fällt ein Stück Karton hinunter. Kelly hat ihren Verlobungsring ganz unzeremoniell mit Klebestreifen darauf befestigt. Daneben steht:
Viel Spaß mit Deiner neuen „Partnerin“!
What the Fuck?!
***
Louie ist das Klischee eines Schankwirts einer Cop-Kneipe. Sein Laden liegt stilistisch irgendwo zwischen Sportsbar und Irish Pub. Da es Montagabend ist, herrscht wenig Betrieb. Somit habe ich Louies ganze Aufmerksamkeit. Er ist selber ein Ex-Cop, aufbrausend und sarkastisch und das Motiv vieler urbaner Legenden. Einer Geschichte zufolge hat er sich die Kneipe von seinen reichhaltigen Bestechungsgeldern bei der Sitte gekauft, oder hatte gar selber ein paar Mädels laufen. Der nächste Kollege glaubt zu wissen, dass er das Geld als Belohnung für die Ergreifung des Mörders eines Millionärs kassiert hat, von der Witwe. Vielleicht aber auch für den Mord. Wiederum die nächste Geschichte besagt, er habe sie beim Pokern gewonnen … Ob eine dieser Geschichten stimmt, weiß ich nicht, ebenso wahrscheinlich ist, dass er sie alle selbst verbreitet hat, um sich über den Rest der Welt zu amüsieren.
Gerade könnte mich seine Vergangenheit auch kaum weniger interessieren. Das Chaos in meinem Kopf beschäftigt mich mehr als ausreichend.
„Es reicht, Mickey, du gehst jetzt nach Hause zu deiner Frau. Du hast definitiv genug für heute!“
Ich lache prustend los, als hätte er etwas Komisches gesagt. „Die hab’sch … ni’mehr! Sowohl, als … Ausch, auch!“
„Wie auch immer, Junge, du bist blauer als die Uniform von einem Streifenpolizisten!“
Louie ist heute wirklich zum Schreien komisch. „Hi, hi, hi … Isss’ schwa’z … die Uniform!“
„Gott sei Dank, farbenblind bist du noch nicht“, trotzdem schiebt er mich von meinem Barhocker und mit Nachdruck aus seinem Laden. „Geh und schlaf deinen Rausch aus, Kleiner!“
Bevor ich mich darüber aufregen kann, dass er mich so genannt hat, ist er wieder in seiner Kneipe verschwunden. „Arschloch!“ Meine Stimme prallt von der geschlossenen Eingangstüre ab.
Auf dem Parkplatz schaue ich auf mein vollgeladenes Auto, ich habe meinen alten Ford erfolgreich in ein dreidimensionales Tetris-Spiel verwandelt … OK, ans Steuer gehöre ich nun wirklich nicht mehr. Gibt es hier irgendwo ein Hotel? Oder besser eine Bar, wo man einem verwirrten, obdachlosen Mann etwas zu trinken gibt? Nachdem ich ein paar Atemzüge der kühlen Nachtluft genommen habe, fühle ich mich nüchtern genug, um die Straße entlang zu marschieren, mehr oder weniger geradeaus.
Als ich nach ein paar Minuten Musik und Stimmengewirr höre, scheint mir das ein Zeichen zu sein. Ich gehe wie magnetisch angezogen den Geräuschen entgegen und betrete eine Bar, über deren Tür eine leuchtende Regenbogenfahne blinkt. Auf einer winzigen Bühne steht eine über zwei Meter große Lady Gaga in einem bizarren roboterartigen Metalloutfit. Sie „singt“ ihren aktuellen Hit, den Titel habe ich mir erst gar nicht gemerkt. Ist nicht meine Musik. Country und Rock sind eher mein Geschmack.
Unbeeindruckt von der Show und der Tatsache, dass ich anscheinend in ein real gewordenes Klischee geraten bin, laufe ich zur Bar. Vielleicht kann ich genug trinken, um diese beschissenen Träume für eine Nacht zu vergessen. Und meinen Onkel. Und den kleinen Michael Simmons. Und meinen toten Partner und Freund … Und die Frau, die behauptet, ich würde mit meinem neuen Partner schlafen. Scheiße Mann, ich habe eine Menge Fehler gemacht, bestimmt! Aber das ist ein Tiefschlag!
Ich lasse mich auf einen freien Barhocker gleiten und sehe mich um. Als ich nach rechts sehe, blicke ich in graue Augen in einem milchkaffeefarbenen Gesicht, das von schwarzen Locken umrahmt wird.
Fuck!
Wir starren uns gegenseitig an, ich und meine Halluzination, denn das muss es sein, was ich gerade vor mir sehe. Entweder ich habe bereits zu viel getrunken oder noch viel zu wenig. Auf jeden Fall bin ich gerade sicher, dass ich den Verstand verloren habe.
Ich höre eine Stimme, die mir nicht so vertraut scheinen sollte. „Verdammt! Jetzt verf… folgt misch der schon, … wenn’sch wach bin.“ Meine Halluzination spricht meine Gedanken aus. Entspricht das eigentlich den Regeln? Gibt es so etwas wie Regeln für Halluzinationen?
Ich drehe mich zur Bar um, meine Stimme durch die Nachtwanderung und den Schock halbwegs gefestigt. „Wo kriegt man hier einen Scotch?“
Ein brummiger dürrer Kerl mit einem sorgfältig gestutzten Bart, mit silbernem Lidschatten und neonpinkem Glitzer-Shirt, das mindestens zwei Nummern zu klein ist, erscheint vor meiner Nase. Ja, ich habe definitiv den Verstand verloren … leider nicht mein Augenlicht.
Die seltsame Erscheinung lädt das bestellte Getränk vor mir auf der Bar ab, bevor er sich meiner Halluzination zuwendet. „Ich nehme an, du willst auch noch einen, Tommy?“ Er stellt ihm das Gleiche hin wie mir. Moment? Wieso kann er meinen eingebildeten Engel überhaupt sehen?
Meine Halluzination ist genauso betrunken wie ich, trinkt sogar das Gleiche und spricht aus, was mir durch den Kopf geht. Ich bin mir sicher, das entspricht nicht den Regeln. Na prima, selbst meine Halluzination hat den Verstand verloren! Zumindest hat sie Geschmack!
Ich leere mein Getränk in einem Zug, danach beginnt alles gnädigerweise zu verschwimmen.
2.
Dienstag
In meinen Träumen gibt es heute keine Engel … Nancy erzählt mir darin von Lilly, die sie seltsamerweise in einer Bank getroffen hat. Und Lilly singt ein Kinderlied, ich kann mich nachher nicht daran erinnern, welches, oder wie ihre Stimme klang. Währenddessen steht Nat neben ihr und jongliert mit Spiegeln. Ich wusste gar nicht, dass er jonglieren kann. Aber immer mehr Spiegel wirbeln im Kreis, allmählich wird mir schwindlig davon.
Dann bin ich wieder zu Hause, nein nicht zu Hause, aber in Nagsville, in einer dämlichen Stadt mit einem noch dämlicheren Namen, auf der Minigolfbahn. Im Wohnhaus dahinter, um genau zu sein, und ein Wolf starrt mich aus toten Augen an. Mir tut der Wolf Leid … „Dieses dumme Vieh!“, sagt mein Onkel undeutlich. Er hat eine Fahne, er riecht nach Bier und Whisky und seine Hände scheinen immer näherzukommen. Und wie die Spiegel vorhin, scheinen sie sich zu vermehren. „Ich musste es doch tun, verstehst du?“ Er sieht mich gierig an. „Verstehst du, ich musste es doch tun!“
Fuck! Ich muss aufwachen … ein Traum, ein gottverdammter Traum! Ich schüttele mich, versuche aus dem Albtraum zu entkommen und befinde mich an einem unbekannten Ort.
Ich rieche noch immer eine Fahne nach Bier und Whisky, überall an meinem Körper spüre ich fremde Haut und um meinen Oberkörper liegt ein behaarter Arm. Mein Magen dreht sich augenblicklich um, und ich entdecke eine offene Tür, die in ein Bad zu führen scheint, während ich mich panisch aus meiner Lage befreie. Sekunden später hängt mein Kopf über einer fremden Kloschüssel. Was in drei Teufels Namen ist passiert?
„Ok, so hat noch niemand reagiert, der neben mir aufgewacht ist.“ Die schläfrige Stimme, die von der Tür erklingt, kommt mir viel zu bekannt vor. „Mist! Ich meine … Nicht, dass das häufig passiert oder so … also, dass jemand neben mir aufwacht … Ähm …“ Ich weiß, dass er rot anläuft, ohne von meiner unappetitlichen Beschäftigung aufzusehen.
Mein Kopf dreht sich, nicht nur vom Alkohol und ich beginne, mir einige Bruchstücke des Abends zusammenzureimen. „Ich habe mir dich also nicht eingebildet?“ Meine Frage klingt atemlos vom Würgen. Ich lasse mich schließlich rückwärts an seine Wanne sinken, die sich neben dem WC befindet. Es handelt sich um ein gigantisches Gebilde von einer Eckbadewanne. Ich bleibe, nackt wie ich bin, auf dem Boden sitzen, zu erschöpft und viel zu verwirrt, um etwas anderes zu tun.
„Ich mir dich auch nicht, anscheinend.“ Tom Thomas Tommy Parker, nur Tom, lässt sich am Türrahmen herabgleiten. Er bleibt dort, ebenfalls nackt, und anscheinend nicht minder verkatert als ich, sitzen.
„Was ist passiert?“ bringe ich schließlich hervor. Allerdings bin ich nicht sicher, ob ich die Antwort hören will.
„Ernsthaft?“ Er schaut mich unverwandt an. „Ich habe keinen Dunst, aber so blau wie wir waren kann es nicht viel gewesen sein. Falls dich das beruhigt.“
Ja es beruhigt mich … aber nur zum Teil. Weil das eigentlich gar nicht meine Frage war. Ich frage mich, wie ich hier gelandet bin, wo auch immer hier ist. Ob etwas zwischen uns passiert ist? Ich stelle fest, dass mich der Gedanke, mich nicht daran erinnern zu können, mehr stört, als die Idee an sich. Und gleichzeitig ringe ich weiterhin mit meinen Eingeweiden ob meines Albtraums. Scheiße! Ich habe nicht mehr in dieser Art und Intensität von meinem Onkel geträumt, seitdem ich Nagsville verlassen habe. Nagsville, die Stadt der Nörgler, was für ein dämlicher Name.
„Du bist hetero, oder? Und verheiratet? Ich habe deinen Ring gesehen … In der Bank. Vorher habe ich dich die ganze Zeit beobachtet … James Dean als 2019er Cop-Variante, ich konnte nicht anders … Fuck! Warum muss ich mich ausgerechnet in den Hetero-Cop verknallen, der meine Zeugenaussage aufnimmt.“ Er lässt das Gesicht nach seinen direkten Worten in die Hände sinken.
„James Dean? Der ist gut, viel besser als Ken jedenfalls.“ Ich kann nicht anders als zu schmunzeln. Ich sollte bessere Worte finden, nach seinem Geständnis … Mann, ich bin so dermaßen kaputt, wie konnte ich mir jemals einbilden, ich hätte meinen Onkel unbeschadet überlebt? Ich rupfe mir den Verlobungsring vom Finger, was ich gestern schon hätte tun sollen, und schmeiße ihn in die Kloschüssel, neben der ich noch immer sitze. Dann drücke ich die Spülung. „Zum Teufel mit dir Kelly!“
Tom starrt mich völlig entgeistert an. Schon klar, wäre ich er, würde für mich auch nichts von dem, was ich hier gerade treibe und sage, irgendeinen einen Sinn ergeben.
„Sie denkt, ich schlafe mit meinem neuen Partner Sam“, sage ich, als würde das alles erklären. Dann fällt mir auf, dass Sam männlich klingt. „Samantha Caihill“, ergänze ich, meinerseits errötend. Warum ich das klarstellen will, weiß ich selbst nicht. Es ist egal, oder? Es ist nicht gerade so, dass Tom und ich gleich übereinander herfallen würden … Nicht nach diesem Traum und meiner Reaktion darauf, nicht wenn er nach Bier riecht wie mein Onkel … Und überhaupt eigentlich gar nicht, er ist immer noch ein Mann, oder?! „Fuck!“
Sein Gesicht sagt mir, dass er mich auch jetzt nicht versteht. Gut, dann sind wir schon zwei.
„Und deswegen verschlägt es eine Hete sturztrunken ins Brothers?“
Brothers also, noch nie gehört, nicht dass ich mich mit Schwulenkneipen auskennen würde.
„Louie wollte mir nichts mehr zu trinken geben.“ Ich blicke zu ihm herüber und ich wünschte, ich wäre nicht so kaputt und innerlich zerrissen. Ich wünschte, ich wüsste, was ich will und wäre in der Lage, anders zu reagieren. Träume aus zwei Monaten voller unruhiger Nächte tummeln sich in meinem Gehirn. Live und in Farbe sieht er noch besser aus als in meinen Träumen, selbst verkatert und anscheinend genauso durcheinander, wie ich es gerade bin.
Und ich sollte das eigentlich nicht einmal registrieren, am wenigsten nach dieser Nacht und meinem unsanften Erwachen.
Ein Erinnerungsfetzen streift meinen Verstand. „Wer oder was war der menschliche Flamingo?“
Tom kichert. „Momo, Momo Da Vinci … Bühnenname! Das ist ein spezieller Fall!“ Ja offensichtlich. „Du hast sie wohl zwischen zwei Auftritten erlebt.“ Er zuckt mit den Schultern und grinst dann. „Momo ist der beste Freund, den man haben kann. Ich kenne ihn seit der High School. Er macht Stand-up Comedy als bärtige Lady, seine Nummer ist wirklich witzig. Aber er kellnert eben auch im Brothers. “
„Sie? Ihn? Ich kenne mich wohl besser mit Lesben als mit Schwulen aus.“
Jetzt sieht er mich wieder verwirrt an. In Rätseln zu sprechen, ist wohl heute meine besondere Stärke. Schließlich trifft mich eine viel wichtigere Erinnerung. Ich finde die Koordination und die Kraft, um aufzustehen. „Scheiße! Ich muss einen Serienmörder fangen!“, entfährt es mir, während ich mir die Haare aus dem Gesicht streiche.
Tom taxiert mich von oben bis unten. Ja, ich bin nackt, Mann! Das habe ich mir nicht ausgesucht! Das glaube ich jedenfalls. Vielleicht sollte ich mir mehr Gedanken darum machen, dass mich sein Blick nicht stört, obwohl ich ihn spüren kann, wie eine Berührung.
„Ich denke, erstmal brauchst du eine Dusche, frische Klamotten und einen Kaffee!“ Tom steht ebenfalls auf. Und ich ertappe mich dabei, wie ich den Körper des Mannes betrachte, aus dessen Armen ich gerade eben geflohen bin. Seine Haut ist nahtloser Milchkaffee, und sein Körper ist schlank. Er ist nicht übermäßig muskulös, aber man sieht, dass er auf sich achtet. Definierte, nicht allzu harte Linien bilden einen v-förmigen Oberkörper und ein dezentes Sixpack. Eine Straße schwarzen Haares läuft von seinem Buchnabel abwärts und übt eine magische Anziehung auf meine Augen aus. Ich frage mich, wie er sich fit hält. Irgendwie sehe ich ihn nicht beim Training an kühlen, funktionellen Geräten. Meine Gedanken laufen schon wieder Amok. Was ist nur an Tom Parker so Außergewöhnliches, dass ich in seiner Gegenwart ständig neben mir stehe?
Als er mich dabei erwischt, dass ich ihn ansehe, werde ich rot wie eine Tomate.
Seinen Blick, als er weiterspricht, versuche ich erst gar nicht zu verstehen. Mir ist die Situation so bereits zu viel. „Geh erst einmal duschen. Ich denke, ich finde etwas, was dir passen könnte. Die Küche ist am Ende des Flurs links.“
Die Dusche ist ja nicht zu übersehen. Eine geräumige Duschkabine befindet sich am anderen Ende des Bades. Der ganze Raum strahlt Luxus aus. Was ist das hier, eine Villa? Wenn das Bad schon so groß wie das Wohnzimmer von Kellys Wohnung ist, vermutlich.
***
Es könnte sein, dass ich etwas ausgiebiger geduscht habe als gewöhnlich, okay. Aber hey, normalerweise habe ich auch keine Dusche wie aus einem Science Fiction Film. Das Ding hat mehr Einstellungen und Knöpfe als mein Auto. Der Vergleich hinkt ein wenig, mein Auto ist halt einfach nicht das Neueste, aber es leistet mir gute Dienste. Ich fühle mich auf jeden Fall bereits deutlich besser, als ich mich auf den Weg in die Küche mache.
Die Wände im Flur hängen voller Familienfotos, auf denen wiederholt ein nett wirkendes weißes Pärchen, Tom und eine jüngere Version des Paradiesvogels von gestern auftauchen. Es sind Fotos vom Strand und im Garten. Ein Foto scheint den Schulabschluss von Tom und Momo zu zeigen, Arm in Arm in die Kamera strahlend. Andere Fotos zeigen anscheinend Familienfeiern mit vielen unbekannten Gesichtern. Das Pärchen sieht vage vertraut aus, in ihrer Normalität scheinen sie dabei wie die netten Nachbarn von nebenan, deswegen haben sie wohl auch diese Wirkung.
Sein Blick tastet mich, als ich in die Küche komme, von oben bis unten ab, vielleicht einen Moment länger als notwendig. Da ich jedoch vorhin bereits festgestellt habe, dass mich seine Blicke nicht stören, ist es mir egal.
„Die Sachen sind okay?“
„Alles bestens, danke!“ Er hat mir ein grünes T-Shirt herausgelegt, smaragdgrün, meine Lieblingsfarbe, was mich mehr als überrascht hat. Eine dumme Stimme in mir fühlt sich umsorgt, ungeachtet dessen, dass es ein Zufall sein muss. Das macht mir noch mehr Angst, als die vielen anderen unpassenden Reaktionen, die er in mir auslöst. „Die Jeans sitzt etwas knapp, aber es geht.“
„Du hattest in der Bank ein Hemd in der gleichen Farbe an, also dachte ich, grün ist sicher.“ Wow, er hat mich wirklich genau beobachtet, anscheinend. Soviel zum Thema Zufall. „Knapp steht Dir!“
Mein Kopf wechselt schon wieder die Farbe, und mir will keine passende Reaktion einfallen. Ich belasse es bei einem verwirrten Blinzeln, Tom macht mich einfach sprachlos.
„Also?“ Er schiebt mir einen Teller mit Rührei und Speck unter die Nase, nachdem ich mein Handy weggelegt habe. Ich habe gerade Sam mitgeteilt, wo sie mich einsammeln soll. Mein Auto steht am Louie‘s und ich bin mir sicher, mein Restalkohol wäre Grund genug, es auch dort stehen zu lassen.