Kitabı oku: «Animalisches Verlangen», sayfa 4

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Das ganze Ensemble war zur Kostümprobe versammelt. David unterhielt sich mit Mikhail Godunov, dem russischen Choreografen, über die Orgie im 3ten Akt.

Hinter der Bühne ging es lebhaft zu.

Ein paar Minuten lang gab David den Technikern und den Schauspielern seine Instruktionen.

Clément de Réunion saß, eine hübsche Blondine auf der einen und einen jungen Mann auf der anderen Seite, hinten im Theater und genoss seine Rolle als alternder Lüstling.

„Okay, dann wollen wir mal. Alle Lichter im Haus aus!“, schrie David, während ihm irgendjemand die nächste Tasse heißen Kaffee in die Hand drückte. Jan kümmerte sich um das, was hinter der Bühne vorging. Er war für die große Szene verantwortlich.

Der Vorhang öffnete sich. Scheinwerfer erfassten sie, als sie ihren Auftritt hatte und dann, gepackt von der Erregung der Szene, vergaß sie die Gefühle, über die sie sich noch nicht ganz klar war.

Es war eine verrückte Szene. Linda, der Mittelpunkt aller, war phantastisch und selbst Valentina spürte, wie sie von den Wogen der Erregung mitgerissen wurde.

Auch David war erfreut.

Clément de Réunion applaudierte von seinem Platz hinten im Theater. Dann stand er auch und sprach mit seiner lauten und kräftigen Stimme:

„Könnt ihr bitte mal alle zuhören!“

Im Theater ging das Licht an. Die Geräusche verstummten und alle warteten neugierig auf die weiteren Worte des Produzenten.

„Während ihr geprobt habt, konnte ich eine großartige Werbeagentur für das Marketing unseres Stückes anwerben. Wir haben eine wundervolle Strategie entwickelt.“

Er verstummte kurz und ließ seine Worte wirken. Im gesamten Theater hätte man eine Stecknadel fallen gehört.

„Wir brauchen für unseren Erfolg Sozial Media Marketing. Das bedeutet für euch Unwissende, dass wir unser Theaterstück im Internet über Facebook, Twitter, Google und Xing vermarkten müssen. Außerdem werden wir einen Kurzfilm bei Youtube einstellen.“

Er holte kurz Luft, wartete auf Fragen. Alle schauten ihn neugierig an, sodass er weitersprach.

„Und nun die große Überraschung. Ich konnte für drei Tage das echte Schloss Willburg mieten!“

Ein Raunen ging durch die Reihen.

„Der größte Teil von euch wird gemeinsam mit mir am Freitag ins Altmühltal fahren. Wir werden im Schloss einen Kurzfilm für das Internet drehen. Außerdem machen wir Fotos der Schauspieler im Kostüm in den echten Räumen. Das wird Fantastisch! Ich freue mich sehr und erwarte mir euren vollen Einsatz. Am Freitag nach der Probe fahren wir los. Nehmt Kleidung für drei Tage mit. Die Koffer stellt ihr am Freitagvormittag in das Theaterfoyer, die Schauspielschüler werden das Auto packen. Hat noch jemand Fragen?“

Nach der Ansprache von Clément ging David in Lindas Garderobe. Sie saß vor der Frisiertoilette und wandte ihm den Rücken zu. Er lehnte sich gegen die Tür, schob seinen Daumen in das Revers seines Jacketts und betrachtete sie ein bisschen mehr als nur interessiert.

Ihr Anblick erregte ihn immer noch.

„Und was meint die große Schauspielerin dazu?“

„Wozu?“

Sie riss ein Stück weiches Papier von einer Rolle ab, befeuchtete es mit Reinigungsmilch und wischte dann vorsichtig über ihr Gesicht.

„Na zu unserem geplanten Ausflug zum Schloss Willburg“, antwortete er und grinste sie im Spiegel an. Das Vertrauen war wieder da.

„Für mich wird das ein großer Spaß, David. Ich kenne mich mit dem Internet nicht aus. Was dieses Marketing bedeutet, habe nicht verstanden. Aber wenn Clément das meint, na dann machen wir das halt. Ein paar Tage in einem Schloss leben wird dem Team guttun. Alle sind überarbeitet und genervt. Es ist gut, wenn wir mal aus dem Theater rauskommen.“

David nickte zustimmend mit dem Kopf. Das gleiche hatte er auch gedacht.

„Wie hat dir Valentina gefallen?“, fragte Linda.

Sie sahen einander im Spiegel an. „Lausig. Sie ist keine Schauspielerin. Sie sollte lieber beim Sex bleiben“, antwortete der Regisseur.

„Sei nicht so gemein, David.“

Sie drehte sich herum und ihr leichter Mantel öffnete sich und enthüllte ihre schlankem Oberschenkel, die Schamhaare und den Beginn ihrer Spalte. Er kannte alles so gut, er hatte es genossen. Er wollte noch mehr von ihr haben!

„Lass sie in Ruhe, Linda. Ich mag keine gleichgeschlechtlich orientierten Menschen.“

„So. Du willst jetzt auch Regie in meinem Leben führen?“

„Das kommt darauf an. Wir beide wären kein schlechtes Team.“

„Wenn du die Regie führen könntest.“

„Wer sonst? Natürlich, zu meinen Bedingungen.“

„Ich glaube nicht, dass ich mich darum kümmern würde. Ich glaube an die Gleichberechtigung.“

„Du hast Unfug im Kopf. Du brauchst jemanden wie mich, der genau das tut. Der dein versautes Leben wieder in Ordnung bringt und dich ein bisschen leitet“, sagte der Regisseur.

„David, es ist mir lieber, wenn du dich als hartgesottener, zynischer Profi benimmst.“

„Ich will dir mal was sagen, Schatz. Ich habe die Leute satt. Die haben alle einen Furz im Kopf. Sie sind durchgedreht.“

Er erhob sich und ging zur Tür.

„Ich sehe dich später, meine Lieber.“ Ihre Stimme klang heiser und atemlos.

„Sicher, Linda. Später.“

10

Als Letzte des Ensembles erschien Linda Murcia um kurz nach zwei Uhr am Freitag vor dem Theater.

Die Abfahrt hätte schon viel früher erfolgen sollen.

David Buchmann zündete sich eine Zigarette an und sog den Rauch tief in seine Lungen. Dann öffnete er die Türen des Kleinbuses und scheuchte alle auf ihre Plätze. Er wollte endlich losfahren und noch vor Einbruch der Dunkelheit im Altmühltal ankommen.

Der Sprinter Travel, ein Mini-Reisebus von Mercedes, hatte für acht Fahrgäste bequem Platz. Die Techniker würden am Samstag mit einem größeren Transporter nachkommen.

In der ersten Reihe neben dem Fahrer saß Clément de Réunion, in der Reihe dahinter David Buchmann, neben den sich Linda Murcia setzte. Dahinter saßen Jan Berger und der Choreograf Mikhail Godunov. In die letzte Reihe setzten sich Valentina und Lara.

Die kleine Reisegruppe bestand aus sieben Personen plus Fahrer.

Über die Leopoldstraße verließ der Kleinbus den Münchner Stadtteil Schwabing und bog auf die A9, die Autobahn München-Nürnberg, ein. Nach der Ausfahrt Ingolstadt erreichte die Reisetruppe eine kleine Landstraße, die in Richtung Altmühltal führte.

„Halt! Stopp!“, schrie Linda aus der zweiten Sitzreihe. „Dort ist eine kleine Gaststätte. Könnten wir kurz anhalten, bitte? Ich muss dringend auf die Toilette, außerdem habe ich Durst.“

Clément verdrehte seine Augen, er fühlte sich im Augenblick ebenso erschöpft wie seine Brieftasche. Eine Pause kostete wieder Geld, das ihm derzeit fehlte. Die ganze Kurzreise hatte bereits jetzt das Budget überschritten. Noch wusste er nicht, wie er die hohen Mietkosten für das Schloss aufbringen sollte.

„Hören Sie, verehrte Linda“, sagte Clément mit stiller Verzweiflung. „Es ist bereits sechs Uhr abends und wir haben es nicht mehr weit. Warum fahren wir nicht weiter?“

„Mir scheint, wir haben uns verfahren“, meinte sie schmollend. „Wir könnten nach dem Weg fragen, etwas trinken und auf die Toilette gehen, nicht wahr?“

„Na gut, schon okay“, antwortete er und erkannte, dass er gegen eine Frau wie Linda nur verlieren konnte.

Der Mercedes hielt vor einer kleinen Dorfkneipe, alle stiegen aus. Einige suchten die Toiletten auf, die anderen nahmen an der Bar Platz und bestellten Getränke.

Der Bursche hinter der Theke und die beiden Einheimischen, die am Rand saßen und etwas tranken, nahmen sich Zeit, die gemischte Gesellschaft mit offenem Mund anzustarren.

„Nun...“, sprach Linda und erhob ihr Glas, nachdem alle etwas zu trinken erhalten hatten. „Auf unsere glückliche Ankunft.“

„Wie weit ist es noch bis ins Altmühltal?“, fragte Linda den Burschen mit Schnauzbart, der gelangweilt hinter der Theke herumlümmelte.

„Etwa sieben Kilometer rum“, antwortete er in einem merkwürdig klingenden Dialekt.

„Sehen Sie!“, drängte sich Clément sofort in das Gespräch. „Ich sagte doch im Bus bereits, wir haben es nicht mehr weit!“

Linda blickte ihn ein paar Sekunden mit erhobener Stupsnase an, wandte sich dann ab und ließ dem Schnauzbart hinter der Theke ein hinreißendes Lächeln zukommen.

„Wir kennen den kürzesten Weg nicht“, vertraute sie ihm an.

„Aha!“, antwortete er mit einem gelangweilten Kopfnicken. „Sind Sie eine Nutte aus München?“

„Natürlich nicht!“, fauchte Linda mit einem gefährlichen Unterton. „Ich meine, es könnte sein, dass wir uns verirrt haben. Begreifen Sie das nicht, Sie vertrottelter Bauerntrampel!“

„Wenn ihr noch lange diskutiert, werden wir hier übernachten müssen“, sagte Jan in einem beruhigenden Ton.

„Nein, auf keinen Fall!“ Der Schnauzbart zitterte. „Ich gebe meine Zimmer keiner...“

Linda starrte den Burschen hinter der Theke mit einem finsteren Blick an.

„Es muss hier ganz in der Nähe sein. Schloss Willburg, kennen Sie das?“, erkundigte sich Jan.

Der Schnauzbart erzitterte heftig. Dann blickte er auf die beiden anderen Gäste vor der Theke und sagte mit schwankender Stimme: „Habt ihr das gehört?“

„Hm.“ Mit einem angstvollen Schimmer in den scheuen Augen wichen sie schnell zurück. Einer von ihnen kreuzte die Finger und wies damit in einer Art Stechbewegung auf die Reisegruppe.

„Das scheint hier eine Klapsmühle und keine Kneipe zu sein“, fauchte Clément. „Wir sollten hier verduften, solange ich noch winzige Reste meines Verstandes übrig habe.“

„Sie kennen offensichtlich das Schloss, wo wir hinwollen“, meinte Valentina. Sie wies mit dem Zeigefinger direkt auf die Brust des Wirtes. Dieser zuckte dabei zurück, als handle es sich um eine Pistole.

„Wo liegt das Schloss?“, fragte sie streng.

Der Schnauzbart erschauderte. „Sie müssen die Straße draußen drei Kilometer entlangfahren und dann nach rechts abbiegen. Sie finden es dann gleich.“ Seine Augen rollten. „Sie können es gar nicht verfehlen, so wie es sich gegen den Himmel abhebt.“

„Gut.“

Linda trank ihr Glas aus. „Dann noch einen Drink zum Abschied.“

„Besser nicht“, sagte der Schnauzbart und schüttelte heftig mit seinem Kopf. „Sie wollen doch wohl dort sein, bevor es dunkel wird!“

„Hm“, stimmten die beiden anderen Hanswurste inbrünstig zu.

„Warum?“, fragte Valentina.

„Die Leute hier rum wissen, dass es nicht gesund ist, wenn man sich nach der Dunkelheit dort in der Nähe herumtreibt.“ Seine Augen begannen erneut zu rollen. „In der Nacht passieren dort allerhand Dinge.“

„Was für Dinge?“, fragte Jan mit einem knurrenden Ton in seiner Stimme.

„Das mag ich nicht sagen, aber so was wie unnatürliche Dinge.“

„Ach, kommen Sie schon!“ Valentina warf ihre dunklen Locken zurück. „Das ist bloß ein bisschen Lokalkolorit für die Touristen, nicht wahr?“

„Davon verstehe ich nichts“, antwortete er einfach. „Aber nach Dunkelheit brächten mich keine zehn Pferde auf drei Kilometer Umkreis in die Nähe des Schlosses.“

„Hm“, verkündete der Chor der Einheimischen erneut.

„Sie haben recht, Clément“, meinte Linda resigniert. „Wir sollten gehen, bevor alle hier den Verstand verlieren.“

Draußen begann die lange Abenddämmerung dunkler zu werden. Eine kühle Brise ließ die Gruppe leicht frösteln, als alle wieder in den Kleinbus stiegen.

„Drei Kilometer diese Straße entlang und dann nach rechts abbiegen“, erklärte Linda aus der zweiten Sitzreihe und brach plötzlich in schallendes Gelächter aus. „Sie können es gar nicht verfehlen, so wie es sich gegen den Himmel abhebt!“

„Hatten die wirklich Angst vor dem Schloss oder wollten die uns nur ärgern?“ David sprach die Worte still zu sich selbst. Linda die neben ihm saß, blickte ihn verwundert an.

„Hast du etwa Angst, David?“

Er drehte seinen Kopf und schaute nachdenklich in ihre Augen. „Ich habe ein ungutes Gefühl. Etwas stimmt nicht mit dem Schloss. Ich kann es dir nicht erklären, es ist ein Bauchgefühl. Je näher wir kommen, desto stärker fühle ich diese Beklemmung.“

Sie nahm seine Hand und drückte diese sanft zwischen ihren Fingern. „Wir werden aufeinander aufpassen. Wir sind eine starke, große Gruppe. Uns wird nichts passieren.“

Der dunkelrote Minibus raste die Straße entlang, was eine Herde Hühner veranlasste, in einer Art Federwolke auseinander zu fliegen.

Nach drei Kilometern wurde der Wagen langsamer, um in einen schmalen, an beiden Seiten von Bäumen flankierten Fahrweg einzubiegen. Die holprige Straße drehte sich aufwärts, bis der oberste Punkt eines Hügels erreicht war und der Bus anhielt.

„Um Himmels willen!“, rief Valentina aufgeregt und heiser. „Er hat keinen Spaß gemacht, nicht wahr?“

Vor dem Mercedes Bus senkte sich das Land in einer Reihe von Abhängen in die breiten Täler. Genau gegenüber erhob sich ein weiterer Hügel.

Das, was oben auf diesem thronte, war mit Sicherheit Schloss Willburg.

Seine finsteren Türme und Spitzen bildeten eine düstere Silhouette, wie aus dem Vorspann eines Gruselfilms, der alle anderen Horrorfilme in den Schatten stellte.

„Da, wie es sich gegen den Himmel abhebt“, murmelte Linda heiser. „Was ist denn das daneben?“

Sie wies auf eine monolithische Turmspitze, die allein in einiger Entfernung vom Hauptgebäude stand, wobei ihre abbröckelnden Zinnen einen besonders trostlosen Anblick boten.

„Die Turmruine vermutlich“, antwortete Jan aus der zweiten Sitzreihe. „Auf Wikipedia habe ich gestern gelesen, hier gäbe es alles, einschließlich eines Burggrabens.“

„Ich dachte, einen kurzen Film für unser Theaterstück aufzunehmen wäre ein gewaltiger Spaß“, meinte Linda nachdenklich. „Aber jetzt bin ich mir dessen nicht mehr so sicher.“

„Sieht aus wie das Schloss von Graf Dracula. So habe ich es immer als Kind vorgestellt“, flüsterte Valentina ängstlich.

Eine Eule schrie unmittelbar über dem Minibus.

Das Auto setzte sich wieder in Bewegung. Ein paar Minuten später nahm der Fahrweg vor einem offenen, schief in den Angeln hängenden Eisentor, das in dem harschen Licht der Scheinwerfer fast verlegen wirkte, ein abruptes Ende.

Der Mercedes fuhr durch das Schlosstor hindurch, dann weiter über die mit Unkraut übersäte Zufahrt, die um einen Teich herumführte, dann wieder gerade wurde, um direkt auf das Schloss zuzuführen. Eine alte Holzbrücke führte über den Burggraben hinweg, welches über stehendes Wasser verfügte von dem ein grässlicher, stinkender Geruch ausging.

Anschließend fuhr der Minibus an der zerfallenen Turmruine vorbei.

Kurz darauf hielt der Mercedes in einem offenen Hof, um den herum an drei Seiten die Mauern des Schlosses emporragten. Der Fahrer stellte den Motor ab.

Die Stille schien alle wie einen permanenten Angstschrei zu umgeben.

Nachdem alle ausgestiegen waren, kam eine plötzliche kühlende Brise auf.

„Was sollen wir jetzt tun?“, fragte Linda in die Runde. „Hallo? Ist hier jemand?“

„Dort drüben ist Licht.“ Jan wies auf ein mit Eisen beschlagenes Tor, die in dem Teil des Schlosses, der wie sein Hauptflügel aussah, eingelassen war.

„Vielleicht sollten wir klopfen?“

„Na, jedenfalls ist alles besser, als hier draußen sitzen zu bleiben.“

„Was war denn das?“

Die Gruppe lauschte einen Augenblick lang angestrengt, hörte einen schwachen, zwitschernden Laut und erkannte dann den schwarzen flatternden Schatten, der über den Mercedes Bus weghuschte.

„Nur eine ganz kleine, winzige Fledermaus“, erklärte David.

„Fledermaus!“, kreischte Lara und stieß einen unterdrückten Schrei aus.

„Kein Grund zur Unruhe“, meinte David. „Wir gehören nicht zu ihrem Beuteschema.“

„Aber die Viecher könnten mir ins Haar fliegen!“, stöhnte Lara. „Wenn die Tiere sich nochmals nähern, sterbe ich!“

Valentina beobachtete noch einmal flüchtig den flatternden Schatten, dann verschwand die Fledermaus in Richtung der Turmruine.

„Lasst uns bloß diese Tür dort aufbrechen!“, wimmerte Lara. „Wenn ich hier noch länger bleibe, schnappe ich glatt über.“

Angeführt von Clément und David schlenderte die Gruppe zu dem mit Eisen beschlagenen Tor hinüber. Unter dem trübe herabfallenden Licht konnte man einen eisernen Türklopfer entdecken, der wie ein Totenschädel geformt war. David hob diesen an und ließ ihn wieder herabfallen. Es klang wie ein alter Ritter, der soeben in voller Rüstung die Treppe hinabgefallen wäre.

„Wenn jetzt Christopher Lee als Graf Dracula in einem langen schwarzen Umhang die Tür öffnet, steige ich sofort wieder in den Bus und fahre selbst zurück nach München“, behauptete Linda in einem theatralischen Ton.

Die Tür öffnete sich mit einer Art knarrendem Stöhnen.

Ein großes, dünnes, leichenhaft aussehendes Individuum stand im Türrahmen. Das Gesicht des Mannes war fleischig und gelblich, sein Schädel völlig kahl.

Valentina stellte sich gerade vor, dass dieses Wesen erst gestern exhumiert worden war.

„Guten Abend“, sagte der Unheimliche mit schicksalsträchtigem Flüsterton. „Ich bin Rafael, der Butler.“

„Ich heiße Clément de Réunion und bin der Inhaber vom Theater44 in München. Das hier ist mein Ensemble, ich erspare Ihnen die einzelnen Personen namentlich vorzustellen. Wichtig ist nur, dass Sie sich meinen Namen merken: Clément de Réunion!“, erklärte er in einem wichtigen, geschäftlichen Tonfall.

„Ah ja, Sir.“ Der Hässliche neigte sein Haupt um volle zwei Zentimeter. „Sie werden erwartet. Bitte treten Sie ein.“

Die Tür knarrte noch etwas mehr, als er sie weiter öffnete. Die gesamte Gruppe trat in eine riesige, von einer Galerie umgebene Diele. Sie war groß genug, um fünfzig Vampire beherbergen zu können, einschließlich ihrer jeweiligen Särge. Eine breite Eichentreppe führte in einem Bogen zu der oberhalb verlaufenden Galerie. Neben der untersten Stufe stand eine Ritterrüstung mit einer riesigen Streitaxt im eisernen Handschuh.

Als gemütlich konnte man die Diele kaum bezeichnen.

„Ich werde Madame mitteilen, dass sie angekommen sind.“

Der Butler Rafael ging mit steifen Schritten auf eine der Türen in der Diele zu und verschwand.

„Mir kommt das alles hier wie eine schlechte Hollywood Komödie vor, wie ein Riesenwitz?“, flüsterte Linda leise zu David, der neben ihr stand.

„Klar“, antwortete der Regisseur ein wenig lauter, so dass es alle hören konnten. „Das Ganze hier ist nur ein PR-Gag.“

Lara gab einen unterdrückten Schrei von sich und umklammerte den Arm von Jan. „Hört ihr das?“

Alle lauschten erneut angestrengt.

Man konnte von der Treppe einen leisen Zischlaut vernehmen. Jeder einzelne drehte den Kopf in Richtung des Geräusches.

Auf die Gruppe kam eine dunkelhaarige Frau zu geschwebt!

So wirkte es zumindest. Aber die Dame kam mit einem weichen Schritt die Treppe herunter, so dass es wirkte, als würde sie schweben. Sie trug ausschließlich ein knöchellanges Seidengewand, welches das Rascheln verursacht hatte. Ihr schwarzes Haar bauschte sich von der Mitte ihres Kopfes in zwei Ellipsen bis über die Ohren und fiel dann glatt zu beiden Seiten ihres ovalen Gesichtes herab. Die Haut der Frau war weiß und durchscheinend, die Nase gerade und aristokratisch, der Mund voll und gestrafft, die Augen groß, dunkel und glänzend. Das Seidengewand war staubgrau, hatte lange Ärmel und eine dünne Bronzekette als Gürtel. Wenn es sittsam sein sollte, so erreichte es in der Wirkung eher das Gegenteil, denn die Seide war dünn und umgab mit liebevoller Schmiegsamkeit die stolze Fülle ihrer Brüste, betonte die schmale Taille und umfloss die üppige Rundung ihrer Hüften.

Bei jedem Schritt, den sie weiter auf die Theatergruppe zu schritt, zeichneten sich unter dem dünnen Stoff mit verblüffender Genauigkeit die volle Länge ihrer schlanken Beine und die Rundheit ihrer Oberschenkel ab.

Bei Jan und Clément erzeugte dieser Anblick ein Anschwellen ihrer Geschlechtsorgane. Die Frauen erstarrten in einer weiblich, katzenhaften Stellung.

Dann blieb die dunkelhaarige Frau ein paar Schritte vor der Gruppe entfernt stehen. Ihre Augen weiteten sich plötzlich, während sie direkt in das Gesicht von David Buchmann starrte.

„Der Bastard ist wieder zurück!“, flüsterte sie.

„Wie bitte?“, antwortete David und glotzte sie verwundert an.

Die Frau schloss für ein paar Sekunden die Augen, blieb steif stehen und öffnete sie dann wieder. Sie zwang sich zu einem Lächeln.

„Entschuldigung“, sagte sie mit voller, tiefer Stimme. „Mein Geist ist umhergewandert. Verzeihen Sie mir bitte.“

„Selbstverständlich“, antwortete David leicht verwirrt.

„Ich bin Lucy of Phellan, derzeit die Hausherrin, bis... ja, äh, na ja...“, verkündete sie. Ihr Mund verzog sich leicht in den Winkeln nach unten. „Wir hatten sie schon früher erwartet.“

In ihrer Stimme lag ein leicht spöttischer Unterton.

Sie drehte sich um und die gesamte Gruppe folgte ihr gehorsam durch die Diele in den Salon, der mit der Heiterkeit eines Begräbnisinstitutes ausgestattet war. Die Farbgestaltung war vorwiegend in Braun und Schwarz gehalten. Drei Kronleuchter unternahmen den hoffnungslosen Versuch, genügend Licht zu spenden, aber sie schafften es nicht einmal halbwegs, die Düsterkeit zu vertreiben.

Linda sank in den nächsten Sessel und zündete sich eine Zigarette an. David setzte sich neben Clément auf eine unbequeme Couch, während die anderen wartend umherstanden.

Die dunkelhaarige Frau ließ sich auf einer Art Thronsessel am anderen Ende des Raumes nieder.

„Haben sie große Mühe gehabt, das Schloss zu finden?“, fragte die Hausherrin wahllos in die Runde.

„Nein, vielen Dank. Wir hatten auf der Autobahn nur etwas Stau. Daher haben wir uns verspätet“, antwortete Clément. Die Hausherrin nickte mit dem Kopf, als hätte sie das so erwartet.

„Schloss Willburg“, begann Valentina mit gepresster Stimme. „Woher kommt eigentlich dieser Name? Ich habe bei Wikipedia nachgelesen, konnte aber nichts Erklärendes finden.“

Sie blickte auf die im Halbdunkel sitzende dunkelhaarige Frau, deren staubgraues Gewand mit dem Schatten verschmolz.

„Das ist ein lange Geschichte“, antwortete Lucy of Phellan ruhig. „Ursprünglich hieß das Schloss >Mörnsburg<, aber nachdem der Schwarze Ritter, Will von Blankfels, einen Fluch ausgesprochen hatte, begannen die Bauern es >Willburg< zu nennen. Sie hofften wohl, dadurch Will zu besänftigen.“

„Nein, so was!“ Clément war völlig begeistert. „Das klingt nach dem Inhalt unseres Theaterstückes. Der Fluch von Schloss Willburg!“

„Es geht in die Zeit der Kreuzzüge zurück“, erzählte die Hausherrin weiter. „Einer unserer Vorfahren stand im Ruf, der Bastard des Königs zu sein. Er war unter dem Namen Sir Wilhelm of Phellan bekannt. Mein Ur-Ahne zog mit auf die Kreuzzüge und es geht die Sage um, dass er auf dem Heimweg zusammen mit Will von Blankfels, genannt der Schwarze Ritter, reiste. Wie sie wahrscheinlich wissen, kämpfte etwa die Hälfte der Kreuzritter wirklich für die Erhaltung des Christentums. Die andere Hälfte lediglich zur eigenen Bereicherung. Der Schwarze Ritter hatte erfolgreich einen Sarazenen-Palast geplündert. Auf dem Heimweg kam die Reisegruppe durch ein Gebirge in Rumänien. Dort wurden die Menschen von einem wolfsähnlichen Wesen überfallen. Alle, bis auf meinen Ur-Ahn, Sir Wilhelm of Phellan, wurden getötet. Kurz bevor der Schwarze Ritter starb, belegte er Sir Wilhelm und seine Nachkommen mit einem Fluch. Er gab meinem Ur-Ahn die Verantwortung für seinen Tod. Warum genau er dies glaubte, ist nicht bekannt.“

„Was für einen Fluch?“, fragte Valentina neugierig.

Die Schlossherrin schwieg ein paar Sekunden lang, es schien, als stutze sie innerlich die Geschichte in ein anderes Licht. „Nun, grundlegend besagte der Fluch, dass Sir Wilhelm nicht in den Genuss des Schatzes aus dem Sarazenen-Palast kommen sollte. Er und jeder erstgeborene Sohn würden eines elenden Todes sterben. Der Fluch sollte jede Generation betreffen. Der Schatz sollte verloren sein, aber gleichzeitig auch nicht verloren sein. Der Fluch besteht solange, bis Sir Wilhelm of Phellan in einer anderen Gestalt wieder aufersteht und wiederkommt. Dann soll er hier im Schloss etwas erledigt. Was er genau tun soll, ist mir nicht bekannt.“

„Das klingt sehr chaotisch“, erklärte David mit zutiefst nachdenklicher Stimme. „Ich meine, es ergibt keinen Sinn.“

„In gewisser Weise doch“, flüsterte die Hausherrin. „Seit Generationen ist der erstgeborene Sohn eines frühen und jeweils nicht natürlichen Todes gestorben. Vor etwa zehn Jahren ist der letzte Herr dieses Schlosses, Dastan of Phellan, verschwunden. Er nahm seine Gemahlin, Beliar of Phellan, und seine beiden Söhne, Marzo und Ragun, mit. Vielleicht wollte er durch seine Flucht das Leben seines Erstgeborenen schützen. Bis er zurück ist, verwalte ich, gemeinsam mit meinem Bruder, das Schloss.“

„Der Fluch ist jetzt also erloschen?“, erkundigte sich Clément mit seiner hohlen Grabesstimme. „Das freut mich zu hören.“

„Onkel Melchior glaubt das nicht. Mit den Jahren ist diese Vorstellung bei ihm zur Besessenheit geworden.“ Sie lächelte leicht. „Sie dürfen sich nicht an ihm stören, wenn sie ihm hier im Schloss zu Gesicht bekommen. Der arme alte Mann ist völlig harmlos.“

„Wie ist Sir Wilhelm of Phellan umgekommen?“, fragte Valentina neugierig.

„Es wird berichtet, dass ihn der Fluch verfolgte und das er überzeugt gewesen sei, der Schwarze Ritter würde aus seinem Grab auferstehen und kommen, um seinen Schatz abzufordern. Sir Wilhelm war von dieser Vorstellung so besessen, dass er den Wachtturm bauen ließ und Tag und Nacht dort oben eine Wache aufstellte, die beobachten musste, ob der Schwarze Ritter erscheinen würde. Dann vergrub er den Schatz irgendwo, oder versteckte ihn, um ihn in Sicherheit zu wissen.“

Sie lachte leise. „Er muss seine Sache ausgezeichnet gemacht haben, denn der Schatz ist seit dieser Zeit nie mehr aufgetaucht.“

„Aber wie ist er gestorben?“, beharrte Valentina.

„Eines Nachts war er der Überzeugung, dass der Schwarze Ritter bereits ganz nahe ist. So bestand er darauf, selbst auf dem Turm Wache zu halten. Am Morgen fand man seine Leiche am Fuß des Turmes. Es wird berichtet, dass sein Kopf von einem scharfen Schnitt halb abgetrennt war. Er wurde dort, wo er gefunden wurde, begraben, denn die Leute damals waren überzeugt, dass der Schwarze Ritter mit dem Teufel im Bunde stünde und es sei der Satan selbst gewesen, der Sir Wilhelm den Tod gebracht hatte. Die Kirche weigerte sich, seine Leiche in geweihter Erde zu begraben.“

„Was für eine reizende Gute-Nacht-Geschichte!“, sagte Linda lächelnd. „Ich werde heute Nacht sicher gut schlafen können.“

„Es ist wirklich eine faszinierende Sage“, bemerkte David. „Ich habe darüber im Internet gelesen. Aber wenn wir schon vom Schlafen reden, wollen wir uns nicht etwas früher zurückziehen. Ich würde gerne morgen früh ein paar Ideen für den Werbefilm ausarbeiten.“

„Natürlich“, erwiderte die Hausherrin, stand auf und zog an einer neben ihrem Stuhl angebrachten Klingelschnur. „Rafael wird ihnen ihre Zimmer zeigen.“

Ein paar Sekunden später erschien der Butler auf der Türschwelle. Lucy of Phellan wies ihn an, den Gästen die Zimmer zu zeigen. Die Gruppe hatte gerade die Tür erreicht, als die Schlossherrin mit fester Stimme David ansprach:

„Herr Buchmann, ob ich wohl noch ein Wort mit Ihnen sprechen dürfte?“, fragte sie.

„Aber gerne.“ David drehte sich um und blickte neugierig der Hausherrin in die Augen. Lucy wartete, bis die gesamte Theatergruppe verschwunden war. Dann kam sie in ihrem raschelnden, staubgrauen Gewand durch das Zimmer auf David zu.

„Ich möchte Ihnen etwas zeigen.“

„Großartig“, antwortete David leicht verdutzt.

Er folgte ihr hinaus in die Diele, wo die Gruppe gerade oben an der Treppe verschwand. Lucy ging auf eine Tür zu, die im hinteren Teil der Diele neben der Treppe lag und öffnete sie. Dahinter befand sich ein langer, trübe beleuchteter Korridor, der sanft abfiel. Je weiter sie hinabgingen, desto mehr sträubten sich die Haare in Davids Nacken. Der Gang endete an einer dicken Eichentür, die heftig knarrte, als Lucy sie öffnete. Sie blieb einen Augenblick lang stehen und sah David mit höflichem Gesichtsausdruck an.

„Haben Sie ein Streichholz, Herr Buchmann?“

Er kramte in seiner Tasche, fand die Zündhölzer und gab sie ihr. Gleich darauf flammte das Streichholz auf und beleuchtete einen angelaufenen, silbernen Kerzenständer, der gleich neben der Tür auf einer altertümlichen Holzkommode stand. Lucy zündete die Kerzen an und deutete David, dass er eintreten sollte. Der Raum wirkte wie eine Art Verlies, war etwa dreieinhalb Meter im Quadrat groß, hatte Steinwände und keine Fenster.

An der Wand hing ein großes, sehr alt wirkendes Ölgemälde.

Im matten Licht konnte David gerade noch erkennen, dass es sich um einen Mann in einer Rüstung handelte.

„Nach Sir Wilhelms Tod“, erklärte Lucy leise, „verbannte sein ältester Sohn dieses Bild aus der Hauptgalerie und hängte es hier auf. Er veranlasste auch den örtlichen Barden, den Fluch auf eine Holztafel einzugravieren, was vermutlich erklärt, warum das in Reimform geschehen ist. Die Tafel wurde ebenfalls hier an der Wand angebracht. Dieser Raum ist also in gewisser Weise ein Altar mit umgekehrten Vorzeichen. Niemand hat durch die Jahrhunderte hindurch hier etwas verändert.“

Sie trat neben David und gab ihm den Kerzenständer. Er hielt ihn etwas nach oben, damit er die Inschrift auf der Holztafel lesen konnte:

Der Schwarze Ritter bittere Rache nahm,

auf heimlichen Wegen der Tod herankam,

den Geist des Erstgeborenen zu verwirren

und sie dann in den frühen Tod zu führen.

Verloren der Schatz – und doch nicht verloren,

Widersinn für die als Weise erkoren,

So bliebe es wohl bis zum Ende der Zeit,

kehrt nicht zurück der Bastard in einem anderen Kleid.

David räusperte sich nervös und blickte nach unten.

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